"Anal" und "Sexual"  

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"Anal" und "Sexual" is an essay by Lou Andreas-Salomé, first published in Imago[1]

"it is characteristic for animals that anal and genital orientations go together completely,"
"it is no accident that the genital apparatus remains so closely connected to the anus (and in woman is merely rented from it)."

Full text of the essay

Zeitschrift für Anwendung der Psychoanalyse auf die Geisteswissenschaften, Herausgegeben von Prof. Dr. Sigm. Freud, IV. Jahrgang, Heft V, 1915/1916, Hugo Heller & Cie, Leipzig und Wien, S. 249-273.

Nahezu üblich geworden war es seit einiger Zeit, der Wiener Schule ihre Betonung der Regressionen auf das anale Gebiet als eine Art von Rückständigkeit vorzuhalten,– ungefähr wie wenn, anstatt sachlicher Weitererörterung der Probleme, man sich lieber verbohre in den ausgerechnet unbehaglichsten Familienklatsch. Und doch ist eher Anlaß zu glauben, gerade dieser Punkt, mehr als irgend ein anderer vielleicht, harre erst noch endgültiger Erledigung,– schon allein weil er derjenige ist, auf den sich letztlich alle Reste der Verunglimpfung zurückziehen, die Freuds Hinweis auf den sexuellen Faktor entgegenstand und -steht. Denn wie stark der Widerstand dagegen auch von jeher gewesen ist und insbesondere gegen Freuds »infantile Sexualität«,– immer noch erscheint der Abscheu davor ganz erheblich geringer als der vor dem Analsexuellen speziell. Ja während man im ersten Fall sich über die Zumutung empört, des Kindes Zärtlichkeiten durch das Wort »sexuell« zu besudeln, erweist sich im zweiten Fall dies verfemte Sexuelle seinerseits empörend besudelt durch seine Bezugnahme auf Anales. Wie ja auch die kindlich zärtlichen Auslassungen am elterlichen Körper in jeder Form gerührten Blickes betrachtet zu werden pflegen und sich unbeschränkt gehen lassen dürfen, während über dem anderen Gebiete von vornherein großgeschrieben das erste »Pfui!« prangt, das wir in uns aufzunehmen haben. Dadurch leitet es eben die für jedermann so bedeutungs- und beziehungsvolle Geschichte des ersten Verbotes ein. Der Zwang zur Triebenthaltung und Reinlichkeit wird dadurch zum Ausgangspunkt für die Ekelerlernung überhaupt, für den Ekel kat exochén, der nie wieder ganz verschwinden kann, weder aus dem Erziehungswerk, noch aus dem unserer eigenen Lebensgestaltung. Ein solcher Sachverhalt läßt aber vermuten, hinter dem Normal-Ekel und -Widerstand von uns allen möchten nicht selten Einsichten versteckt bleiben, weil man sie aus diesem Bezirk nicht aufstöbern mag,– ganz ähnlich wie die pathologischen Widerstände bei Neurotikern Einsichten hinter sich verbergen, deren Aufdeckung die Genesung bedingt, indem sie den bewußten Blick auf das Tatsächliche erst freimacht. So könnte es wohl sein, daß gerade auf diesem Gebiet, dem wir (im gewöhnlichen Fall) mit unseren praktischen Erfahrungen und Überwindungen am frühesten zu entwachsen scheinen, unserer Erkenntnis manche späteste Frucht erst noch reift.

In der Tat kann der Umstand nicht leicht wichtig genug genommen werden, daß jenes erste »Pfui!« und Verbot andeutungsweise schon einsetzt zu einer Zeit, wo wir von uns kaum noch wissen, für uns sozusagen noch nicht existieren, wo unsere Triebregungen fast noch unabgegrenzt erscheinen gegen die Umwelt,– und uns als die unseren recht eigentlich erst fühlbar werden durch diesen Verbotszwang, der mithin unser Erwachen zu uns selbst gewissermaßen einführend begleitet. Allerdings ist etwas wie ein Gebot auch schon verknüpft mit der anderen frühesten Lebensregulierung, derjenigen der Nahrungsaufnahme, allein diese enthält nur passiven Verzicht, ein Nichterlangenkönnen. Hier hingegen richtet sich nicht bloß eine enttäuschende Grenze von der Außenwelt her gegen das neugeborene, soeben noch allverbundene Wesen auf, sondern es wird veranlaßt, eine eigentümliche Tat zu tun: eine Tat wider sich selbst, eine Grenzsetzung innerhalb des eigenen Antriebes, — in der Beherrschung seines Analdranges gleichsam die erste echte »Verdrängung« an sich zu vollziehen. Wollte man derartige, beinahe rein biologisch ablaufende, Vorgänge bereits mit den stattlichen Namen aus der Psychologie belegen, die ihren späteren, geistes-verständlicheren Zusammenhängen gewidmet werden, so könnte man sagen: es geschieht das Interessante, daß der kleine Ichkeimling sich gleich anfangs unter einem ihn hochtreibenden Druck von »Askese« äußert, daß sie es ist, die sein beginnendes Wachstum am unverwechselbarsten unterscheidet von den ihn umwuchernden Triebreizen als solchen. Denn erst in diesem Zurückgeworfensein auf sich selbst, in dieser primitivsten Ich-Übung am zu beherrschenden Triebreiz, wird das an ihm Erlebte– sowohl Zurückhaltung wie Abgabe,– um eine Spur näher dem Bewußten, Persönlichen gerückt.

Seinerzeit wurde so charakteristisch gelacht, als Freud auf die an das Stuhlverhalten geknüpfte Anallust des Säuglings aufmerksam machte, und doch ist es diese Lust, durch die das kleine Ich sich allerfrühest als Herr der Situation zeigt, die mit einer Unterdrückung begann. Indem, zum triebnegierenden Zwang von außen her, die Anallust das positive Moment heranbringt,– die autoerotische Freude an der eigenen Leiblichkeit,– schließt sich das Menschenkind mit seinem kritisierten Körperleben wieder als identisch zusammen: in der Anallust ist das Ich wieder triebgemäß, der Trieb aber ich-gemäßer, bewußtseinshafter geworden als in seinem unwillkürlichen Ablauf,– die Lust an ihm schon zu einem Spannungsresultat. So sieht das menschliche Ich sich hineingestellt in die es gleich ursprünglich umkämpfenden Gegensätze von Außenhemmungen und Innendrängen als eine Art von Ausgleichsvollzug,– als eine Aktionsweise gewissermaßen, die zwischen diesen beiden Tatbeständen vermittelt, an beider Gegensätzlichkeit gelangt es selber erst zu seiner Wesensäußerung, indem es dadurch in prinzipieller Weise die Einheit auszudrücken hat von Verlangen und Verzicht, von Sein und Soll, oder– wenn man diesen schon weit vorwegnehmenden Bezeichnungen auch gleich die emphatischste hinzufügen will, die im späteren Verlauf zur gegensatzvollsten wird,– von »Leib« und »Geist«.

Wie wir nun durch das Verbot uns wider uns selber stemmen lernen, und wie dadurch in der Anallust wir nur um so betonter uns zurückgewinnen, so ergibt sich daraus ebenfalls ein Doppelverhältnis zur Umwelt für uns. Verbot und Strafe verletzen die restlose Ineinandergehörigkeit von Welt und Einzelgeschöpf: es ist schon früh von Freud selbst, dann besonders von Ferenczi und Jones dargetan worden, inwiefern aus solcher libidinösen Urenttäuschung der erste Haß aufspringt, um diese notwendige und scheinbar harmlose Wunde zu vergiften. Unter den Eigenschaften, die Freud dem Analcharakter zuschreibt, richten sich zwei– der Trotz und der Geiz,– gegen die Außenwelt, die sich aus ihrer Unzertrennlichkeit mit uns löste und zu einem fremden Gegenüber aufrichtete: vor der man in die Egoität sich flüchten muß, der eigenen Haut sich wehren, den selbstischen Genuß in Sicherheit bringen. Der dritte Zug im Analcharakter– Pedanterie, auch als Hypermoralität (gleichsam als moralischer Waschzwang)– kehrt sich nicht nur gegen die Welt, sondern trägt die Gegensetzung bereits ins eigene Innere, zwiespältig geworden bezüglich eben jener Anallust, die in Trotz und Geiz noch selbst-einig, ob auch schon sublimiert, überlebte. Vergleicht man das mit der anders gerichteten Libidoäußerung des Säuglings,– die die andere Leibesöffnung, den Mund, zur erogenen Zone hat,– so sieht man (im normalen Durchschnittsfall) statt dessen das Kind zwiespaltlos und protestlos in lauter bejahende Liebe aufgenommen: diese Richtung, die alsdann auf den »Inzest« hin auslaufende, erscheint ursprünglich von Sonne und Seligkeit begleitet, an Stelle der vielen Düsternisse durch die »Erziehung der Sphinkter«. Allerdings siedelt auch in der Inzestliebe sich ja der Haß an, doch immerhin mehr sekundär und zu seinen schlimmsten Bedeutungen oft erst vergrößert in der Schuldphantasie Neurotischer. Noch ehe er einsetzt, ist die Brust dem Munde entgegengekommen in einer scheinbaren Identität von Ich und Außenwelt, die noch viel später wie eine Urerinnerung, wie ein Wiedersehen, schweben mag über jeder neuen Objektsbesetzung. Von der uranfänglichen Eltern- (Mutter-) Einheit mag wohl ein Schein in so letzte Lebenstiefen hinabreichen, daß daran religionsbildende Kräfte wirksam werden konnten und alle Zuversicht einer »Gotteskindschaft«, während die anale Libido, unter der haßweckenden Grunderfahrung des Vereinzeltwerdens, von ihrer Basis an gewissermaßen satanisiert, ausgehen muß vom Protestdogma: »ich und der Vater (die Mutter) sind nicht eins.«

Wie wir aber durch den ersten Fall zurückgelangen zum Objekt als zu dem mit uns liebeseinigen, so würde vielleicht ohne die grobe Unterstreichung der Fremdheit im zweiten Fall die Welt als Gegenüber unserem Gefühle nie genügend objektiv werden. Und überdies ist ja erst von dorther der dritte Weg zum Weltverhalten freigelegt worden, auf dem das Kind zu einem seiner wichtigsten Lebenszusammenhänge gelangt: indem es im Analerotischen selber Erzeuger, »Elternmacht«, wird,– indem es Teile von sich zu Außenwelt gewandelt sieht, ohne sich selbst daran zu verringern, so daß die abgetrennte Welt sich ihm wiederschenkt, in noch intensiverer Einswerdung, als auf dem entgegengesetzten Wege:– vom entgegenkommenden Objekt zum Subjekt, — denkbar ist. Seit Freud drängt sich die Bedeutsamkeit solcher frühesten Eindrücke allmählich auf, ihre unterirdischen Verknüpfungen mit dem Wesen aller Produktion, der denkerischen wie künstlerischen Tätigkeit, werden von der psychoanalytischen Forschung mehr und mehr herausgearbeitet. Und hat Freud zur Entrüstung der Leute stets betont, daß die Fragesucht der Kinder sich im Grunde um das Problem der Zeugung drehe, so kann man längst sagen: nicht nur deshalb ist es der Fall, weil Kindern dieses Problem stofflich fragwürdig wird (etwa durch Geburt jüngerer Geschwister oder anderweitige Beobachtungen), sondern weil ihr eigenes Geisteswesen, ihr Wissensdrang, ihre Gestaltungsfreude in tiefster Urbeziehung dazu steht. Schon hat ja dem Kinde die ewig neue Dualität von Welt und Ich sich erschlossen, in fühlbaren Kämpfen, schon hat sie sich ihm ewig neu versöhnt, in Lust und Trotz von ihm selber aus, und schon macht die weitere Entwicklung ihm auch dies wieder strittig durch die Erlernung von »Scham« und »Ekel« daran. Erst durch Freud beginnen wir ja etwas zu ahnen von den Höhen und Tiefen, von denen her das Kind sich in die Bewußtseinswelt seiner späteren Jahre hineingeschleudert sieht,– scheinbar nichts mehr wissend von dem Überstandenen, und doch so davon geprägt, daß in seinem stärksten Erleben hinterher oft nur nachhallt die Gewalt dieser unfaßbaren Uraffekte. Nimmt Freud an, daß die Psychosen ihre Libidohemmung an früheren Entwicklungspunkten haben als die Neurosen, so mögen vielleicht die schwersten Erkrankungen diejenigen sein, in deren Tiefen und Abgründen derartige Erinnerungen sich regen, wenn sie auch, unserem Verständnis meistens sprachberaubt, mit totem Gesicht vor uns auftauchen. Doch noch innerhalb des normalsten Durchschnittsdaseins mögen andauernd Einflüsse aus jener Sphäre stattfinden, deren wir uns nie bewußt werden, weil sie dauernd abseitig bleibt von allem unseren sonstigen Tun: nicht nur, konventionellerweise, anderen gegenüber verhehlt,– auch in uns selbst isoliert von der Gesellschaft salonfähigerer Interessen, und dadurch angewiesen auf Einwirkungen indirekter Art.

Denn jene erste Verpönung, die das kleine Kind belehrt, geht gleich weiter: belegt auch innerhalb der regulierten Analbetätigung jeden Lustbezug mit Verbot und entwertet so summarisch das gesamte Gebiet für Gefühl wie Urteil. Dieser stets weiterreichenden selbstregierungs- und -negierungsleistung ist das Kind nur gewachsen, weil es so früh sich unterscheiden mußte von in ihm selber sich vollziehenden Prozessen, ganzen Provinzen seiner Leiblichkeit,– bis es an seinem Eigenbesitz Reduktionen vornehmen lernt, ohne sich doch selbst damit in Frage gestellt zu sein. Scham, Ekel werden in dem Maße ohne Schaden in ihm wirksam, als es sich nicht lediglich als den Täter seiner Tat oder Untat fühlt, sondern auch noch als etwas darüber hinaus,– als es neben der Aktualität seines Inhalts, aus dem es Teile verstoßt, dafür auch noch ein entsprechendes Stück Zukunft in sich einbezieht: einen noch leeren Wesensumriß gleichsam, der vorgezeichnet ist von der Hand der erziehenden Autoritäten, aber auch ebensooft von der Linie der werdenden Individualität. Noch der naive Idealismus der Jugendlichkeit, so rührend und unverfroren zugleich, womit sie ohneweiters nur gerade dem Allerhöchsten, was sie ersinnen kann, sich wesensverwandt nimmt, bezieht die Zuversicht seiner Identifikationen wohl wesentlich von dorther. Denn kommt er auch gewißlich aus der »Allmacht der Gedanken« infantiler Seelenverfassung, deren Wunschkraft keine Hindernisse kennt, so ist sie doch inzwischen durch genügende Enttäuschungen der Jahre hindurchgegangen, um (im normalen Fall) an Sicherheit auch einzubüßen. Wenn sich die jugendliche Selbstliebe trotzdem enthusiastisch im blauesten zu fixieren weiß, dann mag sie sich ihr Recht dazu am ehesten daraus nehmen, daß sie anderseits auch Ausmerzungen am Selbst vorgenommen, Abwehr, Abbruch geleistet, sich über eigenen Verzichten zu neuen Erweiterungen zusammengerafft hat1, wenigstens da, wo es sich nicht um pathologische Reaktion auf empfundene Lücken und Mängel, um wahnhafte Kompensierungen bei solcher Idealbildung handelt, sondern um natürlich geistige Entwicklungsvorgänge mit geglückten Überwindungen, die das eigene Wesen klärten, es bewußter erhellten mag auch jedesmal der Schatten etwelcher unerledigter Verdrängungen diese Helle nebenherlaufend begleiten). Gerade wie schon des Kindes Anallust erst der Spannung einer Selbstgegenwehr entstammt, gerade so steigert alles Leben immer wieder aus einem gleichen Verhalten sich zu seinen Erneuungen. Schließlich ist die Analogie dazu uns bereits im Biologismen gegeben, wo uns »Leben« heißt, was diesen Wechsel ausdrückt,– was Werdendes ist, welches sich von sich selber abstoßen, Ausscheidung werden kann und das Fremde an sich ziehen, zu sich selber wandeln.

Während das Erziehungswerk innerhalb der analen Sphäre dem tatsächlichen Sinn nach bald erledigt ist, bleibt sie deshalb im übertragenen Sinn dauernd bedeutungsvoll. Als charakteristisch an ihr erweist sich eben nicht nur, daß sie sich schon so überaus früh,– schon auf ihrer fast rein physiologischen Basis,– seelisch betont zeigt, sondern nicht minder die ganz eigentümliche Lage, in die unsere spätere Beurteilung sie rückt. Einerseits nämlich findet sie sich mehr und mehr den vitalen Prozessen zugeschoben, den moralisch nicht einbezogenen, den von Lob- oder Tadelspruch nicht anfechtbaren, anderseits aber bleibt sie dennoch weiterbehaftet mit Scham- und Ekelreaktionen, die ihre eigentliche Schärfe noch beziehen aus dem gar nicht mehr mitgemeinten seelischen Vorgang von dereinstmals,– dem der verpönten und verflossenen Anallust. Obgleich nur noch körperlich abgeschätzt, läßt man sie trotzdem unter diesem seelischen Bann: und zwar deshalb, weil hier– und in der ganzen Welt der Beziehungen ausschließlich nur hier– das Ekelerregende, das Schamweckende, über die Handlung des Täters hinwegverlegt ist auf den Stoff, auf das Objekt als solches, so daß wir, obgleich keines Makels daran mehr schuldig, uns doch damit zu befassen haben, als befaßten wir uns mit dergleichen nicht. Aus dieser einzigartigen Sachlage, dieser Kreuzung zweier Urteilssorten, dieser Umakzentuierung vom Menschen auf das Ding, entsteht jener interessante Bastard, jenes wunderliche, über sich selbst gleichsam verlegene Stück Verachtung, das dem ganzen Umkreis des Analen gilt: eine Verachtung, der gewissermaßen ihr moralisches Unterpfand unterwegs abhanden gekommen ist, und die trotzdem umwittert bleibt von mehr als bloß sachlich orientiertem Mißfallen oder rein konventionell übernommener Verleugnung. Denn ihr Gegenstand ist, in seiner Gesamtheit, ein für allemal zum Repräsentanten geworden des zu Verwerfenden schlechthin, eben des Auswurfs, des vom Leben Abzuscheidenden, im Gegensatz zum Leben als dem Wertgebenden schlechthin,– als unsrer selbst Dieser gleichsam symbolisierende Charakter, in den das Gebiet des Analen sich um so restloser hineingedeutet sieht, je erledigter es praktisch für unsere Erziehung ist, muß natürlich– ungeachtet seiner repräsentativen Schwärze– es als Triebgebiet ganz gründlich verharmlosen, gründlicher sogar, als es möglich gewesen wäre durch eine Höherbewertung oder Ehrenrettung im übertragenen Sinn. Denn selbst der äußerste Ekel, etwa bei direkter Beschmutzung mit Exkrementellem, muß seitdem stecken bleiben im lediglich Physisch-Ästhetischen: er bleibt gekehrt gegen ein »uns« dermaßen Wesensfremdes, auch bei unmittelbarster Berührung von »uns« dermaßen Distanziertes, daß es an unserer Wesenheit nichts mitzubeschmutzen vermöchte. Gegenüber diesem klassischen Bilde des »Schmutzigen«, diesem Objektgleichnis, wird die subjektive Unschuld des lebendigen Menschen daran so tief wie vor dem Tode: d. h. wie vor dem Ereignis, das, auch allen gemeinsam, von allen unabwendbar, von keinem »erlebt« wird, jeden auflösend in das, was »er« nicht ist,– in das Ewigfremde, das Nichtleben, das Anorganische,– den Stoff des Analen.

Es handelt sich also bei unserer Urteilsbezugnahme auf das Anale um ein Doppeltes: um eine Wirklichkeit und um ein Symbol, einmal um ursprüngliche Lebensformen früher Körperlust, die in normaler Entwicklung aus dieser Sphäre herausgezogen und in Formen reiferer Sexualität hinübergenommen werden, und das anderemal um eine gleichnishafte Verarbeitung des vom Wirklichkeitsgehalt schon Enthülsten, Entleerten, als Ausdrucksmittel der Verwerfung. Ein drittes nun und das Verhängnisvolle zwischen diesen beiden Bezugnahmen ist durch ihre ungenaue Unterscheidung voneinander, durch ihre Verwechslung, möglich. Sie kann geschehen, entweder weil das ursprüngliche Verbot dem Kinde gegenüber zu betont zu drohend ausfiel, so daß etwas von Furcht und Schrecken haften blieb an denjenigen Triebbetätigungen, die längst der analen Lustform entwuchsen, oder aber weil in der Tat etwas von solcher infantilsten Lust sich in die späteren Sexualformen hemmend hinüberschlug oder endlich auch nur, weil hinterher krankhafte Phantasie auf Früherlebnisse zurückgreift, um sich an ihnen zu entlasten. In jedem Fall hängt das Geschlechtsleben nicht zum wenigsten davon ab, wie völlig die Sonderung gelingt zwischen den analen Lebensbeziehungen der Kindheit, die in die weitere Entwicklung eingehen, und dem Analen als dem typisch bleibenden Bilde des Schmutzigen, zu Verwerfenden. Mißlingt diese Sonderungsarbeit auch nur an einem Punkt, schleicht sich in dies lebendig Weiterzu entwickelnde auch nur der kleinste Zusatz aus der symbolisierenden Verpönung hinein als Ekelhemmung, so verkehrt sich gerade das, was freudig, lustvoll, beglückend wirken sollte, in sein Gegenteil. »Verführerisch« und »unsauber« gerät in unlöslichen Zusammenhang, das Schöne am Leben wird sein Verdächtiges, weil es schön ist, das Ewigtote tingiert das Ewiglebendige unaustilgbar mit Verwesungsflecken. Setzen sich die nun nicht länger legitimierten Triebe dennoch durch, so verarbeiten sie sich doch nicht zur Harmonie mit den übrigen, für die sie ja nur noch böse Anfeindungen heißen können, unterliegen sie gänzlich dem Gegendruck, so verarmt daran das Gesamtwesen. Meistens wird sich eine Mischung aus beidem ergeben: die Triebe werden sich zwar hier oder da durchsetzen, jedoch maskiert, vor der Verpönung verhüllt,– mit falscher Miene, an falscher Stelle, beginnend mit bloßer Heimlichkeit, Heuchelei vor anderen, vor der Außenwelt, bis schließlich zur Verheimlichung und Verleugnung vor dem eigenen Bewußtsein,– in all den Arten und Graden des Kompromisses zwischen Trieb und Abwehr, wie Freud sie aufgedeckt hat In pathologischer Steigerung begegnet uns das als neurotisches Symptom, schon in den Formen aber, die wir dem Normalen zurechnen, als Schuldgefühl. Während im krankhaften Symptom die Triebverdrängung so weit gegangen ist, daß sich innerhalb des Bewußtseinsfeldes vom Verdrängten nichts vorfindet, sondern seine Masken gutgläubig für echt passieren, sind wir beim bloßen Schuldgefühl noch wissende unserer Wünsche und Schliche, durchschauen sie jedoch mit einem Abscheu, der sie gewissermaßen außerhalb unserer selbst stellt: wir betrachten sie mit »Reue« und suchen eine »Sühne«, um uns von ihnen zu »reinigen«, sie von uns abzutun2.

Bekanntlich stößt auch beim neurotischen Symptom die Psychoanalyse ständig in dessen Hintergrund auf das Schuldgefühl,– das scheinbar spontan bei den wunderlichsten, harmlosesten Anlässen sich ausdrücken kann, aber zurückverfolgbar wird bis zur, nur auf Ersatzanlässe mehr und mehr verschobenen, Wucht früher Verbote, womit das kleine Einzelgeschöpf aus seiner Allmachtsnaivität sich herausgerissen sah in »seines Nichts durchbohrendes Gefühl«. Doch wäre damit das Schuldgefühl noch nicht erfaßt, allenfalls nur die Unabwendbarkeit jenes Dualismus unseres Menschendaseins, welches in Ichgestalt und Bewußtseinsform zu durchleben hat, was sich dennoch nur im Zusammenhang des Ganzen behaupten kann, weil es gleichzeitig isoliert ist in sich und auch eins mit allem. Diese Duplizität der Einstellung,– am grundlegendsten bereits durchgemacht gegenüber den Eltern, die uns zeugend zugleich von sich trennen,– dies Ineinander von Selbstdurchsetzung und Identifizierung, von Ichtendenzen und Sexualtrieben, oder wie immer man es unter Benennung bringen will, wird zu schuldvoll empfundenem Zwiespalt noch nicht durch sich selbst. Man wähnt unwillkürlich, Schuldgefühl käme herauf durch uns eingestandene Taten, und ganz eigentümlich wirkt zunächst die Klärung, daß es überhaupt nur am Uneingestandenen seine Wurzeln treibt,– daß erst die eine Seite des Zwiespalts aus dem Bewußtsein gedrängt sein muß, damit sie überantwortet sei jenem absolut Verneinten, Entwerteten, wofür das Anale das klassische Gleichnis lieferte, und worin wir uns deshalb nicht wiederzuerkennen wagen. Gewiß gibt es auch ohne alles spezifische »Schuldgefühl« im Menschen genug Krieg und Widerstreit der Triebe gegeneinander, und je reicher, breiter er veranlagt ist, vielleicht um desto mehr und um desto schmerzvolleren. Doch solche Schmerzen, weit entfernt die Ganzheit seines Wesens zerstören zu müssen, mögen sie oft sogar fördern: indem nämlich außer den siegreichen auch die unterlegenen Triebe schmerzlich zur Fühlbarkeit gelangen, wird das ganze Selbst sich seines Umfanges gleichsam bewußter, als es im Frieden möglich war. Zwischen Lust und Verlust steigert es sich zu vermehrter Lebensintensität,– wird seiner selbst nach der gleichen Methode wie in der anfangs geschilderten Entwicklung immer neu und weiterreichender inne. Freilich bleibt auch in solchem Fall der besiegte Trieb zeitweise außerhalb des Bewußtseins stecken, sammelt während solcher Hemmung sein Reaktionsbedürfnis bis zur Explosion an unrechter Stelle usw., doch ist er nicht prinzipiell bewußtseinsunfähig, sondern nur von der erlittenen Schwächung im »Vorbewußten« niedergehalten. Hingegen was den Menschen schuldvoll bedrängt, krankhaft halbiert, steht gar nicht im wirklichen Kampf mit seinen Siegen und Niederlagen, es duldet statt dessen Hinterhalt, Meuchelmord, Überläuferei, es will den Feind nicht als Ebenbürtigen anerkennen, dem man auch als Besiegtem sozusagen noch den Degen beläßt, sondern es beschmutzt sich durch das bloße Eingeständnis von dessen abzuwehrenden Feindseligkeiten. Dadurch wird an Stelle des Pathos des Schmerzes, an das jeder von uns als Mensch sein unveräußerliches Recht hat, der Ekel der Sünde eingeführt, anstatt des ehrlichen Kräftemessens die vergiftende Krankheit3.

Indessen: die Möglichkeit daran zu erkranken, gerade so wie auch die andere: den Kampf der Kräfte förderlich durchzuführen, gründen sich beide auf die vorerwähnte Dualität alles Menschlichen, als auf dasjenige, was das menschliche Trieb-Erleben unterschieden sein läßt vom bloß Kreatürlichen, worin für unsere Augen wenigstens das nicht menschliche Lebewesen noch unabgehobener ruht innerhalb des Allseins. Auch noch Seelensiechtum und Schuld-Zwiespalt unterstreichen, gleichsam schwarz und tödlich, doch nur die überaus lebensvolle Tatsache, daß Menschentum nicht in starr-gerader Linie zurande läuft, sondern im Bewegungswechsel eines Bruchs, — einer Rückwärtswendung auf sich selber, einer Besitzergreifung von sich selber. Mag äußerer Strafanlaß zuerst ein Schuldgefühl zum Aufkeimen bringen, mag spätere Erkrankung die Frucht davon sein, doch gehen beide letztlich auf jene Doppelwurzel menschlichen Wesens zurück, dem keine Entwicklung entwachsen kann. In den vielfältigen, einander hundertmal widersprechenden Solls und Normen, die infolgedessen von je und je über uns Menschen gestellt worden sind,– nicht etwa nur in der sogenannten Kulturwelt, bei den »natürlichsten Wilden« vielleicht am bis zur Unnatur härtesten,– spricht sich nur aus, wie die verschiedenen Geistestypen sich dazu stellen, sich damit abfinden. Mit der Kernfrage nämlich, inwiefern das menschliche »Sein« eins ist mit darin zu verarbeitendem »Soll«,– inwiefern es sich desorganisiert, zersetzt, wenn es sich nicht ausdrücken kann an selbstgegebenem Gesetz. Man kann an solche Fragen von recht verschiedenen Seiten antwortsuchend herantreten: eine davon kehrt sich uns zu bei Betrachtung der Symbolik, die aus der analen Erziehung übrig bleibt und übertragen Sinnbild wird. Der »Ekel«, als Wächter vor dem »Schmutz«, d. h. vor dem am falschen Platz Befindlichen, vor dem Abgeschiedenen, Auszumerzenden, wird zum Wahrzeichen eines Lebens, das– als menschliches,– innerhalb seiner selbst Tod und Leben noch einmal gegeneinander abzuheben hat.

II.

Auf dem letzten Kongreß der »Intern, ps. a. Verein.«, München, Herbst 1913 machte Freud in seinem Vortrag über »die Disposition zur Zwangsneurose« die Bemerkung (in die betreffende Publikation, »Zeitschr.« II. 6 ist sie leider nicht eingegangen), daß die Tiere mit geregelter Brunstzeit den größten Teil des Jahres gewissermaßen als Analerotiker und Sadisten herumlaufen. In der Tat ist es für das Tier charakteristisch, wie durchaus anal und genital Gerichtetes bei ihm miteinandergeht, obschon auch außerhalb unserer Domestikation, von Seinesgleichen nicht ganz unerzogen gelassen, auch in der Analsphäre nicht, wertet es doch die Ausscheidungen seiner Genossen in beiden Fällen gleichartig und erweist mit deren Beschnüffelung nebst der Hinzugabe eigener Exkremente eine nicht ohne Zeremonie vollzogene Liebe und Ehre. Möglicherweise ist bei primitiven Völkern etwas Analoges zu beobachten, insofern bei ihnen die Sexualität einerseits »animalischer« freigegeben erscheint als in unseren Kulturzonen, anderseits aber– wie die Handlungsfreiheit überhaupt,– unter eine um so feierlichere Starrheit von Gebräuchen gebannt erscheint: beinahe als ob die physiologischen Regelungen und Schranken des Trieblebens sich noch unmittelbar in menschliche Bindungen übersetzten. Wo auch dies sich schon lockert, wo der Geschlechtstrieb gewissermaßen nur noch an seiner eigenen Entwicklungskraft Halt und Norm findet, da erst wird die genitale Sexualität sich von der analen schärfer scheiden, wird sich mit ihr nur einlassen, wenn sie durch irgend eine Störung, krankhafte Hemmung auf frühe Stufen zurücksinkt, regrediert. Tatsächlich ist ja zwischen Anal- und Genitalvorgängen– nicht etwa nur am Beginn, ehe sie sich voll entwickelt haben, sondern gerade im Stadium der geschlechtlichen Reife,– so viel Verwandtes, daß man finden kann, die Regressionen der Analerotiker seien reichlich somatisch unterstützt. Nicht umsonst bleibt der Genitalapparat der Kloake so nahe lokal verbunden (beim Weibe ihr sozusagen nur abgemietet)– auch in der primitiven Technik des Auftretens gleichen einander die periodischen Schübe und Antriebe durchaus. Wie der Analdrang in seiner ursprünglichen Unbeherrschtheit schon, so tritt auch der genitale als unwillkürlicher Ich-Überwältiger auf, ist er auch, besonders gut beim Manne, in die Aggressivität von dessen Absichten, von dessen erobernden Ichtendenzen, eingeordnet, so arbeitet er doch diesen Tendenzen dennoch, ganz auf eigene Rechnung, entgegen, indem er zugleich ich-lösend, das Selbst und Bewußtsein lähmend, wirkt, und gerade wie beim analen Erziehungswerk der Kampf zwischen Trieb und Enthaltung die Anallust erst weckte, so bringen diese Kämpfe und Spannungen zwischen dem Ich und seinem Trieb diesen auch hier erst zu seinem vollen Erlebnis. Die Zeugungsstoffe sind, ihrem äußeren Ansehen nach, möglichst wenig unterschieden von mannigfachen Abscheidungsstoffen, die lebendigsten Sekrete von toten Exkreten: die beiden gewaltigen Gegensätze, in denen alles beschlossen liegt, Spende und Auswurf, Zukunft und Vergänglichkeit, stoßen beinahe unmerklich aneinander. In eben dem Maße als die Sexualität ihre Entwicklung vollendet, während welcher sie noch den ganzen Körper umfing und überall in einfacher Organlust ihre Stätte bereitet fand, steigt sie immer tiefer zurück in jene dunkelste Leibestiefe, wo ihr endlich allein noch Raum und Zuflucht für ihre Kostbarkeiten verbleibt: Tür an Tür gleichsam, mit der Rumpelkammer des Unbrauchbargewordenen, Verworfenen, des Körperabfalls.

Aber wie in dieser Zurückziehung auf das Unscheinbarste, Ungegliedertste im großen Leibesorganismus die Totalkraft all seiner Organe zeugerisch zusammengefaßt ist, so auch sammelt sich die Sexualität im genitalen Zentrum nur, um von ihm aus den ganzen Umkreis in Mitleidenschaft zu versetzen, in Besitz zu nehmen. Fand die Analerotik nach kaum begonnener Laufbahn sich in den Winkel gestellt, aufs Altenteil gesetzt, aus aller Weiterentwicklung fortgeschoben, so überrennt die genitale Sexualität statt dessen die auch ihr in den Weg geratenden Verbote als Anstachelungen zu ihrem Endziel, verarbeitet sie zu Luststeigerungen, wie die Anallust es ihr eine kurze Weile lang vorgemacht hatte, wurde dem analen Bereich die Todesvertretung ansymbolisiert, so wird deshalb das genital Geschlechtliche zum Vertreter des Lebens: an Stelle des Auswurfsstoffe der Überschuß, der noch über das Individuum hinaus sich ins Dasein schleudern muß. Darum erscheint als der charakteristischste Ausdruck dafür, daß, während die Anallust eng zusammengefaßt bleibt um den Autoerotismus, die reife Geschlechtlichkeit nach dem Organismus des Partners verlangt, während der Analtrieb im Protest gegen die Umwelt sich genießerische Absonderung ertrotzt, dem genitalen der Genuß selber sich erst voll erschließt in der durchbrochenen Sonderung, und der Trieb sich auszugeben, zu schaffen, sich erfüllt in der partnerischen Umarmung. Insofern ließe »anal« und »genital« gerichtete Erotik sich erschöpfend am Merkmal des Partnerischen kennzeichnen, fänden nicht Übergänge und Zwischenspiele statt: einmal genital gerichtete Autoerotik (einsame Masturbation ohne begleitende Partnerphantasien), sodann Zärtlichkeiten, mit analen Mitteln ausgedrückt, (etwa des Kindes gegenüber Pflegepersonen)4. Innerhalb des Bereiches der genitalen Sexualität aber verdeutlicht das Moment des Partnerischen allerdings am klarsten, wodurch die reife Geschlechtlichkeit der alten Sexualverpönung ganz anders Herr wird als die Analerotik es vermochte. Scham und Ekel sind ja auch ihr beigesellt nicht nur, sondern verstärken und betonen sich als ihre Begleiter unter Umständen noch, und zwar gerade um des Partners willen. Ist schon beim analen Vorgang die Anwesenheit eines Zweiten das eigentlich Schamweckende, trotzdem das Kind schon so früh sich anal zu betätigen lernt ohne den verpönten Lustbezug, fast nur noch pflichtgemäß,– um wieviel mehr müssen Scham und Ekel wiedereinsetzen da, wo der Lustgewinn sich wieder meldet: und noch dazu unter ausdrücklicher Bedingung eines sich mitbeteiligenden Partners, und endlich sogar bezogen auf gerade die mitverpönten Leibespartien an ihm. Doch ist freilich hiemit auch schon die neue Überwindungsmöglichkeit der Scham gegeben: nämlich des Partners Komplizenschaft,– in seiner Verwendung als Mitschuldiger sowohl als auch der, dem die Scham gilt. Zweifellos ist dies einer der Gründe, weshalb der ohne Glücksbeteiligung des Partners vollzogene, einseitig glücksempfundene Geschlechtsakt, auch nicht sonderlich Feinfühlige bedrücken, beschämen kann, sie ins Unrecht setzen, weil die Gegenwart des Zweiten so gar nicht als die des Dazugehörigen, dafür aber als die des Richters und des Opfers zugleich wirkt. Denn das Liebesobjekt steht in der Tat für dies alles: für die Sexualbefriedigung wie auch für ihre Beurteilung und Kontrolle und eventuelle Abwehr von Seiten des Bewußtseins, im Partner spiegelt sich die ganze Simplizität des Grundverfahrens, das jedesmal wieder zurückgreift auf die Unbekümmertheit eines Triebs, der gewissermaßen gegen unsere Individualisierung gerichtet ist und aus dem Organ der Urstoffe hervorbricht,– und im Partner wirkt sich auch aus die ganze Komplikation der Gemüts- und Ichbeteiligungen, die sich in diesen Prozeß mithineingezogen sehen. Dadurch kreuzt sich in ihm, dem Partner, die früheste Scham, von der wir wissen: die gegenüber unserer Leibesinkontinenz, — mit der letzten Intimität die Menschen teilen können: der unserer Ichhingabe.

Weil der Genitalrausch so auf alles übergreift, weil auch unser Ich von ihm mitergriffen wird, deshalb geht auch die Schamreaktion, die alte Analverpönung, längs der, sozusagen, wir uns zu Ichs entwickelten und die wir immer bewußter betätigten, bis ganz zutiefst in das Liebeserlebnis ein. Ja, noch der Umarmung der Geschlechter, noch der vollen normalen Trunkenheit der letzten Besitznahme kann sie sich einmengen, sei es als ein verbitternder oder auch anfeuernder Tropfen (denn tüchtiger Erotik kommen Widerstände der Leidenschaftserhitzung zugute wie beim Hindernisrennen). Dann ist es, als sei »besitzen« über den Leib hinausgehend gemeint, als besäße man einander nicht so sehr vermittels, als eher noch trotz des Leibes,— der ja auch unser eigener Leib für uns) nie vollkommen identisch wird mit der Gesamtperson, sondern stets auch noch als etwas an ihr erscheint,– stets noch zurückgleitet in etwas, das dem lebendigsten Durchgriff, dem totalsten Ineinander widersteht, für unser Gefühl als ein noch Unterschiedenes auf sich beharrt. Und der insofern ein wenig nachbehält von jenem frühen, vergessenen, analerotischen Sinn des Leiblichen, das wir dann abstoßen lernten als das Tote, als das Nicht-wir, als das Exkrement,– und vor dem wir, in solchem höchsten Liebesaugenblick vielleicht gerade, noch einmal dastehen, wie in irgend einer dunklen Erinnerung, als vor einem uns entzogenen Stück Leben,– als vor »geliebter Leiche«. Denn auf dem sexuellen Höhepunkt spielt für unser bewußtseinsbetäubtes Verlangen nichts mehr eine Rolle als die möglichst unbehinderte Illusion gegenseitiger Durchdrungenheit, die Momentekstase des Geschlechtsaktes hebt den Andern gewissermaßen auf, und erst indem Liebende wieder »zu sich« kommen, wird ihnen der Partner– als ein wieder klein wenig distanzierter– deutlich als Jemand für sich und von selbständiger Lebendigkeit. Anstatt der gleichsam wütenden Identität mit ihm, die alles in sich komprimiert, löst sich dann diese rätselreiche Geheimchiffre der Einheit, in die einzelnen ausführlicheren Liebesbezogenheiten, in denen sie zwar nur noch indirekt umschrieben, aber dafür verständlicher artikuliert, zu Worte kommt. Diesem Verhalten das wir ohne jede Ironie das »platonischere« nennen) bieten sich alle Sinne erotisch helfend an, um die absetzende Identität doch dafür um so bewußter zu machen. Doch bezeichnenderweise gelingt es vielleicht nur dem einen unserer Sinne, an die tiefsten und dunkelsten Vergangenheiten unfaßlicher Einswerdung leise zu rühren: das ist der Geruchssinn, als der animalischste, d. h. von menschlicher Differenzierung am stiefmütterlichsten behandelte, eigentlich an ihr ganz rückgebildete. Auf dem Boden der Anallust zu seiner erotischen Bedeutung erwachsend, hat er später weit mehr im Dienst ihrer Gegenbedeutung zu tun,– als Ekelvertreter, seiner positiven Seite nach jedoch bleibt er gleichsam eine letzte uns umwitternde Erinnerung jener allerprimärsten Welt- und Icheinheit, die sich analerotisch darstellte und die, ihrer groben Stofflichkeit enthoben, doch noch durch unser ganzes Leben alles, was uns reizt, was uns lieb wird, umschwebt wie dessen letzte Ursanktion.

Unsere übrigen Sinne haben sich erogene Zonen ausgewählt, die sie von Anfang an gesellschaftsfähiger und wohlgesitteter lokalisierten: sie verblieben in Gebieten der körperlichen Entwicklung für den Ichdienst, und sind damit einigermaßen Bürger zweier Länder geworden. Aus Lebenszeiten, wo im infantilen Organismus allzu genaue Grenzregulierungen zwischen Geschlechts- oder Ichoberhoheit noch nicht statthatten, wurden diese Doppelexistenzen in aller Friedlichkeit zugleich sexuell wie ichhaft beheimatet,– wodurch ihre unklaren Rechtsverhältnisse auch zu den Zwietrachten und Verwirrungen Anlaß geben, die unter dem Namen der Neurosen gehen und ihnen einen bösen Leumund geschaffen haben. Von dorther ist, was sich Sexuelles an ihnen begibt, verdächtig des Naturverkehrten, Perversen, das sich widerrechtlich auf den Thron setzen will, obgleich es in Wahrheit nur zwischen zwei Stühlen sitzt. Darüber vergißt man leicht, wie außerordentlich viel Erfreuliches im Normalfall die oft ichmäßig hochgebildeten, aber sexual-kindlich gebliebenen Partialtriebe zu leisten pflegen. Wenn aus dem Zentrum der geschlechtlichen Reife der Ruf an sie ergeht, kommen diese halb Exilierten, ob auch über die Körperoberfläche verstreut, in Miterregung, und stimmen ein in das Hohelied der Liebe, als Kinder desselben Hauses sammeln sie sich um das gemeinsame Fest und tragen dessen Rausch bis in die fernsten und obersten Ichbezirke. Sie beseelen einerseits das Sexualerlebnis dadurch, daß sie so langen Anschluß hatten an außersexuale, individualisierte Einzelbetätigungen, und daß noch jede Zärtlichkeit von Hand oder Mund oder Blick davon mitgeprägt ist. Aber anderseits wird in ihnen ja die Kindheit des geschlechtlichen Erlebens selber lebendig, dem sich ehemals noch an jedem Punkt das Ganze vollzog, das noch nicht zurückgedrängt war aus den spezialisierten Organen in sein Sondergebiet, dies verleiht den peripheren Liebkosungen noch mitten im reifen Liebesvollzug ihre eigentümlichen Erinnerungsgewalten, als entstiege unbegreiflich Holdes der Vorläufigkeit ihrer Gegenwart Zugleich infantil-primitiver geblieben und auch durchgeisteter,– hinter dem Sexualziel zurückgeblieben, und doch noch darüber hinausweisend als Ausdrucksmittel individuellerer Verbundenheit, umzeichnen sie in sich etwas wie ein verkleinertes Abbild des vollständigen Liebesverlaufs. Denn diesem zugehörig ist ja nicht nur, daß das bisherige Partialgetriebe durch die genitale Zentralisierung abgelöst wurde, sondern daß sie immer wieder darauf übergreift und dadurch sich des Ichinteresses mitbemächtigt. Man erwähnt solche seelisch anmutenderen Liebeszutaten ungenau manchmal als »Sublimierungen«: aber einer gar zu »unsublimierten« Libido fehlt es weniger an Sublimation als an Libido, so sehr drückt sie in ihnen doch nur ihr Wesen der Gesamtergriffenheit aus. Dadurch gerade unterscheidet sich das geschlechtliche Erleben von den Bedürfniserledigungen unserer spezialisierten Einzelorgane etwa der vom Selbsterhaltungstrieb in Beschlag genommenen Ernährungsorgane), an denen ein Allgemeinrausch sofort als krankhaft verdächtig,– und zwar als der Verschränkung mit dem Sexualtrieb verdächtig,– werden müßte. Wo hingegen der Sexualtrieb seinerseits ein Zuwenig hievon merken läßt, sich auf eine sehr spezielle Sondererregung beschränkt, die Person des Partners persönlich kaum mitmeint, da wiederholt er im Grunde nur ein Analogon zum analen Vorgang. Insofern die geschlechtliche Vermählung wiedereinsetzt beim Einfachsten und Anfänglichsten, dem Zusammenschluß von Ei und Samen, und hinter diesem Geschehnis sich persönlich undurchsichtig vollzieht, sagt sie darüber Deutliches nur gleichnisweise aus oder durch das Drum und Dran der Partialbetätigungen um sie. Fehlt es, dann kann man mit ähnlichem Recht von einer rückständigen, bruchstückhaften Sexualerledigung reden wie beim Neurotiker, bei dem ihr Ablauf irgendwo in seiner Einheitlichkeit zerspaltet ist. Erscheint es auch in solchem dürftigen Normalfall nicht krankhaft, weil es der Oberfläche des praktischen Lebens ohne Störung eingeordnet bleibt, so bedeutet es doch Verzichte auf das natürliche Vollglück, die einer Verkrüppelung gleichkommen.

Interessant ist es nun, und erst dies erhebt die Tatsache zum eigentlichen Problem, daß keineswegs die stumpfsten, alltäglichsten unter den Menschen es sind, von denen solche Krüpplichkeit gilt, daß sie im Gegenteil überraschend oft auf die besonders hochragenden zutrifft. Und nicht einmal nur im Sinn primitiver Roheit im Geschlechtsverkehr oder Geschlechtsgeschmack, auch noch tieferhin als tatsächliche Entwicklungshemmung, die das Geschlechtliche auf infantile Formen zurückpreßt. Wie ein im übrigen durchschnittlicher Mensch im Sexuellen es zu feiner Harmonie bringen kann, so kann ein höher gearteter Wuchs an dieser Stelle sein mangelndes Ebenmaß haben, sein Verzwergtes. Beinahe ist es sogar, als habe irgend eine kleine Unzulänglichkeit der Gesamtentwicklung die seelischen Kosten aufzubringen für allzu überheblichen Anspruch des Geistes, möglichst wenig Körper zu sein. In solchem Fall handelt es sich um die im echten Wortsinn »Sublimierenden«, d. h. die ganze Fruchtbarkeit ihrer Wärme auf asexuale Ziele lenkenden (wozu auch noch der Begriff der Menschenliebe, wenn begrifflich statt personal gemeint, hinzugehört). Vom Kern des Personalen– und als solchem stets noch leibhaft erotisch Beeinflußten,– zu weit losgerissen, lassen sie das Wurzelstück ihrer Geschlechtlichkeit in einer Tiefe zurück, aus deren sonnenabgesperrter Unbewußtheit es nirgends zu bejahender Ichfreude heraufblühen kann, niemals Erd- und Lichtkraft in sich einen. Dadurch fußt wiederum ihr Ichbewußtsein auf einem so knappen Fußbreit von »Irdischem«, wie zwischen Abstürzen auf steiler Bergspitze, von wo nur ein Schwindelanfall sie zurückholen zu können scheint zur Wirklichkeit unter ihnen,– Schwindel, als der geheime Zug zum Fall wider Willen. Sicher ist ja in dem, was schöpferischer Geist werkhaft vermittelt, eine Fülle Erotik lebendig geworden, jeden bereichernd, der dieses Werk wahrhaft aufnimmt. Allein, was dem Werke zugute kam, diese rätselreichen Umsetzungen menschlicher Blutwärme in Geistesgestalt, das wird dem Schöpfer selber zu einer Entlastung von Drängendem nicht bloß, sondern zu selbstverschwenderischer Verausgabung, die ihn um den einheitlichen Anschluß an sein eigenes Grundwesen bringen kann. Es geht kein Weg von »Sublimation« zu »Sublimation«, so wenig wie von Gipfel zu Gipfel, ohne den irdischen Umweg über die zwischengelegenen Untiefen zu nehmen.

Ja, möglicherweise sind solche sogenannte »niederste«, d. h. untergründigste Triebkräfte überhaupt bei den Veranlagungen zu schöpferischer Geistigkeit in verstärkter Bewegung,– sind höchste »Sublimationen« durchaus Eruptionen aus solchen entsprechend tiefen Tiefen. Möglicherweise haben, wie nach Freud die psychischen Erkrankungen je nach ihrer Schwere, so auch die psychischen Steigerungen und deren Vollgelingen bis ans Schöpfertum heran, ihre Vorbedingungen in um so »niederem« Wesensschichten. Wo der allmähliche Übergang vom Infantilsexuellen zum Reifeerlebnis gehemmt oder ungenügend vollzogen ist, nur da geschieht vielleicht, im glücklichen Fall, der Sprung in den Geist (anstatt des Umkippens ins Krankhafte). Ist doch alles »Schaffen«, sei es denkerischer, künstlerischer, handelnder Art, oder wie es sonst sich kundtun mag, ebenfalls nur eine Methode, die Objektwelt mit dem– ihr durch seine Ichentwicklung gegenübergestellten– Subjekt wieder in eins zu umgreifen, sich ihr zu vermählen, nur ist es eine andersgerichtete Methode als die, der sich das verwirklicht durch den auf den Nebenmenschen konzentrierten Zeugungstrieb (im engsten bis weitesten Sinn). Daß diese andere Methode einsetzen muß bereits vor eingenommener Richtung ins Partnerische, und daß sie also ganz zu unterst, vom Quellpunkt des Sexuellen, auszugehen hat, ist damit schon von selbst gegeben. Und gerade weil hier die Libido noch so individuell unverbraucht, unabgedämmt ist, vermag sie vielleicht, als Triebkraft in den Werken des Geistes, über das individuelle Geschöpf hinaus Allgültigerem zum Ausdruck zu verhelfen. Stecken doch, dem Keime nach, in ihren frühesten Formen nicht minder reiche Möglichkeiten, als in den späteren dann zutage treten,– ob auch diese früheren sich, je weiter zurück desto mehr, sexuell oder sozial unverwendbarer kundtun. Werden solche Äußerungsweisen darum von der Verpönung betroffen und gehen darauf nicht in die übliche Entwicklung über, so kann deshalb wohl dabei Kraft frei werden nach einer neuen Betätigungsrichtung. Denn sie hatten in ihrer primitiven Art, in ihrer später beanstandeten Rückständigkeit der Form, doch den ursprünglichen Sinn der Subjekt-Objekteinheit, der Ich- und Weltganzheit ebenfalls in sich, der nun irgendwie, irgendwo sich wieder durchsetzen muß (wenn nicht eine krankhafte Fixierung das bei bloßer Symptomenbildung bewenden läßt). Was an ihm verpönt, verdrängt wurde, als zu infantil-subjektiv geblieben, als zu wenig entgegengegangen dem darin mitzuumfassenden Objekt, das wird in der Geistesaufarbeitung dafür gewissermaßen übersubjektiv ergänzt, indem, über die engste Daseinsfürsorge hinaus, ein leidenschaftliches Interesse auf umfassendere Zusammenhänge des Denkens, Gestaltens, Tuns zugeht. Überall, wo Objekte idealisiert, Triebe sublimiert werden, liegt etwas verscharrt, ist etwas grabähnlich abgeschieden, verdrängt, überall da ist aber auch mehr als nur dies an der Sache dran gewesen, und dies Mehr unterscheidet sich dann so besonders gegensätzlich davon, so prinzipiell entirdischt, wie etwa vom Grab die Auferstehung, die ja auch nie richtig eine der Leiber sein will.

So sind nach Freuds Auffassung, wenn ich sie mir recht deute, verpönteste und werthöchste Kräfte naturnotwendig aufeinander angewiesen, letztlich wurzeleins, nahe beisammen gerade in ihrer Unterscheidung, und gegenseitig sich tragend. Während sie auseinanderzufahren scheinen in un- und übermenschlich, bergen insgeheim, ewigfließend, Anfang und Ende sich in undurchbrechlicher Kreislinie.

Auch dem, was aus solcher Gemeinsamkeit zu faden scheint,– dem im Sexualleben gleichsam Aschenbrödels Rolle zufällt zwischen ihren angeseheneren, des Hauses Würde und Glanz ver tretenden Schwestern,– auch dem kommt unter Umständen die hohe Stunde, die es in goldener Feenkutsche in das noch glanzvollere, noch gewürdigtere Reich entführt, wo ihm die Krone vorbehalten ist.

III.5

Wenn die vorerwähnte einheitliche Sexualfassung Freuds bei seinen ehemaligen Anhängern C. G. Jung wie auch A. Adler wieder in Verlust gerät, so geschieht das offenbar gerade deshalb, weil beide diese empirisch gewonnene Einheitlichkeit noch übertrumpfen wollen und dafür zuviel auf die philosophische Karte setzen.

Freuds Aufdeckung ein und desselben Sexualvorganges in den verschiedenartigsten Wesensäußerungen wirkt doch eben dadurch so klärend, daß sie ermöglicht, Libidotendenzen von solchen der Ichentwicklung einheitlich abzugrenzen, um ihre gegenseitigen Verschränkungen und Kreuzungen, im Gesunden wie Kranken, zu entwirren. Welche philosophischen Beweggründe Jung nun gehabt haben mag, statt dessen beides dem neu definierten Libidobegriff zu subsumieren, muß hier auf sich beruhen bleiben, eine Folge davon wird hingegen sofort bemerkenswert: nämlich daß in dem Maße, als die terminologische Uniformierung durchgeführt wird, Jungs eigene Urteilsweise über die verschiedenen Libidophasen (in welche Sexual- und Ichäußerungen sich nunmehr aufteilen) um so dualistischer wieder auseinanderklafft. Wo bei Freud, als Grenze unseres praktischen Erfahrungsbereiches, ein Zweierlei ruhig bestehen bleibt, aus dessen Aufeinanderbezogenheit uns das psychische Erleben deutbar wird, da passiert es Jung, den mit allzu hastiger Begrifflichkeit verjagten Dualismus ganz unbehelligt zur Hintertür wieder herein lassen zu müssen. Mir gefällt es gut, daß Jung dies widerfährt und er ihm nicht mit den Phrasen des landläufigen Monismus den Eintritt wehren kann. Tatsächlich aber macht Jung damit Gemeinschaft mit der alten Sexualtheorie der Verpönung, bringt seine allzuviel vermögende Libido in Verlegenheit vor ihrem eigenen »Erdenrest, zu tragen peinlich«, und muß zusehen, wie er sich dessen am besten wieder entledigt. Scheinbar zwar umwirbt ja Jungs Libidobegriff die Sexualität förmlich, breitet er doch auch noch das, von Freud ihr nicht zugeordnete, Ichgebiet vor ihr aus: »all dies sei dein, wenn du dich meinem Namen verschreibst!« Doch nur, um nach kaum geschlossenem Pakt sie zu köpfen oder richtiger: ihr den Bauch aufzuschlitzen. Denn damit sie auch durch das neue Gebiet hindurchlange, muß sie zuvor nach hinten wie nach vorn dermaßen »entsexualisiert« werden, daß ihr kaum in der Mitte einige Konsistenz verbleibt, und ausgerechnet an diesem Stück verfällt sie dann dem moralischen Harakiri.

Aus Jungs älteren Arbeiten begreift man ja gut, wie seine große Einsicht (eine der ergreifendsten aus diesem ganzen Gebiet): die an Paraphrenikern ihm aufgegangene Zurückführung von pathologischem auf archaisches Denken,– ihn zu immer weiteren Zugeständnissen verführt hat an den Vergangenheitscharakter alles Triebhaften, an den Zukunftscharakter alles Logisierten, zweckhaft Gerichteten. Bis endlich die affektive Unmittelbarkeit schon als solche zu einem bloßen Restbestand der sich ihr immer höher entwindenden Menschheit gehört,– fast nur noch von Symbolwert für die »progressive Potenz subliminaler Kombinationen«. Wieso die, ja alleinige, allesbedeutende Libido sich sollte vom eigenen Schwanz emporwärts auffressen können, um in so tödlich triumphierender Kulturlinie zu Ende zu kreisen, bleibt dabei ein Geheimnis, auf das schon öfters hingewiesen wurde. Doch kann man sich des Eindrucks schwer erwehren, daß diese Ausnützung der Evolutionstheorie (die schon ohnehin genug auf dem philosophischen Kerbholz hat!) ins antisexual Moralistische hinein zurückgeht auf jene Ineinssetzung des Sexuellen mit dem Schmutzigen, seiner Verknotung mit dem ursprünglich Analen, die aufzulösen gerade Aufgabe der Psychoanalyse ist. Würde an dieser Stelle nicht, nach altem Muster, doch wieder »verdrängt«, dann müßte sich klarstellen, daß das, was hier als Sexualität im engeren Sinn gefaßt und gehaßt wird, nur ein von der Analität ihr überkommenes, ein sinnbildlich, gleichnisweise weiterzuverwendendes Odium sei, während umgekehrt demjenigen, was sich für Jung symbolhaft verflüchtigt, eine Positivität zukommt, die durch alle Entwicklungsformen hindurchreicht und auch noch den kulturellsten »Progressionen« ihre Triebkraft leiht. Weil für Jung das Wesen der Sexualität von vornherein außerhalb ihrer selber liegt, übersieht er einfach den Punkt, wo bei Freud seinerseits– wenn man es so nennen will– der »ethische« Akzent einsetzt: nämlich in der befreienden Überwindung eben jener Widerstände, wehren und es in den die der Einsicht ins eigene Sexualwesen durchaus den »finalen« alten Verwechslungen festhalten– was Sinn abgibt für Freuds »regressiv« verfahrende Behandlungsmethode. Dank diesem Umstand ist jeder beigefügte moralistische, pädagogische, religiös stimulierende oder sonstige Nebensinn dabei nur vom Übel6: um so bedingungsloser vorausgesetzt aber das Zurückgehen in das jedesmalige individualpsychologische Geschehen bis in dessen letzterforschbare Tiefenschichten, — die damit nicht dünner und wesenloser sich versymbolisieren, sondern nur um so wesentlicher des bewußten Erlebens Fülle ermöglichen sollen. Ich denke nun, daß für Jung anstatt dessen eine Wendung in etwas gewaltsam Sublimierendes nicht gut umgangen werden kann, da doch nur noch sie ein Wiedereingehen ins Ontogenetische erlaubt, nachdem ihm alles Triebwirksame in die Allgemeinheiten des Symbolischen zu zerflattern droht: dem bloß noch als »archaisch« Bewerteten des Vergangenen wird ein Vorahnen des Zukunftsvollen, eine prophetische Tendenz beigegeben, die dem einzelnen eine goldene Brücke baut aus seiner Menschlichkeit ins Übermenschheitliche7. Nach beiden hier erwähnten Seiten aber scheinen mir in Jungs Ideen (falls ich sie nicht ganz falsch verstanden habe, was auch sehr gut möglich ist) sich Richtungen zu wiederholen, die bis zu gewissem Grade im Beginn der Freudschen Bewegung eingeschlagen wurden, die sie aber, je länger desto mehr, hinter sich ließ. Ich rechne dazu erstens eine Überbetonung der Evolutionstheorie in deren philosophischem Monismus, und zweitens ein Vorwiegen rationalistischer Einstellung: beides entsprach mancher Mitarbeiterschaft an der Freudschen Sache, mußte aber bald überholt werden von Freuds zartem Gewissen aller Tatsächlichkeit gegenüber,– auch der widersprechendsten, auch der unscheinbarsten, auch der unbequemsten noch, bis sich ein Reichtum vor seinem Blick ausbreitete, der es verbot, irgend ein Ding künstlich bereichern zu wollen.

A. Adler, der Jung so vieles vorweggenommen hat, begeht nicht den Jungschen Fehler, in seiner Psychologie den Individualfall zu unterschätzen, geht aber diesen andern Weg zu weit. Wenn er die Tiefe des Psychischen nicht preisgibt an die Breite historischer (oder prähistorischer) Genese und Perspektive, so verschüttet er sie sich doch dadurch, daß er den einzelnen allzu vereinzelt, d. h. als Bewußtseinsgeschöpf, nicht genügend als das unterbewußter Zusammenhänge nimmt. Anstatt des Jungschen asketischen Optimismus gerät Adler damit in eine Art von ironischem Pessimismus: anstatt der bemoralisierten Substanzialität der ursprünglichen Libido hebt er einfach diese selber auf,– worauf sie sich freilich nicht erst ethisch zu verklären braucht, nachdem sie sozusagen schon bei Leb« Zeiten ins gänzliche Nichts erklärt wurde. Die unklare Ineinanderbündelung von Gegensätzen bei Jung macht hier einem allzu klareinseitigen Schematismus Platz. Der Mensch wird damit seine Libido scheinbar gründlich los, aber er wird von ihr doch ein wenig nach der Methode des Doktor Eisenbart kuriert, der die Lahmen sehend und die Blinden gehend machte: seine Sexualität wird ihm am unrechten Organ, wo sie nicht sitzt, exstirpiert. Erscheint bei Jung noch die normalste Sexualität atavistisch verdächtig, ethisch krank, energisch zu entstofflichen, so zeigen umgekehrt die Kranken bei Adler noch — nur etwas aufdringlicher als der Normale es zustande bringt– daß auch dessen Triebleben schon bloß Schein, Wahn, Fiktion, »Arrangement« ist. Ja im Grunde, wenn man es übertrieben ausdrücken will, ist »Neurose« nach Adler kaum etwas anderes als ein ungünstigerer Ablauf der Krankheit »Psyche« überhaupt. Man könnte scherzhaft behaupten, das gesundeste Gehirn nebst all dessen Fiktionsaushilfen, für die es nach Adler ja eigentlich da ist, würde dasjenige sein, welches nicht vorhanden zu sein braucht, die gesundeste Seele diejenige, die gar nicht benötigt wird: da die einzige Nötigung dazu lediglich im Somatischen, in- dessen organischen Minderwertigkeiten, liegt. Man sieht: selbst der selige Materialismus verflossener Zeit, der das Psychische ohne viel Federlesen aus dem Physischen hervorholte, war dagegen harmlos gutherzig: geht es doch bei Adler ausdrücklich nur aus den Lücken und Schäden der Physis hervor, als die Negation einer Negation8,– eine in der Luft hängende Spiegelung. Eben als »männlicher Protest« gegen diesen Ursprung aus dem Negativen, aus der Ohnmacht, nennt das Grundstreben des Psychischen sich Trieb zum »Oben sein«, »zur Macht«,– ja sogar da noch, wo solche gewaltsame Überkompensation nur auf dem Umweg listiger Demut,– »weiblicher Mittel«, »sekundärer Sicherungen«, scheinbarer Hingabe,– ihr Ziel nur indirekt erreicht. Man könnte nun wirklich die Ansicht vertreten, zum mindesten da mache sich ein Gegenwille geltend, nämlich die unterdrückte Libido räche sich da ihrerseits in der Dienermaske an ihrem Machtherrn. Doch abgesehen davon läßt schon diese totale Verleugnung ihrer Faktizität, diese Schrankenlosigkeit am Machttrieb, ihn selber genügend der Sexualisierung verdächtig werden, und es ist förmlich, als habe Adler den trefflichen Terminus »Verschränkung« speziell für einen solchen Fall erfunden.

Daß die Neurose sich der Mängel und Minderwertigkeiten kompensatorisch bediene, findet sich bei Freud von früh an auf das stärkste betont, wie die Ausdrücke »Lustprämie«, »Lustgewinn« der Krankheit, »Flucht in die Krankheit« usw. erweisen, und schon in den »Bemerkungen über einen Fall von Zwangsneurose« die Ausführung: »Was aber der Erfolg einer Krankheit ist, das lag in der Absicht derselben, die anscheinende Krankheitsfolge ist in Wirklichkeit die Ursache, das Motiv des Krankwerdens«, sowie ähnliches andernorts. Allein stets war es ihm ein Resultat erst eingetretener innerer oder äußerer Schäden oder Hemmungen, nicht aber das psychische Erleben an sich selbst zu definieren als dasjenige, was physische Mängel mit Profit bearbeitet. Vielmehr wächst dieses für ihn aus der Fülle heraus, aus dem Überschußgefühl, der Allmachtsvoraussetzung,– denen freilich Enttäuschung folgte, die in die realen Schranken verweist, aber auch das nicht notwendig durch Minderwertigkeitsbefürchtung: dazu gehört erst der soziale Vergleich. Deshalb liegt hier wohl der Punkt, wo Freud und Adler noch entschiedener auseinandergehalten werden müssen, als Freud und Jung: indem das Psychische bei Freud, weil positiv gefaßt, weil nicht indirekt vom Physischen her erschlossen und negativ begründet, sich seine eigene Methode vorbehält,– d. h. auf dem Recht besteht, an der Grenze der empirisch möglichen Erforschung das übrig bleibende dunkle X der Restprobleme hinter sich stehen zu lassen, anstatt es einem Fremdgebiet zu überlassen, daß es in seiner Besonderheit nicht aufnehmen, d. h. nicht erhellen, sondern nur aufheben kann. Daher ist hier auch zugleich der Punkt, wo Freud sich sein Forschungsgebiet reinlich und ausdrücklich sowohl von aller philosophischen Spekulation abgrenzt, als auch von Gebietsübergriffen der Biologie. Die Grenze, bis zu der es zu reichen, die es nicht zu überschreiten, doch aber zu wahren hat, wird am unmißverständlichsten hergestellt in dem von Freud in den letzten Jahren so bedeutsam herausgearbeiteten Narzißmusbegriff,– der übrigens meines Wissens bisher weder von Adler noch von Jung eigentlich zur Diskussion gebracht worden ist. Bedeutete anfänglich der von Freud (von P. Näcke und H. Ellis) übernommene »Narzissismus« terminus für Autoerotismus, lediglich eine, bei Freud nur genauer ausgebaute und eingefügte Stufe innerhalb des Aufstieges zur genitalen Sexualität, so wurde er ihm später noch in anderem Sinn wichtig: nämlich als dauernder Bestandteil durch alle einzelnen Entwicklungsstufen hindurch. Der Narzißmus als »keine Perversion, sondern die libidinöse Ergänzung zum Egoismus des Selbsterhaltungstriebes«, enthält »die Vorstellung einer ursprünglichen Libidobesetzung des Ichs, von der später an die Objekte abgegeben wird, die aber im Grunde genommen verbleibt und sich zu den Objektbesetzungen verhält wie der Körper eines Protoplasma tierchens zu den von ihm ausgeschickten Pseudopodien«, sagt Freud in seiner Schrift »Zur Einführung des Narzißmus« (S. 2 und 3) und weiter (S. 4) »folgen wir für die Unterscheidung der psychischen Energien, daß sie zunächst im Zustande des Narzißmus beisammen und für unsere grobe Analyse ununterscheidbar sind, und daß es erst mit der Objektbesetzung möglich wird, eine Sexualenergie, die Libido, von einer Energie der Ichtriebe zu unterscheiden.« Den gedrängten Reichtum dieser kurzen Schrift will ich hier nicht zerstücken, ergänzend nur noch einige Sätze aus der dritten, vermehrten Auflage der »Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie« anfuhren: »Wir bilden uns also die Vorstellung eines Libidoquantums, dessen psychische Vertretung wir die Ichlibido heißen, dessen Produktion, Vergrößerung oder Verminderung, Verteilung und Verschiebung uns die Erklärungsmöglichkeiten psychosexuellen Phänomene bieten soll.« (S. 78.) »Die Ichlibido heißen wir im Gegensatz zur Objektlibido auch narzistische Libido. Von der Psychoanalyse aus schauen wir wie über eine Grenze, deren Überschreitung uns nicht gestattet ist, in das Getriebe der nazistischen Libido hinein und bilden uns eine Vorstellung von dem Verhältnis der beiden. Die nazistische oder Ichlibido erscheint uns als das große Reservoir, aus welchem die Objektbesetzungen ausgeschickt und in welches sie wieder einbezogen werden, die nazistische Libidobesetzung des Ichs als der in der ersten Kindheit realisierte Urzustand, welcher durch die späteren Aussendungen der Libido nur verdeckt wird, im Grunde hinter denselben erhalten geblieben ist.« (S. 79.)

Von außen her geurteilt könnte es scheinen, als unterschiede sich die Libido in der Definition: »Ergänzung zum Egoismus«, nicht genügend prinzipiell von der, ihrem positiven Gehalt nach, aufgehobenen Sexualität, welcher das Ich bei Adler nach seinem Machtbelieben sich bedient. Oder zum mindesten: von hier aus besehen könnten sich, irrtümlicher- und mißverständlicherweise, Adlersche Aufstellungen ausnehmen wie ein Zukunftsbild Freudscher Konsequenzen,– etwa in dem Sinn, wie manche Jungsche Ansichten frühere Phasen des Freudismus übertreibend zu wiederholen scheinen. Einem solchen Überszielschießen wehrt haltgebend der Narzissmusbegriff am rechten Punkt: indem er auf die dunkle Fülle des noch ungeschiedenen Zusammenschlusses von Sexual« trieben und Ichtendenzen verweist anstatt auf ihre helle Zuspitzung zu einer Aktion des Ichbewußtseins. Dadurch wird ebenfalls das Mißverständnis verhindert, als bejahe es die Adlersche Auffassung von der Negativität des Psychischen, wenn Freud von jeher betonte, ihm gehe »Trieb« auf Beseitigung von Unlust, Mangel, Störung (»Wir haben in unserm seelischen Apparat ein Mittel erkannt, welchem die Bewältigung von Erregungen übertragen ist, die sonst peinlich empfunden oder pathogen wirksam würden.« Zur Einf. d. N. S. 11) und wenn die Erogenität eines Organs gleichgesetzt wird mit einer Überempfindlichkeit, die eine »nämliche Einwirkung auf die Libidoverteilung haben kann, wie die materielle Erkrankung der Organe«. (S. 11.) Die Erogenität zwingt zur »libidinösen Objektbesetzung«, damit die subjektgerichtete Libido am eigenen Zuviel nicht erkranke,– nachdem erst Ich und Welt zu bewußten Gegenüberstellungen geworden sind, nicht mehr nur narzistisch ineinanderrinnen im Subjekt selbst. Aber was in dieser Objektbesetzung faktisch sich vollzieht, ist doch nur ein Versuch, etwas ähnliches wie den alten Zusammenschluß auf neuem Wege zu erreichen: Objektbesetzung ist insofern doch die Mittel der Wiedervereinigung, wie das ursprüngliche Stadium einer Nocheinheit entsprach, in ihr wäre mithin nicht bloß, negativ, die Abfuhr eines bedrängenden Reizzustandes gegeben, sondern auch, positiv, ein Insichziehen, Einverleiben, »Introjizieren« der Welt, Was, physiologisch angesehen, als Schmerzspannung, belästigendes Zuviel, Beruhigungsverlangen, auftreten kann, das kann psychisch darin zugleich vertreten sein als Verlangen nach Durst und Sehnsucht (nach dem: »im Genuß verschmacht ich nach Begierde« in jedem Sinn). Daher doch wohl im Sexuellen so viel des Paradoxen, Widerspruchsvollen, weil es sich am Körperlichen ausdrücken muß, dessen Organsprache, eng in sich selbst beschlossen, diese Äußerungen nicht recht über unsere Vereinzelung hinweg zu artikulieren weiß, aber in unserer psychischen Organisation bleibt die Libido immer wieder gleich einem Spezialersatz der ursprünglich alles mit in sich einschließenden Fülle für das Einzelwesen. Gewiß ist ja mit Freud »Trieb« als solcher anzusetzen gleich Agression, und nur hinsichtlich seines Zieles von aktiv oder passiv zu reden. Doch was vom passivmachenden Ziel beeinflußt ist, muß darum noch nicht notwendig bloße Reaktionsbildung auf die zu unterdrückende Aktivität sein, es könnte unter Umständen zuständlich darin etwas wiederaufleben, und zwar von jener Verfassung die ursprünglich-narzistisch das Aktive und Passive ungetrennt ineinanderhielt und immer wieder hält. Was sich »passiv« ausnimmt, tut das dann ja nur vom Gesichtspunkt des inzwischen entwickelten Ichs aus,– ihm nur erscheint es lediglich reaktiv, negativ, bedingt, weil in der positiven Bedeutung an der darüber gebreiteten Ichform gleichsam unsichtbar werdend, dennoch bleibt es die Ergänzung zu dem, worin dem uranfänglichen Dasein beide Seiten sich in eins zusammenschließen. Fortdauernd wirkt ja, auch im aktivsten Bemächtigungsstreben, der Sexualtrieb objekthingegeben, ich-lösend, bewußtseinsüberwältigend, ohne sich daran zu schwächen. Könnte nicht sogar die von Freud stark betonte »Sexual-Überschätzung« des Mannes, die ihn Freud zum »Anlehnungstypus« werden läßt (»Z. Einf. d. N.« S. 13) als ein solches Ergänzungsprodukt aufzufassen sein, indem gerade an der Agression der männlichen Libidoart, am Werbegriff nach außen, die Selbstliebe verarmt und durch die Gegenliebe ihren Narzißmus wieder auffüllen muß? Und wäre es nicht dasselbe beim Weibe, dem Freud den sichselbstgenügenderen Narzißmus, in passiverem Geschehenlassen, zuspricht: denn aus dieser sexuellen Passivität ergibt sich zugleich die total ichfremde Unterordnung als das Beglückende.

Sicherlich sollte das ganze zugehörige Thema überhaupt nicht erst angerührt werden, wenn doch nur in so oberflächlicher Miterwähnung, wie ich es hier tue. Auch bleibe ich mir bewußt, daß ich damit anstatt sachlicher Feststellungen längst in eigenwillige Interpretationen Freudscher Theorie hineingeraten bin. Das geschieht jedoch, weil mir immer wieder vorkommen will, als ob im Verhältnis zu den Aktionsweisen der Ichtendenz (dieser für Adler einzigen in uns) die Integrität der Libido nur gewahrt sei dann, wenn sie, auch noch dem Ich entgegen, sich noch wesentlich, nicht bloß scheinhaft, positiv betätigen kann. Droht ihrem von Freud einheitlich aufgespürten Sonderwesen durch Jung eine es neu entzweiende Wesensverurteilung, so bedrohen Urteilsweisen gleich den Adlerschen sie mit Totschlag: der nur deshalb an ihr vorbeitrifft, weil sie letztlich schon geborgen ist hinter den erst aufkommenden Ichintentionen,– d. h. schon da, wo diese selber von ihr noch empirisch nicht unterscheidbar sind. Ist mir auch durch Freuds Narzißmusbegriff dies erst klar geworden, so glaube ich diesen dafür doch nicht zu mißbrauchen über die von ihm noch gerade angedeutete psychische Tatsächlichkeit hinaus. Auch mir bleibt er dort stehen, als die von Freud gewonnene Grenzregulierung des psychoanalytischen Gebietes, das einerseits dem Übertreten ins Biologische, anderseits in die philosophische Spekulation, gleicherweise wehren soll. Der Unterschied für mich liegt vielleicht nur darin, daß es mir kein kalter, toter Merkstein blieb, sondern meinem inneren Erleben zu einem Baum wurde, von dem ich Frucht pflücke, sie heimzubringen in eigenen Garten.

Endnoten:

1 Mit Freuds Auffassung in seiner »Einführung des Narz.« ist dies übereinstimmend, wenn er S. 17/18 sagt: »Diesem Ideal-Ich gilt nun die Selbstliebe, welche in der Kindheit das wirkliche Ich genoß. Der Narzißmus scheint auf dieses neue ideale Ich verschoben, welches sich wie das infantile im Besitz aller Vollkommenheiten befindet. Der Mensch hat sich hier, wie jedesmal auf dem Gebiet der Libido, unfähig erwiesen, auf die einmal genossene Befriedigung zu verzichten« usw. Nur, meine ich, darf man nicht vergessen, daß all das, wessen wir uns später als Selbstliebe bewußt werden, und was die auf uns bewußt gerichtete Selbstgefälligkeit oder Eitelkeit umschließt, von solchem ursprunglichen Narzißmus unterschieden werden muß, dem Subjekt-Objekt noch ununterscheidbar in eins zusammenging. Denn nur eben deshalb, scheint mir, ist es ihm leicht und möglich, hinter her zu idealisieren, erkannte objektive Werte, deren der Betreffende noch gar nicht teilhaftig ist, dennoch mit ihm als vorhandene zusammenzufassen, sowie Wirklichkeit auf eine Idealität hin zu richten: nicht nur in Gehorsam gegen Gebote, nicht nur in Resignation, sondern in »libidinöser Erregung«.

Das von Freud hier als Selbstbeobachtungskontrolle geschilderte »Gewissen« ist auf eine etwas verschiedene Weise gestützt, je nachdem, ob darin vorwiegend der »kritische Einfluß der Eltern«, und ferner Erzieher, Mitmenschen, öffentlichen Meinung, der »zur Bildung des Ich-Ideals angeregt hat«, befehlshaberisch bestehen bleibt, oder ob er dermaßen »introjiziert«, mit dem Ich identifiziert wurde, daß er ohneweiters die nazistische Libido vermehrt. Im einen Fall wird er moralistischeren und gesetzesmäßigeren Charakter erhalten bis zum kantischen Imperativ hinauf, im andern Fall mehr religiösen und hingegebenen bis zu frommer Ekstase hinauf. In den pathologischen Fällen wird für das eine die von Freud herangezogene Paraphrenie bezeichnend sein, worin der eigenste Ich-Inhalt noch als fremder Zuruf nach außen verlegt ist, und so »die Entwicklungsgeschichte des Gewissens regressiv wiederholt« (S. 20). Für das andere gäbe die Hysterie mit ihren zu weit gehenden Objektbesetzungen und Identifikationen mit noch Fremdesten ein Bild ab.


2 Nur auf den ersten Blick scheint dem Schuldgefühl das Wesentliche dessen zu fehlen, was das neurotische Symptom ausmacht: das Kompromißhafte. Nicht umsonst sind es gerade die Neurotiker, diese Meister im Sichschuldigfühlen, diese Allerbereuendsten, die zugleich eine ganz ungeheure Meinung von sich zustande bringen, ja dem »Gottmenschkomplex« stets auf die kleinste Distanz nahe sind. Mir scheint als sei nicht bloß ein Überkompensieren daran beteiligt, sondern der Umstand, daß »schuldig-sein-können« einem ganz erklecklichen menschlichen Hochmut entspricht, indem aas zwiespältig zerrissene Selbstgefühl sich darin wenigstens an die Genugtuung bindet, gleichsam Schicksal zu schaffen, schlimmes Schicksal gewesen zu sein. Gesunde Unschuld denkt demütiger über das, was durch sie geschieht. (Man erinnere sich auch an Hegels, übrigens schönes, Wort: »Es ist die Ehre großer Charaktere schuldig zu sein.«)


3 Bei halbkultivierten oder unter Fremdkultur geratenen Völkern kann man den Übergang von diesen beiden Einstellungen ineinander oft sehr deutlich sehen. Da wird einerseits die Schuld bereits als solche gefühlt und auch die Berechtigung der Strafe nicht angezweifelt– ja die Strafe oft noch als unabwendbarer genommen als sie ist, nämlich als eine Art von katastrophaler Naturfolge, die nicht Menschen erst erdachten, anderseits aber hindert das Schuldbewußtsein noch gar nicht, sich der betreffenden Untat als einer Heldentat zu rühmen: gerade weil sie kühn solche Rache Himmels und der Erden herausfordert. Und der um solcher drohenden Straffolge willen vorsichtig Gemiedene wird unter Umstanden voller Ehrfurcht gemieden. Erst mit dem Christentum kehrt diese Auffassung sich um: denn da trotz der gewährleisteten Erlösung die menschliche Natur dieselbe bleibt, so ist nunmehr ihre Schuld mit Schmutz, mit dem absolut Verworfenen gleichgesetzt. Blickt man aber von dem »Erlösertod des Sohnes für den Vater« rückwärts, so trifft man noch auf die Vorgänge, die Freud in seinem Totem und Tabubuch zum »Vatermord« so außerordentlich überzeugend geschildert hat: die großen Feiern für den Vater und dann Vatergott, die ebensowohl einem Trauer- wie Freudenausbruch dienen– wie auch noch der heutige »tragische Held« der gleichzeitig Schuldige und Bewunderte, Erhabene und Liebenswerte ist.


4 Sehr richtig bemerkt Hans Blüher (Zentralbl. IV. Heft 1/2, Studien über den perversen Charakter), daß man genauer als geschieht, unterscheiden müsse zwischen Analerotik und Defäkalerotik, je nachdem ob partnerische Berührung der betreffenden Organe die Lust verursache, oder ob diese auf die Defäkationsprodukte und die sie entleerenden Prozesse geht.– Hier steht »Analerotik« noch in der bisher üblichen Weise als Bezeichnung für beides.


5 In keiner Weise gehe ich hier drauf ein, was die Werke von A. Adler (diese auf außerpsychoanalytischem Gebiet) und C. G. Jung mir gewesen sind, sondern nur auf den Punkt ihrer Unterschiedenheit vom Freudschen Libidobegriff. Mir scheint, daß erst wenn das Unterscheidende scharf und ohne Vermischung anerkannt wird, das Übereinstimmende sich klar herausstellen kann.


6 Beinahe mochte man Jung nur mit Jung selber antworten: »Unser Ziel ist einzig und allein die wissenschaftliche Erkenntnis––– Sollten dabei Religion und Moral in Stücke gehen, um so schlimmer für sie, wenn sie nicht mehr Haltbarkeit besitzen.––– Das ungeheure Führungsbedürfnis der Masse wird allerdings viele dazu zwingen, den Standpunkt des Psychoanalytikers aufzugeben und mit »Verschreiben« anzufangen. Der eine wird Moral, der andere »Ausleben« verschreiben. Beide dienen der Masse und gehorchen den Strömungen, welche die Masse umtreiben. Die Wissenschaft steht darüber und leiht die Macht ihrer Waffen dem Christen sowohl wie dem Antichristen. Wissenschaft ist bekanntlich nicht konfessionell.« (1910/ Jahrb. II. 1. Randbemerkungen zu dem Buch von Wittels: »Die sexuelle Not« S. 314/315.)


7 Mir kommt es vor, als sei auf Jungs Denkweise von verhängnisvollem Einfluß gewesen, daß er von vornherein (schon in seinen frühen Arbeiten) das »Ich« als »Komplex unter Komplexen« behandelt,– gleichsam nur als den im Normalfall autonomsten unter diesen von ihm benannten Triebverbündelungen, — anstatt es als Formprinzip von den jeweiligen Komplexinhalten zu unterscheiden. Dadurch verwischt sich ihm die besondere Aufeinanderbezogenheit von Triebinhalt und Ichstelle: und ohneweiters können, immer auf gleicher Ebene sozusagen, und ohne jede Gegenüberstellung, Triebe »der Selbsterhaltung« sich sexualisieren und wieder entsexualisieren, einfach gedeckt durch den Libido-Namen.


8 — die sich letztlich hinter erkenntnistheoretischen Erwägungen der »Relativität der Wahrheit« verbirgt, und mit Berufung auf das Werk »Als ob« des Kantianers Vaihinger das Wesen wahnhafter Fiktionen gleichsetzt dem der bei ihm erörterten theoretischen Hilfskonstruktionen. Obgleich Vaihineer Adlers Argumentation bejaht zu haben scheint, kann doch der prinzipielle Unterschied nicht übersehen werden zwischen dem bewußten Provisorium wissenschaftlicher Notbehelfe, die Vaihinger besonders sorgfältig aus jeder Wertung jenseits solcher Zwecke herauslöst, und der ungeheuren Überwertung unbewußt vollzogener Arrangements, die ja lediglich in dieser Überwertung und Unwillkürlichkeit ihren Existenzsinn haben.

See also





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