Ardinghello und die glücklichen Inseln  

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"I find it therefore necessary to assume the existence in Nature of masculine and feminine elements. That man is nearest perfection who is composed entirely of masculine elements, and that woman perhaps is nearest perfection who contains only so many feminine elements as to be able to remain woman ; whilst that man is the worst who contains only so many masculine elements as to qualify for the title of man."--Ardinghello und die glücklichen Inseln (1787) by Wilhelm Heinse, English translation cited in The Sexual Life of Our Time (1907) by Ivan Bloch

German original:

"Der Mann ist der vollkommenste, der ganz aus männlichen Elementen zusammengesetzt ist, und das Weib vielleicht das vollkommenste, welches nur gerade so viel weibliche Elemente hat, um Weib bleiben zu können; so wie der Mann der schlechteste ist, der gerade nur so viel männliche Elemente hat, um Mann zu heißen. Männliche und weibliche Elemente machten außerdem am begreiflichsten die Natur lebendig und erklärten die ewige unaufhörliche Bewegung und den wütenden Trieb zur Begattung, welche Aristoteles für die Bestimmung jedes einzelnen Dinges hält, am besten."

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Ardinghello und die glücklichen Inseln (1787) is a novel by German author Wilhelm Heinse. It is his best-known work and forms the framework for the exposition of his views on art and life, the plot being laid in the Italy of the 16th century.

According to Friedrich Brie's Exotismus der Sinne. Eine Studie zur Psychologie der Romantik (1920) the novel is the only German novel with an outspoken strain of exotism.

Full text

Ardinghello und die glückseligen Inseln Wilhelm Heinse Erster Band Vorbericht zur ersten Auflage Es ist eine Lust, in den italienischen Bibliotheken herumzuwühlen: man spürt auch in den geringern zuweilen unbekannte Handschriften auf. Ob ich an dieser, von welcher ich hier die getreue Übersetzung liefre, einen guten oder schlechten Fund getan habe, mag jeder Leser für sich bestimmen. Ich entdeckte sie bei Cajeta in einer verfallnen Villa, die auf einer reizenden Anhöhe den zaubrischen Meerbusen beherrscht, unter alten Büchern und Papieren, als ich mit einem jungen Römer, während er die Verlassenschaft seines Oheims in Besitz nahm, einen glücklichen Herbst dort zubrachte. Sollte verschiednen, wegen Ferne des Landes und der Zeit, einiges dunkel oder zu gelehrt vorkommen, so können sie solches bequem überschlagen und sich bloß an den Faden der Begebenheiten halten; in der Natur selbst müssen die Weisesten manches so vorbeigehn. Vielleicht findet mein Freund noch anderswo das übrige der Geschichte; aus Familiennachrichten scheint hier Fiordimona, die man darin kennenlernen wird, ihre Tage beschlossen zu haben. Der Verfasser setzt seiner Schrift folgende Fabel vor, um sinnlich zu machen, daß auch das Nützlichste unschuldigerweise schädlich sein kann: ›Ein wächserner Hausgötze, den man außer acht gelassen hatte, stand neben einem Feuer, worin edle campanische Gefäße gehärtet wurden, und fing an zu schmelzen.‹ Er beklagte sich bitterlich bei dem Elemente. ›Sieh,‹ sprach er, ›wie grausam du gegen mich verfährst! Jenen gibst du Dauer, und mich zerstörst du!‹ Das Feuer aber antwortete: ›Beklage dich vielmehr über deine Natur; denn ich, was mich betrifft, bin überall Feuer.‹ Geschrieben im Dezember 1785. Bei der neuen Auflage dieses Werks ist zu erinnern, daß es 1785 fertig war. Einige Jahre nach Erscheinung desselben haben sich Begebenheiten zugetragen, die der Herausgeber, so plötzlich, nicht ahnden konnte. Man betrachte also manches nicht gegen ihn aus dem verrückten Gesichtspunkte. Auch hat er Gedanken, darin zerstreut, in spätern berühmten Schriften angetroffen; einen und den andern, seiner Meinung nach, zu weit getrieben. Er will sich hiermit nur von dem vielleicht sonst künftigen Vorwurfe befreien, daß er sie daraus genommen habe; und weiß wohl, daß mehrere über gleiche Gegenstände ähnlich und gleich empfinden und urteilen können. Eine Menge Druckfehler, die ein Nachdrucker häßlich vermehrte, sind ausgemerzt und einige Stellen ergänzt und berichtigt worden. Und nun, Ardinghello, überlaß ich dich deinem Schicksal. Unter welschem Himmel erzeugt und in teutschem Wind und Wetter aufgewachsen, magst du darin bestehen oder vergehen. Erster Teil Wir fuhren an einem türkischen Schiffe vorbei, sie brannten ihre Kanonen los: die Gondel wankte, worin ich aufgerichtet stand; ich verlor das Gleichgewicht und stürzte in die See, verwickelte mich in meinen Mantel, arbeitete vergebens und sank unter. Als ich wieder zu mir gekommen war, befand ich mich bei einem jungen Menschen, welcher mich gerettet hatte; seine Kleider lagen von Nässe an, und aus den Haaren troff das Wasser. »Wir haben uns nur ein wenig abgekühlt!« sprach er freundlich mir Mut ein; ich drückte ihm die Hände. Das Fest war für uns verdorben. Meine vorigen Begleiter eilten nun von dannen. Wir ließen den Bucentoro zwischen tausend Fahrzeugen, unter dem Donner des Geschützes von allen Schiffen aus den Häfen, in die offne See stechen und den Dogen sich mit dem Meere vermählen; und er brachte mich mit seinem Führer nach meiner Wohnung. Hier schied er von mir, ohne daß er mir weder sein Quartier noch seinen Namen sagen wollte; bloß aus der Mundart bemerkte ich, daß er ein Fremder war; jedoch versprach er, mich bald zu besuchen. Wir umarmten uns, und mir wallte das Herz, es regte sich eine Glut darinnen. Seine Jugend stand eben in schöner Blüte, um Mund und Kinn flog stark der liebliche Bart an; seine frischen Lippen bezauberten im Reden, und die Augen sprühten Licht und Feuer; groß und wohlgebildet am ganzen Körper, mit einer kühnen Wildheit, erschien er mir ein höheres Wesen. Sein Bild wich den ganzen Tag nicht aus meiner Seele; ich konnte weder essen noch trinken und vor Ungeduld nicht bleiben. Abends war Gondelrennen, das auf der See, was Wettlauf auf dem Lande; wodurch unsre Leute zu mutigen Schiffern sich bilden: ein Spiel, wo Stärke, Gewandtheit und Führung des Ruders den Preis davonträgt und welchem nur ein Pindar fehlt, es wie die olympischen zu verherrlichen. Der ganze Große Kanal schäumte und war Getümmel von schönem Leben; die Fenster der Paläste prangten mit ihren Tapeten, und die untergehende Sonne glänzte daraus wider in unzählbaren frohlockenden Gestalten. Ich fuhr an den Markusplatz und ging darauf in Gedanken herum, bis die Nacht einsank und ihre Kühle verbreitete; die Erleuchtung der Buden mit den Kostbarkeiten der Messe gab eine neue Augenweide. Ich blickte in verschiedene Weinschenken unter den Hallen; in einer dünkte mich, den jungen Mann gesehen zu haben, der mich so großmütig der Gefahr entzog. Ich kehrte sogleich um und ging in meiner Maske hinein. Es war der Versammlungsort der Künstler, und ich hatte recht gesehen. Sie schienen im Streite zu sein. Paul von Verona führte das Wort und sagte: »Wer über ein Kunstwerk am richtigsten urteilen kann? Ich glaube, wer die Natur am besten kennt, die vorgestellt ist, und die Schranken der Kunst weiß. Ich verachte die Elenden, die von einem Manne von Geist und Welt verlangen, daß er ein Schmierer wie sie sein soll, eh er über ein Gemälde urteilen will. Das komische Approbatum sogar, welches die teutschen Roßtäuscher an die Pferde vor der Markuskirche mit ihren Namen schrieben, gilt mir zum Exempel mehr hier als jener ganze Troß; in Stutereien geboren und erzogen, fühlten sie die herrliche lebendige Pferdsnatur und wie jeder von den vier jungen mutigen Hengsten seinen eigenen Charakter hat. Die Vortrefflichkeit ihrer Köpfe und wie sie schnauben und ungeduldig sind, daß sie im Zügel gehalten werden, lernt man durch kein bloßes Gekritzel von Zeichnung. Selbst der größte Maler, der immer auf festem Lande lebte, kann über kein Seestück urteilen; und der erste beste Sultan, der liebt und noch Kraft in den Adern hat, darf eher sprechen aus seinem Serail über eine nackende Venus von unserm Alten als der fromme Fra Bartolommeo.« »Wahr!« versetzte ein andrer, der deutlichen hellen und volltönigen Aussprache nach ein Römer; aber der Geschmack kömmt nicht von selbst. Man muß erst wissen, was Kunst ist, und den Vorrat der Kunstwerke mit naturerfahrnem Sinn geprüft haben, sonst geht man der Prozession mit der Madonna von Cimabue hinterdrein und bejubelt sie als das Non plus ultra. Die Leute glauben, es wäre nicht möglich, etwas Bessers zu machen, weil sie nichts Bessers gesehen haben; und denken, wie ihnen zumute wäre, wenn sie den Pinsel in die Hand nehmen sollten. Daher alle die albernen Urteile von sonst sehr gescheiten und gelehrten Männern über die Künstler der vorigen Zeit; sie schwatzten gleich vom Zeuxis und Apelles, weil sie platterdings von diesen Namen keinen sinnlichen Begriff hatten. Und so wird's bei den Ausländern, wo die Kunst anfängt und die Meisterstücke nicht vorhanden sind, mit euch und dem Tizian und Raffael ergehen; ihr werdet ebenso gemißbraucht werden. Und dann muß man gewiß mehr als ein Werk und viel von einem Meister gesehn haben, ehe man nur ihn recht kennenlernt. So geht's auch mit den Menschen überhaupt; die trefflichen muß man studieren. Es ist nichts eitler und törichter als die Reisenden und Hofschranzen, die einen wichtigen Mann gleich beim ersten Besuch und Gespräch weghaben wollen. Doch um nicht auszuschweifen: »Keiner kann einen Teil vollkommen verstehen, ohne vorher einen Begriff vom Ganzen zu haben, und so wieder umgekehrt. Jedes einzelne Gemälde zum Beispiel macht folglich einen Teil von der gesamten Malerei, so wie sie gegenwärtig in der Welt ist; und man muß wenigstens ihr Bestes überhaupt kennen, ehe man dem einzelnen seinen Rang anweisen will.« Mein junger Mann erwiderte jetzt mit Feuer: »Ich mag nicht bestimmen, inwiefern der Herr recht hat. Das Geräusch der Messe um uns erlaubt keine nüchterne Beratschlagung; ich glaube, Meister Paul hat das Seinige gesagt, damit, daß ein befugter Richter noch die Grenzen der Kunst kennen muß. Allein, ihr Lieben, jede Form ist individuell, und es gibt keine abstrakte; eine bloß ideale Menschengestalt läßt sich weder von Mann noch Weib und Kind und Greis denken. Eine junge Aspasia, Phryne läßt sich bis zur Liebesgöttin oder Pallas erheben, wenn man die gehörigen Züge mit voller Phantasie in ihre Bildungen zaubert: aber ein abstraktes bloß vollkommnes Weib, das von keinem Klima, keiner Volkssitte etwas an sich hätte, ist und bleibt meiner Meinung nach ein Hirngespinst, ärger als die abenteuerlichste Romanheldin, die doch wenigstens irgendeine Sprache reden muß, deren Worte man versteht. Und solche unerträglich leere Gesichter und Gestalten nennen die armseligen Schelme, die weiter nichts als ihr Handwerk nach Gipsen erlernt haben und treiben, wahre hohe Kunst; und wollen mit Verachtung auf die Kernmenschen herunterschauen, die die Schönheiten, welche in ihrem Jahrhundert aufblühten, mit lebendigen Herzen in sich erbeutet haben. »Dies ist der wahre Weg«, beschloß der Römer. »Inzwischen kann man über nichts urteilen, wovon man kein Ideal hat; und dies entwirft der Verstand mit der Wahl aus vielem.« Hier trennte sich die Gesellschaft; Paul ging weg und nahm den Jüngling in Arm. Ich folgte nach. Sie zogen den Platz ein paarmal herum und hörten da und dort der Musik und den Scherzen lustiger Truppen zu. Beim Eingang in die Merceria verließ ihn endlich Paul; ich nahm meine Maske ab und machte mich an ihn. Er erkannte mich gleich und freute sich, daß mein Zufall keine schlimme Folgen gehabt hätte. Ich bezeugte ihm vom neuen meine Dankbarkeit und wünschte ihm irgendworin für seine edle Tat Dienste leisten zu können. Dies setzte ihn in Verlegenheit. »Was hab ich getan,« erwiderte er, »das ich nicht bei jedem andern Erdensohn getan hätte? hätte tun müssen? Wie mancher Bube holt ein Stück Geld vom Sand aus der Tiefe und stürzt sich noch obendrein von Höhen in die Flut. Übertriebnes Lob für Schuldigkeit macht die Menschen feig und eitel. Das ist ein elendes Volk an Heldenmut und Verstand, wo bei jeder Kleinigkeit eine Ehrensäule muß aufgerichtet werden. Was geschehen ist, sei geschehen!« »Groß auf Ihrer Seite,« verfügt ich, »und gewiß ist der Rettende schon in sich der Göttliche. Inzwischen glaub ich aber doch, daß die Dankbarkeit das festeste und sanfteste Band der Gesellschaft sei, und auch ein wenig Ausschweifung darin eine Nation immer liebenswürdig und den wackern Männern derselben das Leben froher mache.« Er sah mich hierbei mit einem neuen seelenvollen Blick an, und wir faßten uns traulicher. Ich bat ihn inständig, diesen Abend bei mir zu bleiben; und wir ließen uns am Broglio über den Kanal setzen. Wir aßen und tranken, und das Tischgespräch wurde immer lebendiger, sobald die Bedienten uns verlassen hatten. Der erste Vorwurf war der heutige Tag. Er rühmte die Klugheit unsers Senats, daß sie sich aus dem bitterbösen Kriege nach dem Bündnisse bei Cambrai und jetzt aus dem Überfalle der ganzen türkischen Macht so glorreich gezogen hätten und in der alten Würde noch mit dem Meere vermählen könnten. Nur tat es ihm leid, daß der Cypernwein in Italien nun seltner und teurer werden würde. »Wir sind unter vier Augen«, erwidert ich, um ihm das etwanige Mißtrauen gegen einen Nobile zu benehmen; denn ich fühlte den Zug der Liebe unwiderstehlich. »Nach jenem unglückseligen Bunde war ein arger Staatsfehler nur einigermaßen wieder gutgemacht, den man vorher hätte vermeiden müssen. Und auch jetzt würden wir das süße Königreich, die Insel der Liebe, nicht eingebüßt haben, wenn man dem Sultan, als der Silen noch Statthalter in Cilicien gegenüber war, einige Fässer von ihrem Nektar wohlfeiler vergönnte; und die christlichen Freibeuter mit seinen weggekaperten schönen Knaben und Sklavinnen nicht allzu sicher zu Famaugusta in der Nachbarschaft einliefen. Unsre Braut scheint uns übrigens nicht mehr so treu bleiben zu wollen, wenn man auf Vorbedeutungen gehen darf. Sie wissen, daß das Fest schon vorgestern sollte gehalten werden; aber die wilde Göttin weigerte sich, war Aufruhr und stürmte und warf ein Dutzend ertrunkner Schiffbrüchigen zum Großen Kanal herein bis an den Palast des alten Dogen. Papst Alexander der Dritte, der noch Gewalt über die Mutwillige hatte, ist leider längst gestorben; und Kolumb, der Held, dessen Genua nicht wert war, und andre welsche Piloten haben dem portugiesischen Heinrich und den kastilianischen Fürsten die wahre Amphitrite ausgekundschaftet, wogegen unsre nur eine Nymphe ist. Und überhaupt gibt sie sich nur den Tapfern und Klugen preis, wie alle freie Schönheit, und es hilft da keine Zeremonie. Wir hätten uns besser um unsre Braut bewerben sollen, anstatt uns um Steinhaufen viel zu plagen, nachdem sie uns einmal günstig war.« »Vielleicht ist dies Schicksal«, antwortete er schalkhaft-bitter; »Ihr Doge vermählt sich vermutlich nicht umsonst so oft und trägt von jeher die phrygische Mütze mit Hörnern! und dann ist so eine Zeremonie gut fürs Volk und macht ihm Mut; und was einmal so prächtige Gewohnheit ist, läßt sich so leicht nicht abschaffen. Ihr Herrn tut vielleicht bald wieder einen andern Fang im Archipelagus und fischt ein neues Königreich. Es ist genug, daß man eins hundert Jahre lang ruhig besitzt. Dreimalhunderttausend Zechinen kann man hernach leicht für den Genuß bezahlen; dreitausend Zechinen fürs Jahr war die Residenz der Venus selbst wohl unter Brüdern wert. Dies hat euch eine Venezianerin vermacht, als ihr Gemahl, der König, starb und seine Kinder, eins nach dem andern, kurz darauf in eurer Stadt: nun ist die Reihe an euch Jünglingen, eine Königin in Osten zu heuraten.«1 Dieser Stachel schnitt ein und verwundete mein damals noch allzu parteiischvaterländisches Herz. Mir geschah, als ob ich vor der Zeit vernünftig gewesen wäre; doch gefiel mir überaus seine Freimütigkeit gegen mich. Er bemerkte mit scharfem Blicke gleich das Unheimliche und fuhr fort: »Aber wir sind doch immer in Venedig, und die Mauern haben da Ohren; sprechen wir von etwas anderm!« Nach einer kleinen Stille fing er an: »Ich muß Ihnen doch etwas von mir sagen, damit Sie wissen, wer ich bin und wie ich mit andern zusammenhange. Ich bin ein Maler aus Florenz; und halte mich hier auf, um nach den toskanischen Gerippen mich am venezianischen Fleische zu weiden. Tizian hat den wesentlichen Teil von der Malerei, ohne welchen alles andre nicht bestehen kann. Es ist freilich da, aber ungesund und siech; sei's noch so himmlisch und vortrefflich oder als Gaukelspiel ohne Wahrheit. Wer nicht wie Tizian zu Werke schreitet, wird auch nie ein wahrhaft großer Maler werden. Die allgemeine Stimme entscheidet hier, nicht die Künstler. Tizian ergreift alle, die keine Maler sind; und diese selbst im Hauptstücke der Malerei, welches platterdings die Wahrheit der Farbe ist, so wie die Zeichnung der wesentliche Teil der Zeichnung. Malen ist Malen: und Zeichnen Zeichnen. Ohne Wahrheit der Farbe kann keine Malerei bestehen, eher aber ohne Zeichnung.« »Wenn ich als Laie bei Euch strengen Herrn ein Wort reden darf,« fiel ich ein, »so mag Ihnen das venezianische Fleisch nach den Knochen und Sehnen des Michelangelo desto besser schmecken und bekommen.« »Dies ist lauter Sophisterei«, antwortete er. »Der Maler gibt sich mit der Oberfläche ab, und diese zeigt sich bloß durch Farbe; und er hat mit dem Wesentlichen der Dinge im eigentlichen Verstande wenig zu schaffen. Wer sich einmal in diese Grillen verliert, kann so leicht nicht wieder herauskommen. Das Zeichnen ist bloß ein notwendiges Übel, die Proportionen leicht zu finden: die Farbe das Ziel, Anfang und Ende der Kunst. Es versteht sich, daß ich hier vom Materiellen spreche. Dem Gerüste den Rang über das Gebäude geben zu wollen ist ja lächerlich; dem Zeichen, welches menschliche Schwachheit erfand, vor der Sache selbst, wenn ich so reden darf. Das Hohle und das Erhobne, Dunkle und Helle, das Harte und Weiche, und Junge und Alte, wie kann man es anders herausbringen als durch Farbe? Form und Ausdruck kann nicht ohne sie bestehen. Die schärfsten und strengsten Linien, selbst eines Michelangelo, sind Traum und Schatten gegen das hohe Leben eines Tizianischen Kopfs. Profile kann jeder Stümper abnehmen, da braucht sich der andre nur vors Licht zu setzen, richtiger als sie ein Raffael aus freier Hand zeichnet; aber das Lebendige mit allen den feinen Tinten in ihrer Vermischung und schwindenden Umrissen, die keine bloße Linie faßt: da gehört Auge und Gefühl dazu, das die Natur nur wenigen gab. Wer sich einmal an das Leichte gewöhnt, der kömmt mit dem Schweren gar selten fort.«2 »Sie mögen im Grunde recht haben«, versetzt ich darauf; »nur verfällt man bei Ihrer Art leicht in den Fehler, daß man sich allzusehr an das Materielle hält und das Geistige darüber außer acht läßt. Inzwischen möchte Ihnen der Römer – wahrscheinlich war es einer diesen Abend im Weinhause –, was Sie sagten, scharf bestreiten.« »Der Vorurteile sind noch mehr in der Kunst, die ebenso hartnäckig verfochten werden«, sprach er ferner. »Was das Geistige betrifft, das lernt sich und verlernt sich nicht; da gehört guter Instinkt aus Mutterleibe dazu und vollkommne Gegenstände von außen herum. Deuten und hinführen kann man wohl; aber wo kein Zug, keine innere Richtung ist, kömmt lauter Manier hervor, dem Menschen, der seinen Durst löschen will, soviel als nichts und überdrein vergebliche Mühe; denn er hat sich an den leeren Schein hinbemühen und untersuchen müssen. Der Römer hat viel Verstand; nur malen soll er nicht: er hätt ein Schriftsteller werden sollen; jetzt aber ist er einmal im Geleise und schwatzt sich durch. Dieser ahmt eine Natur nach, welche nur noch in Steinen existiert, eine Natur ohne Farbe mit Farbe: und will täuschen! eine feste starre Bewegung von den Millionen Lebendigen, die immer um uns herum entstehen! weil es freilich jedermann leichter und dem schachmatten Stubensitzer bequemer ist, einen bretternen Hirsch zu schießen als einen, der durch die Wälder streicht und über Büsche und Gräben setzt; zumal da wir heutiges Tages meist verbotene Jagd haben. Er hat ein langes und breites an der Hochzeit zu San Giorgio Maggiore von unserm herrlichen Paul getadelt. Christus mit seinen Aposteln sitzt freilich im Mittelgrund am Tische ziemlich unbedeutend; und sie sind bloß deswegen da, weil sie dasein müssen, weil wir andern Menschenkinder uns keinen sinnlichen Begriff von den Gestalten dieser Wundermänner machen können. Die Hauptsache aber bleibt immer der Schmaus, das Fest und der Wein über alle Weine; erste erfreuliche Bekräftigung unsrer Religion nach dem Johannes. Und in dieser Rücksicht ist das Stück voll Laune und die Begebenheit darin erzählt wie eine spanische romantische Novelle. Die Hauptfiguren sind ein Tisch mit Spielleuten, die auf lieblichen Instrumenten Musik machen. Paul selbst spielt eine Geige der Liebe; Tizian den Regenten der Harmonie, den Baß; Bassano, Tintorett andere Instrumente. Sie sind meisterhaft gemalt, haben treffliche Gestalten, passenden Ausdruck und sind schön gekleidet. Am Tische der Braut ist eine Sammlung der ersten Menschen dieser Zeit, alles voll Chronikwahrheit und Laune; sie müssen ihm das Drama aufführen. Die Luft im Hintergrunde ist gar leicht und heiter. Architektur, Gefäße und Speisen verzieren sehr gut. Die Beleuchtung breitet das Ganze auseinander und scheint vollkommen natürlich. Wer sieht so etwas nicht gern und weidet seine Augen daran! Derselbe hat groß Ärgernis genommen an der Verletzung des Kostüms in der Familie des Darius beim Alexander mit seinen Helden, und bejammert, daß soviel Herrlichkeit dadurch gestört werde. Sie kennen das Stück zu gut, da es bei Ihren Verwandten sich befindet. Man kann es den Triumph der Farben nennen; mehr Harmonie, mehr Pracht, mehr Lieblichkeit ist nicht möglich schier zu zeigen. Außerdem herrscht noch Wahrheit des Ausdrucks in allen Köpfen, die meistens Porträte sind. Wenn man nicht an die alte Geschichte denkt, und glaubt, es wäre der Sieg eines Helden der neuern Zeiten: so ist es ein wahrhaftes Meisterstück durchaus. Die Architektur im Hintergrunde gibt den Ton zum Ganzen; und es gehörte so tiefes Gefühl im Auge von Farbe, Pracht und Harmonie derselben dazu, wie Paul hatte, um auf einem solchen weißen Grunde die Gesichter und Stoffe so hervorgehen und leben zu lassen. Die Gruppe der vier weiblichen Figuren, die der Alte in eine Pyramide bringt, ist durchaus reizend, die Gesichter lebendig und von wunderbarer Frischheit. Alexander hat einen schönen Jünglingskopf, der freilich eher Weibern gefallen kann als die Welt bezwingen. Daß er ganz bis auf die Füße von oben herab in Purpur überein gekleidet ist, macht zwar einen großen roten Fleck bei längrer Betrachtung; doch hebt es ihn als Hauptfigur hervor. Sie sehen, daß im Wein die Wahrheit liegt! aber Paul kann sie vertragen. Parmenion hat einen herrlichen Kopf und ein zauberisches gelbes Gewand; die Prinzessinnen haben schön geflochten blondes Haar. Und welche Menge Figuren, wie auf der Hochzeit, fast alle in Lebensgröße! Man kann dies wohl das prächtigste und zauberischeste Gemälde nennen, was Farben betrifft; mit jedem Blicke quillt neuer Genuß daraus fürs Auge; nächst dem noch göttlichern und reichern Hingang zum Tempel der Madonna als Kind in der Scuola della Carità von Tizian, dem Triumph aller Malerei. Sie werden lange unübertroffen bleiben und einzeln in der Welt dasein. Die Vernachlässigung des Kostüms ist eigentlich ein Fehler für die Antiquaren; denn der große Haufe weiß nichts davon und merkt's nicht. Freilich wär es besser, die Künstler wählten keine alte Geschichten, wenn sie Naturwahrheit und Farbenpracht in den Gewändern zeigen wollten; griechische Gestalt und leichte Kleidung ist uns ganz entrückt. O wie verlangt mein Herz, jene glückseligen Inseln und das feste Land auf beiden Seiten noch heutzutag zu sehen und wie das heitre milde Klima noch jetzt dort das Lebendige bildet! Ach, wir sind so weit von der Natur abgewichen und von der wahren Kunst zurück, daß wir fast insgesamt einen bekleideten Menschen für schöner halten als einen nackten! Das kostbarste, prächtigste, feinste und niedlichste Gewand ist für den echten Philosophen und das Wesen, das nach klarem frischen Genuß trachtet, ein Flecken, eine Schale, die ihn hemmt und hindert.« »Hätt ich Sie doch damals schon gekannt,« sagt ich ihm hierauf, »als ich diesen Zug begann: so wär Ihr Wunsch erfüllt! So wie Sie mich hier sehen, hab ich dieses alles schon durchwandert; leider zu früh. Mein Vater nahm mich mit sich nach Griechenland, wohin er von der Republik abgeschickt wurde; und ich blieb mit ihm daselbst drei Jahr. Das Beste, was ich zurückgebracht habe, ist Kenntnis des Griechischen; ich lese das alte ziemlich geläufig und schreibe und spreche das neue.« Hier sprang er auf vor Freuden, ganz außer sich, so daß die Gläser vom Tische flogen, und rief: »O glücklicher, seltner, wunderbarer Zufall! so jung und schön, und voll Verstand und Erfahrung! wir müssen ewig Freunde sein, und nichts soll uns trennen; du bist der Liebling meiner Seele.« So fiel er mir um den Hals. Uns verging auf lange die Sprache, und wir waren zusammengeschmolzen durch Kuß und Blick und Umarmung. Endlich nahm er wieder das Wort und sagte: »Hier ist nichts als wir! und alles andre in der Welt steht uns nur da zum Dienst.« Ich war ganz erschüttert, durchbrannt von seinem Feuer, seiner Heftigkeit. Es wurde überhaupt wenig mehr gesprochen außer unzusammenhangende Reden im lyrischen Taumel, Akzente der Natur. Wir glühten beide von Wein und Leidenschaft: er riß sich los, schon spät in der Nacht, mit den Worten: »Morgen sind wir wieder beisammen.« Ich legte mich zu Bette. Herz und Seele und alles in mir war wie ein Bienenschwarm, so sumsend, stechend heiß und ungeduldig; ich schlummerte wenig Stunden und fuhr oft dazwischen auf. Den andern Morgen kam er bei guter Zeit. Mich überlief bei seinem Anblick ein leichter Schauder vor seinem gestrigen Ungestüm; aber er erschien mir von neuem so liebenswürdig, daß ich hingerissen wurde und dem unwiderstehlichen Zuge nachfolgte. Ich hatte noch keinen Menschen gekannt, mit welchem ich so zusammenstimmte, in der Art zu empfinden und zu handeln; nur war er reicher und stärker an Natur als ich, seine Seele voller, aber auch unbändiger, und seine Geburt warf ihn in andre Umstände, unter andre Menschen, in eine andre Laufbahn. Wer einen Freund ohne Fehler finden will, der mache sich aus dieser Welt heraus oder geh in sich selbst zurück, die Vollkommenheit erscheint hienieden nur in Augenblicken, und diese allein sind unser Genuß. Ein großer Geist, ein edel Herz wiegt manches Laster auf, wohinein uns die Schlechtigkeit bürgerlicher Verfassungen stürzt. »Wir schieden gestern voneinander wie im Rausche«, trat er ins Zimmer. »Glück ist die größte Gabe, die Sterblichen zuteil werden kann, nur muß man es mit Verstand brauchen.« Nachdem wir einigemal stillschweigend auf und ab gegangen waren, fragte er mich: »Habt Ihr nie etwas von Kunst getrieben?« Ich antwortete ihm, daß ich nach der hiesigen Erziehung zeichnen gelernt hätte, Augen, Mäuler, Nasen, Ohren und Gesichter, und Hände und Füße nach Vorschriften; im Grunde soviel als nichts: denn bis zum eigentlichen Lebendigen wär ich nicht gekommen; welches mir herzlich leid tue! mich reize sie unendlich, und ich möcht es gern darin bis zu einer gewissen Fertigkeit für mein eigen Vergnügen gebracht haben. Jetzt mach ich nur noch zuweilen die Hauptumrisse schöner Gegenden, der Erinnerung wegen. »Da ist noch nichts verloren«, fuhr er fort; »wir wollen einander helfen. Alle Künste sind verwandt; sie zusammen erhöhen und verstärken die Glückseligkeit des Menschen, bilden sein Gefühl, mehr als alles, für die Schönheiten der Natur und setzen ihn über das Tier. Wie fangen wir es am besten an, damit Ihr so geschwind als möglich Euch diese Fertigkeit erwerbt? Ich denke,« fügt' er scherzhaft hinzu, »Ihr braucht mich zum Modell, nach kurzen Wiederholungen von dem, was Ihr schon wißt; so wie ich Euch dann zuweilen bei meiner Arbeit. Im Griechischen hab ich mich hauptsächlich nur mit den Dichtern beschäftigt, mit dem Homer, Pindar, Sophokles, Euripides, weil mein Lehrmeister selbst ein Dichter war; und dabei aus den Geschichtschreibern nur die Beschreibungen der glänzenden Siege über die Perser gelesen. Die Schätze der Weisheit im Aristoteles, Plato, Xenophon kenn ich meistens nur aus Gesprächen und vom Hörensagen und habe wenig von den Quellen selbst getrunken. Wir könnten damit manchen folgenden schönen Sommerabend uns himmlisch ergötzen, wenn Euch dazu Zeit übrigbliebe. Mein eifrigstes Verlangen aber ist, daß Ihr mich in dem noch Lebendigen dieser Göttersprache, im Neugriechischen, unterrichten möchtet; damit ich bald mit Bequemlichkeit und größerm Nutzen und Vergnügen eine Wallfahrt beginnen könne nach dem echten klassischen Boden. Ihr habt genug am Zeichnen, wie einer, der selbst kein Dichter werden, sondern nur die Meisterstücke der Alten und Neuen in ihrer ganzen Vollkommenheit fassen will, an der Poetik des Aristoteles. Jede Kunst, bis zum letzten Ziel erlangt, ist etwas anders und erfordert eines Menschen ganzes Leben. Für Euch soll's nur Spiel sein; Ihr seid zu Höherm bestimmt und müßt glänzen wie der Morgenstern in Eurer Republik. Dies wird immer neuen Reiz in unsre Freundschaft bringen, und wir werden leben in der Natur, soviel uns mit Sinnen, Phantasie und Verstand vergönnt ist.« »Du erfüllst mich mit Hoffnung und Freude«, antwortet ich ihm. »Mein Vater ist jetzt in Dalmatien, und ich bin mit meiner Mutter allein. Sie zieht bald aufs Land, vielleicht noch diese Woche. Die Gegend ist eine der angenehmsten der ganzen Lombardei. Das Gut, wohin wir wollen, liegt am Lago di Garda, wo Catull, vor welchem Cäsar sich neigte, zuweilen vom römischen Taumel ausruhte. Er sang von dem Orte: Peninsularum, Sirmio, insularumque Ocelle, quascunque in liquentibus stagnis Marique vasto fert uterque Neptunus.3 Willst du mich begleiten: so werden wir nach dem Pindar in die Burg des Kronos gelangen, umweht von kühlen Seelüften; wo in schattigen Gärten Goldblumen funkeln, diese der Erd entsprießen und anmutigen Bäumen, andre aber der klare Bach erzieht. Wir wollen mit ihren Angehängen und Kränzen uns die Arme umflechten und die Schläfe umwinden. Vorher aber muß ich dich meiner Mutter vorstellen; jedoch du mußt hübsch gescheit sein. Sie ist eine gar gute Frau, die mich zärtlich liebt. Sie weiß schon, daß ein junger Mensch mich aus dem Kanale gerettet hat, und es wird ihr gefallen, daß du es bist. Sie hat große Freude an schönen Madonnen; und wenn du ihr eine in ihre Kapelle malst und fromm bist: so hält sie dich wie ein Kind.« Es ging hierbei eine sonderbare Bewegung in ihm vor, die mir lange hernach erst erklärlich wurde; er sah mich an, neugierig mit heißen Blicken, und fragte: »Also nicht weit vom Ausflusse des Mincio ist Euer Landsitz?« »Wenig davon«, versetzt ich. Darauf ging er nachdenkend einigemal mit mir auf und ab. Endlich sprach er: »Gut; ich reise mit euch und male deiner Mutter eine Madonna, wenn ich ihr anstehe. An Gescheitheit bei ihr soll's hoffentlich nicht ermangeln.« Es wurde beschlossen, ihn den Abend noch ihr vorzustellen; bei Tische wollt ich alles einlenken. Hier schied er von mir. Ich brachte die Sache vor; und meine Mutter war's gleich zufrieden, ohne ihn noch gesehen zu haben, aus Willfährigkeit gegen mich. Mir schwellte aber die neue Bekanntschaft immer mehr das Herz; einen jungen Maler der Art hatte ich noch nicht gekannt. Ich war überrascht; es ging alles so schnell fort, und ich konnte keiner gehörigen Überlegung Raum geben. Beim ersten Blick und Gespräche schon gefiel er meiner Mutter, wie ihr noch kein Fremder gefallen hatte. Hier erfuhr ich, daß er sich Ardinghello nannte; ich hatte, voll von ihm, nicht daran gedacht, ihn von neuem um seinen Namen zu befragen. Er gab sich hernach verschiedne andre; doch dieser soll ihm forthin bleiben. Den folgenden Morgen sah ich einige angefangne Gemälde von ihm. Sein Lebendiges war frisch und meisterhaft in der Arbeit und kam dem Tizianischen ziemlich nahe; doch war es nicht Manier, sondern sein eigen und verschieden nach der Natur: wenig Gewand, das meiste nach dem Nackenden; Studien von Mädchenköpfen, voll Geist und Lieblichkeit, und Brüsten und Leibern, und Rücken, und Schenkeln und Beinen, nackten Buben im Baden, Laufen und Balgen. Für Bezahlung, sprach er, und nach andrer Belieben hab er noch nichts gemacht. »Das Weitre«, fügte er wie unbedeutend hinzu, »will ich dir einmal erzählen, wenn wir mehr in Ruhe sind.« Er besuchte die Tage darauf den alten Greis Tizian noch einmal und seine Freunde, und zu Ende der Woche reisten wir ab. Meine Mutter fuhr mit ihren Leuten voraus und wir hinterdrein, weil wir zu Vicenza uns einen Tag wegen der Gebäude des Palladio aufzuhalten gedachten. Wegen des Griechischen nahm ich noch die Bücher mit, die nicht in der Bibliothek auf dem Gute sich befanden; und er das nötige Gerät zum Malen und Zeichnen. Als wir eine Strecke vom Großen Kanal entfernt waren, setzte sich Ardinghello aufs Verdeck der Barke und blickte tief gerührt nach der Stadt mit unverwandten Augen; die Feuchtigkeit trat hinein, und sein Herz ward erweicht. Seine Seele schien zu ahnden, daß er sie nie wieder sehen sollte. So wälzen die Schicksale den Menschen fort wie die Fluten des Meers einen schwachen Trümmer! Die Sonne war eben aufgegangen, und die Türme, Kirchen, Paläste und Inseln lagen da im dünnen Nebel. Mir war wohl, daß ich herauskam. Im Winter ist Venedig angenehm, weil die Menschen so enge beisammen sind und alles zur Ergötzlichkeit treibt, Lage und Regierung; aber im Sommer ist's ein ungesunder und gefährlicher Ort. Ein Eingeborner kann die Wahrheit besser wissen als ein Dichter aus Neapel. Es mag der Natur nach ein ganz andrer Unterschied sein zwischen Rom und Venedig, ob es gleich prächtig klingt: Illam homines dices, hanc posuisse deos.4 Wenn einer die Geschichte kennt und da gelebt hat und es beim Ausflusse der Brenta vom Ufer betrachtet: so sieht es richtiger aus wie ein endlich sichrer Zufluchtsort von dem Lande weggeprügelter und weggescheuchter furchtsamer Hasen, die sich hernach groß und zu geflügelten Löwen gemacht haben, als ihnen die Feinde übers Wasser nicht nachkonnten und sie von fern sicher sehen mußten. Eine unüberwindliche Festung ist's gewiß, weil durch die Sümpfe vom Land aus nichts anders als kleine Barken anländen können und man von der See her in die Häfen den Faden der Ariadne braucht; und eben weil es unüberwindlich und unzukommbar ist außer Verräterei, trägt es, vom Meer umgeben, eine gewisse Majestät an sich. Götter aber flüchten sich nicht in Sümpfe. Inzwischen hat Sannazar der reizenden Dichtung wegen seine sechstausend Dukaten doch verdient. Die Wahrheit bezahlt man selten so teuer. Der große Doge Peter Ziani hat sie gar wohl erkannt, als er den kühnen Entschluß faßte, noch zu Anfang des dreizehnten Jahrhunderts eine neue Völkerwanderung anzustellen. Konstantinopel ist ohne Streit ein glückseliger Plätzchen auf diesem Erdboden. Die Venezianer hatten es damals mit den Franken eingenommen, und wir besaßen mehr von Griechenland als jetzt. Er riet mit stärkern Gründen als je Demosthenes, diese Lagunen zu verlassen und dort uns anzupflanzen; und Dido und Äneas waren dagegen Luftgestalten. »Wenn der Mond mit seiner Ebbe und Flut unsern Kanälen das Wasser entzieht,« sprach er im Großen Rate, »der Schlamm sich zeigt und seinen Gestank ausdünstet: welche gute Nase kann da vor Ekel auf den Wegen bleiben? Sind nicht immer unsre Lazarette voll und die jahraus, jahrein nicht von dannen schiffen wie gefangen? Überdies haben wir Erdbeben, noch außerdem, daß das Meer oft hereinstürmt und unsre Zisternen und Warenlager verderbt. Und welch ein Wohnsitz, um auszuhalten, wo nichts als schlechte Fische Nahrung gibt, weder Korn noch Wein und Öl wächst, weder Baum hervorkömmt, noch trinkbar Wasser quillt, wo alle Elemente verdorben sind, Wasser, Luft und Erd und Feuer? und von allen Seiten Feindschaft um uns her? Dort sind wir gleich in unsern Besitzungen, und welche Aussichten in die Zukunft!« Jedoch überwand ihn der Prokurator von San Marco, der Greis Anzolo Falier, unter fünfhunderten mit einer Stimme, indem er nach dem Aristoteles behauptete: daß die Festigkeit, ohngeachtet aller Übel bei einer Hauptstadt, der glücklichen Lage, ohne dieselbe, vorzuziehen wäre; und daß gerade die Unfruchtbarkeit ein Volk zur Tapferkeit zwänge und über andre erhöbe. Darin bestand unsre Unterhaltung bis nach Padua, und Ardinghello beschloß mit folgenden Worten: »Wo die Verständigen nicht herrschen, ist keine Staatsverfassung gut; jedoch mit dem Unterschiede, daß zum Exempel bei einer Million Bürgern in einer Demokratie fünfmalhunderttausend und etliche Narren über viermalhunderttausendundneunhundert gescheite Leute den Ausschlag geben: und in einer Monarchie ein Narr neunmalhunderttausendneunhundertundneunundneunzig Philosophen ins Verderben stürzen könnte, wenn sie nach dem auf Schulen gelehrten Staatsrechte keine Rebellen sein wollten.« Als wir von Vicenza weggereist waren, sprachen wir viel über die Gebäude zu Venedig und den Palladio. Ardinghello hielt Venedig für einen der merkwürdigsten Örter in der Baukunst; und sagte: hier wäre nicht nur ein Stil, sondern man sähe darin die Geschichte derselben der neuern Jahrhunderte; und erkenne immer, daß ein Senat von vielen Personen da herrsche und nicht ein einzelner oft elender Mensch ohne Talent und Geschmack, weil man nichts ganz Schlechtes unter den öffentlichen Gebäuden fände wie in andern Residenzen. Er liebte den Palladio vor allen neuern Baumeistern, nannte ihn eine heitre Seele voll des Vortrefflichsten aus dem Altertum, und daß er davon mitteile, und aus sich selbst, soviel sich für seine Zeitverwandten schicke. In Vicenza wird leider von ihm nichts recht ausgebaut, und die Gebäude gleichen fast nur angefangnen Modellen von seinen Ideen; aber welch ein Wunderwerk ist der Palast Cornaro am Kanal! wie schön die Kirchen zu San Giorgio und al redemtore in Venedig! und die Brücke zu Vicenza über den Bacchilion, so leicht und reizend und sicher in ihrem Bogen wie ein beherzter Amazonensprung! Wie angenehm das durchbrochne Geländer, damit man das erfreuliche Wasser dadurch wegströmen sehe! Jedoch gefiel Ardinghello das Rathaus nicht, obgleich es Palladio selbst unter die schönsten Werke neuerer Kunst setzt. Die Fassade, an und für sich richtig und schön, glich doch nur einer Schminke, die einer alten Matrone aufgetragen wäre; die Bogen derselben entsprächen nicht denen des gotischen Gebäudes, das überall schief durchguckte. Julio Romano hätte, damals schon älter und erfahrner, mehr Geschmack gezeigt, als er eine meisterhafte gotische dazu erfand. Es sei etwas anders, einen Riß auf dem Papier anschauen und ein Gebäude aufgemauert in der Luft; dies haben die Ratsherrn, die des Palladio seinen wählten, wie viele Große, die bauen lassen, nicht gewußt. Unser Gespräch lenkte sich endlich auf die Architektur überhaupt; und er sagte, soviel ich mich erinnere: »Von Schönheit in der Baukunst hab ich wenig Begriff, weil sie mir ganz außer der lebendigen Natur zu sein scheint. Höchstens entspringt ihr Reiz bloß aus der Metaphysik davon, wenn ich das Wort hier brauchen darf, und nicht aus Wirklichkeit; deswegen ihre Verschiedenheit bei allen Völkern, die sich einander nicht nachahmen. Eine strenge Theorie davon verliert sich in das Dunkel der Schöpfung. Schönheit ist, was Vergnügen wirkt; was bloß Schmerz stillen und verhüten soll, braucht eigentlich keine Schönheit an und für sich zu haben. So geht's mit den Gebäuden; sie halten bloß Ungemach ab. Sobald das Wetter gut ist, mag ich in keinem bleiben und will ins freie Feld. Alles muß auf Ungemach, Krankheit, Feindseligkeit und Bedürfnis von Zusammenkünften berechnet werden; dies bestimmt hernach ihre Vollkommenheit. Harmonie, Ebenmaß, Übereinstimmung mit jedes Zweck macht dessen Schönheit, wenn man das, was nichts Lebendiges nachahmt, so nennen will;5 was sollen uns alle die überflüssigen, unbedeutenden Zieraten? Ein Gebäude ist ein Kleid, das Menschen und Tiere vor bösem Wetter schützt, und muß darnach beurteilt werden. Geht man in die Wildheit zurück: so findet man Grotten und Waldung, und durchgerißne Felsen, um über Abgründe von Strömen zu gelangen. Dies hat zwar der sittliche Mensch zuerst nachgebildet, und noch jetzt sind die Spuren da unter tausend gemachten Bedürfnissen; wir ahmen die ursprünglichen Formen nach, von Fels und Baum in demselben Gebäude durchaus von Stein. Dieser ist inzwischen ungelenk, und wer ihn allzusehr zu leichtem Holze schnitzelt, besonders am Boden, wo er gerade vor Augen liegt, wird abgeschmackt und lächerlich. Holz hat seine natürliche Form in Stamm und Zweigen: woher die Säulen und zum Teil die Gewölbe. Je weniger man von der natürlichen Form abnimmt: desto reiner ihre Schönheit; so übertrifft eine Säule immer einen Pilaster. Das meiste aber bezieht sich auf Zweck und hat mit Nachahmung der Natur wenig zu schaffen. Die Schönheit der Massen muß aus einem glücklichen geheimen Gefühl hervorkommen, das sich an der Harmonie der Teile des Menschen, des Großen in der Natur und überhaupt alles Lebendigen lange geweidet hat, und wieder mit einem solchen Sinn genossen werden. Hier lassen sich, was Erfindung betrifft, keine bestimmte Regeln geben; ein ganz anders ist, wenn man bloß nachahmt, was Griechen und Römern gefiel.« »Und dies bleibt wohl immer das Zuversichtlichste,« fiel ich ein, »da sie ausgemacht die menschliche Natur mehr durchgearbeitet und zur höchsten Vollkommenheit gebildet haben, die wir kennen.« »Wenn der Erdboden durchaus gleiches Klima hätte«, versetzte er darauf, »wie die Gegenden, welche sie bewohnten; die Menschen überall dieselben Bedürfnisse, dieselben Sitten und Gebräuche, die gleiche Idee von Glückseligkeit, dieselben Feste und Spiele! Und überhaupt will der Mensch Neues; er hat ohnedies zuviel vom Gesetz zu leiden, das er nicht abwerfen kann; warum von freien Stücken sich eins auf den Nacken legen, das ihm nicht gefällt? Die Kunst wird, außer dem Reichtum an schönen Formen und Begebenheiten in der Natur, schon geweckt im Menschen durch vortreffliche Mittel zur Darstellung. Die Obelisken, Pyramiden, Tempel in Ägypten hatten ihre Entstehung schon den Marmor–, Granit–, Porphyr- und Jaspisgebirgen am Roten Meer zu verdanken. Der leichteste Gegenstand in der Natur reizte hernach; zum Beispiel zu Syene die Wendung der Sonne und die Anzahl der Tage im Jahr zu bestimmen. So gab der parische Marmor den Griechen Gelegenheit, die menschlichen Formen nachzuahmen; so ihre Sprache zu verschiednen Silbenmaßen und Gedichten. So werden wir von der unsrigen zum Gesange gelockt und zum Bauen vom Reichtum an Baumaterialien. Verschiedne Mittel, als Holz, Backstein und Marmor, veranlassen schon verschiedne Formen. Ein Umstand allein verändert oft das Ganze. Bei den Griechen und Römern war ein Tempel meistens nur für einen ihrer vielen Götter; eine Wohnung, für denselben abgepaßt gewissermaßen, wenn er vom Olymp hernieder in die Gegend kam, wie ein König aus seiner Residenz in ein Schloß einer seiner Provinzen. Die Form desselben war also nicht groß; und die Säulen richteten sich nach der Proportion. Jeder Bürger opferte entweder einzeln; oder war allgemeines Fest: so ging der Priester oder die Priesterin hinein, und das Volk stand innen und außen herum. Gleiche Bewandtnis hat es bei ihren Orakelsprüchen. Unsre Kirchen hingegen sind große Versammlungsplätze, wo oft die Einwohner einer ganzen Stadt stundenlang sich aufhalten sollen. Ein feierlicher gotischer Dom mit seinem freien ungeheuern Raume, von vernünftigen Barbaren entworfen, wo die Stimme des Priesters Donner wird und der Choral des Volks ein Meersturm, der den Vater des Weltalls preist und den kühnsten Ungläubigen erschüttert, indes der Tyrann der Musik, die Orgel, wie ein Orkan dareinrast und tiefe Fluten wälzt: wird immer das kleinliche Gemächt im Großen, sei's nach dem niedlichsten Venustempel von dem geschmackvollsten Athenienser! bei einem Mann von unverfälschtem Sinn zuschanden machen. Wir hätten dafür, deucht mich, eher ihre Theater zum Muster nehmen sollen, die natürlichste Form für eine große Menge, worin jede Person ihren Posten wie in einer Republik, einer Demokratie einzunehmen scheint und ein herrliches Ganzes bildet. Und sind wir nicht gegen das Wesen der Wesen alle gleich? König und Bettler, Philosoph und Bäuerlein arme blinde Würmer, die nichts wissen, die hieher gesetzt sind wie verraten und verkauft, in Nacht und Nebel, wo wir vergebens die Köpfe in die Höhe strecken? Ich habe hier und da in Klostergärten doch gefunden, wie sich die liebe Natur auch in ihrer größten Einfalt selbst regt. Der Bruder Redner saß unten zwischen alten schattigen Bäumen, und vor ihm hatten sie an einem Hügel in hohler Rundung Sitze mit Rasen nacheinander in der Höhe rückwärts angelegt; und so saßen sie übereinander und hörten zu: und oben an beiden Seiten schlossen das Andachtsörtchen wieder Bäume, wo der Wind die zarten Zweige bewegte und die Blätter flisterten, als ob Engel darinnen spielten, sich ihrer Frömmigkeit freuten. In unsern Kirchen mit langem gleichplatten Boden kann man nicht einmal das Meßamt gehörig verwalten; die hintersten sehen's nicht vor den vordern, was der Priester beginnt, und sie stehen und liegen ohne Ordnung untereinander, im eigentlichsten Verstande wie die Schafe. Übrigens ist die Qual aller Baumeister, daß sie für Sommer und Winter dasselbe Gebäude machen müssen, einen Rock für die größte Hitze und die größte Kälte. Weil sie nun in Süden sich nach dem Sommer richten: so frieren sie im Winter am meisten; und in Norden nach dem Winter: so schwitzen sie dort im Sommer am meisten; ob's gleich nach der Natur ganz umgekehrt sein sollte.« Die Gegend von Vicenza hatte ihm ungemein gefallen, besonders aber der herrliche Spazierplatz des Campo Marzo mit der neu herausempfundenen Triumphpforte vom Palladio zum Eingang. In der Tat lagern sich reizend die schön bewachsnen Hügel darum her, und die Tirolergebirge machen in blauer Ferne süße Augenweide. Mehr aber gefiel ihm noch Verona wegen der Etsch, der Alpentochter, die wellenschlagend aus den Felsen sich mitten durch die Stadt in Schlangenkrümmungen reißt, worüber die Brücke der Skaliger sich in kühnen Bogen hebt, weiter, heroischer und kunstgebildeter als selbst die Brücke Rialto, das Wunder von Venedig, welche mit ihren sechzig Stufen herauf und hinunter mehr Treppe als fortgesetzter bequemer Weg ist. Wir machten den letzten Strich in unvergleichlicher Nacht, wo der Mond, beinahe voll, immer mit uns ging und uns durch die schönen Ulmen begleitete, die ihre Kränze von dichtbelaubten Weinranken lieblich zusammenpaarten; und Blitze von einem fernen Gewitter flammten herüber in die heitre Luft. Mond und Abendstern und Sirius und Orion schienen wie Schutzgeister unsrer Sphäre näherzuschweben. »Ach, ihr Götter,« rief Ardinghello, »warum so einen kleinen Punkt uns zum Genuß zu geben und nach den unendlichen Welten uns schmachten zu lassen! Wir sind wie lebendig begraben.« Schon regte sich ein leichter frischer Morgenwind und säuselte durch die Blätter; ein milder Lichtrauch stieg auf in Osten, von einzelnen Strahlen durchspielt, als wir bei unserm Landgut anlangten, wo der See sich ausbreitete und seine Ufer von Wellen rauschten. Sie brachen sich ergötzend übereinander und schäumten; und wir fanden die Beschreibung Virgils: Fluctibus et fremitu assurgens marino,6 ganz nach der Natur. Ich legte mich zu Bette, weil ich den vorigen Tag nicht geschlafen hatte. Ardinghello aber wollte nicht und machte Bekanntschaft mit der Gegend. Die Zimmer für uns waren schon zubereitet; den Nachmittag richteten wir uns völlig ein. Ardinghello bekam eins gegen Norden zum Malen, wo er Licht und freien Himmel hatte, wie er wünschte, und überdies den Ausgang aufs Feld. Wir beschifften die ersten Tage die Küsten, stiegen da und dort ans Land und schweiften herum an den schönen Hügeln bis nach Brescia. Ardinghello legte alsdenn gleich seine Madonna an für meine Mutter, damit er in den guten Stunden hernach daran arbeiten könnte. Im Griechischen waren wir schon einig wegen Ton oder Akzent und Aussprache; wir richteten uns gänzlich hierin nach den, obgleich verwilderten, Abkömmlingen der Alten, zumal da wir doppelten Endzweck hatten. Wir gelangen zur Kenntnis toter Sprachen nicht allein durch Vernunftschlüsse und Vergleichungen, sondern noch durch Herkommen; und da hat doch das Volk, dessen Sprache die älteste Tochter ist von der abgestorbnen, oder vielmehr selbst noch Mutter, nur durch die Zeit verändert und verwandelt, das nächste Recht zur Erklärung. Kein auswärtiger Bücherheld wird mit seinem bloßen Buchstabieren auch je dem Runden und Lebendigen desselben bei Lesung der übriggebliebnen Denkmale gleichkommen. Man kann wohl sagen, daß wir kein größer und vollkommner Ganzes vom menschlichen Leben haben als die griechische Sprache, wenn man sie vom Homer an zusammennimmt bis auf unsre Zeiten. Im Homer steht sie schon als ein starker junger saftiger zweige- und laubvoller Baum da; in den tragischen und komischen Dichtern Athens, dessen Philosophen und Rednern in höchster Schönheit und Fruchtbarkeit, so wie noch nie etwas Menschliches erschienen ist: und bei den Neugriechen zusammengeschrumpft, verwachsen und ästezerbrochen, bepfropft mit mancherlei fremdartigen, und doch noch groß und reich; in einem Alter von dreitausend Jahren. Die feinen Ausbildungen, die geschmeidigen Darstellungen aller Verschiedenheit der Natur sind, so wie die Wirklichkeit selbst, in den Zeiten der Barbarei verlorengegangen. Die Neugriechen haben keinen Dativum in ihren Deklinationen, und ihre Verba sind steif geworden. Das Futurum wird mit dem Hülfsworte wollen gemacht, das reiche Perfektum ist verschwunden und der erste Aorist darein verwandelt. Sie haben keinen Dual, kein Medium, keine Verba in mi, sogar keinen Infinitiv mehr. Die Partizipia sind verunstaltet; die Präpositionen ohne Regierung fast: ihrer bloß acht an und für sich, haben alle den platten Akkusativum hinter sich; und die Partikeln bringen wenig Geschmeidigkeit mehr hervor. Und doch hat die Sprache noch Wohllaut und mannigfaltigen Klang; schöne ursprüngliche Form, aber wenig Beweglichkeit. Die italienische ist aus der römischen weit mehr von Leben und Geist gebildet; das Neugriechische aus dem alten lange nicht so bearbeitet. Vieles darin sieht aus wie zerschmettert und versetztes Bruchstück, und manches ist noch völlig so wie bei dem alten. Ich brachte dem Ardinghello bald alles bei, was zum täglichen Leben gehört; obgleich die gemeinsten Dinge bei den Überfällen verschiedner Völkerschaften hauptsächlich ihre Benennungen verändert erhalten haben. So heißt zum Beispiel jetzt: Brot psomi, Wasser neron, Wein krasy, der Leib kormi, die Tür porta, der Weg strata, das Haus spiti; chrysaphi, asimi Gold und Silber. Überhaupt lieben die Neugriechen das I; und man findet oft das alte Wort, wenn man es wegtut, als bei mati Auge, avti Ohr. Die Evangelien und Episteln versteht man so ziemlich noch im Griechischen des Neuen Testaments, aber vom Xenophon und Plato wenig. Die Geistlichen, Vornehmern und Kaufleute reden, was man Schriftsprache nennen kann. Die größte Barbarei ist eigentlich auf den Inseln, weil diese mehr als das feste Land von den Fremden überschwemmt wurden; auch weichen die Sitten hier mehr von den alten ab. Der Mundarten sind vielleicht mehr als bei den Alten; und so geht's mit der Aussprache. Die jetzigen Spartaner sprechen zum Beispiel ch aus wie die Franzosen. Überhaupt war die Aussprache schon bei den Alten verschieden nach Ort und Zeit, wie bei uns und überall. Die ersten Pelasger sprachen vermutlich ihr Griechisch anders aus als die Athenienser unter dem Perikles, und so Homer und seine Zeitverwandten. Plato beklagt sich im Gespräche Kratylos, kurz nachher, als die zwei langen ionischen Vokalen zu Athen, unter dem Archon Euklid, im zweiten Jahre der vierundneunzigsten Olympiade in allgemeinen Gebrauch gekommen waren, daß man das Wort, welches den Tag ausdrückt, nicht mehr himera wie die Vorfahren ausspreche, sondern entweder hemera oder neuerdings hmera, und dabei den schönen Ursprung nicht mehr fühle, daß es von himeros, das Verlangen, herkomme, weil man nämlich in der Nacht und Dunkelheit nach dem Licht und Aufgang der Sonne verlangt. Aus diesem Beispiele dürfte man vielleicht schließen, daß die neuern Griechen in manchem zur Aussprache der ältern und selbst Homers wieder zurückkehrten, und daß auch hier, wie sonst in der Welt, alles im Kreise herumgeht. Am besten ist es, man richtet sich nach der jedesmaligen lebendigen Aussprache und dem großen Haufen; und man muß es, wenn man verständlich sein will.7 Von den Alten lasen wir die Abende bald ein Stück aus dem Plato, bald aus dem Aristoteles oder Xenophon, kehrten aber von ihrem Scharfsinn und Adel, der reinsten Empfindung und ihren hohen Flügen oft zurück unter das atheniensische Volk zum Demosthenes und Aristophanes. Ardinghello hatte den letztern nur dem Namen nach gekannt und weidete seine Seele nun an ihm leibhaftig mit Entzücken. Er brütete so recht über seinem Witze, seiner Laune, seinen kühnen Erdichtungen, und hielt seine Possenspiele für das allerhöchste Denkmal menschlicher Freiheit, welchem sich keins unter den Millionen andrer Schriften von weitem nähere. Wer mit den Griechen wetteifern wolle, müsse in beiden leben und weben. Hier erscheine der Mensch, wie er sei, mit allen seinen natürlichen Herrlichkeiten und Schlechtigkeiten. Hier entsprängen und rännen die lautersten Lebensbäche. Mein Freund steckte mich mit seiner Meinung an, und Redner und Dichter wirkten mächtig auf uns: wir wurden selbst freier im Umgange, und unsre Sprachkenntnis wuchs wie eine üppige Pflanze. Wir hielten uns ganz an Athen vom Themistokles an bis zum Tod Alexanders; drangen immer tiefer ein in dessen Staatsverfassung, Gesetze, Gerichte; ruhten im Schatten an den bemoosten Wurzeln des schönen lebendigen Baums, der seine Zweige über ganz Griechenland verbreitete; und gingen aus diesem Kreise, und was sich damit verband, selten heraus. Dabei beschrieb ich ihm den gegenwärtigen Zustand der Inseln und des festen Landes; Gesellschaften, Sitten und Gebräuche, Feste und Spiele, Klima, Jahrszeiten, Wind und Wetter, Gewächse und Früchte, und was von den Alten noch übrig ist. Ohngeachtet seiner Lust an dem Aristophanes, der glänzenden Satire der Wolken gegen den Dämon des Philosophen und des bittern Angriffs der Lehre desselben, daß kindliche Liebe und Verehrung der Eltern und Verwandten dem Verstande nachstehen müsse: hielt er nichtsdestoweniger die Denkwürdigkeiten des Sokrates für das gediegenste Kleinod aller Weisheit und die Moral aller Moralen. Übrigens kamen wir darin überein, daß man die Wolken nach ihrer und nicht nach unserer Zeit beurteilen müsse. Die Menschen waren damals gewohnt, einander nackend zu sehen, und scherzten zur Ergötzlichkeit für den Augenblick über ihre Mängel und Gebrechen und vergaßen es hernach bald wieder. Aristophanes war so wenig schuld an dem gewiß bis zum Vergessen seines Mutwillens lang hernach erfolgten Tode des Sokrates als an dem des Euripides; und beide wurden im Grunde nicht minder hochgeschätzt, trotz aller Lächerlichkeiten, die er auf sie warf. Welche possierliche Rolle läßt er nicht den Weisen letztern im Feste der Ceres und Proserpina spielen! Bei uns wäre freilich so etwas wie Mord und Totschlag. Und außerdem war man es gewohnt, daß Philosophen und Dichter, und von diesen wieder die tragischen und komischen, sich zur Kurzweil des Volks einander zum besten hatten. Wer weiß, wie hart Sokrates und Euripides vorher dem Aristophanes begegneten? Das beste Zeugnis für das, was ich sage, ist, daß Plato nicht aufhörte, den komischen Dichter hochzuschätzen. Dieser hohe Genius schien uns überhaupt einen viel weitern Gesichtskreis als Xenophon zu haben und selbst über seinen Lehrmeister hinauszugehen. Wir meinten, nicht wenige seiner Gespräche müßten die Lieblingsschriften für jeden guten Kopf sein, der sie fertig in der bezaubernden Ursprache lesen kann; und dies zwar hauptsächlich deswegen, weil er selten seine Materie erschöpft, aber mit gewaltiger Hand in tiefe, reiche Fundgruben hineinführt. Wir bewunderten oft an ihm, diesen Tag, die allergewandteste attische Feinheit, die so edel kein Schriftsteller, unsers Wissens, weder seiner noch viel weniger irgendeiner andern Nation je erreicht hat; und den folgenden wieder die erhabensten Gedanken in der kühnsten Sprache. Demosthenes ist freilich gegen ihn, wie der noch junge, zu strenge Dionys von Halikarnaß wahr spricht, Held im Streite, wo es das Leben gilt, und jeder Hieb und Stoß Wunde. Aber ein andres ist Schlachtfeld, ein andres Akademie! wo unter kühlen Lauben auch zuweilen bloß angenehmes Geschwätz ergötzt, und lyrische Verzückungen süßer Trunkenheit bei sternenheller Nacht am seligsten machen. Mitten unter dieser Seelenweide legt ich mich eifrig auf die Zeichnung. Ich fing vom neuen damit an, allerlei mathematische Figuren aus freier Hand bis zur Vollkommenheit zu entwerfen, um sie zur Sicherheit im Zuge zu bringen. Alsdenn plagte mich Ardinghello nur kurze Zeit mit menschlichen Gerippen und ging gleich über auf den Umriß der Teile und ihre Verhältnisse zueinander; und endlich gelangt ich zum Lebendigen, wie aus einer trocknen Wüste zu schattichten frischen Quellen. Wir waren schon aus der ruhigen Schönheit am Leidenschaftlichen: als eine schreckliche Begebenheit erfolgte, die uns auf lange trennte. Über die Verhältnisse des menschlichen Körpers gingen wir, außer den Vorschriften der beiden großen Florentiner, noch ein Werk durch von dem Teutschen Albrecht Dürer. Er sagte, wenige hätten die Theorie ihrer Kunst wohl so innegehabt unter allen neuern Malern und Bildhauern als dieser; man fände bei ihm ein erstaunliches Studium: aber zum Hohen und Schönen derselben sei er nicht gelangt, weil niemand aus seiner Nation und seinem Zeitalter könne. Dies hange außer dem Innern noch gar zuviel von Glück und Zufall ab. Wir könnten das Lebendige nicht anders nachbilden, als bis wir es entweder selbst gelebt oder mit unsern Sinnen in ergreifender Wirklichkeit empfunden hätten. Ohne Perikles und Aspasia, Alkibiaden, Phrynen und ihresgleichen alt und jung: kein Phidias, Praxiteles und Apelles. Albrecht Dürer habe den Nürnberger Goldschmiedsjungen nie völlig aus sich bringen können; in seinen Arbeiten sei ein Fleiß bis zur Angst, der ihm nie weiten Gesichtskreis und Erhabenheit habe gewinnen lassen: und bloß deswegen hätte ihn Michelangelo so sehr gehaßt. Seine meisten Kompositionen wären Passionsgeschichten und Hexen und Teufel. Er als verlorner Sohn am Troge bei Schweinen, die Trebern fressen; Proserpina, wie sie Pluto auf einem Bocke holt; Diana, wie sie eine Nymphe mit dem Knittel bei einem Satyr prügelt: zeigten genug seine mißleitete Phantasie. Sonst sei er ein wackrer Meister, habe Kraft und Stärke; und ein guter Kopf von richtigem Geschmack könne viel von ihm lernen. Wir hatten bei unserm Leben auf dem Lande uns zum Gesetz gemacht, daß keiner den andern in seinem Tun und Lassen stören sollte; und alles Beisammensein war freier Wille von beiden Seiten. Wenn also einer allein sein wollte: so sagte er es dem andern oder schloß die Tür ab. Zuweilen gingen wir miteinander, zuweilen zog einer allein aus: und Ardinghello kam manchen Tag und manche Nacht nicht nach Hause, ohne mir vorher zu sagen, wenn er fortging, und ohne daß es mich befremdete. Die immer grünen, mit hohen Bäumen eingefaßten Wiesen und die vielen klaren Flüsse, von den Seen reingewaschen, erfreuten ihn unendlich in der Lombardei; solche Natur war dem Toskaner fremd. Er nistete sich in den schönsten Dörfern überall ein und machte Bekanntschaft mit den Landleuten. Einigemal kam er abends auf einem lustigen Nachen mit Weinlaub und Efeu geschmückt, der Zither am Arm im Dithyrambengesang gleich einem jungen Bacchus wieder, oder in einem andern Aufzug: und es war immer ein allgemeiner Jubel; denn jedermann wollte ihm wohl. Er ließ sich mit jedem ein und drang in dessen Innres, half ihm fort oder machte ihm das Leben froh und leichter. Er hatte eine von den seltnen gefühligen Stimmen, die das Herz anlocken; ihr Ton war fest und voll; süß und gelind bei Liebe und heftig eindringend wie ein Sturmwind in der Höhe bei widrigen Leidenschaften. Er spielte zwar auch trefflich die Laute: aber die Zither zog er allen Instrumenten zur Begleitung vor. Er sang wenig andrer Dichter Worte, sondern eigne Poesie, wie sie seinem Wesen entquoll, meistens ohne Reime; oder diese, wie sie sich schicken wollten. Es war bezaubernd, dem jungen Schwärmer zuzuhören, und wie in lächelnder Kühnheit das Feuer aus ihm wehte. Wie oft haben wir hernach in heitern Nächten uns in den See gestürzt! denn er hatte mir das Schwimmen bald beigebracht; und in der unermeßlichen gestirnten Natur frei herumgewallt wie die Götter! Noch hab ich ihm eine größere Geschicklichkeit im Fechten zu verdanken, worin er ein großer Meister war; wie er denn seinen Körper überhaupt äußerst gewandt und ausgebildet hatte. So flog himmlisch leicht unser Leben dahin unter Spiel und Fest und reizender Beschäftigung. Mit seiner Madonna war er im August schon fertig. Er hatte die Begebenheit der Flucht nach Ägypten gewählt. Sie saß mit dem Kind an der Brust unter einem Ahorn, der seine Zweige weit umher verbreitete und Dämmerung herniederwarf; in der Nähe und Ferne standen Pinien und Zypressen anmutig vermählt und zerstreut. Die Gegend war ein Gebirg, woheraus ein Fluß in Katarakten sich stürzte, in fernem Schaum und Dampf von Silberstaub, dann eine kleine Ebne durchfloß und in einen stillen See ruhig dahinwallte. Die bezauberndste Seite von der romantischen Wildnis unsers Lago war ganz treu hier zu sehen; vom Glanz der untergehenden Sonne blitzten Fels und See und schimmerte das Laub der Bäume. Äußerst kühn gewagt! Die Madonna war eine holde Jungfrau, die ihr erstes Kind in Armen hält und der Geschichte davon in entzückender Grazie nachdenkt; ein Kopf ganz aus der Natur, nur erhöht und ins reine gebracht, von unaussprechlicher Wirkung auf jeden fühlenden Menschen. Auch der Bube, so recht in Liebe erzeugt, trug die Spuren der vollen Wonne seines Werdens in der Gestalt; er hielt sich mit dem einen Händchen an der rechten halb entblößten Brust unter dem rötlichten Gewand an, und lächelte von der offnen straff geschwellten jugendlichen linken ab mit seinem blonden Köpfchen in die schöne Natur. Das braune Haar der Madonna war in ein rötlicht gestreiftes Netz gebunden, wovon noch einige Locken ins Gesicht und die Backen fielen; der blaue Mantel zerflossen, und die Beine und zarten Füße ruhten in reizender Lage. Beider Augen, besonders der Madonna, blicken heiter schön, in Empfindung schwimmend. In den Zweigen des Ahorns schweben Engel wie junge Liebesgötter; abwärts weidet der Esel, und Joseph steht auf seinen Stab gelehnt, wie ein alter treuer Wärter, der sein Anvertrautes glücklich aus der Gefahr über die Grenze gebracht hat. Form und Ausdruck und Kolorit in allen Teilen des Lebendigen, Bekleidung und Beleuchtung und Szene macht eine süße Harmonie zusammen. Das Gemälde war groß, und die Figuren im Vordergrunde an die zwei Drittel in Lebensgröße; jedoch ging ihm die Arbeit geschwind vonstatten, weil er die Studien zur Madonna und dem Kleinen mitgebracht hatte und nur zum Joseph und den Engeln einen Alten und Kinder aus der Nachbarschaft brauchte. Meine Mutter konnte sich darüber nicht satt freuen und gewann ihn immer lieber. Inzwischen bemerkt ich doch bei seinem fröhlichen und traulichen Wesen eine leidenschaftliche Hastigkeit an ihm und etwas Verborgnes in seinen Gesichtszügen, auch fiel mir endlich sein Ausbleiben auf. Er sagte zwar: »Ich bin ein Herumschweifer und kann nicht wohl an einer Stelle bleiben«; aber er nahm mich doch zu selten mit sich. Ich wollte wissen, was in ihm vorging; und dies klärte sich denn auf einmal in einer stillen Mitternacht auf, wo alle Winde schwiegen und kein Laut sich regte. Wir saßen am kühlsten Platz unsers Gartens auf einer Anhöhe, in einer Laube von Lorbeer und Myrtengesträuch, von einem alten Hain grüner Eichen umfaßt; und hatten oft die Gläser ausgeleert, und gesungen und gesprochen; viel vom Menschen und den Begebenheiten der Welt, jugendlich, erfahren und unerfahren. Mein Herz stand offen; und ich entdeckt ihm auf die letzt meine kleine Liebesgeschichten, womit ich hier den Lauf nicht unterbrechen will; gestand ihm aber, daß ich noch nicht alles fände, was ich verlangte. »Du wirst mir guten Unterricht geben können«, fügt ich hinzu; »denn nach deinen Studien in der Malerei und Leibes- und Seelentugenden mußt du schon ein Held unter Amors Fahne sein.« Er antwortete hierauf: »Ich spreche nicht gern von diesen Dingen; denn sie machen alle Menschen neidig, Freund und Feind. Aber weil du einmal angefangen hast, so will ich auch dir bekennen. Doch vorher den Todesbund ewiger Freundschaft feierlicher vom neuen; wir kennen uns nun vollkommen.« Hier zog er einen Dolch hervor, streifte sich den linken Arm auf, stach hinein und ließ das Blut in den Becher rinnen; überreichte mir den Dolch: und ich tat, wie von einer furchtbaren Macht ergriffen, voll Glut und Rührung dasselbe. »Wie unser beider Blut hier im Weine vermischt ist«, rief er aus, »und in unser Leben sich ergeußt: so sollen unsre Herzen und Seelen auf dieser Welt zusammenhalten; dies schwören wir dir, Natur! und deiner Gottheit! Wer scheidet, fall in Elend und Verderben.« Wir tranken, umschlangen uns fester und inniger, stillten darauf die Wunden, und der eine verband mit lächelndem Ernst den andern. Dies geschehen und aus dem Taumel uns wieder gefaßt und in Ordnung, fing er an: »Das herrliche Geschöpf, das ich liebe, bekränz als Priesterin unsern Bund! Cäcilia ist ihr Name, von der Heiligen, der himmlischen Musik, entlehnt. O du dort oben, walte über uns! Auch unser Fest ist Saitenspiel und Gesang; und sind wir nicht so fromm als du, wozu nur Auserwählte gelangen: so ist doch unsre Liebe heilig; denn sie ist ganz Natur und hat mit bürgerlichem Wesen nichts zu schaffen. Diese Cäcilia wohnt eine Stunde von hier, ist einzige Tochter bei zwei Brüdern, ihr Vater leider der große C***, und soll sich in kurzer Frist mit dem reichen Mark Anton vermählen; welches du schon alles weißt.« Ich blieb hierbei stumm vor Erstaunen und hörte mit beiden Ohren. »Wir wurden durch einen bloßen Zufall näher bekannt«, fuhr er fort; »denn schon vorher hatte ich sie als den schönsten weiblichen Kopf in Venedig einigemal in Kirchen auf den Raub abgezeichnet und ein paarmal in Gesellschaft gesehen. Nie aber wollt es mir gelingen, in ihrem Hause Zutritt zu erhalten oder sie allein zu sprechen. Dieses geschah endlich beim Schlusse des letzten Karnevals, auf dem Markusplatz, in einer Ecke an der neuerbauten Kirche San Zeminiano, als es Nacht werden wollte. Ich trug schier eine Maske wie einer ihrer Brüder; sie sah mich im Getümmel für denselben an, ging auf mich zu, faßte mich bei der Hand und flisterte mir etwas freudig ins Ohr. Ob ich sie festhielt und wie, kannst du denken; ich hatte sie schon auf den Platz hereinkommen sehen, auch war ihr lieblich Gesicht wenig verhüllt. Männer und Weiber, die sie begleiteten, mochten ebenfalls im Irrtume wie sie sein; denn sie ließen uns beisammen, gaukelten auf dem bunten Welttheater im kleinen ihre Mummereien fort und hatten keinen Argwohn. Ich gebrauchte die schnelle Gelegenheit, so gut mir möglich war. Sie mußte mich auch mit einem Blick erkennen können: unsre Augen hatten sich schon oft mit Seele begegnet. Ich verlangte zu wissen, ob ich etwas über sie vermöchte; hob ein wenig meine Maske vom Gesicht: und sie wollte sich, errötend von den ründlichen Wangen bis an den schneeweißen Hals, zurückziehen; allein ich hielt das warme Händchen fest. Ich blickte rasch umher, und sie desgleichen; wir wurden in der Dämmerung nicht beobachtet, und ein Possenreißer hatte überdies aller Augen auf sich gezogen; und sagte ihr: aber wie kann ich genau die Worte wiederholen! daß ich sie liebte, anbetete; daß ich verschwiegen wäre wie ein Stein, eine Mauer, mich der geringsten Gunst nie rühmen würde; mich ihr in allem unterwerfen wollte, allen meinen Verstand zu unserm Vorteil anwenden wollte; wir seien füreinander geschaffen, und das Verhältnis mit andern Menschen solle uns nicht trennen. Alles dies und mehr ging aus meinem Munde wie ein Lauffeuer, leis, aber mächtig ihr ins Ohr. Sie trat fort und hielt ein, zuckte mit der Hand und überließ sie wieder den heißen Wallungen meiner Liebespulse. Endlich riß sie sich los, sagte mir aber mit einer schüchternen gebrochnen Stimme die Honigworte, die wie eiskühlend und brennendsüß erquickend Labsal durch Mark und Gebein rannen: ›Morgen früh zu Santi Giovanni e Paolo.‹ Ich schwand von ihr weg wie der Blitz, zur ersten Probe meiner Aufführung: und schlief die ganze Nacht nicht, war so wach und lebendig, als ob ich nie geschlafen hätte und nie wieder schlafen würde, durchaus Feuer und geistig Toben. Was hab ich da nicht für Plane gemacht! Ich hielt schon lange vor der Zeit Wacht um die Kirche; und wie sie aufging, war ich der erste drinnen. Ich wartete und wartete und verging vor Ungeduld; so langweilig war mir das Meßlesen der Priester noch nicht vorgekommen. Wie es allzu lange währte, so ließ ich mir den Vorhang von dem göttlichen Tizian wegziehen, wo Peter, der Märtyrer, von einem Räuber erschlagen wird, sein Gefährte flüchtet und ein paar reizende Buben als Engel auf die Bäume der herrlichen Landschaft herabschweben. – Welch ein Meisterstück! Die Szene schon äußerst lebendig; welche Lokalfarben haben nicht die schlanken Stämme der hohen Kastanienbäume! wie verliert sich das Land in ferne blaue Felsen! der Mörder voll räuberischem Wesen in Gestalt und Stellung und jeder Gebärde bis auf Kleidung und Kolorit! der Heilige hat ganz das Entsetzen eines Überfallnen und eines guten weichen Mannes, der sein Leben banditenmäßig verliert: auf seinem Gesichte ist die Blässe der Todesangst; und mit welcher Natur in der Lage ist er niedergeworfen! der, welcher flieht, ebenso täuschend in allen Teilen. Die drei Figuren machen einen vortrefflichen Kontrast in Stellung, Charakter und Kolorit und den Gewändern von Mönchs- und Räubertracht. Welch ein trefflicher Ton im ganzen, und wie schön hält es die Beleuchtung zusammen! Dies half etwas, aber wenig, ich hatte keine Ruhe. Endlich erschien sie doch, und armer Tizian, wie fielst du weg! O alle Kunst, neige dich vor der Natur! Sie zog zur Pforte herein, den Kopf in eure Tracht versteckt, wie im dünnen Gewölk aufgehende Sonne; vor ihrem Glanz verschwand alles oder bekam Ansehen, Wesen, lenkte sich zu einem Ganzen. Sie kam mit ihrer Mutter. Beide knieten erst vor dem Altare nieder, wo Messe gelesen werden sollte; und setzten sich hernach, sie mit abgeworfener Hülle vom Haupte. Im Knien blickte sie einigemal gen Himmel und seufzte; ich bemerkte alles. Sie wurde mich hernach im Sitzen gleich gewahr und maß mich mit einer Engelschönheit, ruhig dem Anschein nach, vom Wirbel bis zur Zehe, in tiefem Nachdenken. Was für Seele aus ihrem weitgewölbten schwarzen Auge blickte, ist nicht zu sagen; und um ihre Lippen regten sich bange Gefühle, die jedoch in Lächeln übergingen. Ach, daß ich nicht gleich mit ihr sprechen durfte! Ich saß nicht weit von ihr rechter Hand, schräg auf der Seite, und verwandte, soviel ich unbemerkt sein konnte, kein Auge. Sie las hernach in ihrem Buche, und nahm ein Zeichen heraus, und deutete mir mit einem Winke darauf. Die Messe war vorbei, und man ging auseinander; ich folgte ihr auf dem Fuße. Bei der Kirchtür hatt ich im Gedränge, mit der feinsten Wendung, die Karte unvermerkt in der Hand. Ich konnte nicht geschwind genug in einen Winkel kommen und lesen. ›Zwei Stunden nach Mitternacht an der Tür auf die Straße hinter dem Kanale.‹ Weiter stand nichts darauf, und es war genug. Nur dies und sie empfand und dacht ich den ganzen Tag. Gegen Abend ging ich schon dort einigemal auf und ab, und wußte alle Türen und Fenster und Gelegenheiten auswendig. Ich versah mich alsdenn auf allen Fall in meinem Quartiere mit Gewehr; meinen Gondelfahrer hatt ich ohnedies schon vorher immer bei der Hand. Nach Mitternacht macht ich mich auf den Platz bei Maria Formosa. Wie wurde mir die Zeit so lang! Die Hoffnung hob mich vom Boden weg durch alle Himmel: die Natur hingegen wollte gar nicht fort; Orion, Adler, Schwan und Wagen schienen mich zum besten zu haben, ich hätte sie gern himmelab aus Ungeduld mit den Händen gerückt und sprang oft närrisch in die Höhe, sie zu erreichen. Endlich schlug die letzte Viertelstunde, und ich eilte an den bestimmten Ort. Alles war still auf den Wegen, und ich lief über die Brücken weg, und wartete in einer Ecke nahe bei der Tür, in meinen Mantel eingehüllt, lauter Ohr und Auge. Ich war kaum da, so ging sie schon auf. Ich machte mich herbei und vernahm die leisen Worte: ›Herein!‹; ich schlüpfte durch und war im Dunkeln. ›Die Schuh aus!‹ flisterte sie, ›mir die Treppe herauf nach!‹ Und sachte, sachte, Hand in entzückend zarter, warmer, festhaltender Hand tappten wir in ein Zimmer auf den Kanal; und wieder zugeschoben mit dem Riegel wurde die Pforte des Himmels. Cäcilia war in einem leichten Nachtgewande, den Kopf entblößt und das lange Haar nur in einen Knoten gebunden, das weich in den Seiten mir in die Finger fiel. Ich hielt sie umschlungen und raubte den ersten Kuß, der wie ein süßer Blitz mein Wesen durchfuhr; und sie sagte seufzend: ›O was wag ich nicht, Euch näher kennenzulernen! Ich weiß, daß Ihr ein Florentiner seid und hier die Malerei treibt, aber daß dies Eure Bestimmung nicht ist, sondern Nebenbeschäftigung, und Euer Ziel im verborgnen höher steckt. Eine Freundin Eurer Tante und von mir, die Euch als eine andre zärtliche Mutter wohlwill und durch jene Euch Eure Wechsel auszahlt, hat es mir unter dem Siegel des Stillschweigens anvertraut. Eure edle schöne Gestalt und Jugend und, es muß nun von meinen Lippen! ein unwiderstehlicher Zug im Innern, den ich noch bei keinem Sterblichen fühlte, haben mich dazu verleitet.‹ ›Verlaßt euch in Geheimnissen auf Weiber,‹ dacht ich, ›wenigstens, die sie nicht selbst betreffen!‹ und geriet in ein Labyrinth. ›Ein andermal von unsern Umständen‹, erwidert ich. ›O daß ich dich endlich habe, du Stolz von Venedig und Zierde der Welt! Laß uns jetzt ganz allein sein und die vorübereilenden Augenblicke genießen in junger feuriger Liebe, o du Seele meiner Seele, Geist und Licht meines Lebens!‹ Hier hob ich sie mit Macht in meine Arme und trug sie unüberwindlich so auf einen Sofa, der in der Ecke am Fenster stand. ›Unglücklicher,‹ sagte sie, ›was willst du beginnen?‹ und stieß mir mit allen Kräften das Gesicht von ihrer Brust. ›Dies ist kein falsches Sträuben! Ein einziger Ruf von mir, den meine Brüder hören, und du bist des Todes und ich im Hause auf immer elend!‹ Dies war in einem so festen sichern Tone gesagt wie ein Schwertschlag die Schulter herein, daß ich nachlassen mußte; ich wurde wie voneinandergerissen, als das himmlische warmlebendige Geschöpf meinen Armen entwich. ›Nicht so heftig, holder Verwegner! So war es nicht gemeint!‹ fing sie nach einer kleinen Pause an und streichelte mir die Backen, die Sirene. Ganz außer mir, ergriff ich sie wieder mit Gewalt vom neuen. Hier aber geriet sie in bittern Zorn und riß mich mit den Haaren von sich: ›Glaube nicht,‹ sagte sie, ›daß ich ein Kind bin, das nicht weiß, was es tut, und mit sich anfangen läßt, was ein wütender Mensch will!‹ Ich konnte nichts dagegen aufbringen, und Unmöglichkeit, Liebe und Bewunderung machten, daß ich meine Leidenschaften bändigte. Wir setzten uns denn. Ich war auf dem stürmischen Meere, herumgewühlt von tausend Wogen. Sonderbare Szene! Sie schlang hernach ihren rechten Arm um meinen Nacken und ich meinen linken um ihre Lenden, und die zwei andern Hände schlossen sich in ihrem Schoße zusammen; vor uns stand auf einem Tischchen ein Nachtlicht. Ach, wie sie blühte! ein voller Rosenbusch im Mai am frischen Morgen im neuen Glanze des Himmels und den Chören der Nachtigallen herum. Ihre jungen festen Brüste kochten und wallten, und im Netz ihrer verwirrten blonden Haare zappelte meine arme Seele wie ein gefangner Vogel. Ich flog ihr mit flehendem Gesicht an Busen und klagte schmachtend: ›Was hast du mit mir vor, Zauberin?‹ ›Liebe! Sei ohne Sorge!‹ antwortete sie darauf; ›sonst würd ich nicht getan haben, was ich tat; süße Traulichkeit, wo ihrer zwei sich das Leben froh machen, die füreinander geschaffen sind.‹ Uns verging die Sprache, und wir saßen lang, eine schmerzlich entzückende Stille, in heißer Empfindung aneinandergegossen. Mir rollten endlich unaufhaltbare Tränen übers Gesicht von dem wütenden Kampf im Innern. ›O ich sehe, daß du liebst‹, sagte sie und hob mir das Gesicht in die Höhe, das ich knieend wie ein Kind in ihrem Schoße verbarg, nachdem ich ihr wenig Worte von meinen Schicksalen erzählt hatte, nahm mich auf und küßte mir zärtlich, am ganzen Leibe zitternd, die Augen und das bloße Herz, wovon sie das Hemde wegriß. ›Nun geh fort‹, sagte sie; ›wir können jetzt nicht reden und nicht länger bleiben. Versprich, bescheidner zu sein, und komme heut über acht Tage wieder früh nach Santi Giovanni e Paolo; wenn ich dir ein Zeichen gebe: so sind wir dieselbe Stunde in der Nacht ebenso beisammen.‹ Mir war selbst zu wohl und weh im Herzen, und sie brachte mich unter brennenden Küssen und glühenden Umarmungen leise wieder von sich. Dies war die erste Zusammenkunft. Morgen, Benedikt, das übrige, wenn wir wieder dazu gestimmt sind«, sagte hier Ardinghello. Wir machten uns alsdenn berauscht auf unsre Zimmer. »O Freundschaft und Liebe,« rief er, nach dem Wunsche, gut zu schlafen, »was ist ohne dich die Welt! Ein Haufen Unsinn für alle Philosophen.« Was Ardinghello gesagt hatte und die Vorbereitung dazu, machte mich äußerst unruhig; mein Gesichtskreis war zwar erweitert: verlor sich aber in undurchdringlichen Nebel, und mich schreckte die Zukunft. Seine Leidenschaften kümmerten mich. Jedoch verließ ich mich wieder auf seinen hellen Geist und sein edel Herz; und schwur ihm vom neuen bei mir ewige Treue und ihn überall, wo Not an Mann ging, zu unterstützen. Er sollte mir auf der Stelle forterzählen, aber er wollte nicht und sagte: »Wir haben ja dazu genug Zeit und Muße; mein Kopf ist zu sehr im Taumel.« Den Tag darauf bekamen wir Besuch; und wer war es? Es war der Bräutigam der Cäcilia mit ihren Brüdern, die ihm bis Verona entgegenritten, welcher ein kleines Geschäft abmachen wollte. Sie selbst war einigemal mit ihrer Mutter bei uns gewesen, und ich hatte nichts gemerkt: so sehr konnten sie sich verstellen. Er gestand mir zwar damals ein, der Schalk, daß sie die schönste weibliche Gestalt wäre, die er je gesehen hätte, was Gesicht und Wuchs und Hand und Fuß beträfe; wenn das Verborgne dem Äußerlichen gleichkäme, so wüßte er nicht, ob die griechische Venus zu Florenz noch das Wunder bliebe; und bedauerte, daß so etwas ungenützt für die Kunst vergehen sollte. Allein eben am Verborgnen habe Phryne so sehr die andern Mädchen übertroffen; vollkommne Bildung an diesen Teilen, der Reife nahe, ohne Überfluß und Magerkeit, die zarten häufigen und doch festen Schwingungen des Lebens in den reinsten Formen mit aller reizenden Mannigfaltigkeit zur größten harmonischen Einheit durch keine Kleidung und Stubenluft verdorben, immer in gehöriger Munterkeit und Bewegung erhalten, von hohem und heiligem und wollüstigem Geist beseelt, ein wenig Überfülle, wo sie sein müsse, üppige sanfte Wölbung und wieder straffer Umriß sei äußerst selten und ein Wunder in der Natur, und man könn es immer, wenn man es fände, als das Allergöttlichste auf diesem Erdenrund betrachten. Es fiel mir nun freilich ein, daß sie höher glühte, wenn er von fern im Schatten die Laute spielte oder mit seiner verführerischen Stimme zur Zither sang; und sie selbst war es, was er bei mir schilderte. Ihr jüngster Bruder – sie war das letzte Kind – konnt ihn gleichwohl leiden. Sie besahen sein Gemälde und machten ihm darüber große Lobsprüche; nur der Bräutigam, eine kalte Staatsperücke von widrigem Gesichte, tadelte ihm einiges ohne rechten Verstand, um nach dem gewöhnlichen Kniffe der Großen sich damit ein Ansehen zu geben, welches Ardinghello jedoch gefällig aufnahm, indem er sich damit entschuldigte, daß die Malerei sehr schwer und selten einer in allen Teilen nur erträglich wäre; und rühmte dabei seine große Einsicht. Dies gefiel ihm denn; und er fragte ihn wie einen jungen Malergesellen, ob er ihn und seine Braut abkonterfeien wolle. Ardinghello verbeugte sich und erwiderte, daß ihm dies großen Ruhm zuwege bringen würde, wenn es nach Wunsch gelänge. Jener beschloß, ihn abrufen zu lassen, sobald es sich schickte. Darauf ritten sie fort, nachdem sie ohngefähr ein paar Stunden angehalten hatten. Den Abend blieben wir bei meiner Mutter. Sie freute sich über den Beifall für sein Gemälde und daß er durch diese Gelegenheit, besonders wenn noch die Porträte gefielen, in dem neuen Palaste des Bräutigams viel Arbeit bekommen könne. Geld sei da genug; und dies brauchten die Maler. Die gute Frau war fern, etwas weiter zu mutmaßen; aber Ardinghello stellte sich auch so fromm an. Wir mußten bis spät in die Nacht bei ihr aushalten; und er erzählte, um die Zeit auszufüllen, einige rührende Märchen. Wir machten noch vor Schlafengehen aus, den andern Morgen auf dem See ins Gebirg hinein zu schiffen und zum Mittagsmahl das Gehörige mitzunehmen; ich brannte vor Verlangen, mehr und alles von ihm zu erfahren. Die Vögel begrüßten vielstimmig den neuen Tag. Die Sonne kam herauf im herrlichen Lichtkreis am Ende der Bergstrecke des Monte Baldo und schritt kühn übers Gebirg bei Verona im gelben Feuer; die Stirn, womit sie sich emporwarf, war Majestät, die der Blick nicht aushielt; und je voller sie hereintrat: desto öfter mußte sich das geblendete Auge von dem göttlichen Glanze wegwenden, der doch so entzückend nach der blinden Dunkelheit war, daß es immer durstiger sich in den köstlichen Strahlen berauschte. Breit lag der See da im Morgenduft und die Hügel im dünnen Nebel; ein leises Wehen in der Mitte kräuselte die Wellen, und weckte seine Schönheit wie auf, und machte sie lebendig. Die Häuserchen zwischen den Bäumen am Ufer schienen allein zu schlummern mit ihrer Unbeweglichkeit und weil die Menschen noch nicht heraus waren. Unser Nachen wallte leicht mit voll geschwelltem Segel über die nassen Pfade. Es war ein heiter Wetter zu Anfang Oktobers und einer meiner unvergeßlichen Tage. Sirmio lag lieblich da in Strahlen und sonnte sich; und die unabsehliche Kette der Felsen dahinter, wie eine neue Welt, als ob sie bestimmt wäre, lauter Titanen zu tragen. Süßer rötlicher Dunst bekleidete glänzend den östlichen Himmel, und die wollichten Wölkchen schwebten still um den lichten Raum des Äthers, worin entzückt in hohen Flügen die Alpenadler hingen. Der See ist würklich einer der schönsten, die ich gesehen habe, so reizend sind dessen Ufer und zugleich majestätisch und wild, mit soviel Abwechslung von Lokalfarben; und Licht und Schatten macht immer neue Szenen. Die Halbinsel Sirmio liegt in der Tat da wie der Sitz einer Kalypso, um von da aus das Land zu beherrschen, und hat das prächtige Theater von ungeheuren Gebirgen vor sich. Wir kamen bei guter Zeit am bestimmten Ort an und machten uns noch in der Kühle den Berg hinauf. Als wir die erste Anhöhe erstiegen hatten, lagerten wir uns in dem Wäldchen von Kastanien unten an den Quell der mit Efeu bekleideten Felsenwand ins weiche Gras, von hohen dunkeln Eichen und Buchen hier umschattet, nachdem wir erst unsre Weinflaschen an den frischesten Platz gestellt, gerade wo der Sprung hervorstrudelte. Dem Schiffer sagten wir, er sollte vor Sonnenuntergang uns wieder abholen; und so blieben wir allein. Wir ruhten vom Aufsteigen aus und streckten uns die Länge lang auf die bequemsten Fleckchen; noch niedrig beim Aufgehen hatte schon die Sonne durch die Stämme den Tau weggeküßt, und es war nun alles trocken. Wir genossen vom neuen das Labsal des letzten Schlummers, als wir so früh aus den Betten mußten; und die einzelnen Lichtstrahlen zitterten süß von oben schräg durch die bewegten Zweige auf unsre Augenlider und schimmerten in die Dämmerung. »O Sonn und Erde,« rief endlich Ardinghello, »wie gut macht ihr's euern Kindern, wenn sie sich selbst das Leben nicht verbitterten!« und sprang auf. Auch ich rastete nicht länger: der frische Duft der fortrieselnden Quelle machte den ganzen Körper doppelt rege. Ich nahm ihn in Arm und ging mit ihm auf und nieder durch die Bäume und sagte: »Das ist doch nicht fein, da wir so lange beisammen sind und ich dich liebe wie mein ander Ich, daß du mir noch nichts von deinen Lebensumständen bekannt gemacht hast und immer damit hinter dem Berge hieltest! Sooft die Rede auf deine Familie kam, bogst du davon aus, als ob du aus dem Kraute gewachsen wärest; was Cäcilien betrifft, laß ich's noch angehen, und deine Entschuldigung wäre bei jedem andern gut gewesen.« »Lieber!« versetzte er darauf, »mein Schutzgeist hat mich davon abgehalten. Ich glaube, daß jeder Mensch einen Dämon hat, der ihm sagt, was er tun soll, und daß Sokrates nicht einen allein hatte; wenn wir nur dessen Stimme hören und uns nicht übereilen wollten! In jedem Menschen wohnt ein Gott; und wer sein inner Gefühl geläutert hat, vernimmt ohne Wort und Zeichen dessen Orakelsprüche, erkennt seinen eignen höhern Ursprung, sein Gebiet über die Natur und ist nichts untertan. Ich stamme aus einem der guten Häuser von Florenz: mein Vater war Astorre Frescobaldi und meine Mutter Maria von der verfolgten Familie der Albizi! Beide sind nicht mehr, und ich bin allein noch übrig, ihr erstes und letztes Kind. Mein Vater entbrannte in Leidenschaft für Isabellen, die dritte Tochter des Cosmus, vermählt mit dem Römer Paul Orsini: und sie gab ihm leicht Gehör; er war noch jung, wohlgebildet und hatte tausend Reize, sie zu fesseln. Sie wurde gleichfalls gegen ihn entzündet; und in Abwesenheit ihres Mannes, der von ihr wie geschieden lebte und sich meistens zu Rom aufhielt, hatten sie erwünschte Gelegenheit, ihr Liebesspiel zu treiben. So gebar sie denn zwei Töchter, von welchen wenigstens die erste meine natürliche Schwester ist. Sie hat sich hernach vielen preisgegeben und mag wohl selbst nicht wissen, mit wem sie die übrigen Kinder erzeugte; jung und schön über alle Weiber, voll Witz und Geist und Leben, und so durch Erziehung gebildet, daß sie Spanisch, Französisch und sogar Lateinisch spricht, verschiedne Instrumente spielt, wie eine Sirene singt, und Verse macht, oft aus dem Stegreif, herrschte sie am Hofe wie eine Göttin und tat, was sie wollte. Noch jetzt übt sie Gewalt aus, obgleich der Zepter ihres Vaters ihr nun entwandt ist.8 Ihre Liebhaber verfolgten sich einer den andern, und wie die Sonne strahlte die Mutwillige, ungestört vom Krieg der Elemente um sie herum; immer mit neuen Vergnügungen beschäftigt, ließ sie ihre Geliebtesten im Elend verderben und machte sich darüber keine Sorge. Ein göttlich schönes Ding bloß für die Gegenwart! ein Feuer, das alles aufzehrt, was sich ihm nähert. Mein Vater wurde das erste Opfer; der Herzog ließ ihn gefangensetzen. Er machte sich los und flüchtete nach Venedig und von dort in die Levante. Man zog seine Güter ein, unter Vorwand von Verschwörung und Staatsverbrechen; meine Mutter starb darüber für Gram. Mich nahm meine Tante Lucrezia zu sich. O guter Freund, du weißt noch nicht, was ein kluger Tyrann tun kann! von fern sieht die Tigerkatze schön aus, wegen ihrer Stärke und Behendigkeit. Wenn Cosmus ein zweiter Augustus ist in Unterjochung der Freiheit und Wollust gegen seine Landestöchter und in seinen Julien: so ist er noch viel grausamer als sein Urbild. Durch ein bloßes Ohngefähr hab ich die beste Erziehung erhalten. Als Knabe folgt ich meistens meinem Hange, und wurde hernach bei dem gestörten Hausfrieden durch die Leidenschaft meines Vaters gegen Isabellen wenig mit vorgesetzten Lehrmeistern geplagt. Ich ging mit Kindern von allerlei Klassen um, und die fähigsten waren meine Spielgesellen; ich suchte sie zu übertreffen im Laufen und Ringen und Schwimmen im Arno und in listigen Streichen. Ich habe freilich manche Beule im Balgen und Fallen davongetragen, bin aber davon weder ein Krüppel geworden noch gestorben. Mein Vater, ein mutiger tapfrer Mann, nahm mich im ersten zarten Alter einigemal mit zur See, wo er als Befehlshaber der Galeeren die Küsten gegen die Korsaren bestrich: und die reinen großen ewigen Gegenstände erfüllten hier meine ganze Seele und erregten mächtig alle Triebe zum Freien und Edlen. Wie ich zum Jüngling heranwuchs, hatten die bildenden Künste und höhern Leibesübungen den größten Reiz für mich, und nächst diesen griechische und römische Sprache und die Geschichte dieser hohen Völker; auch hierin wollt ich jeden übertreffen, und Glück und Gestalt und Wesen führte mich zu den besten Meistern. In der Zeichnung und Malerei kam ich auf die letzt unter die Hände des Georg Vasari, der zwar nie ein schöpferisches Werk hervorgebracht hat, aber voll Kenntnis und Geschmack war, bei allen seinen Vorurteilen. Der alte Schwätzer blies wie ein Boreas mit vollen Backen in meinen Enthusiasmus. Mein Vater, dessen Augapfel ich war, ließ mir zwar nach seiner Jovialität und nach Georgens Verheißungen, daß ich ein Licht werden würde, alles zu verdunkeln, freien Willen: doch bracht er mich noch kurz vor seiner Gefangenschaft und Flucht zu verschiednen philosophischen Köpfen, in deren Umgang ich nach und nach mich zu einer andern Richtung lenkte. Meine erste Neigung behielt aber immer die Oberhand. Ich glaube, die Hauptregel bei der Erziehung sei, den Kindern Zeit zu lassen, sich selbst zu bilden. Das beste, was man tun kann, ist, daß man die Triebe schärft und reizt, ein vortrefflicher Mensch zu werden, und ihnen die eigne Arbeit soviel wie möglich dabei erleichtert. Alle Natur, wenn sie groß und herrlich werden soll, muß freie Luft haben. Freilich muß der Stoff dazu in den Urkräften liegen, und ein guter Erzieher sollte doch einigermaßen die Vortrefflichkeit der Pflanzen kennen. Jeder gewaltige Geist wirft schon in der Kindheit, obgleich noch im Chaos und Nebel, helle Strahlen von sich. Alkibiades legt sich als spielender Knabe Wagen und Ochsen in den Weg, zwingt den Treiber, zu halten; Scipio erkannte den künftigen Marius im jungen Soldaten. Ein einziger Gedanke, nur eine Tat, von scharfem tiefen Gefühl oder vielfacher Überlegung entsprossen, obgleich noch roh auf verschiednen Seiten, ist eine glückliche Vorbedeutung; und so Schnelligkeit, zu fassen und zu behalten: hingegen Allgehorsam und Fraubasengutartigkeit, so beliebt bei Pedanten, eine unglückliche; denn da ist kein Mut und keine Kraft. Alles, was in die jungen Seelen eingetrichtert wird, was sie nicht aus eigner Lust und Liebe halten, haftet nicht und ist vergebliche Schulmeisterei. Was ein Kind nicht mit seinen Sinnen begreift, wovon es keinen Zweck ahndet, zu seinem eigenen Nutzen und Vergnügen: das verfliegt wie Spreu im Winde. So ist die Natur des Lebendigen vom Baum und Gras an, und der Mensch macht davon keine Ausnahme. Jeder geh in sein Leben zurück und sehe, ob etwas von allen dem Vorzeitigen geblieben ist, wo nicht etwa bloß zum Verderb des Genusses. Viel Natur und wenig Bücher, mehr Erfahrung als Gelerntes hat die wahren vortrefflichen Menschen in jedem Stand hervorgebracht. Ein Kind muß erst den Boden kennenlernen, worauf es geboren ist, Gewächse, Tiere und Menschen, eh es etwas Ausländisches fassen kann: sonst kömmt ein Papagei heraus. ›Keine Schrift,‹ sagt Plato mit Recht, ›und wäre sie von dem echtesten Trismegist, gibt mehr als Erinnerung der Dinge, die man schon kennt‹, und ist für den, der sie nicht kennt, ebenso unbedeutend als die Hieroglyphen für die Römer auf ihren prächtigen Obelisken. Von der sinnlichen Natur aber geht man hernach über in die Geisterwelt, und macht in Entzücken Bekanntschaft mit den großen Griechen und Römern und allen außerordentlichen Wesen, die diese Nacht erleuchten. »Als mein Vater einige Jahre weg war,« fuhr er fort, »bekam ich eine solche Sehnsucht nach ihm, daß ich nicht länger bleiben konnte. Ich fühlte die Ungerechtigkeit des Großherzogs wegen seiner buhlerischen Tochter erst recht lebendig, sah meine eigne Gefahr und machte mich ohngeachtet der Vorstellungen meiner Tante auf und reiste ihm nach, ohne zu wissen, wo er sich eigentlich aufhielt. Ich ging unter anderm Namen nach Venedig, um dort, während ich ihn auskundschaftete, die Werke Tizians zu studieren und vom Paul Veronese und Tintorett zu lernen; und meine Tante schickte mir von meinem Mütterlichen, soviel ich brauchte. Paul gewann mich bald lieb, so wie der Greis Tizian, den ich in seinen letzten Tagen oft mit Singen und Spielen ergötzte; und sie weihten mich in verschiednen von ihren Geheimnissen ein, weil sie Auge bei mir fanden. Es war mir nun lieb, daß ich außer meinem eignen Vergnügen noch etwas gelernt hatte, womit ich mich auf allen Fall durch die Welt schlagen konnte. Den Herbst vor meiner Bekanntschaft mit dir erfuhr ich endlich, daß mein Vater zu Kandia als Hauptmann in Diensten eurer Republik stünde, unter dem General Malatesta, einem Florentiner, dessen Sohn Cosmus in den Armen seines Vaters dort umbringen ließ, weil er mit seiner ersten Tochter Maria zu tun hatte, die er deswegen selbst, der kalte Barbar ohne Eingeweide, mit Gift hinrichtete. Ich war schon zur Abreise fertig und wartete nur auf ein Schiff zur Abfahrt, als meine Tante mir die neue traurige Nachricht meldete, daß auch er durch Meuchelmörder, eben wie der junge Malatesta, längst, noch vor dem Kriege mit den Türken, das Leben eingebüßt habe. Dies traf mich wie ein Wetterschlag; ich schwur in meinem Herzen hohe Rache und kochte lauter Galle. Noch bis jetzt kann ich nichts ausrichten, wenn ich mein junges Blut nicht für ein altes ausgemergeltes auf der Stelle hingeben will: aber das Verderben reift über ihren Häuptern.« Dem Edlen standen hier die Tränen in den Augen, er warf sich nieder an die Quelle, mit dem Gesicht auf dem Boden; sein Inneres war beklommen; er schwieg und knirschte mit den Zähnen. Ich faßte ihn bei der Hand und redt ihm zu: »Mich jammert dein Schicksal, und du hast recht, zu zürnen. Aber die Welt ist voll von Unglücklichern! und du kannst noch stolz sein; wo sind diejenigen, die soviel Leben in ihrem Innern haben wie du, um alles zu bekämpfen? Freude und Leid umtanzt und umringt wechselsweise jeden Menschen, und hierin ist kein Unterschied zwischen König und Knecht.« »O ihr Venezianer«, fuhr er auf, »und ihr Genueser habt gut reden! Euch hat kein Haus, wie uns das Mediceische, so niederträchtig zugrunde gerichtet, und ihr strahlt frohlockend in Osten und Westen von Italien wie das Zwillingsgestirn am Himmel; Toskana, die alte Glorie von Welschland, liegt da in Schmutz und Trauerkleidern, mit Ketten behangen von seinen eignen Söhnen.« Unser Gespräch ging dann auf die Geschichte dieser Staaten über, das hier zu weitläuftig wäre und außer meinem Kreise. Es war schon gegen Mittag, und der Dunst vom Sonnenbrand auf den Gegenden benahm alle Aussicht; unten schien der See zu kochen und eine ungeheure Feuerpfanne von geschmolznem Silber; Eidechsen, Käfer, Mücken und unzählbare Insekten hielten in der Glut ein allgemeines Fest, und die Grillen betäubten mit ihrem Gezirp wie ein Meerbrausen die Ohren: wir machten uns also an unsere Quelle in die grüne kühle Nacht, wo die undurchdringlichen Eichen und Buchengewölbe und Felsen mächtiglich vor der Hitze Dampf beschirmten. Wir stärkten uns mit Speise, und der frische Purpursaft der Traube weckte unbezwinglich die Freude wieder in jeder Nerve. Wie ein paar junge Götter lagen wir da im Schatten, und unsre Augen und Lippen lächelten vom vergangnen Kummer wie die Blumen des Frühlings von süßem Abendtau. O Jugend, o glückselige Jugend, ach, warum verlässest du uns so bald! Wir schwiegen und überließen uns der neuen Wonne; und plätscherten, denn wir hatten Roch und Strümpfe ausgezogen, mit den Händen und Füßen in dem klaren Wasser, das ungern in die Wärme hinausrann, um über Klippen zu schäumen. Jeder von uns ahndete so das Gefühl seiner Laufbahn. Nachdem wir lange in Genuß und Empfindung gelegen hatten, und mit den Wellen und Kieseln gespielt, und Kräutern und jungen Sprossen, brach ich zuerst das Stillschweigen und fragte leise: »Und Cäcilia?«  »Ach, Cäcilia«, erwidert' er hastig, »ist für mich verloren; ein schwarzer Unhold entführt sie mir. Selige Augenblicke, wo an mir alles Irdische sich bei ihr zu Geist erhöhte, ich vor mir selbst verschwand, in einem Meer untergetaucht von unsterblicher Reinheit und Klarheit! Die Arme dauert mich; aber da ist keine Rettung, wo ein Gott nicht hilft. Das goldne Geschöpf hat über mich vermocht, was ich nie glaubte. Unsre nächtlichen Zusammenkünfte in Venedig waren leider selten, und wir sahen uns einander nur bei größter Sicherheit. Noch während dieser Zeit warb mancher um sie, so wie schon viele vorher um sie geworben hatten; besonders der junge Bartholommeo F** mit einer völligen verliebten Raserei, übrigens ein Mann nicht ohne treffliche Eigenschaften, wie du weißt, nur von geringem Vermögen: aber keine Partie war ihren Eltern und Brüdern gut genug, und keiner von den Helden ergriff ihr Herz. Mir gab sie nach und nach alles preis, Seel und Leib, nur die letzte Gunst ward mir vorbehalten; ihr Entschluß hierin war stahlfest und unwankbar: weder Beredtsamkeit noch Gewalt und die feinste Verschlagenheit konnt etwas ausrichten. Sie hat mir gute Proben abgelegt, daß ein Weib vor der Verführung sicher sein kann, wenn es nicht verführt sein will. Du magst immer darüber lächeln; aber sie hat es geleistet. Ich sehe dich in Gedanken fragen, was wir zusammen taten. Was Adam und Eva, lieber Freund, ehe sie aus dem Paradiese verstoßen wurden. Wir lebten im Stande der Unschuld nach und nach; freilich ging dies auf einmal aus der bürgerlichen Welt nicht, wo alles seine sündliche Blöße doppelt und dreifach bedeckt. Wir offenbarten uns so wie von Angesicht zu Angesicht unser Innres. Du kannst mich immer zu dieser Zeit einen holden einfältigen Schäferknaben nennen: aber ohne solche Vorbereitung gelangst du nie bis in den achten und neunten Himmel; nur höchstens auf die grüne Wiese, wo, wie man sagt, diejenigen hinkommen, die weder selig noch verdammt sind. Wer alle Himmel durchwandert hat und in jedem genossen und gelitten zum Aufflug in den höhern: darf von dem Reiche der Liebe reden. Glaube nicht, daß ich hier wie Petrarca schwärme; dieser war ein armer Sünder und hing nur am Schein, nie an der Wirklichkeit; er hat mit seinem Geächz und Jammer schier unsre ganze Poesie zugrunde gerichtet. Die Toren seufzten ihm jahrhundertelang nach, und mancher besang bei einer feilen Dirne die Grausamkeit der berühmten Provenzalin in unerträglichem Einerlei, anstatt die verschiednen Reize der Erdentöchter in ihrer Mannigfaltigkeit wie die heitern Griechen aufzuempfinden. Er selbst zwang die kluge Frau zur unerbittlichen Strenge: sie schwebte ja in augenscheinlicher Gefahr, daß er bei der ersten Gunst noch einen Band Sonette und berühmtere Oden auf etwas anders als ihre schönen Augen machte. An Planen von Entführung und ewiger Verbindung wurde von uns im Anfange stark gearbeitet; aber weil wir keine Luftgestalten waren und Sinn hatten, und sie auf keine Weise von ihrer Familie lassen wollte, die sie allzu zärtlich liebte, und besonders ihre Mutter totzukränken befürchtete: legten sie sich bei näherer Bekanntschaft nach und nach. Wir sahen die mißlichen Folgen bei den großen Hindernissen zu deutlich, und erkannten inzwischen innig, daß die Natur unter allem bürgerlichen Verhältnis bei Menschen von reiner Empfindung und klarem Begriff immer durchgeh, trotz allen Gesetzen. Sie richten sich zwar im Äußerlichen nach der Ordnung des großen Haufens: betreiben aber in geheim ihre eigne Art von Glückseligkeit, ohne welche kein Leben Wert hat. So verstrichen denn die himmlischen Tage, und wir ließen die Götter walten. Eben im Frühling nach geschloßnem Frieden kam endlich Mark Anton G*** aus Griechenland dahergestürmt mit neuem Gold und Schätzen. Sein Weib und seine zwei kleinen Kinder, Töchter, waren dort an der Pest gestorben; und die heißen Strahlen, die Cäciliens Schönheit von sich warf, schienen während der ersten Besuche bei ihren Eltern gerade den Reiz zu haben zu andern Erben für sein Vermögen. Gleich einige Wochen nach seiner Ankunft hielt er um sie an: und sie ward ihm versprochen und mußte drein willigen; ob er gleich schon in die Vierzig, sie erst mannbar ist und ihn nicht leiden kann; aber er hat seine großen Besitzungen bei seiner Statthalterschaft in Kandia noch reichlich vermehrt mit Grausamkeiten und Erpressungen, und Unterschleifen in Verhandlungen mit den Türken, steht in großem Ansehn; und ihre Familie, obgleich bemittelt, bedarf doch wegen ihrer Brüder einer solchen Verwandtschaft. Unser Liebesknoten schlang sich dadurch nur fester; jedoch drohte das nahe Hagelwetter in der Ferne die Blumen aller unsrer Freuden zu zerschlagen. Mein Aufenthalt diesen Sommer hier am Lago in kurzen Lustreisen von Venedig aus war schon beschlossen, eh ich mit dir bekannt wurde; und dein Antrag, mit dir zu ziehen, setzte mich anfangs in Verlegenheit: allein ich wußte nun der Sache keinen bessern Rat. Auch Cäcilia, die äußerst besorgt ist, wurde furchtsam darüber; doch ist alles insoweit nach Wunsch abgelaufen. Hier kamen wir weit öftrer zusammen. Sie hat ihre Wohnung auf dem Gut in dem Garten, gerade vor einer Pflanzschule von jungen Bäumen, nicht weit von einem Brunnen mit einem weiten Marmorbecken, von hohen Ahornen umgeben, wo man sehr bequem über die Mauer klettert. Sie kann von der Seite zu einer Tür herein; und überdies ist ein Fenster in ihr Zimmer wegen des Lattenwerks für die Reben daran leicht zu ersteigen; welches ich aber doch, aus Furcht, gesehen zu werden, nur einigemal die letzten Nächte, wo es völlig dunkel war und weder Mond noch Stern leuchtete, um die Umschweife zu ersparen, gewagt habe: und ich erstieg immer damit alle neun Himmel; mit der Nachricht von der Ankunft des Bräutigams zur Hochzeit erobert ich endlich, ach, unter wieviel Schmeicheleien, beredten Bitten, heißen Wollustküssen und Gewalttätigkeiten! das heilige Palladium, umrungen von Glanz und Feuer, jede Fiber süße Wut.« Ardinghello hatte sich bei den letzten Reden von mir abgewandt, und hielt nun sein Gesicht in den frischen klaren Quell hinein, um die Glut davon abzukühlen. Wir machten uns vom neuen über die Flaschen her, und ich gab ihm den Rat, weder sie noch ihn zu malen, und lieber sich zu rechter Zeit zu entfernen; die Sache käme mir allzu gefährlich vor. »Flieh du,« antwortete er, »wenn du keinen Willen hast und dir die Füße gebunden sind! Ja, fliehen möcht ich, aber mit ihr; jedoch wohin?« Schon senkte sich der Tag, und der Abend rückte näher; wir erstiegen noch die Höhen und übersahen weit die Lombardei und ihre Lustreviere. Beim Heruntergehen nahmen wir einige Zeichnungen von reizenden Winkeln und Aussichten ab, fanden alsdenn unsern Steuermann auf uns warten, verließen Quell und Wäldchen und den leichten erhebenden Äther: wandelten wieder in die Tiefe und segelten unter dem lieblichen Zauberspiel von Abendröte nach Hause, zwischen den Gesängen frohlockender Winzer über den Segen des Herbstes. Ardinghello wagte noch dieselbe Nacht eine Zusammenkunft mit Cäcilien. Sie hielten Rat, und es wurde beschlossen, daß er die Porträte malen sollte, indem es anstößig sein würde und sogar Verdacht erregen könnte, wenn er es nicht täte. Übrigens verließen sie sich auf ihre Gegenwart des Geistes und Verstellungsgabe und nahmen deswegen die sichersten Maßregeln. Den dritten Tag darauf holt' ihn auch ihr jüngrer Bruder dazu ab, und er begleitete ihn mit allem Zugehörigen; der Bräutigam wollte ihr Ebenbild noch vom Stand ihrer Jungfräulichkeit. Sie hätte gar nicht nötig gehabt, ihm zu sitzen; aber er zauderte mit Fleiß und schien auf nichts achtzugeben, als die eigensten und bedeutendsten Züge von ihr recht zu fassen. Er bat sie, so ganz bloß als unbekannter Maler, sie möchte sich nur völlig frei ihrem Wesen überlassen und tun wie sonst in der Gesellschaft oder als ob sie allein wäre; er müsse von selbst aus den mancherlei Bewegungen ihrer Seele auf der Oberfläche des Körpers ihren Charakter abnehmen und seine Phantasie das Ganze bilden. Ein gutes Porträt sei platterdings keine bloße Abschrift, und es gehöre dazu das tiefste Studium des Menschen, wovon er noch leider weit entfernt, wozu er auch zu jung wäre; aber er wolle nach Vermögen das Seinige tun. Ihre Mutter war immer dabei zugegen, und der Bräutigam und einige von seinen und ihren Verwandten gingen auf und ab. Cäcilia war sehr aufgeräumt, sprach und scherzte und hatte die Malerei zum besten; schien zwar dem holden Jüngling in seiner Beschäftigung gern zuzusehen, warf sogar unverstellte Blicke auf ihn, wie man auf Schönheit wirft, aber alles wie fremd und zum ersten Mal; und ihre Worte hatten immer etwas von dem vornehmern Ton gegen einen, den man für seine Arbeit bezahlt. Die erste Sitzung geschah des Nachmittags gegen Abend. Nach wenig Umriß und Zeichnung fing er sogleich am Kopf an zu malen. Sie saß den andern Morgen beim Frühstück noch einmal; und dann wollt er sie nicht weiter plagen, außer bei der Vollendung, um hier und da nachzuhelfen. Den Nachmittag und ganzen dritten Tag und vierten Morgen bracht er damit fast allein zu: und siehe da! sie kam heraus wie völlig lebendig. Alt und jung bewunderten die erstaunliche Gleichheit. Er hatte sie in einem leichten sömmerlichen Morgenanzuge vorgestellt, meist von grüner Seide, worunter die vollkommnen Formen ihrer jugendlichen Glieder reizend aufwallten und durchleuchteten. Sie stand in Lebensgröße, nachdenkend, wie gerührt, in die Zukunft blickend, den Kopf in der Linken auf einen Pult gestützt, in einem Zimmer, wo durch ein ganz offnes Fenster die Aussicht auf den See ging, an welchem Sirmio in der Nähe und ein wenig blaue Ferne von den Gebirgen wohl angebracht waren. Ardinghello hatte im Gesichte schon Züge von ihrem Charakter ausgespähet, die sich nachher erst entwickelten. Den fünften Nachmittag gab er sich an den Bräutigam. Nach den ersten Umrissen gestand er ihm gleich, daß ihm sein Kopf sehr schwer vorkomme und daß er noch keine rechte Idee von der ursprünglichen Einheit seines Charakters in der Einbildung habe. Mit allen großen Männern müss' ein Künstler lange leben, um nur eine von ihren bedeutendsten Außenseiten in täuschender Wahrheit fest zu haschen; und überhaupt sei es schier unmöglich, irgend jemand sicher darzustellen, den man nicht an Geist und Kraft gewissermaßen übertreffe. Es ging hierbei im Mark Anton eine gewaltige Veränderung vor, und er errötete und wurde wieder blaß augenscheinlich, so daß er aufstehen und ans Fenster gehen und Ardinghello einhalten mußte. Dieser faßte darauf all sein Bewußtsein zusammen, und jener kam nach einer langen Pause wieder und setzte sich. Ardinghello zeichnete vom neuen, und ihre Blicke begegneten sich einander wunderbar: die des Ardinghello hell und durchdringend, doch von aufgewühltem Herzen, flammten in die seinigen wie in eine düstre Nacht voll Irrfeuer. Mark Anton fragte ihn endlich, ob er sich schon lange in Venedig und der Gegend aufhalte. Ardinghello antwortete mit Besinnung: »Es ist noch nicht lange; die Werke des Tizian und Paul von Verona und Tintorett haben mich dahin gezogen; und auch am Johann Bellini ist noch zu studieren und andern; besonders aber an der herrlichen Menschenart zum Kolorit.« »Seid Ihr aus Florenz selbst?« verfolgte er ferner. »Ja«, war die Antwort. »Und Euer Vater?« »Mein Vater ist tot, und meine Mutter ist tot, ich ohne Geschwister bin allein übrig.« »Wer war er, was trieb er?« Diese Frage machte Ardinghellon endlich ungeduldig, er schnickte den Pinsel aus und antwortete: »Er war ein Schwertfeger und machte gute Klingen.« Bei diesen Worten trat Cäcilia herein und hemmte das Gespräch; denn sie waren vorher ganz allein. »Nun, geht's gut?« fragte sie lächelnd. »Es würde besser gehen,« antwortete Ardinghello, »wenn ich das Glück gehabt hätte, Ihro Exzellenz länger zu kennen.« »An mir ist nicht soviel gelegen«, erwiderte der Bräutigam; »wißt Ihr was, laßt es für jetzt gut mit mir sein und macht die Signora vollends fertig. Wir werden näher bekannt werden, und künftigen Winter einmal ist's bessere Zeit.« »Wie Sie befehlen«, versetzte Ardinghello und rückte die Staffelei weg. »O nein,« sprach heftig Cäcilia, »im Winter gibt's lauter Nebel und Regen und keine gute Luft zum Malen!« »Nun gut,« sagte der Bräutigam, »da kann es ja noch nach unsrer Vermählung hier geschehen. Jetzt bin ich ohnedies zu sehr beschäftigt; und kann nicht so ruhig sein wie Sie, mein Herz.«  Sie nahm ihn bei der Hand, und sah ihn zärtlich an, und führte ihn fort. Ardinghello gab seiner Zeichnung einen Nasenstüber, brachte die Sachen in Ordnung, und ging darauf von ihrem Gut, und kam zu mir nach Hause. Er erzählte mir, was vorgegangen sei: und mir wurde darüber warm im Kopfe. Ich konnte nicht anders glauben, als Mark Anton habe Lunte gerochen; und warnte und beschwur ihn mit Bitten inständig, äußerst auf seiner Hut zu sein und für jetzt sich ganz stille zu halten. Er aber meinte, seine Art, rot und blaß zu werden, müsse von etwas anderm herrühren als Eifersucht; soviel er sich selbst fühle und an andern beobachtet habe, offenbare sich dieselbe auf eine andre Weise. Jedoch sei wahr, daß die Grundverschiedenheit der Menschen hierin sonderbare Abweichungen mache. Inzwischen hätt er sich noch nirgend so betrogen, wenn dies Eifersucht sein solle; auch reime sich dies nicht zu seinem übrigen Charakter, wie er ihn aus Hörensagen und den wenigen Augenblicken kenne. Daß er auf seiner Hut sein würde, dafür brauch ich nicht zu sorgen; aber ein Feiger nur flieh alle Gefahr. Man müsse standhalten, mit unerschrocknem Mut, solange das Verderben nicht unüberwindlich einbräche; dies allein rette und beglücke den Mann. Sein Verdacht ging' auf etwas anders; und ein wahrsagerischer Geist geb ihm ein, der Statthalter von Kandia sei bei Ermordung seines Vaters nicht ganz außer Spiele gewesen und die Ähnlichkeit seiner Gestalt ihm aufgeschossen. Mir fiel heiß hierbei ein, daß Mark Anton, vor seiner Statthalterschaft von der Republik abgeschickt, einige Zeit zu Florenz gestanden und mit dem Großherzog auf einem so guten Fuß umgegangen sei, daß er seinen schwierigen Auftrag glücklich ausgeführt habe; ich schwieg jedoch hiervon stille, um nicht Öl ins Feuer zu gießen, und sagte im Gegenteil: dies käme mir nicht wahrscheinlich vor, er solle sich deswegen nichts in Kopf setzen. Den folgenden Morgen bracht er das Bild dahin, daß es im Rahmen konnte aufgespannt werden; und bekam für seine Arbeit von Cäcilien selbst einen schönen goldnen Ring mit einem kostbaren Rubin zum Geschenk, der gerad an den Herzensfinger seiner linken Hand paßte. Dies gefiel ihm denn; und er freute sich und lachte darüber, wie die Dinge dieser Welt so sonderbar untereinander laufen. Am dritten Tag hierauf sollte das Beilager gehalten werden; alle Anstalten dazu waren schon gemacht und die Nachbarschaft zu einem festlichen Ball eingeladen. Ardinghello ging inzwischen tiefsinnig herum, aß wenig und trank viel, und konnt es nicht länger verbergen, daß er vom Stempel der Liebe mächtig gezeichnet war; er mied alle Gesellschaft. Morgens, abends und des Nachts kam er nie auf sein Zimmer und schlief nur des Mittags. Ich hatte mit dem Armen Mitleiden: aber da war nicht zu raten; er hörte wie ein Meersturm. Die ersten Stunden der Nacht am Tage vor der Hochzeit trat er auf einmal plötzlich hastig auf mein Zimmer, blaß und fürchterlich; ich schrieb eben an einem Briefe. Wie ich ihn aber so erscheinen sah, fiel mir die Feder aus der Hand, und ich sprang auf: »Was gibt's, was hast du?«  »Mein Argwohn war nur zu gut gegründet; höre!« sprach er und ging mit mir zum äußersten Ende von der Tür weg. »Du kennst den schönen einsamen Platz, wo die großen babylonischen Weiden vom hohen Felsengestad herunter nach dem See hangen und das Ganze zu einer stillen melancholischen Vertiefung sich einschließt: dahin war die letzte Zeit immer mein liebster Spaziergang; schon vorher sind wir dort beisammen gewesen. Auch diesen Abend ging ich dahin und nahm ein Instrument mit. Es fing an zu dämmern, als ich noch auf der entblößten Wurzel der vordersten Weide nach dem Tale zu saß und meine Leiden sang. Der Inhalt von meinem Liede war: ›Ach, mein Vater tot, meine Mutter tot, meines Lebens Lust in fremder Gewalt! Ist dies nicht, ein junges Herz zu brechen? Saitenspiel, klag's mit mir!‹ Und bei den Worten, nach dem Blick und der Empfindung: ›Flisterst du Lüftchen in den Blättern mir Trost zu?‹, kam's über mich, als ob ich meinen Vater vor mir und mir winken sähe. ›Warum erscheinst du, was verlangst du von mir?‹ rief ich und sprang auf. Zugleich erblickt ich nicht weit von mir einen Kerl mit dem Messer in der Hand, welcher alsbald davonging mit diesen Worten: ›Flieh, junger Mensch, du dauerst mich, ich sollte dich ermorden! Flieh, so geschwind du kannst, so weit dich deine Beine tragen, und meide den Mark Anton. Schon wurde durch ihn dein Vater umgebracht. Meide das Gebiet des Großherzogs.‹ Mir wurde dabei das Herz im Leibe umgekehrt; aber ich besann mich doch nicht lange, sondern riß meine Pistole hervor (er ging auf seinen Wegen nie ohne Gewehr aus) und jagte ihm von der Seite eine Kugel durch die Brust, daß er auf der Stelle stürzte. ›Stirb, Elender, für deine Schlechtigkeit in der Schlechtigkeit, und bereite das Quartier deinem Patron in der Unterwelt!‹ vernahm er noch die Antwort. Darauf gab ich ihm noch einen sichern Stoß mit seinem eignen Messer und wälzte den Körper in die Dornen und das Gesträuch hinein, den Felsen hinunter. Niemand war schon längst mehr auf dem Felde und es schon finster; und der Ort ist überhaupt, wie du weißt, völlig abgelegen. Den Kerl erkannt ich noch, wie ich ihn näher besah; ich habe vor kurzem in einem Wirtshause zum Zeitvertreib mit ihm a la Mora gespielt und ihm nicht allein seinen Verlust geschenkt, sondern die Zeche obendrein bezahlt.« Dies entsetzte mich; ich sah die gräßlichen Folgen bei seiner kühnen Entschlossenheit voraus und wußte nichts zu antworten als: »Es ist ungeheuer!« »Du sollst nichts dabei zu tun und nichts dabei zu verantworten haben«, fuhr er fort; »nur beschwör ich dich beim Himmel und deinem letzten Tropfen Liebe zu mir, laß mich's ausführen, einen häßlichen politischen Meuchelmörder mehr aus der Welt zu schaffen. O Vernunft, breit allen deinen heitern Äther in meinem Verstand aus, daß ich kalt genug zu Werke schreite! Wenn er morgen auf der Hochzeit mit dir von mir sprechen sollte, so sage nur, du habest mich die letztern Tage nicht gesehen, ich streiche so oft im Lande herum und suche Schönheit in Gegenden und unter Menschen; und gib im übrigen auf alles acht, was vorgeht, besonders auf dem Ball in der Nacht.« Ich war betäubt von allen diesen Dingen und wußte mir nicht zu helfen. Es war da kein Rat, als entweder ihn oder den andern aufzuopfern; und vor dem ersten Gedanken schauderte meine Seele wie vor ihrem Nichtsein; den königlichen Jüngling vom rächerischen Arm der Natur bewaffnet, voll innerm Gehalt, der überall hervorstrahlt: oder den mißgeschaffnen Boshaften, der das Vortrefflichste aus kleinlicher Leidenschaft und elendem Interesse wegtilgt? Es fand weder Wahl noch ein ander Mittel statt. Ich gab ihm nach der Überlegung zur Antwort: »Du sollst mich als deinen Freund erkennen; an deinem Mut und deiner Klugheit im übrigen darf ich nicht zweifeln. Jedoch bedenke vorher, was du tust und daß dein Leben selbst dabei in äußerster Gefahr ist.« »Was soll mir ein Leben, das Sklaverei duldet und Unrecht leidet?« erwiderte er, »schändliches Unrecht! und das grausamste! O ich weiß, daß das ewig lebt, was in mir lebt, und daß dies keine Gewalt zugrunde richtet. Ich war, was ich bin, und werd es sein: ein edler Geist, den sein göttlich Urwesen durch alle Zeiten von der Drangsal niedriger Verbindungen immer bald erlösen wird. O wären viele wie ich! der Tyrannei unter unserm Geschlecht sollte bald weniger sein. Aber da fürchten sie sich vor dem Wörtchen Tod und glauben, sie wären das, was da kalt und bleich und starr ausgestreckt auf dem Brette liegt, da es nur das Gespenst der eigentlichen Unterwelt ist, das ihre niedrigre Gattung von Wesen nach seinen jämmerlichen Bedürfnissen herumfoltert, und alle reine Seele mit Apostelstimme den verachtet, der keinen Mut hat, zu sterben und sich von dem Elend frei zu machen.« Mich dünkte, einen Gott reden zu hören: so stolz und groß stand der Mensch vor mir; ich mußte ihn an mein Herz drücken. Allein der mißlichste Punkt bei der Sache war Cäcilia; dies machte ihm am meisten zu schaffen, und er überlegte auf allen Seiten. Er glaubte, daß es endlich auch hier gehen würde, und sei der Gewalt sicher, die er über ihren Willen habe! sie selbst ins Spiel verflochten, und der außerordentlichen Biegsamkeit ihres Geistes und ihren andern Fähigkeiten die Rolle nicht zu schwer. Er müsse das Äußerste wagen, sie diese Nacht noch zu sprechen: es wäre notwendig, daß sie sich vorher darauf bereite. Übrigens sahen wir immer klärer in dem, was vorgegangen war. Mark Anton stieg nicht aus bloßer Höflichkeit bei seiner letzten Ankunft an unserm Haus ab, da er es bei den vorigen Besuchen nicht tat, die er bei seiner Braut ablegte; der Großherzog mochte Wind bekommen haben, wie der junge Frescobaldi heranwüchse und daß kein bloßer Maler in ihm stecke, weswegen ihn der Adel zu Florenz gewissermaßen verachtete, und wollte beizeiten der gefährlichen Brut den Nacken brechen. Der Mörder des Vaters hatte denselben in Venedig ausgekundschaftet und sein eigen bös Gewissen dazu angetrieben. Das andre ergab sich von selbst; er ließ ihn bei sich malen, um ihn genauer kennenzulernen und ob er wirklich gefährlich wäre; und Ardinghello beschleunigte mit den ohne alles Arg gesagten Worten: ›er war ein Schwertfeger und machte gute Klingen‹, die ihm vielleicht der Zorn des Himmels eingab, dem Verbrecher das Todesurteil anzukündigen, seinen Untergang, wenn es nicht anders verhängt gewesen wäre. Der Ursprung dieser Begebenheiten war uns aber damals unbekannt, und Ardinghello erfuhr ihn erst, als er wieder nach Florenz kam. Mark Anton verliebte sich dort gleichfalls in Isabellen und bracht es so weit mit seinem Geld und seiner ihr neuen gefälligen venezianischen Mundart, daß auch ihm, der Seltenheit wegen, eine Zusammenkunft versprochen wurde. Allein statt des gehofften Vergnügens fand er durch geheime Veranstaltung des Vaters von Ardinghello in ihrem Zimmer eine alte magre Ziege angebunden; und schlich wieder davon, als ob er nicht dagewesen wäre. Lächerlich dadurch bei ihr gemacht, hatte die ganze Liebesgeschicht ein Ende. Mark Anton nahm dies zwar nicht wie einen lustigen Streich bei dergleichen Laufbahnen auf die leichte Achsel; doch konnt er sich sogleich nicht rächen und ließ die Sache lieber im verborgnen. Der Großherzog, in der Folge davon benachrichtiget, gebrauchte ihn hernach, als ein Mann, der seine Leute kannte, zu seinen Absichten. Ardinghello, noch Knabe, bekümmerte sich nicht um solche Dinge. So entstehen immer die wichtigsten Folgen aus Kleinigkeiten. Ich ging darauf zu meiner Mutter, und er schloß sich auf sein Zimmer. Um Mitternacht schlich er heraus und stieg in Cäciliens Garten. Sie hatten sich gleich im Anfang ihrer Liebe Zeichen für Augen und Ohren erfunden, die kein andrer Mensch verstand und die ohne allen Verdacht waren. Sie vernahm ihn und erschrak: diese Zeit über sollte keine Zusammenkunft mehr gehalten werden; und besann sich, ob sie kommen oder nicht kommen wollte. Als er aber darauf das Zeichen gab, wo alles mußte gewagt werden; denn auch dies hatten sie, im Fall, wo sie sich die höchste Gefahr entdecken mußten: so ging sie zitternd nach der Tür, und ihr sanken die Knie ein. »Cäcilia,« sprach er zu ihr, wie sie im verborgensten Buschwerk an der Mauer beisammen waren, »ich bin verloren, wenn ich deinem Bräutigam nicht zuvorkomme«; und erzählte ihr die Begebenheit den Abend mit dem Banditen und alles in wenig Worten, was sie noch nicht wußte. »Morgen nachts, wo nur immer möglich, schaff ich ihn aus der Welt, und ich hoff, es soll bei dem festlichen Geräusche nicht an Gelegenheit fehlen, wenn du nicht lieber mich willst hingerichtet sehen.« Jedes Wort war ihr ein Donnerschlag. »O welch ein Sturm wälzt sich über mich her!« rief sie aus, entsetzt, nach langer Betäubung; »schon tauml ich mitten in den erzürnten Wogen, von Abgründen zu Abgründen geworfen, und alle Winde rasen. Ach, wär ich mit dir aus dem Schiffbruch auf einer wüsten unbewohnten Insel nur! Aber wir gehen unter in den wilden Fluten.« »Mir sagt's mein Herz,« erwidert' er darauf, »daß wir glücklich der Gefahr entkommen. Habe Mut, himmlisch Wesen! Der Wellen Ungestüm verletzt kein Gestirn; es tritt desto glänzender bald wieder auf und strahlt in ewiger Klarheit. Niemand weiß von unsrer Liebe (der Edle wollte seinen Freund auf alle Weise außer Gefahr setzen). Niemand weiß von dem schändlichen Vorhaben des Mark Anton gegen mich; sein Spion und Mörder meines Vaters modert schon zwischen Klippen und Dornen: solche Dinge vertraut man nicht, außer gegen wen man muß. Der Großherzog ist noch weit von hier, mich soll er so leicht nicht in die Schlinge bekommen. Schlage mich aus dem Sinn die kurze Zeit des Getümmels, und tu, als ob du von mir nichts wüßtest: und du bist sicher. Über mich waltet die Vorsicht: sonst wär ich dem Tod nicht entgangen, und sie hätte mir meinen Pfad nicht gezeigt.« »O wie kann ich dich, Geliebter, einen Augenblick vergessen? Wie kannst du vergessen meine Seligkeit und mein Leiden?« fiel sie ihm mit Tränen an seine hochklopfende Brust; fuhr aber bald hastig auf und ergriff ihn, zurückstoßend, klammernd bei der Hand: »Fort von hier, über Berg und Tal, laß mich! O hätt ich dich nie gesehen, o ich Unglückselige! Ich beschwöre dich bei aller unsrer Wonne, bei deiner und meiner Liebe,« stürzte sie sich ihm zu Füßen und umwand seine Knie: »überwältige dich meinetwegen, der Ruhe meiner Familie wegen, verschiebe wenigstens die Rache! Mich fesselt das grausame Schicksal mit eisernen Ketten an mein Elend, und ich kann ihm nicht entrinnen: du aber geh in ein ander Land, sei glücklich bei allen deinen Vollkommenheiten, und laß mich. O Gott,« schluchzte sie, »wer weiß, wenn und wie und wo und ob wir je uns wieder sehen!« Ardinghello umwand sie fest mit seinen Armen und träufelt' ihr mit der Stimme des lebendigsten Gefühls ins Ohr: »Welche sklavische Furcht hat sich deiner bemeistert! Komme wieder zu dir, und rede mit Besinnung. Es siege die Liebe, die in der Natur allem andern vorging, und die Gerechtigkeit! Hast du keinen Blick in die Tage der Zukunft? Einem solchen bösartigen Ungeheuer wolltest du an der Seite liegen und deine glänzende Wohlgestalt von ihm schänden lassen, in lauter Gram und Ekel, da die edelsten Jünglinge voll Eifer und Feuer vor dir schmachten? Hat dies so mächtig wallende Herz in deinem Busen so wenig eigne Kraft, daß es nichts für sich tut, sondern seine angebornsten Regungen nach andrer Willen umlenkt? O Cäcilia, erhabnes Wesen, erkenne deinen Wert! Zu deinem eignen Wohl und weil ich dich kannte, vertraut ich dir das Geheimnis. Soll ich den Schlechten verklagen, ihn zu einem Zweikampf herausfordern? Wie albern! Warten in der äußersten Gefahr? Wie töricht! Ihn gehen lassen, dulden, leiden, schweigen und mich davonmachen? O ich wäre nicht wert, dich an meine Seele zu fassen, nicht wert, auf diesem Boden zu atmen; tief, tief unter der Erde, der armseligste halb zertretenste Wurm müßt ich sein. Die Zeit ist edel, wir haben keine Worte zu verlieren; ich sage dir aus dem Buche des ewigen Verhängnisses: Mark Anton, der niederträchtige Meuchelmörder, muß sterben von meiner rächerischen Hand für alle seine Bosheiten; oder du mußt mich und dich dem Tod und der öffentlichen Schmach preisgeben. Es findet hier keine Wahl statt, und ich kenne dazu genug deinen hellen Geist und deine hohen Gefühle. Meinetwegen hab in jeder Rücksicht keine Sorge: für dich wird dein scharfsichtiges Auge leicht den Ausweg finden und deine Gewandtheit ohne Verletzung und Gefahr darüber weggleiten.« »Nun, so fürchte denn alles, unerbittliches Felsenherz!« versetzte sie ihm aufgebracht; »und wenn du sicher sein willst, so zücke den Stahl zuerst auf mich. O herbeigeführt durch die Lüfte, steh ich an dem Kessel eines feuerspeienden Gebirgs, Verderben rund um mich, und mir vergehen die Sinnen. O könnt ich mein unabsehliches Elend aller Unschuld zur Schau aufstellen und sie damit vor dem ersten Fehltritt warnen!«  Ardinghello konnt ihr nicht mehr antworten, so schnell riß sie sich von ihm fort nach ihrem Zimmer; doch drehte sie sich unterwegs noch einigemal um, kam aber, außer sich, nicht wieder zurück. Er sagte mir anfangs von dieser Unterredung nur so viel, daß sie ohngefähr den von ihm erwarteten Ausschlag genommen habe. Den andern Morgen in aller Frühe geschah die Trauung. Cäcilia erschien am Nachmittage, wo das Gelag war, reizender als je; Schlaflosigkeit und die beständige Überlegung dessen, was vorgehen sollte, hatte ihre Lebensgeister erhitzt und überzog ihr Gesicht mit der lieblichsten Schamröte. Ardinghello bereitete sich den Tag über auf die Tat: machte sich selbst auf den Notfall eine Maske, kämmte sein Haar anders, veränderte Hut und Kleidung, um einen Landmann der Gegend vorzustellen, und setzte sich in gute Verfassung zur Flucht auf jeden Fall. Meine Mutter und ich waren beim Feste. Eine zahlreiche Gesellschaft hatte sich eingefunden. Pracht und Überfluß, mit feiner Kunst angeordnet, herrschten an der Tafel und in Sälen und Zimmern Glanz und Freude. Die Braut schien in neuen Empfindungen verloren, antwortete aber doch leicht jedem Schalk, und immer in jungfräulicher Bescheidenheit; jedermann schien den Glücklichen zu beneiden, dessen Beute sie ward, und den Wunsch im Herzen zu hegen, mit süßer Gier im Liebesbette, statt seiner, der zarten Schönheit Blume zu pflücken. Gegen Abend erhob sich der Ball. Als die Kerzen brannten, vermißte man bald Braut und Bräutigam und lächelte darüber. Der Bräutigam kam nach langer Zeit zuerst wieder, und seine Unenthaltsamkeit und Enthaltsamkeit beklatschte ohne Scheu der Mutwill junger Männer. Doch hörte man zu seiner Entschuldigung von einer Stimme den frechen fescenninischen Scherz: der versuchte Ritter wird den Morgen schon bei hartem Sturm die Fahne auf die Festung gepflanzt haben. Er lachte, jedoch dünkte mich's nicht das Lächeln der Lust nach gepflogner Liebe, und winkte mit der Hand nach den Fenstern. Und sieh! Raketen stiegen auf in der Luft und kreuzten sich über dem See und zerknallten, in schönen Kreisen sinkend. Gleich hernach erschien auch die Braut wieder und wurde beglückwünscht von Müttern und Weibern, indes sie glühte wie eine Rose. Man führte sie an den Erker zum besten Platz, das Schauspiel anzusehen: und auf einmal rauschte die Girandola gen Himmel wie ein ungeheurer brennender Palmbaum. Darauf folgten mancherlei neue Feuerwerkskünste. Der Ort dazu war auf einem hohen felsichten Ufer des Sees nicht weit vom Palaste; der Bräutigam, welcher dergleichen verstand und es angeordnet hatte, lief hernach selbst hinunter, um die Leute, die es abbrannten, zum Eifer zu treiben, weil einigemal starke Pausen vorgingen: und gerad am Ende der Stiege wurd er vom Ardinghello an der Kehle fest gepackt und empfing den schärfsten mörderlichsten Dolchstich von unten auf ins Herz. Ardinghello sagt' ihm schleunig noch ins Ohr: »Bin der junge Frescobaldi! Deine Braut war meine Geliebte, die Frucht unsrer Liebe wird dein Vermögen erben statt dessen meines Vaters.«  Er lag da und regte sich nicht mehr: Ardinghello entwischte. Niemand bemerkte ihn, die Bedienten unten sperrten alle, weit von dem Palaste, Augen und Mäuler auf über das Feuerwerk und jubelten und lärmten; und oben plauderte man gleichfalls und betrachtete. Er lag da, solange das Feuerwerk dauerte. Wie es vorbei war und die Bedienten wieder hereinsprangen, erscholl auf einmal ein Zetergeschrei. Man drängte sich zu den Türen heraus: »Der Bräutigam ist ermordet!« lief plötzlich von einem Mund zum andern. Cäcilia rennte mit Geheul hervor, und wie sie deutlich vernahm: »unten an der Stiege mit einem Stoß in die Brust ermordet!« sank sie auf der Stelle nieder in Ohnmacht, und Arm' und Beine welkten, ihr Antlitz entfärbte sich, und der Kopf hing im Nacken. Man hob sie auf und brachte sie auf Sitze, und besprengte sie mit starken Wassern; es war ein allgemeines Gewühl und Lärmen. Der Tote ward unten in ein Zimmer gebracht; man zog die Kleider weg und besichtigte die Wunde: sie ging nett ins Herz, und da war an keine Hülfe mehr zu denken. Cäcilia kam wieder zu sich. »Was ist mir? wo bin ich?« sprach sie stöhnend mit verirrten Blicken. »Ach, tot, tot! Wer hat ihn umgebracht! o ich Unglückselige!« und so zerraufte sie sich die schönen blonden Locken, und riß die Kleidung vom Leibe, und wütete wie eine Bacchantin. Ich darf sagen, daß, bei Kummer und Sorge für Ardinghellon, mich doch dies entzückte. O ihr Weiber, welch ein Mann erreicht je eure Verstellung! Sie wollte mit Gewalt zu ihm, aber man hielt sie ab. »O Gott, welch ein Vermählungsfest!« schluchzte sie, und die Tränen stürzten ihr aus den Augen. Hätt ich aber alles gewußt, so würd ich tiefes Mitleiden mit ihr gehabt haben. Die Verwandten des Mark Anton, worunter eine verheuratete Schwester von ihm war, verstummten und machten allerlei Gesichter und wußten nicht, wo sie angreifen sollten: die Brüder und Eltern der Cäcilia verloren aber den Kopf nicht; und der älteste, auch schon verheuratet, ergriff sie bei der Hand und sagte zu ihr: »Fasse dich, was geschehen ist, kann man nicht ändern, und sei vernünftig, für dich ist jetzt ein kritischer Zeitpunkt! Sprich, und rede laut: hat Mark Anton schon wirklich seinen Bund in der Tat mit dir vollzogen oder nicht? Das andre soll hernach, soviel menschmöglich ist, aufs schärfste untersucht werden.« Sie warf den Kopf in die Arme und bedeckte die Augen, und sagte seufzend und weinend: »Ach, wär es nicht geschehen und ich noch, was ich war!« Die Schwester antwortete hierauf: »Wir sind hier auf einmal in sonderbare Umstände geraten und werden schwerlich so friedlich auseinandergehen können, als wir zusammengekommen sind.« »Damit Sie erkennen,« versetzte der Vater der Cäcilia, »daß wir nichts Unbilliges verlangen, soll meine Tochter gleich in sichre Verwahrung gebracht werden, und einige von Ihren Verwandten und meine Söhne mögen sie begleiten. Der Fall ist außerordentlich. Wir ergeben uns dann in den Ausspruch des hohen Rats. Inzwischen wollen wir alles aufs strengste ausfragen und untersuchen.«  Die Ältesten und Angesehensten von der Republik, die hier zugegen waren, versammelten sich gleich auf ein Zimmer allein und machten einen Kreis; die Verwandten blieben in der Nähe, die übrigen Gäste im Tanzsaal, und unten wurden die Türen gesperrt. Die Bedienten kamen erst einzeln nacheinander vor. Keiner wußt etwas, und man fand nirgendwo die geringste Spur. Der Gäste waren viel und mancherlei. Man hatte zwar auf ein paar derselben Argwohn, weil sie vor dem Ermordeten um Cäcilien warben und gegen denselben heimliche Feindschaft hegten, jedoch durfte man sie so bloß darauf öffentlich nicht antasten; man erkundigte sich nur sehr scharf unter der Hand, wo sie während der Tat sich befunden hätten. Sichre Personen legten gut Zeugnis für sie ab, daß sie in ihrer Gegenwart gewesen wären. Insoweit war also die Untersuchung vergeblich. Man schickte darauf Leute in die Gegend aus, um jeden Verdächtigen festzuhalten, welches man freilich eher hätte tun sollen: allein im ersten Aufruhr dachte niemand daran; und Ardinghello, einer der schnellsten Fußgänger, befand sich zu dieser Zeit schon in Sicherheit. Was Cäcilien betraf, konnte man nicht nach aller Strenge verfahren, da es der Wohlstand und das Ansehen ihrer Eltern und Brüder nicht zuließ, welche beide letztere bei dem Sieg über die türkische Flotte sich den Namen großer Helden erworben hatten; alle waren außerdem dem reizenden Geschöpf gewogen und keiner von Herzen dem Bräutigam. Mancher machte sich in Rücksicht ihrer Hoffnung, entweder sie ganz zu besitzen, nun eine der reichsten Partien von Venedig, noch unabgeweidet in frischer Blüte; oder doch auf irgendeine Gefälligkeit bei solcher Lage Rechnung. Wenn ein Mensch einmal tot ist, hört bald alle Gunst auf; und wer am Leben bleibt, hat immer das beste Spiel. Dies ist in der Natur der Dinge; einem Toten ist doch nicht mehr zu helfen, denken sie, und es kömmt dabei nichts heraus. So ging's zu Venedig, wohin Cäcilia sich noch dieselbe Nacht unter Begleitung ihrer Brüder und der Verwandten ihres Bräutigams, mit etlichen Personen vom Rat, auf den Weg machen mußte, bis ihre Schwangerschaft sich völlig offenbarte. Sie wurde zwar nach der Form gehörig bewacht und befragt: allein da man gar keine Angaben, nicht den geringsten Verdacht und sie einen Bartolus und Baldus in derselben Person zum Advokaten hatte, endlich freigesprochen; und sie selbst verstand meisterlich die Seelen zu fesseln und spielte durchaus ihre Rolle vortrefflich: in dem kurzen Umgange mit Ardinghellon hatten sich ihre seltne Naturgaben herrlich noch entwickelt und ausgebildet. Zu Anfang des neunten Monats darauf wurde sie, in Beisein gerichtlicher Zeugen, von einem gesunden kräftigen Sohn entbunden, welcher in der Taufe die Namen S. Marco Giovanni e Paolo empfing; und niemand wußte die geheime Bedeutung. Sie gelangte damit zum rechtlichen Besitz aller Güter Mark Antons, dem ihre Brüder ein prächtiges Grabmal von dem berühmtesten Bildhauer mit einer sinnreichen Inschrift von dem besten lateinischen Poeten besorgten, und trauerte lange und hielt sich eingezogen von allen Lustbarkeiten. Ardinghello hatte sich nach glücklich vollbrachter Tat durch Umwege schnell auf sein Zimmer gemacht und geschwind umgekleidet; er war sicher, von niemand bemerkt worden zu sein, und wollt im Freien unter der fremden Kleidung nicht länger bleiben. In unsre Wohnung konnt er nach Belieben herein und heraus, weil er den Schlüssel zu der einen Außentür von seinem Flügel hatte. Auch war ohnedies alles aus dem Palaste nach einem guten Platz zum Feuerwerk gelaufen, dem zauberischen Schauspiel über dem See. Inzwischen machte er sich doch behend auf jeden Fall gefaßt und lauerte nahe bei seinem Zimmer im Garten, bis ich mit meiner Mutter nach Hause kam und ihm das glückliche Zeichen gab; das Fest war gänzlich verstört, und ich hielt nur so lange aus, als es sich schickte, um nichts zu versäumen. Auf ihn fiel nicht der mindeste Verdacht, weder hier noch in Venedig. Dort wurde bei einigen jungen Herren strenge Nachforschung gehalten, die mit heftiger Leidenschaft vorher um Cäcilien warben; aber es kam nichts heraus, und die Ermordung blieb ein Rätsel. Zweiter Teil Ardinghello wollte nun nicht länger in der Gegend bleiben: die Sonne war hinweg, die ihn an sich zog und um die er sich herumbewegte; aber auch für jetzt nicht wieder nach Venedig. Und wenn sich dort die Sachen aufs glücklichste setzten, so sah sein Geist in der Zukunft Dinge, die ihn folterten. Süßigkeit vollführter Rache, Gram, von Cäcilien geschieden zu sein, Kummer ihretwegen und Sorge für seine eigne Sicherheit wechselten in seinem Herzen plötzlich auf und ab wie ein Aprilwetter. Sich länger aufzuhalten war gefährlich, weil man unter den Papieren Mark Antons vielleicht Aufträge von Cosmus finden konnte: und sich gleich aus dem Lande zu machen, schien verdächtig. Endlich entschloß er sich, nach Überlegung aller Umstände, noch einige Tage zu harren und inzwischen scharf auf seiner Hut zu sein. Es kam uns nicht wahrscheinlich vor, daß der Großherzog seinen und seines Vaters Tod schriftlich sollte verhandelt haben; und ein Vertrauter, wenn er auch noch da wäre, wie nicht zu vermuten, durfte bei Schlechtigkeiten von so üblem Erfolg keinen Lärm machen, zumal da er doch nicht sicher wäre und nur mutmaßen könnte. Ardinghello stellte sich aufgeräumter an als je; und wenn in Gesellschaft die Rede auf die Begebenheit kam, so schwieg er entweder oder pries Mark Antonen glücklich, daß er so gerad in voller Freude starb; und auch Cäcilien, daß sie so geschwind als möglich von dem harten Joche der Ehe sei ausgespannt worden. Wir fischten dann auf dem See, gingen auf die Jagd und lasen noch dabei zu guter Letzt die schönsten Oden im Pindar, der seine Seele vom neuen mit hohem Taumel schwellte und in etwas seinen Sinn von der Gegenwart wegwandt. Die Romanze aller Romanzen auf die Insel Rhodos besonders entzückte ihn so, daß er sie bald auswendig konnte. Seine Phantasie kam wieder ganz in das Götterreich der Poesie hinein, die Spiele griechischer Jugend rissen sein Herz dahin, süße Liebe und solche Taten pries er allein ein würdig Frühlingsleben; alle seine Kräfte tobten und wurden ungestüm: er wollte fort in die Welt, in Bewegung, auf eine neue Bühne, und war nicht mehr zu halten. Keine volle zwei Wochen nach Cäciliens Abreise brach er auf. Er schrieb vorher an seine Tante um einen Wechsel nach Genua; er gedachte von dort nach Frankreich zu schiffen und dadurch nach Spanien zu wandern, bis an die letzten Küsten von Portugal. Mir band er unterdessen Cäcilien aufs Herz und daß ich ihm von ihr bei jeder guten Gelegenheit Nachricht geben sollte. Sobald sie frei wäre, müßte vermittelt werden, daß wir alle drei zusammen eine Freundschaft ausmachten. Für unsre Heimlichkeiten bildeten wir uns eine jedem andern unergründliche Schrift und wollten bei den Hauptpunkten das Neugriechische gebrauchen. Seine Wiederkunft würde alsdenn von den fernern Umständen abhangen. Seine Reise nach Genua nahm er sich vor zu Fuße zu tun, und so sollt es sein Leben lang durch alle schöne Gegenden geschehen; er hielt es für Torheit, sie anders zu machen, wenn man gesund und stark wäre und keine notwendige Eile hätte: die Natur von Land und Leuten könne man auf keine andre Weise so gut kennenlernen; und was die Straßenräuber beträfe, so sei man im Wagen der Gefahr weit eher ausgesetzt, und die ärgsten würden von Billigkeit zurückgehalten gegen ein harmloses Geschöpf, das ohne bürgerlichen Reichtum, wie sie, bloß menschlich einherschreitet. Er ließ mir alle seine Habseligkeiten zurück und nahm nichts mit sich als einen wohlgespickten Beutel und Hemder und Strümpfe. An einem Abend beurlaubte er sich von meiner Mutter, die Tränen vergoß und ihn an ihre Brust drückte; er wurde von ihr geliebt wie mein Zwillingsbruder. Sie gab ihm ihren reinsten Segen und bat zu Gott, daß er sie erhören möchte, da er nicht länger bleiben wollte; und sagte ihm zuletzt, daß sie sich oft nach seinem Umgang sehnen würde. Ihr machten wir weis, daß er wieder in seine Heimat zöge. Wir brachten die Nacht alsdenn beisammen zu, so recht wie klare Quellen von Leben, wo alle Blicke durchgehen; ich wünsche mir nie eine größre Seligkeit. Aber ach! was ist der Mensch? ein Punkt, zerfetzt und zerrissen vom Schicksal auf allen Seiten, und unaufhaltbar fortgetragen in den wilden Fluten der Dinge, wo er weder Anfang noch Ende sieht. Gegen Morgen fuhr er auf, steckte die alte Handschrift von den Denkwürdigkeiten des Sokrates in die Tasche, die ich ihm fein und wohlgeschrieben mit auf den Weg gab, und die griechischen lyrischen Dichter von Heinrich Stephan; warf seine Zither über die Schulter, daß sie stürmisch erklang, drückte mich noch einmal an sein Herz und küßte seine ganze Seele auf meine Lippen, und schoß von dannen. Ich erbebte wie von einem Todesschauer und sank wie ins Grab. O Elend und Jammer, hienieden ohne Freund zu sein! und Stolz und Jubel und Kühnheit, wo zwei ihr Wesen verdoppeln! Meine Mutter und ich gingen darauf zu Ende Oktobers wieder nach Venedig, wo mein Vater aus Dalmatien schon angekommen war. Der Weg dahin erfüllte mich mit Traurigkeit. Gegend und Menschen und Gebäude hatten den vorigen Reiz verloren und standen da wie Schatten. Ich erkannte innig, daß zu allem Genuß zwei Herzen notwendig sind, die sich lieben. Die Zärtlichkeit meines Vaters, meiner ältern Brüder und verwittibten Schwester, die ihn begleitet hatten, linderten und versüßten allein meinen Gram zu Hause. Cäcilia saß noch in strenger Verwahrung: doch war jedermann für sie, wegen ihrer ehemaligen klugen und bescheidnen Aufführung bei aller ihrer Schönheit. Auch ich tat unter der Hand mein Bestes; das zärtliche Geschöpf hatte sich von dem Zuge der Natur überwältigen lassen und konnte hernach nicht anders handeln. Verschiedne junge Leute, alle von großem Talent und genaue Bekannten von Ardinghello, kamen zu mir, seinen gegenwärtigen Aufenthalt zu erfahren, welchen ich ihnen aber nicht entdeckte, mit Vorspiegelung, er habe in seine Heimat gewollt. Zu Anfang Novembers erhielt ich folgenden Brief von meinem Freunde: Genua, November. Wie ich aus dem fruchtbaren großen Tale der Lombardei, von hundert Flüssen durchströmt, das seinesgleichen in der Welt nicht hat, durch die wilden kahlen Felsenkrümmen des Apennin hinauftrat und endlich aus der Bocchetta hervor, von heitern Lüften umspielt, daß die Locken um meine heißen Schläfe flatterten, oben auf der Höhe das tiefe breite Meer unter mir glänzen sah, vom süßen Strahlengewölk des Abends umlagert: Gott, wie ergriff das mein Herz und alle Sinne! Wie die Thetis Homers mit einem Sprung vom Olymp hätt ich mich in die ewige Lebensfülle hineinstürzen und wie ein Walfisch darin herumtaumeln und alle meine Leiden abkühlen mögen. Ich blieb hier die Nacht bei einem alten Schäfer, der Chronik der Gegend, und sah die Sterne auf- und untergehen und das Weltlicht wieder erscheinen, und thronte so über Italien, dies Paradies mit allen seinen Bewohnern von Anbeginn der Zeit, Menschen und Tieren und Pflanzen und Bäumen, und ich, machten ein friedliches Eins, so rein und heilig zerflossen war meine Seele. Den Morgen schritt ich hinab und schlief des Nachmittags in einem reizenden Dorf an der Küste nicht weit von der Stadt. Gegen Mitternacht wacht ich wieder auf vom Saitenspiel und einer Stimme, die lieblich mein Wesen durchdrang. Ich lauschte und vernahm die Worte und sprang ans Fenster: die Musik kam aus einem alten Gemäuer, an einen Hügel gebaut, der in hohen Pinien und Zypressen und niedern Fruchtbäumen sich aus dem Meer hervorstreckte; es waren Stanzen eines Märchens vom Pulci, die ich gar wohl kannte. Als darauf noch eine weibliche Stimme zu der männlichen einfiel, so zog auch ich meine Guitarra hervor, brachte sie leis in Stimmung und sang, als sie aufhörten, nach einigen Griffen von ihrer traurigen Harmonie in eine fröhlichre hinüber: »Wer seid ihr süßen Sänger dort, die ihr mich so entzückend aus dem Schlafe weckt? Habt Dank, habt Dank, daß ihr den Menschen so Freude macht und ihr Herz rührt in der stillen Dämmerung.« »Wir sind Vater und Tochter, die ein holdes Kind in Schlummer spielen samt dem Gatten, den der heiße Tag abgemattet«, ertönte zur Antwort herüber, indem ein Alter mit langem Bart an den Bogen der Tür sich stellte. »O ihr Glücklichen!« verfolgt ich darauf und sang, von Begeisterung ergriffen, die Zeiten des Saturnus von Hesperien, wo alle so lebten, wo noch kein Phalaris die goldne Insel der drei Vorgebirge folterte und keine Cäsarn mit Bürgerblute die Felder düngten. »Und wer bist du, edler Geist?« fragt' er mich dann. »Ein junger Pilgrim, der nach dem Vortrefflichen auf Erden wandert und seine Seele nun hier an Honig labt.« Er ging herunter, ich ihm entgegen; wir bewillkommten uns und füllten die Becher. Es war ein herrlicher Mann, an die sechzig, ein echter Dichterkopf, viel vom Ideale des Homer, nur nicht blind: wie es der hohe Ionier auch nicht war, der nur nicht sah, was gewöhnliche Menschen immer gegenwärtig mit ihren leeren Köpfen sehen, wovon er endlich den launigten Namen bekam, und der griechische Künstler, der sein Bild erfand, richtete sich nach dem Volkswitz. Wir machten geschwind Bekanntschaft. Er war ein Architekt gewesen und, weil er wenig zu bauen fand, seinem Hange zur Poesie gefolgt; und man hielt ihn nun für einen der besten Reimer aus dem Stegreife weit und breit, und er zog als ein solcher im Lande herum und ergötzte die Leute. Seine Frau war früh gestorben, und seine einzige Tochter gab er vor wenig Jahren einem wackern Landmann zur Ehe, der hier ein Gut gepachtet hatte und bei dem er sich meistens aufhielt. Die Wirtschaft war wirklich aus der goldnen Zeit, wie ich hernach mit Vergnügen erfuhr. Ich sagte ihm, daß ich schier ebenso die Malerei triebe wie er ehemals die Baukunst. Dies freute ihn denn von Herzen; er faßte meinen jungen Kopf und steckte ihn in seinen grauen Bart hinein, und küßte mich über und über: ergriff alsdenn das Saitenspiel und sang mit einer Schwärmerei das Lob der Dichtkunst, wie ein wahrer Priester des Apollo, daß ich mich vor Lust nicht regte. Das halbe Dorf kam zusammen und girrte vor den offnen Türen und Fenstern leisen Beifall. Und als er endigte, schien das Meer stärker ans Gestade zu brausen, und alle riefen: »Es lebe Boccadoro!« So nannte man ihn. Zur fernern Kurzweil fing ich darauf einen Gegengesang an und richtete Pindars Xrysea pormigx Apollonos nach Ort und Umständen ein; und schilderte zum Beschlusse den Alten vor mir nach dem Leben und erhob seinen Stand über den eines Königs. Und mit einem Jubelgeschrei: »Es lebe der schöne fremde Jüngling und der göttliche Alte!« zog man von dannen, als wir gegen Morgen schieden. Ich machte, wie es Tag war, einen Spaziergang auf den Hügel und besah die Lage von Genua: ein reizendes Theater, das von jeher seine Bewohner angetrieben hat, das Meer zu beherrschen, und woheraus immer die größten Seehelden hervorgekommen sind. Heiliger Kolumbus und du, Andreas Doria, die ihr nun mit den Themistoklessen und Scipionen in Elysium Paar und Paar herumwandelt, euch Halbgötter unter den Menschen bet ich im Staube an. Ach, daß auch mir kein solches Los bestimmt ist! Ich sah hinaus in die unermeßliche Sphäre von Gewässer, und die ungeheure Majestät wollte mir die Brust zersprengen; mein Geist schwebte weit über der Mitte der Tiefen und fühlte ganz in unaussprechlicher Wonne seine Unendlichkeit. Nichts auf der Welt füllt so stark und mächtig die Seele; das Meer ist doch das Schönste, was wir hienieden haben. Sonn und Mond und Sterne sind dagegen nur einzelne glänzende Punkte und samt dem blauen Mantel des Äthers darüberher nur Zierde der Wirklichkeit. Dies ist das wahre Leben: hierauf gibt sich der Mensch Flügel, die ihm die Natur versagt, und verbindet in sich die Vollkommenheiten aller andern Geschöpfe. Wer das Meer nicht kennt, kömmt mir unter den Menschen wie ein Vogel vor, der nicht fliegen kann oder der seine Flügel nicht braucht, wie die Straußen, Hühner und Gänse. Hier ist ewige Klarheit und Reinheit; und alles Kleine, was sich in den Winkeln der Städte in uns nistet, wird hier von den großen Massen weggescheucht. Wie dort die Seealpen aufsteigen! gleich Helden bei Aspasien und Phrynen; wie die zarte Linie am Horizont sich so weich herumründet! In den Ozean hinaus möcht ich; wie klopft mir das Herz! Boccadoro wartete schon auf mich, als ich wieder ans Wirtshaus kam. Er sagte, ich müßte ihn heute begleiten zu einem großen Feste, das die ganze Woche fortdauerte. Marchese S*** vermählte sich mit einer jungen Fregosa in allem ersinnlichen Pomp; der Bräutigam sei wohl jetzt einer der reichsten Privatedelleute von Europa. Diesen Abend würde Wettrennen gehalten, darauf Schmaus und Ball; morgen Stierhetze, und so weiter fort, jeden Tag eine andre Lustbarkeit; Komödie, Seiltänzereien und allerlei Künste sollten sich auf dem Land und Wasser zeigen. Er wäre aufgefordert, zwischen andrer Musik bei der Tafel zu singen, und er bäte inständig, auch mich darauf vorzubereiten; wir könnten unterwegs ein hübsches Thema zum Wechselgesang ausdenken. Der Palast läge wenige Miglien weit von der Stadt auf der andern Seite der See; ein paar Knechte von seinem Schwiegersohne würden uns mit ihm selbst und seiner Tochter auf einer Barke dahin fahren. Doch er glaube, daß ich dieses alles schon wisse und vermutlich eben deswegen hier eingetroffen sei. Ich versicherte ihn, daß ich heruntergekommen wäre, ohne das mindeste von dieser Hochzeitfeier zu wissen. Aus dem Stegreife könnt ich in so hoher Gesellschaft nicht singen; und außerdem müßt ich immer erst ein wenig die Art meiner Zuhörer kennen, um leicht den Eingang in ihr Herz und ihre Phantasie zu finden: sonst tue überhaupt das Vortrefflichste oft nicht seine Wirkung. Doch woll ich ihn begleiten; sein Epithalamium zu hören schon allein reize mich. Er könne mich als Stimmer seiner Zither beim Schmause mit einführen. Ich lernte nun seine Tochter kennen, eine erzgute frohe junge Hausmutter; und ihren Mann, einen muntern trefflichen Wirtschafter; und einen kleinen Engel von Söhnchen: so daß ein schönes Ganzes in lebendiger Ordnung war. Das alte mit Efeu bewachsne Gemäuer der kleinen Landburg fand ich innen bequem eingerichtet. Ich nahm gegen Mittag bei ihnen ein gesundes köstliches einfaches Mahl ein. Nach Tische schlummerten wir alle ein paar Stunden; und dann fuhren wir ab, und mich ergötzten unendlich die Seewellen, so grünlicht klar und weich und furchtbar lieblich schroff über den Abgründen, wo jede auch in ihrer Kleinheit sich majestätisch als Tochter des unermeßlichen Ozeans zeigte. Wir langten gerad auf den Rennplatz an, als die Pferde schon vorgeführt wurden. Die Sitze waren lauter Licht und Glanz von schönen und prächtig gekleideten Herren und Damen, mit einer Menge Volks überall. Der Pferde waren nur drei; aber alle drei mutschnaubende königliche Tiere, so daß es schwer war, vorauszubestimmen, welches den Preis davontragen würde. Man hatte deswegen große Wetten angestellt; die mehrsten waren für einen göttlich schönen Rappen, der sich an den Schranken gar nicht wollte halten lassen. Ein Falk stand dagegen still da: doch brach der Blick seines Augs in die Bahn wie ein Sonnenstrahl, und sein Fuß hob sich leicht wie lauter volle Nerve. Wie das Seil fiel, tat auch der Rapp einen Vorschuß; in der Mitte der Bahn aber zog der Falk so aus und überholte die andern, daß sein Gang schneller war als die Geschwindigkeit eines Sturmwinds über gelbe Saaten; er flog dahin, und seine Bewegung war das Entzücken aller Augen, selbst derer, die gegen ihn gewettet hatten. Kurz, er gewann den Preis, jedoch mit Not, und ward hernach erst unbändig. Nach dem Wettrennen war Komödie und nach der Komödie der nächtliche Schmaus. Gegen Ende desselben, als Wein und Gespräch die Lebensgeister in stärkre Wallung gebracht hatten, fing Boccadoro an sein Saitenspiel zu rühren. Es entstand eine allgemeine Stille: und die Töne seiner Griffe waren wie ein leises Flistern am heißen Mittag in kühlen Wäldern von den Seelüften. Sein Geist taumelte darauf durch die alten Zeiten der griechischen Heroen; und er sang die Hochzeit des Peleus und der Thetis, schmückte die Fabel aus mit lieblichen Worten und ging davon auf die Gegenwart über, schilderte den Bräutigam als einen neuen Peleus, ebenso von den Göttern beglückt, und seine Braut als die jüngre Thetis. Auf einmal wendete sich dann der alte Schalk an mich, der ich hinter ihm unter den andern Spielleuten in der Ecke stand, und zog mich hervor als einen andern Apollo, wenn ich seine Worte wiederholen darf, der plötzlich den Apennin herabgekommen sei, dies Fest noch zu verherrlichen: und überreichte mir die Zither. Ich ward überrascht und glühte vor Scham auf in der fremden glänzenden Gesellschaft. Ein freudiges Murmeln lief durch den ganzen Saal, und aller Blicke flogen auf mich. Es half hier keine Weigerung, wenn ich nicht wollte zum Gespött und zuschanden werden. Ich entschloß mich also kurz, die Sache so gut abzumachen, als mir möglich war, und wählte die mir leichteste Versart, nach der Melodie, die den immer stärker einschlagenden anapästischen Rhythmus hat und Dich so oft ergötzte. Nach wenig einfachen Akkorden sang ich geradeso, wie es war, meine Überraschung und Verwirrung, und daß ich Boccadoren hieher folgte, die Pracht und Schönheit des Festes zu sehen, ganz fremd und unbekannt, ein bloßer Wandrer hier, seit wenig Stunden. Doch Euer Ruhm, fuhr ich fort, geht über Meer und Alpen; und wer ist der kalte neidische Mensch, den Eure glückliche Liebe nicht begeistern sollte? Nehmt gefällig die wenigen Blumen an, die ich mit geschwindem Raub über Eure Tafel streue. Der Sohn der Thetis strahlt nun durch alle Nachwelt, weil er einen Homer zum Sänger hatte: wieviel größer aber waren Kolumb und Doria? und wie weit kann die Frucht Eurer Liebe an edlern Taten über ihn hervorragen, als wegen eines verblühten durchgegangnen Weibes von einem Manne, den die Natur zum Hahnrei bestimmte und der weder in Bund noch Freundschaft mit ihm stand, dreimal um die Mauern von Troja herumzulaufen und alsdenn den ermüdeten Feind in den Hals zu stechen! Als wegen eines abgewiesenen Pfaffen einen greulichen Lärm anzufangen, und dann seine Geliebte darüber geduldig hergeben und sich ans Meer setzen und weinen!9 Verzeihe mir diese Lästerungen, bester Freund; Du weißt, daß ich die Homerische Natur tiefer fühle als das vornehme Weltvolk auf der Oberfläche, die nicht zu ihren Moden paßt. Aber Du kennst das Sprichwort: unter den Wölfen muß man mit heulen. Ich beschrieb darauf die Gegend von Genua und ihre Bewohner; pries dieser Heldenmut von den fernsten Zeiten an; und daß es besser läge als selbst das alte Rom, die Inseln des Tyrrhenischen Meers und Küsten von Afrika zu beherrschen. Erzog nun im Gesange den jungen Themistokles, die Seligkeit der Mutter und des Vaters über denselben und die goldnen Zeiten seiner Bürger, und machte allen Gästen nach den süßen Gütern das Maul wässerig; jeder schien im Herzen zu schwören, sich dabei anders aufzuführen als ihre Vorfahren beim Kolumb, von dessen hohem erfindrischen Geiste sie mehr Schimpf und Verachtung als Ehre haben. Ich wurde während des Liedes bei einigen glücklichen Stanzen von lautem Jubel unterbrochen und erhielt, wie ich aufhörte, großen Beifall, der mir nur insofern wohlgefiel, weil ich mich aus der Verlegenheit gezogen hatte. Man stand nun vom Tisch auf, und es ging zum Ball. Als die Braut vor mir vorbeigeführt wurde, begrüßte sie mich mit einem festen lüsternen Blick und wollüstigem Lächeln und rief mir zu: »Bravo!« Sie hielt noch den Kopf zurück, als sie vorbei war, und Mienen und Gebärden gestatteten Kuß und Umarmung, wenn wir allein wären; ganz die Gestalt einer Bacchantin in Glut und Üppigkeit, voll Körperreiz mit frecher Seele: welche Weiber mir nur in gewissen Momenten gefallen können. Ich fühlte wenig Neigung, nähere Bekanntschaft mit ihr zu machen; wohl aber mit einem andern Frauenzimmer, dessen Mutter, was die Formen des Gesichts betrifft, sich an dem Vatikanischen Apollo versehen zu haben scheint, nur ohne Stolz und Zorn, vielmehr alles heilige Güte; ein wunderbares Geschöpf! Ich erfuhr von Boccadoren, es sei eine Freundin der Braut und hielt sich bei ihr auf. Die Eltern wären verunglückte Kaufleute aus Nizza in der Provence gewesen und vor einigen Jahren gestorben. Die Braut heißt Fulvia und die Freundin Lucinde; ich verlangte die letztere tanzen zu sehen, aber sie tanzte nicht. Etwa zwei Stunden nach Mitternacht darauf, als der Ball am lebendigsten war, hörte man einige Schüsse fallen, und bei der plötzlichen Stille darüber ein ängstlich Schreien und wieder Schüsse, und Getümmel die Treppe herauf nach dem Saal. Und in einem Augenblick, ehe man eine Hand umwendet, brachen gräßliche Männer mit Säbeln und Gewehr in den Händen zur vordern Tür herein. Man stand wie versteinert, und wollte fliehen und konnte nicht, und wußte nicht, wohin. Alles drängte sich auf die Seiten nach den Fenstern und wo nur eine Öffnung war; und heulte und jammerte, und alle Gesichter färbte die Todesblässe. Wir wurden von Seeräubern überfallen, nach den gelben afrikanischen Gestalten; und an Gegenwehr war wenig zu denken. Ein Teil von denselben besetzte die Tür, wo sie hereinkamen, andre faßten gleich die Braut und griffen zuerst nach den Frauenzimmern und schleppten sie fort. Ich stand zu Ende des Saals an den Fenstern nach dem Garten; die ersten von Adel sprangen mit Gefahr hinaus. Ich wurde fast vom Getümmel erdrückt und konnte kaum eine Pistole losreißen, die ich sogleich nach dem stärksten Kerl an der Tür abbrannte. Die Kugel traf so glücklich ihn zum linken Ohr hinein, daß er auf der Stelle stürzte. Der Knall verschaffte mir einigen Raum, so daß ich die andre zog und zugleich meinen Degen. Während der Zeit hatten sich noch andre Genueser und Bedienten mit Gewehr versehen und schlugen im Mangel desselben mit Stühlen drein. Die Räuber hieben mit ihren Säbeln um sich und spalteten etlichen die Köpfe und verwundeten diejenigen, welche voran waren. Doch brachten wir sie endlich zur Tür hinaus, die sie aber von außen besetzt hielten, so lange, bis ihre Gefährten mit der Beute bis ans Meer kamen und sie einschifften. Alsdenn wichen sie, und wir hatten das Nachsehen, ohne ihnen viel Schaden zufügen zu können, weil sie ihren Angriff zu gut angeordnet hatten. Der Bräutigam selbst bekam eine starke Wunde; und ein paar von den vornehmsten Gästen lagen ohne Hülfe niedergestreckt. Die Wackersten machten sich mit dem Johann Andreas Doria, welcher, wie Du weißt, die türkische Flotte mit besiegen half, von dem Geschlecht des großen alten, gleich auf nach Genua, um den Räubern nachzusetzen: und ich wollte mit dabeisein. Es war eine Frechheit seit undenklichen Jahren ohne Beispiel. Wir langten dort gegen Morgen an. Fünf Dreiruderige wurden ausgerüstet, und wir stachen eine Stunde am Tag in die See, als noch die Sonne mit einem eingefallnen Nebel kämpfte; der Wind hatte sich die Nacht geändert, und ein Schirokko blies von Südosten! Wir wußten nicht, wohin unsre Fahrt zu halten, und machten uns auf die Höhe zwischen beide Küsten. Endlich nach und nach, obgleich langsam, erweiterte sich der Gesichtskreis: und die Gebirge fingen an sich zu zeigen unter der grauen Hülle; und erst gegen Mittag lag die Wasserwelt uns einigermaßen vor Augen, jedoch von allen Seiten so mit Dunst umfangen, daß wir nichts entdecken konnten. Doria beschloß nun, zwei Schiffe abzusondern und dieselben auf Sizilien zu streichen zu lassen: er selbst wollte mit den andern über Korsika hinaus in die provenzalischen Gewässer. Noch ehe wir ausliefen, wurden auf beide Seiten Jagdboote ausgesendet; keines aber war zurückgekommen. Ich blieb auf dem Schiffe, wo er selbst war. Es ging nun in vollem Zuge. Noch kannten wir die Stärke der Feinde nicht; bei Nacht und Nebel hatten wir die Anzahl ihrer Barken nicht unterscheiden können. Am Abend kam das Jagdboot wieder und verkündigte, daß es den Feind bei Monaco im Gesicht erreicht hätte; die Räuber seien vier große Galeeren stark. Wir ruderten die ganze Nacht; und den andern Morgen, als sich das Wetter aufheiterte, erblickten wir ihre Segel. O wie klopfte mir das Herz, bald im Schlachtgetümmel zu sein! Der Tod ist dabei doch nichts anders als eine freie Bahn auf die edelste Art in die Geisterwelt aus diesem Chaos von Unwissenheit. Sie entdeckten uns gleichfalls und verdoppelten ihre Ruderschläge. So strebten wir den ganzen Tag. Eben als die Sonne, nach dem Stesichoros, aus den Lüften in den goldnen Becher trat und den Ozean hinabschwamm zu den finstern Tiefen der heiligen Nacht, taten wir die ersten Kanonenschüsse nach ihnen; wir hatten den Vorteil des Windes über sie, und sie machten darauf halt, weil sie nicht weiter flüchten konnten. Wir griffen sie schier in gerader Linie an und dehnten uns etwas aus, damit sie uns nicht von den Seiten ankonnten. Wir brachten ihnen einige herrliche Lagen bei und waren weit besser als sie mit grobem Geschütz versehen. Nach mancherlei Wendungen kamen wir, als schon die Dämmerung sich einsenkte, mit zwei Schiffen aneinander zum Handgemenge, und unser drittes suchte die zwei andern Galeeren abzuhalten, die es entern wollten. Ich befand mich auf dem erstern und kämpfte mit aller Gewalt und Besonnenheit, deren ich fähig war. Noch hatt ich zum Glück keine Wunde, aber die Kugeln vom kleinen Gewehr und Säbelhiebe streckten manchen an mir nieder. Endlich drangen wir ein in ihre größte Galeere, und ich war unter den erstern, mit einem starken Dolch in der Linken, und in der Rechten den Degen, und im Gurt noch eine geladne Pistole. Bevor ich übersprang, stieß ich einen ihrer Kecksten darnieder, der schon im Zuge war, dem Doria mit seinem sichelförmigen Damaszenersäbel den Unterleib durchzuschneiden, und rettete diesem so das Leben. Mit einem andern auf der feindlichen Barke, der auf mich einhieb, wurd ich hernach bald fertig; doch konnt ich mit dem Dolch seinen Streich aus beiden Fäusten nicht so ganz abhalten, daß er mir nicht ein wenig im Herunterschellern den linken Arm streifte: ich traf ihm darüber gerade die Kehle, daß er die Zunge herausstreckte. Sie wichen und ergaben sich; nur der, welcher der Anführer schien, sprang unters Verdeck: und ich ihm nach. Und sieh! hier steckte die Braut mit der andern Beute. Er holte mit dem Säbel weit nach ihr aus, um ihr den Kopf vom Rumpfe zu hauen: ich aber kam ihm zuvor und stach ihm die Klinge mit ganzem Leibe unter dem aufgehobnen Arm ins Haarwachs, daß er auf die Seite stürzte, zog sie heraus und gab ihm dann vollends den Rest. Die Hauptgaleere war nun übermannt, allein die andre wehrte sich desto fürchterlicher. Ein junger Mann, noch ohne Bart, focht wie ein Verzweifelter und hatte neben sich viele Toten liegen; und er würde sich frei gemacht haben, wenn wir andern nicht den Unsern zu Hülfe gekommen wären. Auch dieser mußte sich dann ergeben. Inzwischen flüchteten die zwei andern, nachdem sie unser drittes Fahrzeug eroberten, mit diesem. Wir setzten ihnen nach, verloren sie aber in der Dunkelheit: und den Morgen darauf waren sie uns aus dem Gesichte, und wir konnten ihren Weg nicht entdecken. Doria kehrte ärgerlich nach Hause, daß die Sache nicht besser abgelaufen war. Vielleicht hätt er gar nicht angegriffen, wenn nicht einer seiner Verwandten aus dem Tanzsaal mit wäre weggeschleppt worden, den er nun doch wieder frei machte. Es ging hier Not an Mann, und die äußerste Gefahr war in der Säumnis. Die zwei andern Schiffe hätt er freilich nicht nach Sizilien ausschicken sollen; aber wer kann alles vorhersehen? Wer wußte, daß die Räuber so stark waren? Nach geschehener Tat ist jeder Tropf klüger als Hannibal und Cäsar. Ich hingegen war glücklich wie ein Gott; mich dünkte, daß ich erst das wahre Leben recht geschmeckt hätte. Doria, der Strenge, machte bei allem seinen Verdruß mir große Lobsprüche und sagte öffentlich: »Du hast einen schönen Anfang gemacht, Junge; wenn du länger lebst und so fortfährst, wird ein berühmter Held aus dir werden.« Fulvia, deren Schutzengel ich gewesen war, dankte mir mit Tränen voller Zärtlichkeit. Aber mehr als alles, auch die schöne Provenzalin Lucinde befand sich unter den Geretteten; die nur noch jämmerlich an der Seekrankheit litt und bis aufs Blut von sich gab. Ich hatte nicht die geringste Anwandlung davon gespürt; und es erquickte mich durch Mark und Bein, daß ich dieses Element und dessen lebendige Bewegung noch immer von meinem Knabenalter an so wohl vertrage. Wir liefen gegen Abend in dem Hafen von Villafranca ein, nachdem wir den ganzen Tag vergebens herumgekreuzt hatten, um die Verwundeten zu pflegen, unsre Toten zu begraben (die gebliebnen Feinde warfen wir gleich über Bord) und den abgehärmten Frauenzimmern einige Ruhe genießen zu lassen; nur ein Paar Vermählte unter denselben waren von Kanonenkugeln zerschmettert worden, die übrigen alle blieben unversehrt. Wir führten sie den Berg hinauf in das Städtchen, das hinten im Kessel unter dem gähen Felsen mit wenigen Häusern nur wie eine Einsiedelei liegt zwischen Ölbäumen. Ich nahm Lucinden in Arm, die auf dem festen Boden gleich wieder zu sich kam, und sprach ihr Mut ein nach überstandner Gefahr. »Ach,« antwortete sie seufzend, »warum leb ich noch, um auf immer unglücklich zu sein! Niemand weiß mein Leiden. O wär ich nur dort oben bei den Auserwählten unter den Heiligen und Engeln!« Und hier tat sie einen schmachtenden Blick aus ihren großen schwarzen Augen gen Himmel und zerschmelzte mir ganz mein Herz damit. »So viel Schönheit ist nicht gemacht,« versetzt ich ihr, »um hienieden sich zu quälen; wirf allen Kummer weg; und sei selbst so selig, als du andere selig machst.« Sie schwieg, und neigte das Haupt wie eine welke Blume, und ging, ohne auf meine Reden achtzugeben, mit mir voran; ihre traurige Miene und blasse Farbe, ihr verwirrtes Haar und losgegangnes Gewand vollendeten das Bild einer bezaubernden Heiligen. Wir quartierten sie zusammen in ein Haus ein, und sie wurden gut verpflegt und gewartet. Ich selbst blieb in dem Städtchen und ruhte die Nacht aus; meine Streifwunde hatte zwar nichts zu bedeuten. Den andern Morgen nach der Messe unterhielt ich mich noch ein paarmal auf den Raub wenige Augenblicke allein mit Lucinden, die nun wieder zu Kräften gekommen war; und erfuhr, daß der Anführer der Räubergaleeren, den ich niedergestoßen hatte, ein Liebhaber von Fulvien gewesen sei, ein Genueser, der gefangen seinen Glauben verleugnete und alsdenn unter dem berühmten Ulazal diente, größtem Seehelden unsrer Zeiten. In sie entbrannt, ohne daß seine Leidenschaft je ihr Ziel erreichte, unternahm er die Tat nach hinlänglich eingezogner Nachricht von allen Umständen der Hochzeit, und hätte sie bald glücklich ausgeführt. Er war Bastard von einem Adorno, und man nannte ihn zu Genua Biondello. Jungfräulich versicherte sie mir, daß die Braut noch ihre Ehre bewahrt hätte mit heißen Bitten und Beschwörungen, daß er sie nur so lange verschonen möchte, bis er ans Land käme, bei ihrem üblen Befinden; und sie sei rein bis auf einige Küsse, die sie dem Verdammten unterdessen habe gestatten müssen. Die andern wären meistens noch viel ärger als die Braut von der Seekrankheit befallen gewesen, so daß die Barbaren selbst Mitleiden und Barmherzigkeit gegen sie gehabt hätten, ohne sie weiter noch zu martern. Außerdem habe die Not, in Sicherheit zu kommen, die Räuber zu äußerster Geschäftigkeit angetrieben, und die Menge die Begierden jedes einzelnen im Zaum gehalten; und so seien sie noch glücklich der Schand entrissen worden, und eine könne für die andre zeugen. Biondello habe denn in der Verzweiflung Fulvien aus Eifersucht niedersäbeln wollen, als ich sie errettet hätte. »Heilloses Geschenk der Schönheit,« rief sie aus, »in wie viele Drangsale stürzest du uns! Und wenn wir andre damit glücklich machen, so geraten wir dadurch selbst in das äußerste Elend. Wie die Könige, die alles vermögen, nur daß unsre Herrschaft kurze Zeit dauert, haben wir durch dich keinen Freund; und die vortrefflichsten Männer, mit allen Vollkommenheiten ausgerüstet, wie zum Exempel Ihr seid, legen uns häßliche Fallstricke.«  Diese Apostrophe ging mir wie eine Kugel vor den Kopf, und ich fiel in Staub vor der Himmlischen nieder. Nachmittags drehte sich der Wind, und wir fuhren mit Rudern und Segeln wieder ab. Auf unser Schiff war mit einigen andern Gefangnen der junge Held gebracht worden, der auf der zweiten eroberten Galeere so tapfer kämpfte, so daß wir unser drittes Fahrzeug darüber einbüßten. Ich hörte ihn hernach im Neugriechischen mit einem seiner Gefährten sprechen; und er stampfte noch mit dem Fuße vor Zorn, daß die zwei andern Galeeren sie im Stiche gelassen hatten; jedoch mit Unrecht: denn jene wurden gleich im Anfang des Gefechts von unserm Geschütz sehr übel zugerichtet. Er sprach inzwischen so frei und ohne Furcht in der Gefangenschaft, und seine Gestalt war so schlank und edel in der wilden Farbe von Meer und Sonnenbrand, daß mein Herz gegen ihn von Zuneigung wallte. Ich beschloß, alles mögliche anzuwenden, ihn von der Knechtschaft loszumachen, welches mir denn auch glückte; noch ehe wir zu Genua einliefen, schenkt' ihn mir Doria zur Belohnung. Ich nahm ihn zu mir, wie wir von Bord traten, erklärte ihm seine Freiheit, worüber er mir an die Brust flog, und ließ ihn wenig Tage darauf mit einem venezianischen Schiffe nach Konstantinopel abfahren. Er bat mich vorher um meine Zuschrift, die ich ihm denn an Dich gab. »Du sollst dich nicht in mir betrogen haben«, sprach er zu mir beim Abschied; »solche Menschen wie wir müssen einander ihr Leben lang helfen.« Die Männer, die ihre schönen jungen Weiber wiederbekamen, freuten sich wenigstens, daß ihnen Grund und Boden geblieben war; und die Väter und Mütter hofften bei ihren Töchtern das Beste. Wegen der Braut wurden insgeheim von der Familie des noch verwundet darniederliegenden Bräutigams verschiedne Personen besonders in Verhör genommen; und als ihre Aussagen übereinstimmten und derselben Unschuld bekräftigten, so überließ man sich wieder ganz der Freude. Der Himmel beschere mir nur immer so fort ein Leben und lasse mich nie in Untätigkeit schmachten; von Cäcilien und Dir geschieden zu sein aber tut mir weh im Herzen. Wenn wird einmal wieder die Zeit der Vereinigung kommen! Ach, wenn es ihr nur wohl geht! Dies ist jetzt alles, was ich von ihr verlange. Ardinghello Ich meldete Ardinghellon den Empfang seines Briefs, und daß die Sachen der Cäcilia erwünschten Ausschlag nähmen, und daß man auf ihn gar keinen Verdacht hätte, und andre Dinge, die mich betrafen und nicht zu dieser Geschichte gehören; und erhielt von ihm im Dezember folgende weitere Nachricht: Genua, Dezember. Die See ist hier doch etwas ganz anders als in Euren Brentasümpfen! Die Stürme machen mir jeden Tag ein neues Schauspiel; und ich begreife nun, wie Kolumben der Mut im Herzen erwuchs, sich mit einer Bande Gesindel in den unwirtbaren Ozean hinauszuwagen, gleich einem Gotte, der Wasserfluten und Orkane kennt und in ihr grausames wildes Spiel sich zu finden weiß, kühner als Herkules und alle Helden der vorigen Zeitalter. Wenn die Wogen so den Hafen hereinbrechen und sich an seine hohe Mauer hinaufwälzen, bis über die Dächer der Häuser, die da stehen, und Schaum und Meer wie ein Wolkenbruch wieder herabströmt, und mit dem neu herbeirauschenden Ungestüm sich klatschend zu Staub wirbelt: wie lebt die Natur da in meinem Sinn und ergreift mit ihrer Musik mein Wesen! Ich habe angefangen, es mit Farben darzustellen, aber alles wieder weggeworfen: dahin reicht keine Kunst; sie bleibt hier zu sehr bloß toter winziger Buchstabe. Dafür geb ich mich desto mehr mit den hiesigen Seeleuten ab; studiere den Schiffbau; lasse mir ihre Züge durch das Mittelländische Meer erzählen, ihre Gefechte, Gefangenschaften, ihren Handel; bewirte die besten oft, und teile ihnen wieder von demjenigen mit, was ich weiß; und erkenn immer mehr, daß der Mensch eher so gut ist, als er sein kann, als daß er so böse wäre, als er sein könnte, im ganzen genommen. Zufriedner bin ich mit ein paar Skizzen, die ich aus den Begebenheiten gemacht habe, welche ich Dir in meinem vorigen Brief erzählte. Die eine stellt die Szene vor, wie die Räuber in den Tanzsaal fielen und Braut und Frauenzimmer entführten; doch würde mir die nächtliche Beleuchtung bei der Ausführung im Großen schwer werden. Die andre ist, wie ich den Biondello unter dem Verdeck niederstieß. Wenn ich den Ausdruck der Wut und Verzweiflung in seinem Kopf erreichen könnte, und den höchsten Schrecken, der an die Ohnmacht grenzt, in den schönen Weibergestalten, die ich in ihren Gruppen und zerzausten Kleidungen ganz nach der Natur genommen habe, samt den zwei Niedergeschmetterten: so müßte dieses Bild im Großen jedermann ergreifen. Fulvia besitzt sie, und sie mag sich dieselben einmal von einem andern ausmalen lassen. Ich bin mit ihr schon bekannter geworden, als ich anfangs wollte. Ich stecke in einer Lage, die ich Dir kaum mit Worten andeuten kann. Wenn Lucinde an Fulvias Stelle wäre, so führten wir ein Götterleben; so aber ist Natur und bürgerlicher Stand einander ganz entgegen. Fulvia hat eine Phrynenseele; und diese sollte Lucinde haben, um das glückseligste Geschöpf zu sein. Ich habe Gespräche mit der letztern gehabt, mich auf ewig mit ihr zu fesseln, wenn die Ehe nicht der Tod bei lebendigem Leibe für meinen freien Sinn wäre. Ach, es geht bei ihr alles so schön hinüber und herüber! Was dies weibliche Wesen für einen süßen Klang hat, ist unaussprechlich. Und ihre Ahndungen und Gefühle von unsichtbaren Welten, so fremd und sonderbar und kindlich zuweilen sie mir auch vorkommen, ergötzen mich doch wie Homerische und Platonische Dichtungen. Es ist mancher von ihr angebrannt und lüstern bis zur Wut nach ihrem Ambrosia und Nektar: aber wen sie etwa möchte, der will oder darf sie nicht heuraten; und so ist der Engel melancholisch und unglücklich. Sie will mir wohl, das seh ich, und leidet Pein, und tut sich die äußerste Gewalt an. Warum müssen wir so gebunden sein und jeden Tropfen Lust mit Ach und Weh erkaufen! Alles in der Natur ist glücklich, nur der Mensch nicht; das, was wir Vernunft nennen, steht ihm immer als ein tyrannischer Zuchtmeister zur Seite; und diejenigen, welche man ihrer Vollkommenheit wegen bewundert, sind die Armseligsten unter allen. Als ich mich einst an einem Abend tiefer mit ihr im Gespräch hierüber verlor, und ihr dieses einleuchten machen, und sie, wie mich dünkt, auf ihren rechten Lebenspfad führen wollte: sah ich auf einmal Fulvien neben uns, die ich im Eifer nicht bemerkt hatte; wir sonderten uns vorher von der Gesellschaft ab und standen an einem Fenster im Saal mit der Aussicht übers Meer hin. Der Ernst kehrte sich dann in Kurzweil; Fulvia foppte mich als einen blöden Schäfer, und in Rücksicht auf sie war der Spott nicht ungerecht: und Lucinden sagte sie einige unanständige Dinge, welche deswegen errötend ausschied. Folgenden Nachmittag erhielt ich durch ein Weib, das Lucinden bediente, ein Zettelchen, worauf geschrieben stand: ›Ich muß Sie allein sprechen, mich zwingt die Not dazu; warten Sie eine Stunde nach Einbruch der Nacht unten am Palaste; die Überbringerin wird Sie an Ort und Stelle führen.‹ Ich wußte nicht, was ich denken sollte, und von der Frau war weiter nichts herauszubringen; inzwischen versprach ich, gewiß zu kommen. Dieselbe führte mich auch die bestimmte Zeit die Treppe hinauf und oben durch den kleinen Garten. Es war finster, und regnete, und der Wind sauste. Alsdenn machte sie ein Zimmer auf, schloß mich hinein, und ich war völlig im Dunkeln. Sogleich wurd ich von einer warmen Hand fest gefaßt und auf ein Ruhebettchen gebracht, schüchtern erst und endlich inbrünstig umarmt und geküßt unter heißen Seufzern, ohne weiter nur ein Wort zu hören. Mein ganzes Blut geriet in Wallung an den in Liebe klopfenden Brüsten; ich glaubte, Lucinde sei plötzlich eine heitre Griechin geworden und wollt ihr himmelschönes junges Leben genießen und mit mir den Anfang machen. Mir wich das Gewand unter immer mehr verführerischem Sträuben; und ich gelangte bei dem höchsten Reize, den junge zarte nackte vollkommne weibliche Formen in der Dunkelheit für unsern stärksten Sinn nur haben können, zum entzückendsten Ziel meiner entflammten Begierden. Das bacchantische Leben, das endlich alle Verstellung vergaß, brachte mich hernach doch etwas aus meiner Unüberlegung, obgleich noch ganz im Rausche. »Lucinde, Lucinde,« rief ich, »welch eine glückliche Verwandlung! Laß mich deine Stimme hören.« »O du mein alles!« hört ich nun Fulvien statt ihrer, »verzeihe mir diesen Betrug: was ich bin und habe, ist dein Eigentum, du bist mein Herr und Meister! Du hast mir das Leben errettet, und ich kann nichts weniger tun als dir wie Magd und Sklavin dienen, Engel, Gott! Wo find ich einen Namen, der alles das ausdrückt, was ich in dir umfasse? Auch Lucinde soll dir zuteil werden! Stolz und Eifersucht samt der Person will ich deinem Vergnügen aufopfern.« Hier umrang sie mich aufs heftigste und biß mich wie rasend in die Brust. Ich mußte mir's gefallen lassen; ich war angeführt auf eine Weise, die mir hohe Lust gewährte. Wenn ich auch ein Joseph hätte sein wollen, so war die Flucht zu spät. Ihr Gemahl erzeigt mir Freundschaft; aber wer kann dafür, daß er einfältig ist und kein besser Schicksal verdient? Warum hat er so geheuratet? Dies sind natürliche Folgen, die selten ausbleiben. Fulvia hat ein heißes Temperament, und er ist schwach und kalt und träge: solch ein Paar tut kein gut zusammen, wie mancher wegen des Kontrastes sich wohl einbilden möchte. Ich verwunderte mich über den Schritt, den sie getan hätte; freute mich ihrer Liebe und pries ihre Reize; gestand ihr aber aufrichtig, wie närrisch der Mensch sei, und daß mein Herz auch beim lebendigsten Genuß der Wonne noch nach Lucinden schmachte. »Und warum sollen wir dich nicht als Freundinnen lieben können? O du bist ein so teuer Gut, daß wir beide an dir überflüssig genug haben; und ihrer mehrere, wenn du willst. Du sollst als der edelste Wein nur zum höchsten Fest aufgespart werden, der mit seinem Balsam allen köstlichen Geschmack überflügelt. Warum sollen vernünftige Schwestern nicht friedlich miteinander an dir Teil nehmen? Warum sollen wir uns von Gewohnheiten und Gesetzen im Zaum halten lassen, die bloß für den Pöbel sind, eben weil er Pöbel ist, der sich nicht selbst regieren kann?« Du siehst hieraus, daß ich doch mit einem gutartigen Geschöpfe noch zu tun habe. Ich mußte über ihre Aspasienberedsamkeit und feinen Lobsprüche lächeln; band ihr aber aufs Gewissen, behutsam zu sein; und so war der neue Liebeshandel fertig. Es läuft mir heiß über den Leib, da ich mit Dir von Cäcilien sprechen will, und ich erröte wie ein Unheiliger; sie bleibt immer die Krone von Venedig. Möchte sie und Lucinde nur so Schwestern sein, wie Fulvia sagte! Aber ich bin ein Tor und unersättlich. Ach, die Arme wird verlangen, Nachricht von mir zu hören; und dies ist noch nicht einzulenken. Wie, bin ich strafbar, daß ich mich mit dem Schönen zu vereinigen suche, wo ich's finde? Ist dies nicht der edelste Trieb unsers Geistes? Ist der nicht ein Elender, ein von Gott Verworfner, der diesen Trieb nicht hat, nicht ausübt? In was für einer Welt bin ich, wo dies Naturlaster sein soll? Den Menschen zerrüttende bloße bürgerliche Ordnung ist es. Komm, göttlicher Plato, und stürz alle die barbarische Gesetzgebung über den Haufen, und führe deine Republik ein, wo wenigstens Mann und Weib mit ihrer Liebe heilig und frei sind. Ardinghello Ich erhielt mit diesem Briefe fast zur selben Zeit ein Kästchen von Smyrna an Ardinghellon, und konnt es ihm sogleich durch einen Veroneser, einen alten Bekannten von unserm Hause, welcher in Handlungsgeschäften nach Genua abreiste, übersenden. Dabei meldete ich ihm die völlige Befreiung seiner Cäcilia. Im Februar schrieb er mir wieder wie folgt, mit dem von Verona bei dessen Zurückkunft. Genua, Februar. Sieh, teurester Schatz meines Lebens, edles Herz, hoher Geist, gute Taten bleiben nicht unbelohnt! Lies dieses kostbare Zettelchen: für Dich hab ich kein Geheimnis. ›Du hast den Sohn des Kalabresers Ulazal gerettet, ein Kind der Liebe, das er mit einer Griechin aus Rhodos erzeugte. Nimm hier einen kleinen Dank dafür, und reiß Dich los und komm in meine Arme. Bei meiner Mutter Platane Stephani zu Smyrna kannst Du mich immer ausfinden; dahin richte auch Deine Antwort. Ich versichere Dich, daß kein besser Leben ist, als vom Archipelagus bis an die Säulen des Herkules auf den klaren Wassern in beständiger Bewegung zu sein und durch seine Tapferkeit die Schönheit aller der reizenden Küsten zu genießen. Königlicher Jüngling, erquicke bald mit Deinem mutigen Anblick meine Seele! Diagoras Ulazal‹ In dem Kästchen sind Edelsteine und Ringe und einige andre orientalische Kostbarkeiten von großem Wert. Alle diejenigen, die wir ihm gefangennahmen, hat er schon frei gemacht und meistens mit andern Christensklaven ausgewechselt. Er versprach es ihnen, wenn sie ihn nicht entdecken würden; und die auserlesene Schar war entschlossen genug dazu: solche Zuneigung hatte jeder für den jungen Helden. Nun höre meine andre Begebenheiten! Den Antrag des Diagoras müssen wir weiter überlegen; ich kann mich noch nicht entschließen, das schöne Italien zu verlassen, da ich noch so wenig davon gesehen habe. Fulvia nahm über sich, Lucinden zu bekehren; meine Leidenschaft gegen dieselbe schwoll immer mehr an, je härter und unerbittlicher sie wurde. Vor vierzehn Tagen ohngefähr ließ sie endlich etwas von ihrer Strenge nach; da sie vorher immer alle Gesellschaft mied, wo sie wußte, daß ich zugegen war. Eine gewisse Heiterkeit und Frühlingsrosenröte ging in ihrem himmlischen Antlitz auf, das sonst ein innrer Gram mit einer melancholischen Lilienblässe überzog, die mir so das Herz zusammenklemmte, daß ich aus der Haut fahren mochte, um dem Engel zu helfen. Sie gestattete sogar, daß ich auf einem vermummten Ball eine Menuett mit ihr tanzte. Gott! welcher hohe Reiz enthüllte sich in jeder Bewegung ihres schlanken Körpers! wie heiß die Augen in mich sonnten, und sich doch so selbst überlassen! wie süß die zarten Lippen in so frischer feuchter Röte lächelten, und die festen glänzenden Brüste von der Ebbe und Flut der Jugend wallten! Ich ward umflochten von einem unzerreißlichen Liebesnetz; und die Berührung ihrer Finger entflammte mich, als ob ich lauter Salpeter und Schwefel wäre. Wo ich den Blick hinrichtete, entstanden neue Zaubereien; so hatten mich ihre behenden sichren Füße nie entzückt, und nie so ihre braunen sich hebenden Locken über den schönen weißen Hals, samt aller ihrer Kleidung. Wir schwebten umeinander wie klare lichte Empfindung; sie schien zu fühlen, was ich fühlte, und zitterte auf die letzt vor Bangigkeit, so daß wir plötzlich aufhören mußten. Noch dieselbe Nacht ward eine Verräterei gegen sie ausgedacht und vollführt. Ich stahl mich mit Fulvien vom Ball weg, und diese verbarg mich in einen großen Schrank, der in Lucindens Schlafzimmer stand, worin einige alte Familienkostbarkeiten hingen; Fulvia ließ mich allein und kam unbemerkt wieder zurück. Lucinde machte sich gleich darauf vom Tanzsaal; ich erbebte vor Schrecken und Lust, wie ich sie hereinrauschen hörte. Sie sang alsdenn beim Auskleiden ein provenzalisch Lied, mit einer Stimme, woraus die Töne so gefühlig und rein wie Perlen hervorkamen, die ich noch nie vernommen hatte: nur befremdete mich äußerst dessen Inhalt. Es war der Seelenjubel einer Jungfrau, die ihren Geliebten wiederfindet, frei von Not und Drangsal, worin er lang geschmachtet hat, und ihn mit tausend Küssen, Liebkosungen und Zärtlichkeiten empfängt. Doch vielleicht, dacht ich, ist es etwas auswendig Gelerntes, und es fällt ihr eben so ein; aber es machte mir heftige Unruhe, als sie beim Schluß in die Hände klatschte und ausrief: »O hätt ich dich schon, mein Florio! aber wie weit bist du noch entfernt! doch Flügel wieder meiner Hoffnung, daß du noch lebst. O du heilige Magdalena, beschere mir den Holden, die du auf deinem Felsen zu Marseille schon oft über ihn gewaltet hast und den Verwegnen aus den Fluten des Meers und tödlichen Gefahren nach meinen Bitten errettet! O du liebe heilige Magdalena, ich falle hier vor dir nieder und fleh dich an, überlaß, o Freundin des Erlösers, mein Gemüt nicht immer dem bittern Kummer! Mache mein Herz leicht und wieder froh, und stehe bei meiner Liebe! Ardinghello, der Flüchtling, heuratet mich doch nicht. Was hilft mir's, wenn ich seine Qual auch noch so hoch treibe: er machte mich endlich unglücklich. Wohlwollen muß ich ihm, ach ja! er ist ein verführerischer Bube. O Florio, erscheine bald! Heilige, gib mir ihn!« Ich wurde fast zum Narren, so griffen mich diese Reden der Unschuld in meinem Schrank an; und mußte alle meine Kräfte zusammenspannen, um auszuhalten. Noch war ich unentschlossen, was ich tun wollte, Tumult und Aufruhr in allen Nerven und Adern. Und so harrte ich, bis sie sich zu Bette legte, und harrte noch hernach über eine Stunde; und lange und lange, bis ich endlich in der Verzweiflung, mit meinen Gedanken und Gefühlen ins reine zu kommen, leise die Tür eröffnete und heraustrat. Den Mantel hatte ich schon vorher abgeworfen und die Schuh ausgezogen; ich ging auf den Zehen und hielt mich mit den Händen im Gleichgewicht. Sie lag vom Schlaf aufgelöst mit dem Kopf über den rechten Arm und den linken sanft ausgestreckt, mit den Knien jungfräulich ein wenig zusammengezogen, die Decke von sich geworfen, und nur den Unterleib mit dem leinenen Tuche verhüllt; es war eben eine laue Nacht. Ich besah alsdenn ihr Zimmer. Vor einer Madonna mit dem Kinde, nach der reizenden von Raffael auf dem Stuhl von einem seiner besten Schüler kopiert, brannt eine Lampe; und ebenso brannt eine andre vor einer Magdalena, gewiß von dem Wundermanne der Lombardei Antonio Allegri: solch eine unbeschreibliche Anmut war in den Umrissen ihres Gesichts, so lieblich die Farbe, und unübertrefflich das blonde Haar gemalt, über die jungen Brüste reizend wie von einem Lüftchen verweht. Vor beiden standen Blumenstöcke; vor der Magdalena aufgeblühte Rosen und Knospen, vor der Madonna Lilien und Nelken, die sie sich selbst den Winter erzog. Auf dem Tische vor jener lagen die Gedichte des Petrarca; und Schreibzeug, Federn und Tinte und Papier und beschriebne Blätter. Ich las das eine, wo ausgestrichen und verändert war: und fand das Lied im Provenzalischen, was sie gesungen hatte. Das wußt ich auch noch nicht, daß sie ihre Gefühle in so schöne Form von Worten bringen konnte: mir wallte dabei eine Glut nach der andern auf im Herzen. Im Petrarca war das Gediegenste, immer gerade das wenige Vortrefflichste, mit ausgetrockneten verschiednen Blumenblättern belegt und bezeichnet; besonders in den Reimen nach dem Tode der Laura. Neben der Madonna stand ihre Näharbeit in einem Rahmen; sie hatte angefangen, die lebendigen Rosen und Lilien vor sich dahinein zu sticken. Mich überlief ein Schauder, als ob ich in den Tempel der Keuschheit eingebrochen wäre und lästerlichen Frevel ausüben wollte. Ich blickte durch das Fenster am Bette, und der volle Mond wich hinter die Seealpen, den Greuel nicht anzusehen; unten rauschte zürnend das Meer auf. Ich ward erschüttert, und es fehlte nicht viel, daß ich mich wieder in den Schrank verborgen hätte; doch kniet ich vor sie hin und stemmte mich sachte mit beiden Händen auf ihr Lager; ihr ambrosischer Atem berührte mich wie Wonne des Himmels. So lag ich eine Weile in ihrem Anschauen versunken und verloren und meiner endlich nicht mehr mächtig. Ich warf die Kleider von mir und näherte mich nach und nach leise mit ganzem Leibe dem Schönsten, was die Welt hat. Ich schob alsdenn mit den äußersten Fingern das Hemd auf beide Seiten von den Brüsten, die mich mit ihren Knospen der Unschuld anlächelten, als ob sie Verschonen ihrer Jungfräulichkeit bäten; und so bracht ich das Tuch von ihren reinen trocknen Füßchen und den netten Beinen bis an die Mitte der wie Säulen runden üppig hinaufschwellenden Schenkel, worunter es festhing. O all ihr Mächte des Himmels und der Erden, welche Vollkommenheiten habt ihr hier vereinbart! Ich zerrann in nicht mehr zu hemmendes Entzücken und riß das Tuch los: und sie fuhr auf und tat einen Schrei unter meinen Küssen. »Habe keine Furcht,« stammelt ich ihr, »ich bin Ardinghello und werde dir kein Leid zufügen.« Sie hörte nicht und rief: »Bösewicht! Schändlicher! Hülfe!« und wand sich los und bedeckte sich und weinte in voller Verzweiflung: ich war wie von einem Wetterstrahl durchschlagen in allen Gebeinen. »Vergib, o Himmelskind, einem von unwiderstehlicher Liebe ganz Niedergeworfnen und Überwältigten diese Frechheit. Ich schwöre dir bei allen deinen und meinen Heiligen, ich werde dir kein Leid zufügen!« so faßt ich sie mit Gewalt bei ihrer Rechten und hielt sie an mein laut schlagend Herz. »Weg von mir, grausamer Verderber!« schluchzte sie. »Komm wieder zu dir, Lucinde«, sprach ich ihr ein; »sieh! ich berühre dich nicht mehr. Ich bin schon glücklich, wenn ich dich nur sehe; und wenn ich von dir bin, ist alles vor mir in Leerheit. Deine Gestalt allein, auch ohne Wort und Zuneigung, ist mir mehr als andrer feurige Liebe. Sende mich in Gefahren, worin ich tausendmal mein Leben wage: dein Wink wird mein Gesetz sein. Du bist meine beßre Seele, die alle meine Fähigkeiten füllt. Du herrschest über mich wie mein strengster Verstand; sieh! das zeig ich dir; und alles kann ich für dich tun, außer was mir unmöglich ist.« »O Ardinghello! Ardinghello!« weinte sie, »verlaß mich! o verlaß mich!« »Göttliche, und warum? Warum können zwei Menschen, wie wir sind, nicht ohne Sünde so beisammen sein! Warum immer eine Scheidewand von Mauer und Kleidung und mechanischer Gesellschaft dazwischen! Bedenke, wie die Seligen im Himmel sind und unsre erste Eltern waren. Alles dies dient nur, wenn man unter dem großen Haufen ist.« »Und was willst du von mir? was kann ich für dich tun, ohne mich unglücklich zu machen?« versetzte sie etwas ruhiger, sich rundum einhüllend. »Sage mir, wen du liebst«, fuhr ich fort; »denn daß du liebst, das weiß ich, und weiß noch, daß du unglücklich geliebt hast.« »Ach,« antwortete sie darauf nach einigem Stillschweigen, »den Hauptmann einer Galeere! der mich, wie ich noch ein kleines Kind zu Nizza war, schon aufblühender großer Knabe, bei meinen Eltern lesen und schreiben lehrte. Hernach legte er sich auf die Handlung und führte mit der Zeit Kauffahrteischiffe; und endlich wurd er Anführer einer spanischen Galeere. Als solchen sah ich ihn nach langer Zeit vor zwei Jahren in Genua wieder, wo wir uns einander versprachen und die Vermählung feiern wollten, wenn er wieder aus dem Türkenkriege käme. Allein er kam nicht wieder; und ich hielt ihn für tot, bis ich vor wenig Tagen die zugleich frohe und traurige Botschaft hörte, daß er zu Konstantinopel in harter Sklaverei sich befinde. Mir brachte sie ein alter Schiffer aus Antibes, der von dort abfuhr und uns beide kennt. Nun hoff ich, daß man ihn erlösen und ihm seinen ehemaligen Posten wiedergeben und wir endlich glücklich sein werden.« »Zärtliche,« verfügt ich darauf, »deine Hoffnung steht auf schwachen Füßen. Spanien ist noch im heftigen Kriege mit den Türken; und wenn dein Bräutigam ein Held war, so werden sie ihn so leicht nicht herausgeben.« Hier verbarg sie ihr Gesicht ins Küssen und seufzte und weinte, und ich fuhr fort: »Doch wenn es von Spanien aus nicht geschieht, so kann vielleicht ein andrer ihn frei machen; und was schenkst du mir, Englische, wenn ich es wäre?« drückt ich ihr mit der Rechten in die Hand und mit der Linken ins Herz; »und ich will es dir fast so gut als gewiß versprechen; ich hab einen Freund am türkischen Hofe selbst, der alles kann.« Sie verbarg ihr Gesicht noch tiefer und sagte gebrochen unten hervor: »Ach, mein Bestes! aber du bist grausam!« »Und die Versicherung?« redt ich außer mir ihr zu. »Gib dort mir her Feder, Papier und Tinte, und leuchte!« Dies war nun mein Wille nicht, aber ich verlangte zu wissen, was das schwärmende Mädchen begänne; und nahm die Lampe von der Magdalena, Feder, Tinte und Papier, und den Petrarca zur Unterlage; und die Fromme schrieb, und lächelte unter Tränen: ›Wenn Ardinghello mir meinen Bräutigam Florio Branca aus der Sklaverei erlöst und frei wieder herstellt, und zärtlich liebt und schweigt, so soll er meine erste höchste Gunst haben mit diesen Zeilen oder Madonna mich nie zu Gnaden annehmen, aber eher auch nicht einen gütigen Blick verlangen. Lucinde‹ Darauf gab sie mir das Zettelchen mit einem strengen Blick voll Bedachtsamkeit und sagte: »Nun gehorche, und verwahr es sorgfältiglich, wenn ich so viel über dich vermag, als du sprichst. Und noch eins: wer hat dich hiehergebracht?« Hier mußte mir nun platterdings eine Lüge aus der Not helfen; ich sagte, ich sei ihr nachgegangen und habe mich dort hinter den Schrank versteckt, ohne von ihr bemerkt zu werden. »Bist du so ein Tausendkünstler?« sagte sie spottend. Der Morgen brach an; ich wollt ihr einen Kuß zum Abschied geben, aber er ward mir nicht verstattet. Ich kleidete mich geschwind wieder zurecht und verließ sie, machte für Fulvien auf der Treppe das verabredete Zeichen, daß nichts geschehen sei und sie schweigen sollte, eröffnete sachte die Tür des Palastes und schlich in meine Wohnung. Den ganzen Morgen konnt ich kein Auge zutun; und als ich des Nachmittags ein paar Stunden geschlummert hatte, dünkte mich alles ein Traum. Als es dunkel wurde, ging ich zu Fulvien in Gesellschaft: sie und ihr Gemahl hatten mir ein- für allemal Erlaubnis gegeben, zu kommen, wenn ich wollte. Es befanden sich mehrere Personen vom gestrigen Ball da; man sprach darüber und spielte hernach. Lucinde saß unterdessen für sich am Fenster, mit dem Kopf in der Hand, und blickte mich nicht an, und war in geheimer Betrachtung verloren. Ich machte mich alsdenn zu ihr; sie schlug die großen schönen feuchten Augen nieder und seufzte und errötete über und über. Ich getraute mich kein Wort zu reden. Endlich legte sie den andern Arm auch ins Fenster und betrachtete mich still mit einer gewissen Wehmut voll Empfindung; wir saßen allein, und sie sagte nun leise mit Engeltönen zu mir: »Was hab ich getan! was hast du getan die vorige Nacht!« Inzwischen holt ich einen Ring hervor mit dem größten strahlendsten Diamant unter denen vom Diagoras und schob ihn ihr unbemerkt an den vorletzten Finger ihrer linken leichten Charitinnenhand, und antwortete Aug und Aug in süßem Liebesgenuß: »Nimm hin, du Braut meiner Seele!« Sie erschrak und war zwischen Weigern und Zärtlichkeit, und blickte darauf und um sich; und verbarg dann die Hand im Schoß, und zitterte und glühte. »Sag mir nur noch, mein Leben,« fragt ich sie flisternd, »ob der alte Schiffer aus Antibes hier ist und wie er heißt, damit ich ihn ausfragen kann, wo man den Florio in Konstantinopel findet.« »Er heißt Gabriotto«, versetzte sie hastig, »und liegt mit seinem Schiff im Hafen.« Dabei stand sie behend auf, trat zu Fulvien an deren Spieltisch, die eben einen feinen Streich machte, worüber gelacht wurde, und verlor sich dann aus dem Saale und kam nicht wieder zum Vorschein. Mit Fulvien hatt ich noch vor Mitternacht eine kurze Zusammenkunft, die sich den ganzen Tag bedachtsam aufführte und nichts merken ließ, und erzählte ihr, daß ich nicht übers Herz habe bringen können, Lucinden Gewalt anzutun, und es auch vergebens gewesen sein würde. Machte ihr eine ganz andre Beschreibung, wie sie mir ihren Geliebten entdeckt hätte, der in der Sklaverei lebe; und, mit einem Wort, daß ich das himmlische Mädchen zu hoch schätze, um es zu verführen und unglücklich zu machen. Ich bat sie ihrer selbst wegen, von diesem allen stille zu sein. Sie war's gar wohl zufrieden und antwortete, daß sie die Geschichte wisse. Auch sie woll ihr möglichstes beitragen, daß der Armen geholfen werde; sie liebe sie als ihre beste Freundin und eine der vollkommensten Personen ihres Geschlechts: nur könne sie ihre allzugroße Frömmigkeit, Eingezogenheit und Kälte nicht vertragen; die Jugend unsers Lebens, besonders beim Frauenzimmer, sei zu kurz, um sie so ungenossen wegstreichen zu lassen, und in diesem Punkt Lucinde gewiß immer albern. Darauf ging es an das Catullische Da mihi basia mille, wovon ich mich bald losmachte. In solche neckende Händel geraten wir Liebesritter! Aber ich stelle mich auch auf keinen philosophischen Lehrstuhl, wo man zu sein befiehlt, was der Mensch nie war. Den andern Morgen sucht ich den Gabriotto auf, und traf ihn endlich gegen Mittag in einem Weinhause, nachdem ich ihn im Hafen nicht gefunden hatte. Es ist ein herrlicher Alter, in seinem Leben von mancherlei Schicksalen durchgearbeitet. Dreimal war er in Sklaverei, in Ägypten, Mauritanien und Griechenland; und sah Mekka und das Heilige Grab, zog mit seinen Patronen über den Kaukasus und Atlas und kam jedesmal wunderbar wieder los; führte nun ein Kauffahrteischiff und ließ sich's wohl sein in seinen letzten Tagen. Was ist eines Königs Leben, der seine Zeit durchgähnt, gegen die Wanderungen und Gefühle eines solchen Erdensohns? O gütiger Himmel, laß mich nur nie auf einer Stelle klebenbleiben! Ich machte bald mit ihm Bekanntschaft, er liebte die lehrbegierige Jugend: wir setzten uns in einen Winkel allein, und ich sorgte dafür, daß wir nicht Durst litten. Ich verschwieg im Anfange mein Geschäft, und wir kamen auf die ägyptischen Pyramiden zu sprechen. Er machte die gescheite Bemerkung dabei, daß die Leute damals entsetzlich unter der Zucht ihrer Könige müßten gestanden haben, um so ungeheure Steinhaufen aus ferner Gegend her zusammenzutragen, die am Ende doch nur eine Kleinigkeit gegen die vielen Felsen des Kaukasus, Atlas und der Alpen wären, welche die Regen des Himmels binnen den Jahrtausenden zu ebensolcher unzerstörbaren Form gespült. Ich erzählte ihm dabei zum Scherz aus dem Herodot das Märchen von der reizenden Königstochter, die bloß durch ihre Liebhaber sich eine erbaut habe, der sie für jede Gunst doch nur einen Stein herbeischaffen durften; und daß folglich bei allen die Arbeit nicht gleich sauer gewesen sein möge. »Wer den letzten lieferte«, antwortete er lachend, »und dem Werk die Krone aufsetzte, muß wenigstens guten Mut gehabt haben.« Er machte mir alsdenn eine angenehme Beschreibung von den Sitten mancher Länder, die er durchstrichen war. Zum Exempel von Georgien und Cirkassien, wo die schönsten Menschen leben, sagt' er, daß die Kinder da hervorkämen wie die Blumen und Früchte auf dem Felde und man von keiner Eifersucht wisse. Die Männer hielten sich bloß für das Mittel ihrer Entstehung, und bildeten sich nicht ein, als ob sie dieselben etwa selbst verfertigten, wie ein Kunstwerk, und wären dabei eitel auf ihren Verstand oder ihre Geschicklichkeit wie bei uns; und alle Welt lebte glücklicher ohne die Ketten und Fesseln. Von der Schönheit, besonders der Weiber dort, gingen wir auf unsre Landestöchter über; und von diesen behauptete er doch, daß sie mehr Geist und Form in ihrer Gestalt hätten, obgleich nicht die Zartheit und die Blüte des Fleisches jener. »Als hier in Genua«, fügte er hinzu, »ist ein junges Frauenzimmer, Lucinde von Montefeltro, die ich allem Reiz vorziehe, den ich dort gesehen habe.« Diese Reden gingen mir, wie Du leicht denken kannst, gar süß vom Ohr zum Herzen durch all mein Wesen. Wir tranken dabei mit durstigern Zügen. Der Zaubertau des Weinstocks setzte ihn in meine Jugend zurück und durchglühte seine Adern wieder mit der ersten Lebenswärme. Ich fragte ihn darauf, ob er diese Lucinde von Montefeltro genau kenne. »Wie oft hab ich den Engel als Kind auf meinen Armen getragen, und ihr Leibchen rundum bepatscht und gestreichelt, was ich noch immer tun möchte, ohn ihr mehr Schaden zuzufügen!« fuhr er lieblich zu sprechen fort. »Ihr Vater war ein heruntergekommener Edelmann, der, um sich wieder zu erholen, hernach Handlung trieb. Mit seiner ersten Frau zeugte er keine Kinder; alsdenn schon in die funfzig, vermählte er sich mit einer armen, aber jungen und äußerst schönen Anverwandtin der Mutter der Fulvia Fregosa, die nun in das Haus S*** getreten ist, bei welcher sich Lucinde aufhält. Sie hieß Sophia und lebte mit dem alten Montefeltro schier an die drei Jahr in Ehe, als sie wider Verhoffen schwanger wurde und mit Lucinden niederkam. Jedoch unter den Rosen der Gastfreundschaft! Es hielt sich damals zu Nizza wegen des milden Winterklimas unter fremdem Namen ein wunderschöner und tapfrer portugiesischer Prinz auf, der eine Wunde im Krieg mit den Sarazenen bekommen hatte, die in seinem Lande nicht recht heilen wollte. Dieser mietete sich einen Garten neben dem des Montefeltro auf dem Weg über den Berg nach Villafranca; und wir alle haben nie anders gemeint, als er habe mit Fug und Recht getan, was der Alte nicht konnte. Und so ward ein süß verlassen Weib glücklich gemacht, und es lebt ein himmlisch Geschöpf auf der Welt mehr, aller Augen zu entzücken. Als Lucinde ohngefähr zehn Jahr alt war, starb ihre Mutter, die sie als ihr einzig Kind mit aller Zärtlichkeit liebte; ihr Vater tat sie darauf zur Erziehung in ein adelig Nonnenkloster. Nachher ward ich von einem schrecklichen Sturm verschlagen, zum drittenmal gefangen und diente bei einem reichen Kaufmann in Griechenland. Wie ich nach einigen Jahren wieder loskam, hatte sich alles verändert; dem Montefeltro waren etliche reiche Schiffe nacheinander teils weggenommen worden, teils zugrunde gegangen, zu gleicher Zeit brachen einige starke Bankerotte in Marseille aus, wobei er so viel einbüßte, daß die Gläubiger sich seines übrigen Vermögens bemächtigten. Er flüchtete zuvor mit wenigem hieher, da der Reichtum der Kaufleute mehr in Forderungen als barem Gelde besteht, und gab binnen kurzem vor Kummer seinen Geist auf. Lucinden nahmen aus dem Kloster ihre mütterlichen Anverwandten zu sich. Und so strahlt sie denn wie der Morgenstern, der bei einer Nacht ohne Mond aus den stürmischen Wellen der See aufgeht und Glanz von sich träufelt, am genuesischen Himmel. Aber o wäre sie auch so glücklich, als sie schön ist und alle weibliche Tugenden besitzt! Sie könnt es sein, wenn das Schicksal ihr nicht einen Strich durch die Rechnung gemacht hätte. Florio Branca liebte sie und ihn Lucinde; und sie lebten schon in seliger Ehe miteinander, wenn er nicht in Sklaverei geraten wäre. Er wuchs an den Ufern des Varo auf, kam in das Haus ihres Vaters, ging alsdenn zur See und bildete sich zu einem Helden. Im Dienste von Spanien lief er mit einem Geschwader nach der Neuen Welt aus und streifte in Mexiko und Peru herum. Kam wieder zurück mit Ruhm und Schätzen, und sah das edle Reis zu einem schönen Baum emporgeschossen in süßer Blüte stehen, und wollte sich unter dessen anmutigem Schatten letzen, als er unter dem Johann von Austria mit der Galeere, die er anführte, gegen die Ungläubigen mußte. Die Flotte der Feinde von zweihundertundsechzig Schiffen wurde zwar geschlagen und von den Christen bei den Echinadischen Inseln der größte Sieg seit langen Zeiten erlangt, den sie sich nur jämmerlich zunutze machten: allein Ulazal, der tapfre Korsar, entkam, mit dreißig Dreiruderigen, und führte den Florio mit sich nach Konstantinopel gefangen; welcher unter dem Doria beim ersten Angriffe sich befand und nach vielen Wunden nicht mehr imstande war, von den Scharen umzingelt, sich durchzukämpfen. Sie kennen ihn dort wie die Reiger den schnellen gewandten Falken; und werden ihn nicht loslassen. Er dient als Sklave beim Großwesir selbst; ich hab ihn gesprochen und ein Briefchen von ihm seiner traurigen Geliebten hier überbracht, worin er sie beschwört, ihn zu vergessen und einen Glücklichern zu wählen, wenn er noch ein Jahr lang ausbleibt.« Diese Nachricht wühlte mir das Herz auf, und Florio dauerte mich; ich seufzte heftig bewegt und im Gesichte glühend: Armer Schelm! Der Alte fuhr fort: »Wenn du ihn sähest, mein Sohn, du würdest ihn lieben; er ist ein gar guter junger Mann bei soviel rauher Tapferkeit. Wie oft haben wir vor wenigen Jahren zusammengesessen und einander erzählt! Wenn ich ihm vom Kaukasus und Atlas sprach, so beschrieb er mir, wieviel höher die Gebirge von Amerika wären; und wir gerieten dann in einen freundschaftlichen Streit. Ich hatte die unendlich schönern Weiber, Männer und Tiere von weit edlerer Natur für mich: und er pries und rühmte zum Scherz die reichen Gold- und Silberminen, womit man die ganze Alte Welt erkaufen könnte, wenn man alle Beute herausholte.« Wir tranken alsdenn auf seine Gesundheit und baldige Befreiung. Ich fragte den Gabriotto noch, ob er vielleicht den Ulazal von Person kenne; und er sagte mir, daß er ihn einmal zu Rhodi gesehen habe, und schilderte mir ihn als einen andern Hannibal auf der See. Er machte hierbei die Beobachtung, würdig eines solchen Graubarts: »Colonna zog zu Rom im Triumph ein wegen seines Drittelsiegs; wenn einer aber die Taten beider in jenem Treffen genau abwiegen könnte, in welchem Glanze würde da noch der flüchtige Kalabreser vor ihm erscheinen! Ein solcher sichrer Rückzug eines einzelnen Mannes mit seinen Freunden, nachdem er Wunder des Verstandes und der Tapferkeit für die Flotte der andern Admirale getan hatte, aus der vollen Macht der Überwinder, bezeugt die größte Unerschrockenheit, Übersicht und Erfahrung. Schade, und ewig schade, daß er unserm Glauben abtrünnig geworden ist.« »Zumal«, setzt ich hinzu, »da ihn der Heilige Vater Pius wieder zu Gnaden annehmen wollte und Philippen beredete, alles anzuwenden, dem Helden Herrschaften und Reichtümer zu schenken, wo er sie nur immer haben möchte, in Spanien, seinem Vaterlande, oder Sizilien, wenn er die Heiden verließe. Doch gefällt mir nicht, daß man denselben mit solchen Anträgen bei dem Sultan wenigstens verdächtig machen sollte, damit er ihn selbst aus der Welt schaffte: weil man keine andre Mittel dazu vor sich sähe. Ulazal aber war zu klug für solche Versprechungen, scheute überdies die künftige feige schale Rolle und trat folgenden Frühling nun selbst als Admiral auf, mit einer neuen Flotte. Es ist närrisch, daß man von den Kalabresern verlangt, sie sollen nicht zu den Türken übergehn. Die Türken plündern ihre Gegenden und führen sie selbst in Sklaverei; und ihre Fürsten sehen gelassen zu, ohne sie zu verteidigen, und saugen sie noch obendrein mit allerlei Auflagen aus. Sie werden also mit doppelten Ruten gezüchtigt. Was hat ein Mann, der Kopf hat und Mut im Herzen, anders zu tun, da er allein sich nicht wehren kann gegen beide Feinde, die ihn berauben? Er schlägt sich zur Partei der Sieger.« »Ich will doch lieber in dem Glauben leben und sterben, worin ich geboren und erzogen bin, und ein wenig Unrecht leiden«, erwiderte der Alte; »das Dulden ist auch süß, wenn man das Vermögen noch in sich fühlt, auszudauern, und große Belohnung dereinst unter seinen Geliebten dafür erwartet.« »Ein guter Glaube überwindet freilich alles«, antwortet ich ihm darauf; und dachte im Herzen, wer damit nur immer in der glückseligen Dunkelheit herumtappen könnte! Noch denselben Abend lief ein französisches Schiff im Hafen ein, mit dem neuen Gesandten und Konsul für Konstantinopel und Smyrna, das nur Wasser einnahm und mit dem ersten guten Wind wieder absegeln wollte. Ich bediente mich der Gelegenheit, eilte sogleich nach Hause und schrieb an den Diagoras, so rein und frei, wie's in meinem Geiste lebte, frisch von der Hand weg; und bat hernach den Edeln inständig, den Florio Branca zu befreien, wenn er könnte, oder mir wenigstens die Art zu melden, wie es möglich wäre, ohn ihm jedoch etwas von mir zu sagen; und dann nach Genua zu schicken. Die Aufschrift macht ich an seine Mutter, damit der Brief desto sichrer möchte abgegeben werden. Der Patron des Schiffs erhielt von mir schon zum voraus eine Belohnung; und ich versprach ihm mehr, wenn er mir gute Antwort bringen würde, und sagte ihm zugleich, was es beträfe. Er gelobte mir heilig an, ihn aufs beste zu besorgen. Den andern Morgen gegen Mittag ging das Jagdboot auch wieder ab, und mir schwoll das Herz von verschiednen Leidenschaften, sowie der Wind die Segel schwellte. Ich muß selbst über das Gleichnis lächeln, und doch ist's wahr und gefällt mir; ach, unsre Gedanken und Empfindungen sind so zart und veränderlich, und heiter und wild und stürmisch wie die Lüfte. Ardinghello Hierauf gab ich dem Ardinghello keine Antwort und erhielt im März wieder folgenden Brief von ihm: Genua, März. Sie hat mich zum ersten Mal geküßt, freiwillig; und meine Lippen schmachten in einem fort nach ihrem süßen Munde. Schüchtern, jungfräulich und doch naturnotwendig, wie der Magnet sich zieht, flog unerwartet plötzlich der himmlische Kuß auf mich. Wie selbst darein verwandelt schlief ich die Nacht, ein wollüstig stechend Feuer, und bin nun erwacht wie ein seliger Engel. O ein glücklicher Tag der gestrige! wie der neue Frühling ging die Sonne auf und unter. Wir saßen gegen Abend oben allein im Garten, unten hatte Fulvia und ihr Gemahl Gesellschaft; und die See spielte in kleinen Wellen, um, wie zärtliches Leben, sich in die Lüfte zu verbreiten. Ich zeigte Lucinden erst einige Griffe auf der Laute, alsdenn sangen wir zusammen, und unsre Herzen ergossen sich endlich ineinander durch Gespräch und Blicke. »Ein Weib ist doch das armseligste Ding auf Erden!« seufzte sie auf die letzt wehmütig, nach mancherlei Reden über Welt und Dasein und Bestimmung, und kehrte die Augen von mir ab gen Himmel; »gefesselt auf allen Seiten, dürfen wir keinen freien Schritt tun, wo uns der Geist hinleitet, ohne Schmach und Schande. Nicht über die Straße können wir gehn allein und sonder Mama und Base, wenn man uns für wohlgebildet hält, ohne daß die Lästerzungen auf uns stechen. Natur und Leben und Sitten und Gebräuche in andern Gegenden zu sehen und zu hören ist uns gänzlich versagt: wir müssen auf einer Stelle bleiben, wie die Pflanzen, und glauben, was man uns vorlügt, ohne sinnlichen Begriff; Wahn und Traum und Gehorsam unser Eigentum: kein Tropfen Wahrheit, die Seele zu erquicken. Wenn eine schön ist, so legt man ihr überall Schlingen; und derjenige selbst, welchem sie in einer gewitterhaften Stunde gefällig war, verleumdet sie oft hernach am ärgsten, und tritt zum schimpfenden Pöbel über, wenn er einen andern vorgezogen glaubt; oder sie wird von unvernünftiger Eifersucht noch fester eingekerkert. Sind wir nicht schön, so erwerben wir keine Liebe mit aller Weisheit und allen Künsten der Musen und der Minerva; und außerdem heißt's immer noch: sie ist doch nur ein Weib, und kann und darf nichts recht sehen, wie es ist; Pedanterei und Ziererei ohne Zweck und Nutzen! Ein Weib hat weder Stärke noch Überlegung, etwas Großes in irgendwo zu erlangen und zu fassen; die Guten und Verständigen haben Mitleiden mit dessen Schwäche, und die Boshaften verspotten es und suchen es mit ihrem Lobe vollends zur Närrin zu machen. So geht man mit uns um. Am besten wär es, nie geboren worden zu sein; denn was wir wollen und lieben, dürfen wir doch nicht haben! oder, sobald diese Neigungen in unserm Herzen aufgehn, geschwind von der Erde weggenommen zu werden. Unser Los ist Traurigkeit und Leiden und wenig heitre Augenblicke; ein vergnügter sichrer Zustand ist uns nicht beschieden: unser Leben ein schwacher Kahn im stürmischen Meer, oft von Wellen überschlagen.« Aber warum schreib ich Dir den toten Sinn und Buchstaben von dem, was sie so göttlich in bezaubernden Worten, Tönen und Gebärden sagte! Ich hielt ihre Linke in meinen beiden Händen, und sie überließ die entzückenden Wallungen ihrer innern Schönheit ruhig meinem heißen Gefühl. »O Lucinde,« antwortet ich ihr darauf, »du hast viel Wahres gesagt, wir sind ungerecht gegen euch! aber auch unser Los ist hart. Uns liegt die Arbeit ob, und ihr wirkt still wie die Sonne, und macht schon glücklich bloß durch eure Schönheit. Wir müssen alles erringen und erkämpfen; und ihr strahlt nur um euch: so liegt man euch zu Füßen. Hohe Schönheit ist freilich äußerst selten; aber auch eine Jungfrau, die sie besitzt und zu gebrauchen weiß, ist, was bei uns Alexander und Cäsar mit Heeren von Helden; es kömmt nur auf sie an, was sie erobern will! Das ewige Schicksal hat ihr alle Herzen unterworfen. Liebe und Geist ist eins und dasselbe unter verschiednen Namen, nur daß man Überfluß von Geist Liebe nennt: hohe Schönheit beherrscht alle Geister. Sie vereinigt sich deswegen gern mit großer Gewalt oder großem Verstande, weil da die Liebe am mächtigsten ist. Der Mensch für sich allein, überhaupt jedes Wesen, abgesondert, ist unglücklich. Was kümmert den Vortrefflichen im Grunde Wahn und bürgerliches Vorurteil? Das Gesetz ist toll und töricht, das ihm Eigentum und freien Gebrauch seiner Person abspricht; und er tritt es mit Füßen, sobald er kann.« »Ich möchte lieber Ardinghello sein«, versetzte sie schnell in leisem Nachtigallenton, ganz auf mich geheftet, »als Semiramis und Laura, so jung und schön mit soviel Tapferkeit und Talent!« und hier neigte sie ihre Lippen nach den meinigen, ich ward von einem süßen Blitz durchschlängelt, und meine Seele schwebte in der Herrlichkeit des Entzückens wie aufgelöst von allen Banden. So hielten wir uns lang umschlungen, bis unsre Blicke in Wollusttränen untergingen und sie ausrief, rosenrot und lilienblaß, und sich losriß: »O du, mein Abgott, was wird noch aus mir werden!« ohne mir mehr zuzugestehen. Fulvia kam bald darauf, als ich noch an einen Baum gelehnt stand und mit den Armen die Augen zuhielt, um nichts Irdisches zu betrachten. Die Schlaue merkt alles und erkennt die Momente wie ein edles Raubtier. So schiff ich denn zwischen einer Scylla und Charybdis im Wonnemeere der Liebe; und lasse mich von ihren Strudeln herumwälzen in Gefahren, damit mein Mut nicht müßig liege. Doch erschreck ich zuweilen vor Lucinden; sie hat in manchen Punkten nicht die Biegsamkeit ihres Geschlechts, und in ihrer Gestalt entdeck ich Züge von fürchterlicher Heftigkeit; und eben diese sind es, was mich so gewaltsam ergreift und an sie fesselt. Ich fühle durch und durch, was das himmlische Geschöpf verlangt, und dies foltert mich, da es unmöglich geschehen kann: und doch ist der Engel zu schön für die Welt, die ihn mit ihren Sitten angesteckt hat, als daß ein Natursohn ihr ihn so ungenossen sein Leben lang überlassen sollte. Übrigens studier ich hier immer mehr die Schiffahrt und streiche öfters an der Küste herum. Zu Korsika bin ich auch schon gewesen, und das rauhe Volk gefällt mir: es liegt Stoff darin. Es kömmt kein Schiff an und geht keins ab, das ich nicht ausforsche. Und so beschäftigt sich auch noch meine bildende Kunst mit der See; ich habe die eine Skizze, wo ich den Biondello niederstoße, im großen angelegt. Den Helden Doria besuch ich fleißig und lerne viel aus seinen Gesprächen; er will mir wohl, das seh ich aus seinen Mienen und Gebärden und seiner Offenherzigkeit. Er weiß, wer ich bin, und Fulvia und ihr Gemahl wissen es mit Lucinden; ich bin gleich anfangs von einem meiner Landesleute verraten worden, der mich erkannte. In Venedig blieb ich eher verborgen, während des Kriegs mit den Türken und weil es dort viel Maler gibt, worunter man sich leicht verstecken kann; hier sind deren kaum ein paar. Auch kam ich bei Euch in keine so vornehme öffentliche Gesellschaften. Inzwischen hab ich keinen Schaden davon, sondern Vorteile; man schätzt mich desto mehr, und ich habe, wo ich will, freien Zutritt. Vor dem Tyrannen von Toskana fürcht ich mich nun wenig mehr; meine Tante meldet mir, daß es übel mit ihm aussieht. Er hat durch seine Ausschweifungen schon längst seine Gesundheit zugrunde gerichtet und bei der Camilla Martella die Neige seiner Kräfte vollends so abgezapft, daß ihm die Zunge steif geworden ist und verdorrt und er nicht mehr sprechen kann. Alles dies ist buchstäblich wahr, und so unklug wirtschaftete kein Tiberius auf der Insel Capri und kein Nero in beiderlei Gestalt, die noch immer wußten, wenn sie für sich aufhören sollten. Ein neuer Hippokrates von Macchiavell wird den jungen Tarquinen auch noch hierin die Anfangsgründe vorbuchstabieren müssen; denn von selbst wird selten einer so gescheit sein. Der neue Herzog, sein Sohn, führt sich auf wie ein Blödsinniger, und Eure berühmte Bianca behandelt ihn auch so mit Fug und Recht. O Cäcilia, Aphrodite des adriatischen Paphos, wie lebst Du und unsre Liebe? Du sollst gewiß noch dereinst voll Zärtlichkeit Lucinden und auch Fulvien als Deine Gespielinnen umarmen. Meine Seele schmachtet nach ihr und Dir; sei nicht so karg mit Deinen Worten. Ardinghello Zu Ausgang des März schrieb ich ihm, da ich aus dem Schluß seines Briefes sah, daß er ohngeachtet seiner Leidenschaft doch den Kopf noch nicht verlor und immer den Edelmut im Grunde seines Herzens hatte. Venedig, März. Ich möchte mich lieber mit Dir nur wenige Augenblicke mündlich unterhalten als in dem längsten triftigsten Buchstabenwechsel. Ich habe Cäcilien schon zum zweitenmal gesprochen; das erstemal in Gesellschaft und darauf vor wenig Tagen allein. Sie ist hoch schwanger, gesund und bei Kräften; und Mutter und Brüder und Freunde und Gespielinnen geben sich alle Mühe, ihr neue Ergötzlichkeiten zu verschaffen. Es ist eine wahre Augenweide, eine so junge reizende Frau am Ziel ihrer Bestimmung zu sehn; und einem Fremden, der nichts von ihr hofft und erwartet, muß sie so selbst schöner und vollkommner sein, als sie als Mädchen war; geschweige dem glücklichen Geliebten, der die süße Frucht seiner Liebe so heranreifen sähe. Ardinghello, Du bist ein Göttersohn, zu hohem Wohl erkoren; nur verscherze Dein Heil nicht! Das erstemal wagte sie nicht nach Dir zu fragen; aber das Spiel ihrer Blicke um mich, Deinetwegen, war mir ein Himmelreich. Sie errötete, wurde blaß, seufzte, suchte sich zu verbergen: doch die Natur triumphierte: ihr Busen wallte stärker, und sie kam endlich zu mir und ließ sich mit mir in ein Gespräch ein, lieblich und traulich. Ich faßte mich dabei so, als ob ich in diesen Augenblicken Deiner nicht gedächte; und sie ging froher von mir, sie mochte nun argwohnen oder nicht argwohnen: denn sie mußte fühlen, daß ich ihr wohlwollte, und dies schon vorher wissen. Vor wenig Tagen ließ ich mich bei ihres Vaters Palast anfahren, bei welchem sie noch immer wohnt, bis nach ihrer Niederkunft, um ihren jüngsten Bruder zu besuchen, den ich nun näher kenne; und als er nicht zu Hause war, ging ich inzwischen zu seiner Mutter, und traf Cäcilien gerade bei ihr. Die Mutter verließ uns denn eine Weile wegen Geschäften, und wir blieben allein. Ihre schönen großen Augen ruhten lang hell und klar auf mir, und ihre Lippen lächelten, wie wenn man einen zum Reden zwingen will. Mich dauerte die Verlaßne, und ich fing an von dem Gemälde zu sprechen, das eben vor uns hing; und kaum hatte sie mir den Meister gesagt, so war die Frage darauf: »Wo ist jetzt Ihr Freund Ardinghello? Ich hab ihn nicht wieder gesehen, seitdem er mich gemalt hat: er wird also wohl nicht mehr in Venedig sein.« Ich antwortete: »Den letzten Brief von ihm hab ich aus Genua; es geht ihm dort sehr wohl.« Du hättest sehen sollen, wie sie darauf lebendig ward und sich alles an ihr regte; ein neuer Morgen ihr Gesicht mit heißen Sonnenblicken. Nicht mehr festhalten konnt ihr Herz: »Es ist ein trefflicher Mensch, voll Verstand und Talent, und das Geringste ist der Maler an ihm, so weit er's auch schon in seiner Kunst gebracht hat.« Hier glühte sie auf wie eine Rose und fügte lächelnd hinzu, sich fühlend: »Ich glaube, daß ich in ihn verliebt geworden wäre; es ist gut, daß er weg ist.« Mir waren hier die Daumenschrauben aufgesetzt: aber doch bekannt ich nicht wegen ihrer selbst, und Deiner und meiner; noch scheint es mir nicht Zeit zu sein. Ich antwortete wie kalt und schier eifersüchtig darauf: »Dies würde den jungen Herrn bis ins kleinste Gelenk kitzeln, wenn ich ihm so etwas berichtete; er war ganz bezaubert von Ihrer Schönheit, wie er Sie malte, und beneidete mutwillig Ihren unglücklichen Gemahl.« Dies Wort kam wie eine finstre Wolke vor ihrer Schönheit Glanz, sie entfärbte sich und versetzte: »Nun, so arg und gefährlich ist es nicht; Sie brauchen ihm auch nichts hiervon zu schreiben; doch grüßen Sie ihn von mir und melden ihm, daß ich seine Kunst bewundre, und große Dinge von ihm erwarte, und den eifrigsten Willen habe, ihm in Zukunft nützlich zu sein.« Hierüber trat die Mama wieder ins Zimmer, und ich verließ sie bald darauf. Du siehst daraus, daß alle Verstellung ein Ende hat gegen einen, der Person und Sache kennt: es ist ein Glück für Euch, daß kein solcher unter ihren Richtern saß. Wer die Wege gut weiß, geht auch im Nebel sicher; und ein Wollüstling von Auge sieht oft die Gegenstände darin mit mehr Freude als bei hellem Wetter. Inzwischen dauert sie mich doch von Grund der Seele; denn sie ist unglücklich. Dein Umgang mit Lucinden gefällt mir nicht. In Rücksicht ihrer wenigstens kann ich die Grundsätze nicht billigen, die Du ihr einflößest; besonders wenn Florio der Mann ist, wie ihn der alte Schiffer schildert: ich befürchte, daß es schlimme Händel absetze. Überhaupt muß sich jeder nach dem Staate richten, worin er lebt, wenn er ihn nicht gewissermaßen übersieht und heraus kann, wenn er will: sonst trifft am Ende das Sprichwort ein: ›Der Krug geht so lange zu Wasser, bis er zerbricht.‹ Wenn Lucinde Deinen Geist hätte bei ihrer Jugend und Schönheit: o dann stünden ihr Königreiche zu Gebot; so aber mußt Du sie erst in das alte Korinth oder Athen bringen, wenn sie nach Dir glücklich sein soll. Und noch dazu scheint mir ihr Charakter sich nie recht zu bequemen. Mit einem Worte: sobald ein Weib eines Mannes Frau wird, begibt es sich im Punkt der Liebe seiner Freiheit, hernach eine andre Wahl zu treffen; und was opfert der Mann nicht dafür auf, daß ihm dasselbe treu sein möge? Schönheit und Keuschheit beisammen wird ewig eine höhere Vollkommenheit sein als Lais und Phryne, setze sie in einen Staat, in welchen Du willst. Doch red ich, was Lucinden betrifft, in der Ferne; und ein einziger Blick auf sie und wenig Worte von ihren Lippen könnten vielleicht meine eigne Moral wegbannen. Das Zettelchen, welches sie Dir im Bette schrieb, bleibt immer ein wunderbarer Flug, von dem andern Erdenvölkchen weg, wozu eine starke Leidenschaft gehört, die alle Furcht von Vorurteilen überwältigt. Es schweben Gefahren über ihr und Dir; aber wer sich selbst nicht raten kann, dem ist nicht zu helfen. Jeder weiß am besten, wie ihn die Umstände umringen. Fulvien geb ich Dir gerne preis, nimm mir's nicht übel! echte Genueserin nach dem Sprichwort;10 ein Gesetz, von keiner Gewalt in Ausübung gebracht, ist kein Gesetz in Wirklichkeit. Wer seine Rechte nicht behauptet, der hat keine; so geht's allen Männern, die nicht auf ihrer Hut sind. Dies sahen die Spartaner wohl ein; und welcher Kopf nicht, der noch Vernunft hat? Ich mag nicht daran denken, daß Du mir vom Diagoras sollst entrissen werden. Bleib in Deinem Italien, und lies das andre in Geschichten und Reisebeschreibungen; der Mensch braucht zu seinem Glücke nicht den ganzen Erdboden. Die See ist weiter nichts als ein ungeheurer leerer Weg etc. Erst in der Mitte des Mai erhielt ich wieder einen Brief von ihm, und zwar aus Lucca, welches mir sonderbar auffiel. Er lautete wie folgt: Lucca, Mai. Auch Du bist schuld daran! Lucinde ist von Sinnen gekommen. Florio Branca kam, erlöst vom Diagoras, und obendrein mit Geschenken ausgestattet; ein Held wie ein junger Diomed, nur im Gesicht voll Ehrennarben. Er wußte nicht, daß ich sein Retter war, und wir wurden bald Freunde. Er drang auf seine Vermählung: zu Messina, wo ein Teil der spanischen Flotte liegt, war ihm von den obersten Befehlshabern nicht allein sein voriger Posten, sondern eine weit ansehnlichre Stelle zugesichert worden. Ich befand mich eben nicht in Genua, wie er seine Braut überraschte; Fulvia erzählte mir, sie sei in Ohnmacht gefallen, als sie ihn so unerwartet plötzlich vor sich gesehen hätte. Man schrieb es der Freude zu. Sie faßte hernach alle ihre Kräfte zusammen, alte Liebe und Verstellungskünste: und Florio hielt sie in seinen Armen stumm vor Heftigkeit der Wonne nach so vielen Drangsalen. Ich traf bei meiner Ankunft den Florio zuerst bei ihr und Fulvien und ihrem Gemahl in Gesellschaft. Seine Gestalt und sein Wesen machte gleich auf mich großen Eindruck; starker Gliederbau, scharfe Gesichtszüge, kleines blitzend verwegnes Auge, verbrannte Farbe, krauses Haar und derbes Fleisch und wenig Worte zeigten mir ein Muster von Seemann; und sein Knebelbart und kurzer Säbel vollendeten das Bild. Ich wünschte beiden herzlich Glück über ihre Wiedervereinigung. Lucinde sah mich still an und glich einem Gewitter von Empfindung. Die Tage darauf macht ich nähere Bekanntschaft mit dem Florio; und meine kalte Vernunft rang immer mehr, meine heißen Begierden zu bekämpfen; der Tapfre war die edelste der Blumen ganz wert. Ich sprach Lucinden alsdenn allein im Garten. Sie jammerte über die Unruhen des Seelebens und die Kriegsgefahren. O wie mein Herz ihr entgegenschlug, als ich die Morgenröte von Küssen um ihre Lippen schweben sah! Aber ich verwüstete schändlich alle Inbrunst der Natur wie ein Gotteslästrer, und gab ihr das teure Zettelchen wieder, und stammelte die tollen Silben hervor: »Ich kann deine Gunst nicht annehmen; Florio ist deiner Liebe ungeteilt wert: in mir ist jede Fiber Wunde; aber seid glücklich miteinander, rein und ohne Flecken.« Sie blieb wie eine Säule stehen, las die Zeilen ihrer Hand und zerpflückte darauf langsam mit den Zähnen das Blatt, Stückchen vor Stückchen, indes ich von ihr ging und mir die Tränen in die Augen tobten. Dies geschah nach der Mittagsmahlzeit. Fulvia, die von diesem allen jedoch nichts wußte und auch nie erfahren soll, berichtete mir, daß sie den ganzen Abend in ihr Zimmer eingeschlossen gewesen wäre und sie niemand weiter gesehen hätte bis spät den andern Morgen, wo man mit einem andern Schlüssel dasselbe aufgemacht und sie in ihrer Kleidung auf dem Bette gefunden, die Hände ringend, mit dem Oberleibe aufgerichtet und seufzend mit vor sich niedergeschlagnen unverwandten Augen. Weder Fulvia noch der Bräutigam, noch irgend jemand hat nach der Zeit ein Wort von ihr herausbringen können, so daß sie völlig die Sprache verloren zu haben scheint. Sie läßt sich geduldig hinführen, wohin man will, geht auch für sich herum, ringt aber immer die Hände und seufzt, versteht platterdings nichts mehr, was man sagt, und nimmt an keinem Gespräche mit Mienen und Gebärden Anteil. Sie ißt und trinkt wenig; sobald sie aber genug hat, ringt sie wieder die Hände und seufzt. Es sind von den Ärzten verschiedne Mittel versucht worden, aber alles vergeblich. Sie kennt Fulvien nicht mehr, ihren Bräutigam nicht mehr, und mich nicht mehr; wie sie dieser küssen wollte, hat sie nach ihm geschlagen und ihn ins Gesicht gekratzt. Auch von ihren Freundinnen leidet sie dies nicht; sonst ist sie in allem geduldig. Ich mochte mir immer mit einem Strick die Gurgel zusammenziehn, wenn sie mich so starr ansah und die Hände rang und seufzte. Jetzt steckt sie nun in einem Nonnenkloster zur Verpflegung. Florio war im Begriff, sich eine Kugel vor den Kopf zu schießen, und ist nun bei der Flotte, um in der Verzweiflung gegen die Tuneser sein Ende zu finden; und ich habe mich so auf den Weg nach Florenz gemacht. O Natur, deine schönste Zierde ist zerrüttet und zugrunde gerichtet! Das arme Mädchen, zur Lust erschaffen und aller Augen und Herzen zu entzücken, hat nie die höchste Süßigkeit des Daseins gekostet und lebt nun ein unaufhörlich Gefühl von unaussprechlichem tiefen Leiden. Du hast so etwas nicht erfahren und kannst Dir's folglich auch nicht denken: so schön, so reizend, so geliebt, so liebend und so voll Geist, und nun auf einmal alles im Ruin ohne Zusammenhang; dasselbe nicht mehr dasselbe, es ist gräßlich! Wer sie kennt, vergießt Tränen über ihr Schicksal; ganz Genua trauert. Weide dich, barbarische Moral, Feindin des Lebendigen, mit Wolfsgrimm hier an deinem Opfer! Aber auch ich, o Gott, wo werden mich meine heftigen Leidenschaften nicht noch hinreißen! Ach, ich habe ihren Zügel nicht so am sichern Griff, daß sie auf halsbrechenden Wegen nicht einmal mit mir davonrennen, der Wagen überschlägt und Roß und Führer in den Abgrund taumeln, wo man Blut und Gehirn noch lange dem Wandrer an Klippen zeigt, bis die Regengüsse des Himmels die Reste des Verwegnen vom Felsen waschen! Ardinghello Ich konnt ihm hierauf nicht antworten, weil er mir keine Zuschrift meldete. Die Begebenheit war entsetzlich und ging mir selbst durchs Herz. Je mehr ich darüber nachdachte, desto natürlicher aber kam sie mir vor. Fulvia mochte wohl die größte Schuld haben, und weit weniger Cäcilia und ich; außer der eignen Großmut von Ardinghello. Lucinde war mit allen Reizen bei ihrer Jungfräulichkeit zu beklagen: ein schwacher Feind in der Festung ist fürchterlicher als der stärkste von außen. Seine Reise nach Florenz schien mir immer gewagt, ob ich gleich schon längst wußte, daß Cosmus gestorben war. Dritter Teil Lucca, Mai. Ich sitze hier an den Höhen des Tals von Lucca, wo über mir der Wind durch die Buchen säuselt und unter mir die Quellen rieseln, bewegt in der innersten Seele, wie am Scheidewege meines Lebens. O wer die Zukunft aufhüllen könnte! Aber diese kennt niemand als der, der alles weiß; wir sind nur Funken, unsers Schicksals ungewiß, die in dem Unermeßlichen herumstäuben. Wohl dem, der wie ein Schmetterling sich an den Blumen ergötzt, die er vor sich findet! Hat der, welcher mit Gefahren kämpfte und sein Ziel errang, am End etwas Bessers? Genuß jedes Augenblickes, fern von Vergangenheit und Zukunft, versetzt uns unter die Götter. Was hat der Mensch und jedes Wesen mehr als die Gegenwart? Traum ohne Wirklichkeit alles übrige. Doch weg mit dieser Mückenweisheit! Unser Geist hat mehr Tiefe. Nur die Kraft ist selig, die Widerstand nach ihrem Maß überwältigt und ihn nach ihrem Wesen ordnet, sei's auch unter Pein und Leiden. Dem Herkules, als er den Antäus bezwang, rannen die Schweißtropfen süßer hervor aus seiner Stirn, als ihm je die Umarmungen einer schwachen gefälligen Dirne waren; und nur Omphale, die ihn die Spindel drehen machte, verdiente die Liebe des Helden. Meine Tante schrieb mir nach dem Tode des Cosmus, daß wichtige Veränderungen am Hofe vorgefallen wären und unsre Feinde einen starken Stoß erlitten hätten; ich sollte mich auf den Weg in mein Vaterland machen: sie sei versichert, daß alles gut gehen und ich meine väterlichen Güter wiedererhalten würde; und noch außerdem woll ihr der Kardinal wohl, der alles vermöge. Diese Nachricht kam mir nun gelegen und ungelegen, nach Lucindens Verwirrung; ich hatte ganz andre Dinge im Kopfe zur Ausführung: aber niemand kann sich von seiner Wurzel losreißen; und so bin ich auf der Grenze. Der junge Herzog ist wenig Schritte von mir zu Pisa und bei ihm Bianca, von welcher man sagt, daß sie ihm einen Zaubertrank eingegeben habe: so sehr hält sie ihn an sich gefesselt. Beide gebrauchen die Bäder, weil sie gern einen Erben von ihm bekommen möchte.11 Es geht mir hart an, daß ich in diese Sphäre hinein soll; wenn ich hineinkomme, so erlieg ich vielleicht unter den Trümmern. Ardinghello Pisa, zu Ausgang des Mai. Da sieh mich nun schon am Hofe! Noch aber bin ich wie ein fremdes Tier hier, wie ein Sperber unter dem zahmen Federvieh, das mit aller Macht herbeigelaufen und -geflattert kömmt, wenn man ihm Futter hinwirft, und seine Eier legt. Ich hörte von einer neuen Art olympischen Spielen, die in den Bädern sollten gehalten werden; und ging den Tag, der zum Fest anberaumt war, bei guter Morgenzeit von Lucca durch das fruchtbare Tal über den Berg. Unentschlossen, wie von einem andern Wesen geleitet, wandelt ich herunter und langte bei den Häusern an; mir widerstand die Luft, und ein geheimer Ekel hielt mich so ab, daß ich zusammenschauderte und mir die Ohren brausten; doch aber drang ich durch. Ich hatte mich kaum im Wirtshause zu einem Frühstücke niedergesetzt, als zwei von meinen ehemaligen Kameraden hereintraten, mich anstaunten und mir um den Hals fielen; wir waren wie in einer neuen Welt beieinander, und mein Blut stürmte in Katarakten von meinem Herzen. »Willkommen! willkommen, Prospero!« riefen sie; »bleibst du bei uns? O du mußt bei uns bleiben! Es soll dir wohl gehen, du hast uns immer gefehlt.« Mich freuten die natürlichen Aufwallungen, ihre Blicke schienen nicht erlogen, und ich vergaß gleich zum erstenmal das apistein des Sizilianers.12 Ich antwortete ihnen bloß auf ihre Fragen, daß ich nach Rom reisen wolle und jetzt von Genua käme, und soeben in Lucca von ihrem Feste gehört hätte. Währenddem überraschten mich noch verschiedne andre alte Bekannten, und sie ließen nicht ab, bis ich versprach, mit Anteil an ihren Spielen zu nehmen. Öffentlich konnte man mir nichts zuleide tun; ich war weder verbannt, noch hatt ich etwas gesündigt. Ein Teil von ihnen machte darauf mit mir einen Spaziergang; und ich suchte, durch eingeleitete Gespräche mit diesem und jenem, nach und nach geschwind kennenzulernen, was sich seit meiner Abwesenheit verändert hatte. Zu Mittage speist ich in großer Gesellschaft; und bemerkte bald ein paar Spürhunde, die auf mich ausgesandt waren; und führte ihre Nasen auf allerlei Abwege. Das Völkchen war überaus lustig und witzelte und sang und scherzte; aber überall fehlte der edle Kern der Selbstständigkeit, bis auf einen meiner alten Freunde, Mazzuolo, der seinen Geist wunderbar gestärkt hatte: und wir teilten einander unsern Seelenjubel mit im Winkel durch Blick und Kuß und Händedruck und kurze abgebrochne Reden. Nach einundzwanzig Uhr kam der Herzog an mit seinem Gefolge von Pisa in den zu dem Feste besonders aufgepflanzten Zelten; und gleich darauf wurden die Spiele mit Trompeten und Paukenschall eröffnet. Das erste war ein Pistolenschießen und der Preis ein herrlicher spanischer Hengst aus seinem Marstall. Der Mitstreiter waren mit mir sechzehn, lauter junge Leute aus den besten Häusern im Florentinischen, der älteste nicht über dreißig Jahre und der jüngste nicht unter siebzehnen. Sie baten insgesamt für mich um Erlaubnis mitzustreiten, zumal da einer an der geraden Zahl fehle, der plötzlich krank geworden war. Der Herzog ließ mich in meinen Reisekleidern vor sich und sagte, nachdem ich ihm einen Lobspruch wie einem andern Herkules gemacht hatte: es gefall ihm, daß ich eben bei dieser Gelegenheit von meiner langen Reise zurückkomme. Bianca, die zugegen war, blickte mich an mit einer großen Neugierde, und tausend Fragen schwebten auf ihren Lippen. Du wirst Dich verwundern über meine Kühnheit und mich vielleicht für unbesonnen halten: allein fürs erste reizten mich die Spiele selbst, und mein ganzer Mut sagte mir, daß ich wenigstens in einem den Preis davontragen würde, da ich meine Gegenstreiter so vor mir sah; und dann scheint es mir allemal zuträglicher, von ohngefähr mit den Tyrannen der Welt Bekanntschaft zu machen, als durch lange Vorbereitungen, wo die Zeremonien alle Natur ersticken. Ich will Dich nicht lange mit der Erzählung aufhalten. Wir schossen mit Pistolen zu Fuß und zu Pferde, und ich traf allemal bei weitem das Ziel, dreißig Schritt entfernt, am besten. Es war ausgemacht, daß im andern Falle die zwei ersten Schützen noch einmal um den Preis kämpfen sollten; dies unterblieb also, und die adriatische Zauberin überreichte mir den Zügel des stolzen jungen Rosses mit diesen Worten: »Seid auch so trefflich im Streite, wo es das Leben gilt, fürs Wohl des Vaterlandes.« Ich sah sie an mit einem kühnen Blick und wieder schamhaft, und berührte ihre schöne Hand wie in der Zerstreuung zärtlich mit den letzten Fingern der meinigen, und antwortete: »O wäre schon die Gelegenheit da, Euch, o Wunderfrau, und demselben meinen Eifer zu zeigen.« Darauf wurde aus freier Hand mit Büchsen nach der Scheibe geschossen, zweihundert Schritt weit, und Mazzuolo kam dem Mittelpunkte vor mir näher; ich hatte hier mein eigen Gewehr nicht. Der Preis bestand in einem andern neapolitanischen Hengst und einem schönen Jagdhunde. Den andern Tag waren die Fechterspiele. Erst fochten acht Paar nach dem Lose, einzeln jedes Paar. Die den Stoß beibrachten, machen dann wieder vier Paar; diese vier alsdenn zwei, bis endlich eins und einer allein der Sieger blieb. Die Herrchen fochten mit vieler Zierlichkeit und sagten ihre Lektionen her; ich aber gewann ihnen mit gegenwärtigem Auge und fast lauter geraden Stößen, womit ich in ihre Gaukeleien hineinfuhr, den Preis ab; dem letzten und Geschicktesten schlug ich zweimal mit starken unhöflichen Paraden das Rapier aus der Hand und setzte ihm alsdenn noch obendrein nach einer Sekundenfinte eine Quart über den Arm, gerad auf den rechten Zitz, so daß der schwarze Fleck eine vollkommne sichtbare Finsternis auf seiner weißen Weste machte. Für dieses Probstück gab mir Isabella, die Geliebte meines Vaters, einen goldnen mit Steinen besetzten Degen; und mir schwoll die Hand von Grimm, wie ich ihn am Griffe faßte: »Tapfrer,« sprach sie leise zu mir mit blitzenden Augen und Honiglippen, »ziehe stolz damit wieder in Florenz ein, und trag ihn mir zum Angedenken.« Den dritten Morgen, nachdem Bianca sich gebadet hatte, war Wettlauf in sandiger Bahn, und abends Ringen, wovon Mazzuolo und ich ausschieden, um weder aus Höflichkeit uns überwinden zu lassen, noch den andern vielleicht auch diese Preise wegzunehmen und so die allgemeine Freude zu stören. Und damit es uns kein stolzes Ansehen gab, schieden noch mehrere davon aus. Zu Elis hätten wir dieses nicht nötig gehabt; aber man merkte noch außerdem, daß wir uns nicht in Griechenland befanden: der Olivenkranz wäre mir lieber gewesen als Roß und Degen; sie blieben immer eine kindische, tyrannische und sklavische Belohnung. Mir überlief die Galle, wie ich abends zu Pisa einritt und sehen mußte, daß man mehr das Pferd und den Degen als mich betrachtete; und wahrlich nicht etwa deswegen, weil ich auf meine Person eitel wäre, sondern daß die Nation seit weniger als hundert Jahren so den großen Sinn verlor, wodurch sie sich in den Zeiten der Freiheit auszeichnete. Mit einem Wort: eine Weiberanstalt. Bianca wollte dem Herzog eine Kurzweil machen und zugleich den jungen Adel von Florenz sich verbinden; an einen andern Zweck wurde wenig dabei gedacht; denn wenn man im Ernste daran gedacht hätte, so wär alles unterblieben. So sieht man oft bei einer Ausführung ohne Gedanken, daß Fürstin und Fürst etwas Gutes in einem Buche mag gelesen haben. Ardinghello Pisa, Junius. Ich werde die Güter meines Vaters wiedererhalten, Bianca hat es mir versprochen, mit welcher ich oft im Gespräch bin; und dies ist mir sichrer, als ob es mir der Herzog selbst versprochen hätte. Sie ist wirklich ein reizendes Weib, voll Schlauheit und Verstellung, weiß das Leben zu genießen und führt bei ihrem Honig einen scharfen Stachel. Sie macht Venedig, der hohen Schule der Weiber, gewißlich vor einer großen Anzahl Ehre; und es ergötzt sie, daß ich dies so gut kenne. Das gefällige Wesen, das sie dabei hat, wie alle vorzügliche Personen ihres Geschlechts, wärmt und erheitert mich sehr angenehm. Sie weiß sich wie die meisten ein wenig viel mit ihrem Spiegel; und dies muß man benutzen. Auch der Herzog will mir wohl, vermutlich durch sie. Ich habe schon verschiednemal mit ihm Schach spielen müssen, worin er sich einbildet, ein großer Meister zu sein. Ich verlor mit Fleiß das erste Spiel und gab ihm Gelegenheit zu feinen Zügen, die meine Stellung sehr spannten; doch macht ich ihm seinen Sieg noch sauer, welcher ihn dann höchlich freute. Das zweite Spiel dreht ich so lange, bis keiner mehr gewinnen konnte; und überließ ihm wieder das dritte. Beim vierten und fünften aber macht ich den Herrn schachmatt in einer Reihe von Kettenzügen, rühmte seine Geschicklichkeit und entschuldigte ihn mit kleinen Versehen. Bis an den zehnten und zwölften Zug und in die Mitte spielt er in der Tat vortrefflich, hat pünktliche Erfahrung, und man muß bei jeder Art von Spiel wohl auf seiner Hut sein; aber bei den Ausgängen, was eigentlich nur Freude macht und tief verwickelte Mannigfaltigkeit hat, hapert's. Soweit ging es nun alles gut; aber Isabella ist in mich verliebt! Mir sagen es ihre wollüstigen Augen und das Herneigen ihrer Seele, wenn ich in ihre Gesellschaft komme. Sie hält wie ein Lämmchen und scheint zwischen Blutsfreundschaft und andrer Liebe, gegen die Gesetze des Judenlykurgs, keinen Unterschied zu machen; oder die erstre dünkt ihr vielleicht ohne diese ein leerer Name, wobei niemand vom Ursprung an einen sinnlichen Begriff habe. Und ihr Vater und ihre drei Brüder lebten so mit ihr nach der allgemeinen Rede. Stammen sie etwa wie Alexander der Sechste und dessen Söhne und Lukrezia von einer besondern Menschenart? Es mag Fehler der Erziehung sein oder von dem Mord herrühren: mir kömmt es abscheulich vor, und ich werde zuverlässig mit ihr keinen Bastarden von Magus zeugen. Ich finde hier eine gute Schule, den Menschen zu studieren, wo er in verschiednen Punkten seine Vorurteile abgelegt hat und bloß nach seiner innern Natur lebt; schier wie unter den Imperatoren Claudius und Nero. So viel ist wenigstens richtig: man trifft unter ein Dutzend Personen von beiderlei Geschlecht beisammen, wie in wohlgeordneten Staaten, kaum drei oder vier an, die jederseits Pein litten, wenn sie sich einander helfen könnten. Sorgten nur die Gesetze für die Folgen, wie in Sparta! Mit klopfender Sehnsucht hoff ich auf Nachricht von Euren Gewässern. Prospero Frescobaldi Ardinghello schien mir schon von dem Wirbel des Hofs ergriffen, und mir war bange vor den Gefahren, die ihn umgaben. Ich glaubte, daß, was ihm so schnell und heftig aufeinander begegnete, sein junges Gemüt in etwas aus seiner Grundverfassung gesetzt habe; und rief ihm zu als warmer Freund von fern unter manchem andern: ›Kein hoher Geist, der frei sein kann, verpflichtet sich an den Hof eines Despoten; er erwählt lieber Wasser und Brot. Bei einem schlechten Fürsten kann keiner ausdauern, ohne schlechte Streiche zu begehn: es ist platterdings nichts anders zu tun für einen Edeln, der sich retten will, als zu fliehen. So hätte Seneca unter dem schicklichsten Vorwand erst Agrippinen und dann den Nero verlassen, wenn er ein Stoiker, wie sich gebührt, hätte bleiben wollen. Allein es gefiel dem Herren zu herrschen: er blieb bei den Tigern und duckte sich unter ihre Klauen.‹ Ich erinnerte ihn an seine ehemaligen republikanischen Gesinnungen, warnte ihn vor den Ausschweifungen in der Liebe; und beschloß mit der Nachricht, die ihm so freudenvoll sein mußte, daß Cäcilia schon vorigen Monat auf dem Landgut ihres Vaters am Lago di Garda von einem gesunden und starken Knäblein ohne lange Mutterwehen glücklich entbunden worden sei; und ich mich nun wieder in der Nachbarschaft befinde, wo unsre Freundschaft so frisch und mächtig aufgrünte und in unsern Herzen unzerstörliche Wurzeln schlug. Er könne nun alles einlenken, sein Leben in Zukunft äußerst angenehm zu machen. Florenz, Julius. Deine zärtliche Sorge für mein Heil rührt mich bis ins Innerste, und die Nachrichten von Cäcilien freuen mich herzlich: allein die Zeiten meiner Ruhe, des glückseligen Maulwurflebens sind noch nicht gekommen. Ich verstehe alles, was Du sagst: nur möcht ich das Blättchen umwenden und behaupten: bei einem trefflichen Fürsten kann keiner ausdauern, ohne schlechte Streiche zu begehen. Die Sokratische Philosophie hat den Fehler, daß sie fast alles auf den Nebenmenschen und die Gesetze des Staats bezieht und nichts an und für sich betrachtet, welches natürlicherweise allemal vorgeht. Nach der Meinung des alten Patrioten, der doch den Schierlingsbecher zu seinem eignen Besten ausleerte, wäre nur der Löwe gut und schön, der seinen Atheniensern Hasen fing. Nero, der zwar immer im Taumel lebte und selten klar sah und bei Überlegung, hat wenigstens damit der wahren Politik ein Ziel gesteckt, daß er sagte: keiner habe so wie er vor ihm verstanden zu herrschen. In der Tat zeigt die Geschichte des Decemvirn Appius mit der Virginia die Einfalt der damaligen Zeiten, und Sylla, Augustus und Tiberius sind schon Virtuosen dagegen im Despotismus. Mit der Idee von einem vollkommnen Staate kann man leider geschwinder fertig werden als der Wirklichkeit; da legen Grund und Boden, Ursprung und Geschichte des Volks, gegenwärtige Stärke an Leib und Seele, dessen Glauben, Meinungen und Sitten und Nachbarn unüberwindliche Schwierigkeiten in den Weg und kommen lauter unbezwingliche borstige Ungeheuer zum Vorschein. Hier hast Du kurz mein Glaubensbekenntnis; und ich will Dir reinen Wein einschenken: Man betrachtet eine Gesellschaft von Menschen, die man einen Staat nennt, am besten als ein Tier, das von innen Kräfte, Proportion aller Teile haben und gesund sein muß, und volle Nahrung, um für sich auf die Dauer zu existieren und glücklich zu sein; und von außen Stärke, Erfahrung und Klugheit, um sich gegen die Feinde zu erhalten; denn alles von außen, wie Kindern bekannt, ist Feind. Das Wohl des Ganzen ist das erste Gesetz, wie bei jedem lebendigen Dinge; und jede Staatsverfassung, wo nur ein Teil sich wohl befindet oder gar abgesondert wäre, ist ein Ungeheuer, eine Mißgeburt. Ein Despot also, das ist, ein Mensch, der ohne Gesetze, die aus dem Wohl des Ganzen entspringen, über die andern herrscht, bloß nach seinem Gutbefinden, ist kein Kopf am Ganzen des Staats, sondern ein Ungeziefer, ein Bändelwurm im Leibe, eine Laus, Mücke, Wespe, das sich nach Lust an seinem Blute nährt; oder will man lieber: ein Hirt, weil doch dies das beliebte Gleichnis ist, der seine Schafe schiert und melkt und die jungen Lämmer schlachtet und die fetten Alten, wahrlich nicht zu ihrem Besten, sondern zu seinem Besten. Der Staat ist endlich ein Tier, das seine Gesetze hat, weder von Kühen noch Schafen, sondern von der Natur des Menschen, weil er aus Menschen besteht; und kein Mensch ist so über andre wie ein Hirt über seine Herde. Ein vollkommner Staat muß ein Tier sein, das sich selbst nach seiner Natur, seinen Bedürfnissen und Erfahrungen regiert, wie ein Ulysses für sich nach den Umständen und gegen andre. Eine reine Aristokratie, wo mehrere beständig herrschen nach ihrem Gutbefinden, ohne Gesetze aus dem Wohl des Ganzen, nur mit Gesetzen für ihr Wohl, die sie nach Belieben ändern, ist eine vielköpfige Hyder von Despotismus, viel Ungeziefer auf dem Leibe statt eines. Ein Staat von Menschen, die des Namens würdig sind, vollkommen für alle und jeden, muß im Grund immer eine Demokratie sein; oder mit andern Worten: das Wohl des Ganzen muß allem andern vorgehn, jeder Teil gesund leben, Vergnügen empfinden, Nutzen von der Gesellschaft und Freude haben; der allgemeine Verstand der Gesellschaft muß herrschen, nie bloß der einzelne Mensch. Diese Lage aber zu erhalten, dazu gehört ein durchgearbeitetes Volk, das sich selbst, seine Kräfte und sein Interesse kennt und sich in einen Punkt vereinigen kann; und selten ist einer, der an der Spitze steht, aus Liebe oder Gewalt, imstande, eine andre Verfassung in eine solche umzuändern, geschweig ein Philosoph auf seinem Studierzimmer. Die ursprüngliche Ungleichheit der Menschen und die daraus entspringende äußerliche Ungleichheit der Besitzungen und der Gewalt und des Ansehens machen noch überdies den gordischen Knoten, der durch keine Vernunft an und für sich, ohne Rücksicht auf die jedesmalige Verfassung, aufzulösen ist. Nur ein Dichter kann auf einmal Tausende und Millionen von Menschen wie überein gedrechselte Maschinen in einen Raum, wo kein Grad der Breite von Europa, Afrika, Asien und Amerika ist, hinstellen und in beliebige Ordnung bringen. Was für Mühe kostete es nicht dem römischen Volke, das in dieser ersten Kunst über alle Nationen hervorragt, ehe es sich von der Gewalt der Könige losmachte und hernach durch seine Tribunen die Aristokraten bändigte! O es ist dem Menschen so süß, über andre zu herrschen, deren Knaben und Töchter und Weiber sich aufwarten zu lassen, ihren besten Wein zu trinken, ihre besten Früchte, ihr bestes Gemüs und Fleisch zu schmausen, sie im Sonnenbrand arbeiten zu sehen und selbst in kühlen Schatten faulenzen, sie unter den Schwertern und dem donnernden Geschütz der Feinde zu wissen, wenn junge zarte Dirnen ihm sorgsam die Fliegen wegwedeln! Jeder will dazu Recht haben, und göttliches Recht haben, sobald er im Besitz ist, und ließ eher den letzten Kopf von allen seinen Untertanen, Vater und Sohn, Mutter, Bruder, Schwester, Tochter, über die Klinge springen, die es rebellisch leugneten, und befände sich lieber allein in einer Wüste zwischen der Pest der Hingerichteten, als daß er zum Exempel einem Rom gestattete, außer seiner Unterjochung das erste Volk der Welt zu sein. Dies ist in der Natur; so elend ist der Mensch; alle unsre Moral ist gemacht und steht nur in Büchern: lehrt es nicht alle Geschichte? Dasselbe tut man, um Herrschaft zu erlangen, und düngt die Felder mit Bürgerblute; Du kennst die Verse des Euripides, die Cäsar im Munde führte. Sie haben allerlei Blendwerk von Beschönigung ausersonnen, worunter das täuschendste ist, dem Staate Ruh und Ordnung zu verschaffen und behende Stärke zu geben; und sie stellen sich an, als ob sie nur dessen erste Diener wären und große Lasten auf sich trügen. Wie ist aber einer Bedienter, dem niemand befiehlt, der keinen Herrn über sich erkennt? Wie ist einer Bedienter, der nach Gutbefinden Gesetze macht und gibt und keins annimmt? nach Willkür ohne Gesetze straft? Gesetzt auch Ruh und Ordnung: ist dies Glückseligkeit? Im Kerker ist auch Ruh und Ordnung. Behende Stärke? Xerxes erfuhr sie anders von den Themistoklessen der Griechen; und die Diktatoren der Römer, die Camille, sind andre Leute, als vielleicht je einer unter ihnen war, und kosteten sicherlich weniger zu unterhalten. Doch wenden wir unsre Ohren ab von diesem Larifari, die Sache springt von selbst in die Augen. Kein Tyrann wird wohl je so ein Narr sein und sein Sklavenreich einem freien Rom, Athen oder Sparta vorziehen, strahlende Namen durch alle Zeitalter; allein wenn er gescheit ist und mit einem Gescheiten unter vier Augen spricht, ganz etwas anders behaupten; etwa folgendes: ›Jedes Wesen darf von Natur um sich greifen, soviel es Macht hat, es sei unter seinesgleichen oder andern Dingen. Du zürnst, daß du gehorchen mußt? Gehorche nicht, wenn du kannst! und du erhältst ein ander Recht. Daß ich, Sultan, zu Konstantinopel herrsche, da es mir Millionen und Millionen Sklaven erlauben, wie nimmst du das mir übel? Willst du über nichts herrschen? Ist nicht jeder Mensch ein Sultan, wenn er kann, nicht jeder Stier und Hirsch? Die Verständigen werden freilich nie gehorchen, wenn sie nicht müssen. Gehorchet nicht, wenn ihr könnt, solange bis ihr alle Herren seid! und euer Staat ist die Vereinigung des reinsten Ganzen, eine Sonne, wo jeder Teil Licht hat und flammt und brennt, und einer den andern verstärkt und entzückt, und alle insgesamt dann fremde träge Erdenkörper zum Leben erwecken wie jetzt allein ich.‹ Es ließ sich vielleicht hierauf noch immer antworten: ›Daß der Löwe minder starke Tiere zerreißt und ihr Blut aussaugt, ist nun freilich einmal so in der Natur und erhält ihn und macht ihn glücklich. Daß du Sultan aber über Millionen herrschest, ist Stelzenwerk und macht dich im Grunde unglücklich; denn du lebst nur im Traum und Nebel, ohne eigentlichen Genuß. Der Zufall hat dich obenan geschleudert, nicht deine Kraft hingestellt. Du füllst deine Sphäre nicht aus und bist immer in einem ohnmächtigen Streben, Gefühl von Schwäche; hast den Anschein von Held und Sieger und das Innre von einem niedergetretnen Überwundenen!‹ und so weiter, wenn man ohngeachtet aller Traulichkeiten Lust hätte, auf der Stelle gespießt zu werden. Um zum Beschluß hiervon nach der Schule noch zu reden: so teilt man die Staaten ein in Demokratien, Aristokratien und Monarchien; und sagt, jede Verfassung sei schier gleich vortrefflich, wenn die Menschen gut da wären, das ist: wenn jeder, oder doch diejenigen, welche regieren, die andern lieben wie sich selbst und ihr Wohlsein nur in dem des Ganzen finden; und führt zu Beispielen an Athen nach dem Pisistrat, Rom nach der Vertreibung der Könige und den Theseus und Cyrus und Romulus aus den dunkeln Zeiten der Fabel. Weil aber ein böses principium im Menschen stecke und der reine Geist nicht allein in ihm herrsche, welches alle die Schlechtigkeiten bewiesen, die sonst unerklärlich blieben: so habe jede von diesen glückseligen Verfassungen nur äußerst kurze Dauer und arte bald entweder in Tyrannei aus, denn fast allemal folge auf einen raren weißen Raben Mark Antonin eine Menge Commodusse, oder in Oligarchie, wie nach den Scipionen und Gracchen in Rom unter dem Marius und Sylla, Pompejus und Cäsar; oder Anarchie und zügellose Frechheit. Und in Betrachtung der Natur dieser Dinge schmieden sie denn einen Staat zusammen, der aus allen dreien Verfassungen zugleich besteht, und erhalten ihn unsterblich und ewig vollkommen durch ihre Gesetze, als ob das Leben sich festhalten ließe, besser als Metall und Holzwerk bei Maschinen! Inzwischen sind solche Ideale der Vollkommenheit von scharfsinnigen und erfahrnen Männern äußerst ersprießlich und verdienen warmen Dank und hohen Ruhm und Preis, ob ich mich gleich lieber an Rom und Sparta halte, den edelsten und vollkommensten Greisen unter allen Staaten, die wir kennen und die vielleicht je gelebt haben. Jeder, der in der bürgerlichen Welt sich herumschlägt und da und dort groß und herrlich und menschenfreundlich wirken will oder irgendwo an der Spitze steht, les' ihre Geschichte und denke sie tief durch mit einer Seele voll Erfahrung: und sie wird ihm ganz ander Licht gewähren als auch die besten Maßregeln eines einzelnen Politikers. Einem Tyrannen den Dolch ins Herz: ändert allein noch keinen Staat um, wenn er nicht reif zu einer bessern Verfassung ist; das göttliche Wesen, und wenn es sich auch lauter und rein erkennt, als es von seinem Ursprung gekommen ist, muß sich überall nach der Materie bequemen, wohinein es vom unerbittlichen Schicksal getrieben fuhr. Einer, der aus beiden Brutussen zusammengesetzt wäre, würde nun bei uns immer als Pöbel herumgehen, wenn er ohne Hoffnung sich selbst immer gram bleiben könnte. Unsre Tarquine hatten wir schon verjagt, allein sie wurden uns von einer unendlich größern Macht als der des Porsenna wieder aufgebunden, und unsre innerliche Einrichtung war bei weitem noch nicht so wie die römische zur Republik gediehen; und noch außerdem war der heidnische toskanische König gewiß ein beßrer Mensch als der orthodoxe Karl der Fünfte. Dieser, voll Ehrgeiz und kalter List und Schlauheit, ohne eigentlichen weitsehenden Verstand, kam zu früh zur Regierung von großen Reichen, um ein Mann von natürlichem Gefühl bleiben zu können. Er ging übrigens noch auf dem Welttheater mit den Menschen um wie hernach in der Einsamkeit mit seinen Uhren; und es gehörte ein Sturm von Leben wie beim Rückzug von Algier dazu, und Untergang und Verderben mußten gräßlich vor Augen liegen und seine eigne Person ergreifen, bevor sein Herz in wärmere Wallung gebracht und gegen fremde Not empfindlich wurde. Geboren zu Anfang des Jahrhunderts, hat er mit wunderbarem Glück die ganze erste Hälfte desselben durchgeherrscht, und alles mußte gewissermaßen sich in seinen Ton stimmen. Unsre Freiheit und die Glückseligkeit von Millionen künftiger Seelen vernichtete er so ganz ohne Gefühl, wie ein Vogelsteller einem Gramsvogel im Garn die Brust eindrückt. Es bleibt uns nun nichts anders übrig, nachdem der eiserne Arm mit Gericht und Beil über uns vereinzeltem bunten Haufen schwebt, der sich nicht mehr vereinigen kann, als daß einer des andern innerliche Kraft im Vertrauen klüglich anrege und wenigstens den einen großen Grundsatz auf die sinnlichste Weise ausbreite, daß der Staat der beste sei, wo alle überhaupt und die Bessern und der ausbündig Vortreffliche bei den Vorfallenheiten ihre Rechte genießen; und daß man dabei nicht allein auf glücklichre Zeiten hoffe, sondern dieselben herbeileite. Unter dem Cosmus hat der Despotismus schon zu tiefe Wurzeln gefaßt, und sein Sohn mag so schwach sein und immer mehr schwach werden, als er will: so läßt er sich sogleich nicht ausrotten. Ich für mein Teil darf mich jedoch wenig über Franzen beklagen: er hat mir nun meine väterlichen Güter wiedergegeben, in besserm Stand, als sie waren, und, um mich sich desto mehr zu verbinden, noch eine kleine dichterische Villa dazu geschenkt, nahe bei Cortona, mit der reizenden Aussicht über das fruchtbare Tal der Chiana und den Trasimenischen See; und mich zugleich zum Oberaufseher aller seiner Kunstsachen, Schlösser und Gebäude angestellt. Freilich, wenn ich Isabellen sehe, flammen nichtsdestoweniger immer aufs neue rächerische Blitze von meinem Herzen. Meine Tante und der Kardinal Ferdinand13, der ein ganz andrer Mann ist, scheinen sich das Leben sehr froh zu machen; so wunderbarlich laufen die Begebenheiten ineinander. Wegen meiner Ausschweifungen in der Liebe brauchst Du nicht sehr bange zu sein: der hat gewiß ein verwahrlostes Haupt, der nicht beizeiten erkennt, daß die Gesundheit der Grund und Boden aller unsrer Glückseligkeit ist, ohne welchen kein Vergnügen bestehen kann; und überhaupt, daß volle Existenz das höchste Gut in der Welt ist und alles andre dagegen nur Freude von kurzer Dauer. Ohnerachtet dieser Grundsätze schweb ich vom neuen in Götterwonne, mehr als jemals. Ich war noch keine funfzehn Jahr, als ich mit einem kleinen Engel aus der Nachbarschaft, noch unter meinem Alter, eine Tochter zeugte. Meine Eltern vermittelten, verbargen und bemäntelten die Sache mit der Schwiegermama, der hinterlaßnen Witwe von einem Buchhändler, so gut als es geschehen konnte. Meine Geliebte ward in ein Kloster getan und den Augen der Leute so entrückt, und die Frucht der Unschuld mit lächelnder Zärtlichkeit erzogen. Ich habe beide wiedergefunden. In einem Garten voll Blumen aus einem Traubengeländer flog Emilia auf mich und hing an meinen Lippen, an meinem Herzen mit tausend neuen Reizen; und führte mir behende dann das süße Geschöpf zu, das liebkosend mit ausgestreckten Armen nach mir aufsah und »Vater! Vater!« entzückend mir durch Mark und Bein frohlockte. Sobald ich's möglich machen kann, reis' ich zu Euch; ich muß Cäcilien selbst sehen und sprechen, mit Briefen ist's nicht getan; und Du begleitest mich dann hieher. Wir wollen wie in einem Paradiese leben. Frescobaldi Cäcilia an Ardinghello Nur die Liebe zu Dir hat mich erhalten. O daß ich nicht bei Dir bin! Welch ein Gegenstück zu unsrer bangen furchtbaren Trennung! Aber noch ist mir die Sonne der Freude nicht ganz aufgegangen; doch weiden sich meine Blicke an ihrer lieblichen Morgenröte, und schon wall ich auf den purpurnen östlichen Fluten entgegen ihrem blendenden ersten Feuer. O Du mein alles, Licht und Leben und Heiterkeit meiner Seele, wenn werd ich mich wieder um Dich winden? mich in Dich verwandeln, nur voll von Dir, nichts mehr, Dein unaussprechliches entzückendes Selbst sein? Wie eine Rebe den Ulmbaum werd ich Dich umflechten, und die süße Traube soll Dich schmücken. Hand in Hand wollen wir nun die Gestirne blinken und den Mond aufgehn sehen, im kühlen erquickenden Geflister der bewegten Zweige, ohne Furcht bei der Nacht; und uns laut küssen und unsre Wonne girren, zwischen Rosen gelagert unter dem hohen Ahorn, worin die muntern Philomelen seufzen und zwitschern und schlagen. Lange lebt ich eine Gefangne, mit schrecklichen Phantasien und Träumen: nur Du, nur Du, mein Abgott, und wär ich auch ein Vogel in den Lüften, bist in der weiten Welt meine Freiheit. Fulvia an Ardinghello Größter und strahlendster Diamant von allen jungen Rittern! O wär ich so die schönste und größte Perle! nur Deinetwegen. Fortuna und Victoria halten nun den Rosen- und Lorbeerkranz über Deinen Scheitel verschlungen hinten auf Deinem Triumphwagen: aber ich war auch glücklich! die Glücklichste unter den Weibern. Jene Königin der Amazonen mußte den Überwinder von Asien aufsuchen: und Du kamst zu mir, Genua zu verherrlichen, und den schwachen kraftlosen Stamm, womit ich vermählt bin. Ich trage mit üppiger Hoffnung die Frucht unter meinem Herzen, und sie beginnt zu reifen. Die Parzen selbst haben ihr künftig Leben aus Deinem Munde gesungen. Die Korsaren und das Mißtrauen meiner Verschwägerten machten, daß ich noch unverdorben in Deine Arme kam. Dir fehlt zum König aller Könige nichts als ein Konstantinopel, ein Ispahan. Florenz, September. Man muß das Eisen schmieden, weil es warm ist. Wir Besten haben es miteinander abgekartet und den Minister gestürzt, eh er sich's versah. Es war mit dem alten Ziegenfüßler ohne Bestechung nichts anzufangen, und er hat uns Tort und Drangsal genug angetan. Wir sind jedoch säuberlich mit ihm verfahren, und er darf in Einsamkeit und Muße noch seine Beute überzählen. Die Kammerjungfer der Bianca und der Kammerdiener des Großherzogs schlugen ihm für eine Summe Zechinen das Bein unter; das ist: sie brachten ihm aus den Morgenstunden falsche, ganz entgegengesetzte und doch fein und wahrscheinlich erdichtete Nachrichten von dem, was man gern sähe: und er plumpte hinein. Wir warfen bei der Gelegenheit noch einige Lächerlichkeiten auf ihn und empfohlen unvermerkt den, welchen wir an seine Stelle wollten. Ich hätte den Posten vielleicht für mich erobern können; aber ich mocht ihn nicht. Auch bei einem wackern Fürsten, dem ein schlaues Weib gelüstet, kömmt der trefflichste Mann zu kurz; er hält ihn mit seinen allerweisesten Ratschlägen doch nur immer bei den Ohren: und die reizende Kreatur, mit geringerm Aufwande, weit stärker anderswo in nektarsüßen Banden. Überdies mußt ich scheuen, bei erster Gelegenheit ein Opfer der Eifersucht zu werden. Der neue läßt sich gut an; er scheint ein Mann von Kopf und hat Aufwallungen von Mut, doch merk ich Winkelzüge. Wir wollen sehen, wie lang er aushält: noch ist er den Zauberfelsen der Sirenen nicht vorbei und keine Scylla und Charybdis durch, und an seiner Stelle werden die mehrsten bald über einen Leisten geschlagen. Jetzt gefällt er sehr der Bianca und dem Fürsten. Es war eben kein Beßrer da. – Ich hab ihn beredet, sogleich in der Stadt und auf dem Lande einige neue Anordnungen einzurichten, die ersprießliche Folgen haben dürften. Fürs erste ist die Anzahl der täglichen Lehrstunden in den öffentlichen Schulen vermindert, das bloß leere scholastische Geschwätz, soviel möglich, daraus verbannt; und es sind andre wackre Meister in verschiednen Fächern mit guten Besoldungen angesetzt worden. Die Geschichte von Florenz und dessen bürgerlicher Verfassung wird nun gelehrt, woran man nicht mehr dachte, nebst der von Griechenland und Rom, nach kurzen einfachen vorläufigen Begriffen von menschlicher Gesellschaft überhaupt. Alsdenn die Naturgeschichte des Landes; mit sinnlicher Anzeige dessen, was der Boden gut hervorbringt, am besten zum Lebensunterhalt dient und am besten verkauft wird. Noch überdies sollen die Zöglinge während der Ferien bei den Wallfahrten alles an Ort und Stelle in eignen Augenschein nehmen. Ferner haben wir den Festen und Spielen der Jugend einen edlern Zweck zugesellt; und man wird nun Schwert und Schießgewehr mit Leichtigkeit bei Beleidigungen gebrauchen lernen. Zugleich sind sie unvermerkt Gelegenheit, daß der Kern der Mannschaft sich geschwind vereinigen kann, wenn es die Not erfordert. Alle Woche ist in den Städten und wichtigsten Flecken eine Fechtakademie und doppelte Ehrenpreise, weil die Verdorbnen die Belohnung doch gleich in der Hand haben müssen; und in Stadt und auf dem Lande wird ebenso nach dem Ziele geschossen. Und endlich sind nun für Knaben und Mädchen öffentliche Musikschulen und Tanzund Zeichnungssäle; was ist Leben ohne Freude? In das Seewesen hab ich mich noch nicht einmischen können. Mehr ist nicht möglich, für jetzt zu tun: so ist das Volk schon gesunken. Unser junger Monarch ist übrigens leicht zu leiten; und er findet, obgleich nicht ohne gute natürliche Anlagen und manche helle Blicke, doch dies, aus einer sonderbaren Schwachheit, selbst zu handeln, fast immer das beste, was der letzte Wohlredner ihm entschlossen vorträgt. Äußerst selten tut er etwas aus sich: Hülfe und Gesellschaft muß er überall haben. Gewohnheit ist eine schreckliche Tyrannin! Die Quelle des Übels liegt darin, daß die bequemlich gewordnen Romulusse und Cäsarn durch bloße Geburt von Kindheit an bei der geringsten Kleinigkeit bedient werden und hernach Maschinen sind, von einer Menge Leuten zusammengesetzt, nie ganz und unabhängig, eher Schnecken und Schildkröten als Adler in den Lüften, die sie doch sein möchten. Bauer und Bettler haben mehr Gefühl eigner Existenz als sie und genießen größre Glückseligkeit. Noch ißt und trinkt er gern etwas Gutes; und er hat seine Zunge im Geschmack so ausgebildet wie ein großer Tonkünstler sein Ohr und ein Correggio sein Auge. Auch läßt er die besten Reben kommen von Osten und Westen und pflanzt sie an in Toskana: und dies verdient gewißlich allen Dank. Die Zunge ist der Maßstab seiner Gesundheit; wenn sie nämlich gerade das Mittel hält zwischen Trocken und Feucht, befindet er sich am besten. Süß und Bitter unterscheidet er nach allen Graden wie Licht und Finsternis mit ihren Farben. Frescobaldi Rom, Oktober. Ich bin mit dem Kardinal hieher gereist, um Kunstsachen zu kaufen und in Ordnung zu bringen; und streiche nun herum wie eine Flamme, so ist alles bei mir in Bewegung. Wer Rom in seinen Ruinen und seiner Versunkenheit ganz fühlen wollte, müßt ein neuer und doppelt und dreifach großer Marius auf den zerstörten und zerfallnen Kaiserpalästen des Monte Palatino sitzen. Kein Mensch auf dem heutigen Erdboden vermag dies; alles ist dagegen zu klein, was herkömmt und was da ist. Meine Tränen rinnen auf die heilige Asche der Helden, und ich schaudre zusammen in der Unwürdigkeit, wozu mich das Schicksal verdammt hat. Welch ein Glück, bei seiner Geburt in ein Rom zu den Zeiten der Scipionen auf die Welt geworfen zu werden! Aber dies kann niemand mehr begegnen. Wer sich eine Idee von der römischen Gegend machen will, muß sie an einem heitern Morgen oder Abend auf dem Turme vom Kapitol sehen. Weit, voll großer reinen Gegenstände, ein entzückend Stück Welt, zu handeln und wieder auszuruhn, ist sie; schöne Hügel, fruchtbare Flächen, ferne Ketten kühl Gebirg und das unermeßliche Meer in der Nähe zum leichten Ausflug in alle Nationen. Und wie stolz und königlich nun Rom in der Mitte liegt auf seinen freundlichen mannigfaltigen Höhen, an der Schlangenwindung des Tiberstroms, als stark anziehender Vereinigungspunkt! Zeigt mir eine andre Stadt in der Welt, im herrlichen Europa, von wo aus man dasselbe und Afrika und Asien so bequem beherrschen könne, gerad im mildesten menschlichsten Klima zwischen Hitze und Kälte! Es bleibt dabei: Luft und Land macht den Hauptunterschied von Menschen: alsdenn kömmt Zufall und die Kette der Begebenheiten, Neuheit und Ablebung; alles geht im Kreis und Taumel, und die Bewegung läuft immer fort. Es kann nicht fehlen, jede Gegend stimmt mit der Zeit die Seelen der Einwohner nach sich. Rom ist weit, glänzend und groß in prächtigen Fernen, schön in der Nähe; still auf seinen bekränzten Hügeln und einsam zum Genuß und Nachdenken: und so die Römer von jeher, was die Form betrifft, und sie werden's bleiben. Jetzt geben ihnen ihre eignen Ruinen etwas Zerstörendes, das noch entferntere Gegenden als ehemals empfinden. O daß Du nicht hier bist und mich begleiten kannst! Doch ist auch wieder Genuß und Rührung stärker bei traurigen Gefühlen, wenn der Mensch allein ist. Ich bin die ersten Tage in den Gebirgen herumgeritten zu Tivoli, Palestrina, Frascati und Albano; und hernach an der See herum zu Nettuno, Ostia, Civitavecchia. Wie ein Hannibal such ich es einzunehmen, das unbändige Rom: aber es wird mir wie ihm nicht gelingen. Alsdenn hab ich es wieder von seinen Höhen betrachtet: und nun stürz ich mich hinein in die Tiefe. Meine Seele kann wegen der vorigen Stürme noch keine rechte Ruhe finden, und dies treibt mich oft nach kurzem Schlummer vom Lager auf; hier will ich Dir denn, um mich zu zerstreuen und vielleicht zu Deinem Vergnügen etwas beizutragen, zuweilen einige Worte über mein gegenwärtig Leben hinwerfen. Für Eingeweihte ist das willkürliche Zeichen immer ein guter Zauberstab, die Gefühle eines andern wieder hervorzurufen, zumal wenn sie dereinst dieselben Gegenstände vor sich haben. Gestern früh bin ich an dem Kolosseum herumgeklettert. Es liegt auf dem herrlichsten Platze, den man sich denken kann; gerad in der Mitte des alten Roms, in dem Tale zwischen den drei Hügeln Palatino, Celio und Esquilino; und war der bequemste Freudenort für alle Einwohner. Es ist rührend und schrecklich zugleich, wie einige Zwergenkel der heroischen Urväter und die Barbaren an den erhabnen, in schöner Form erbauten Massen genagt und zerstört haben und sie doch nicht zugrund richten konnten. Die eine Hälfte der äußern Einfassung ist weggetragen, und aus den geraubten Trümmern sind die stolzesten Paläste der neuern Welt aufgeführt; die andre steht noch, ein weiter Kreis in hoher grauer Majestät mit lauter Quaderstücken von Felsen und dreifachen festen Säulen übereinander mit korinthischen kleinen Pilastern oben gekränzt. Die Zusammenfügungen von Stein auf Stein hat das Maulwurfsgeschlecht überall durchlöchert, um die metallnen Pflöcke herauszuholen; und die breiten Sitze von Bausteinen stehen auf Gewölben noch zum Teil rundum in Trümmern, und zum Teil hat sie die Zeit in Ruinen darniedergestürzt, und sie liegen unten im Schutte. Gras und Kraut und Gesträuch mit Lorbeerstauden grünt und blüht überall, wie auf einem Anger von fruchtbarem Boden, und das Oval der Arena ist eine vollkommne Wiese. Eine solche Gestalt hat jetzt das ehemalige Wunder der Welt, das achtzigtausend Zuschauer faßte, welche alle binnen wenig Minuten wieder auf der Straße sein konnten, und erschüttert noch den kühnsten der heutigen Erobrer. Herum trauern der Esquilino und Palatino und Celio mit ihren zerfallnen Tempeln, Bädern, Wasserleitungen und niedern Gewölben. Der Plan zum Ganzen ist äußerst einfach. Die Rundung eiförmig; und der größere Durchmesser teilt sich in vier kleine, von denen zwei die Arena einnimmt und einen auf jeder Seite der Gang vom Gebäude selbst, die zusammen etwas über achthundert Palme ausmachen; die Peripherie hat deren drittehalbtausend. Die Höhe besteht aus vier Absätzen. Die drei untern sind mit Säulen nach dorischer, ionischer und korinthischer Ordnung in Bogen übereinander, der vierte ist mit kleinen korinthischen Pilastern geziert und schließt ohne Bogen mit einem prächtigen dreigestreiften Gebälke. Die ganze Höhe macht zweihundertundzweiunddreißig Palme. Es muß viel Holz darinnen gewesen sein, weil es verschiednemal abbrannte, und zuweilen bloß einfach und zuweilen reich verziert und vergoldet war. Die innre Aussicht ging in eine Ordnung von einzelnen Säulen aus, die das Zelt festhielten, nach den Münzen des Titus und Domizian. Die Schönheit der Säulen besteht mehr im Verhältnis der Teile als der Arbeit; ihre Form ist rauh und einfach, wie es die ungeheure Festigkeit erheischt. Das Amphitheater von Verona ist kleinlich und provinzial dagegen. Mir winkte obenauf durch Ruinen und Gesträuch, ewig jung und unversehrbar, die Pyramide des Cestius von fern in blauer Luft, und ich konnte nicht erwarten, dahin zu gelangen; strich an dem halb eingefallnen Septizonium des Severus vorbei durch die Niederlagen des Circus Maximus zwischen den Aventinischen und Palatinischen Bergen nach dem Tiberstrom zu und daran fort, bis ich der reinen schroffen Felsenspitze immer näher kam. Ach, wie alle die Herrlichkeit so verwüstet liegt! Und doch sind die Überbleibsel der Verwüstung nur klein gegen das, was stand: vom Circus Flaminius, Agonalis, Florealis, Vaticanus, von denen des Sallust und Nero ist keine Spur mehr zu finden. Und was waren die Gebäude selbst in ihrer Vollkommenheit gegen das ungeheure Leben darin! Die Phantasie des Menschen mit ihrer Götterkraft scheut sich zurück, wenn sie sich eine Vorstellung machen soll, wie nach dem Siege des Metellus in Sizilien über Karthago hundertundzweiundvierzig Elefanten auf einmal kämpften und erlegt wurden, und von hundert Löwen unter dem Sylla es bis auf sechshundert unter dem Pompejus kam. Unter den Kaisern vollends folgte hierin eine Ausschweifung auf die andre. Trajan gab nach dem Dacischen Kriege und dem Tode des Decebalus hundertunddreiundzwanzig Tage lang dergleichen Schauspiele, wo zuweilen bis auf zehntausend zahme und wilde Tiere und unzählbare Gladiatoren kämpften; und Commodus brachte nach dem Lampridius hundert Elefanten mit eigner Hand um. Es ist klar genug, daß ein solches Volk, welches noch überdies wirkliche Könige und Helden am Leben, wie Jugurtha, ihren letzten Tropfen Existenz in seinen öffentlichen Gefängnissen bis auf den äußersten Hunger ausdauern sah, der kleinern atheniensischen Tragödie nicht bedurfte, um das Herz nach dem Aristoteles von Furcht und Schrecken zu reinigen. Und was sind wir, denen die Vorstellungen des Sophokles und Euripides zu grausam vorkommen? Es ist wohl wahr, der Mensch bezieht alles auf sich selbst, und also auch die Werke der Kunst; sein Gefühl ist wie sein Charakter. Ein Miltiades, Themistokles, ein Sylla und Cäsar können bei Gegenständen Vergnügen empfinden, die bei einem Schwachen Abscheu erregen und ihn martern, weil er nicht die große starke Selbstständigkeit hat, die Leiden andrer außer sich zu fühlen, ihre Natur und Eigenschaften wie jene mit ihren Kräften zu ergründen und zu erkennen, die Sphäre seines Geistes dabei zu erweitern und zugleich über alles dies emporzuragen, ohne sich als Teil damit zu vermischen und selbst zu leiden. Griechen und Römer vergnügte vieles, wovor wir fromme moralische Seelen Abscheu haben. Der letztern Fechter waren meist zum Tode verdammte Sklaven; und die Tragödien der erstern zeigten ihnen, wie Menschen untergehen, die nicht vollkommen genug sind, und wie Held und Heldin bei Ausübung hoher Tugenden leiden soll oder sich weise mit ganzem Bewußtsein unter das Gesetz der Notwendigkeit, den ungefähren Zusammenstoß der Begebenheiten beugt. Dies ergreift männliche Seelen, und ein solch ausgewählt Leben, von trivialen Lumpereien fern, dringt in nichtsdestoweniger rein und scharf fühlende Herzen; es ging nach dem großen paradoxen, unsrer empfindelnden Welt unbegreiflichen Grundsatze der Stoiker: der Weise erbarmt sich, hat aber kein Mitleiden. Die Pyramide ist ein gar herrlich Werk, hundert und etliche Fuß hoch. Sie steht ewig jung da, obgleich das Grün von Gesträuchen sich hineingenistet hat, wie ein gediegner Feuerwurf aus der Erde, so scharfflammend; grade gegen die vier Weltteile mitten zwischen den Ringmauern, die Seite nach der Stadt gegen Norden. Üppig fest trotzt sie der Luft, dem Himmel und seinen Wolken. Eine dauerhaftere Form gibt's nicht: alles, was von oben herunterfällt und in der Erde anzieht, macht sie stärker, die mächtigste Feindin der Zerstörung. Aber was hilft's? Der Geist und das Leben ist doch weg aus dem Menschen, der darunter begraben liegt; sein Name bleibt indessen immer etwas. Wie das zarte Schwarz dem innen blendendweißen Marmor so lieblich läßt! Sie steigt hervor so natürlich wie ein Gewächs, und die ägyptische Nachahmung schlägt alle römische Grabmäler, selbst die der Metella, des August und Hadrian, darnieder. Da ich so nahe mich befand, wandelte ich noch zum Tore hinaus über die alte Via Ostia nach der Sankt-Pauls-Kirche, die Konstantin der Große angelegt haben soll. Welch ein Eindruck von verschiednen Empfindungen! Schönheit und Pracht in ihrer größten Herrlichkeit entzückt Augen und Phantasie: und die Armseligkeiten darum her setzen einem das Messer an die Kehle wie Diebsgesindel. Man hat hier Roms ungeheure Macht und Ruin beisammen. Sie ist von innen wie ins Kreuz gebaut, doch merkt man's kaum, und sie bleibt ein Oblongum; nachher erst hat man die Verehrung vom Kreuz ins Alberne getrieben. Die vierzig gestreiften haushohen korinthischen Säulen und die vierzig kleinen glatten unter dem Schiffe machen, mit den über doppelt breiten mittlern, fünf Gänge, die ihresgleichen in der Welt nicht haben. Unter den gestreiften sind zwei Dutzend von parischem Marmor in höchster Schönheit. Das Scheurendach und Obergebäude darüber mit den acht Fenstern macht damit einen wunderbaren Kontrast, der aber doch einfach ist und gewissermaßen dem Untern entspricht, und dies gibt dem Ganzen eine furchtbare Größe; die entzückendste griechische Schönheit muß, vom Schicksal unwiderstehlich genötigt, den wilden Barbaren dienen. Der Boden ist aus Marmortrümmern, worin hier und da noch Fetzen von Inschriften sich befinden. Im Kreuzgange, wenn ich ihn so nennen darf, sind sechs große und zwei kleine Altäre mit dreißig Porphyrsäulen, alle, zwei oder drei etwa ausgenommen, aus einem Stück, wie die achtzig weißen Marmorsäulen; und noch tragen da die Decke sechs ungeheure von ägyptischem Granit und vier ebenso große von Marmor. Der herrliche freie Raum tut einem ungemein wohl zwischen den Säulen, samt der uneingeschränkten Höhe. Diese Kirche bleibt die höchste Pracht der Welt, und nichts übertrifft sie. Man mag von den gefangnen rührenden Schönheiten nicht weggehn, wie von lauter Iphigenien in Tauris, und die ganze Seele stimmt sich daran rund und geschmeidig. Man sagt, die Säulen wären vom Grabmale Hadrians, der jetzigen Engelsburg, genommen, und es ist sehr wahrscheinlich. Die Asche des Kaisers muß dort wie in Blumen gelegen haben; unglückliche Manen! Übrigens ist es den Römern wieder ergangen, wie sie es den Griechen machten; und derjenige, welcher diese Kirche baute, hat vielleicht, wie Mummius bei Fortschaffung der geplünderten Statuen von Korinth den Schiffern, ebenso den Baumeistern gedroht, sie sollten andre Säulen machen lassen, wenn sie etwas daran verdürben oder zerbrächen. Mich überfiel der Mittagsbrand, wie ich wieder in der freien Sonne war, als ob ich aus einem kühlen Bade käme; und ich verdoppelte meine Schritte nach dem Tore, wo die zwei wilden Türme aus den mittlern Kriegszeiten und die mit Efeu dicht behangne alte Stadtmauer neben der Pyramide mit ihrem Schatten mich erfreulich an sich zogen. Mir schien der Weg zu weit bis auf den Spanischen Platz, und ich begab mich unter die Pinien, Zypressen, grüne Eichen und Maulbeerbäume, nach den frischen Weinkellern des Monte Testaccio; ließ mir's köstlich bei einem alten Wirt, einem Sizilianer und Sohn des Ätna, schmecken, und legte mich nach wohlgehaltnem Mahl und angenehmem Geschwätz in ein Zimmer gen Norden zur süßen Ruh nieder, und fiel in einen erquickenden Schlaf. Gegen Abend erwacht ich wieder und hörte in einem Saale neben mir: ›Michelangelo, Raffael und Antiken‹ und unten Trommel und Geige. Ich sprang auf, und sah zwischen den Bäumen Fest und Tanz und Schönheit, und trat in den Saal. Der Streit war so heftig, daß man mich nicht bemerkte. »Michelangelo«, sprach ein reizender junger Mensch, »gehört gar nicht unter die Maler, so wenig als einer, der bloß den Kontrapunkt versteht, unter die großen Sänger und Geiger. Was hat er denn hervorgebracht? Seine Capella Sixtina, und weiter nichts als seine Capella Sixtina. Ist dies gemalt? Ist dies Natur? Wer kann sich erinnern, irgend etwas in der Welt gesehen zu haben, das seinen Herrgöttern, Propheten und Sibyllen und vollends seinen Seligen und Verdammten gliche? Geschöpfe einer ungeheuren Einbildungskraft, die zwar erstaunlich viel für Studium den Künstlern, aber wenig für Volksverstand und nichts für Auge und Herz sagen. Der elende Florentinerschmeichler Vasari hat mit dem Dampf von seinem Weihrauchkessel, den er dem alten Kunstdespoten unter der Nase herumschwenkte, damit er durch dessen Empfehlung etwas zu malen bekäme, den Leuten das Gehirn benebelt. Und ist dies groß im Geiste, wie er die gütige himmlische Seele, den Raffael, verfolgt hat? Weil er selbst sein Unvermögen in der Farbe erkennen mußte, so zeichnete er mit aller seiner Gelehrsamkeit die Umrisse dem Venezianer Bastian, und dieser sollte mit seinem Kolorit den Pfeil vergiften. Aber was kam zum Vorschein in Pietro Montorio? Ein Zwitterding, welches seiner Einsicht wahrlich wenig Ehre macht, und der Göttliche blieb, wer er war. Raffael hingegen, der edle reine Jüngling, der nur die Vollkommenheit der Kunst im Auge hatte, sonder Neid, strebte in Unschuld, das zu dem Seinigen noch zu gewinnen, was der weit Ältere, der Mann in Rücksicht seiner, Vortreffliches besaß; und wahrlich meistens aus kindlicher Gutherzigkeit: denn die Antiken sind doch auch hierin ganz andre Muster, und Michelangelo ist dagegen ein Wilder. Und endlich konnte Raffael wohl von Michelangelo lernen, aber Michelangelo nicht von ihm; denn was den Raffael zum ersten Maler macht, lehrt und lernt sich nicht.« Ein Landsmann von mir, der eigentlich mit diesem im Klopfgefechte begriffen war, wurde darüber vor Ärger grün und gelb, und die Nase schwoll ihm zusehends: doch konnt er vor Zorn nichts hervorbringen, so wortreich er auch sonst ist, und hätte bald wie Markus Tullius Cicero vor dem schönen Clodius, dem rebellischen Tribun, das Hasenpanier ergriffen, wenn ich nicht einigermaßen seine Partie aufnahm. Ich antwortete: »Die Herrgötter von Michelangelo könnt Ihr freilich nicht in der Welt gesehen haben: aber gibt's in der neuern Kunst erhabnere Gestalten? und entsprechen sie nicht doch alle dem, was der gemeine Mann bei uns sich als Zauberer vorstellt? Eure Gestalt selbst, Freund, ist zu edel und Eure Blicke zu hochgeistig,« fuhr ich fort, »als daß der Gott, der die Sonne schafft, und der, welcher die Eva schafft, Euch nicht ergriffen haben sollten. Das Erhabne schlägt ein wie ein Wetterstrahl und berührt am ersten die großen Seelen. Die Propheten und Sibyllen sind lauter mächtige Charakter in Feuer, Eifer und Begeisterung. Und im ›Jüngsten Gericht‹ verdammt Christus streng, droht die Sünder majestätisch mit aufgehobner Rechten fort: indes die zärtliche Mutter mit angelegten Armen und Händen an die Brust die Seligen heraufwinkt; und es ist ein Spiel der Phantasie, wo der menschliche Körper in allen möglichen Stellungen wunderbar sicher ausgezeichnet ist. Ich habe vor wenig Tagen«, fügt ich hinzu, »ein kleines Gemälde von ihm gekauft, welches vorstellt Christum am Kreuz, wo der Erlöser gesagt hat: ›Weib, siehe, das ist dein Sohn!‹ und zu dem Jünger, den er liebhatte: ›Siehe, das ist deine Mutter!‹ Unten auf beiden Seiten mit der Mutter und dem Johannes, sie rechts, dieser links; und an den Armen des Gekreuzigten schweben zwei Engel in einem Gewitterhimmel voll Dunkelheit und Feuergewölk. Christus und die Madonna sind die erhabensten tragischen Gestalten, die ich je in Malerei gesehen habe. Christus ist ein leidender Alexander, Hannibal, Cäsar und was man Großes und Erhabenes von Menschheit kennt. Ein göttlicher Jüngling voll Güte für den großen Haufen, welcher der Menge unterlag: ein Tiberius Gracchus, und die Mutter eine Cornelia, voll Geistesstärke und Größe. O wie verschwinden alle Madonnen und wie ist selbst Raffael, den ich bewundre und liebe wie den neuern Apelles, klein dagegen und gewöhnlich! Stellung von ihr, Blick zu ihm, zu seinem schmerzenbändigenden scharfen Aug und hohen Angesicht; herabgehaltne Rechte, voll Kraft und Zorn angehaltner linker Arm, Daum und Zeigfinger nach dem Jünger hin gerichtet; der Wurf des blauen Mantels über das rote Gewand: alles harmoniert und macht ein Ganzes. Johannes sinkt vor Schmerz zusammen mit übereinandergeschlagnen auf die Brust gelegten Händen. Welch Meisterwerk von Zeichnung ist der Körper des Gekreuzigten! Wahrheit bis in die kleinsten Teile und zugleich Leben und Leiden durchaus in Einheit. Man fühlt wirklich hier etwas von dem, was Vasari im allgemeinen sagt, der zuweilen so golden beschreibt, ob es gleich wahr ist, daß ihn seine antike Vaterlandsliebe zu Ungerechtigkeiten gegen die drei großen Apostel der Kunst, Raffael, Tizian und Correggio, verleitet: es ist, als ob ein himmlischer kraftvoller Genius heruntergekommen wäre und Mitleiden mit allen den Stümpern gehabt und denselben gezeigt hätte, wie ein Christus am Kreuz und eine Madonna und ein Johannes dabei vorzustellen sei. Er ist bis zur Täuschung angenagelt und bewegt sich gerade dazu, wie es sich schickt. Die Mutter ist ein hohes Weib, noch in unverwelkter Schönheit, ihres Adels bewußt, die über die Grausamkeit zürnt, welche man an dem Sohn ausübt, sein ganzes Leiden fühlt mit dem weinenden Feuerblick: aber in der Zerknirschung noch solche Festigkeit und Erleuchtung hat, um erhabner als eine Niobe dabeizustehen und anzuschauen.« Der junge Künstler fuhr auf, drückte mir beide Hände, freudig und verschämt im Gesichte glühend, und sprach freundlich zu mir: »Ich habe nur gelästert, um den dort zu schrauben; und überhaupt erfährt man mit den bittersten Widersprüchen am besten die Wahrheit, die man sonst selten aus den verborgnen Tiefen eifersüchtiger Virtuosen hervorholt. Ich kenne das kleine Gemälde von Michelangelo wohl; wievielmal ist es nicht kopiert worden! Nur wünscht ich, daß die Figuren in Lebensgröße wären. Ich kann das Kleine nicht leiden, es geht mir wider den Sinn; und ist ein Schlupfwinkel, wohinein sich Mittelmäßigkeit und Schwäche verbirgt und bei Weibern und Kindern und Unverständigen großtut.« Ich antwortete ihm, daß ich hierin gar sehr seiner Meinung wäre, daß aber doch am Ende alle Kunst bloß Zeichen sei und Verstand und Geist am mehrsten von einem Menschen entscheide; und daß, wer keinen Verstand habe, nirgendwo obenan stehen könne. Michelangelo hätte sich überaus mit seinen Enakskindern, den Propheten und Sibyllen genug gerechtfertigt. Unterdessen sei wieder wahr, es könn einer außerordentlich viel Verstand und Erhabenheit in der Denkungsart haben und doch ein schlechter Maler sein. Hier tat einer in der Ecke mit hämischem Blick und boshaftem Lächeln den Mund voll gerader weißer scharfer Zähne aus einem prächtigen schwarzen Bart auf, streckte die rechte Hand hervor aus einem abgetragnen grauen Mantel, fuhr in meiner Rede fort und sagte: »Und einer blutwenig Verstand haben und ein sehr berühmter, vielleicht auch guter Maler sein. In dieser Kunst kann es einer ohne Schöpfungskraft, Erfindungsgeist, ohne eigentlichen Verstand, oder wie Ihr das heißt, was im Leben einen Menschen über den andern setzt, nach dem allgemeinen Urteile weiter bringen als in irgendeiner andern, wenn er nur ein gutes Auge hat, sich eine fertige Hand erwirbt im Schweiße seines Angesichts und überdies Achtung gibt, was denen gefällt, die reich sind und kaufen. Und je mehr er bloßer Kopist der Natur ist, desto mehr wird er gefallen. Und er muß behaupten, dies sei das Wahre, und alle Überflüge der Einbildungskraft, die nur hie und da einige Sonderlinge aufhielten, als leeres Zeug verachten und fragen, was nennt ihr erhaben?« Ich wußte nicht, ob ich dies für Mutwillen, Satire oder Ernst aufnehmen sollte; doch hetzt' es mich schnell auf, und ich antwortete geradezu, wie es die Lage der Sachen erheischte. »Erhaben?« versetzt ich, »ist ein höher Wesen, das in uns eindringt mit Empfindungen, Gedanken, Gestalt, Gebärde, Handlung; und man bedarf da keiner weitläuftigen Schreiberei von Sophisten. Wer nicht über andre ist, soll sie nicht zu Paaren treiben und ihnen vorpredigen wollen, es sei, worin es sein mag. Pracht läßt sich wohl damit vereinigen, aber Pracht ist nicht Erhabenheit. Erhaben im höchsten Grade, was die Kräfte des Menschen unendlich übersteigt. Überall füllt es die Seele mit Entzücken, Schauder und Erstaunen, daß sie die Zeit vergißt, und versetzt den Menschen unter die Götter.« »Wir werden nie mit der Kritik nur einigermaßen ins reine kommen,« erwiderte er darauf kalt und trocken, »wenn wir nicht die Grenzen jeder Kunst bestimmen und feststellen, was sie überhaupt selbst ist. Und wir sind jetzt da, uns zu freuen, und nicht, den Weg durch dieses Labyrinth auszuspähen. Lassen wir es also bei dem Gesagten bewenden.« »Nein, nein!« riefen hier einstimmig verschiedne, »es ist noch hoch am Tage, und die schönste Zeit dazu; setzen wir das angenehme Gespräch weiter fort.« Und so baten sie ihn: und der so heftig gegen Michelangelo sprach, streichelte ihn liebkosend am Barte, bis er folgendermaßen anfing: »Das erste und heftigste Verlangen der Seele, welches sie nie verläßt, ist Neuheit, und dann Durchschauung, und endlich Vollkommenheit oder Zerstörung der Dinge. Dies treibt die Unsterbliche durch alle Welten. Sie schafft und wirkt, ihre Schwingen sind unermüdlich und verlieren ihre Kraft nie, und sie kann nicht aufhören, sich zu bewegen und bewegt zu werden; so bescheiden gegen sich, daß sie von sich selbst nichts weiß: aber die Iliade zeugt überall genug von Homeren. Nun ist der Mensch selten in der Lage, daß seine Seele in der Wirklichkeit hienieden nach diesen ihren Neigungen glücklich sein könnte: sie wirft sich also aus Verzweiflung in die Kunst und treibt damit ihr Spiel. Wohl derjenigen, die lange in den seligen Träumen hinschwebt, ohne zu erwachen! Alle Kunst ist Darstellung eines Ganzen für die Einbildungskraft. Sie unterscheidet sich nach den Mitteln, die sie dazu braucht; und diese sind in jeder Art ihre notwendigen Schranken, wohinein sich ein Weiser leicht bequemt und worüber nur die Unklugen hinauswollen. Aristoteles, und wer ihm folgt, schränkt die Poesie auf Handlungen ein, als ob die Sprache nichts anders sinnlich vorstellen könnte: aber selbst die griechischen Dichter haben sich nie diesem Gesetz unterworfen; und Virgils Georgica und die Natur der Dinge des Lukrez und manche hohe Hymne bloßer Empfindung werden Meisterstücke bleiben. Die meisten haben wunderliche Begriffe von Poesie und meinen, sie könne ohne Nebel und Wolken nicht bestehen, und müsse platterdings ein Rausch, eine Raserei sein, und scheue das Licht der Vernunft; und die albernsten Pöbelmärchen und Kinderfabeln wären ihr Bestes und Wesentliches, und würdigen sie so herab von ihrem Adel. Wenn sie nur den Sophokles und Euripides wollten sprechen hören, die diese Kunst zur Vollkommenheit gebracht, so könnten sie sich leicht von ihrem Wahn befreien. Die Bildhauerei und Malerei stellt Oberflächen von Körpern dar, die letztere, insoweit sie sich durch Farben zeigen. Ein neues Ganzes, wie schon gesagt, oder ein altes neu auf die wahrste und lebendigste Weise den Menschen in die Seele bringen ist Kunst. Das Schicklichste für den Dichter sind Handlungen, oder Bewegungen im Zeitraum, weil seine Zeichen, das sind Worte, nur nach und nach können gehört werden; aber doch kann er immer auch damit Dinge nebeneinander oder Körper darstellen, und der Zuhörer denkt sie sich zusammen, wie er am Ende bei den Begebenheiten selbst muß. Homer würde wohlgetan haben, wenn er die Gegend von Troja nicht für bekannt angenommen und die Jahrszeit, worin alles geschah, sinnlicher gemacht hätte. Wer denkt an Zeit, wenn ich einem mit Worten etwas beschreibe und dieser getäuscht dasselbe dabei sich vorstellt? Bei jedem Genusse sind wir ewig und scheinen die Zeit nicht mehr zu fühlen. Unser Leben ist kurz: wer uns ein Ganzes täuschend am geschwindesten in die Seele bringt, erhält den Vorzug. Wenn einer inzwischen gar zu große Begierde hat, ein neues Ganzes zu wissen: so behilft er sich auch mit dem mangelhaftesten Mittel, bis er ein bessers vorfindet. Ein Dichter muß dem Maler immer in Schilderung körperlicher Gegenstände unterliegen: und geradeso geht's dem Maler im Gegenteil mit Handlungen. Nichtsdestoweniger ragt doch die Poesie mit ihren willkürlichen Zeichen über alle ihre Schwestern hervor. Kein Maler kann die Größe der Alpen, das unendliche Meer, den unendlichen Himmel schildern auf seinem Läppchen Leinwand; und kein Tonkünstler Kanonenschall, Donner und Orkan, ob er gleich das seelenergreifendste Mittel unter allen hat, da das Lebendigste, woraus wir bestehen, selbst Luft und Feuer ist. Die Musik überhaupt geht ganz aus der sichtbaren Welt hinaus und wirkt mit bloßen verschiednen Arten von Bewegung, die von der Materie nur den Punkt zu ihrem Aufflug nehmen, und durch ihre Proportionen Empfindungen erregen: und ich glaube schier nach dem Pythagoras, daß das eigentliche Element, worin die Geister existieren, reiner Klang und Ton ist. Geschichtmaler ist ein wahrer Widerspruch, da ein Maler nur einen Moment vorstellen kann und Geschichte notwendig eine Reihe von Begebenheiten erheischt. Es versuch es nur einer und erzähle mir mit seiner Malerei Begebenheiten, die ich nicht schon weiß, von Menschen, die ich noch nicht kenne! Und gesetzt auch, einer stellte mir eine Geschichte zum Beispiel vom ältern Scipio mit lauter Porträten dar, so wahr und vortrefflich, als ob sie alle Tizian gemacht hätte: was weiß ich dadurch mehr als den Moment? Weiß ich, was entweder vorher oder nachher geschehen ist, da keiner auch von seinem bekanntesten Freunde zuversichtlich mit einem momentanen Blicke weiß, was er vorher getan hat oder nachher tun wird? So tief im Verborgnen lebt der Urquell unsrer Wirkungen. Und wo ist der Zauberer, der mir aus einer Tat oder aus tausend Taten das Gesicht nur eines Mannes darstellt, das er noch nicht sah, mit allem seinen Eigentümlichen? Dazu gehört der Gott Platons, um den sich das Weltall rollt, und kein Sterblicher. Alles, was der Maler erfinden kann, ist Ideal von Gestalt dieser oder jener Klasse von Menschen, oder Gattung von Geschöpfen im allgemeinen. Jedes Werk der bildenden Kunst mit dem Ausdruck von Leidenschaft ist alsdenn doch nur eine unaufgelöste Dissonanz. Das vollkommenste historische Gemälde, das ist, wo der interessanteste Moment aus einer Begebenheit gewählt ist und man das Vorhergehende und Nachfolgende am besten erkennen kann, bleibt also immer an und für sich schon ein quälendes Fragment, das weder Herz noch Geist befriedigt. Um hierüber nicht zu streiten, so bleibt ausgemacht: das Vortrefflichste derselben ist das schöne Nackende; mit dem Ausdruck geht's hernach wie bei der Musik: er ist die Blüte der Vollkommenheit, aber nicht eigentlich die Vollkommenheit selbst. Jeder Sinn hat sein eignes Element, worin der Ausdruck nur schwimmt. Die Poesie arbeitet zwar für alle, aber doch ist auch die Sprache und Harmonie derselben für das Ohr ihr Grundstoff. Die schlechten Künstler meinen, sie hätten genug getan, wenn sie nur eine rührende interessante Geschichte mit ihren Wechselbälgen ausstaffieren und ein schmachtend Auge hineinbringen: Ihr Toren! eine einzige vortreffliche griechische Statue ohne Kopf und allen Ausdruck von Leidenschaft geht bei dem Kenner von kunstfertigem Sinn über all Euer Fratzenwesen von unreifen Gesichtszügen, noch so affektiert geworfnen Gewändern und tausenderlei nachgeäfftem Kostüme. Aber auch im Gegenteil ist's nicht genug getan, wenn einer einen Haufen nackender Körper hervorheckt, die weiter nichts haben als ihre gehörige Anzahl von Rippen und Knochen, und Muskeln, und Augen, Mäulern, Nasen, Ohren. Mit einem Worte: die Schönheit nackender Gestalt ist der Triumph bildender Kunst; viel für Auge und den ganzen körperlichen Menschen, wenig für den innern. Sie allein ergreift das Unsterbliche nicht; dazu gehört etwas, was selbst gleichwie unmittelbar von der Seele kömmt und ihrer regenden unbegreiflichen Kraft: Leben, Bewegung. Und dies haben unter allen Künsten allein Musik und Poesie: neigt euch, ihr andern Schwestern, vor diesen Musen.« Ich sahe wohl, mit was für einem Feind ich's hier zu tun hatte; ein Federmesserstich von ihm verwundete tödlicher als der Schlag von einer Keule; doch wollt ich ihn erst ganz herauslocken und bat: er möchte die Grenzen jeder Kunst näher bestimmen, und insbesondere von Bildhauerei und Malerei, und alsdenn uns seine Begriffe von der Schönheit entdecken. Und freute mich unaussprechlich, einen solchen Meister so unvermutet plötzlich anzutreffen. Er wollte abbrechen: allein wir ließen ihn nicht. Ich setzte mich ihm gegenüber, und wir stutzten die Gläser an, die von dem besten Monte Giove schäumten. »Die Bildhauerei ist eigentlich für einzelne Figuren«, fing er vom neuen an; »die Malerei hat die Not emporgebracht, mehrere vorzustellen. Sie hat dies den Siegen der Griechen zu verdanken, besonders nach der Schlacht bei Marathon. Der Bruder des Phidias, Panäos, malte dieselbe, da dieser selbst sie in Stein nicht vorstellen konnte, weil kleine Figuren darin nicht wirken und die Materie fürs Weitläuftige zu unbehülflich ist. Es ist wohl keine Frage, welche von beiden Künsten die Formen des Menschen besser darstellen kann. Die Malerei ist eine beständige Lüge und ihre Erhabenheit und Tiefe erkünstelt. Wir lassen uns täuschen, weil völlige Wahrheit und Wirklichkeit wie bei Bildhauerei unmöglich ist, und geben uns zu unserm eignen Vergnügen alle Mühe, die Köpfe und überhaupt das Nackende zum Beispiel vom Tizian rund und hervorgehend und die Fernen und Mittelgründe seiner Landschaften im gehörigen Abstand zu sehen. Ihre eigentlichen Gegenstände sind, wo die Farbe, leichte Bewegung und zarter Stoff einen vorzüglichen Teil ausmacht. Die Neuheit hauptsächlich und dann die überwundne Schwierigkeit machten sie unter dem Zeuxis und Apelles so reizend; und gewiß ist's, daß die Farbe viel zur Täuschung, im ganzen genommen, beiträgt. Auf den ersten Blick wirkt ein gemaltes Bild auch auf den Verständigen mehr als eine ebenso vortreffliche Statue in ihrer Art; aber wenig Zeit und Besinnung macht die Malerei dagegen ganz verschwinden. Unter tausend Gesichtern findet man ferner in einem guten Klima nur äußerst wenige für den Marmor, aber weit mehrere für die Farbe. Die Bildhauerkunst ist die echte Probe schöner Form und geht ins Wesentlichre und das Erhabne: die Malerei gibt sich mit allem ab, wo sie nur ein wenig Reiz findet. Die letztere muß sich also vor allem hüten, was schon die Bildhauerei vollkommen darstellen kann; und beide müssen sich davor hüten, das Reich der Poesie zu beschreiten: denn jede bleibt überwunden, sobald sich nur ein gewöhnlich guter Meister der andern Kunst an den Kampf macht. Poesie enthält sich der Formen und Farben; Bildhauerei enthält sich der Farben und Geschichten von vielen Figuren; Malerei enthält sich alles dessen, was sich bloß durch Form zeigt, und so wie die Bildhauerei noch der Geschichten, wo man das Ganze nicht mit einem Blicke herausnehmen kann. Dienste und Gefälligkeiten mögen sie sich übrigens gern erzeigen. Rom allein ist voll von Beispielen, wie gute und wackre Meister verunglückt sind, indem sie über diese Regeln hinauswollten, und den schönsten Teil ihres Lebens umsonst dagegen kämpften. Apelles nahm sich wohl in acht, kein bloßes Porträt vom Alexander zu machen; hierin mußt er allezeit dem Lysipp wegen seiner Formen nachstehen. Er bildete ihn also mit dem Blitz in der Hand; mit dem Kastor und Pollux und der Victoria; auf einem Triumphwagen mit dem Krieg hinterdrein, diesem die Hände auf den Rücken gebunden. Dies mußte Lysipp so natürlich wohl bleiben lassen. Aber Bildhauerei behält doch immer den Rang; denn sie zeigt das edelste der bildenden Kunst, nämlich die Form, am vollkommensten. Bei Weibern, es ist wahr, und bei Knaben ist die Farbe auch sehr reizend; allein sie ist doch bloß ein seichter Augengenuß, der nicht in den ganzen Menschen so eindringt wie die Form. Das Klassische überall ist das gedrängt Volle, wenn einer alles Wesentliche und Bezeichnende von einem Gegenstande herausfühlt und nachahmt; und in diesem Verstande kann man gewiß schon aus einer Hand oder irgendeinem Teil am menschlichen Körper bei einem Künstler den großen Mann erkennen, wie aus der Klaue den Löwen. Phantasie, die aus Tausenden zusammenträgt, aber nicht das Rechte, sondern Außerwesentliche, ist das Gegenteil und Bettlerarmut; Lumpen und Lappen und kein ganz Stück. Ein Ding recht fassen, zeigt den trefflichen Menschen und macht den Virtuosen. Der schöne Mensch im bloßen Gefühl seiner Existenz ohne Leidenschaft in Ruhe ist der eigentlichste Gegenstand der Nachahmung des bildenden Künstlers, und seine Nummer eins; in dieser Verfassung ohne alle Bekleidung liegt die reinste Harmonie der Schönheit, und sie paßt am allerbesten zu dem gänzlichen Mangel an Bewegung seiner Werke. Alle Leidenschaft, alle Handlung zieht, leitet unsre Betrachtung von ihren schönen körperlichen Formen ab. Zur Schönheit selbst gehört der Charakter oder das, wodurch sich eine Person von der andern unterscheidet. Schönheit mit lebendigem Charakter ist das Schwerste der Kunst. Bei Gruppen von Figuren sind Spiele, Scherze, die wenig bedeuten, die besten Handlungen, weil sie von der Schönheit und den angenehmen Stellungen der Formen am wenigsten abziehen. Die entzückendste Handlung für den Betrachtenden hierbei ist freilich, wo gerad ein Körper den andern genießt: Kuß, Umarmung – Nach diesen Grundsätzen arbeiteten die Alten: nicht, wie einige Antiquaren sagen, weil die Stille der eigentlichste Zustand der Schönheit wäre, wie bei der See, und die schönsten Menschen überhaupt von gesittetem Wesen zu sein pflegten. Das Meer ist im Gegenteil natürlich immer in Bewegung, und gewiß schöner im Sturm als in der Stille; und Alkibiades, und Phryne, und Thais, welche Persepolis in Brand steckte, die schönsten Menschen unter den Griechen, sind wahrlich nicht berühmt wegen ihres stillen gesitteten Wesens; und Clodius nicht, und die Faustinen, und die größten Schönheiten. Es sind die Schranken der Kunst! Sie kann das hohe Leben, schnelle Bewegung selten darstellen; und es ist wunderlich, dies deswegen mit Verachtung in der Wirklichkeit selbst ansehen wollen. Wenn das Kunstwerk eine Geschichte darstellen soll: so muß der Ausdruck herrschen; denn dieser ist alsdenn der Hauptzweck, und Schönheit in Stellung und Formen und Gestalten muß hier der Wahrheit aufgeopfert werden. Allein Geschichte, Szenen aus Dichtern bleiben immer die letzten Vorwürfe der bildenden Kunst; weil sie dieselben nie ganz und nie so mit dem ergreifenden Leben darstellen kann wie ein Herodot und Homer. Der bildende Künstler begibt sich außerdem von selbst schon hierbei ganz unter den Geschichtschreiber und Dichter und schafft als Gehülfe zu dessen Leben und Bewegung nur die Körper alsdenn; augenscheinlich hat dieser das Ganze und er nur den Teil. Die alten Künstler wagten es außerdem nicht, den Kern von manchen tragischen Geschichten darzustellen, weil sie bloß das Grausame würden dargestellt haben, und das andre nicht konnten, was die Tat mildert; zum Beispiel Medeen im Morden ihrer Kinder: die vereinzelte Szene hätte durch ihre Gegenwart alle Geschichte überblendet. Nur Agesander und Michelangelo unter den Neuern sind darüber hinausgegangen: der eine der Kunst, der andre der Religion wegen. Ähnliche Bewandtnis hat es bei wahrer Darstellung einer alten Hekuba; man denkt sich bei der gerunzelten Haut ihr ganzes Leben nicht, um davon gerührt zu werden. Und eine junge oder noch schöne Hekuba ist Widerspruch und Unsinn. Kurz, eine lebendige Gestalt von einem Charakter sich vorzustellen, in aller Vollkommenheit und Schönheit, ist das Meisterstück des bildenden Künstlers; welches wenige noch bis dato geleistet haben. Schönheit überhaupt in allen Künsten ist, wie mich dünkt, leichtfaßliche Vollkommenheit für Sinn und Einbildungskraft. Wer damit nicht zufrieden sein will, kann sich an die Erklärung des Erzbischofs della Casa halten, welcher das weltberühmte Kapitel über den Backofen geschrieben hat; dieser sagt: Schönheit ist eins, soviel nur immer möglich; und Häßlichkeit im Gegenteil ist viel. Allein der Künstler bedarf solcher tiefen Philosophie nicht bei seiner Arbeit. Vergebt übrigens, lieben Brüder und Freunde, wenn ich an dem Ziele vorbeigeschossen habe, und macht es besser.« Der Mann zog mich doch an sich, trotz aller seiner hämischen Blicke auf bildende Kunst und besonders Malerei, und ich verlangte genauere Bekanntschaft mit ihm zu machen. »Schade,« rief ich aus, »daß ich kein junges Lorbeerreis habe, Euer weises Haupt zu bekränzen! ob ich gleich in manchem nicht Eurer Meinung sein kann. Um Kopf und Schweif gleich zusammen zu paaren: so glaub ich nicht, daß ein Künstler etwas Gutes hervorbringen werde, der ohne deutlichen Begriff, ohne klares Gefühl von Schönheit zu Werke schreitet. Nach Platons Erklärung, den Ihr mir wohl zu kennen scheint, ist die Schönheit die ursprüngliche Idee der Dinge in Gott. Und die Seelen, die sein Anschauen genossen und diese Ideen erkannten, schaudern, wenn sie in diesem Leben die Bilder davon mit den Augen erblicken, erinnern sich dunkel ihres vorigen Zustandes, erschrecken und werden entzückt. Ihre Schwingen regen sich, gehen vom warmen Einfluß auf, der Federstock keimt und so weiter. Es ist gewiß eine erhabne Hymne auf die Liebe und liegt tiefe Wahrheit zugrunde. Was sich selbst bewegt, ist Seele, ewig, ohne Anfang: davon alles Werden und alle Körper, die sich bewegen. Schönheit ist die vollkommenste Harmonie der Bewegung, und die Seele erkennt darin ihren reinsten Zustand. Schönheit gibt der Seele das lauterste Gefühl ihres Daseins. Schönheit ist die freieste Wohnung der Seele. Schönheit erinnert die Seele an ihre Gottheit, an ihre Schöpfungskraft, und daß sie über alle die Körperwelt, die sie umgibt, ewig erhaben ist. Im Anfang macht ihr dies Freude, aber endlich Pein; sie sieht sich gefangen, und daß sie nicht mehr ist, was sie war: und die Tränen rinnen über ihren nichtigen gegenwärtigen Zustand. Doch stärkt sie wieder ihre ewige Natur, und die süße himmlische Hoffnung regt ihre Fittige, daß sie doch bald aus dieser Dunkelheit, aus diesem Wahne von Irrgestalten sich erheben werde in das Licht zu den Scharen der seligen Geister, wo weder Frost noch Hitze abwechseln, und alles ist in seiner mannigfaltigen Wahrheit und ursprünglichen Schönheit. Nicht geboren werden übertrifft alle irdische Glückseligkeit; und wenn du da sein wirst, so ist, je geschwinder, je besser, wieder dahin zu kehren, wo du herkömmst. Sobald die Jugend sich einstellt mit ihren tollen Streichen, wer windet sich mit aller Arbeit daraus? wer steckt nicht in Plagen und Leiden? Morde, Parteien, Streitigkeiten, Gefechte und Neid. Auf die letzt überschleicht uns das unzufriedene, schwache, menschenscheue, verhaßte Alter, wo alle Übel haufenweise zusammen wohnen. So seufzte selbst der bewunderte Sophokles am Ende seiner glücklichen und glänzenden Laufbahn. Ihr sagt: Schönheit nackender Gestalt sei viel für Auge und den ganzen körperlichen Menschen, wenig für den innern? Sie allein ergriff das Unsterbliche nicht? Wenn wahr ist, was Ihr selbst behauptet, daß, wer ein Ganzes täuschend am geschwindesten in die Seele bringt, den Vorzug erhalte: so steht wohl bildende Kunst aller andern voran; die Seele genießt vor ihren Werken, der mühseligen Zeitlichkeit entrückt. Ihre Zeichen, wodurch sie darstellt, scheinen die Sache selbst zu sein, so leicht verschwinden sie; sie sind die natürlichsten und sichersten und gelten überall einerlei ohne Mißverstand. Ich habe hier volle Gewißheit, da ich bei Poesie immer träumen muß und nach Wirklichkeit hasche. Bei ihr hab ich alles zusammen mit einem Blick, und dies ergreift den Niedrigsten bis zum Höchsten. Mit einem Wort: ihr ist allein die Schönheit im strengsten Verstand eigen; denn diese muß mit einem Blick aufgewogen werden können.« Hier wurd er erbittert und schüttete auf einmal das Kind mitsamt dem Bad aus, und fiel in meine Rede: »Alle bildende Kunst«, behauptete er streng, »ist am Ende bloß Oberfläche. Und dies ist die Ursache, warum wahrhaftig große Menschen unter den Künstlern mit ihren Werken so selten zufrieden waren. Sie konnten nur wenig von dem hineinbringen, was sie fühlten; und dies nicht einmal so rein bestimmt, daß es gerade dasselbe Leben wieder erregte. Ein gen Himmel gekehrtes Auge, nehmen wir das edelste Glied, das am deutlichsten vom Innern spricht, was kann dies zum Exempel nicht für vielerlei ausdrücken? Ich brauch es nur obenhin; denn ich weiß wohl, daß alle Professoren im Grunde der Natur keins nachmachen. Bei einem Volke von Stummen, da möchten die bildenden Künste in der Tat viel vermögen; denn sie hätten da mehr Natur für sich nachzuahmen; bei uns andern Menschen aber, die wir den größten Teil unsrer Empfindungen und Gedanken mit der Sprache ausdrücken, wo sich besonders bei den Vortrefflichen am wenigsten die Gebärden ändern, die, wie man sogar bei Gelegenheit des Laokoon bemerkt hat, auch bei den heftigsten Gefühlen sich selten von außen regen, läßt sie ihnen vielleicht gerade das Schlechteste übrig; und der größte Künstler kann oft so wenig von einem Sokrates, Lykurg und Epaminondas darstellen als von einem unvergleichlichen Sänger oder Geiger. Nehmen wir vollends, wie sauer, und selbst nach dem Ausspruch des alten Michelangelo, kinder- und weibermäßig auch dies Schlechteste muß nachgeahmt werden, und welch eine unerträglich mechanische Übung auch für Menschen von der höchsten Fähigkeit dazu gehört, ehe sie es zur Vollkommenheit bringen; und daß das meiste Wirkliche der bildenden Kunst in den Sälen der Großen jämmerlicher Wust und Unsinn ist: so gehört wahrlich ein starker Entschluß dazu, sich in ihr Feld zu wagen. Ihre besten Gegenstände bleiben gewiß die andern Tiere und Pflanzen, Gras und Bäume; diese können sie darstellen, die Künstler! den Menschen sollen sie dem Dichter überlassen. Die Landschaftsmalerei wird auch endlich alle andre verdrängen. Und also können wir gewissermaßen die Griechen übertreffen, weil wir uns gerad an die wahren Gegenstände machen, die sie verfehlt haben. Nichts wirkt recht auf den Menschen, was stillesteht; aller Stillstand wird bald Tod. Es bleibt gewiß eine Kleinigkeit, einen Cäsar, einen Brutus von außen auch vertrefflich zu malen und zu bildhauen, gegen das herauszuholen, was in ihnen steckt. Auf der Oberfläche kann man den Menschen leicht kennenlernen: aber im Innern, in der Tiefe? Da gehört ganz andrer Gehalt und Stand dazu. Wer behaupten wollte, daß die bildende Kunst über Poesie, Beredtsamkeit und Philosophie ginge, müßte behaupten: daß eine Statue oder Brustbild vom Homer, Pindar, Demosthenes, Aristoteles, oder nehmen wir neuere, daß ein vollkommen, wie möglich auch, getroffnes Bild in Farbe oder Stein von Ariost, Machiavell über ihre Schriften ginge. Und gewiß möcht ein Gott mehr daran haben, wenn sie mit Haut und Haar so wären wie sie selbst; welches jedoch menschlicher Hand unmöglich: aber ein Sterblicher muß eine gigantische Einbildung von seinem physiognomischen Sinn haben, um dies zu wollen. Ein solcher versuch es einmal und ersetz uns aus dem übriggebliebnen Kopfe des Sophokles seine hundert verlorne Trauerspiele! Man schaue einen Sokrates an, einen Plato, einen Euripides: wer wird ihre Marmorbüsten für ihre lebendigen Reden und Gedichte nicht gleich weggeben? Wir können an uns selbst nicht im Spiegel wahrnehmen, auch in dem nämlichen Moment, was wir denken und empfinden; und sogar verschiedne Leidenschaften zeigen sich bis auf ihre hohen Grade im Gesicht überein. Die ganze bildende Kunst ist ein vages unbestimmtes Wesen, das seinen Hauptwert eigentlich von der Schönheit der Formen und Umrisse enthält; und dann außerwesentlich ist sie eine große Zierde der Poesie und Geschichte, die aber ganz natürlich ohne sie bestehen können. Poesie ist das innre Leben selbst: Bild von Farbe oder Stein bloß das Zeichen; wer jenes nicht schon in sich hat, kann bei diesem wenig fühlen und erkennen. Wo hat in aller Welt je ein Gemälde die Wirkung hervorgebracht, die die Ödipe und Iphigenien hervorbrachten? Und wo wird es je möglich sein, daß eins solche hervorbringen könne, wenn man auch den Raffael, Correggio und Tizian in ein Wunderwesen zusammenschmelzte? Es versteht sich wahrlich, daß hier nicht davon die Rede sei, was päpstliche Neffen und Mönchs- und Nonnenklöster teurer bezahlen. Ich leugne übrigens gar nicht, daß eine erstaunliche Phantasie und Fülle von Leben dazu gehört, sich einen Alkibiades, Perikles oder die Aspasia so vorzustellen und ihre Bilder durch die spätere Kunst lange Zeit nach ihnen so wirklich zu machen, aus bloßen Geschichtbüchern, wie sie lebendig waren und handelten; denn in der Tat – hat es auch keiner noch getan. Allerlei Gestalten träumen mag man sich wohl, und wer sich an leerer Spreu satt ißt, mag darnach gaffen und hinlaufen: aber Wahrheit, physiognomische mit Leib und Leben wie Wirklichkeit, ohne Miene und Gebärde Punkt für Punkt von der Natur selbst abzukonterfeien, diese aus bloßen Erzählungen und selbst eignen Reden der Menschen zu erfinden: geht über des Menschen Kräfte; dazu haben wir noch keine Wissenschaft, keine Gründe und Regeln, weder Ja noch Nein. Unser Bestes sind noch die allgemeinen Züge der Leidenschaften und andern Empfindungen, die sich in Bewegungen besonders von außen zeigen, durch öftre Wiederholung bei wirklichen Menschen sich in die Gestalt prägen und nach und nach Charakter bilden; aber mit dem Allgemeinen wird man bald fertig, und es entsteht endlich ein rasendes Einerlei. Kurz, ich habe von dem Menschen, außer der wirklichen Vermischung, hauptsächlich Genuß durch seine Reden und Handlungen, durch Worte und Bewegungen; beides kann mir die bildende Kunst nicht geben. Man stelle sich seinen Freund auch in dem interessantesten Moment der Freundschaft auf einmal wie zu einer Büste versteinert, unveränderlich mit seinen Mienen und Gebärden vor! Mit Erinnerung der Worte aller vor und nach dem Moment wird das Bild gewiß lieblich in die Seele leuchten und anfangs einen Freudenschauer erregen. Aber wie die Erinnerung sich schwächt, wird es nach und nach immer weniger bedeuten und bei den Gedanken an hundert andre Szenen endlich leer und sogar Spott werden: statt daß nur ein herzlicher Brief von demselben immer neu die Seele erquickt, sooft man ihn nötig hat wieder durchzulesen. Was soll nun so ein Bild auf andre für Wirkung machen, die sich dabei platterdings nichts Gewisses vorstellen können, die die Person nicht kennen, nicht gekannt haben, nichts von ihr aus der Geschichte wissen? Geschieht dies bei wirklichen Menschen: was wollt Ihr mit Euren Idealen, wovon Ihr nicht eine Form als wahr beweisen könnt? Die schönsten Bilder sind weiter nichts als ein geistig Licht in die Seele, die sie aufheitern und allerlei unbestimmte süße Gefühle in ihr erregen, wie ein reiner, vollkommner Akkord auf einem wohlklingenden Instrumente. Und solche Schönheit ist das eigentliche Wesen der bildenden Kunst, und keine Handlung, die die Poesie weit wahrer und lebendiger vorstellt. Die Handlung kann höchstens nur dienen, der Schönheit den besondern Charakter zu geben; das ist, die Handlung ist des Körpers wegen und der Körper nicht der Handlung wegen da. Es ist wahr, die Schönheit ist ein momental Gefühl und unterscheidet sich dadurch von bloßer Vollkommenheit, die für den Verstand, so wie jene für den Sinn, gehört. Wo sie aber in der Zeit folgt, wie bei Tanz und Melodie und Gedicht, ist sie hauptsächlich für die Seele, eigentliche Seelenschönheit, tiefe, lebendige; denn die Seele hat die Kraft, eine Folge sich wie ein Beisammen auf einmal vorzustellen und zu denken. Daraus die Regel: daß ein solches Ganzes nicht zu verwickelt sein müsse, damit man wie in einem Atem alle dessen Teile und ihre Verbindung im Geist übersehe. Dies erregt dann, was man Begeistrung nennt. Ein schönes Gedicht, eine schöne Musik, ein schöner Tanz muß diese allezeit auf die letzt hervorbringen: so wie der Dichter, Tonkünstler, Tänzer sie vorher in der Seele haben muß, ehe er sie in einen Strom dahinwallt; eine volle Seele, die sich ausschüttet und eine andre wieder schwängert. Alle bloß bildende Kunst macht auch den stärksten Liebhaber und Besitzer über kurz oder lang zum Tantalus. Das schönste Bild, sei's auch eine Venus vom Praxiteles, wird endlich ein Schatten ohne Saft und Kraft, es regt und bewegt sich nicht und verwandelt sich nach und nach wieder in den toten Stein oder Öl und Farbe, woraus es gemacht war; und für den lebendigsten Menschen am geschwindesten. Ich glaube, daß, wenn die goldnen Zeiten der Griechen länger gedauert hätten, sie endlich alle Statuen würden ins Meer geworfen haben, um des unerträglich Toten, Unbeweglichen einmal ledig zu werden. Und wir finden auch nicht, daß Themistokles, Plato und Euripides und die andern großen Griechen der ersten Zeiten sich schon viel darum bekümmert hätten: die Bildsäulen gingen immer die Religion und das gemeine Volk an. Alkibiades schlug sogar vor Überdruß einer Menge öffentlicher Hermen die Nasen entzwei; und hernach gehörten sie mit den Gemälden zum Luxus der Reichen, die vor ihrer gewöhnlichen Langenweile nicht wußten, was sie anfangen sollten. Plutarch fragt ehrlich in seinem Perikles: ›Welcher gutartige Jüngling wird Phidias oder Polyklet sein wollen wegen des Olympischen Jupiters oder der Juno zu Argos?‹, und so setzt der verständige Horaz eine Ode von Pindar über hundert Statuen; und die aufgeheitertsten Kaiser zu Rom, Antonin und Mark Aurel, waren wirklich schon des steinernen Volkes satt: und so ist das steinerne und gemalte Volk bei den heutigen Römern bloßer Prunk, und man sieht es den besten an, daß auch sie dessen von Herzen satt sind. Die Natur übt ihr Recht aus und zeigt ihnen mit Gewalt, daß es doch nur eitel Träumerei ist. Die beste Kunst ist ein bloßes Denkmal verfloßnen Genusses oder Leidens für den Künstler selbst, das ihm lediglich Anlaß gibt, sich das Ganze wieder vorzustellen und in sein Gedächtnis zurückzurufen. Welch ein Abstand von Poesie und ihrer Gewalt über die Herzen! Überhaupt ist die bildende Kunst eine jugendliche Sache, wo der Mensch noch an der Hülle herumschwebt. Ein alter Maler, ein armer Sünder! Wenn einer innen ist, kann er nicht mehr außen sein. Es käme darauf an, ob Raffael nicht den Pinsel würde weggeworfen haben, wenn er älter geworden wäre! Wenigstens sind seine ersten Gemälde im Vatikan die besten, und er trachtete nicht umsonst nach dem Kardinalshut.« Sein Mund glich einem vollen Springbrunnen, so goß er hervor. Mir riß endlich die Geduld, und ich ergrimmte. »Bist du noch nicht fertig, Barbar, Bilderstürmer?« zürnt ich ihm entgegen. »Was du wahr gesagt hast, trifft alle menschliche Kunst. In der Natur haben wir freilich alles beisammen, und die verschiednen Künste teilen sich nur in sie. Jede muß dagegen ihre Mängel, ihre Schranken erkennen. Die Malerei hat keine wirkliche Bewegung, nur den Schein davon, Zeichen; die Poesie kann keine Gestalt, keine Schönheit für den Sinn darstellen, bleibt ewig unglückselig blind; und Musik an und für sich ist ohne bestimmten Ausdruck und nur eine Magd der Musen. Der Dichter ahmt und stellt im Grunde nicht einmal etwas Wirkliches selbst dar, sondern nur Mittel, nämlich die Reden der Menschen; und wie weit liegt die erste Natur der Sprache in den Abgründen der Zeit verborgen! Für uns Schaumblasen auf ihren Tiefen ist sie meistens bloß willkürlicher Schall. Wir haben allen unsern Genuß durch Körper, und von diesen kann er nichts Individuelles darstellen; alles ist bei ihm allgemein, bis auf die Namen schier Peter, Paul, und Lukas und Johannes, wenn ihm gute Schauspieler nicht zu Hülfe kommen. Dafür hat er freilich ein weitschweifig Reich und flattert überall an, wo die Malerei und Bildhauerkunst wegen enger Schranken ihrer unbeweglichen Mittel nicht hin kann. Das höchste Leben ist das schwerste in allen Künsten, sowohl in den bildenden als Poesie und Musik: Sturm in der Natur, Mord zwischen Mann und Mann, Seelenvereinigung zwischen Mann und Weib, und Trennung, Abgeschiedenheit verliebter Seelen. Das Tote kann auch der bloße Fleiß darstellen, aber das Leben nur der große Mensch. Wen beim Ursprung seiner Existenz nicht die Fackel der Gottheit entzündet, der wird weder ein hohes Kunstwerk noch eine erhabne Handlung hervorbringen. Schönheit ist Leben in Formen und jeder Regung, und nichts Totes ist schön, außer in einem Verhältnis von Leben. Warum ist der Torso schön, warum die Kolossen auf dem Monte Cavallo, warum unsre Venus? Weil sie in höchster Vollkommenheit menschlicher Kraft im freudigen Genuß ihrer Existenz sich befinden. Warum Apollo, warum der Fechter? Weil ihr Leben in der Vollkommenheit seiner Kraft sich in hoher Wirkung zeigt. Warum Laokoon, Niobe? Weil auch ihr höchstes Leben einer stärkern Macht unterliegt. Der Dichter deutet's mit Worten an, der bildende Künstler stellt's mit dessen Oberfläche selbst dar. Zu der Zeit, wo die Menschen am mehrsten lebten und genossen, war die Kunst am größten: zu der Zeit, wo sie am elendesten waren, am schlechtesten; dies ist die Geschichte derselben in wenig Worten. Wie bis zum bloßen Tier herabgesunken, kalt und gefühllos muß der Mensch sein, den es nicht ergreift, dessen Herz es nicht erhebt, wenn er in die Hallen tritt, wo die Helden unsers Geschlechts, die Weisen, die Dichter von Phidiassen und Praxitelen aufgestellt wie lebendig atmen! Der Armselige wird erschrecken wie in einer Götterversammlung, der Edle schüchterne aber begeistert werden, die glorreiche Bahn zu verfolgen; welche Kunst kann ihr hohes Leben sinnlicher in die Seele blitzen? Und eine Fromme, die alle Morgen die schönen himmlischen Figuren an den Wänden im Tempel mit inniger Freude schaut, kann kein häßliches und böses Kind gebären. Die Griechen mußten denn doch mehr Leben in der Malerei finden als Bildhauerkunst, weil sie dieselbe, wo sie am verständigsten waren, mehr als diese belohnten und beförderten. Ein Bild in Stein war ihnen nur Zeichen einzelner Wahrheit, nämlich der Form: die Malerei aber Zeichen aller Wahrheit und Wirklichkeit und von ungleich größerm Umfange; jenes gleichsam nur Dämmerung, Ding im Mondschein: Gemälde von Apelles, Gestalten wirklicher Welt in ihrem Tage; und Zeichen bleibt immer weiter nichts als Zeichen, sei's von Stein oder Farbe. Und eben dies ist es, warum die Bildhauerei sank, nachdem die Malerei emporstieg, und bei uns nun nie wird fortkommen können, solang es noch gleich gute Maler als Bildhauer gibt. Welcher Bildhauer wollte zum Exempel die Waffenläufer des Parrhasius übertreffen, wo der eine im Lauf zu schwitzen schien, der andre aber die Waffen ablegte und keuchte? Freilich kannte dieser Wollüstling den höchsten Reiz des Eigentümlichen seiner Kunst. Für Gestalt gibt es keine mathematische Wissenschaft, wo man alles und jedes mit Zirkeln und Linien und Zahlen beweisen könnte; das geläuterte Gefühl erfahrner hoher Menschen entscheidet hier allein endlich und hat zu aller Zeit jedem Kunstwerk seinen Rang angewiesen. Deswegen aber beruht Ideal nicht auf bloßen Hirngespinsten, sondern die Natur selbst ist die ewige Regel: und ein Künstler muß von ihren Quellen schöpfen, wenn er neue Schönheit und neuen unsterblichen Reiz hervorbringen will. Durch Übung gewinnt man nach und nach doch auch sichre wissenschaftliche Fertigkeit. Was bildet den lebendigen Körper von innen hervor, vom ersten Stoff zum Dasein an, so wie er ist, die erste regende Kraft; hernach sein Leben in der Welt? Kann ich von der äußern Bildung auf die Art des Geistes schließen? Warum nicht? Vom Werk auf den Meister; nur gehört Erfahrung und Verstand genug dazu und Adlerheit über andre, es mit Gewißheit zu können und nicht eine Ursache für die andre zu halten. Jede Gestalt zeigt Ursprünglichinnres, wenigstens was jung in Tätigkeit war, das Leben in der Welt und die Begriffe und Einbildungen darüber. Und wer das Innre nicht kennt, kennt gewiß auch schlecht das Äußere. Warum soll der Künstler keine Handlungen darstellen dürfen? Körper und Handlungen machen hier eins aus, das ist: Leben; und beides ist dafür da; hohes edles Leben; dies ist sein letzter Endzweck. Bei einzelnen Figuren gibt dies Schönheit; bei mehrern zu Darstellung einer Begebenheit kann und muß er zuweilen gar die Häßlichkeit abbilden, wie zum Beispiel den Maxentius in einer Schlacht vom Konstantin, einen Attila, einen Heliodor. Vollkommenheit zeigt sich von außen durch Schönheit, Unvollkommenheit durch Häßlichkeit; und die mehrsten Begebenheiten in der Welt sind ein Kampf zwischen Tugend und Laster. Soll er das Laster schön darstellen? Und ist er deswegen ein Kotmaler, wenn er es häßlich darstellt? Häßlichkeit verändert hier seinen Namen und wird zu Schönheit der Kunst. Die Geschichte soll auch bei dem Maler nicht bloß Augenweide sein, sondern tiefer dringen. Der Kunst dieses nehmen wollen heißt sie zum schalsten Zeitvertreib machen. Außerdem sind immer diese dreierlei Gattungen getrieben worden, wie schon in Griechenland, wo, nach dem Aristoteles, Polygnot die Menschen besser malte, als sie waren, Pauson schlechter und Dionys nach der Wirklichkeit. An Ausdruck und Bewegung von Leidenschaften wird die Natur hoffentlich immer ebenso unerschöpflich bleiben als an neuen Gesichtern und Gestalten. Kurz, der Künstler stellt wie ein Zaubrer für den Verständigen mit einem Blick auf einmal die wirkliche Tat dar, wo der Augenschein über alle andre Vorstellung hinreißt; und darüber macht der Geschichtschreiber und Dichter für die Unwissenden nur eine Brühe darum her, gleichsam seines Evangeliums Ausleger und Dolmetscher, – stellt die schönsten Denkmale der Begebenheiten auf für Herrscher, Philosophen und Völker dem ersten feinsten Sinn des Geistes, und ihm am naturnächsten, dem Auge. Und es ist nicht mehr als billig, daß Zaubrer nicht darben. Die Dichter, die einen Epaminondas aufführen, wie er leibte und lebte, laßt sie auch alles in der Geschichte dazunehmen, werden so rar sein wie die Maler, die seine Gestalt so treffend aus ihrem Kopf erfinden, daß sie seinem Porträte gliche; und es erwächst dem Praxiteles und Apelles daraus wohl wenig Nachteil, daß ihre Phryne den neuen Namen Venus aus der Mythologie, oder Helena oder Iphigenia aus den Dichtern, oder einen andern in ihren Kunstwerken aus der Geschichte habe: so wie dem Raffael, daß sein Oheim Bramante in der durch alle Zeiten göttlichen Gruppe der Schule den Archimedes vorstelle, wenn sich auch einmal des letztern Bildnis finden sollte.« »Vortrefflich, mutiger, tapfrer, edler Jüngling!« rief er mir hier zu, »und nun genug. Wir haben den Kreis durchlaufen und sind unvermerkt auf derselben Seite wieder angekommen, wovon wir ausgingen. Ich reich Euch zum Frieden die Hand, schlagt ein; ich hoffe, daß wir gute Freunde sein werden, sobald wir uns ein wenig besser im Innern kennen. Man behauptet in der Hitze des Streits oft Dinge, die man selbst für falsch und übertrieben hält. Zuhörer, die Verstand haben, nehmen von selbst das Wahre heraus; und die keine Unterscheidungskraft besitzen, müssen überall Schwärmern oder der großen Herde wie die Kälber folgen. Der Abend ist zu schön, als daß wir ihn hier im Zimmer verplaudern sollten; und die unten tanzen und sich ergötzen, haben uns schon längst gerufen.« Wir umarmten uns denn beide mit glühendem Gesicht und klopfendem Herzen. Unten erfuhr ich, daß mein Mann ein Grieche sei aus der Insel Scio, den die Giustiniani als Knaben mit sich genommen hatten. Er hielt sich nun für beständig in Rom auf und lebte frei von einer kleinen Pension aus diesem Hause, und erwarb sich das übrige damit, daß er griechische Handschriften aus der vatikanischen Bibliothek für auswärtige Gelehrten teils kopierte, teils die verschiednen Lesarten daraus sammelte. Er heißt Demetri und mag an die vierzig Jahr alt sein. Sein Wuchs ist groß und stämmicht, und seine Gestalt so kühn und unabhängig, und seine Sitte so gegen alles Vornehme, daß er wie Diogenes dem Dionysios von Syrakus zu Korinth hätte sagen können: er sei des glücklichen Lebens nicht wert, das er nun führe. Wie mir dies in meinen Eingeweiden herumging, kannst Du Dir leicht vorstellen. Der bildschöne Jüngling, welcher den Streit erregte, heißt Tolomei, ist ein weitläuftiger Anverwandter von ihm, Sohn eines griechischen Kaufmanns zu Brindisi, treibt hier die Malerei und steht unter seiner Aufsicht. Ich sah ihn mit einer schlanken Römerin tanzen und mußte lächeln, daß der holde Bube den alten strengen Michelangelo so hart angegriffen hatte; das Rätsel ließ sich nun leicht auflösen. Das süße Paar wallte in jeder Bewegung neue entzückende Schönheit von sich; der Knabe schien ein Mädchen und die Jungfrau mit ihrem zündenden Blick ein verkleideter Jüngling. Die Menge stand umher, und kein Auge verwendete sich von ihnen aus den erheiterten Gesichtern. Der Monat Oktober wird in Rom und auf dem Lande herum ganz der Freude gewidmet: jedes spart dafür den Sommer auf. Ich machte mich bald wieder an den Griechen; ich hatte noch manchen Punkt mit ihm ins reine zu bringen, der kaum war berührt worden. Er erzeigte sich gefällig. Wir stiegen den Monte Testaccio hinauf, um die Gegend zu überschauen, und trafen oben Künstler an, die nach der Natur zeichneten. Man hat hier reizende Aussichten hin überall und verschiedne Landschaften, jede so vollkommen für Gemälde, um sie schier nur abzunehmen. Pyramide, die das Kleinod der Gegend bleibt; Sankt Paul und Tiber; Steffano rotondo, alte Wasserleitungen, Kolosseum, Grabmal der Metella; Pietro Montorio; Porta Portese zeigen immer neue bezaubernde Seiten mit Pinien, romantischen Villen, Rebenhügeln und den herrlichen Fernen der Gebirge von Frascati, Tivoli und dem Sabinerlande. Wir setzten uns nieder, und jeder drehte sich dahin und dorthin; die große Augenlust machte uns eine Weile stumm, und alle die andern Sinnen verloschen. Wir fingen endlich an, von Rom zu sprechen, dem alten und dem neuern, gingen über auf Griechenland und dessen ehemaligen und gegenwärtigen Zustand: und unsre Reden stimmten so schön zur untergehenden Sonne an der unvollendeten Peterskuppel des unsterblichen Michelangelo! »Ach, alles geht auf und unter, Völker und wir, und die Werke der Menschen! Der Mensch ist ein stolzes Geschöpf«, rief ich aus; »er hat die Oberfläche der Erde gebildet, beherrscht den Adler und Löwen und bändigt das ungeheure Meer mit seinen Schiffen: aber er weiß nicht, von wannen er kömmt, noch wohin er fähret; erscheint, verändert sich augenblicklich, unsicher, ob er ein eignes Wesen ausmacht, und verschwindet. O ihr, die ihr um uns herum schlummert, ihr Scipionen, Camille, Lucrezien und Cornelien, was und wo seid ihr? Könnt ihr nicht erwachen und uns belehren?« »Ein andermal hiervon,« gab er zur Antwort, »wenn wir mehr in Einsamkeit sind, nicht umgeben von soviel zerstreuender Herrlichkeit.« Er hielt diese Kuppel selbst für den kühnsten kolossalischen Gedanken eines Riesengeistes und glaubte, daß die alten Griechen und Römer ihn bewundern würden. Wir kamen alsdenn wieder auf unser altes Thema, die bildende Kunst, und deren Wesentliches, den Menschen, und die Vollkommenheit seiner Gestalt; und unser beider Schluß war, daß der neuern hierin der Kern mangle. Man kann wohl sagen, daß die Werke der alten griechischen Meister eine Frucht ihrer Gymnasien waren, und daß, wo diese nicht sind, sie schwerlich kann eingeerntet werden. Der erfahrne und geübte Sinn des ganzen Volks am Nackenden, dies ist die Hauptsache, die uns fehlt, nebst dem der Arbeiter selbst; das schönste Nackende der Kunst wird endlich nur durch Erinnerung geschaffen und genossen. Man kann die Natur nicht abschreiben; sie muß empfunden werden, in den Verstand übergehen und von dem ganzen Menschen wieder neu geboren werden. Alsdenn kommen allein die bedeutenden Teile und lebendigen Formen und Gestalten heraus, die das Herz ergreifen und die Sinnen entzücken; die Regung in vollstimmiger Einheit durch den ganzen Körper des gegenwärtigen Augenblicks bildet kein bloßer Fleiß nicht. Je größer und erhabner der Künstler, desto edler und eingeschränkter die Auswahl. Im Nackenden der bei uns gewöhnlich bekleideten Teile, also des ganzen Körpers bis auf Kopf und Hände und Füße, können wir den Alten nicht gleichkommen, weil wir ihre Gymnasien und Thermen nicht haben. In Köpfen, Händen und Beinen und Kindern halten wir ihnen vielleicht die Waage, insoweit wir noch Periklesse, Platonen, Alkibiadesse und Aspasien und Phrynen haben. Die höchste Vollkommenheit ist überall der letzte Endzweck der Kunst, sie mag Körper oder Seele oder beides zugleich darstellen, und nicht die bloße getroffene Ähnlichkeit der Sache und das kalte Vergnügen darüber. Der Meister sucht sich dann unter den Menschen, die ihn umgeben, zu seiner Darstellung das beste Urbild aus und erhebt dessen individuellen Charakter mit seiner Kunst zum Ideal. Die Schönheit muß allgemein, der Charakter aber individuell sein, sonst täuscht er nicht und tut keine Wirkung; und das Individuelle kann der Mensch so wenig als das Gold erfinden. Dies ist das Problem, an dessen Auflösung so viele scheitern. Der ganz außerordentlichen Menschen sind bei allen Nationen äußerst wenig gewesen; es gehört eine unendliche Menge von glücklichen Umständen dazu, solche alleredelste Gewächse und Herrlichkeiten der Natur hervorzubringen. Nehmen wir den Griechen, der bei weitem geistreichsten Nation unter allen, die wir in der Geschichte kennen, auf Erdboden, nur ein Dutzend dieser hervorragenden Männer: einen Lykurg, Themistokles, Pythagoras, Sokrates, Aristoteles, Homer, Sophokles, Aristophanes, Perikles, Demosthenes, Phidias, Apelles: und wir werden sehen, wie ihr Sonnenfeuer zu den Sternen andrer Völker zurückweicht, zumal wenn wir bedenken, daß ihre übrige Vortrefflichen großenteils nur von diesen bestrichne Magnetnadeln waren. Die Ehre des Volks und der Fürsten besteht darin, solche seltne Erscheinungen bei ihrem Aufgang zu erkennen und sie zu pflegen und zu warten. Bei ihnen konnte kein Lärmmacher so leicht mit seinen ausgeschickten Trabanten das erfahrne Ohr übertäuben, das scharfe geübte Auge benebeln; sie kannten den nackenden Menschen aus ihren Gymnasien und die hohen Gestalten aus ihren gemeinen Versammlungen. Die Verständigen prüften, gaben Rat, verdammten, belohnten. Eins trieb und vervollkommte das andre. Und so ging's noch bei den Römern. August hat keinen Virgil und Horaz hervorgebracht; aber weil sie einmal jung da waren, so hielt er sie warm. Außerdem hatten die Alten mehrere Arten von Schönheiten, und wir kennen die reizende Mannigfaltigkeit nicht von Ringern, Faustbalgern, Wettläufern, Wurfpfeilschützen, Diskuswerfern und dergleichen; und so machten ihre Götter wieder verschiedne allgemeine Klassen. Bei uns ist alle Gestalt in ein einzig doppelartig gabelförmig vollkommen Tier zusammengeschrumpft. Die Sonne war prachtvoll untergegangen, und das schönste Abendrot zog lieblich hintennach. »Wenn ich ein Landschaftsmaler wäre,« rief Demetri, »ich malte ein ganzes Jahr weiter nichts als Lüfte, und besonders Sonnenuntergänge. Welch ein Zauber, welche unendliche Melodien von Licht und Dunkel, und Wolkenformen und heiterm Blau! Es ist die Poesie der Natur. Gebirge, Schlösser, Paläste, Lusthaine, immer neue Feuerwerke von Lichtstrahlen, Riesen, Krieg und Streit, flammende Schweife wechseln mit neuen Reizen ab, wenn das Gestirn des Tages in Brand und Gluten untersinkt. Aber leider mit eurem Licht in der Malerei sieht es übel aus!« »Und was man davon malen kann,« fuhr ich fort, »dauert nur wenig Momente; die glücklichste Phantasie und Empfindung gehört dazu, es aufzubewahren, nach Hause zu tragen, und wunderbare Kunst, es täuschend langsam hinzupinseln.« Wir gingen wieder hinunter; es war leer geworden, und die übrigen zogen auch noch von dannen. Endlich blieben ein halb Dutzend Mädchen, ebensoviel Künstler, Demetri, Tolomei und ich. Wir machten uns zusammen wieder auf den Saal, eine auserlesene Gesellschaft. Die Mädchen waren echte Römerinnen an Wuchs und Gestalt, mit der erhabnen antiken, noch republikanischen Gesichtsbildung, die auch auf fremde Fürsten wie nur Barbaren herunterschaut. Sie hätten, wie die alten, dem hohen Senat mit berichten lassen, wenn sie das Verbot gegen eine gewisse Lustbarkeit von ihnen nicht aufhüben, daß sie nicht mehr gebären wollten. Paar und Paar standen im vertrauten Umgang miteinander; die reizenden Geschöpfe ließen sich von ihren Geliebten als Modelle brauchen und gaben ihre Schönheiten deren Kunst preis. Sie machten sich selbst Musik und tanzten lauter Nationaltänze, wo wenig gezogner, gedehnter, französischer Schritt, sondern immer neuer Freudensprung ist. Ich ließ dabei wacker auftischen und einschenken und wurde selbst von dem Wirbel ergriffen. Nach Mitternacht ging es in ein echtes Bacchanal aus; das erhitzte Leben blieb nicht mehr in den gewohnten Schranken, und jedes tobte nach seinem Gefühl und seiner Regung. Demetri machte seinen Einfall zu einem spartanischen Tanz laut, und dieser wurde mit Jauchzen ausgeführt. Doch machte man vorher den feierlichen Vertrag, nichts Schändliches zu beginnen und die Leidenschaften bis ans lange Ziel gleich olympischen Siegern im Zügel zu halten, wie's braven Künstlern gezieme. Man entkleidete die Jungfrauen, die, Glut in allen Adern, sich nicht sehr sträubten, zuerst bis auf die Hemder, und schlitzte diese an beiden Seiten auf bis an die Hüften; und die Haare wurden losgeflochten. Demetri schlug die Handtrommel, und ich spielte die Zither. Sie schwebten in Kreisen, drückten einzeln ihre Empfindungen aus, und jede enthüllte in den süßesten Bewegungen ihre Reize, bis Paar und Paar wieder sich faßten und hoben und wie Sphären herumwälzten. Es war gewiß ein Götterfest, soviel mannigfaltige Schönheit herumwüten und herumtaumeln zu sehen, und ich habe in meinem Leben noch kein vollkommner weiblich Schauspiel genossen. Man holte hernach aus der nahen Villa Sacchetti Efeu zu Kränzen und belaubte Weinranken mit Trauben zu Thyrsusstäben, und jeder Jüngling warf alle Kleidung von sich. Es ging immer tiefer ins Leben, und das Fest wurde heiliger; die Augen glänzten von Freudentränen, die Lippen bebten, die Herzen wallten vor Wonne. Wir führten auf die letzt allerlei Szenen auf, aus Fabel, komischen und tragischen Dichtern und Geschichte, in himmlischen Gruppen, wo eine wahrhaftige Phryne an Schönheit darunter mit errötendem und lächelndem Stolze sich endlich ganz nackend zeigte, in den verschämtesten und mutwilligsten Stellungen. Tolomei wetteiferte mit ihr; er hatte wirklich Schenkel wie ein junger Gott, entzückend Feuer schon der Hand, und die Sprossen zum künftigen Strauchwerk waren an seinem Leibchen eben angeflogen. Demetri glich dem Zeus, und ihm fehlte dazu nur Donnerkeil und Adler. Die Phryne riß alsdenn der andern Schönsten das Hemd weg und beide den übrigen, und nun ward ich von ihr wie von einer wütenden Penthesilea gefaßt, der höchste bacchantische Sturm rauschte durch den Saal, der alles Gefühl unaufhaltbar ergriff, wie donnerbrausende Katarakten, vom Senegal und Rhein, wo man von sich selbst nichts mehr weiß und groß und allmächtig in die ewige Herrlichkeit zurückkehrt. Gegen Morgen macht ich die Zeche richtig, und wir schwärmten im Geisterglanze des Vollmonds unter Chor und Rundgesang an dem Tiber vorbei und hernach durch die hehren Ruinen und Triumphpforten über den Tarpejischen Felsen. Zweiter Band Vierter Teil Rom, Oktober. Ich habe seit meiner letztern Begebenheit mit Lucinden gerungen und gekämpft, in keine solche Torheit wieder hineinzugeraten; aber alles muß seiner Natur folgen. Ich zittre und knirsche mit den Zähnen, daß es nicht anders ist: der Mensch hat keine Freiheit. Sieh die Inseln der Glückseligkeit vor Dir, mit vor Verlangen kochendem Herzen nach ihrer Lust, von üppigem Mut alle Nerven geschwellt: und widerstehe mit kalter Überlegung der Gefahren, die vielleicht auf Dich warten, indes der günstigste Wind über Dir in den Wipfeln hinsäuselt! Was ist das, daß der Mensch so nach Ruhe trachtet und sie hernach doch nicht leiden kann? Daß das Ziel keins mehr für ihn ist, sobald er es erreicht hat, und er immer ein neues haben muß? Ach, unser Wesen hat keinen Frieden, und Brand und Glut in und über alles ist dessen erste Urkraft! Wo ich gehe und stehe, schwebt sie mir vor Augen; ich strecke meine Arme nach ihr aus, und meine Füße bewegen sich von selbst nach dem Ort ihres Aufenthalts. In diesen Kreis bin ich wie gebannt, und mir scheint kein ander Licht. O sie ist so ganz, was ich wünsche! und alles andre, was ich schon genossen habe, dünkt mir nur ein Vorschmack von der Fülle ihrer Seligkeit. Fiordimona, o Fiordimona, mit dir möcht ich ewig leben und unauflöslich mich mit dir verflechten! Du allein kannst bei allen Reizen der Schönheit meine Freundin sein; einen so hohen kräftigen Geist hab ich bei deinem Geschlechte noch nicht gefunden. Glaub indessen nicht, Benedikt, daß ich mich aus Muße und Langerweile verliebe; ich beschäftige mich gerade mit den ersten Werken der bildenden Kunst, der alten und der neuern: allein das Leben selbst triumphiert über alles und gewinnt im Gegenteil dadurch noch mehr Stärke. Der Oktober ist hier wie Wetter aus dem Paradiese, jeder Tag heiter und Fest schon an und für sich. Ich habe mich auf eine Woche in das Vatikan eingesperrt und genösse Götterlust, wenn mein Herz ruhiger wäre. Ich wohne oben im Belvedere bei dem Manne, der die Antiken in seiner Verwahrung hat, und die Aussicht von meinem Zimmer ist bezaubernd. Rom liegt still da, wie ein friedlich Überbleibsel von der Herrschaft der Welt; wie ein junger Sproß steigt es hervor aus dem uralten hohlen Stamme der ehemals erhabnen ungeheuern Eiche. Voran grünt das fruchtbare lange und breite Tal, wodurch der Tiber strömt, zwischen reizenden Hügeln, die schöne Villen bekränzen; und in grauem Duft und blauer Ferne lagern sich die Gebirge von Sabina, Tivoli und Frascati majestätisch herum. Man sieht so den Aufenthalt von süßen Geschöpfen vor sich, mit denen man auf allen Seiten, da und dort in die Höhen, um allein zu sein, hinaus flüchten könnte. Die Nachwelt hat die größten Meisterstücke der Malerei dem wilden und kühnen Papst Julius zu verdanken; und es ist ein seltnes Glück, daß der Heftige einen so scharfen und sichern Blick für das Wesentliche hatte und sich durch kein Gepränge oder Höflingsgeschwätz täuschen und irreführen ließ. Er erkannte das wahre Talent und verachtete dagegen allen Modekram. Die berühmtesten Künstler damaliger Zeit hatten schon in den Stanzen die Wände mit allerlei Larven bemalt, woran vielleicht nach ihren Regeln nichts auszusetzen war, als Bramante den Raffael von siebzehn Jahren herbeibrachte, daß auch er in einem Zimmer sich versuchen möchte. Die alten Meister lächelten höhnisch und spotteten unter sich über die Unerfahrenheit des Knaben. Der hohe Jüngling ließ sich nicht stören und entwarf in seiner Phantasie, dem Schauplatz angemessen, vier Bilder: von der Theologie, der Philosophie, Poesie und Gerechtigkeit, und legte gleich im ersten Feuer Hand an die Theologie. Die Philosophie war noch nicht ganz vollendet, als Julius von der Wahrheit und dem Reiz der Gemälde so entzückt wurde, daß er auf der Stelle befahl, alles, was die andern gemacht hatten, wieder herunterzuschlagen: dieser junge Mensch sollte die Zimmer allein ausmalen. Die alten Herrn schrien über Tyrannei und Unverstand, aber Welt und Nachwelt hat diesen harten Ausspruch gerechtfertigt. Ein solcher Schutz der Kunst macht Ehre, und keine Millionen, die man an Stümper und ein buntes Gemisch von Kunstsachen verschwendet, indes der eigentliche Mann bei seiner Bescheidenheit entweder verborgen bleibt und darbt oder doch nur als ein gewöhnlicher Taglöhner sein Stück Arbeit nebenher durch irgendeines Vernünftigen Empfehlung von ohngefähr bekömmt. Die Theologie ist ein geistig Bild der Religion; die vornehmsten Personen des Alten und Neuen Testaments sind hier beisammen, jede nach ihrem Charakter. Das Ganze stellt gleichsam die christliche Kirche vor im Werden. Gott der Vater schwebt obenan als Architekt mit freundlichem Ernste, daß alles so ist, wie er's haben wollte. Christus ruht selig auf einem Wolkenthron in der Glorie der Ausführung, die Mutter voll Zärtlichkeit neben ihm. Patriarchen, Jünger und Apostel umgeben ihn als ihren Mittelpunkt, auf Wolken von Engeln getragen. Und unten auf dem Erdboden handeln noch die ersten Kirchenlehrer und Christen in der Grundlage des Gebäudes. Die Hauptgestalten zeugen von der lebhaftesten jugendlichen Einbildungskraft und haben wunderbare Bestimmtheit in den Umrissen. Die vier großen Kirchenlehrer gehen mit ihrer Kraft allen andern hervor. Wenn irgend ein Sterblicher zum Maler geboren war, so ist es gewiß Raffael. Seine Figuren sind mit einer Quelle von Leben hervorgefühlt und voneinander unterschieden bis auf eine eigne Art von Reiz im Ausdruck. Die Schule von Athen ist ebenso ein geistig Bild der Philosophen beisammen. Pythagoras fängt an, Sokrates folgt, alsdenn kömmt Plato mit dem Aristoteles und weiter Archimed. Die Gruppe des letztern mit den vier Jünglingen ist wirklich unaussprechlich schön und reizend, ein entzückend Bild von einem Meister mit seinen Schülern; die Aufmerksamkeit zweier, die Verwunderung und Begeisterung des Aufblickenden besonders göttlich hingezaubert, gerad im Momente, wo er die Erklärung des schweren Problems findet. Gesicht mitsamt dem Haar ist von hoher Schönheit und Wahrheit. Archimed selbst voll Schärfe des Verstandes und Überlegung. Zeichnung und Malerei überall spricht den großen Meister von heiterm Sinn. Der eine studiert; der andre begreift; der dritte hat's begriffen und verwundert sich; und der vierte frohlockt und möchte jemand, der's auch lernte. Für ein Gymnasium von Philosophen wäre das Ganze ein wahrer Zauber und würde jederzeit die Seele zur Empfänglichkeit stimmen. In verschiednen Köpfen von Raffael herrscht eine Wirklichkeit, wobei man über die frische Kraft seiner Phantasie erstaunen muß. Sein heiliger Gregorius muß ein Theolog sein, sein Pythagoras ein Philosoph und keine andre Menschen. Der Parnaß ist wieder so ein geistig Bild der Poesie. Homer improvisiert, von Begeisterung hingerissen; Apollo ist mit seinen schönen Augen verzückt in himmlische Phantasien; Musen, Laura, Sappho und die besten Dichter, die theatralischen ausgenommen, sind dabei zugegen. Die Gerechtigkeit besteht aus drei vortrefflichen allegorischen Figuren: Klugheit, Stärke zur Rechten, Mäßigkeit zur Linken. Dieses Zimmer war seine erste Arbeit zu Rom; es bleibt aber doch das vorzüglichste wegen Menge und Adel von Gestalten. Seele und Auge jedes verständigen und in der Welt erfahrnen Menschen müssen sich so recht daran wie an süßem Kern weiden. Überall blickt da und dort eine himmlische Blume hervor, und je tiefer man sich mit seinem Stachel hineingräbt, desto nahrhafter Honig findet man. So hat mich spät noch erfreut sein Evangelist Johannes in der Theologie, neben dem David, welcher vor der Menge größerer Figuren einem erst nach und nach mit seinem süßen Lächeln und halb zugedrückten innigseligen Blick aus seiner Engelsschönheit ins Herz blitzt. Das blonde Haar wallt ihm reizend nieder auf die Schultern, und er scheint einen Liebesbrief zu schreiben. Die Schule von Athen ist mir das angenehmste von allen seinen Werken: eine solche Fülle von Heiterkeit und Ruhe kömmt mir daraus entgegen; ob das Ganze im Grunde gleich einen Streit vorstellt, nämlich den Sieg der Aristotelischen Philosophie über die Platonische, wie die triumphierenden und widerlegten Gesichter zeigen. Alles neben den beiden großen Helden scheint sich darauf zu beziehen. Plato hat zur Seite den Sokrates mit dem Alkibiades und den Pythagoras, Aristoteles den Kardinal Bembo14 und Archimed. Wahrscheinlich fehlen deswegen Epikur und Zeno mit ihrem Anhange. Welche vollkommne Meisterstücke sind darin Pythagoras, Sokrates, Plato, Aristoteles, Archimed oder Bramante mit dem jungen Herzoge von Mantua! Alles ist hier so Natur, daß man die Kunst vergißt und nicht an sie denkt: so voll und verliebt darein und fertig war der Meister. Die Gruppen sind schön zusammengehalten, und jede richtet sich nach dem Philosophen, der Unterricht erteilt. In die antiken Gewänder hat er sich gut hineingedacht, und man merkt nichts Gezwungenes. Zusammengedrängte Jahrhunderte machen in jedem von den drei Gemälden ein einzig Bild für die Phantasie. In dem Zimmer darauf tut der Genius Raffaels, wenn ich mich so ausdrücken darf, pittoreskere Flüge, ist aber nicht mehr so reich an hoher individueller Gestalt. Sein Heliodor ist vielleicht die schönste Allegorie neuerer Zeiten. Das Ganze teilt sich in drei Gruppen und tut große Wirkung. Die Gruppe der Engel mit dem niedergeworfnen Heliodor gehört unter Raffaels Höchstes; sie sind durchaus Natur in Gestalt, Gebärde und Bewegung; er hat sie vermutlich von feurigen römischen Buben in Zorn und Sprung abgesehn. Der Engel zu Pferde in der Kirche ist etwas ungereimt, aber er macht ein herrlich Bild von Schnelligkeit und unwiderstehlicher Gewalt. Heliodor und seine Gefährten schreien; und es gehört zur Schönheit des Ganzen, ob sie gleich gegen die Theorie einiger Antiquaren dazu den Mund auftun müssen. Die Gruppe von Weibern neben dem Papste, der von Schweizern, nach der Natur kopiert, hereingetragen wird, macht einen reizenden Kontrast; die Köpfe der beiden Frauen, die mit den Händen zeigen, sind die schönsten, und der dritte daneben hat einen wunderbaren Ausdruck. Julius schaut voll Majestät, als ob seine Befehle gut ausgeführt würden. Der Hohepriester in der Mitte am Altar bittet voll Zuversicht in Ergebung. Der Bube, welcher auf den Säulenfuß steigt, um recht zuzuschauen, ist sehr pittoresk, wie überhaupt alles samt der Beleuchtung. Dies Gemälde gehört gewiß zu dem Vortrefflichsten, was Raffael hervorgebracht hat; und zu der Zeit, wo soeben erst die Franzosen von Italien hinausgetrieben waren, muß es jedermann innig ergötzt haben. Man sieht inzwischen deutlich, daß ihm seine Schüler an den Nebensachen halfen. Es ist ein ungeheurer Unterschied, wenn man Raffaelen nach den meisten gegenwärtigen Malern sieht; bei ihm lebt alles und bedeutet, und greift ein ins Ganze. Man kömmt bei ihm einmal wieder zu einem verständigen Menschen. Damit Du aber siehst, daß ich doch nicht schwärme, so meld ich Dir dagegen, daß der bewunderte Attila gegenüber auf mich wenig Wirkung macht. Ich finde darin kein recht zusammenhängend Ganzes in der wirklichen Malerei und den Charaktern, obgleich die Anlage trefflich ist, und zuviel Kompliment auf Leo den Zehnten, dessen Kopf sich wahrlich zu keiner solchen Szene schickt. Attila sieht viel zu gütig aus für einen Hunnenkönig, ohnerachtet der ungefühlten Worte von Griechenheit darüber, und Leo zu feist für einen Heiligen. Die Apostel sind zu schwer, zu groß und zu nah in der Luft für schwebende Figuren, haben wenig Gestalt und bitten eher, als daß sie drohen sollten, und halten ihre Schwerter wie die Weiber. Nichtsdestoweniger bleibt das Gemälde mit den Porträten, Pferden und verschiednen Gewändern eine reizende Wandverzierung für einen geistlichen Fürsten, und es ist darin immer mehr natürliche Gestalt für Verstand und Auge als vielleicht in hundert neuern. Das Wunder bei der Messe ergötzt besonders wegen Einheit und Mannigfaltigkeit des Ausdrucks durch alle die verschiednen Gesichter, die meistens Porträte sind, und zeigt so recht Raffaels wunderbare Einbildungskraft. Es ist der lebendige Glaube. Der überführte Priester, mit den Augen kaum blinzend und voll Beschämung und Erstaunen in den Lippen, und Julius der Papst sind hohe Meisterstücke. Das Ganze ist am besten gemalt unter allen. Petrus, befreit aus dem Gefängnisse, ist ein angenehmes Spiel von Licht und Schatten, wozu jedoch kein Raffael gehörte, und das Ganze gut entworfen, der erschrockne Soldat auf der Treppe meisterlich. In diesem Zimmer merkt man schon, daß Raffael seine Schüler bei seinen Arbeiten brauchte; aber noch weit mehr in dem dritten, hintersten, wo das meiste von diesen ist. Der Burgbrand ist hier das Vorzüglichste. Viele Gestalten sind darin vortrefflich, nur war die Szene selbst eher ein Vorwurf für den Tizian oder Correggio. Überhaupt aber sind Wunder eher für Poesie als bildende Kunst; sie täuschen das Auge selten, weil man natürlicherweise nichts so gesehn hat. Die Dirne mit dem Krug auf dem Kopfe ist eine göttliche Figur, eine Amazone unter den modernen Weibern, voll Leben und Frischheit in ihren Formen und reizend in dem vom Wind angewehten Gewande. Die knienden Frauen sind gleichfalls trefflich und die Gruppe des Sohns, des Äneas, der seinen Vater rettet, mit dem Buben daneben Meisterwerk. Der Tumult der Weiber und Kinder, weinend und schreiend, flehend und erschrocken, ergreift die Phantasie, und es gibt da schöne Gestalten. Jedoch ist er am Nackenden gescheitert; dies muß gut koloriert sein, wenn es Wirkung hervorbringen soll. Der nackende Kerl, welcher herabspringt, ist ziegelfärbig und sieht aus wie geschunden. Leo der Vierte, welcher auf das Evangelium schwört. Die Hauptfigur ist das Beste im Ganzen; man kann gutes Gewissen nicht trefflicher ausdrücken im großen, kräftigen, freien Charakter. Herrlicher Blick gen Himmel! Außerdem sind noch einige meisterhafte Köpfe darin; scharfer Verstand, Getrostheit, und Verwunderung und Aufmerksamkeit darum her, und die Menge mit verschiednen Empfindungen. Es ist reizend, überall den tiefen Seelenklang zu finden. Er war in der Tat ein klares stilles tiefes Wasser, worin sich die beste Natur rein abspiegelte. In der Schlacht bei Ostia ist das Beste der geharnischte Soldat mit den grünen Hosen; ein christlicher Held. Das übrige in diesem Stücke ist unbedeutend; der Papst selbst hat eine fromme Schafsgestalt. In der Krönung Karls des Großen macht Karl selbst eine einfältige Figur und paßt so gut zu dieser Szene, die mit viel Empfindung und Feinheit ausgeführt ist; er sieht wie ein alter Schweizerkorporal aus und kniet mit abgestutztem Haar vor dem Papst. Es sind in diesem Gemälde ganz vortreffliche Köpfe, besonders unter den Bischöfen und geharnischten Schweizern. Die Gescheitesten sind am entferntesten von ihm und um die Handlung her, und zum Teil mit ernsthaftem und heiterm Nachdenken. Die Bischofsmützen sind sehr fatal für die Malerei und ihr Weiß in doppelter gerader Reihe besonders im Vordergrunde grell. Die Einheit des Ganzen verbreitet sich bis auf die Sänger in der Ecke oben. Die Kerl, welche Geschenke tragen, silbernen Tisch und Gefäße, bringen Mannigfaltigkeit hinein. Es ist viel zusammengedrängte Pracht darin. Im vierten und letzten Zimmer, beim Eingang das erste und größte, ist alles bloß nach Raffaels Zeichnungen und Anlage, bis auf zwei Figuren, die er selbst in Öl ganz ausgemalt hat, nämlich die Gerechtigkeit und Gütigkeit, welche, obgleich nur allegorisch und wenig bedeutend, doch mit ihrer Wahrheit und Wirklichkeit alles von Julio Romano und Fattore niederschlagen. Es kömmt einem vor, als ob Raffaels warmes Leben kalt geworden wäre; er ist's, und ist's nicht mehr. Er selbst ist ganz lebendig: hier sind's nur seine Masken. Es fehlt die Bestimmtheit in allen Teilen, fehlen die feinen entscheidenden Züge, die nur von der schöpferischen Phantasie allein unmittelbar in die Hand quellen. Man muß sich zwingen, die Personen wirklich zu sehen; bei ihm kann man nicht anders. Die Schlacht Konstantins gehört mit der Verklärung unter Raffaels größte Kompositionen; sie macht ein schönes Ganzes und ist vortrefflich angeordnet. Die Hauptfiguren gehen gut hervor. Konstantin drückt noch Zorn aus, und die Freude regt sich bei ihm über den Sieg. Der Kopf des Maxentius stellt einen schlechten, grausamen und elenden Tyrannen dar überhaupt, wohl meistens von Julio erfunden, und jetzt in Verzweiflung und gänzlicher Ohnmacht und der Gefahr, überall umzukommen. Sein Pferd und wie er sich beim Untersinken im Wasser daran hält, der Strom und die darin schwimmen, in die Barke steigen wollen und sie umwerfen, ist trefflich. Sonst sind die Haufen vielleicht zu voll, der Feind zu flüchtig, ohne allen Widerstand; es bleibt aber doch die erste Schlacht wegen Wahrheit der Gestalten. Die Gruppe, wo einer vom Pferde heruntergebohrt wird, und die des gefallnen Sohns mit der Fahne bei seinem Vater tun große Wirkung. Die drei übrigen Gemälde in diesem Saale kommen nach den andern wenig in Betrachtung. Die Anrede Konstantins mit dem erscheinenden Kreuz in der Luft ist noch das beste; sie ist nach den Anreden Trajans auf Konstantins Triumphbogen. Einige Porträte nur ziehen das Auge an sich, als die zwei Jünglinge unter Konstantin. In der Schenkung Konstantins sind im Vordergrunde auf beiden Seiten ein paar schöne Gruppen von Weibern, samt denen, die sich durch die Säulen drängen. Vor den Stanzen sind die Logen, mit lauter kleinen Gemälden aus dem Alten Testamente und am Ende mit einigen wenigen aus dem Neuen verziert. Raffael selbst hat nur ein paar Erker etwa selbst flüchtig ausgemalt und hier und da Hand angelegt, alles andre ist von seinen Schülern nach seinen Zeichnungen. Und so die Arabesken. Alles voll schöner reizender Ideen. Ich betrachte diesen Gang als die Schule Raffaels im eigentlichen Verstande, den trefflichen Meister unter seinen großen und kleinen Schülern, und es freut mich zu sehen, wie sie die Schwingen versuchen. Man kann nicht wohl umhin, unter den großen Meistern der neuern Zeit den Michelangelo und Raffael obenan zu stellen; jenen wegen Richtigkeit im Nackenden und Erhabenheit seiner Denkungsart; doch hat er wenig Gefühl für schöne Form gehabt und ein elendes Auge für Farbe, und war arm an Gestalt. Raffael ist lauter Herz und Empfindung, und eine Quelle von Leben und Schönheit, wie je wenig Sterbliche. Edel und liebenswürdig, und bereit, von seiner Fülle mitzuteilen für jedermann, hat er die Gunst und Bewunderung von dem Kerne der Menschheit erhalten. Alles Nackende, was zu unsern Zeiten am Menschen sichtbar ist, besitzt er in seiner Gewalt. An Gestalt ist keiner reicher als er, und darin fühlt er einige Gattungen von Seelenschönheit aufs lebendigste. Die Farbe war ihm zu sehr Oberfläche; im Nackenden hat er aber doch oft ihren Reiz gefühlt und besonders bei Köpfen in höchster Vortrefflichkeit übergetragen. Die Zaubereien von Hell-Dunkel sind ihm fremd. Sein Fehler ist seine Gefälligkeit überall, auch wo sie nicht sein soll. Es scheint, als ob er nie ein widerwärtig Gesicht recht habe ansehen können; in seinen Köpfen von Attila und Heliodor, und Mördern schier, ist Grazie und Gefälligkeit. Heldencharakter, welche für sich bestehen, einen Apollo, Herkules, Jupiter, und diesen Ähnliche unter Menschen hat er nie oder höchst selten durch bloße Kopie erreicht. Sein Nackendes in den Teilen, die man nach unsern Sitten nicht sieht, ist wie aller andern Neuern meist Abschrift eines Modells; doch freut einen darin seine feste Hand. Die Vollkommenheit unsrer besten Antiken kannt er nicht; und sein Vortrefflichstes ist wahrlich nicht das wenige, worin er sie nachgeahmt hat. Dies Nackende, wenn er sich auch noch so sehr plagte, tut wenig Wirkung; es ist nicht wieder andre Natur geworden wie bei den Griechen, ausgenommen Kinder, Arme, Beine, Brüste, Hände, Füße. Übrigens sieht man recht im Vatikan, daß er mit den vorzüglichsten Personen seines Zeitalters umging und ihre Gestalten, Mienen und Gebärden, Stellungen und Bewegungen und den Reiz in den Gewändern seiner Kunst eigen machte. Welche Meisterstücke Archimed, Aristoteles, Plato, Pythagoras, seine Theologen und Kirchenlehrer! Um sie so wohl zu fassen, dazu gehört gewiß ein verliebter Umgang mit großen Männern. Sappho, Laura, die drei Musen neben dem Apollo im Parnaß, Pindar, Horaz, welche Gestalten! Und wieder welch ein unschuldiges unbehülfliches und doch unbesorgtes Wesen in seinen Kindern zum Beispiel im Burgbrande! Die Schönheit von Ausdruck und Empfindung hat er verstanden wie keiner. Auch dem Gemeinsten hat er immer einen Anstrich von Empfindung gegeben, ihn wie in Seele getunkt. Er konnte fast nichts anders machen; und die gefühligen Gebärden von inniger Rührung sind bei ihm zuweilen für den scharfen Denker bloße Manier und finden sich, wo sie sich nicht hin schicken. Seine wahrhaftig schöne Seele hat sich von Kindheit an dazu gewöhnt. Gefühlvolle Gestalten, die nicht sprechen, sind aber auch der eigentlichste Gegenstand der Malerei; wo diese nicht das Hauptwerk in einer historischen Komposition ausmachen, ergreift das andre wenig. Die vorige Woche war eine Seligsprechung zu Sankt Johann im Lateran, und dabei wurden Raffaels Tapeten ausgehängt, das Fest zu schmücken. Sie machen die andre große Reihe von Gemälden aus, wenn man sie so nennen will, die sich von ihm hier befinden, und belaufen sich an die zwanzig Stücke. Es sind Bilder aus dem Leben Jesu und der Apostelgeschichte. Raffael malte die Kartons dazu, wenig Jahre vor seinem Tode, auf Verlangen Leo des Zehnten, und sie wurden in Flandern unter Aufsicht zwei seiner guten dortigen Schüler gewirkt. Man trifft darunter Vorstellungen an von hoher Vortrefflichkeit und Schönheit: bei einigen aber gab er sich freilich nicht viel Mühe; doch erblickt man auch hierin einzelne Figuren, die entzücken. Er mußte sich darauf einschränken, was auf Tapeten Wirkung tut, und konnte nicht ins Feine gehen, in die zarten Züge, die oft soviel entscheiden. Deswegen hat man vermutlich auch aus einer schändlichen Nachlässigkeit die Originale zurückgelassen; und der Himmel weiß, wo sie in den Nebelländern hingeraten sind. Der Kindermord, die Auferstehung, die Austeilung der Schlüssel, wo man dem Paulus opfern will, derselbe im Areopag, Petrus, der einen Gichtbrüchigen heilt, der blinde Zaubrer, der Fischzug gehören unter die besten. Es ist wunderbar, wie das Leben aus der groben Materie hervorbricht und die Herzen ergreift; und man wird selbst zum glücklichen, seligen Kinde, wenn das Volk so daran vorbeizieht, da und dort stillesteht und sich dieses und jenes Schöne zeigt, sich dabei der Religion freut und fromm und gut nach Hause geht. Vor seinem Kindermorde muß jeder andre Künstler die Segel streichen. Ich habe manches schöne Weib davor Tränen vergießen sehen, so rührend ist die Mutterliebe und die Unschuld der Kinder auf mancherlei Art ausgedrückt. Die Mutter, welche mit ausgebreiteten Armen und flatternden Haaren im Schrecken flieht; welche sitzt und über ihr totes Kind weint; welche den Mörder wütend fortstößt, indes das Kind sich an sie festklammert: sind göttliche Gestalten. Es ist ein unendlicher Reiz von Leben, Bewegung und Schönheit in diesem Stücke, das aus drei großen Tapeten besteht. Wie Petrus den Gichtbrüchigen heilt, ist ein gleiches Meisterstück und hat die trefflichsten Naturgestalten zur Begebenheit und macht noch ein vollkommner Ganzes. Ein gleiches, wo dem Paulus geopfert wird und wo Petrus die Schlüssel empfängt. Wie Christus aufersteht, ist äußerst sinnlich erfunden. Die Wache erschrickt und flieht davon, wie vor einem Gespenste. Der Hauptmann mit dem Spieße, der im Entsetzen noch tapfer aushalten will, und der Soldat, der sich vor Furcht an ihn schmiegt, und ein andrer mit Schild und Armen über dem Kopfe, und der, welcher ausreißt, sind Meisterwerk. Die drei Marien in der Ferne vollenden die Heiterkeit des Ganzen. Es läßt sich wenig darüber sagen, wenn man nicht selbst davorsteht und auf die Schönheiten hindeuten kann. Auch muß man vieles aus einer nähern Bekanntschaft mit Raffaelen nur ahnden. Unter allen seinen theologischen Werken behält aber doch immer den Preis sein letztes, die Verklärung, weil es gewissermaßen die Quintessenz aller seiner heiligen Gefühle in sich hält, den Zuschauer in den Mittelpunkt der christlichen Religion zaubert und die Vollkommenheit seiner Kunst ist. Schade nur, daß das Gemälde die Haltung verloren hat, die Schatten alle schwarz geworden, die feinen Tinten verschwunden sind und die Luft keine gute Wirkung tut. Inzwischen müssen die Gestalten der hohen Menschen, die hier versammelt sind, schon an und für sich ergreifen. Jeder von den untern Aposteln möchte gern voll Gutherzigkeit helfen, aber kann nicht. Auch die Notleidenden sind edle Seelen, und die kniende Jungfrau mit dem königlichen Profil erhebt besonders die Szene. Der beseßne Bube ist ein gutes Kind; der Kopf hat in der Tat den Ausdruck, als ob ihm ein böser Geist etwas angetan hätte, und sein Arm ist ein Meisterstück von Wut der Qual. Der Kopf des Weibes, welches ihn mit der Hand hält, voll Angst und blasser Melancholie, rührt bis zur Bangigkeit. Oben auf dem Berge wird der göttliche Jüngling, der das menschliche Geschlecht von seinem Elend befreit und auf welchen die untern Gefährten zeigen, in Verzückung emporgehoben vom Boden, und ihn umschweben die größten Geister der Vorwelt herab vom Himmel. Die eingeschlummerten Begleiter erwachen auf der Anhöhe von der Glut der Begeisterung. Jede Gestalt ist äußerst rein und bestimmt, individuell, voll Physiognomie und Schönheit in großen Formen. Dabei sind die Köpfe doch fast alle Natur aus der römischen Welt und täuschen deswegen so sehr. Ein Fremder kann es nicht so genießen wie einer, der diese kennt. Mit einem Wort, es ist, was es sein soll: eine wahre Verherrlichung und Verklärung; die Doppelszene, so vereinigt, füllt den Moment so mächtig, als die Malerei nur leisten kann; und was leere Kritiker tadeln, entzückte gerade den Meister bei der Erfindung und macht den Triumph der Kunst für den Menschen von Gefühl aus. Man muß gewiß erstaunen über die große Anzahl seiner Werke bei so kurzem Leben und seinem Hange zur Wollust, besonders wenn man das meiste so gefühlt und ausempfunden sieht. Bei bloßer Manier und Fabrik läßt sich große Anzahl leicht begreifen, wo arme Sünder denselben Puppenkram, den kein Vernünftiger mehr erblicken mag, nur in andre Stellungen versetzen; aber alles Vollkommne, aus der Natur hergeholt, will reine volle Seele und kostet Anstrengung. Raffael hat sich innig, von zarter Kindheit an, als einzig liebes Künstlersöhnchen voll frischer Kraft selbst zum Maler in der Einsamkeit und beim Leben in der Welt gebildet, und früh sich angewöhnt, Gestalten und Bewegungen derselben sich in der Phantasie zu sammeln und vorzustellen; und diese Übung und Gewohnheit ist nach und nach bei ihm zur stärksten Fertigkeit geworden. Seine Hand hat er gleichfalls geübt wie Auge und Phantasie, und dabei seines Geistes Sphäre erweitert; und so ist der göttliche Jüngling zum Vorschein gekommen. Die Hauptsache, worin er alle übertrifft, bleibt eben die vollkommne Fertigkeit, sich Gestalten vorzustellen, die Grund in der Natur haben, mit Zweck und Absicht. Daher die wunderbare Menge seiner Gemälde. Das Höchste in der Malerei, Gestalt, wobei sich andre, zuweilen die scharfsinnigsten Köpfe, vergebens abmartern, war sein Leichtestes, ging von ihm aus wie Quelle. Aber doch sieht man bei seinen Kompositionen deutlich allemal die Figuren, wo er sich angestrengt und die wirkliche Natur nachgeahmt hat. Er besaß einen gar guten Volksverstand und dachte und empfand bei jeder Geschichte gleich das Natürlichste; und seine Gestaltenphantasie und sein kernhafter Stil, wo alles bestimmt ist, machte das Ganze gleich lebendig. Nach diesem allen seh ich mich doch genötigt, ein Gegenlied von dem Lobe anzustimmen, was ich dem Papst Julius gab. Es war ein Glück für Raffaelen, daß dieser seiner Kunst Arbeit verschaffte, und vielleicht auch keins und das Gegenteil; denn dadurch ist er fast zum bloßen Kirchenmaler geworden. Das einzige große Werk außer seinen theologischen Gemälden und Porträten ist die Geschichte der Psyche in der Farnesina; und diese gehört, einzelne vortreffliche Figuren ausgenommen, nicht unter sein Bestes. Die Götter und Göttinnen darin machen einen großen Abstand gegen die Antiken.15 Jedoch muß man zu seiner Entschuldigung sagen, daß er das vom Apulejus so kostbar erzählte Märchen schier lucianisch behandelte; das Ganze ist ein Malerscherz und stellt ein kokettes Weib vor, welches keine reizende Schwiegertochter haben will und sie endlich haben muß. Er und seine Schüler scheinen überdies sich auf Kosten des reichen Kaufmanns Chigi von Siena, der aus verschwenderischer Pracht bei einer Mahlzeit für Kardinäle und Prälaten die silbernen Gefäße, sowie sie abgetragen wurden, in den vorbeifließenden Tiberstrom werfen ließ, sich mehr nur einen Zeitvertreib gemacht zu haben, als daß ihnen, von der vatikanischen Strenge her, die Arbeit Ernst gewesen wäre; und der welsche Amsterdamer mußte ihm dabei noch ein Zimmer für seine Geliebte einräumen, damit er sie allemal gleich bei der Hand hätte, sooft ihm die Lust unter den wollüstigen Zeichnungen der nackenden weiblichen Gestalten zu ihr ankäme. Die Allegorie mit den Liebesgöttern ist das Sinnreichste, Venus und Psyche übrigens einigemal bezaubernd, Zeus und Amor beisammen griechisch empfunden, Merkur und die Grazie vom Rücken Meisterwerk. Und Johann von Udine hat bei seinen Blumen einen himmlischen Frühling genossen. In seiner Galatee neben diesem Saal ist die Zärtlichkeit und Empfindung der ersten Liebe ausgedrückt; sie hat viel Unschuld im Blick, aber noch etwas Unreifes in der Gestalt, und ihr Gesicht ist noch nicht so klar und rein wie zum Exempel die Köpfe in der Verklärung. Die drei fliegenden Bübchen schweben reizend in schönen Umrissen. In den Stanzen sind zwar einige Gemälde, die nicht zur Kirchengeschichte gehören, allein er mußte die Personen darin doch dem Orte nach so fromm behandeln, daß sogar Vasari seinen Plato und Aristoteles in der Schule von Athen für die Apostel Petrus und Paulus ansah und ein andrer Unwissender dieselben mit dem heiligen Schein in Kupfer stach. Sein Parnaß würde vermutlich in einem Saale von Ariosts Gartenhause ein ander und besser Werk geworden sein. Und wie sind die Zimmer alle an und für sich schon schlecht beleuchtet und angeordnet, mit Malerei überladen! Man sollte fast denken, der Halbgott habe den größten Teil seines Lebens mit seinen Schülern hier gefangen gesessen und einem theologischen Tyrannen zu gefallen alle Wände vollgepinselt, um ihn zur Erlösung zu bewegen. Raffael hat durch diesen Druck äußerst wenig und vielleicht nichts gemacht, wo sein ganzes Wesen mit allen seinen Gefühlen und Neigungen und Erfahrungen ins Spiel gekommen wäre, wo die Sonne seines himmlischen Genius ganz auf einen Brennpunkt gezündet hätte. Es ist zwar wahr, aus der freisten oder schlüpfrigsten Szene der Welt kann der Künstler eine Gestalt in das frömmste Gemälde übertragen; allein es geschieht doch allemal mit Zwang, der, anstatt daß eine Begebenheit aus der profanen Geschichte oder Fabel die Phantasie erhöbe und begeisterte, die eigentlich lebendigen Züge verwirrt und verunstaltet, so daß sie ihre beste Kraft verlieren. Wie würden Raffaels Weiber, zum Exempel, dieselben Gestalten zu seinem Kindermorde, zu seinen vortrefflichen Sibyllen in der Kirche alla Pace, zu verschiednen seiner Madonnen noch andre Wirkung in den Vorstellungen aus dem Leben einer Sophonisbe, Kleopatra, Cornelia, der Geschichte des Coriolan hervorbringen? Es bleibt ausgemacht: Das Element der großen Geister ist die Freiheit; und wer sie unterstützen will, muß diese ihnen erst gewähren. Aller Zwang hemmt und drückt die Natur, und sie kann ihre Schönheit nicht in vollem Reize zeigen. Deswegen die Athenienser unter ihrer Demokratie und Anarchie der höchste Gipfel der Menschheit. Rom, November. Ich freue mich, daß Du mit mir auf gleichen Lebenspfaden gehst und also leichter an meinen Schicksalen teilnehmen kannst; nur ist Deine Chiara von ganz andrer Art als meine Fiordimona; sie hat mich nicht so lange schmachten lassen, ihrer Macht und Herrlichkeit bewußt. Das hab ich noch nicht erfahren, in der Liebe so von einem Weibe überflogen zu werden. Ich habe Nebenbuhler, und vielleicht glückliche Nebenbuhler: nur schein ich der glücklichste zu sein; und dies fesselt mich an ihren Triumphwagen, worauf die stolze junge Römerin einherzieht wie ein alter Sylla nach den Siegen über die größten Könige der Erden und die ersten Helden seines Vaterlandes. Und ich fühl es, ach ich fühl es, daß sie mich so ganz unaussprechlich liebt! Was das für eine Empfindung ist und wie es mein Wesen in vollen Schlägen durchkreuzt, kann niemand fassen, als wer selbst in Feuer und Flammen unter einem solchen schrecklichen Gewitter gestanden hat. Das erste Mal, als wir unsre Seelen vereinigten, geschah in der Nacht auf den Raub, zwischen Gebüsch und Gesträuch, unter den ewigen Lichtern des Himmels, auf dem Gipfel des Monte Mario. O Gott, wie war ich da in Reiz versunken und verloren! Ach, wenn es ein Leben gibt, das so unaufhörlich fortdauert, in welcher Tiefe von Elend winden wir uns herum! Sie riß sich allzubald mit heißen Küssen los, damit ihre Abwesenheit vom Ball, den ein Prinz ihretwegen auf der Villa Melini gab, nicht bemerkt würde; und ich wandelte außer mir, nicht mehr derselbe, noch lange zwischen den Bäumen herum, tat Freudensprünge wie ein Knabe und jauchzte vor unfaßbarem Entzücken hinab in die Täler des Tiberstroms, daß alle Hügel widerhallten. Du solltest sie sehen! Eine erhabne Gestalt, die das Auslesen hat; bei Lüsternheit sprödes Wesen. Ein froh und edel wollüstiger Gesicht gibt's nicht. Mit Adleraugen schaut sie umher und bezauberndem, doch nicht lockendem Munde. Das stolze Gewächs ihres schlanken Leibes schwillt unterm Gewand so reizend hinab, daß man dieses vor Wut gleich wegreißen möchte; und die Brüste drängen sich heiß und üppig hervor wie aufgehende Frühlingssonnen. Wangen und Kinn sind in frischer Blüte und bilden das entzückendste Oval, woraus das Licht der Liebe glänzt. O wie die braunen Locken im Tanze bacchantisch wallten, der himmlische Blick nach der Musik und Bewegung in Süßigkeit schwamm, die netten Beine in jugendlicher Kraft sich hoben, wie schnelle Blitze verschwanden und wiederkamen! Doch warum beginn ich ein unmögliches Unternehmen? Der genießt das höchste Los des Daseins, den ihre zarten Arme wie Reben umflechten; mehr hat kein König und kein Gott. Ach, und sie ist mehr Wunder der Natur noch am Geiste! eine Kreatur, worüber ich zum ersten Mal mit geheimen Ingrimm rase, daß sie so vortrefflich ist. ›O laß mich!‹ ruf ich zuweilen für mich in Verzweiflung aus; doch muß ich dem unbändigen Zuge folgen und unterliegen. Ich habe nie geglaubt, daß eine Dirne derart mich in Ketten und Banden legen würde, und tobe über mich selbst; aber niemand weiß, was ihm bevorsteht. Ich will Dir gleich den falschen Wahn benehmen, der bei Dir aufsteigen wird. Sie ist reich, besitzt ein unmäßiges Vermögen und hat weder Vater, Mutter noch Geschwister. Ihr Vater war der Sohn eines päpstlichen Neffen, und sie ist nun allein geblieben. Wie um sie geworben wird, kannst Du Dir leicht vorstellen; aber sie will ihre Freiheit behaupten und sich platterdings nicht vermählen. Kurz darauf bracht ich bequemer und freier eine ganze Nacht mit ihr zu in ihrem Schlafgemach, bis Morgenrot und Sonne die Blumen ihrer Schönheit bestrahlten und ich so ganz in ungestörtem Genusse mein Dasein mit allen Sinnen darinnen wiegte. Welche Reden! welche Gefühle! wie schwand die Zeit dahin; welcher süße Scherz, was für Mutwill, was für Spiel, kindlich und himmlisch! Trunken und lechzend taumelt ich von dannen. Wohl recht hatte jener Weise: wenn man die Wollust dem Leben abzieht, so bleibt nichts als der Tod übrig. Sie hat so ganz das, was Sappho bei Weibern allein Grazie nennt, das Liebreizende, was so oft den schönsten und verständigsten fehlt. Diese versteht die Kunst, zu lieben, und kennt die Wirklichkeit der Sache mit allen ihren Mannigfaltigkeiten; sie ist eine Virtuosin darin, und andre wissen dagegen kaum die Anfangsgründe. Bei ihr könnte Sokrates mit allem seinen unendlichen Verstande noch in die Schule gehen; Natur selbst übersteigt alle Einbildung. O wie sie so bloß als erquickende Frucht an einem hängt, als volle süße Traube, woran man mit durstigen Zügen saugt: und dann wieder bezaubernde unüberwindliche Tyrannin ist des Herzens und des Geistes! Sicher bei ihrer Vollkommenheit, bedarf sie die Zierereien der andern nicht. Die Grausame begnügt sich, gleich der Spinne, nicht an einer Seele und verlangt nicht, wie sie sagt, gegen die Unmöglichkeit zu streben; o ich möchte töricht werden! »Laß uns aufrichtig sein!« sprach sie an einem andern Abend im Spazierengehen nach Saitenspiel und Gesang bei meinen Liebkosungen und Klagen der Eifersucht. »Jedes muß sich selbst am besten der Kräfte zu seiner Glückseligkeit bedienen, womit es auf diese Welt ausgesteuert worden ist, und der Lage und Sphäre, wohinein es bei seiner Geburt gesetzt wurde. Dies hebt den Menschen über Menschen und macht einen weit größern Unterschied zwischen den Graden ihres Genusses, als zum Exempel zwischen den verschiednen Weinen und ihrem Geschmack ist, wo man nicht glauben sollte, daß sie alle von derselben Rebe herkämen. So wären die Könige Halbgötter und Löwen unter Rindern, wenn sie ihre Stelle zu gebrauchen wüßten.16 Ein Frauenzimmer ist unklug, das mit einer Gestalt, die gefällt, erwuchs und Vermögen besitzt, wenn es sich das unauflösliche Joch der Ehe aufbinden läßt. Eine Göttin bleibt es unverheuratet, Herr von sich selbst, und hat die Wahl von jedem wackern Manne, auf solang es will. Es lebt in Gesellschaft mit den verständigsten, schönsten, witzigsten und sinnreichsten; erzieht seine Kinder mit Lust, als freiwillige Kinder der Liebe; erhöht sich zum Manne: da es hingegen im Ehestande wie eine Sklavin weggefangen worden wäre, nichts mehr vermöchte nach Gesetz und Gewohnheit, und sich endlich von dem kleinen Sultan selbst, welchem es sich aufgeopfert hätte, verachtet sehen müßte, ohn einem andern Vortrefflichen seine Hochachtung wirklich auf eine seelenhafte Art, nicht bloß mit Tand und Worten, erkennen geben zu dürfen. Ich werde dies einem Prospero nicht weiter auseinanderzusetzen brauchen, und ferner nicht, ob das Wohl des Staats oder Ganzen dadurch gewinnt oder verliert. Die etwanige Sünde kann man sich ja vergeben lassen! und eigentlich ist es bei uns nicht einmal eine gegen das sechste Gebot, sonst würden diese Lebensart fromme Regierungen nicht gestatten. Was die Eifersucht betrifft, so ist sie gewiß, wenigstens auf Eurer Seite, eine unnatürliche Leidenschaft und entsteht ganz allein aus armseliger Schwäche, Mangel oder Vorurteil; Brüder und Helden, jeder wert, ein Mann zu sein, sollten sich eine Freude daraus machen, ein schönes Weib gemeinschaftlich zu lieben. Der geringste Genuß wird durch Anteilnehmung mehrerer verstärkt und gewinnt dadurch erst seinen vollen Gehalt: warum sollte es nicht so sein bei dem größten? Und ist eine junge Schönheit nicht imstande, ihrer viele zu vergnügen? Verliert der eine etwas, wenn der andre auch von der Quelle trinkt, woran er schon seinen Durst gelöscht hat? In einer guten bürgerlichen Gesellschaft sollte platterdings auch gesellschaftliche Liebe und Freundlichkeit sein; allein wir können uns von dem Krebsschaden der Vorurteile vieler Jahrtausende noch nicht heilen. Eins und eins ist wahrlich nicht viel mehr als einsiedlerisch und gegen die Natur; sie behauptet deswegen auch immer ihre Rechte, wie jeder weiß, der nicht ganz blind ist. Bei der großen Mannigfaltigkeit wär es Unsinn, jederzeit von bloßem Brot zu leben. Jeder Mensch existiert für sich und in keinem andern; wenn dies die Natur gewollt hätte, so wären wir zusammengewachsen. Und geht's nicht so unter allen andern Gattungen von Tieren, Gras und Kraut und Bäumen? Jedes vereinigt sich mit dem andern nach Gelegenheit. O ihr Armseligen, die ihr keinen Begriff von Leben und Freiheit habt und Großheit des Charakters! Daß dies die reine wahre Lust ist, mit seiner ganzen Person, so wie man ist, wie ein Element göttlich einzig unzerstörbar, lauter Gefühl und Geist, gleich einem Tropfen im Ozean durch das Meer der Wesen zu rollen, alles Vollkommne zu genießen und von allem Vollkommnen genossen zu werden, ohne auf demselben Flecke klebenzubleiben. Sobald etwas ganz genossen ist, weg davon! Dies ist das allgemeinste Gesetz der Natur, wodurch sie sich ewig lebendig und unsterblich erhält.« Ich erschrak und erstaunte über diesen pindarischen Schwung; so weit hatt ich meine Philosophie noch nicht getrieben. Was lernt man nicht in Rom! Es bleibt gewiß in jeder Rücksicht die Hauptstadt der Welt. Ich sah sie an wie ein junges arabisches Roß, das nie Zügel und Gebiß erfahren, mit flatternden Mähnen durch die Fluren schweift und mit üppiger Kraft über alle Hecken und Gräben setzt. Sie lächelte über meine Verwunderung, milderte ihren feurigen kühnen Adlerblick, faßte mich zärtlich bei der Hand und fuhr fort: »Wenn man mit euch Weisen spricht, so muß man wie Zeno und Plato reden und sich dem Höchsten nähern, sonst habt ihr nur Mitleiden mit uns Schwachen. Glaube nicht, daß mein Herz aus mir sprach; es waren nur Abstraktionen kalter Vernunft und leichte Flüge mutwilliger Phantasie, dich zu necken und zu warnen. O du bist mein Abgott, ich werde dich immer lieben, solange du mir getreu bleibst; und ich habe keine Furcht vor einem andern, solange du es sein wirst. Kennst du etwa einen, der so viel über mich vermöchte als du? so viel über mich vermocht hätte? Nur schweig und verbirg, und laß uns unsre Glückseligkeit im stillen genießen; denn du siehst, ich bin von Feinden umringt, die mich und meine Güter zur Beute machen wollen.« Alles dies ist Schatten und nichts schier gegen das, was und wie sie es gesagt hat, mit einer Leichtfertigkeit, und einem Spiel von Mienen und Gebärden, und Pausen und Fragen und Antworten und Errötungen und Wegwendungen des Gesichts, und als ob ihr manches nur entschlüpfte, daß ich mich schäme, es hingeschrieben zu haben. Doch mag der bloße Inhalt allein Deiner Moral, wenn Du noch die alte hast, genug zu schaffen geben; ich wenigstens bin mit meinem Latein am Ende und denke keine Spanne weiter mehr darüber hinaus, von den Wonnestrudeln des paradiesischen Lebens bei meiner Zauberin ergriffen und festgehalten. Nach diesem sonderbaren Liebesgespräch ist noch sonderbarer, daß sie keiner Ausschweifungen beschuldigt wird und alle Abbati nichts wissen, die sich an ihr blind schauen. Sie hält sich eingezogen in ihrem Palast auf, wenn sie sich nicht auf ihren Landgütern befindet, und hat eine alte Base bei sich; und so führt sie die Wirtschaft mit ihren Kammerweibern und Bedienten. Sie weiß sich so von jedem Ehrerbietung und Gehorsam zu verschaffen, daß sie keines Mannes dazu bedarf und ihr alter Vormund, den sie noch erbt, gute Muße hat. Entweder ihr Vater oder ihre Mutter müssen außerordentliche Menschen gewesen sein: sonst kann ich es nicht begreifen. Beide sind erst vor wenig Jahren nacheinander gestorben. Etwas von dem Rätsel kann Dir noch das erste Gespräch aufschließen, wodurch ich mit ihr bekannt wurde, welches wir zusammen in einer Gesellschaft hielten, wohin ich kurz nach meiner Ankunft den Kardinal begleitete. Es betraf die drei großen Lichter der welschen Literatur, den Dante, Petrarca und Boccaccio. Von dem letztern behauptete sie, daß er am mehrsten Mensch und der Klügste und, gegen die gewöhnliche Meinung, am mehrsten Dichter gewesen wäre. Aus seinen Novellen allein leuchte unendlich mehr Erfindungsgeist hervor als in den Werken der beiden andern, und dies bestimme doch hauptsächlich den Rang der Dichter. Vers und Reim sei nur Verzierung, wie Licht und Schatten bei der Malerei, und nicht das Wesentliche. Und auch in Charakter und Sprache dürfe man ihn den guten Klassikern an die Seite setzen. Ich wandt ihr dagegen verschiednes ein und scherzte über ihre Verteidigung dieses gefährlichen weiblichen Moralisten. Sie zog sich mit unbeschreiblicher Anmut und leichtem Witz aus der Schlinge und beschloß, er habe die Sitten seiner Zeit geschildert, und es gehöre zur Vollkommenheit von Held und Heldin, alle Wege und Abwege eines Landes zu kennen; und es habe noch niemand zum Vorwurf gereicht, durch andrer Schaden klug zu werden. »Ich betrachte die Komödie des Dante«, fügte sie ernsthaft hinzu, »eigentlich nur als eine Satire über seine Feinde. Übrigens war er ein Mann wie ein Fels, welches auch seine Gestalt zeigt, voll hohen Ehrgeizes. Der letztere hat ihn vermutlich zu seiner unverständlichen Theologie und Philosophie verleitet; er wollte über die berühmtesten Personen seines Zeitalters hervorragen. Wenn er Kraft genug gehabt hätte, die Modemänner zu verachten, und einen bessern Plan zu seinem Gedichte wählte als ein so gotisches Gewirr, so wär er vielleicht eine neue Art Homer für uns. Er hat Stärke, Feuer, tiefes Gefühl, Einbildung und männliche Würde. Die Schicksale nach seiner Verbannung ließen ihm nicht Ruhe und Heiterkeit genug. Petrarca geht zuviel in der Luft; doch entzückt nicht selten lauter und rein sein himmlischer Geist, in guter Gesellschaft gebildet. Allein Boccaccio hat am mehrsten Natur und war am mehrsten unter seinen Menschen: und hat deswegen auch am mehrsten gewirkt. Was an ihm zu tadeln ist, muß man billig auf Rechnung seines Zeitalters setzen.« Ich würde einen Mann wegen dieser Urteile nicht bewundert haben; aber sie bezauberten mich von so schönen Lippen aus zwei Perlenreihen Zähnen hervor. Was für innrer Gehalt gehörte nicht dazu, dieselben in Beisein eines Kardinals auszusprechen! Es ist ein Glück für mich, daß ich sie so fand; mit ihr hätt ich die Torheit begehen können, zu heuraten und alle meine brennenden Begierden und Hoffnungen in ihrer Liebe dämpfen zu wollen. Bei den Grundsätzen, die sie wenigstens auszudenken imstande war, wenn sie dieselben auch nicht ausüben sollte, würde mir dieses eine ersprießliche Ehe geworden sein! Inzwischen ist wieder wahr: mit Verstand kann man alles anfangen; sie würd es schon so gemacht haben, daß auf beiden Seiten nichts Böses erfolgt wäre. Jedoch nur der fernste Gedanke, in einen gewissen Orden hineinzugeraten, treibt mich auf und von dannen. Aber ich weiß selbst nicht recht, woran ich bin, und die Heillose foppt mich. Noch einen Hauptpunkt hab ich vergessen, Dir zu erzählen: Sie macht und singt aus dem Stegreif vortreffliche Verse, mit einer so tonvollen silbernen Stimme, daß sie alle Augenblick eine Muse auf dem Parnaß oder eine Sirene in den Fluten vorstellen kann. Dies bringt zwischen uns große Ergötzlichkeit hervor in Einsamkeit und Gesellschaft; und sie sagt im Scherz, wir wären so füreinander geschaffen, um die erste Ehe stiften zu können, wenn nicht schon ein ander Paar den Fluch aller Unglücklichen, die an diesem Joche ziehn, auf sich geladen hätte. Ach, wer weiß, wie dies enden wird! Mir ist so warm in der Brust, daß mich's wie auf einen Punkt brennt, und dabei zuweilen bange. Eine Glut scheint mein innerstes Leben anzugreifen und davon zu zehren; ich gehe herum wie ein Tier, das an einem Schusse blutet. In Augenblicken fahr ich vor Schrecken zusammen wie ein junges Rind, dem der Löwe brüllt. Ich habe meine Freiheit verloren und kann mich nicht ermannen. Aber wenn ich meine Kräfte anspanne, kann ich noch einen Strick zerreißen. Ist sie eine Semiramis, daß ich weit und breit vor ihr in Süden und Norden keine Freistatt finde? Gott im Himmel, daß sie so allen Reiz haben muß, wornach mir je gelüstete! Sie hat einen Blitz in den Augen, womit sie alles niederschmettert. Doch was rase ich? Bin ich nicht glücklich, emporgehoben zu den Sternen? Der Wahnsinn muß Dir in Deiner Lage gefallen. Ich sitze noch im Vatikan, weil ich hier am bequemsten zu ihr komme. Von der Villa Medicis ist es zu weit, und ich befürchte, man möchte über mein Ausbleiben Verdacht schöpfen und mich beobachten. Der Kardinal ist ein Schalk; o ich merke, daß er seinen Bogen auch auf dieses Ziel spannt und seinen Pfeil dahin richtet. Mein Petrus ist eine junge hübsche Mohrin vom Senegal, die noch wenig Italienisch versteht. Fiordimona hält sie so in der Zucht, daß sie bei der geringsten Untreue befürchten muß, auf der Stelle niedergestoßen zu werden. Die noch immer schönen und heitern Morgen bring ich im Belvedere zu, lästerlich! bloß um mich zu zerstreuen und auf andre Gedanken zu kommen. Aber Apollonios und Agesander verstehen ihre Kunst doch auch so, daß sie mich allemal früh oder spät mit ihrer Schönheit und Wahrheit an sich locken und einnehmen. O wie erhebt dies meinen Geist, daß er solche Brüder hat! Wir sind ewig, unsterblich, bewegen uns selbst und schaffen; nichts kann uns Schranken setzen! Die Materie, die meinen freien Vogelflug hemmt, werf ich ab, sobald ich will. Ich bin für heut ins Schwärmen hineingeraten; morgen mehr. Rom, Dezember. Nach einigen Tagen Schirokko, der Regen in Wolkenbrüchen ergoß, hat sich heute wieder eine klare Tramontana eingestellt; Hügel und Täler und Gebirge schweben weit und breit in lauter erquickendem Himmel, und ein leichter Äther hebt von der Erd empor und von dannen. Dies sind meine letzten Stunden im Vatikan; ich will, ich muß nun scheiden. Ach, scheiden von der Kunst überhaupt! Sie ist meine Bestimmung nicht; ich habe mich nur jugendlich getäuscht. Nach dem geheimen Gefühl, daß der Endzweck aller Existenz ist, gut zu sein und Schönheit zu genießen, und daß Gott selbst keine andre Glückseligkeit habe, wähnt ich, am ersten meine Beruhigung in der Malerei zu finden, und arbeitete mich herum mit Traum und Schatten. Herz und Geist trachtet nach einer kräftigern Nahrung und findet diese allein in der lebendigen Natur und Gesellschaft der Menschen, in wirklichem Kampf und Krieg und Liebe und Friede mit denselben. Wir sind die Quintessenz der Schöpfung füreinander, allein unsre Freunde und Feinde und einer des andern Beute, sind füreinander die höchste Sphäre zu handeln. Aber ach, Scheiden ist der eigentliche Tod, vor dem die Natur schaudert! Mein Leben blutet, und ich kann mich noch nicht ganz losreißen. Wär ich Künstler und Mitgenoß einer alten Republik, so könnt ich vielleicht ausharren, bis mich der Schlangenstrom der Ewigkeit wieder in seine klare Flut aufnimmt oder als neuen Schaum an ein ander Ufer im Weltall setzt. Goldne Zeiten von Athen, wo seid ihr hin? Werd ich keinen Schatten von euch auf diesem Erdenrunde wieder finden? Doch was sag ich: Mitgenoß einer alten Republik? Hätt ich in dem glänzenden Zeitalter gelebt, worin Sokrates aufwuchs, so hätt ich meine Malerei gewiß noch eher als er seine Bildhauerei verlassen, und sie wäre nicht einmal Spiel für mich gewesen. Plutarch lallte freilich kindisch, wie manches, nach, in ganz andern Umständen: ›Welcher gutartige Jüngling wird Phidias oder Polyklet sein wollen!‹ Noch brennt mich der Pfeil, den mir Demetri tief ins Leben abdrückte. Nach der Schlacht bei Plataia bis in den Peloponnesischen Krieg hinein war Athen ein halbes Jahrhundert das Rom von Griechenland, jeder Bürger über die Inseln und Kleinasien schier Fürst und Herr, und alle Kunst ihm unanständig, die nicht zum Helden und Staatsmann bildete. Überhaupt aber hatte schon vorher Solon mit seinen Fünfhundertschefflern, Reitern und Halbreitern und so fort, obgleich von der Lage der Sachen vielleicht dazu genötigt, doch ärgerliches Maß und Gewicht für das Verdienst eingeführt: jeder war unedel, der nicht von seinen Renten lebte, er mochte mit göttlicher Wissenschaft und Kunst sich seinen Unterhalt erwerben. Die erhabnen Sieger über den großen König hatten recht, sich diesen verwünschten Maßstab vom Halse zu schaffen; wäre hernach nur ihr Senat und Areopag bei seiner Würde geblieben. Doch ich will hiervon nichts weiter reden; Lukian hat es, mit dem treffendsten Witze in seinem Meisterstücke, dem Zeus Tragikos, genug lächerlich gemacht. Der Lehrer des Weltbezwingers wies alsdenn nach der reinen Vernunft den Künsten im Staat ihren Rang an und sagt: alle Kunst ist unedel, die Leib und Seele der Gewandtheit beraubt, sich frei zu regen und zu bewegen; folglich jede, wobei man sitzen oder in einer gezwungnen Stellung und Lage sein muß. Die bildenden Künste möchten freilich nach dieser Regel übel wegkommen, besonders die Malerei, wenn die Arbeit dabei, wie Michelangelo behauptet, kinder-und weibermäßig ist. Jedoch auch selbst die Philosophie: wenn man so viel lesen und schreiben müßte, als der Stagirit gelesen und geschrieben hat; und noch mehr, um soweit Freiheit der Seele die des Leibes übersteigt, die ehrwürdigsten Ämter. Mein Nachbar hier mit seiner dreifachen Krone wäre der Hauptsklav; gebunden wie ein Wickelkind, der alle Welt löst! Aber das beste ist, man weiß sich bei diesem allen schon schadlos zu halten und versteht dies nur auf wenige Tage und Stunden. Übrigens hatten die Griechen darin recht, daß derjenige sich zum Handwerker erniedrigt, welcher seine Kunst des bloßen Gewinsts wegen eines andern beliebigen Befehlen unterwirft. Das Werk behält hingegen auch wieder immer seinen Rang; und eine Venus von Tizian bleibt auf alle Weise eine Venus von Tizian und gerät nie an Wert von Erfindung und Arbeit unter die Hosen und Stiefeln von Schustern und Schneidern. Selbst die Gesetze der hohen Ehre sollen die Kunst nicht zu streng und gewaltsam fesseln; keiner ist gleich am Ziele! jeder hilft sich fort nach den Umständen, bis er dahin gelangt und einigermaßen herrscht unter wenig echtem Gefühl und einem Haufen Wahn und Mode. Für jetzt nur noch einige Zeilen als geringe Spuren meines glücklichen Aufenthalts in dem wahrhaftigen Belvedere von innen und außen. Wehmütig muß man zwar das Häufchen Ruinen betrachten, wenn man an die unzählbaren Schätze des Altertums denkt: an die hundert metallne Kolossen der Insel Rhodos allein oder die manchen hundert Meisterstücke von Lysipp, geschweige die Völkerschaften von Statuen zu Delphi und Elis, die Pracht und Herrlichkeit von Athen, Korinth, Gnid, Ephesos. Ein Grieche vor den römischen Räubereien würde die heutigen Antiken insgesamt gleichsam ansehen wie ein Lucull, von der Tafel aufgestanden, ein paar verschimmelte Brocken aus eines Bettlers Sack. Und doch schlagen sie allen unsern Stolz nieder und zeigen uns deutlicher unsre Barbarei als irgend etwas, was übriggeblieben ist. Man begreift nicht wohl, wo die Alten die Kosten nur der Materie hernahmen, binnen so kurzer Zeit eine so große Menge von Kunstwerken aufzustellen, da heutzutag nicht die größte Monarchie zu leisten imstand ist, was zum Beispiel in dem kleinen Sizilien nur das Sandkorn, das kaum bemerkbare Girgent, tat. Die Verwunderung des Xenophon, in den blühendsten Zeiten der Kunst und wo die Griechen schon selbst von ihrer strengen Lebensart sehr abgewichen waren, über die Schwelgerei der Perser, daß sie ihre Schlafzimmer mit Tapeten belegten,17 damit der unnachgiebige Boden nicht zu hart gegen ihre weichlichen Füße anstrebte, kann uns einigermaßen den Schlüssel dazu verleihen. Hohe Selbstständigkeit des Menschen, Vergnügen des Herzens und Freude des Geistes an Wahrheit und Schönheit ging aller leeren Pracht vor; die Stärke scheute den Kitzel erschlaffter Sinnen. Und die kleinste Republik, wo zu gemeinschaftlicher Lust jeder so denkt und für seine Person sich abbricht, kann Berge versetzen und eine andre Natur schaffen. So glänzt jedoch, zur Ehre unsrer Religion sei es gesagt, die noch das einzige allgemeine Band ist, ohne weitere Vergleichung mit den Alten, auch jetzt manches ärmliche Städtchen in Italien mit einem himmlischen Bilde von Raffael oder Correggio wie ein Stern hervor gegen ungeheure Reiche in Norden, nächtliche Wüsten, wo keine Schönheit erscheint. Lysipp, der wie Apelles in seiner Art den höchsten Gipfel der Kunst erreichte, goß alle seine Bilder aus Erz: weil der Gesang der entzückendste, wo man die Musik, und die Poesie die vollkommenste ist, wo man die Sprache nicht merkt; und so geht es in den bildenden Künsten mit der Arbeit und der Materie, dem Zeichen. In den feierlichen Werken des Phidias und Polyklet von Gold und Elfenbein erscheint die Kunst noch wie eine geschmückte unreife Jungfrau, in denen des Praxiteles und Lysipp wie eine Phryne aus dem Bad hervor, alles Fremde, Verdunkelnde abgeworfen, in lebendiger Vollkommenheit. Sie wollten die Formen, das Wirksame nur, gleichsam in die Seelen zaubern, das Wesentliche, schier unsichtbar dabei wie die Götter; und verbannten alle Pracht, die das Auge abzieht und den Geist dämpft. So gebrauchten die großen Maler dieser Zeit nur die notwendigsten Farben; und gleiche Bewandtnis hat es mit den Reden des Demosthenes, der weit von dem nicht selten eitlen Wortschwall des Cicero entfernt ist. Und so findet man beim Sophokles und Euripides, die früher zur reinen Schönheit gelangten, äußerst wenig oder nichts von dem spanischen Pomp. Uns ist von den Meistern, welche die Kunst auf eine höhere Stufe setzten, namentlich nichts übrig. Das meiste sind Bilder und Kopien von Lehrlingen, die man auf die Gipfel der Tempel und Paläste zu Rom und von dessen Landhäusern stellte, welche mit der Zeit und in dem Getümmel des Kriegs und der Barbarei herunterstürzten, zerschmettert und im Schutt der verwüsteten Gebäude begraben wurden. Nach langen Jahrhunderten gräßlicher Nacht, die in diesen Gegenden die Menschheit benebelte, hat man, wie nach Gold- und Silberminen, die Wünschelrute wieder auf sie angelegt. Die Kleinodien aber sind fast alle gleich zu Anfange weggeführt worden, in Schiffbrüchen und auf ihrem ursprünglichen Boden in Griechenland selbst in mancherlei Zerstörungen verschwunden. Und doch haben wir daran genug, um wenigstens den Geschmack zu bekommen, wie an etlichen, obgleich nicht den besten, Flaschen Rest Lacrimae Christi und andrer köstlichen Getränke von in Erdbeben untergegangnen Weinlagern. Die Sache hat folgende Bewandtnis: Die alte Kunst teilte sich in besondre Klassen von Schönheiten, und die großen Meister beeiferten sich, das Ideal von jeder vollkommen darzustellen. Wenn nun einmal das Höchste da war, so blieb den andern nichts übrig, als ein ähnliches nachzumachen, wenn sie in dieser Klasse arbeiten sollten. Man kann sagen: Phidias hat das Problem vom Jupiter aufgelöst, und sein Bild davon genoß allgemeine Verehrung an dem berühmtesten Schauplatz. So ging es mit der Venus des Praxiteles und Apelles, den berühmten Apollen, Merkuren, Junonen, Minerven, Amazonen; die andern mußten ihren Weg einschlagen oder wurden nicht verstanden oder geachtet, wenn sie dieselben nicht übertrafen. Ein guter Kopf schaut auch durch schwache Nachahmungen der ersten erhabnen Männer Gefühl für Form und eigentümliche Schönheit jedes Ganzen. Der Torso, der Farnesische Herkules, der (Borghesische) Fechter sind zum Beispiel gewiß hohe Meisterstücke; doch finden wir die Namen ihrer sich nennenden Arbeiter bei den Alten nicht aufgezeichnet. Warum? Sie waren bloß Nachahmer des schon Erfundnen und brachten nichts Neues hervor, um besondre Aufmerksamkeit zu erregen. Und so können wir noch in Rom den Geist des Phidias, Polyklet und Praxiteles schauen, ohne etwas von ihnen selbst zu haben. Freilich würde für den innigen Wollustsinn noch ein großer Unterschied bei ihren Originalen sein. Die vier Statuen vom ersten Range der alten Kunst im Belvedere, und, nebst wenigen andern, auf dem ganzen Erdboden, sind der Apollo, der Torso, der Laokoon und sogenannte Antinous; nachdem der letztern doch einmal der ehrenrührige Name von blinden Antiquaren aufgehängt ist. Man hat dieselben in Versen und Prosa bis zum Ekel beschrieben, ihre Gipsabgüsse wie Apostel zu Türken und Heiden versandt, jeder neue Ankömmling trägt Anmerkungen darüber in sein Tagebuch ein: und bei allen Predigern auf den Dächern sind wir schlimmer geworden; kein Leonardo da Vinci, kein Michelangelo, kein Raffael ist mehr aufgestanden. Anstatt das Licht zum Wegweiser zu wählen, hat man sich die Augen daran verblendet. Das größte Aufsehen hat der Laokoon gemacht, weil Plinius noch mitten unter allen den höchsten Meisterstücken der Kunst davon meldet, er sei ein Werk, allen andern der Malerei und Bildhauerkunst vorzuziehen, und man bei dem Alles-Aus-und-Ab-undAufschreiber glauben durfte, dies sei nicht seine eigne Lieblingsmeinung, sondern die Stimme des damaligen römischen Publikums gewesen. Einige, voll von den Wundern des Phidias, Polyklet und Praxiteles, gingen so weit, daß sie mutmaßten, der Laokoon möchte aus dem Zeitalter des Geschichtschreibers der Natur selbst und sein Lob ein gewöhnliches Gelehrtenkompliment sein; allein der Augenschein zeigt jedem Erfahrnen, daß die Gruppe aus der schönsten Blüte der Kunst stammt. Sonderlinge wollten sie im Schwindel des Paradoxen, um vielleicht dem Vatikan wehe zu tun, jedoch gar zur bloßen Kopie machen, weil Plinius ferner sagt, die allervortrefflichsten Künstler hätten nach gemeinschaftlich gepflognem Rate den Laokoon, Kinder und Drachen, alles aus einem Block Marmor verfertigt; und sie bestehen offenbar aus zwei Stücken, und wenn Agesander und seine Freunde nicht Zeit und Arbeit vergebens verschwenden wollten, aus mehrern, da der Sohn zur linken Seite sonst um einer Taschenspielerei willen unsinnige Mühe würde gekostet haben. Plinius sah vermutlich die Gruppe aus einem niedrigen Standpunkt, und die Fugen waren versteckt, wie sie bei dem rechten Sohne noch sind, wenn man nicht hinsteigt; und es war schon in den alten Zeiten Mode, daß die Aufseher den Ankommenden Märchen wie Religion vorschwatzten; und der Geschichtschreiber der Natur hat in der Eile viel unglaublichre Fabeln sich aufbinden lassen, wenn er bei seiner Lebensart noch nicht recht ausgeschlafen hatte. Inzwischen will ich dem wackern Manne hier nicht zu Leibe gehn; er sagt sonst Dinge mit göttlichem Verstand, und zuweilen erhabne Poesie. Sein Werk ist wahrscheinlich der erste Zusammenraff des ungeheuern Ganzen, und die Wolkenbrüche von Feuerasche aus dem Vesuv erstickten ihn, bevor er nur die zweite Hand daran legte. Es ist wohl eine zu handgreifliche moralische Unmöglichkeit, daß ein Künstler, der so hätte arbeiten können, einige der kräftigsten Jahre seines Lebens mit bloßem Nachmachen ohne weitern Zweck sollte verschwendet haben und daß die Kopie, gerade wo das Original stand, durch ein Wunder vom Himmel gefallen und das Original dafür verschwunden wäre: um sich bei Erörterung dieses silbenstecherischen Verdachts länger zu verweilen. Man hat bis jetzt das Lob des Plinius entweder für bloß übertrieben hingesagt gehalten und sich unter den verlornen höchsten Meisterstücken der ersten Künstler, vom Phidias an bis zum Lysipp, ungleich vortrefflichre Bilder vorgestellt, oder die Dichter haben nur den schönen Ausdruck der Vaterliebe in der Gruppe angepriesen, und der große Haufe hat mit seinen Augen überhaupt keinen wahren Endzweck aus der Vorstellung holen können und gedacht: es ist unglücklich genug für uns, daß Löwen und Schlangen in der Welt sind; warum soll man einen guten Mann mit seinen Kindern noch damit in Marmor quälen sehen? Es wär erfreulich, wenn man schon aus der Theorie der Kunst und den bloßen Nachrichten beweisen könnte, daß das Lob des Plinius gerecht sei, auch ohne den Olympischen Jupiter vor sich zu haben. Und gewiß, wem zuerst die Idee von der Gruppe des Laokoon in der Seele aufging, und wer in seinem Herzen, in seiner Hand Mut und Fertigkeit genug fühlte, sie auszuführen: der war zum Bildhauer geboren wie Sophokles zum Dichter. Man darf kein großer Psycholog sein, um zu erkennen, daß das Ganze nur von einem Wesen stammt und daß die zwei andern Triumvirn allein ihre Geschicklichkeit dazu herliehen. Die schönsten Formen aller Art an der Doppelgattung des menschlichen Körpers waren von dem feinsten Gefühl, dem heitersten griechischen Sinn in den manchen tausend Statuen schier erschöpft, als die Götterkraft unsers Geistes im Agesander noch den kühnsten Flug begann und alles überschwebte. Der hohe Meister fand den herrlichsten Vorwurf zu seinem Kunstwerk in der griechischen Religion und umgriff damit Himmel und Erde. Die Gruppe des Laokoon ist von derselben Gattung wie die der Niobe, nur atmet daraus mehr tragischer und bildender Geist. Lesen wir zuerst, was von seiner Geschichte aufgezeichnet steht, im Hygin. ›Laokoon‹, erzählt dieser, ›war ein Sohn des Akötes, Bruder des Anchises und Priester des Apollo. Da er wider dessen Willen heuratete und Kinder zeugte und ihn alsdenn das Los traf, daß er dem Neptun am Gestade opfern sollte, sandte Apollo bei der Gelegenheit von Tenedos her durch die Fluten des Meers zwei Drachen, damit sie seine Söhne Antiphas und Thymbräos umbrächten. Laokoon wollte denselben Hülfe leisten, wurde aber selbst umflochten und getötet. Welches die Phrygier deswegen geschehen zu sein glaubten, weil er einen Spieß in das Trojanische Pferd warf.‹ Servius gibt jedoch die bessere Erklärung und sagt, es sei deswegen geschehen, weil er seine Frau aus Unenthaltsamkeit im Tempel des Apollo beschlafen habe. Das Ganze vom Laokoon zeigt einen Menschen, der gestraft wird und den endlich der Arm göttlicher Gerechtigkeit erreicht hat; er sinkt in die Nacht des Todes unter dem schrecklichen Gerichte, und um seine Lippen herum liegt noch Erkenntnis seiner Sünden. Über dem rechten Auge und dem weggezuckten Blick aus beiden ist der höchste Ausdruck des Schmerzens. Sein ganzer Körper zittert und bebt und brennt schwellend unter dem folternden tötenden Gifte, das wie ein Quell sich verbreitet. Seine Gesichtsbildung mit dem schönen gekräuselten Barte ist völlig griechisch und aus dem täglichen Umgange von einem tiefschauenden Menschen weggefühlt, und drückt einen gescheiten Mann aus, der wenig ander Gesetz als seinen Vorteil und sein Vergnügen achtet, und der dazu den besten Stand in der bürgerlichen Gesellschaft gewählt hat; voll Kraft und Stärke des Leibes und der Seele. Die zwei Buben werden mit umgebracht, als Sprossen vom alten Stamme; das ganze Geschlecht von ihm wird vertilgt. Es leidet ein mächtiger Feind und Rebell der Gesellschaft und der Götter, und man schaudert mit einem frohen Weh bei dem fürchterlichen Untergange des herrlichen Verbrechers. Die Schlangen vollziehen den Befehl des Obern feierlich und naturgroß in ihrer Art, wie Erdbeben die Länder verwüsten. Das Fleisch ist wunderbar lebendig und schön; alle Muskeln gehn aus dem Innern hervor, wie Wogen im Meere bei einem Sturm. Er hat ausgeschrien und ist im Begriffe, wieder Atem zu holen. Der rechte Sohn ist hin, der linke wird derweile festgehalten, und die Drachen werden bald hernach mit ihm vollends kurzen Prozeß machen. Selbst die Schamteile des Alten richten sich empor von der allgemeinen Anspannung, Hodensack und Glied zusammengezogen; und Hand und Fuß ist im Krampfe. Die linke Seite mag wohl zum Höchsten gehören, was die Kunst je hervorgebracht hat. Die Söhne haben gerade so viel Ausdruck, als ihnen gebührt. Der eine ist im Sterben wie tot schon, und der andre leidet noch nicht an Gift und Wunde und entsetzt sich bloß. Der Vater zieht alle Aufmerksamkeit auf sich. Der Gruppe fehlt ein Hauptteil, der rechte Arm des Laokoon. Michelangelo wollte denselben ansetzen, hatte schon das Modell dazu gemacht und angefangen, ihn in Marmor auszuhauen; aber welcher andre will sich in das lebendige warme Fleisch und die ganze Natur hineinfühlen? Er war so bescheiden und verwarf seine Arbeit. Es ist jammerschade, daß der alte Arm verlorengegangen ist, wegen des Zugs der einen Schlange und weil Laokoon damit seine stärkste Kraft muß geäußert haben. Diese flog mit grimmigem Satze rechts her18 von oben herein, umflocht den aufgehobnen Arm, der sie abhalten wollte, schwingt sich geschwollen um den Rücken herum, an der Seite über dessen linken und um den rechten Arm des ältern noch lebendigen Sohns beim Ellenbogen, windet sich um den obern Arm, und schlingt sich dann um den untern wieder, und macht einen schrecklichen Knoten darum her, schießt nach der linken Hüfte des Vaters mit dem Kopfe, der sie mit mächtiger Faust am Halse noch ergriff, und setzt mörderlich den Zahn ein. Alles Sträuben, alle Rettung ist vergebens und hört auf: es ist geschehen, die Tat vollzogen. Die andre Schlange fährt linker Seite her von unten auf durch die Beine, kuppelt sie wie Raub und Beute zusammen, umschlingt dem Sohne rechts den linken Arm und hinter dem Rücken herum den andern, und setzt ihm den giftigen scharfen Zahn ein nach dem jungen Herzen. Der Vater sank auf den kleinen Altar zurück, weil er sich nicht mehr halten konnte; der ältere Sohn linker Hand steht auf dem rechten Beine, und der andre mit dem linken Fuß auf den Zehen, und die Schlange hält ihn oben an den Altar gelehnt noch aufrecht. Alle warfen die Gewänder ab, zu entfliehen. Man mochte die Gruppe in den Zeiten, für welche sie bestimmt war, betrachten, wie man wollte: so mußte sie die stärkste Wirkung hervorbringen; entweder als Naturtrauerspiel für das ganze menschliche Geschlecht: ein Vater, der bei Rettung seiner Kinder umkömmt; oder als Strafe der Götter. Und als Kunstwerk konnt ihr kein anders den Rang der ersten Klasse streitig machen. Für uns bleibt sie Naturtrauerspiel, und die Kreatur seufzt dabei im Innern über die notwendigen Leiden auch des Guten und Gerechten und schaudert in ihr Unvermögen, ihre Unwissenheit zurück. Wenn man die Vorstellungen, wo der Körper leidet und das Leben vergeht, unter eine besondre Klasse bringen wollte, so möchte das Lob, welches Plinius dieser Gruppe erteilt, wohl am wenigsten können bestritten werden und sie unter allen dieser Art mit der Niobe obenan stehen. Der an seiner Wunde Sterbende des Ktesilaos, woran man sehen konnte, wieviel noch Seele übrig war, gehörte als einzelne Figur dahin, so wie der Hinkende, vielleicht Philoktet, des Leontinischen Pythagoras, dessen Geschwüres Qual die Betrachtenden zu empfinden meinten; die Verwundeten Amazonen, bis auf den berühmten Hund des Lysipp im Kapitol, der voll Schmerz und natürlicher Todesschrecken in abgesetztem Lauf und Hast seine Wunde leckte und für welchen die Aufseher mit ihrem Leben stehen mußten. Der letzte Akt unsers Drama hienieden scheint vorzüglich ein Vorwurf der Malerei gewesen zu sein: Apelles tat sich darin hervor; alle aber übertraf der Landsmann Pindars: Aristides. König Attalus erkaufte einen Kranken von ihm mit hundert Talenten; und Alexander ließ das Gemälde, wo die an ihren Wunden sterbende Mutter das sich anklammernde Kind von der Brust abhielt, damit es kein Blut saugte, nach seinem Geburtsort bringen. In eben dieses Meisters Schlacht mit den Persern von hundert Figuren war ohne Zweifel manches Vortreffliche dieser Art. Die Farbe macht hier keine Kleinigkeit aus und reißt, gut aus der Natur empfunden, mit Gewalt zur Täuschung. Unter den neuern Werken mag Peter der Märtyrer von Tizian wohl hierin obenan stehen. Für Sultane sind dies heilsame Bilder, um sie zuweilen an ihre Menschlichkeit zu erinnern; und das größte Meisterstück davon stand in den kaiserlichen Bädern an seinem rechten Platz. Ich aber für mich muß aufrichtig gestehen, daß ich in meinem Bad oder Schlafzimmer ein Kunstwerk erfreulichrer Art aufgestellt haben möchte; wär es auch der verstümmelte Herkules, an welchem meine Phantasie noch obendrein immer zu schaffen hätte; denn für beständig möcht ich die Gnidische Venus nicht. Der Torso ist das Höchste von einem Ringerkörper; der Sohn der Wundernacht, aus dessen Armen sich der dreifache Geryon nicht loswand, ruht und sitzt auf seinem Löwenfell. Man findet nichts mehr übrig von alter Kunst, wo Kernstärke schöner und vollfleischiger und alles in der lebendigsten Form mit dem feinsten Wahrheitsgefühl so abgewogen wäre. Er senkt die rechte Seite und hatte den linken Arm in der Höhe. Das mächtige Brustbein ist so zart gehalten und mit nerviger Fettigkeit überzogen, daß man es kaum merkt. Brust und Schultern und Mark vom Rücken herum sitzen über der schlanken Mitte ganz unüberwindlich und erdrückend. Die Schenkel sind lauter Kraft. Alles ist an ihm in Fluß und Bewegung in den allergelindesten Umrissen. Man sieht alle Teile und ihre Macht und Gewalt, jede Fiber ist in Regung: und doch tritt weder Muskel noch Knochen scharf hervor. Es ist recht das höchste Vermögen in höchster Bescheidenheit und Schönheit. Vielleicht hat er ein süßes Geschöpf der Lust auf seinen Armen gewiegt; denn sie trugen, und die Zapfenlöcher der Stützen sind noch in den Schenkeln. Glückseligste Sphäre der Welt, an dieser Achse du von ihm Geliebte! Du mußtest ganz in Entzücken schweben und hangen und von aller andern Berührung frei und los sein! Doch dies zum Scherze; so wie ich beim Demetri behauptete: der fromme, zornige und schnellfüßige Achill Homers komme gegen diesen Helden nicht auf. Der Farnesische Herkules hat den Charakter von einem Faustbalger, so feist und breit und vollgenährt sind die Formen gegen die Cestusschläge. Seine Stärke fällt zentnermäßig über das Gefühl eines heutigen schwachen Römers; aber auch außerdem macht er alle Welt zu Hunden und Katzen gegen einen Löwen in seiner vollsten Kraft. Er hat im Farnesischen Hof einen zu niedrigen Standpunkt; deswegen schwillt die Brust zu sehr aus ihrer natürlichen Großheit, und noch Hüften und Seiten. Sein Kopf ist vollkommen Eisen und Stahl unüberwindlichen Mutes und unerbittsam im Zähneinschmeißen. Der Künstler, welcher ihn erfand, scheint ihn nach dem Ideale des Sophokles gebildet zu haben, wo der Held aller Helden ein ganzes Reich verheert, um Iolen in seine Gewalt zu bekommen; Vater und Brüder ermordet, weil sie bei einem Besuch ihren süßen Reiz ihm nicht zum heimlichen Beischlafe geben wollten; Dörfer und Städte verbrennt und die Einwohner als Sklaven gefangen führt: so tobte in ihm die Liebe. Ich habe bei dieser Gelegenheit zu guter Letzt nicht unterlassen können, noch eine Skizze nach diesem Sonnenmut der Lust von sich strahlenden, jetzt meinem Lieblingsstücke unter allen des tragischen Dichters zu entwerfen, um mir damit eine eigne Kopie von der heroischen Gestalt und dem Farnesischen Stier aufzubewahren. Dieser ist das größte Meisterstück in Marmor von allen Tieren aus der Zeit der Griechen. Man kann kein natürlicher Ochsenfleisch sehen, und Myrons Kuh war vielleicht nicht besser. Nur die Beine daran sind neu, sonst ist an ihm selbst alles wohlerhalten. Wahrhaftige wilde Stiernatur in Stellung, Bewegung durch den ganzen herrlichen Körper! Besonders strotzt die Kraft wunderbar vom Hintern über den königlichen Rücken. Schönes Bild von Stärke, um Herden zum Preise davonzutragen! Die Skizze stellt den göttlichen Chor vor, wo Herkules und der Fluß Acheloos als Rind, beide von Kraft geschwellt, um Dejaniren miteinander kämpfen, welche in zarter Wohlgestalt am fernglänzenden Ufer sitzt und den Gatten erwartet, schüchtern wie ein Kalb von der Mutter fern: ob es der Sohn des Zeus sein werde oder das vierfüßige Tier, indes der Löwenwürger, nach langem Kriege, diesem das gewaltige Horn ausreißt. Der erfreulichste Genuß dieser Werke ist für uns verschwunden, weil wir keine olympischen Kämpfe und Siege mehr daran sehen. Beide Athenienser verherrlichen mit diesen hohen Mustern noch hier ihre Vaterstadt; doch möcht ich lieber der Apollonius des Torso sein als der Glykon des farnesischen Keulenschwingers. Der sogenannte Antinous, welcher einen jungen Helden, vielleicht den Meleager, vorstellt, wie man aus einem andern Bilde schließen kann, das in Figur und Stellung ähnlich ist, wo unten zu den Füßen der wilde Schweinskopf sich befindet, hat für uns unter den vier Hauptstatuen die mehrste Wirklichkeit. Eine echte griechische jugendliche Schönheit voll geistigen Reizes und süßer lieblichen Hoheit. Er blickt empfindend zur Erde, als ob er sich besänne, zu welchem Mädchen er gehen wolle; und Lippen, Stirn und Wangen und Kinn sehen recht kräftig, zartnervig und anhaltend im Genuß aus. Die Formen am Unterleibe sind nicht klar hervor, und er muß im Ringen noch zusammengeschlungen und seine Natur geübt werden. Die Brust, besonders vom rechten Arm her, schwillt milchig; und ich kenne nichts so Verführerisches für ein Weib zur Umfassung. Mit einem Wort, es ist der schönste junge Mensch unter allen alten Statuen. Der Bauch allein ist ein wenig zu flach gehalten, vielleicht verhauen. Will man auf eine andre Weise lieber: so sinnt der junge Held, wie er einen Kampf mit dem besten Verstand abmachen soll. Der Zug des Denkens ist über dem rechten Auge, wodurch der Knochen schärfer hervorkömmt als bei dem linken; und das Heroische sitzt in der kräftigen Stirn, und dem gefaßten Blick, und den Lippen, wo sich das Gefühl seiner bewußten Stärke öffnet und hervorblüht. Wenn er ein Zeichen hätte, so könnte man sich noch den Sohn der Maja unter ihm vorstellen, der seine Gesandtschaft überdenkt. Es ist ein himmlisches Bild und erregt auf jede Art entzückende Gefühle, dessen Schönheiten am leichtesten und sichersten in die neuere Kunst überzutragen sind.19 So wie dieser Jüngling am mehrsten an die Menschheit grenzt, so ist hingegen Apollo ganz Gott, und es herrscht eine Erhabenheit durchaus, besonders aber im Kopfe, die niederblitzt; göttliche Schönheit in allem von dem nachlässig sanft gewundnen Haare bis zu den schlanken behenden Schenkeln und Beinen, ihre geistigste Blüte, nicht die irdische Fülle. Stand und Blick, und Lippen voll Verachtung geben seine Hoheit zu erkennen. Die Augen sind selig, leicht aufzutun und zu schließen, in weiten Bogen. Sein kurzer schlank und zart geformter Oberleib zu den langen Beinen macht ihn zu einer ganz besondern Art von Wesen und gibt ihm Übermenschliches. Ein erstaunliches Werk von Erfindung und Phantasie! Das Problem ist aufgelöst: da steht ein Gott, aus der Unsichtbarkeit hervorgeholt und in weichem Marmor festgehalten für die Melancholischen, die ihr Leben lang nach einem solchen Blicke schmachteten. Es ist der höchste Verstand und die höchste Klugheit mit Zornfeuer und Übermacht gegen Verächtliches; darauf zweckt alle Bildung. Was Apollo hat, ist ihm eigen und läßt sich wenig durch Nachahmen übertragen. Auch dessen Altertum hat man angetastet und ihn zwar für keine Kopie, doch für ein Werk aus der Kaiser Zeiten halten wollen; weil der Marmor karrarischer zu sein schien, welcher kurz vor dem Plinius entdeckt wurde, und kein parischer, woraus die Griechen ihre mehrsten Bildsäulen verfertigten. Wenn man dieses beweisen könnte, so wär es wohl ausgemacht wahr; allein daran fehlt viel. Der parische ist nicht durchaus gleich, und man hat sichre neuere Proben kommen lassen, die von dem Marmor des Apollo im Korn nicht unterschieden sind. Und ferner gibt es so zarten karrarischen, daß er mit dem besten parischen übereinkömmt. Und wo ist der übergroße Marmorkenner, der von irgendeinem Stücke sagen will, gerade woher es sei, da dieser Stein in jedem Klima zu finden ist? Apollo hat nicht das gelbliche Alter des Laokoon und andrer griechischen Bildsäulen; vielleicht weil er nicht der Witterung so ausgesetzt war. Er ist augenscheinlich für einen bestimmten Platz gemacht, und das Bild tut nur Wirkung, wenn man es von der linken Seite im gehörigen Standpunkte betrachtet; von der rechten steht er da gerade wie ein Seiltänzer, so gespannt, und sein Kopf sitzt offenbar auf der rechten Schulter, viel zu weit von der Mitte. Wenn man denselben von seiner Richtung zurechtdrehte, so wär es abscheulich. Aber von der linken Seite betrachtet, wohin er schaut, ist es homerischer Apollogang; man sieht ihn fortschreiten, sieht das Gesicht ganz, und der Kopf kömmt in die Mitte. Ein wahrer Gott des Lichts dann und der Musen! Man darf sich ihm nicht viel nähern; er kann keinen Flecken leiden, und man müßte bei ihm immer haarscharf gescheit sein und vernünftig sich aufführen: so erhaben ist er über die Menschheit. Wenn man dies einmal gefaßt und seine Schönheit im ganzen genossen hat, so mag man sich hernach doch an ihm herumdrehen, wie man will, und er bleibt ein erstaunlich Werk von Vollkommenheit. Er ist zwar lauter Ideal, nichtsdestoweniger hat der Kopf Natur, die man gesehen hat, welches der Ausdruck noch verstärkt. Ein außerordentlicher Jüngling gab gewiß den Stoff dazu her, und der Künstler brachte das Höchste und Äußerste von lebendiger Einheit hinein. Einige stolze Erdensöhne können dies bewunderte und schier noch angebetete Bild nicht ohne Verdruß und Widerwillen betrachten; und behaupten, ihr Gefühl empöre sich allezeit, sooft sie sich das Gesicht als griechisch denken wollten. Der Kopf des Perikles und auch des Alexander habe schon im bloßen Porträt viel göttlichre Art von Erhabenheit; Apollo sei dagegen eher hager und ärgerlich im ganzen, und es wittre daraus etwas von einem römischen Kaiserprinzen, etwas Neronisches, das nicht auf eigner natürlicher Kraft beruhte; und dies wäre für sie ein andrer Beweis als der von Marmor. So verschieden sind die Meinungen der Menschen! Gegen solche Atheisten will ich nicht predigen; ihr eigen Mißvergnügen sei ihnen Strafe, und der Neid an andrer Freude. Gewiß ist, daß das Bild verliert, weil es kein vollkommen Ganzes ausmacht und man nicht weiß, worüber der Gott zürnt. Hätt er zu einer Gruppe der Niobe gehört, wie er denn in einer erhobnen Arbeit davon in Person auf der einen Seite und seine Schwester Diana auf der andern ihre Pfeile abdrücken, so würden die Unzufriednen mit ihm desto mehr Mitleiden mit der unglücklichen reizenden Familie haben. Doch ist eher wahrscheinlich, daß dem Meister der Apollo des Leontinischen Pythagoras vorschwebte, welcher den Pythischen Drachen erlegte. Und beiden war ohne Zweifel der Homerische, von den Gipfeln des Olymp herunter, das Urbild. Genug von diesen Heiligtümern! Das eigentliche Kernleben der Kunst dauert vom Perikles bis zum Tod Alexanders; das übrige sind Nachahmungen und Treib- und Gewächshäuser. Wenn man bedenkt, was die Griechen binnen dieser kurzen Zeit getan haben, so sind wir ganz tot dagegen; welch eine Menge von Statuen und Gemälden und Gedichten nur für so ein kleines Volk! Welch eine Menge von Helden, Philosophen und Rednern! So etwas kann nur in der heitersten Gegend der Welt bei der besten Regierung vor sich gehen. Lysipp allein hat mehr Bildsäulen verfertigt als alle neuere Bildhauer zusammen, und jede zeigt den Mann von hoher Schöpfungskraft. Der Künstler von geläutertem Gefühl, der nicht bloß nach Brot und eitler Ehre trachtet, sondern sich selbst genugtun will, befindet sich heutzutag in einem Zustande von immerwährender Verzweiflung; er sieht die Vollkommenheit vor sich und erkennt deutlich die Unmöglichkeit, sie zu erreichen. Und diese Wermut im Herzen mildert das allgemeinste Lob nicht. Es ist damit nicht genug getan, ein Bildchen einzelner schöner Natur wegzufangen! Dies bleibt jedem Fremden, wie alles bloße Porträt, unverständlich, und er kann es nicht mit Saft und Kraft genießen, viel weniger damit, daß er ein Knie, einen Unterleib, eine Brust den Alten wegstiehlt und gleichsam mit etlichen Phrasen aus dem Demosthenes oder Cicero ihre Sprache sprechen und den großen Redner machen will: die Vollkommenheit des Nackenden vom Menschen, als des höchsten Vorwurfs der Kunst, und seiner mannigfaltigen Form und Bewegung ist unserm Sinn von Jugend auf in der Wirklichkeit verhüllt oder zeigt sich ganz und gar nicht mehr in unsrer Welt. Laß mich frei reden! Die Kunst hat so lange gedauert, als die Gymnasien dauerten, der Tanz spartanischer, chiischer Jungfrauen, ihr Ringen, selbst mit den Männern, öffentliche Sitte war und die Priesterinnen der Liebesgöttin zu Athen und Korinth Religion feierten. In Venedig ist von dem letztern noch ein Schatten, und der Künstler hat jahraus, jahrein immer eine Menge frischer neuer Modelle, Augen und Phantasie wie Zeuxis zu Girgent zu weiden. Deswegen haben auch keine andre Maler solch weiblich Fleisch wie Tizian und Paul von Verona hervorgebracht; und der Malernestor lebt an der Grenze von hundert Jahren, da der göttliche Raffael auf eigne Kosten sein junges Leben einbüßen mußte. Bei einer gotischen Moral kann keine andre als gotische Kunst stattfinden. Solange nicht ein Sokrates mit seiner Schule am hellen Tag über die Straße zu einer neuen reizenden Buhlerin ziehen darf, um ihre Schönheit in Augenschein zu nehmen, wird es nicht anders werden. Es ist wohl klar jedem, der Welt und keine Welt hat, daß nicht die Häßlichen diese Lebensart erwählen. Vielleicht red ich hier bei manchem bittrer gegen die Kunst als Demetri in seiner Laune; allein gibt es eine Wirkung ohne Mittel? Die schulgerechten Antiquaren sprechen berauscht von der Venus des Praxiteles und seinem Liebesgott und mit Abscheu von Phrynen und Bathyllen, wie die Toren, die nicht wissen, was sie wollen. Freilich kömmt bei der geringsten Untersuchung das geheuchelte konventionelle Geschwätz zum Vorschein und die innre geheime Denkungsart, wo sich Drachen mit Tauben paaren. Die heiligen Katharinen spazieren nicht vom Wirbel bis zum Fuß nackend mit losgebundnen Haaren vor den Malern herum, und keine Lucrezia läßt sich so in der reinsten Beleuchtung allein mit allein von einem Pinsel- und Palettmann in beliebige Stellung legen; und kein Künstler kann von so festem Gletschereis sein, daß er bei Blicken von Sommersonnen nicht schmelzen sollte. Und doch wollen die ehrwürdigen Herrn bei dem allgemeinen Menschenverstand in keinen solchen Verdacht der Einfalt kommen, daß sie sich auf die Seite der züchtigen Koer stellten, welche die bekleidete Venus vorzogen und kauften, da sie die Wahl der nackten Gnidischen hatten, und noch bis heutzutage als Tröpfe verlacht werden. Hiermit sehen wir das Nackende, außer dem einzelnen von Geliebten, am Menschen jedoch nur entweder frech oder in unregsamer Albernheit; und die stärkste Einbildungskraft kann es nicht so veredeln, daß es die freie gebildete Natur des Alten hätte, wozu die Edelsten und Weisesten und Wohlgebildetsten des Volks von jedem Alter auf den Ringplätzen in unaufhörlicher immer neuer Abwechslung die Modelle abgaben. Wenn wir nicht durch einen wunderbaren Umlauf der Dinge irgendwo aus unserm unmündigen kindischen Wesen wieder zur reifen Menschheit gelangen und die Gymnasien der Griechen, ihre Spiele und Sitten vom neuen aufkommen, so wird die ehemalige Kunst auch verloren bleiben. Und dennoch hätten wir damit ihre Religion noch nicht, die fruchtbare Mutter der schönsten Gestalten. Wenn wir wenigstens nur noch die Bekleidung der Alten hätten! Bei unsrer wirklichen sieht man meistens bloß den Schneider und wenig oder nichts von der eignen Art des Menschen, zu handeln und sich zu bewegen, und den Formen seines Gewächses; und alle Schönheit erliegt und versinkt unter den Falten und Wülsten oder wird im Gegenteil steif gepreßt und geschnürt und mit eckichten häßlichen Lappen ohne Zweck behangen. Die Lage der Unterkleider, den Wurf der Mäntel und Togen können wir an den Bildsäulen der Alten noch weit weniger nachahmen als die Form der Glieder; denn uns fehlt dabei ganz die Natur. Wir suchen uns zwar wie Amphibia mit eigen erfundner malerischer Tracht zu helfen; aber sie bleibt fast immer eine bloße Ziererei, ohne Reiz und Wirkung für den, welcher Natur und Wahrheit verlangt, und ist aller Täuschung zuwider. Und obendrein noch sind die Künstler weit übler dran, wenn sie den Gang der Alten einschlagen wollen, als die Philosophen, Redner, Dichter; diese haben immer das unermeßliche Reich der Natur und Sprache unter den Menschen vor sich, und Gesetz und Gewohnheit hemmt sie weit minder. Wenn einer auch an Vollkommenheit den Phidias oder Polyklet, Praxiteles, Lysipp, Zeuxis und Apelles erreichen könnte: was hat er vom nackten Menschen in der Geschichte, der heutigen Fabel, unsrer Religion vorzustellen, das wahrscheinlich und natürlich, nicht erkünstelt und bloß erlernter fremder Kram wäre? Das Höchste ist eine allgemeine, ewig einerleie idealische Gestalt von Mann und Weib in jedem Alter ohne Zweck und Charakter. Nehmen wir zum Beispiel unsern Heiland als den Hauptvorwurf zur Auszierung unsrer Tempel! Was hat der menschliche Körper mit dem Gott der Christen zu schaffen? Welche Schönheiten von Apollo, Merkur, anderm griechischen himmlischen Jüngling oder wirklichem Erdensohn soll man, technisch zu reden, dem ganz außerordentlichen jungen Juden anbilden, ohne auf irgendeine Weise in Widerspruch zu geraten? Jede griechische Gottheit war nur ein Ideal einer besondern Klasse menschlicher Vollkommenheit. Sein Bild ist lediglich ein Werk übernatürlichen Ausdrucks im Gesichte, und neue Art übriger Schönheit findet hier nicht statt. Der Künstler macht vor den Leiden und ans Kreuz und beim Herunternehmen davon einen richtigen ordentlichen Leib, sonst hat die eigentliche Kunst da kein weiter Feld, höhere Formen aus der Natur zu schöpfen. An gewisse Teile und ihre Bestimmung darf man gar nicht denken, und wie sie bei andern Menschen nicht umsonst sind und wirken: geschweige, sie langsam mit dem Reiz der alten Künstler bilden. Seine Gestalt kann also nie ein vollkommen freies Ganzes, ein Werk der ersten Klasse werden. Wollen wir in die griechische Fabel und Geschichte übergehen und unsre Vorstellungen daraus hernehmen, so erhalten wir meistens nur einen verwirrten Nachklang, ein wahres Echo ohne Sinn, das nur einzelne Silben wiederholt. Wer ist außerdem so frech eitel, daß er sich einbilden kann, einen bessern Apollo als den Vatikanischen, einen bessern Herkules als den Torso und Farnesischen, eine schönere Juno, Venus und so weiter zu erkünsteln als die Alten? Und wird es nicht ekelhaft, sie oder auch nur einzelne Formen davon immer und ewig zu kopieren, mit den angewiesnen Plätzen zu schänden? Steht nicht fast allemal der hohe strahlende Purpurlappen lächerlich und ärgerlich für den Erfahrnen in einem Harlekinsgewande? Und doch tut es so weh, uns in unsre Armut und Dürftigkeit einzuschränken! Wir bauen gleichsam noch in den bildenden Künsten, wie zu Konstantins und den mittlern Zeiten, setzen aus den zertrümmerten Tempeln und Palästen der zurückgewichnen Erdengötter die Säulen aller Ordnungen nebeneinander und führen ein neues Mauerwerk kindisch, verzerrt und unförmlich, ohne klare und dunkle Idee, wie es werden will, darum her und darüber auf, im Schweiß und der Affenfreude unsers Angesichts. Rom, Dezember. Nacht ist doch die schönste Beruhigung von Geschäften, wo die Phantasie die freisten Flüge tut und der Mensch am mehrsten seiner selbst genießt. So raste ich jetzt hier oben auf der Villa Medicis in meinem Zimmer. Rom schläft; der blaue unermeßliche Äther schwebt darüber wie eine Henne über ihren Küchlein, und blinkend hell Gestirn erleuchtet selig die Gegenden. Alles ist still; nur plätschern angenehm die Springbrunnen: heilige Symbole des ewigen Lebens in der Natur. Mit der Einbildung überschau ich unter mir den alten Campus Martius in der lieblichen Dunkelheit; und mir fängt das Herz stärker an zu schlagen, und Feuer rinnt durch meine Adern. Hier balgt sich die römische Jugend auf grünem Rasen herum im Schatten hoher Platanusse und treibt ihre kriegerischen Spiele; dort schwimmen sie durch den schnellen tiefwirbelnden Tiberstrom, die Ufer hieben und drüben mit schönem Gesträuch bewachsen; und in der nahen Ferne lagern sich die Hügel von Monte Mario bis zu Pietro Montorio in majestätischem Kreise, wo der Edeln Gefühl mit erhebenden Schauern die Geister von Brutussen, Camillen und Scipionen gegenwärtig erkennt. Hier steigt der Sonnenobelisk empor, dort die prächtigen Theater vom Pompejus und Balbus, die traulichen Hallen, runden und hohen Mausoleen, feierlichen Tempel. Die Väter des Volks gehen auf und ab in den kühlen Hainen und pflegen Rat über den Erdboden. Nebenan prangen die schönen Gärten. Ich habe heute wieder einen schönen Tag gehabt! Es ist ein unaufhörlich Vergnügen, in Rom zu sein; man findet immer Neues, was von der Gewalt und Herrlichkeit des alten Volks zeugt und oft einen entzückt oder erschüttert. Es ist eine wahre Tiefe von Menschheit; die andern Städte sind dagegen wie erst angepflanzt. Besonders reizen und rühren vom Kapitol an die ungeheuern Ruinen, welche die neuen Villen mit ihren Pinien, Lorbeern, Zypressen und beständig grünen Eichen ausschmücken. Den Vormittag zog ich hier herum und ging dem ersten Ursprung dieser heroischen Republik nach, und gelangte von den Rostris und dem Tempel des Romulus am Monte Palatino, gleich daneben in einem Winkel, zur Quelle der Juturna, die kristallhell gerade beim Anfang der Cloaca maxima aufsprudelt und sich dahinein nun ferner ungebraucht ergießt. Ich schöpfte mit der hohlen Hand daraus, und trank und ward erquickt, und konnte nicht müde werden, sie rinnen zu sehen. Ein heiliges Plätzchen, rundum verbaut und eingemauert! Die Wände sind überall mit breitblätterigem Efeu überzogen und kleinem Gesträuch bewachsen. Man kennt sie nicht mehr vor den stolzen Wasserleitungen; und gewiß war sie doch die Hauptursache, warum Romulus oder vor ihm ein junger Ausflug Griechen hier sich annistete, da in den jetzigen weiten Ringmauern sich keine andre Quelle befindet. In schwärmerischen Betrachtungen verloren wand ich hernach in den Farnesischen Gärten für sie einen Myrtenkranz mit allerlei Blumen, holte aus der Nachbarschaft ein Gefäß mit Milch und Honig, goß es in sie aus, bekränzte sie und sang ihr wehmütig ein kurzes Trauerlied bei dem Opfer, das sie Jahrtausende nicht genoß. Ein Zusammenklang von lauter rührenden Gefühlen, wandelt ich nach Hause durch die drei noch übrigen Triumphpforten von den ehemaligen sechsunddreißigen. Ein solcher Freudenbogen, ausgeziert mit den schönsten Lebensszenen dessen, den man empfängt, ist doch ein so recht verliebter Gedanke. Herzlicher und dauerhafter kann ein Volk einem Helden keine Ehre antun. Die Kunst bleibt ein sonderbares Ding; sie scheint ganz ihren Weg für sich zu gehn. Wenn man von ihrer Vortrefflichkeit auf die Vortrefflichkeit der Menschen zu gleicher Zeit sollte schließen können und umgekehrt: welche Popanzen müßten die Römer zu Septimius' und Konstantins Zeiten gewesen sein gegen die unter Trajans? Der Kontrast ist gar zu possierlich an des christlichen Kaisers Bogen, wo die Bildhauer unter ihm zu den Wechselbälgen seiner Geschichte die Meisterstücke von Figuren aus einem andern zum Ruhme des Siegers von Dazien hineingeflickt haben. Was konnte Alexander dafür, daß er keinen Homer fand bei seinem Leben, überhaupt keinen großen Dichter, der ihn besang? Ferner ist rückwärts gewiß, daß die Kunst bei gleich vortrefflichen Menschen nur nach und nach zur Höhe wuchs; so schwer ist es, alles Lebendige vollkommen zu bilden und nichts, was noch rührt und reizt, auszulassen, und dafür bloß mathematische Linien und Placken hinzustellen. Das Ganze wird nur nach und nach gewonnen; das Individuelle lebendige geistige bleibt aber immer das, was den großen Menschen von dem andern unterscheidet. Und so kann einer zwar ein ungleich größrer Künstler als ein andrer, aber ein weit kleinrer Mensch sein. So war der Jupiter und die Minerva des Phidias wahrscheinlich erhabner als manches andre Bild, das nachher ein weit natürlicher Fleisch und mehr lebendiges in der Materie hatte. Und darauf kömmt's doch an, die unterscheidenden wesentlichen Züge von jedem Dinge bestimmt zu fassen und dem Empfinder und Denker gleich darzustellen. Das Hauptvergnügen an einem Kunstwerke für einen weisen Beobachter macht immer am Ende das Herz und der Geist des Künstlers selbst und nicht die vorgestellten Sachen. Den Nachmittag ging ich nach der Rotunda; ich hatte den Mann mit den Schlüsseln dahin bestellen lassen, um obenhinauf zu steigen. Sie ist das einzige Werk von alter Architektur, was in Rom noch ganz ist; das vollkommenste in seinen Verhältnissen und prächtigste dabei wegen seiner Säulen auf dem Erdboden; die Paulskirche erscheint dagegen doch nur als Flickwerk. Wenn man in die Vorhalle tritt, so ist es, als ob man in das schönste Plätzchen eines Waldes von lauter hohen herrlichen Stämmen käme, die ein Gott zu einer Zeit gepflanzt hätte. Wie breit und mächtig einen dann das Innre selbst umfaßt und bedeckt, ist lauter Majestät; und feierlich stehen unten die Säulen umher und der dämmernde Raum dahinter, wie das Allerheiligste der Gottheiten. Was dies für eine Ruh ist! wie einen so nichts stört! wie die Rundung mit Liebesarmen empfängt, wie ein leiser Schatten einen umgibt, so daß man das Gebäude selbst nicht merkt! Oben Heiterkeit und Freiheit, und unten Schönheit. Überall ist der Tempel schön und harmonisch, man mag sich hinwenden, wo man will; überall wie die schöne Welt in ihren Kreisen von Sonn und Mond und Sternen. Endlich scheint alles lebendig zu werden und die Kuppel sich zu bewegen, wenn man an dem reinen süßen Lichte des Himmels oben durch die weite Öffnung sich eine Zeitlang weidet. Sooft ich mich so ins Stille hinsetze und meinem Gefühl überlasse, werd ich da entzückt wie von einem Brunnquell unter kühlen Bäumen zur heißen Zeit. Es ist das erhabenste Gebäude, das ich kenne; selbst Schöpfung und nicht bloß Nachahmung. Die Schönheit voll Majestät scheint alle Barbaren von der Verwüstung zurückgeschreckt zu haben. Freilich hat man, was daran zu plündern war, ohne die Mauern niederzureißen und in Schutt zu stürzen, doch daraus und davon weggeraubt. Es stand hier eine Minerva aus Gold und Elfenbein von der Hand des Phidias und eine berühmte Venus, welche die halbe Perle zum Ohrgehenke hatte, von der die andre Hälfte Kleopatra trank, um den Antonius im Verschwenden zu übertreffen, und die man für sich allein auf eine halbe Million Scudi schätzte. Konstantin der Dritte schleppte auch diese Bilder wahrscheinlich mit den andern schönsten Statuen nach Syrakus, so wie er die Silberplatten samt dem Bronz- und Schmelzwerk herausschlagen ließ, womit das Gewölbe oben verziert war. Die ursprünglichen Kapitäler von Erz nach dem Plinius an den innern Säulen sind hernach wieder abgenommen worden und mit weißem Marmor gut ergänzt, der dem Giallo antico des Schaftes lieblich läßt. Davon sind noch die Basen und das Gesims, das letztre mit Streifen von Porphyr. Die erhaltnen äußern aber von Granit wie die kolossalischen Säulen selbst gehören unter die schönsten der korinthischen Ordnung, die übrig sind, und machen mit den drei freistehenden Säulen auf dem Campo Vaccino und dem Bogen des Titus20 die Muster hierin aller neuern Baukunst. Wo an einem Gebäude keine Säulen sind, fehlt gewiß die edelste, stärkste und schönste Form. Die korinthischen haben, wenn die Blätter rein gearbeitet sind, am mehrsten Leben und den größten Reiz; und die gefugten, welche die Rinde nachahmen, erhöhen noch Natur und Leichtigkeit. Der Plan des Ganzen ist zirkelrund, und der Durchmesser davon enthält mit der Dicke der Mauern zweihundertundfunfzig Palme und der Umfang siebenhundertundfünfundachtzig. Die Mauern betragen achtundfunfzig Palme. Die Höhe hat gerade die Breite des Bodens. Der Bogen innen von der außen in der besten Proportion viereckten Tür den fünften Teil dieses Maßes; und der Bogen gegenüber, jetzt vom Hauptaltar, ist etwas größer, wodurch der Eingang unmerklicher erscheint. In der Antike trugen ohne Zweifel die Karyatiden, wovon Plinius spricht; jetzt sind an deren Statt kleine platte Säulen ohn einigen Vorsprung mit einem Gesims darüber, worauf die Kuppel ruht. Man glaubt wegen der Arbeit, daß die Veränderung unter den Antoninen und dem Kaiser Pertinax geschah. Es muß ein paradiesischer Zauber an dem Auge des Himmels gewesen sein! Nun ist das ehemalige junge blühende Gesicht im reizenden Schmuck gewissermaßen zur Matrone im Trauerschleier geworden; doch dauert die erhabne Form noch und hält die Moden und Sitten aller Zeiten aus, wie wahre Schönheit. Es ist wohl klar und augenscheinlich, daß die Rotunda anfangs einen Teil der Bäder des Agrippa ausmachte, gleichsam die strahlende Stirn derselben; noch sind die Ruinen davon angemauert und erstrecken sich weit dahinter. Die prächtige Vorhalle wurde hernach hinzugefügt und das Innre ausgeschmückt; und der Tempel gehörte alsdenn mit dem des Jupiter Maximus auf dem Kapitol und dem des Friedens unter die ersten Wundergebäude Roms. Agrippa wurde in einem Triumphwagen auf den Giebel an dem Portikus gestellt, aus Erz gearbeitet, mit den zwei Löwen von Granit zu beiden Seiten und der porphyrnen Urne mit seiner Asche dazwischen, die jetzt noch unten vor der Halle stehen. Er schenkte seine Bäder und Gärten dem Volke mit Einkünften zur Unterhaltung. Der sogenannte Tempel der Minerva Medica, eine der pittoreskesten Ruinen bei der Porta maggiore, war eben ein solcher Anfang von Bädern: und noch ebenso jetzt, die Kirche des heiligen Bernhard von den Bädern Diokletians. Sie kommen in der Hauptform mit der Rotunda völlig überein. Bei der überschwenglichen Pracht durften die Götter nicht vergessen werden, und man errichtete ihnen gleichsam diese Wachthäuser voran als Beschützern. Das Pantheon war dem rächerischen Jupiter, der Ceres und allen Göttern gewidmet. Ihre breiten Gewölbe in weiten Bogen leuchten gleich beim Eintritt Erhabenheit in die Seele, die die unermeßliche Peterskirche dagegen mit ihrem schmalen und engen des mittlern Schiffs nie erregen wird, der eher einen Sarg als einen Bogen vom freien schönen gestirnten Himmel Gottes nachahmt; weswegen die Leute sich verwundern, daß sie nicht erstaunen. Die Römer liebkosten den Sinn des Gefühls mit Baden wie wir ohngefähr unsre Nasen mit Düften und unsre Zungen mit Brühen und Weinen. Sie fingen vom Heißen an und gingen alsdenn alle Grade der Wärme durch, teils im Wasser, teils in lauer Luft, bis zum Kalten: Wollust, die alle verschiedne Wärme der Existenz nachahmt, vom heißesten Herzensgetümmel der hohen Leidenschaften bis zur frischen Besonnenheit; alle Grade des physischen Gefühls, ohne das Seelenleben, das Geistige, welches sie sich doch in gewisser Rücksicht auch vorphantasieren konnten, indem ihre weiblichen Schönheiten sich unter den Kaisern, wenigstens zuverlässig vom Domitian an, öffentlich nackend mit den Männern badeten. Sie ahndeten etwas vom Paradiese und dem Stande der Unschuld, ohne die Bücher Mosis gelesen zu haben. Und überdies hatten sie gleich daneben ihre Fechterspiele und Ringplätze. Die Thermen in Italien entstanden aus den Gymnasien der Griechen; nur waren bei diesen die Leibesübungen das Vornehmste und bei den Römern das Baden. Darnach mußten sich die Architekten in der Anlage der Gebäude richten. Die Bäder waren eigentlich der Hauptgenuß, den die stolzen Enkel des Romulus und seiner Räuberbande von den Siegen ihrer Vorfahren über die Welt hatten, und die Gebäude dazu das Höchste der Architektur, was wir mit den ägyptischen Labyrinthen und einigen Tempeln der Griechen in der Geschichte der Menschheit kennen. Es war da alles, was das Leben freut und angenehm macht, beisammen. Wir können uns, ohngeachtet der ungeheuern Ruinen, wenig davon vorstellen, weil uns diese Gattung Genuß ganz entrückt ist. Wenn wir ein halbes Säkulum alter Römer und Römerinnen der ersten Jahrhunderte erwecken könnten, so würden sie sich aus Ekel, Langerweile und Verzweiflung über das heutige Elend binnen wenig Tagen aufhenken. Das Dachgewölbe der Rotunda, mit starkem Blei gedeckt, ist, wie schon gesagt, äußerst flach gehalten; man steigt zur weiten Öffnung auf wenig großen Stufen, rundum aber laufen an die vierzig kleinere im Kreise. Wenn man hineinschaut, kömmt das Innre einem vor wie ein runder hoher Turm. Als ich oben stand, mich umsah und die verkleinerten Leute auf den Straßen betrachtete, wurd ich den Demetri gewahr und rief ihm zu, heraufzukommen, welches er auch gleich tat. Demetri ist ein wackrer Mann, viel Kern mit wenig Schale; der Mensch ist bei ihm recht durchgearbeitet und ins reine gebracht. Er herrscht in Rom über die Geister, mehr als irgendein andrer, genießt hohe Glückseligkeit und ist der Leithammel von einer Menge jungen Leuten. Unter diesen hab ich nicht wenig gefunden voll Lebensmut und den größten Fähigkeiten, genaue Bekanntschaft mit ihnen errichtet und unbeschreiblich Vergnügen in ihrem Umgange genossen. Wie jammert's mich, daß soviel herrliche Kraft wegen schlechter Regierungsverfassung ungenutzt versauren soll! Im Neugriechischen bin ich bei ihm noch sehr gewachsen. Auch hat er mir manche dunkle Stelle der griechischen dramatischen Dichter, besonders in den Chören, ins klarste Licht gesetzt und meisterhaften Unterricht über den unendlichen Reiz ihrer Silbenmaße gegeben. Bei seinem Brotgeschäfte mit alten Handschriften sind ihm eine Menge beßrer Lesarten aufgestoßen; und er könnte wie ein andrer Herkules die Aldinischen und Juntischen Ausgaben ausmisten, wenn ihm der Silbenkrieg am Herzen läge. Überhaupt aber hält er Ruhm für ein notwendig Übel, wobei man leicht selbst zur Bildsäule auf dem Markte werden und sich endlich fast nicht mehr regen und bewegen könne. Wirken, frei und mächtig handeln nach Art seiner Natur! Dies sei die allererste und ursprünglichste Glückseligkeit. Der Kernmensch gebrauche Ruhm als Hülfstruppen und stoße den einen von sich, wenn es sein müßte, sobald er in eine andre Sphäre schreite. Nur einen Fehler kenn ich an ihm, und dieser ist, daß er in dem heillosen Labyrinthe der Metaphysik herumkreuzt. Du sollst hier in der Unterredung mit mir eine starke Probe davon sehen, obgleich ihn noch nicht in seinem ganzen Wesen, weil er sich nach mir richten mußte, der ich hierin bloß meiner eignen Vernunft folge, ohne mich mit andrer Hypothesen viel zu plagen. Wenn er mutwillig ist, spricht er keinen Tag wie den andern. Mich trieb er vorzüglich nur in dem angegebnen System herum und sagte zuweilen verwirrte hochtrabende Dinge, um auszuweichen oder vorzubereiten und zu sehen, was ich damit anfing. Wenig Auserwählten reicht er auf die letzt den Faden der Ariadne, den er andern, wegen der heiligen Inquisition, bedächtlich zu verbergen weiß, die ihm die einzige esoterische Philosophie vielleicht der alten Kirche bald mit langsamer Glut ausbraten würde; an dessen Sicherheit er aber selbst noch scheint zu zweifeln. Vielleicht macht Dir eine und die andre komisch ernsthafte Behauptung gerade das mehrste Vergnügen, da Du wohl weißt, daß man hier nur meinen kann, weil unsre Sinnen nicht bis dahin dringen. »Jetzt ist wenig hier zu schauen«, sprach er, wie er zu mir kam; »aber zu mancher andern Zeit möcht ich da gestanden haben!« Wir setzten und legten uns bald in die Sonne, die das Dach angenehm erwärmt hatte, und sagten erst dieses und jenes über alte und neuere Architektur. Der Schluß war, daß der Zweck, der vom Plan und den großen Massen an bis aufs geringste einzelne und die Verzierungen aus allem rein hervorleuchte, die alten von den neuern Gebäuden unterscheide, wo oft bloße nachgeahmte Kunst und leere Schönheit sei, auch bei den besten, sonder Absicht und Nutzen. Übrigens ließen wir doch dem Bramante, Antonio da San Gallo, Michelangelo, Palladio und den andern großen Meistern ihr gebührend Lob völlig angedeihen und waren der Meinung, daß kein alter Architekt vielleicht einen heroischern Palast dem Cäsar als der Palast Farnese und einen lieblichern glänzendern der Kleopatra als der Palast von Cornaro zu Venedig würde haben erbauen können. »Bei unsern Kirchen,« fügte Demetri hinzu, »worauf wir das mehrste wenden, haben wir die reizende Mannigfaltigkeit nicht der Alten; Tempel des Jupiter, Apollo, Mars, Bacchus: Tempel der Juno, Pallas, Diana, Venus. Jeder machte ein eigen Ganzes in Plan, Verzierung und Ausschmückung und Gegend.« Die Meister sollten sich mehr nach den Heiligen richten, versetzt ich, denen die Kirchen geweiht werden. Der Papst, welcher die Rotunda hier allen Heiligen einweihte, so wie sie ehemals allen Göttern geweiht war, scheint so etwas im Sinn gehabt zu haben. Es ist doch sonderbar, entfuhr mir hierbei, daß die Griechen, das aufgeheiterte Volk, sich mit den Fabeln über die Gottheit so ernsthaft und zuweilen so abergläubisch grausam beschäftigen konnten, da sie, der vielen andern Weisen nicht zu gedenken, einen Anaxagoras hatten. »Grausam«, versetzt' er, »sind sie in Vergleichung mit uns zu ihren guten Zeiten nur wenigemal gewesen. Und dann lassen sich Meinungen, wo nicht offenbare Widersprüche sind und das Gewisse tief verborgen steckt, nicht so leicht wegarbeiten. Es hält bei den ausgemachtesten Dingen schwer, den großen Haufen unter einen Hut zu bringen, wenn er sich mit eingewurzelten Vorurteilen dagegen sträubt. Mit den griechischen Gottheiten ging es gewissermaßen wie mit vielen Wörtern in jeder Sprache; wir haben einen deutlichen oder dunkeln Sinn dabei, wissen aber ihren ersten Ursprung nicht und wo sie herstammen; und jene waren schon vor Mosen und den Propheten in der ägyptischen Zeittiefe, ehe noch ein Trismegist unter den Sterblichen die Buchstaben erfand. Homer hat damit seine Iliade ausgeziert, wie mit Edelsteinen, Gold und Perlen, und zuweilen lauter Schmuck gemacht, wie den Kampf des Skamander mit dem Vulkan. Religion wurde, dünkt mich, in der bürgerlichen Gesellschaft zuerst bestimmt eingeführt, um den Streit über verschiedne Verehrung der Gottheit bei Familien zu verhüten.21 Jeder Staat oder Gesetzgeber ergriff eine Partei der Ordnung wegen und ließ andern Republiken und Selbstköpfen natürlicherweise ihre Freiheit, über das Weltall zu denken, was sie wollten, wenn sie nicht mit Fackel und Schwert seine Verfassung störten. Bei den Griechen mußt es einer sehr arg machen, wenn Richter und Volk Meinungen dagegen ahnden sollten. Was hat nur Aristophanes nicht für Witz über die Götter ausgegossen! Wir im heiligen Rom erschrecken noch nach Jahrtausenden über seinen Mutwillen, wenn wir uns einmal mit der Phantasie in dessen Zeiten gedacht haben. Das Scherzen über die Bewohner des Olymp mochten die Griechen, scheint es, sehr wohl leiden; nur durfte sie einer nicht mit Stumpf und Stiel ausrotten wollen und als Schwärmer deren Bildsäulen zerschlagen, ohne ihnen dafür andre Freuden, andern Zeitvertreib zu gewähren. Jeder begriff an sich selbst, daß sich das Gefühl der Wahrheit und Falschheit nicht so ganz bändigen läßt, wenn man den Bürger nicht als bloßen Sklaven haben will. Bürgerliche Ordnung soll nur Gewalttätigkeit hemmen, und nicht den freien Gebrauch der Seelenkräfte: sonst bleibt der Mensch nicht Mensch mehr und wird zum Tier der Herde, verliert seine eigentümliche Glückseligkeit und allen Wetteifer, wie wir in den tyrannischen Staaten sehen, wo die Natur auch ihre geistigsten Gaben am reichlichsten ausspendet, in den Gefilden der Wahrheit und Schönheit nach Lust immer weiter zu schreiten und hienieden die höchsten Gipfel zu ersteigen, wo er Meer und Land überschaut. Die mehrsten Streitigkeiten über Gott kommen davon her, daß Laien selten wissen, was sie wollen; und Philosophen meistens für den eingeführten Glauben, sei's unter Heiden, Juden, Christen, sich von ihm ein Ideal bilden, und ihn nicht annehmen und zu ergründen suchen, wie er in Natur sich befindet; als ob er sich bei der Menge verächtlich machte, wenn er wäre, was er ist. Anaxagoras unter den Griechen gab mit seinem Verstandwesen für die folgenden Zeiten hauptsächlich dazu Anlaß. Das System des Lehrers des Perikles und Euripides hat durch ihr sinnliches und glückliches Zeitalter geherrscht, trotz den schulwidrigen Behauptungen vielleicht größrer Scheidekünstler, erhielt sich bis in die christlichen Jahrhunderte und herrscht gewissermaßen trüb und dunkel wieder jetzt, obgleich die erste Quelle nun unbekannt geworden ist. Er stattete eine Weltseele, die alle Materie der Elemente durchdringt und über sie Gewalt hat, in dem in der Erde steckendsten Wurm und himmelhöchsten Adler dieselbe.22 Sokrates verwarf alles System, ahndete nur und betete an in heiligem Stillschweigen nach seinem tiefsten Forschen; verehrte übrigens die Gottheit nach den Landesgesetzen unter mancherlei Namen, ohne sie näher zu bestimmen, und riet seinen Freunden dasselbe. Dem Plato, Aristoteles und andern Denkern aber war damit wenig gedient, und sie gingen so weit, als sie nur vermochten. Jener sprach über den allgemeinen Verstand in erhabnen Dichtungen; und der kühne Titan von Stagira belagerte regelmäßig endlich nach den feinsten Erfindungen der scharfsinnigsten Taktik; und seine Anhänger behaupten, er sei in die innerste Festung eingedrungen. Darauf und daran muß der Herrliche, der in so vielem andern an der Spitze der Menschheit stand, gewiß gewesen sein. Plato schreibt noch am Ende seiner Tage den Gestirnen den höchsten Verstand zu. Anfangs bedacht er sich lang über die Sonne und konnte nur damit nicht ins reine kommen, wie wir lebten und so hell im Geiste sähen, wenn sie unterginge und es Nacht wäre.23 Daß alles Lebendige erfrieren, zu toten Klumpen erstarren müßte, wenn nichts von ihren Strahlen zurückbliebe, wird ihm wohl einmal im Winter die Bedenklichkeit gehoben haben. Vielleicht schloß er gar noch ferner, daß alles Licht und alles Feuer und alle Wärme auf unserm kleinen Erdboden bloß in Materie gefahrne Strahlen der Göttlichen und der Gestirne sind, die jene, von nichts gehemmt, durchdringen, regen, richten; woher alles einzelne Lebendige denn Bildung, Form und sein Recht hat; bis sie wieder von andern aufgenommen werden oder sich selbst absondern in Rückerinnerung der alten überschwenglichen Wonne; und daß die Massen und Körper, die deren am mehrsten enthalten, die lebendigsten sind. Wenigstens ist dies der Grundstoff zu seinem glänzenden theologischen System, worüber Julian noch abtrünnig wurde. Überhaupt hielten die mehrsten alten Philosophen das Feuer für das Göttlichste in der Natur.« »Die großen Dichter dieser hohen Zeiten für die Menschheit«, fiel ich ein, »hatten um eine Stufe natürlichre Metaphysik und nahmen das Sinnlichre und Nähere. Sie meinten, wir schöpften die bewegende Kraft mit dem Atem, und sie sei in der Luft befindlich, und nannten sie Zeus, nach dem wörtlichen Sinn, wodurch sie lebten; und einige Philosophen schlugen sich zu ihrer Partei. Sophokles sagt: ›Zeus, der alles faßt, in alles dringt, uns näher verwandt ist als Vater, Mutter, Bruder, Schwester.‹ Und an einem andern Orte: ›Welcher Menschen Übermut, o Zeus, hemmt deine Macht, die der uralte Schlaf nicht ergreift und die unermüdlichen Monden! Unalternd durch der Jahre Wechsel nimmst du Herrscher den strahlenden Glanz vom Olymp ein; dir ist der Augenblick, die Zukunft und Vergangenheit untertan.‹ Und Euripides sagt geradezu: ›Siehst du über und um uns den unermeßlichen Äther, der die Erde mit frischen Armen rund umfängt? Das ist Gott!‹ Und Aristophanes, sein Antagonist, ruft ebenso aus: ›Unser Vater Äther, heiligster, aller Lebengeber!‹ Und Pindar ging schon vorher noch weiter und singt stolz in lyrischer Begeisterung: ›Eins das Geschlecht der Menschen! Eins das der Götter! Alle beide atmen von einer Mutter.‹ Nach der ältesten Meinung seines Volks glaubte Thales das Göttliche im Wasser zu finden, weil alles Lebendige sich davon nährt und aller Same feucht ist. Die Erde aber blieb immer nur Pflanzstätte, die das Himmlische durch Wind und Regen empfängt und Tiere und deren Nahrung damit gebiert; obgleich Mutter aller, selbst ohne Geist und Leben. Manche hielten sie nicht einmal für Element, sondern wie Hesiodus nur ersten Körper. Alles kehrte zurück, wo es herkam; was von der Erde entsproß, zur Erde: das Himmlische wieder in die lustschwebenden ätherischen Zärtlichkeiten. Doch, gestehen wir es nur, wir tappen damit noch in Nacht und Ungewißheit! wie die Alten selbst; von denen nur einer mehr oder weniger als der andre dreust war mit seinen Behauptungen. Ein bestimmtes deutliches System hierüber darf man bei keinem Sterblichen suchen; die größten Weisen haben für sich keins gehabt und nicht klar gesehen, wie kein Mensch die ganze Welt klar durchschauen kann. Sie nahmen gewisse Sätze an und bauten darauf hin, und wurden immerwährend von der Natur wieder in Verwirrung gesetzt. Eines jeden Gefühl muß ihm sagen, daß er etwas Getrenntes von einem Ganzen ist und daß er sucht, sich wieder mit demselben zu vereinigen. Als Menschen suchen wir dies am ersten bei andern Menschen zu bewerkstelligen: die Natur leitet den Mann zum Weibe und das Weib zum Manne. Beide finden alsdenn doch noch nicht dies in sich allein und suchen ihr Ganzes bei mehrern ihresgleichen. Wo dieser Trieb lauter wirkt: die glückseligste Republik. Aber auch hier wird der Mensch endlich seine freie Vollkommenheit, sein Ganzes nicht finden. Es ist also klar, daß uns entweder der Tod mit diesem vereinigt oder doch nähert oder nach mancherlei Durchwanderungen von Körpern wieder dahin bringen muß. Aus diesem Gefühl stirbt eine Alkeste für ihren Gatten, als der minder edle Teil des Ganzen, und übergibt sich ein Regulus freiwillig Schmach und Leiden. Aus diesem Grunde sieht man mehrere Menschen, jeden schier von demselben Schlag und Gehalt, zusammen für verständiger an und ein ganzes Volk für die klare ausgemachte Weisheit; und wir können oft mit der sichersten Gewißheit von dem Gegenteil und dem stärksten Vorsatz nicht auf gegen die Macht der Täuschung.« »O wie lieb ich das,« rief Demetri mir mit lebendigern Augen froh lächelnd zu, »wenn so einer aus dem andern Funken schlägt! O könnten wir uns Licht machen und einander einen Pharos anzünden in diesem nächtlichen Meer, wo Boreas und Süd und Ost und West verschiedner Meinungen stürmisch ungestüme Wogen wälzen! – wenigstens einer den andern wie ein noch scheues edles Roß vor den fürchterlichen Einbildungen auf allen Seiten herumführen. Welches der König der Elemente ist: Luft oder Feuer, wär also der Streit bei den griechischen Dichtern und Philosophen. Um das Höchste und Edelste zu sein, muß er die Massen aller andern durchdringen, Gewalt darüber haben, sie an sich ketten und nach seiner eignen Natur formen und bewegen. Nach diesem Grundsatze würden die Dichter wohl den Philosophen nachgeben und alle lebendige Wesen eine Art von Flamme sein; Feuer so über Luft wie Bewegung des Lichts gegen Schall. Auch war das Wesentliche zwei der ältesten Religionen des menschlichen Geschlechts in der Mitte der zwei größten Weltteile, Asien und Amerika, Verehrung der Sonne und des Feuers; und ihre Frommen bemitleideten die so mit geistiger Blindheit Geschlagnen, daß sie in Finsternis nach Gespenstern herumtappen, vom Lichte der Natur, durch alle Himmel dasselbe, lieblich und freundlich und erwärmend hell lebendig umstrahlt. Selbst in Rom, da edle Weisheit und Tapferkeit in seinem Senate noch den Erdboden regierte, bewahrten jungfräuliche Hände dessen Glut als das Allerheiligste. Lassen wir aber auch noch einen Priester des Zeus mit seinem Pomp in diese Versammlung treten und die Religion seines Volks behaupten, weil wir einmal im erfreulichen Schwärmen der Phantasie darüber sind: ›Toren ihr alle!‹ ruft er aus; ›die Welt macht nur ein Ganzes, und ihr haltet euch an den Teil. Alle verschiedne Urwesen in der Natur sind göttlich, jedes so ewig als das andre, und keins kann von dem andern herkommen und geworden sein. Rein abgesondert nennen wir sie Elemente; untereinander vermengt, für uns ohne Ordnung und Schönheit, nennen wir sie Materie. Wie alle diese Kräfte zusammengekommen sind, sich verbinden und scheiden und allerlei Erscheinungen hervorbringen, hat noch kein menschlicher Kopf für Sinn und Verstand erklärt. Tun wir den äußersten Flug menschlicher Einbildungskraft und nehmen Anfang an, wo es nur immer möglich ist. Stellt euch das Chaos vor, das alle Götter, Menschen, Tiere, Pflanzen, Metalle und Steine gebar, wie einen unermeßlichen heißen Nebel im unendlichen Raume, worin Sonnen und Planeten noch zerstäubt schwimmen mit den Meeren, Erden und Lüften. Es begann die Zeit: Feuer und Lüfte und Wasser und Erden schieden sich, und ein gleichartiges Wesen gesellte sich seiner ewigen Natur nach zu dem andern. Die jungen Sonnen wälzten sich und wuchsen, bis jede sich aus ihrer Sphäre gleich ewigen blendenden Gewittern von lauter Blitzen und Wetterstrahlen (wovon wir an unsern Wolken zuweilen nur winzige dunkle Schatten sehen) zusammengesammelt hatte, und besäeten die Himmel. Die gröbern Massen sanken unter, jede nach ihrem verschiednen Grade, und machen nun die Planeten aus, die immer schwebend herumtanzen, sich wieder mit dem holden Lichte zu vereinigen, aber wegen ihrer Schwere nicht zum Anflug gelangen. Und die Liebe ward geboren, der süße Genuß aller Naturen füreinander, der schönste, älteste und jüngste der Götter, von Uranien, der glänzenden Jungfrau, deren Zaubergürtel das Weltall in tobendem Entzücken zusammenhält. Und alle lebendigen Geschöpfe erhaschten in diesem Getümmel ihren Anfang; und vermehren sich nach alter Art immer wieder aus einem kleinen neuen Chaos von Elementen, nach Anzahl, Maß und Form der ersten Zusammensetzung. Das Element, das alles füllt, das sich am freisten und ungebundensten durch das Unermeßliche breitet, ohne welches nichts bestehen kann, was lebt, selbst das Feuer nicht, ist die Luft. Wir Trismegisten und Orpheuse gaben ihm den Namen Zeus und stellten diesen den Völkern in Wolken auf einem Donnerwagen mit dem flammichten zackichten Keil voll furchtbarer Majestät als dessen Regenten vor, weil sie nicht bis zu dem Unsichtbaren gelangen und Gestalt für den Sinn haben müssen. Sein erstgeborner Sohn, Licht und Feuer, ist Apollo, der Sonnengott. Der Beherrscher der Wasser, Zeus' Bruder, Neptun. Den Erden, den Sammlungen unzählbarer andrer Elemente, setzten wir das Heer der übrigen Götter vor und erteilten dem dritten Bruder Pluto in den Unterwelten den höchsten Zepter. Eure Großväter, die Pythagorasse und Homere, haben hernach unsre kühnen großen Erfindungen angenehm und lieblich und erfreulich ausgearbeitet und die Phidiasse und Polyklete denselben das Siegel aufgedrückt. Und so waren die Urkräfte der Natur für die Phantasie geordnet und jeder von ihren Lieblingskindern, den Menschen, schöne Tempel aufgestellt.‹ Verwundert Euch nicht, Freund,« fuhr Demetri fort, »über die astronomischen Ketzereien, die ich meinen Priester sagen lasse! Es wird eine Zeit kommen, und nach der Freiheit, womit die großen Geister schon anfangen ihre Flügel zu schwingen, kann sie nicht mehr fern sein, wo die Sonne und die Fixsterne auch bei den Menschen ihren erhabnen Posten behaupten werden wie in der Natur und unsre kleine Erde mit den andern Planeten um ihre Lebendigmacherin herumrollen wird;24es wird die Zeit kommen, wo der kleinste Nebelstern Sonne sein wird und ein hellerer Morgen in unsern Kerker einbrechen, bis wir uns endlich alle Bande abstreifen und des ewigen Daseins, unsers Eigentums, als echte Kinder Gottes genießen, in unaussprechlicher Wonne, sonder Grausen vor den armseligen Schreckwörtern Tod und Zerstörung. Es war besser, daß Millionen Sonnen sind, um nur Zahl zu nennen, als eine, die zu ungeheuer gewesen sein würde! Die Billionen Planeten hätten sich zu oft darumher einander verfinstert und die rasende Masse von Feuer sie verzehrt. Alles Wesen besteht aus unergründlich Kleinem. Was unendlich klein ist, kann nur wenig Kraft und Bewegung haben. Um freier und gewaltiger zu sein, paart es sich mit seinesgleichen und vermehrt sich bis zu Sonnen- und Planetensphären, die sich durch die Himmel wälzen und schweben für uns in unbegreiflicher Fülle von Wonne; paart sich mit seinesgleichen und anderm, was es wie zum Fuhrwerk oder gleichsam Reittier brauchen kann. Und dies hat's auch wieder gut, indem es an der Lust des Edlern teilnimmt und für seinen Dienst reichlich versorgt wird. Das Zusammengesetzte aber aus Verschiednem ist in Betrachtung des Einfachen eine wahre Kleinigkeit. Was sind alle Vögel, Tiere und Fische gegen die unermeßliche Luft, das blendende Gewimmel der Gestirne und gegen Meere und Erden in ihrer ursprünglichen Reinheit? Zusammengerottete winzige Sonderlinge! Die großen Massen allein leben und schweben in ewiger angestammter Wonne und Glückseligkeit: nur wir Heterogenen leiden und sind elend und plagen uns mit unsrer Erhaltung, immer in der jämmerlichen Furcht, zu vergehen. Mitteldinger zwischen Sein und Nichtsein! Zusammengeballte Grenzen des Verschiednen! Die sich mit Träumen plagen und ihre eigentliche Natur nicht finden können; und auf das kranke Gewinsel zerrütteter Kreaturen horchen, da uns das ewige Licht in die Augen blitzt, Meere in die Ohren rauschen und alles augenblicklich in uns strebt, sich mit dem großen Mächtigen wieder zu vereinigen. Die Toren glauben, sie kämen einmal in eine ganz andre Welt, wo keine Sonne wäre, weder Mond noch Sterne, noch Meer und Land wie bei uns, und sie hätten vielleicht dort doppelte goldne Hüften, wie hier nur eine Pythagoras hatte. Unsre Philosophen nehmen sich sehr in acht, wenn sie von Seele reden, auf Erde, Wasser, Luft und Feuer zu kommen, vermutlich, um sich nichts zu vergeben. Nicht also die Griechen! Wir zucken die Achseln deswegen über sie? Je erhabner der Mann, desto eher der Kinder Spott!« Demetris Wangen wurden röter in diesem lyrischen Taumel; ich rief ihm zu: »Mäßigt Euren Schwung, wenn ich nachfolgen soll! Etwas Besonders, Adler oder Mensch und zum Beispiel Alexander zu sein nach gewonnenen Schlachten«, fügt ich leise hinzu, »macht doch auch große Freude und kömmt einem angenehmer vor, als wenn man sich zu unendlich kleinen Teilchen von Erde, Luft und Wasser und Feuer denkt. Jedes einzelne Wesen wird seine Existenz bloß durch andre gewahr; je reiner es sich damit vereinigt, desto größer wahrscheinlich seine Glückseligkeit. Alles in der Natur strebt deswegen, sich in andres zu verbreiten.« Demetri. Bei solchem Einfachen gibt's kein Teilchen; jedes, wenn man sich es auch denkt, gehört so zum Ganzen, daß das Ganze zusammengenommen nichts Bessers ist. Das Teilchen ist wie das Ganze und das Ganze wie das Teilchen; eins wirkt und regt sich wie das andre, jedes Gefühl blitzt durch das ganze All. Was das eine angeht, das geht auch das andre an; es ist eins so mächtig, so ungeheuer und unermeßlich groß, wenn man eine solche Größe annehmen will, wie das andre. Die Meere und Tiefen von ursprünglichen Elementen sind es, woraus wir immer neu strömen und zusammenrollen; und unsre Urnatur ist unendlich göttlicher und erhabner als das augenblicklich zusammengeballte Eins verschiedner Kräfte; nach dem hohen Plato nur eine Stockung im unsterblichen Flusse der Glückseligkeit. Ardinghello. Aber daß etwas sein muß, was das Weltall zusammenhält, ist wohl klar genug! eine unbekannte Ursache an und für sich, doch bekannt in ihren Wirkungen; ein Wesen, das die andern Elemente zusammenbändigt von ihrem Schlafe zum Leben, zur Existenz, zur Harmonie und Einheit. Wenn ich meinen Körper betrachte und bedenke, daß ich ihn selbst soll zusammengearbeitet und gebildet haben, und doch nichts davon weiß oder, welches einerlei ist, daß das erste Menschenpaar dies soll getan haben: so dünkt mir augenscheinlich, daß ich nicht von mir selbst abhange und daß eine unbekannte Ursach im Spiel ist. Anfang und Ende ist für keines Menschen Kopf und ebenso unbegreiflich, wie Verschiednes ein lebendiges Eins macht. Unsre offenbare Willkür, der vorher bestimmte Endzweck aller unsrer Sinnen zum Beispiel, das Forterhalten der Gattungen, bleibt unerklärlich und übersteigt die feinste Philosophie. Demetri. Vielleicht wird sich dies noch aufhüllen. Wir erkennen uns bloß als Zusammensetzung, als Wirkung und nicht als Ursache. Bei uns ist sie mit unserm Verstand eins, und es findet da kein Gezweites statt; bei andern Dingen läßt sie vielleicht den Sonnenstrahl, so wie ihn unser grobes Auge blickt, nicht in ihre Verborgenheit. Rein existiert sie bloß in ihrer ursprünglichen Vortrefflichkeit, schwebt im Genuß ihrer selbst: und vermischt erkennt sie nur die Vermischung. Liebe und Krieg ist ewig auf den Grenzen verschiedner Natur; jene nennen wir Ordnung, Leben, Schönheit, und wie die Namen alle lauten. Wie Kinder scheuen wir Tod und Vergehen; wir würden bei beständiger Dauer in immer einerlei Zusammensetzung vor Langerweile endlich auf ewiger Folter liegen in unsrer kleinen Eingeschränktheit. Die Natur hat sich aus eignen Grundtrieben dies Spiel von Werden und Auflösen so zubereitet, um immer in neuen Gefühlen selig fortzuschweben; und unser Beruf ist, dies zu erkennen und glückselig zu sein. Pythagoras hatte recht: die Welt ist eine Musik! Wo die Gewalt der Konsonanzen und Dissonanzen am verflochtensten ist, da ist ihr höchstes Leben; und der Trost aller Unglücklichen muß sein, daß keine Dissonanz in der Natur kann liegenbleiben. Die höchsten Granitfelsen der Alpen und des Kaukasus zermalmen endlich die Regen des Himmels und die Katarakten der Eisdecken auf ihren Gipfeln, und unsre Jahrtausende sind Momente der Ewigkeit. Kommen wir einmal zum Teil in den Mittelpunkt des Ozeans und der Erdkugel, so kommen wir auch in Sonnen und Gestirne und werden eins damit. Jedes Element hat nach höhern und mindern Graden von Regsamkeit die Eigenschaft, zu leben, zu empfinden; und die mancherlei Proportion gibt jedem einzelnen Dinge seinen besondern Urcharakter. Dem Affen ein wenig Licht und Luft mehr im Urton: und er stünd auf der Leiter der Schöpfung über den Homeren und Zenonen, freilich alsdenn auch in andrer Gestalt. Unser Gehirn scheint der hohe Rat der Republik zu sein, sich augenblicklich zu bewegen und die neuen Erscheinungen und Gefühle der Sinnen aufzunehmen und darnach für das kleine Ganze zu sorgen. Wer hat die Elemente so untersucht, daß er einem allein das Leben und Denken zuschreiben will? Warum sollten nicht alle mehr oder minder dazu fähig sein und die ganze Natur leben, denken und empfinden? Der Mensch macht ein Ganzes aus, und es ist alte Pedanterei, denselben nur in zwei ganz entgegengesetzte verschiedne Hälften zu teilen, wie man hernach bei allen Tieren und der kleinsten Mücke tun muß. Aber Gewohnheit zwingt alles unter ihre eiserne tyrannische Herrschaft, bis auf die sich frei wähnendsten philosophischen Häupter, die davon nichts träumen. Ardinghello. Auf einen Hieb fällt kein Baum, geschweig eine Zeder, die so viele Jahrhunderte, durch alle bekannte Zeitalter steht und mit ihrem immer grünenden Gipfel jedem Sturm trotzt. Die Menschen werden heutzutag schwerlich glauben, daß das Beste von ihnen nur Sonne war und die Planeten erleuchtete; sie sind zu stolz dazu geworden. Geschweige daß ihre Körper nur eine gewisse Ordnung seien, Wohnungen, Gasthöfe der Elemente, die augenblicklich durch sie reisten, sich nur Momente aufhielten, sie lebendig, vollkommner und bequemer für die nachfolgenden machten. Demetri. Und doch muß auch dem Dümmsten auffallen, daß er alle Woche wenigstens ander Fleisch und Blut hat; daß ihn sein Magen jeden Tag ein paarmal an neuen Ersatz erinnert; daß er stündlich stirbt und wieder aufersteht; immer etwas anders ist, immer ist wie das Wetter, das er sieht und einatmet. Und was wollt Ihr mit allen bekannten Zeitaltern? Habt Ihr vielleicht den Aristoteles gelesen? Ardinghello. Seine metaphysischen Schriften nur durchblättert! teils, weil sie mir zu weitläuftig und gleich anfangs mit Fleiß dunkel und rätselhaft geschrieben schienen, und teils, weil ich für wahr hielt, was Xenophon beim Eingange der Denkwürdigkeiten vom Sokrates meldet, nämlich: die Metaphysiker wären ihm vorgekommen wie Rasende, da die berühmtesten derselben schnurstracks sich entgegenstehende Meinungen behaupten. Die ganze Wissenschaft sei zu nichts nütze; und er hätte sich verwundert, wie es ihnen nicht offenbar wäre, daß unser Verstand darüber nichts Gewisses erfinden könnte. Die menschlichen Dinge allein machten uns genug zu schaffen. Demetri. Auch beim Sokrates ist nicht alles Gold! Dies war zuverlässig in die Luft gesprochen, ohne hinlängliche Überlegung. Das Allgemeine können wir wissen, aber nicht das Besondre. Ohne Arbeit und Mut wird dem Menschen nichts Großes verliehen. Wer weiß, wie viele Jahrhunderte noch dazu gehören, ehe wir in Erkenntnis der Natur so weit gelangen, als unser Verstand reicht, und das höchste Ziel berühren! Viele verzweifeln daran, nur etwas Wahres zu finden, und wollen immer im Finstern herumtappen; aber es kommen Augenblicke, wo sie erschrecken, ein bloßes Nichts zu sein, ohne sich mit der Natur zusammen zu denken. Harmonie mit dem Weltall ist das höchste Gut! und welcher gute Kopf will sein Lebelang zu dem Gesindel gehören, das die Wetterfahne aller Meinungen ist? Jeder muß hier endlich so weit, als er kann; und es hilft da kein Sträuben. Unsre Bestimmung, wenn wir eine haben sollen, kann keine andre sein, als die verschiednen Naturen des Weltalls in der Zusammensetzung zu fassen, woraus wir bestehen. Der Mensch selbst ist gleichsam eine herumwandelnde Metaphysik; wer wollte sich nicht damit beschäftigen? Sie ist die erste und höchste aller Wissenschaften. Wenn wahr ist, wie es denn allen Schein der Wahrheit an sich trägt, was Alkibiades vom Sokrates in Platons Gastmahl erzählt, so hat auch hierin der, den das Orakel (vielleicht hauptsächlich deswegen, was Ihr eben aus den Denkwürdigkeiten von ihm angeführt habt!) zum Weisesten erklärte, doch auch hierin seine Schuldigkeit beobachtet. Er stand einst im freien Felde vom Morgen an, den ganzen Tag über und die Nacht durch, unbeweglich auf einem Fleck in dem allertiefsten Nachdenken versunken und verloren: und betete die Sonne an, als ihre reine volle Feuersphäre über die östlichen Gipfel Strahlen des Lebens wehte. In den geringsten Wissenschaften und Künsten herrschen verschiedne Meinungen; und es ist natürlich, daß in der höchsten die mehrsten herrschen, weil alle zum steilen Gipfel wollen und nur äußerst wenige dazu genug Atem in der Brust, Stärke in den Knochen und ausdauernden Mut und Verstand gegen alle die Gefahren haben, die in den halsbrechenden Pfaden auf sie lauern. Nutzen? Soll man denn alles des Mauls und Magens wegen tun? und macht Erkenntnis der Wahrheit nicht schon an und für sich glückselig? ist sie nicht die höchste Glückseligkeit? Gehört das Vergnügen, die Freude nicht zu Nutzen? Freilich muß jeder den Weg endlich selbst machen. Es muß erst einer wissen, wo der Ätna liegt, eh er hinauf will. Und dann ist für uns die Reise durch die Scylla und Charybdis die kürzeste, und durchaus zu Pferd ist nicht möglich. Oder: man muß ohngefähr so weit sein, als sie selbst waren, ehe man die Systeme großer Philosophen vollkommen versteht; und ferner sie nicht auf den ersten Seiten vollkommen begreifen wollen; man muß sie erst ganz kennen, ehe man nur etwas von ihnen in allem seinen Verhältnis einsieht. Das System des Aristoteles liegt, es ist wahr, noch zum Teil da im Chaos; aber binnen zweitausend Jahren hat sich kein beßrer Architekt gezeigt. Er trug allen philosophischen Reichtum jener glücklichen Zeiten zusammen und brütete darüber wie ein Gott. Seine physischen und metaphysischen Werke sind ein langwieriges Studium, und es läßt sich in einem Gespräche davon kein Auszug machen. Ihr müßt sie selbst lesen; und es wird Euch Lust sein, zu sehen, wie er die Natur herumarbeitet und bis auf ihre kleinsten Bestandteile zergliedert, wenn Ihr auch nur den Tiefsinn des Menschen an ihm bewundern solltet. Für jetzt nur noch einige Rhapsodien nach ihm und gegen ihn, und Launen und Einfälle. Stellt Euch das Universum wie eine Laute vor, worauf ich Euch nach augenblicklicher Lust und Liebe vorphantasiere. O nichts ist reizender und lockender dazu! es ist der schönste Gegenstand meiner Poesie in der Einsamkeit. O es macht mich glücklich, und mich überläuft wieder zuweilen ein menschlicher Schauder, wenn ich bedenke, was ich vielleicht schon war und ferner sein werde! was ich jetzt bin und den folgenden Morgen, die folgende Stunde schon vom neuen anfange zu sein. Übrigens genieß ich jeden Moment der Spanne meines gegenwärtigen Lebens, so gut ich kann, und ergebe mich Kleinigkeit in die Umwälzungen der ungeheuern Massen. – Was Demetri darauf ferner sagte, davon mehr nur den Inhalt als seine Worte, insoweit ich denselben gefaßt habe. Ich blieb bis jetzt noch immer der Meinung des Sokrates, daß auch die beste Metaphysik ein schönes Gebäude sei, welches bloß in der Luft schwebt, und daß man sich nur damit beschäftigen müsse, um sich nichts weismachen zu lassen und seinem Vergnügen in dieser Rücksicht ungestört nachzuhängen. »Die Sinnen allein zeigen uns,« begann er vom neuen,25 »daß etwas außer uns da ist: Verstand selbst ist die Wurzel der Sinne. Von Sinn und Verstand alle unsre Erkenntnis; und was finden wir da? In uns gekehrt die wunderbare Sicherheit, daß wir Wirkliches und kein Nichts sind, und allen Grund zu denken und zu handeln. Außer uns Sonne, Mond und Sterne im unermeßlichen Äther, und Luft und Meer und Land voll unzählbarer lebendiger Dinge. Doch solche Menge Verschiedenheiten entdeckt nur das Auge, unser reichster, aber auch flachster Sinn; wir haben einen andern, der tiefer dringt und zu einfachern kömmt: das Gefühl. Kein Tier kann ohne dasselbe, aber ohne die andern Sinnen bestehen. Und dieser Sinn erkennt? Warm und Kalt und Feucht und Trocken. Nichts weiter! denn alles übrige fällt in eins von diesen; daraus besteht die unendliche Mannigfaltigkeit des Weltalls. Doch werden wir auch mit diesem so mächtig ergreifenden Sinn nur Oberflächen gewahr; allein tiefer in die Natur der Dinge können wir nicht eindringen, wenn wir nicht sie selbst werden. Und dann hört aller Sinn auf; wir sind es selbst und schweben im Genuß ohne alle wissentliche Unterscheidung. Warm und trocken ist das Feuer. Warm und feucht die Luft. Kalt und trocken die Erde. Kalt und feucht das Wasser. Mit Flamme und Eis fängt Stockung und Zerstörung an, daraus keine Zeugung. Wenn Feuer sich in Luft verwandelt, braucht es nur die Feuchtigkeit anzunehmen, und so, wenn Wasser sich in Erde, nur die Trockenheit. Wasser wird Luft durch die Wärme; Luft wird Wasser durch die Kälte. Feuer verwandelt sich in Erde durch die Kälte, Erde in Feuer durch die Wärme. Leicht ist dann der Übergang einer Natur in die andre und leicht Werden und Zeugen. Wenn aber Feuer Wasser werden soll und Wasser Feuer, Luft Erde und Erde Luft: dann ist ein doppelter Damm durchzustürmen; allein der Schleichweg ist bald gefunden. Feuer wird erst entweder Luft oder Erde; und so bleibt der Übergang auch bei den andern immer leicht. Daraus alle die sonderbaren Erscheinungen! Und so verändert sich ewig in sich die Welt, begattet sich mit sich selbst und bringt neue Geschöpfe hervor und Blumen und Früchte. Dies sind die vier Elemente, die der gemeine Menschenverstand durch alle Zeiten anerkannt hat; und sie sind die Grundverschiedenheiten nicht nur für das Gefühl, sondern auch für die übrigen Sinne, die alle verschiedene Abarten desselben sind und darauf beruhen. Daß die Luft wieder so verschieden sein könne, als wir die Erde erkennen, wer will dies leugnen? und so das Wasser, und vielleicht noch das Feuer; wer hat die Elemente so untersucht? und wie wenig wissen wir noch von den Erden? Genug, daß der Übergang eines Elements in das andre gefunden ist. Doch warum suchen wir Vervielfältigung der Elemente! Es hat Philosophen gegeben, die behaupteten, daß das Weltall, welches wir zusammen mit einem Namen Natur nennen, durchaus eins und dasselbe sei; die alle Evidenz leugneten, um ihren Verstand an einem Mutterwesen zu weiden, das bloß reiner Stoff und nichts von allem andern ist, was wir kennen, sondern alles zugleich in jedem Punkte; andern Menschen schier ebenso undenkbar wie Alles aus Nichts und Nichts aus Allem, das es auch bedeutet. Die ältesten der Art blieben jedoch noch bei einem Elemente. Heraklit meinte, das Feuer sei der gemeinschaftliche Quell aller Dinge: und Thales das Wasser; beide aus dem heitern Ionien, von den Griechen, sonderbarlich! für die frühesten echten philosophischen Köpfe anerkannt und der erste als Stammvater aller eigentlichen Weisheit zum Sprichwort bei ihnen durch alle Zeiten geworden. Das organische Wasser, zum Beispiel der Mensch, ersaufe in dem einfachen Wasser; und das organische Feuer verbrenne in dem Feuer, das die Lust verliert, etwas anders zu sein. Feuer, Luft und Erde sei Wasser, und Wasser sei Erde, Luft und Feuer, und alles eins und dasselbe. Feuer sei heiß und kalt, und Wasser sei naß und trocken. Andre suchten in der Folge den Widerspruch wenigstens im Ausdrucke zu vermeiden und setzten für irgendein Element überhaupt: Eins ist Alles und Alles Eins. Nach dem Aristoteles war Xenophanes der erste, der dem Wesen seine eigentliche Reinheit gab, aber auch nichts weiter darüber bestimmte, sondern nur mit erhabner Stirn in den unermeßlichen Äther hin schaute und sagte: Das Eins ist Gott. Parmenides, sein Schüler, brütete nach ihm mehr darüber und suchte zu beweisen, daß Wesen der Vernunft nach notwendig nur Eins sein könne, für die Sinnen aber müsse man zwei Ursachen: Kalt und Warm, annehmen. Kalt sei das Unwesen und Warm das Wesen. Andre setzten dafür das Dicke und Dünne; nämlich das Wesen dehne sich aus und ziehe sich ein; und daraus alles Werden und Zeugen, alle Erscheinungen. Wenn es sich verdünne, werd es Luft und Feuer; und verdickt sei es Erde und Wasser; aber alles im Grund eins und dasselbe.« Ardinghello. Wenn also die unendliche Ausdehnung, außer den einzeln Bewegungen, durchaus sich einmal recht einzöge, so würden wir vielleicht alle zusammen mit ihr den allergrößten Stein ausmachen und die Welt als ein Diamant im leeren Raume hangen. Demetri (ein ander Gesicht annehmend). Wer weiß, was geschehen kann! Zeit hat sie nun in der Ewigkeit genug dazu, zur Kurzweil sich in allerlei Gestalten zu verwandeln. Diese Philosophen gaben übrigens keine Ursache der Veränderung an und ließen noch Ruh und Bewegung unerörtert. Wer beweisen will, daß aus Einem Alles sei, muß erst dartun, daß aus Allem Eins werde; und so weit hat es noch keine Chemie gebracht. Wenn bloß Eins ist, so muß es in Ruhe sein; denn ohne Reiz keine Bewegung, und das Gleichförmige reizt nicht. – In den Elementen liegen die Quellen der Bewegung. Sie ist allen eigen, und keins hat sie als einen besondern Vorzug; nur scheint das Feuer einen weit höhern Grad von Reizbarkeit dazu zu haben als Erde, Luft und Wasser. Alles in der Natur regt sich von selbst und hat Freiheit, Erkenntnis und Begierde. Jeder Teil, den wir von einem ihrer unvermischten Ganzen annehmen, hat alle innerliche Eigenschaften des Ganzen; ihre Wesen sind unendlich zart, verbreiten und verlieren sich ineinander, unergründlich allen unsern Sinnen. Je mehr das Kleine einerlei Art beisammen, desto größer seine Macht und Stärke; und so kann Erde, Luft oder Wasser das Feuer überwältigen, und so unterliegt beim Menschen der sogenannte Geist der Materie. Doch nur im Einzeln kann dies geschehen, denn im Weltall selbst herrscht Geist unermeßlich und ohne Schranken. Geist bringt die Welt in Ordnung und Schönheit nach seiner Natur, und selbst in uns fuhr er deswegen; und dadurch hat der Mensch Gewalt über den Erdboden. Bewegung ist Wirksamkeit der Kraft auf einen Gegenstand. Wo Kraft und Gegenstand ist, ist auch Bewegung. Wo doppelte Kraft aufeinander wirkt: Liebe oder Krieg, Neueswerden oder Abprallung. Gedanke ist Anfang und Ziel der Bewegung, Anfang und Mittel und Ende der Bewegung zusammen Handlung. Alles in der Natur hat das Vermögen, zu denken und zu empfinden, und das Selbstgefühl ist Grund und Boden; denn alles, was ist, hat Kraft, wodurch es ist, was es ist. Und folglich hat das System des Anaxagoras seinen guten Grund in der Natur. Verstand hat die Welt gebildet: nur in allem auf seine eigne Art. Verstand ist prüfende und unterscheidende Fassung des Ganzen; Verstand, in der Zusammensetzung, das Meer, wohin alle Empfindungen laufen, sich begegnen und sich läutern; und besteht selbst nur aus empfindender Kraft. Es ist der eigentliche Kern jedes einzelnen Lebendigen, jedes Ganzen, das schlechterdings an und für sich mit einer ersten Empfindung beginnen und sich mit gleichartigen und andern Wesen paaren und hernach zusammenschaffen und bilden mußte. Wenn nun Verstand ursprüngliche Empfindung ist, so ist er auch der Schöpfer von allem Individuellen. Der erste Trieb in jedem Lebendigen ist das Vergnügen oder nicht allein und vereinzelt zu sein. Der zweite weitere Erkenntnis und größere Kraft zugleich: dadurch erhob sich die vereinzelte Natur vom Wurm an bis zum erhabnen, freien, vielfassenden und verbindenden klaren Menschen, der deswegen die Sprache und alle Künste erfand. Der dritte, ungeheure, der alles unglücklich macht, die ganze Welt zu erkennen und sie sein zu wollen; und in der Tat tobt immer das dunkle Gefühl in uns auf, sie einmal gewesen zu sein und wieder zu werden. Ardinghello. Ich erstaune über Eure kühnen Behauptungen, und es wird mir vieles Nachdenken kosten, deren Wahrheit oder Falschheit zu finden. Wenn Feuer sich in Luft verwandelt: bleibt es Feuer oder nicht? Und ferner: so wie nur eine gewisse Materie ist, die Licht hat, und eine, die Ton hat, so kann es ja auch eine geben, wenn man das Wort hierbei brauchen darf, die nur denkt und Verstand hat, Ursache der Bewegung ist, immer wirkt und nie leidet, bis das ganze Gebäude um sie her zusammenfällt. Demetri. Wenn Feuer sich in Luft verwandelt, so entsteht eben ein neues Ganzes aus Luft und Feuer. Und so sind wir selbst ein Ganzes aus verschiednen Elementen, so rein und harmonisch verschmolzen, daß wir in uns bei gesundem Zustande durch das feinste Bewußtsein nichts unterscheiden. Wenn nicht jede Art von Element sich selbst regte und bewegte, so würde jeder Leichnam ewige Mumie sein und der Wind immer von Osten her wehen. Was den Verstand betrifft, so nimmt Aristoteles selbst, wie Plato, nach dem Anaxagoras, dessen Meinung ich freilich nach meinem eignen Begriff erklärte, eine eigne Materie für den Verstand an und unterscheidet sie von aller andern, und sogar von der Seele, die, wie er sagt, im ganzen Körper sich befindet. Die Seele des Auges ist das Sehen, die Seele des Ohrs das Hören und so die des Gefühls das Fühlen. Die Seele des Baums ist, daß er wächst und seine Nahrung mit den Wurzeln einsaugt. Sie ist in allem Lebendigen dieselbe. Kraft in Ausübung ist ihm Seele, und kein Körper, kein Element ohne Seele. Aber Verstand hat seine eigne Natur, behauptet er, die nicht leidet. Das Auge kann verblendet, das Ohr betäubt werden, der Verstand hingegen von dem tiefsten Denken unbefangen auf das leichteste übergehen. (Vielleicht nur bei dem Fürsten der Philosophen! Andre müssen wenigstens ein Schachspiel dazwischensetzen.) Und doch soll derselbe ein besonder eigen Teilchen, wie er sich ausdrückt, nur der menschlichen Seele sein, und sagt, diejenigen hätten recht, die ihn darin den Ort der Formen nennten; Denken, Urteilen wäre Aufnehmung, Schaffung von Formen. Die sinnliche Kraft der Seele könne nicht ohne Körper bestehen, der Verstand aber davon abgesondert werden; er sei sich allein Materie. Nur sei er leidend und vergänglich, insofern er etwas denke und sich an etwas erinnere; gleichsam wie der Sonnenstrahl, wenn er an den Dingen Farbe wird. Das Denken aber und Erinnern mache sein Wesen nicht aus; an und für sich selbst denk er nichts, und so sei er unsterblich. Folglich ist die Seele, als Verstand betrachtet, nur unsterblich, insofern sie nichts denkt. Dies ist wohl eine von den schwachen Seiten seines Systems, um den Vorrang des Menschen vor andern Tieren zu erklären; und hierin weicht er ab vom Anaxagoras, der seinen Verstand allem Lebendigen zuschreibt. Wenn der Verstand nur unsterblich ist, insofern er nichts denkt, so ist alle andre Materie auf eben die Weise unsterblich, nämlich insofern sie außer der Zusammensetzung gedacht wird; und wenn ich den Verstand auf eine andre Art erklären kann, so brauch ich keinen Gott, den Knoten des Drama aufzuhauen. Kurz, es ist ein Schlupfwinkel, worin wir nicht weiterkommen. Der Beweis, womit Anaxagoras, Plato und Aristoteles das Dasein des Verstandes dartun, ist: es muß ein Wesen geben, das unvermischt ist und alles durchdringen kann, damit es Gewalt darüber habe und erkenne. Fürs erste also ist jedes Element in seiner Reinheit unvermischt; und so Haufen Elemente in ihrer Reinheit beisammen. Sind die Elemente an ursprünglicher Feinheit verschieden, so ist, nach aller Erfahrung, wahrscheinlich das Feuer oder Lichtelement das feinste. Folglich hätte das Feuer alle Eigenschaften, die sie zu ihrem Verstand erheischen. Ist dies Seele, was, nach dem allgemeinen Begriff, andres durchdringt, so kann man auch mehrere Arten von Seelen annehmen. Feuer durchdringt die Luft; Luft und Feuer durchdringen das Wasser; und Feuer, Wasser und Luft durchdringen die Erde, und bändigen sie nach ihrem Wohlgefallen, und bequemen sich wieder als der Grundfeste freundlich nach ihr. Und so überhaupt eins nach dem andern. Herrschen ist Wohltun, alle andre Gewalt Tyrannei. Wer weiß, ob der Gegensatz von Feuer und Erde nicht zu stark ist, ob Erde nicht zu grob und Feuer nicht zu fein gegeneinander sind, um vollkommen aufeinander zu wirken? Ob nicht Mittel dazwischen sein müssen? (wie zum Exempel in den mildern Erdstrichen; in Griechenland, dem Klima der Schönheit.) Überhaupt sagt uns alles, daß da die höchste Vollkommenheit und Glückseligkeit ist, wo die höchste Fülle. Wenn die Zusammensetzung so harmonisch, so proportioniert ist, daß jedes Element sich regen kann nach seinen Kräften, entsteht der höchste Verstand; eins erkennt das andre auf diese Weise am reinsten und vollkommensten. Und dies möchte wohl der Aristotelische Verstand sein, der durch alle die feinen Röhren des menschlichen Gebäudes im Gehirne sich absondert; die reinsten Verschiedenheiten von Feuer, Luft und Wasser und Erde kommen hier lauter zusammen und machen ein göttliches Ganzes, wie in unendlichen Massen die Welt ist.26 Bei den andern Tieren sondern sie sich nur nicht so rein und in der Fülle und Proportion ab, von Urbeginn durch den Druck der umgebenden Kräfte daran verhindert. Ardinghello. Aber die ersten Geschöpfe Paar und Paar, Tier und Mensch, und Gras und Baum, wo leitet Ihr und Aristoteles diese her? Demetri. Wie unser Verstand in der Zusammensetzung Wissenschaften und Künste aus verschiednen Erfahrungen der Sinne bildet, aus Empfindungen, die mit Bewegung und Sturm und Aufruhr in uns kommen, eine Iliade, einen Ödip, so kann er auch von Anbeginn mit Hülfe der ganzen Natur die Gestalten der verschiednen Gattungen gebildet haben. Man muß bei Zeugung und Untergang allezeit auf Elemente kommen, die unzerstörbar sind und aus welchen alles Zusammengesetzte wird. Unser Erdboden hat ohne Zweifel, nach Vernunft und Naturgeschichte, einmal in einer weit glücklichern Lage zu Entstehung der Geschöpfe geschwebt als jetzt. Und wer weiß, ob nicht die edelsten nach Aufhörung derselben untergegangen sind? Die Geschöpfe sind ihrer Natur nach nicht in einem Lande und wahrscheinlich nicht auf einmal entstanden. Aristoteles braucht gewöhnlich das Gleichnis: Der Mensch und die Sonne erzeugt den Menschen; doch erklärt er sich etwas deutlicher hierüber in seiner Lehre von Gott und der Zeugung. Und sehen wir nicht, daß die Sonne noch jetzt Ursache des Frühlings und der Begattung ist? Warum sollte sie nicht auch im Anfange bei den ersten Geschöpfen Hülfe gewesen sein? Jedes Geschöpf wächst aus seinen Elementen hervor, und die Sonne löst mit ihrer Wärme deren Kräfte, daß sie frei wirken können. Jedoch haben immer über die Entstehung des Einzeln die alten Weisen die sonderbarsten Meinungen behauptet. Einige nahmen für jedes Geschöpf ein verschieden Element an, und nicht allein für jedes Geschöpf, sondern für jedes Glied desselben. Da waren zum Beispiel verschiedne Elemente für den Menschen, die sich wieder für Kopf und Hand und Fuß abteilten und zerstreut in der Natur lagen. Die Weiber sammelten dieselben bei der Begattung in sich, wo sie sich alsdenn zu einem Ganzen vereinigten. Freilich die leichteste Art, das Rätsel aufzulösen! wenn noch andre Schwierigkeiten dadurch gehoben würden. Wie geht es zu, daß ein Weib immer so vollkommen alle Teile sammelt, und nicht bloß Kopfteile oder Herzteile oder Arm- und Beinteile? Und so genau alle von derselben Proportion? Und wie halten sich diese Teile in den Speisen auf, wovon sie sich nähren? Das Herz eines Alexander in Tauben und Hasen, und Prokoli und Blumenkohl, und anderm Fleisch und Gemüse, wovon Olympia ihre Mahlzeiten hielt? Der Kopf Homers in Hühnern und Gänsen und den Fischen des Ionischen Meers? Offenbare Albernheiten! Andre glaubten, der Same jedes Individuums wäre von Ewigkeit im Weltall und folglich nur eine gewisse Anzahl von Menschenkernen, Löwen- und Adlerkernen, die kommen und wieder gehen und jedesmal sich in die vorhandne Materie kleiden. Zum Beispiel: Alkibiades war einmal da zu Athen und so ein andermal zu Rom und Konstantinopel und Lappland und Peru. Es gehörte nur Glück oder Unglück dazu, daß er von diesem oder jenem Winde da- oder dorthin geführt und von einer Königin oder Magd aufgefangen und geboren wurde; und seine Individualität änderte sich jedesmal nach den Umständen. Diese Meinung hat weniger Schwierigkeiten. Aber aller Same ist zusammengesetzt: und wie erhält sich die Zusammensetzung in der unaufhörlichen Zermalmung desselben, die wir bei allem Einzelnen in der Natur sehen? Und noch finden wir überall, daß Same wird und nicht ist. Im Gegenteil ist sehr wahrscheinlich, daß, wenn alles, was auf unsrer Erdkugel Mensch werden könnte, auf einmal wirklich Menschen und unzählbare Scharen von Völkern wäre und man sie an einen neuen Ort, in andre Planeten versetzte: daß, sag ich, vielleicht wenig von derselben übrigbleiben und wir alsdenn erkennen würden, daß sie, samt allen Tieren, Pflanzen und Bäumen, nur ein runder Klumpen Kirchhof gewesen sei, wo die Lebendigen von den Toten aßen. Und ist's nicht augenscheinlich, daß immer ein neu gesundes Paar aus den Früchten von wenig Hufen Landes alle andre Zonen bevölkern könnte? Kurz, jedes Einzelne ist nur durch die zusammengesetzte Form das, was es ist; jede Art von Wesen ist sich übrigens gleich. Und die Form entsteht durch die innre Proportion verschiednen Wesens mit Hülfe der äußern Dinge. Ardinghello. Also könnte die Erdkugel möglicherweise zu ebenso ungeheuern Scharen Eseln, Maulwürfen, zu einem unendlichen Mückenschwarm werden als zu unzählbaren Völkern von Menschen; und Mann und Weib sind weiter nichts als Anlaß zu neuen Männern und Weibern, wozu sich die Elemente von selbst bilden? Der Mensch zum Beispiel ist also nur eine gewisse Proportion verschiedner Elemente? Ein Knabe von dreißig Pfund bestünd ohngefähr aus sechzehn Pfund Erden und Salzen, dreizehn Pfund Wassern und einem Pfunde Lüften und Feuern; und der einzige Unterschied zwischen ihm und einem Kälbchen wäre, daß dies etwa nur ein halbes Pfund Lüfte und Feuer zu seinen Bestandteilen habe! Dies allein veränderte die Form und machte Sokraten und Platone zu Kälbern und Kälber zu Platonen und Sokraten? Der Schluß daraus, ist er nicht, daß alle Geschöpfe die Gegenstände nur nach ihrer Form empfinden und beurteilen und wir so vielerlei Wahrheit von demselben Dinge haben, als verschiedne Gattungen schon von Tieren sind? Jedes handelte und dächte nach seiner Form und hätte nach derselben seine Begierden; und es gäbe überhaupt keine allgemeine Wahrheit, und die ganze Welt sei ein Tollhaus? Also wär es wohl keine Fabel mehr, daß Medea einen Greis in kleine Stücke zerhacken und wieder jung machen könnte, wenn sie nur den gehörigen Grad der Wärme träfe, wodurch sie sich wieder zu einem harmonischen Ganzen zusammenzögen? Demetri. Richtig, mein Freund, wenn sie den gehörigen Grad der Wärme träfe und wieder hinzubrächte alle Augenblicke, was vom gehörigen Wesentlichen abdünstete, wie im Mutterleibe geschieht, und die vorige Lebenszeit schon abgedünstet wäre. Die zusammengesetzte Form ist nur das Mittel: das Wesen selbst erkennt, wie vom Urbeginn, die Wahrheit. Alle Sinnen fassen nur einseitig: Verstand das Ganze, und der reinste Verstand am vollständigsten. Die Tiere sind nur dadurch verschieden, wie der Mensch, daß sie mehr oder weniger, vollkommen geläutert oder minder vollkommen, davon besitzen. Und eben dieser ist die erste gegebne Proportion ihrer ganzen Zusammensetzung. Ardinghello. Aber wieder alle Gattungen von Tieren und Pflanzen, Paar und Paar von dem Grashälmchen an bis zum Menschen? Männchen und Weibchen, wie wollt Ihr dies erklären? Macht der Verstand in den Elementen allein Mann und Weib, so muß einmal, nach dem komischen Einfall des Aristophanes beim Plato, Mann und Weib bei allen Gattungen zusammengewachsen gewesen sein und ein Ganzes gebildet haben: sonst bleibt's unerklärlich, wie die Geschöpfe sich aus sich selbst so verschieden und doch paarweise sollten geformt haben. Demetri. Man kann gewiß leichter über diese Dinge schreiben als ein Gespräch führen! Dort läßt man solche Fragen aus, und ich habe noch bei keinem Weisen hierüber eine Antwort aus bloßer Vernunft gefunden. Weil ich aber einmal, wie einst der Platonische Sokrates, die Löwenhaut umgeworfen habe, so will ich aushalten. Alles, was ich darauf sagen kann (fuhr er lächelnd fort), ist folgendes: Wenn ich keine Menschen- und Eselelemente, keine Nasen- und Lippen- und Lefzenelemente anzunehmen Ursach finde, so find ich es eher notwendig, männliche und weibliche Elemente in der Natur anzunehmen. Der Mann ist der vollkommenste, der ganz aus männlichen Elementen zusammengesetzt ist, und das Weib vielleicht das vollkommenste, welches nur gerade so viel weibliche Elemente hat, um Weib bleiben zu können; so wie der Mann der schlechteste ist, der gerade nur so viel männliche Elemente hat, um Mann zu heißen. Männliche und weibliche Elemente machten außerdem am begreiflichsten die Natur lebendig und erklärten die ewige unaufhörliche Bewegung und den wütenden Trieb zur Begattung, welche Aristoteles für die Bestimmung jedes einzelnen Dinges hält, am besten. Liebe, Hochzeit, Ehe und Ehescheidung: daraus bestünde die Welt. Ferner wäre das Rätsel aufgelöst, welches noch niemand, soviel ich weiß, berührt hat, warum von jedem Geschlechte, fast durch alle Tiere, ohngefähr soviel von dem einen als andern geboren würden. Wem dies nicht gefallen sollte, der könnte jedoch noch immer annehmen, daß zu einem Ganzen ein Paar gehört und daß der Verstand von Anfang an alles paarweise hervorgebracht hat, ohne daß eben das Zusammengewächs mehr als jetzt nötig war: in einer solchen bequemen Lage von Materialien zu Schaffung seines mächtigen Ganzen befand er sich. Ardinghello. Ihr geht wie ein echter Kretenser, Zögling des Minos, mit dem schönen Geschlecht um! Ich glaube, daß ein Mädchen wie ein Mann immer ein unnatürliches Ding sei und daß die tapferste Amazone selbst unter einer Phryne stehe. Ich will Euch hierüber zu keiner neuen Hypothese treiben; wiederholen wir noch einmal Euer Hauptstück. So von allem Wirklichen abgesondert mag es wohl endlich leicht sein, zu denken, Verstand des Menschen hat den Menschen hervorgebracht, und ebenso, Verstand jedes Dinges hat das Ding hervorgebracht, durch Hülfe einer Kraft, die allem Raum schafft, sich nach Willkür oder Verlangen zu bewegen; allein sich die Sache auch nur einigermaßen sinnlich vorzustellen ist gewiß ohne Vergleich schwerer. Nehmen wir einmal, wie der Verstand des ungebornen ersten Kindes sich das Auge gebildet hat, nur eins fürs erste. Wozu braucht er das Auge? Zum Sehen. Kann er nicht sehen ohne dasselbe? Allerdings; da er alles durchdringt, berührt er an und für sich auch gewiß die Sonnenstrahlen oder wird ihre Wirkung gewahr auf Oberflächen. Was will er also damit? In einen Körper eingeschlossen sich eine Öffnung für dieselben machen. Gut. Warum schließt er sich aber in einen Körper ein, da er ohne Auge sehen kann? und demnach auch ohne Ohren hören, ohne Zunge schmecken, ohne Nase riechen und ohne Finger und andre Glieder fühlen? Es scheint, er ist des Herumvagierens müde und will einmal einen steten Punkt haben; oder eine Portion Verstand haßt die andre, wie sich Spinnen, und verlangt abgesondert ihr eigen Nest; oder er will weder unendlich groß noch unendlich klein beisammenbleiben, sondern in bequemer Anzahl und ergötzlichem Maße, wie die feinen Wollüstlinge unter Griechen und Römern nur soundso viel Gäste an ihren Tafeln verlangten; oder überhaupt, er kann die Materie in allen Arten von Zusammensetzungen nicht besser genießen, als wenn er sich selbst in sie hineinsteckt; oder endlich das Schicksal zwingt ihn dazu, ob dies gleich für ein Wesen, das alles durchdringt und folglich nicht gebunden werden kann, ungereimt ist. Kurz, dem mag sein, wie ihm will: er macht alles auf einmal zusammen, sich in größerm Umfang, und wie Pygmalion, seine Geliebte. Nach Euern Begriffen ist freilich Verstand selbst so verschiedner Gattung, als Elemente sind; und nur einer ist der König. Also der menschliche Verstand selbst macht einen Bund aus von verschiednen Elementen; und jedes präsidiert darin im Namen der übrigen seiner Gattung und dringt auf besondern und eignen Genuß dafür. Warum aber ist der Verstand des Kindes, wenn es fertig oder völlig ausgebildet ist, nicht mehr so gescheit, als er im Anfang war? Demetri. Das ist er und bleibt es, durch alle Stufen des menschlichen Alters derselbe; alle Teile, die abgehen, ersetzt er wieder und bedient sich überdies seiner neuen Sinne. In der Komposition selbst, deren Ursprung ich schon auf verschiedne Weise berührte, muß er freilich erst Erfahrung sich erwerben. Verstand kömmt von stehen27; er muß alsdenn lange vor den Dingen einer Gattung gestanden haben, ehe er sie vollkommen mit seinen Sinnen durcherkennt und sich davon ein Ideal bildet. Einige Alten behaupteten auch, daß er schon lange studiert habe, bevor er ein so herrliches Ganzes wie den Menschen ausklügelte; es ließe sich dieses aus der auffallenden Ähnlichkeit, größern und mindern Vollkommenheit der Teile von Tieren schließen. Die Pythagoräer nahmen nach dem Aristoteles als einen Grundsatz an: Speise und Raub ist eher gewesen, als was sich davon nährt; und wahrscheinlich! je ausgearbeiteter die Speise, desto leichter der Übergang zu höherm Leben. Kein vernünftiger Arzt wird daran zweifeln, daß der Mensch selbst die beste Kost für den Menschen wäre. Wer weiß, ob die Welt jetzt so vollkommen ist, als sie sein kann. Obgleich ewig, mag sie doch Kind, Jüngling und Mann, Jungfrau und Matrone zur Abwechslung werden; denn sie ist nicht ganz vollkommen solange noch Unvollkommenheit darinnen da ist. Ardinghello. Von Menschenfressern also hätten wir die eigentliche Verklärung zu erwarten, das tausendjährige Reich? Ein starker Kontrast mit den Schulen der Weisen! Demetri. Aus dem scheußlichsten Dünger, wenn ich ein verkehrtes Gleichnis brauchen darf, wachsen die schönsten Blumen und Früchte. Wir schätzen unsern Körper viel zuwenig; und doch muß jeder fühlen, daß ihn ein Händedruck, Kuß und Umarmung von einer schönen Person ganz anders ergreift als der wohlstilisierteste ciceronianische Brief von bloßem Geist oder einer, die er nicht kennt. Ardinghello. Wir schweifen aus; wieder zur Sache! Warum wissen wir aber nicht, daß der Verstand die Teile ersetzt, die er im Körper nicht festhalten kann und die demselben durch die Zeit abgehen? Demetri. Wir wissen nur durch unsre äußern gröbern Sinne; und dahin dringt keiner. Ardinghello. Erstaunliche Richtigkeit und ein Gefühl von Maß, das das der Goldwaage zentillionenmal übersteigt, gehört gewiß dazu, ein Bein nicht kürzer und länger gleich im Anfang zu machen als das andre, und so einen Arm wie den andern, und Auge wie Auge; und so die Zähne und die Rippen in höchst genauer Proportion; und dann zu vergrößern und zu erhalten! Und dies sind nur grobe Sachen gegen anders bei Insekten. Demetri. Er ist auch nicht umsonst so fein! und es gelingt nicht immer; die Alkibiaden und Phrynen sind bei jeder Tierart selten. Ardinghello. Auf einer andern Seite betrachtet, ist's nun wieder gar nichts Außerordentliches und Erhabnes; weil er wie ein Affe alles nur nachahmt, wie er's vor sich findet, und gar nichts ändert: so recht im alten Schlendrian der lieben Gewohnheit versunken und verloren. Er gibt sich gar nicht mehr die Mühe, etwas Neues zu erdenken. Demetri. Woher wißt Ihr das? Und doch schon genug, wenn er sich so wohl befindet! Er kann nicht mehr als die Materie aufs beste verarbeiten, in die er kömmt. Die Natur geht äußerst langsam und bedächtig in ihren Fortschritten, sie hat unendliche Jahrtausende vor sich und wir nur einen Augenblick Lebensdauer in der Komposition, sie zu beobachten. Ardinghello. Mich deucht, Ihr hättet schon gesagt, im Anfange wär alles besser gewesen. Vielleicht sind wir doch von der Höhe des Bogens herunter! Aber Freund, warum kann der Verstand den Körper nicht umändern, wenn er ungestaltet, häßlich oder krank ist? warum nicht verjüngen? Wolken, lieber Demetri, nichts als Wolken und metaphysische Träume! Nehmen wir lieber doch noch die gewöhnliche Meinung an, die Ihr kurz vorhin verwarft. Ich glaube, daß, so wenig sich der Mensch jetzt selbst hervorbringt, er von Ewigkeit sich nicht selbst hervorgebracht hat. Er ist! aber es muß allezeit ein mächtiger Wesen ihm den ersten Stoß und die Bequemlichkeit zum vollen Dasein verschaffen. Die vier Aristotelischen Elemente allein werden nie in allen möglichen Zusammensetzungen mehr als die vier Aristotelischen Elemente sein; es gehört gewiß noch etwas anders zu meinem Ich und deinem Du. Wenn wir etwas ohne fernern Grund annehmen, warum sträuben wir uns, alles, was wir nicht anders erklären können, ohne fernern Grund anzunehmen? Jedes Individuum ist von Ewigkeit der Form nach da in der Natur und von allem andern unterschieden; und keine Urform läßt sich weder schaffen noch zerstören. Nur gehört ein höher Wesen dazu, sie in die Bequemlichkeit zu setzen, daß sie sich in ihre höchste Fülle verbreite. Wie unendlich vieles wird bloß Blüte oder Frucht, ohne zum Baume zu gedeihen! Auch gibt Aristoteles selbst nicht undeutlich zu verstehen, daß er derselben Meinung anhange; die menschliche Seele oder überhaupt der Mensch, dessen Form sie enthält, ist ihm eine von Ewigkeit fertige Vollkommenheit. Und so war jedes lebendige Ding der Form nach oder in seinem ersten Keime unzerstörbar von Ewigkeit da, und die Sonnenwärme, oder sein Gott, löst es nur von den Banden und setzt es in freie Wirksamkeit, wo es so lange genießt und leidet, als es sich mit seinem neuen Umkreis halten kann oder bis es die umgebenden Kräfte wieder in seinen unzerstörbaren Punkt zurückdrängen. Deswegen sagt der Weise auch, es gibt nur wenig Menschen, die göttlichen Verstand haben. Und gewiß, denen, in deren Urkraft er nicht liegt, kann denselben keine Bildung und Erziehung geben. Wer fühlt dies nicht durch all sein Wesen, wenn er einen ursprünglichen Laffen und Toren vor sich hat? Er war von Ewigkeit Tor, und weder Sparta noch Rom wird ihn je zu einem Brutus oder Leonidas umschaffen. Theophrast konnte sich in seinem neunundneunzigsten Jahre noch immer nicht genug verwundern, woher unter demselben Himmelsstriche und bei derselben Erziehung die Menge von verschiednen Charaktern herkäme. Sobald man dies annimmt, hört die Verwunderung auf oder verliert sich in die Unbegreiflichkeit alles Daseins, des größten aller Geheimnisse. Wir sind, was wir sind und werden nie etwas anders werden. Wohl dem, der edel und herrlich ist! Er bleibt es ewig. Demetri. Erhaben; wenn's nur wahr wäre und nicht dieselben Schwierigkeiten stattfänden! Anaxagoras hätte schon klüger deswegen in der Verzweiflung alles: Knochen, Haare, Nägel, Klauen, für von Ewigkeit fertige Vollkommenheiten gehalten, wenn dem Stagiriten bei der Seele so etwas in Sinn gekommen wäre, als Ihr von ihm meint. Schwerlich kann ein arabischer Hengst je in Dänemark wiedergeboren werden und ein Epaminondas in einem großmogulischen Serail! Inzwischen wird dieser bezaubernde stolze Glaube an persönliche Unsterblichkeit, die man freilich alsdenn auch jedem Wurm wie Alexandern und Cäsarn zuerkennen muß, noch lange herrschen. Jedoch es ist Zeit, von diesen Dunkelheiten auf den Aristotelischen Gott zu kommen, den König der Elemente, der alles auflöst und aus seiner Trägheit in die Freiheit, zu handeln, setzt. ›Eine Bewegung‹, sagt der Weise, ›muß die erste oder muß ewig sein, die durch keine andre hat können hervorgebracht werden. Sie bedarf der Regung nicht von etwas anderm, sondern ist selbstständig, immer in Wirklichkeit und nie bloß in Möglichkeit, sonst würde aller Grund von Leben und andrer Bewegung fehlen. Sie ist schlechterdings notwendig, und man muß sie an und für sich annehmen. Wir können uns keine andre Bewegung in sich selbst ewig denken als die kreisförmige, und kreisförmig ist sie der Vernunft und der Tat nach. Sie bewegt, von nichts bewegt, für sich das Begehrliche und Verständliche. In ihr schwebt der Himmel und die Natur. Ihr Leben ist das beste, so wie wir es nur kurze Zeit haben; denn sie bleibt immer dieselbe, welches uns unmöglich ist. Ihre Wirksamkeit ist Wollust; durch sie ist das Wachen, die Empfindung, das Denken das erfreulichste. Hoffnungen und Erinnerungen stammen davon. Das Denken an und für sich selbst gehört zum Besten an und für sich selbst und das abgezogenste zum Vortrefflichsten. Der Verstand denkt sich aber durch Annehmung von Verständlichem; und verständlich wird er berührend und denkend, so daß Verstand und Verständliches dasselbe; denn das Fassende des Verständlichen und des Wesens ist Verstand. Er wirkt im Haben, so daß jenes mehr als dieses, was der Verstand Göttliches zu haben scheint, und die Betrachtung ist das Erfreulichste und das Beste. Wenn also Vollkommenheit ist, wie wir zuweilen beschaffen sind, so ist Gott immer verehrungswürdig; wenn Höheres, noch verehrungswürdiger. Und so verhält es sich. Auch herrscht wahrhaftig Leben in ihm; denn Wirksamkeit des Verstandes ist Leben, und er ist die Wirksamkeit. Die Wirksamkeit aber an und für sich ist sein bestes und immerwährend Leben. Und wir sagen, daß Gott ein immerwährend bestes lebendiges Wesen sei, so daß Gott Leben und beständige immerwährende Dauer hat. Denn das ist Gott. – Das Gute und Beste ist aller Natur Zweck. Sie gleicht einer Armee mit ihrem Feldherrn, und das Wohl besteht in der Ordnung. Vögel, Tiere und Pflanzen, und was schwimmt, hat seine gewisse; keins aber scheint füreinander, sondern es ist Eins, wofür alles geordnet ist. – Alles in der Natur hat wieder etwas Böses in sich, insofern es nicht das Eins ist, auf welches sich alles bezieht. Wir alle nehmen Anteil an Gott, und er macht das Ganze.‹ – Kurz, es ist eine allgemeine Bewegung, die alle Elemente zu ihrem Vergnügen in Ordnung erhält und macht, daß sie sich ihrer Natur nach zu einzelnen Ganzen formen, und jedem von sich mitteilt wie ein Hausvater seinen Kindern, Sklaven und Tieren. Jedes ist glückselig nach Art seiner Bestandteile und trägt so die Übel seiner Zusammensetzung. Gott allein ist ewig im Genuß seines reinen Wesens, wie jedes nur die wenigen Momente seiner höchsten Kraft und Einheit. Darauf folgert er: ›Es sind so viel Götter als selbstständige kreisförmige Bewegungen, der Fixsternhimmel faßt sie, und alle insgesamt machen nur einen. – Wenn Wesen verschieden ist, so muß wohl eine Art davon das beste und mächtigste sein.‹ – Die Sonne hatte sich geneigt, und wir stiegen vom Gewölbe der Rotunda wieder hinab. Ich beschloß auf der Treppe: »Jeder versteht sich selbst am besten; und so mag auch Aristoteles am besten verstanden haben, was Wahres und Erträumtes in seiner gestirnten Nacht von Worten liegt. Über Wesen, dessen Begierde und Scheu, Ruhe und Bewegung und Entstehen des Einzelnen werden wir uns noch lange vergebens die Köpfe zerbrechen und die erhabensten Männer Schwachheiten vorbringen. Wenn alles in der Welt so begreiflich wäre, wie wir verlangen, so würden wir nicht halb so glücklich leben und vor Langerweile über aller der Klarheit und Deutlichkeit vergehen. Es müssen Wunderdinge für uns sein! Wir müssen Rätsel haben, wie die Kinder, um das, was in uns denkt, damit zu beschäftigen.« Wir traten wieder in das Pantheon. Und um diese Zeit muß man es sehen, wenn die stille Dämmerung sich einsenkt! Da fühlt man unaussprechlich die Schönheit des Ganzen; die Masse wird noch einfacher für das Auge und erquickt es lieblich und heilig. Dann ist es so recht der weite hohe schönheitsvolle Zauberkreis, worin man von dem Erdgetümmel in die blauen heitern Lüfte oben wegverzückt wird, und schwebt, und in dem unermeßlichen Umfange des Himmels atmet, befreit von allen Banden. Wir setzten uns in den süßesten Punkt und genossen. Nach langer Stille umschlang mich Demetri zärtlich und sagte einige Worte über die ehemalige Minerva des Phidias (Tochter aus dem Haupte des Zeus, Verstand aus dem Wesen) und die griechische Venus hier (Lust der Sinnen, Wonne des Daseins) – und fuhr gerührt dann weiter fort: »Gott ist entweder die ganze Natur oder ein Teil der Natur, oder die Natur besteht für sich aus ewiger notwendiger Bindung und Lösung verschiedner Wesen, und es ist kein Gott, sonder lauter Schicksal. Daß Gott die ganze Natur selbst sei, ist der älteste Glaube. Daß er ein Teil der Natur sei, der jüngere; das edelste beste Leben darin, wie Aristoteles sagt; ein Wesen, das sich von selbst in sich, seinen Einheiten, wenn ich mich so ausdrücken darf, immerfort bewegt, ganz aus Tätigkeit besteht. Dessen Charakter gerad es ist, nie gebunden zu werden, es sei von was es wolle; das lieber das Böse freiwillig täte als das Gute gezwungen, wenn es ein Böses für dasselbe geben könnte. Das vermöge dieses Charakters alles andre löst, was sich seiner minder regsamen Natur nach bindet; kurz, eine unendliche Unruhe in der unendlichen Uhr der Zeit. Anaxagoras führte zuerst diesen Glauben ein, Plato verschönerte ihn mit Dichtungen, Aristoteles plagt sich, denselben in ein vernünftig System zu bringen, scheint aber mit sich selbst darüber noch nicht einig. Verstand dünkt ihm das Göttlichste unter allem, was wir kennen; und dies zwar wegen des Denkens, welches keine zufällige Eigenschaft, sondern immer rege Wirksamkeit, selbstständig Leben sei, indem es dem Verstande sonst beschwerlich werden müsse. Wenn aber der Verstand das Göttlichste und selbstständige Wirksamkeit sein solle, so könn er, dünkt ihm ferner, nichts anders als sich selbst denken; denn er würde, wenn er etwas anders dächte, zu einer bloß zufälligen Eigenschaft, und könnte denken und nicht denken, außer dem, daß er sich erniedrigte. Ich sehe nicht ein, was uns ein solcher Gott hilft, auf was für Art er alles bewegt, wie er sich den Geschöpfen mitteilt. Und was ist dann Materie, was sind Elemente? Wo kommen sie her, und wie sind sie mit ihm in Zusammenhang, Ordnung und Schönheit? Wenn die Natur selbst lebt und wirkt und ihre notwendige Art zu sein hat und alles Einzelne aus sich hervorgeht und sich selbst forthilft: wozu brauch ich einen Gott? und welch ein Greuel, im andern Fall, das höchste Lebendige, das sich mit dem Tode gattet? Lauter Lücken und Mängel, die nach seinem System nicht auszufüllen sind und wobei wir wieder von vorn anfangen müssen. Hypothesen und Hypothesen! Aber es kömmt darauf an, welche die denkbarste und vernünftigste ist. Einer, der keine Lust hat, auch für sich zu glauben, was man will, oder blinde Fenster der bloßen Ordnung wegen an einem Gebäude verträgt, wo gerade das beste Licht hereinbrechen und die schönste Aussicht sein sollte, kann nicht eher Ruhe finden.« Ardinghello (für sich). Die Müdigkeit wird's ihn schon endlich lehren. Demetri. Daß alles ewig ist, in sich sein wird, was es war, müssen wir wohl ohne fernern Grund annehmen, denn es ist die Grenze des Nichts. Wie es aber verschieden ist, sich bindet und scheidet, was alles will und nicht will, darüber hat mir das System noch keines Philosophen Genüge geleistet. Ruhe und Bewegung! Wer davon die eigentlichen Ursachen entdeckte, würde den Kapitalschlüssel zum Palaste der Wahrheit und ihrem innersten Kabinette finden. Bewegung ist Streben nach Genuß oder Flucht vor Leiden. Genuß ist Berührung, Ruhe deren möglichste Fülle und Werden eines neuen Ganzen, das wieder nach Berührung trachtet. So fühlt sich das Wesen und taumelt von Zone zu Zone, durch alle Himmel des Weltalls. Nehmen wir die einfachste Substanz von Leben, die Einheit von irgendeinem Element an und denken sie uns allein und abgesondert weit außer der Welt in den leeren Raum hin. Vorstellen kann sie sich nichts, weil sie nichts um sich hat. Innerliches Leben, Verstand in Ausübung, Gedächtnis, Einbildung findet nicht statt, weil sie ganz ohne Teile ist und sich nicht regen kann; ein Etwas wie das Nichts und der letzte Begriff von Tod; ein Punkt von Selbstbewußtsein mag in ihr stecken. Nun gesellen wir dieser Substanz eine andre zu: Erster Ursprung von Gefühl. Nehmen wir nach dem Demokrit in beiden Urform an und denken sie uns zum Exempel vollkommen rund. Und sie werden nicht satt werden, sich umeinander zu bewegen und sich zu berühren. Platt oder eckicht: Und sie werden aneinander festhangen, weil sie nicht herum können. Eckicht und rund beisammen: Vermischte Empfindung, Freude und Leid. Denken wir nun das Weltall als himmelunendliche Menge solcher Substanzen mit ewigem Streben nach neuem Genuß, an Stoff und Feinheit und Form zentillionenfach verschieden und ähnlich und gleich, und daraus notwendigerweise von selbst die beste Ordnung zur allervollkommensten und mannigfaltigsten Berührung, und wir werden, glaub ich, uns der Erklärung des Rätsels nähern und einigermaßen obenhin begreifen lernen, warum die Gestirne in Flammen sich wälzen, die Winde rasen, die Meere toben, die Erden fest halten und daß der Strahl in einen Pulverturm glücklicher sein kann als Herkules bei allen seinen Liebeshändeln. Man könnte auf diese Weise aber wohl doch noch die sonderbare Meinung des Xenophanes und seiner Schüler Parmenides und Melissos erklären, daß Eins Alles und Alles Eins sei. Nämlich, aller Grundstoff ist sich gleich, nur die Form seines unendlichen Wesens verschieden. Des Exempels wegen; denn was wissen wir Bestimmtes hierüber mit unsern groben Sinnen? In den Sonnen rund, in der Luft rund und halbrund, im Meere platt und eckicht, in der Erde platt. Und Platt käme unserm Gefühle kalt und trocken vor, und Rund in heftiger Bewegung heiß und trocken, und so weiter. Das Platte werde wieder platt und eckicht, Erde Meer. Wasser durch Ausdünstung zu Wolken und Regen. Und das Runde und Halbrunde endlich ganz rund, wie auf unsrer Erde im großen sich Berg und Tal und Ebne umändert. Das Runde übrigens herrsche wegen seiner leichten Bewegung. Und so mache sich das Wesen in möglichster Lust die Ewigkeit zu kurzer Zeit. Gewiß bleibt's allemal, daß Verschiedenheit und Änderung, die unsre Sinnen am Wirklichen empfinden und wir Qualität, Organismus nennen, bloß in innrer Form besteht und daß man ohne Form alles nur einerlei, ein Wesen denken muß. Alle Form ist ferner Wirkung und kann sein und nicht sein; das Wesen allein ist notwendig und ewig. Wie dies Eins aus seiner Formlosigkeit zu Form gekommen wäre und sich in unendliche Gestalten verwandelt? Wie gesagt, durch Streben nach Genuß, um lebendig zu sein, aus Ekel vor Tod, an sonst unendlicher Langerweile; durch Bewegung, Ausdehnung und Anziehung, bis ins Innerste uns freilich unbegreiflich, die wir jedoch durch die ganze Natur wahrnehmen und Forscher bis auf den Embryon verfolgen, wo sie Sinn und Erfahrung verläßt. Wenn wir Anfang von Zeit annehmen wollen, so ginge sie hier aus der Ewigkeit hervor, und es hätte seine Richtigkeit: Gott schuf die Welt aus Nichts. Das Problem wäre aufgelöst, wie die Welt Eins sei und doch verschieden, und Ruhe und Bewegung in ihren ersten Lagerstätten gefunden. Also sinnlich und jedermann faßlich gesprochen! Im Anfange war Alles Eins, das Wesen so zart zerflossen, fein und dünn wie der Raum schier. Und es regte sich; da ward Form. Aus der unvollkommnen ging die vollkommnere hervor; und so entstanden die Elemente: Wasser, Luft, Erde, Feuer; Pflanzen, Tiere und Mineralien. Alles wechselt miteinander ab und geht wieder in das Eins zurück. Vater Äther, aller Lebengeber! Und so wird und vergeht ewig alles, was ist. Das Holz zum Exempel brennt und wird Feuer, Rauch und Erde. Feuer und Rauch wird Luft, und Luft wird Wasser; und jedes kehrt wieder zurück, wo es herkam. Erde, Wasser, Luft und Feuer wird Pflanze, Pflanze Tier, Tier und Pflanze das Herz einer Victoria Colonna, der Kopf eines Machiavell. Form und Wesen, und Wesen und Form, das sind die zwei Pole des Weltalls, um welche sich alles herumdreht. Die bildende Kraft liegt in dem Wesen und ist ein Streben nach Genuß. Es bleibt wahr, was den Alten ohne Sinn so oft ist nachgesagt worden: Gott der größte Geometer. Wenn Wesen an Wesen sich fühlt, entsteht das reinste Bewußtsein. Wenn es sich zu den ersten Formen bildet, entsteht das abgezogenste Denken. Das Wesen berührt sich und wird verständig, indem es Verständliches zu sich nimmt; und kann nichts anders als sich selbst denken, wie Aristoteles tiefsinnig sagt. Denken überhaupt ist Verwandlung des Wesens in Formen; und Wesen muß alles selbst werden, was es denkt. Wenn Wesen sich zu Idealen formt, entsteht Phantasie. Wenn es die Ideale in sich und die Formen außer sich befestigt, Gedächtnis. Sonnen und Planeten und Kometen sind nichts anders in der großen Welt: Formen in Bewegung, Denkmale von Leben. Alle Gefühle, alle Arten von Leidenschaften, Schmerzen und Vergnügen sind nur verschiedne Formen in dem Wesen. Ohne diesen fruchtbarsten aller Grundsätze von reinem Wesen und Form, ohne Kontinuum, das alle mögliche Formen wird, scheint die ganze Welt, aller Zusammenhang, Erhalten, Wachsen, Zeugen, Vergehen, der Mensch, sein Denken und Empfinden, sein Dichten und Trachten, kurz, alle Art Verwandlung völlig unerklärlich. Die Vollkommenheit des Weltalls besteht in allen möglichen Arten von Formen. Alle Geschöpfe sind bloß Gedanken Gottes und des höchsten Vergnügens in ihrem Maße fähig. Gott dachte: ›Es werde Licht!‹ und es ward Licht. Daß Gott demnach als Griechen gegen sich, die Trojaner, streitet; als Paris sich, die schöne Helena, verführt; Stier, und Hund und Zwiefel, und das Verächtlichste, nach unsern Begriffen, wird, sich selbst ißt und verdaut, darf uns wenig kümmern; denn dieses folgt wohl aus den meisten eingeführten Systemen. Die alten Ägyptier verehrten vielleicht Gott erhabner, als der heutigen Menschen Verstand reicht; und wir sind gegen sie, was unsre Häuslein gegen ihre Obelisken und Pyramiden. Gott ist unendlich Eins, und in jedem Punkt Eins, und Eins in jedem angenommnen Maße, das dann Verhältnis in Bewegung und Verbindung nach seiner Realität und Form zueinander hat. Wie er unendlich wirkt und ist, allgegenwärtig, erhaltend und über seine Schöpfung erhaben, was weiß der Mensch! das geht nicht in uns, wie er ein Ganzes sei nichts außer ihm; solche Gewalt und Schönheit ist der verschwindenden Kleinheit allzu unermeßlich. Wir erliegen und können nur anbeten, bewundern und erstaunen. Aber den Grund und die Wahrheit von allem andern Lebendigen haben wir in uns, wovon die Sinnen nur die Oberflächen oder einzelne Äußerungen empfinden; oder das Wesen hat die Regeln von allem in sich, wie es Verschiednes wird und ist. Wesen, als das erste, ohne Form, und Form in Bewegung, gedacht, ist weder Verstand noch Körper; beide können nicht ohne Form bestehen, handeln nicht, sondern sind Handlung, Wesen in Form, und Wesen an und für sich in beiden gleich. Jedes kann die Folge von dem andern in dem Wesen sein, wie ein Gedanke von dem andern; denn beides, Gedanke und Körper, samt dessen Bewegung ist von demselben Wesen Tat. Wesen vollendet ein zusammengesetztes Ganzes in Folgen von Handlungen, eine Salaminische Schlacht, einen Olympischen Jupiter, wie Geschöpfe. Sein Bewußtsein, das auf einmal alle Folgen faßt, gibt die Einheit. Daß Gott unendlichen Verstand habe und unendliche Welten ausmache, scheint ein Widerspruch; denn alle Form ist Schranke. Gewiß dünkt mir schon, daß ich, und so jeder andre Mensch, und jedes andre lebendige Geschöpf nicht immer lauter Wesen in Form sei. Die Freiheit, etwas anzufangen, Ursache von einer Wirkung zu sein und nicht zu sein, sich von der Stelle zu bewegen oder nicht zu bewegen, Form anzunehmen und nicht anzunehmen, welche nicht kann geleugnet werden, wenn nicht alles von einem grundlosen Schicksale gepeitscht handeln soll, erfordert ein reines Wesen ohne Form, einen Mittelpunkt der Sammlung. Und dies ist das Heilige (welches einige Alten für Feuer, Ursprung der Lebenswärme hielten, weil Feuer wäre: Wesen in seine größte Freiheit verbreitet), wovon alles in jedem lebendigen Eins ausgeht, sinnlich wird und erscheint und in dessen Liebesschoß sich alles wieder einsenkt; vor dessen Sein und wunderbarer Allmacht, Despotismus und allertiefstem Gehorsam jede Philosophie verstummt, nur erkennt: es ist, und ihm seine Art zu handeln ablauert. Manches in der erhabnen Beschreibung des Aristoteles von Gott scheint hierauf zu passen. Dies ist das unbegreiflich Göttliche, was in allem lebendigen Einzeln verdaut und Körper wieder zu reinem Wesen auflöst, sich selbst und dieses wieder nach Form seines gegenwärtigen Eins verwandelt, neue derselben Art erzeugt und auf deren immer größere Vollkommenheit und mehrere Freuden denkt. Wenn Eins Alles ist, so ist jede Form desselben ursprünglich freie Handlung; denn es läßt sich kein Grund denken als seine Lust, warum es aus sich so mancherlei wird. Und Allgenuß seiner Kraft ist die höchste Freiheit. Das Wesen hat also die Welt nach seiner Lust aus sich erschaffen und in mannigfaltige, für uns unendliche Formen geordnet. Wie, und ob auf einmal oder nacheinander, können wir nicht ergründen. Soviel wissen wir, daß sich die Schöpfung durch immerwährende Erneuerung immerfort erhält. Genug; die erste Form muß einen Anfang gehabt haben, weil keine notwendig und ewig ist. Unendliches läßt sich nur von einem Wesen denken, und der Verstand kann nur in einem seine Ruhe finden.28 Durch Wirken und Gegenwirken ist das All in schönem Leben. Das Wesen äußert immer seine Kraft, so wie immer die Sterne leuchten und umeinander durch die Himmel schweben. Auch wenn wir schlafen, bewegen wir unsern Erdball um seine Sonne. Wie vieles andre mag das Wesen in uns tun, ohne daß wir uns dessen bewußt sind und wofür die Sinne keine Sprache haben! Unsre innige Vereinigung mit dem Ganzen herrscht immerfort, und wir sind nur zum Schein ein Teil davon und jedes besondre Ding ein Spiel, ein Mutwille des Wesens, und kann keinen Augenblick ohne das Ganze bestehen. Das ist eine ganz andre Hoffnung, Sicherheit von Unsterblichkeit, wenn ich Stürme durch die Atmosphäre brausen höre und in mir fühle: bald wirst auch du die Wogen wälzen und mit dem Meer im Kampf sein! Wenn ich den Adler in den Lüften schweben sehe und denke: bald wirst auch du in mächtigem Fluge so über dem Rund der Erde hangen, als Komet durch die Himmel schweifen, Sonne Welten beglücken! und, stolzer Gedanke! wieder in das Meer des Wesens der Wesen einströmen! Aber auch das Verächtlichste werden? Wer weiß alles, woran das Wesen seine Freude hat? Offenbar erscheint es uns in unendlichen Gestalten. Und dann könnten wir noch für so viel Genuß ein wenig leiden, für so lange Herrschaft kurze Zeit dienen. Eins zu sein und Alles zu werden, was uns in der Natur entzückt, ist doch etwas ganz anders als das Schlaraffenleben, welches, vernünftigerweise und aller Erfahrung nach undenkbar, bezauberte Phantasien sich vorstellen. Und warum sollten wir nicht in der ewigen Natur noch verehren, was wir immer wirksam, schön und gewaltig darin empfinden? Die ersten Ausgesandten – Diener Gottes? – uns sinnlich vereinigen mit den höhern Schwestern und Brüdern? Nur Verstand von wenigen dringt durch all das prächtige Getümmel durch bis zum Throne des Herrn! Warum wollen wir die Welt nicht nehmen, wie sie ist? Aber wir alle sind über kurz oder lang mit der Gegenwart nicht zufrieden, und das Wesen trachtet immer nach Neuem. – So viel mögen wir wohl auch bei dem hartnäckigsten Zweifler herausgebracht haben, daß etwas außer uns ist, unermeßlich unsern Sinnen; und da Anfang aus Nichts der Realität nach unmöglich ist, notwendig und ewig; und daß dies Wesen, bis auf das alleräußerste aufgelöst, entweder durchaus einerlei sein muß oder verschieden. Wenn verschieden, so muß eine Art davon, wo nicht das Höchste, Beste und Mächtigste, doch wenigstens so gut sein als die Art Wesen, die in uns (und allem Lebendigen) denkt und Verstand hat. Und wo nicht verschieden, so muß es wenigstens wieder ebenso gut sein, da es alles ist. Und da wir augenscheinlich nur geringe Kleinigkeiten sind gegen das Universalwesen entweder unsrer Art oder das Wesen überhaupt, so wär es arg, wenn wir es nicht als etwas Höheres verehren wollten. Das letztere wäre denn die allerreinste Weltmonarchie. Und darauf beruhte vielleicht (denn wer kann die farbenwechselnden Einbildungen der Hohenpriester und Schriftgelehrten darüber bestimmt ansagen?) das jüdische System und das geheime ägyptische und noch das christliche. Jesus, der Stifter des letztern, wäre mit seiner göttlichen Natur Symbol des unendlichen Wesens in Formen,29da das unendliche Wesen ganz und vollkommen, ohne Widerspruch kein Mensch in Person sein kann. Die alten Ägyptier mochten bei Verehrung verschiedner Geschöpfe und Gewächse ähnliches denken. Und noch andre alte morgenländische Religionen scheinen davon auszugehn. Das erstere wäre entweder reine Weltaristokratie, jedes Element nämlich so göttlich als das andre; wo nach dem Homer Juno, Neptun und Apollo den Zeus binden könnten. Oder aristokratische Weltmonarchie; ein Element unter den andern der König. Oder demokratisch-aristokratische Weltmonarchie; Tiere und Pflanzen schon der Form nach von Ewigkeit da, wie Ihr oben selbst meintet. Aus diesem haben die Griechen ihre reizenden Dichtungen und schönen Göttergestalten geschöpft; und die erhabensten Philosophen dieser gefühlvollen Nation, wie selbst Aristoteles und Plato, konnten sich davon nicht losmachen. Wenn ein großer Haufe zusammen glaubt, kann er leicht einen guten Mann überwältigen! Durch Lesung ihrer Meisterstücke von Poesie und Beredtsamkeit und bezaubernden sinnlichen Vorstellungen wissen wir aus unserm eignen Glauben nicht mehr recht klug zu werden. Wer ihren Nektar rein und unverfälscht von der athletisch schönen Ursprache gekostet hat, kann sich schwerlich in anderm Getränke berauschen. Die Namen ihrer Gottheiten ertönen noch immer von den Lippen der Edlern des aufgeklärten Europa und erheitern die Gesichter der Zuhörenden, auch verhunzt und entstellt. Gesetzt noch das Allerausschweifendste und Letzte, es gäbe gar kein Universalwesen, die Welt bestünde aus lauter unteilbaren Stäubchen, größer oder kleiner und verschieden in ihrer Form, ohngefähr wie die Buchstaben, die sich gatten und scheiden und von selbst Sinn oder Unsinn hervorbringen: so müßten wir doch billig Hochachtung vor der wiewohl komischen und bunten ungeheuern Menge haben, obgleich diese Meinung bei keinem, der den Abgrund des Äthers anschaut, und fühlt und denkt, Ernst sein kann, sondern ein grillenhaftes Nadelspitzensystem ist. Und dies wäre denn Weltdemokratie oder das eigentliche atheistische System, welchem nun wohl einige unentschieden anhangen, in der Verzweiflung, sich Gott als ein frei wirkendes Ganzes vorzustellen, da sie alles in der Natur verschieden und in notwendiger Verbindung sehen. Sie selbst aber müssen sich folglich als ein erstaunliches Rätsel vorkommen und, auch noch so bescheiden, mehr einbilden als Sonne, Mond und Sterne. – Sich des Daseins freuen unter allen Formen und Gestalten, diese dazu vervollkommnen, und sie zernichten, sobald sie nicht mehr dazu taugen oder in Sklaverei taugen können, und alle Traurigkeit fliehen, predigt die Natur. Und dann, nichts Unnützes heischen und beginnen. Alles Wesen ist frei, sobald es frei sein will; das ist, es kann für sich allein handeln und reißt sich los, sobald es kein Vergnügen mehr in der Verbindung hat. Tyrannei dauert höchstens überall nur bis auf den Grad, wo die letzte Lust wegfällt. Unser kleines Ganzes verliert sich bald mit allen seinen Folgen im Unendlichen; aber Wesen kann von keinem Gott vernichtet werden. Dies ist der Grundpfeiler des Adels und der Stärke bei tiefen Gefühlen. Zertrümmre mich tausendmal mit deinen Wetterstrahlen, ich stehe immer jung wieder auf! Aber du verlangst nichts von mir, was ich dir versagen könnte; und ich kann dir nichts zuwider tun. Was ich tue, tu ich durch dich. Ardinghello. Ihr seid auf eine andre Weise zu der göttlichen Sicherheit und Furchtlosigkeit gekommen, weswegen die Lehre des Epikur so geschwind um sich griff, dessen Atomen nach Zufall und abwechselnder Lust und Unlust alles hervorbringen und wieder zerstören, Menschen, Mücken und Elefanten, Fische und Sterne, und womit er den beschwerlichen Herrn und Aufseher, der alles beobachtet und von allem Rechenschaft verlangt, aus der Natur verbannte, den alberne Philosophen und Physiker, nach seinem Bedünken, zu Auflösung ihrer Knoten herbeirufen, damit er niederschlage, wenn's anziehen, und aufhebe, wenn's in die Höhe steigen soll. Das beste für den, der Zweifel hat, bleibt immer, sich zur Partei der edelsten Menschen von allen Nationen zu halten. Ob diese aber den ältern oder jüngern Glauben gehabt habe und habe oder zu welchem von den drei Systemen sich die Vernunft neige, werden wohl allezeit die mehrsten gegenwärtigen Stimmen entscheiden. Denn notwendige verschiedne Natur, die das Zusammengesetzte bildet, ist nicht schwerer zu begreifen als Anfang desselben von einem Wesen. Wie hat sich Euer Eins geregt? Vermutlich verschieden! Vorher war es etwa in der Aristotelessischen Bewegung, da sich Leben nicht wohl ohne Bewegung denken läßt. Und irgendwo! Denn ganz konnt es nicht Form werden. Und welcher Teil Form und Körper geworden wäre, den müßte wahrscheinlich das Los getroffen haben; denn Verstand war noch nicht da; der kann nur werden, wenn schon mehr Formen da sind, welche das Wesen in seinem Bewußtsein vereinigt. An Grenzenloses will ich gar nicht denken; denn unendliche – Realität – sind ein paar Wörter, die man wohl zusammen sprechen und schreiben, aber nicht denken kann. Und Euer formloses Wesen, fein wie Äther und Raum schier, müßte schon eine Lücke im Unendlichen machen, wenn es sich nur in einen Zentner Gold zusammenzöge, geschweig in eine reiche Mine, in ganz Peru, da ging gewiß ein Sonnensystem Größe von Formlosigkeit zugrunde. Und ich seh Euern Beweis noch nicht ein, daß keine Form notwendig und ewig wäre, worauf lediglich Euer Eins beruht. Die Frage woher? bleibt so gut bei einem Wesen als bei mehrern; und wie ich Eins notwendig und ewig annehme, kann ich ihrer Zentillionen annehmen. Und denn müßt es sich verzweifelt plagen, eh es die mancherlei Qualitäten nur für unsre Sinne herausbrächte; wer weiß, ob es nicht noch Geschöpfe mit andern Sinnen gibt! mit einem rednerischen Exempel: von Holz in Feuer, Rauch und Asche; und, es läßt sich nicht anders erklären, mit täuschender, selbst wahrhafter Schilderung von dem Regenten in uns ist's nicht genug getan. Was den Verstand oder das Wesen betrifft, das in uns denkt, so könnte Anaxagoras gar wohl recht haben und das feinste Wesen sich nach den andern richten müssen (die, wie Ihr selbst bewiesen habt, nichts weniger als tot sind), wenn es dieselben brauchen will, ohne daß wir eben wissen, wie es zugeht. Man kann freilich das Liebesgeheimnis nicht bis ins Innerste aufdecken, wie Verschiednes ein lebendiges Eins wird, und so fortdauert, und zusammen handelt; aber ebenso schwer läßt sich das Wesen, welches Gedanke und Verstand, und das, welches Körper wird, als Eins erklären. Qualität ist so etwas Sonderbares, daß es bloße verschiedne Art von Ausdehnung und Anziehung nicht überall hervorbringen kann. Der Verstand bleibt dabei ein Blindgeborner, trotz aller möglichen Anwendung von Figur und Dauer; und sie ist allein Gegenstand der Empfindung. Jede voll Majestät in ursprünglicher Reinheit eigne Substanz und Vollkommenheit der Natur, welche Völker von lebhaftem Sinn und scharfem Gefühl, deren Vernunft Ursachen für Augen und Ohren mit Einbildungen nie ganz umtauscht, immer als göttlich verehrten; denn Glaube ohne Empfindung ist Grille. Ihr habt oben, um Eure Gesinnung auch mir so wie andern zu verbergen, aus Scherz gesagt: Wer beweisen will, daß aus Einem Alles sei, muß erst dartun, daß aus Allem Eins werde. Widerlegt Euch nun im Ernste. Und denn behaupten die Spötter, Vorsehung, Plan von einer allmächtigen Regierung in der Welt wäre nicht so auffallend sichtbar, und Propheten, Apostel und Geschichte hätten uns mehr dawider als dafür hinterlassen. Es stünde mit uns nicht besser, weil sie dagewesen wären, und sie selbst möchten lieber in Athen zu den Zeiten des Perikles leben und in dem alten Rom als in dem neuern, wo es auch am frömmsten da zuging. Ihr sagt, der Verstand könne nur in einem einzigen notwendigen unendlichen Wesen, das Alles ist, seine Ruhe finden; und ich weiß nicht, wie es zugeht: mir klopft das Herz vor Angst und sausen die Ohren, je länger ich darüber nachdenke. Es bleibt immer einerlei, es mag werden, was es will (ein Herr ohne Untertanen, Widerspruch! oder der selbst sich in seinen Geschöpfen lobpreist oder selbst bestraft), und kann seinem Schicksal der gräßlichen Einöde nicht entrinnen; ist schlimmer daran, als die alten Feen in den Ritterbüchern, die sich bei widrigen Begebenheiten die Augen zerweinen, daß sie sich nicht ermorden können. Alle Lust und Pracht und Herrlichkeit der Welt wird zum Gaukelspiel und schwindet zurück, für uns in ein Unding. Aristoteles ertrug nie ein solches Wesen und sträubt sich dagegen aus allen Kräften; und mich dünkt, der Hohe, Edle hatte recht.30 Es fällt uns schwer, bei Betrachtung des Weltalls Sinn und Verstand in reiner und keuscher Verbindung zu bewahren. Die einen lassen lediglich und allein nur Verstand gelten und ziehen, wo möglich, alle Natur aus: und die andern halten sich zu sehr an die sinnlichen Vorstellungen und taumeln mit ihrer Einbildungskraft herum in Paradiesen und Höllen. Hohe Schönheit ist ein Gewächs auf seltnem Boden und wird nur Glücklichen zur Beute. Und glücklich die Gesellschaft, die einen solchen freudenreichen Glauben nach Klima und Verfassung für ihr Dasein auf diesem Erdenrund bekommen hat oder selbst erwählt! Sei er auch, um alle zu befriedigen, eine mystische Komposition von Weltmonarchie, Aristokratie und Demokratie. Ihr werden Männer, die mit der Natur und dem Volke gelind umgehn, und sie den Philosophen hold sein. Warum sollten wir, wenn das vorige Zeitalter barbarische Begriffe hatte, uns auch damit schleppen? Der Mensch kann nichts Göttlichers als Verstand ergründen, muß man wohl der Schule des Anaxagoras zugeben; auch bleibt er in ihm mit Sinnen samt Vernunft die höchste Regel der Wahrheit, und gegen ihre vereinigten Aussprüche gilt weder Verjährung, Wunder noch Zeugnis. Je mehr man das Weltall und seine Verbindung damit kennt, desto vortrefflicher die Religion. Und wer den reizbarsten, innigsten Sinn für die Schönheiten der Natur hat, ihre geheimsten Regungen fühlt, deren Mängel nicht vertragen kann und denselben abhilft nach seinen Kräften, der übt aller Religionen Wahrstes und Heiligstes aus. Sein Tempel ist das unendliche Gewölbe des Himmels; sein Fest jede schöne Sommernacht, ein herrlicher Aufgang; und er bringt seine Opfer dar an Menschen, an Tiere, die ihrer bedürfen, an alles Lebendige. Metaphysik hat Gott allein, sie ist sein Ehrenamt! sagte derselbe Dichter Simonides, welcher sich so klug über die Frage Was ist Gott? beim weisen Hieron aufführte. Aristoteles will dies zwar nicht zugeben und meint: Gott wäre nicht so neidisch; sie sei die Glorie des Menschen und es einem freien Mann unanständig, sie nicht zu erforschen. Plato aber, sonst so stolz gegen die leichten geflügelten heiligen Wesen, wie er die Dichter nennt, gestand, obgleich bei einer andern Gelegenheit, demütig: Simonides habe selten unrecht; er sei ein verständiger und göttlicher Mann. In den Sonnensystemen des Orion, der Milchstraße steigen wir vielleicht zu einer höhern Religion auf. Demetri. Solch ein Angriff gefällt mir! Das ist eine Gymnastik des Verstandes und auf beiden Seiten Gewinn; entweder geübte nacktere gelenkere Wahrheit oder Befreiung von dem schädlichen Übel der Falschheit. Wer weiß, was Menschen sind und was er selbst ist, der verwundert sich weder über Ost noch West, sondern untersucht ferner fort getrost, woraus sie beide bestehen. Ardinghello. Aber die Säulen hüllen ihre jungfräuliche Schönheit schon ins Dunkel, und oben ist kaum noch Dämmerung. Der Pförtner wartet, die Tür zu schließen. Wer unrecht hat (drückt ich ihn zärtlich und traulich bei der Hand), will immer das letzte Wort behalten. Demetri. Nur die Hauptpunkte! Das übrige ein andermal, welches überdies hauptsächlich auf eines jeden Gefühl beruht und womit hinüber und herüber Mutwille kann getrieben werden. Wie ich merke, habt Ihr von Belvedere noch nicht ganz Abschied genommen! Inzwischen spielt Ihr trefflich die Rolle, die ich bei der Pyramide; nur daß ich schon da zu Hause war, wo Ihr vielleicht erst einkehrt. Ohne Eins, das sich in verschiedne Formen verwandelt, bleibt alles völlig unerklärlich; ich mag darüber nicht wiederholen, was ich schon gesagt habe. Und denn: Gott ist nicht Mensch, Anthropomorphit! und Ihr selbst müßt Eure Menschheit ablegen, wenn Ihr ihn denken wollt, und Eure stolzen republikanischen und spartanischen Gesinnungen. Und doch können wir schon in unserm Pünktchen, Plätzchen von Formen nach dem Aristoteles, Ideen groß und klein, also irgendwo darin, erdenken, umbilden, aufbewahren und wieder neu beleben. Reines Wesen kann in bloßem Bewußtsein harren, das ist sein Leben, aber auch Formen in sich schaffen und sammeln, das ist sein Geschäft und seine Lust. Woher es ist, unendlich? Wie es war, wüst und leer? wie der erste Gedanke in ihm entstand? und Körper? hier ist's noch immer finster auf der Tiefe; Abgrund, wir versinken, und Abgrund! Ewigkeiten! Ewigkeiten! Kein Untertaucher, nicht die berühmtesten der Schulen von Syme,31vermochten zu entdecken. Aristoteles hat nicht zuviel gesagt, wohl Simonides. Aber Freunde werden wir sein, solange wir leben, und selige Stunden miteinander haben. Fünfter Teil Terni, Jenner. Neid und Eifersucht sind die Dornen im Rosengarten der Liebe. Ich habe von Rom abreisen müssen, der Herzog ruft mich zu Geschäften. Aber ich erkenne wohl, der Kardinal wollte mich fort; er hatte schon längst ein Auge auf mich und fand bei meinem Aufenthalte nicht seine Rechnung. Ich reise vorwärts und meine Phantasie rückwärts; Herz und alle Freude ist in Rom geblieben. Zähren des tiefsten Gefühls rannen unaufhaltbar hervor mit ihren letzten heißen Seelenblicken; wir schieden aus glühender Umarmung. O sie liebt mich, groß und edel! Erhabnes Wesen! Ich befinde mich hier in einer Wasserwelt; die Fluten rauschen, und Ströme stürzen sich mit donnerndem Gebrüll von den Gebirgen: und doch ist mein Sinn nur wie im Taumel gegenwärtig. Das Wetter ist außerordentlich lau und warm für die Jahrszeit; aller Schnee auf dem Apennin schmilzt. Die Nera ist mächtig angeschwollen, und der königliche Velino reißt sich wie eine Sündflut aus seinem See schräg übers Gebirg herab, setzt alle Gärten und Felder der Terner in Überschwemmung und verheert sie mit seinem Schutte. Rührend ist bei dem fürchterlichen Schauspiel, wie die hülflosen Menschen so gut und freundlich und gesellig gegeneinander bei der allgemeinen Not werden und jeder erkennt, wie wenig er für sich selbst vermag. Im schmalen Tal, an der Nera, vor dem Einflusse des Velino, liegt ein Dörfchen von wenig Häusern, Torrosina, wie in einem kleinen Kessel. Nachdem ich die ganze Lage besehen hatte, so fand ich, daß die Terner weit weniger und fast nichts leiden würden, wenn man oben auf dem Gebirge den Velino dahin führte, daß er in die Felsenkluft, wo die Nera furchtsam hervorschleicht, sich mit seinem Tartar stürzte. Außerdem gewännen sie noch das ganze breite Bett des Flusses an die zwei Miglien lang für ihre Waldung; und der senkelrechte Sturz selbst würde an Höhe und Schönheit seinesgleichen nicht in Europa haben, da er jetzt nur gemach schräg herabrauscht. Weil aber Grund und Boden den Torrosinern gehört, so müßten sie denselben ihnen abkaufen, welcher jedoch an und für sich keinen Wert hat, da er lauter Felsen ist, und den etwanigen zukünftigen Schaden zu ersetzen versprechen, der für sie entstehen könnte, wenn die Nera bei großen Wassern vor der einbrechenden Gewalt des Velino sollte zurückgehalten werden. Ich ging darauf in die Ratsversammlung von Terni und machte mein Gutachten als ein Werksverständiger bekannt. Alle, keiner ausgenommen, gaben dazu ihren Beifall; und dieser und jener sagte, daß er dies schon längst auch gedacht hätte. Und siehe da, man schickte kluge Redner zu den Torrosinern ab, und der gute Anschlag wurde mit wenig Kosten genehmigt. Aus Furcht, daß es diesen gereuen möchte, will man sogleich Hand ans Werk legen und oben das kurze neue Bett ausgraben, welches ich diesen Morgen half abstecken. Die Sache wegen Verlegung des Velinosturzes ist alt und wurde schon zu Ciceros Zeiten verhandelt. Es scheint, die Torrosiner sind gutherziger geworden, daß sie jetzt so bald nachgaben; oder der große Schaden und Jammer der Terner hat sie mehr als jemals ergriffen und zum Mitleiden bewogen, da ihr zukünftiger Verlust gegen dieser ihren doch nur äußerst klein sein kann und vergütet werden wird. Perugia, Jenner. Ich streiche durch alle die himmlischen Gegenden ohne rechten Genuß, und nur ergreift mich noch des Wasserelements Sturm und Aufruhr und die Luft mit ihren Gewittern und Wetterstrahlen. Der Ort enthält einen Schatz von Gemälden, und sie und die prächtig gepflasterten Straßen und schönen Paläste und Tempel zeigen allein noch den ehemaligen Wohlstand der Freiheit. Für jetzt flüchtige Anzeige einiger Raffaele auf meinem Wege. Foligno hat deren zwei, die allein wert sind, in dies Paradies zu reisen. Im Nonnenkloster delle Contezze ein Altarblatt, welches die Madonna vorstellt, vom Himmel herniederschwebend, wie sie der heilige Franziskus, Hieronymus, Johannes der Täufer und ein Kardinal anbeten. Es ist aus des Meisters bester Zeit. Welche Gestalten, welche Charakter! Wie ist alles so rein bis aufs Haar bestimmt! Echte klassische Arbeit. Der Kopf der Madonna ist einer der schönsten welschen weiblichen Köpfe. Wie klar die Stirnen, wie reizend das lichte Kastanienhaar nach den Ohren weggelegt, der bräunliche Schleier wie sanft und lieblich, in den holden herniederblickenden Augen welche Güte! wie schön die großen Augenlider, vollen jugendlichen Wangen mit Schamröte überzogen, wie jungfräulich, wie süß der völlige Mund, das zarte Kinn, und die Nase wie edel herein! welch ein schönes Oval und wie reizend auf der rechten Seite herum im Schatten gehalten! wie reizend schwellen die Brüste unter dem roten sittsamen Gewand hervor! Welch eine feurige, eifrige Frömmigkeit und Wahrheit im Kopfe des Heiligen von Assisi und welch ein schöner kniender Akt! Wie kräftig der Kopf des heiligen Hieronymus gemalt und in welchem feierlichen Ernste von Betrachtung! Johannes ist ein echter wilder Eremit, der sich nicht auf bürgerliche Höflichkeiten versteht und dreust sagt, was er denkt. Der Kardinal bloß Porträt voll Bewunderung. Der Engel unten mit dem Täfelchen ist trefflich gemalt, nur weiß man nicht, was er soll, weil man vergessen hat, es daraufzuschreiben. Das Kolorit in den Köpfen ist täuschend abgewechselt, wie die Natur tut. Die Figuren sind alle in Lebensgröße und die Madonna noch darüber, um sie zur ersten Person zu erheben. Sie ist am lebendigsten und wirft Glanz um sich wie Sonne. Unten ist freies Feld und ein Flecken, wo die Heiligen sich beisammen befinden, sie anrufen und anbeten und in Betrachtung verloren sind. Im Dom eben hier am Ende des linken Kreuzgangs ein Halbbogen, worin Madonna mit dem kleinen Christus zur Linken und dem kleinen Johannes zur Rechten vor sich; zwei holde nackte Bübchen in schöner Bewegung. Hinter ihr zur Rechten der heilige Joseph und zur Linken der heilige Antonius und auf beiden Seiten neben ihr zwei Jungfrauen. Alle sind in kniender Stellung, außer den Kindern. Die drei Weiber haben treffliche Gewänder; besonders ist das Mädchen zur Linken, von welchem man den bloßen linken Fuß sieht, ganz wollusterregend und göttlich, so zeigt sich das Nackende und die schöne Form des Unterleibs, der vollen Hüften und Schenkel; das Gewand macht eine ungekünstelte Falte zwischen den Schenkeln und zieht sich im Knien an; das lüsterne Auge des Meisters sah diesen Reiz der Natur ab. Die jungen Brüstchen schwellen lockend über dem Gürtel hervor. Die Kleidung von allen dreien ist rot, griechisch, wie leichte Hemder. Die Gesichter sind voll Huld, und die Madonna hat besonders etwas mütterlich Süßes in Aug und Mund und blickt in stiller Entzückung nieder. Alle sind vertieft in die Kinder, die aufeinander kindlich zeigen und sich freuen. Der Kopf des heiligen Joseph ist zugleich gemalt wie vom Tizian nebst dem herrlichen Ausdruck. Der heilige Antonius allein weicht sehr von den andern ab und ist mittelmäßig durchaus, als ob er ihn nur weggejagt hätte, um fertig zu werden. Alles andre ist mit Liebe entworfen, und es herrscht die stille Raffaelische Empfindung. Nach Rom kann man Raffaelen zu Perugia am besten kennenlernen. Das meiste von ihm ist hier in der Kirche des heiligen Franziskus. Überhaupt will ich Dir in Perugia nur drei Stücke von ihm vorzüglich empfehlen, eins aus seinem Knabenalter, eins aus seiner Jünglingschaft und eins, das er wenig Jahre vor seinem Tode vollendete, in einem Nonnenkloster vor der Stadt, welches zum Teil alles übertrifft, was er je aus sich hervorgebracht hat; das übrige wirst Du leicht einmal selbst finden. Die zwei erstern sind bei den Franziskanern; das jüngste, in der Capella degli Oddi, stellt vor die Himmelfahrt der Madonna. In der Luft empfängt sie der Heiland, ihr Sohn mit Engeln, die Musik machen, und krönt sie; unten stehen die zwölf Apostel an ihrem offnen Sarge. In der Einfassung, die auf dem Altar ruht, sind noch drei ganz kleine Gemäldchen angebracht: der Englische Gruß, die Anbetung der Heiligen Drei Könige und die Beschneidung. Alles ein himmlischer Inbegriff einer Menge schöner Gestalten, die in seiner Seele aufblühten. Der Kopf der Madonna ist heilig und selig im neuen Schauen; in einigen Engelsgestalten süße Anmut, besonders der mit der Handtrommel eine wahre Volkslust. Aber das Wunderbarste sind die zwölf Apostel; welche Charakter schon Paulus, Petrus und Johannes! Paulus hat viel von seinem Aristoteles, Johannes von dem aufblickenden Jüngling beim Bramante. In dem ersten Gemäldchen unten erscheint der Engel der Madonna in einem korinthischen Tempel. Sie betet und blickt erhaben vor sich hin, ohne ihn anzusehen; in einem Landschäftchen davor zeigt sich Gott der Vater und der Heilige Geist als Taube. In der Anbetung der Heiligen Drei Könige sind eine Menge Figuren, worunter einige voll Ausdruck mit Erstaunen. Die Hütte in zerfallnen Ruinen und das Landschäftchen ist kindlich angenehm und erfreulich. Die Beschneidung ist das beste unter den kleinen. Ein ionischer Tempel; die zwei Priester mit trefflichen Köpfen voll Charakter und Ausdruck, und die Seitenfiguren gefühlt und gedacht. Das Ganze ist freilich äußerst hart und die Formen unausgebildet; alle Natur arbeitet bei ihm nur auf das erste Bedürfnis: gestaltlos; aber das Wesentliche, wobei man das andre bei Anfängern übersehen soll. Das zweite ist die Abnehmung vom Kreuze. Das Gemälde hat zehn Figuren, fünf Männer und fünf Weiber, mit dem toten Christus und der in Ohnmacht gesunknen Mutter, die viel größer sind als im vorigen, ohngefähr zwei Drittel Lebensgröße. Es ist in zwei Gruppen geordnet; die eine macht der von zweien getragne Tote, und Joseph von Arimathias, und Magdalena, und hinten vermutlich noch Johannes: und die andre die Mutter mit den Jungfrauen; der den Leichnam bei den Beinen hält, verbindet sie beide. Die Hauptfiguren leuchten gleich hervor, der tote Jüngling, die schöne Magdalena voll Schmerz, und die Mutter. Besonders aber ist die Gruppe der letztern das Vortrefflichste. Alle Gestalten sind voll Seele, jede lebt, und empfindet dabei nach ihrem Charakter. Die Mädchen, welche die Mutter fassen, sind wie die drei griechischen Grazien; vorzüglich hat das, welches den Kopf derselben hält, eine Gestalt so tiefen großen Gefühls und hoher Schönheit durchaus in Formen und Bekleidung, daß man sie gleich zu einer Euripidischen Polixena brauchen könnte. Über die ganze Szene verbreitet sich ein sanftes Abendlicht. Dies war seine letzte Arbeit, bevor er nach Rom kam; und man sieht darin, wie sich seine Kunst schon ihrer Vollkommenheit nähert. Sie ist das Höchste aus dieser Zeit von ihm. Ich kann hier nicht unterlassen, ein Gemälde von Correggio anzuführen, welches dieselbe Szene vorstellt und in der Johanniskirche zu Parma in einer Seitenkapelle befindlich ist. Nach meinem Gefühl hat er alle übertroffen und erhält den Preis wie ein Sophokles: so streng und einfach und rührend, mit Verleugnung seiner sonstigen blühenden Farbenpracht und lächelnden Manier behandelt er die Begebenheit. Erblaßt und ausgestreckt liegt der göttliche Jüngling da. Magdalena sitzt an seiner Seite und vergießt für sich in Wehmut versunken heiße Tränen, wie eine untröstliche Geliebte; und der Schmerz der zärtlichen Mutter an seinem Haupt über das entsetzliche Schicksal grenzt an des Todes Bitterkeit. Ein trübes Regenlicht um sie her; alles in Lebensgröße. Man soll nie bei Bewunderung des einen schülerhaft gegen andre ungerecht sein. Raffael selbst Märtyrer für Amorn, hat ferner nie das Entzücken der Liebe, den höchsten Vorwurf vielleicht für alle bildende Kunst, mit so tiefem Seelenklang und heitrer Phantasie zugleich ausgedrückt als der bei seinen Lebenstagen unberühmte hohe Lombard, Ariosts Nachbar, in seiner Io; wenn ihm auch die antike kleine Leda, mit der im Stehen sich Zeus als Schwan begattet (welche treffliche wollüstige Gruppe ihr zum Zeichen eurer freien Denkungsart öffentlich gerade vor dem Eingange der Markusbibliothek aufstelltet), Anlaß zur ersten Idee davon gegeben haben sollte. Das dritte und Hauptgemälde von Raffael zu Perugia ist in dem Nonnenkloster zu Monte Luce, welches er drei Jahre vor seinem Tode vollendete. Ein Altarblatt, die Figuren völlig in Lebensgröße. Es stellt wie das erste vor die Himmelfahrt und Krönung der Muttergottes; aber alle Spur von seines Lehrmeisters enger und schmaler Manier ist hier verschwunden. Die zwölf Apostel stehen um den Sarg, statt der Madonna mit Blumen, Rosen, Lilien, Nelken und Jasminen, angefüllt, und blicken erstaunt auf, wo ihr Sohn sie von Wolken emporgetragen mit Engeln empfängt und krönt. Die Mutter ist eine der frischesten weiblichen Gestalten, noch blühend wie eine Jungfrau, doch voll edlem Ernst, wie eine Matrone, und heißer wunderbarer Empfindungen der Seligkeit, im Taumel neuer Gefühle, wie vom Erwachen, alles groß an ihr und herrlich schön. Sie faltet die Hände kreuzweis an die Brüste und blickt durchaus gerührt mit entzücktem Aug auf ihren Sohn. Ihr Gesicht ist nach ihm hingewandt, und man sieht ganz die rechte Seite und vom linken Auge nur den heißen Blick; große schwarze Augen mit einem zarten Bogen Augenbraue, und dunkelblondes Haar unter dem langen grünen Schleier, der sich hinter dem rechten Ohr hinabzieht. Christus ist feurig im Gesicht, wie ein sonnenverbrannter Kalabrier aus seinem starken Bart um die Kinnbacken, und sein ausgestreckter rechter Arm voll Kraft und Nerve, womit er ihr den Kranz aufsetzt. Der Engel mit Blumen in der Rechten an ihm hat einen Kopf voll himmlischer Schönheit, sonniglich entzückt; es scheint ihm überall Glanz aus seinem Gesicht hervorzubrechen. Die Anordnung durchaus ist reizend und bildet das schönste Ganze. Madonna ist oben in der Mitte, Christus zu ihrer Linken, an beiden ein Jüngling von Engel bekleidet, unter diesen bei jedem ein zart nackend Bübchen, und über allen der Heilige Geist in einem dichten Duft von gelbem Himmelsglanz. Die Auffahrt geschieht ganz gemach auf einer dunkeln dicken Wolke mit lichtem Saum und hat nicht das leichte Schweben wie in andern Gemälden davon; aber eben dadurch gewinnt die Handlung Natur und Majestät. Raffael hatte eine sehr reine klare Empfindung, die ihn minder fehlen ließ als andrer scharfer Verstand. Je länger man den Christus betrachtet, desto mehr findet man etwas übernatürlich Göttliches, das sich nur gütig herabläßt; das Demütige der Madonna vor ihm stimmt einen nach und nach dazu. Es ist etwas erstaunlich Mächtiges und Gebieterisches in seinem Wesen, das mehr im Ausdruck liegt als den Formen selbst; wunderbare Strenge und Güte miteinander vereinbart. Ich habe noch wenig neuere Kunstwerke gesehn, die den Eindruck in der Dauer immer tiefer und tiefer auf mich gemacht hätten. Je mehr man nachdenkt und fühlt und Gestalt nachgeht, desto wahrer findet man diesen Christuskopf. Ich kann von diesem Gemälde nicht wegkommen und möchte tagelang mit Wonne daran hangen. Hoher göttlicher Jüngling, der du warst, Raffael! Unsterblicher, empfang hier meine heißeste aufrichtigste Bewunderung, und nimm gütig meinen zärtlichen Dank auf. Es gehört unter das Höchste, was die Malerei aufzuzeigen hat, diese Mutter und dieser Sohn und die vier Engel um sie her; und ich kann mich nicht von der Herz und Sinn ergreifenden Wahrheit und Hoheit wegwenden. Die zwei Hauptfiguren sind ganz wunderbar groß gedacht, in der Tat Pindarische Grazie und des Thebaners Schwung der Phantasie bis in die Draperien, die mächtige Falten werfen. Welch ein Arm, Christus aufgehabner rechter mit den weiten Ärmeln! wie ganz vollkommen gezeichnet und gemalt, und welche wetterstrahlende Wirkung tut er in der ganzen Gruppierung! und wie bescheiden zeigt sich daneben das Nackende der Mutter und füllt leicht das blaue Obergewand! So kräftig hat er nichts anders gemalt, und nirgend anderswo sind seine Formen so vollkommen reif, stark in der Art Schönheit, die ihm eigen war. Die Apostel unten sind schwach und matt dagegen und nur wie verwelkend sterblich Fleisch, des Kontrasts wegen, aber durchaus vortreffliche Männergestalten, besonders Petrus und ein andrer im Vordergrunde, in Bewegung und Leben. Mit denen in der Verklärung sind in drei Gemälden allein sechsunddreißig Apostel; und in jedem sehen sie anders aus und keiner wie der andre; und doch scheinen die meisten trefflich zu sein und zu passen. Die Malerei ist wie die Musik; zu denselben Worten können große Meister, kann einer allein ganz verschiedne Melodien machen, die alle doch in der Natur ihren guten Grund haben; es kömmt nur darauf an, wie man sich den Menschen denkt, der sie singt. Nehmen wir zum Beispiel ein Lied der Liebe! Bei denselben Worten wütet ein Neapolitaner: und ein andrer im Gletschereise der Alpen bleibt ganz gelassen. Außerdem lieben wenige immer überein stark schon bei derselben Person; und es wird anders geliebt bei einer Blonden und Schwarzen, einer Sizilianerin von zwölf Jahren und einer nordischen Patriarchin. Und diese selbst lieben wieder anders Knaben, Jünglinge, Männer und Greise. Dichter und Maler und Tonkünstler nehmen von allem diesen das Vollkommenste, was am allgemeinsten wirkt, welches aber weder Rechenmeister noch Philosoph zu keinem Zeitalter bestimmt festsetzen konnten. Und dies hat die Natur sehr weislich eingerichtet; sonst würde unser Vergnügen sehr eingeschränkt sein oder bald ein Ende haben. Die Kuppel des Correggio zu Parma in der Johanniskirche, welche Christus' Himmelfahrt vorstellt, gehört zu einer besondern Gattung der Malertaktik und macht ein eigen Kunstwerk aus, das sich mit dem des Raffael, was malerische Wirkung betrifft, nicht vergleichen läßt, ohne diesem unrecht zu tun. Man erstaunt dort, wenn man in den Kreis tritt, und wurzelt am Boden fest wie bezaubert, und sieht: einen wirklichen Jüngling von übernatürlichen Gaben in ferne Höhen steigen, von dienstbaren Sturmwinden emporgetragen, die liebkosend mit seinem weiten Purpurmantel spielen. Selbst Apelles und Zeuxis und die ganze griechische Zunft würden dem Götterfluge mit entzückender Bewunderung nachschaun und keiner das Herz haben, zu sagen: anch' io son pittore! Florenz, Jenner. Ich habe mich unterwegs länger aufgehalten, als ich wollte, und auf meinem Gute bei Cortona verschiedne Anstalten zu Pflanzungen und beßrer Einrichtung der Gebäude gemacht. Die Kunstsachen, die ich in Rom teils ankaufte, teils schon bei dem Kardinal vorrätig fand, waren vor mir angekommen. Der Herzog empfing mich heiter und freundschaftlich und bezeugte alsdenn seine große Freude darüber, so wie Bianca und die andern Damen und Herrn vom Hofe. Man stand hier noch im Handel über eine nackende Venus vom Tizian und wartete nur auf meine Entscheidung. Sie ist ungezweifelt ganz von seiner Hand; und der Kauf wurde gleich richtiggemacht. Jetzt laß ich in der Galerie, die mein alter Lehrmeister Vasari erbaut hatte, ein Zimmer für das ausgesucht Vollkommenste zubereiten, das seinesgleichen hernach wohl schwerlich in der Welt haben wird, Belvedere ausgenommen. Von der griechischen Venus will ich den neuen untern linken Arm vom Ellenbogen an wieder abnehmen lassen, weil er allzu schlecht ergänzt ist; der rechte von der Schulter an ist zwar auch nicht zum besten, doch will ich noch damit warten. Es ist ein Wunder, daß dies hohe Meisterstück so glücklich brach, daß die Teile nichts gelitten haben und alle so gut ineinander passen. Die Figur der Göttin selbst ging in dreizehn Bruchstücke und das Ganze in die dreißig Trümmern. Der Kopf ist am Halse angesetzt und etwas klein in Proportion, wie aber bei andern griechischen weiblichen Bildsäulen; jedoch ganz von demselben Marmor, derselben Arbeit; der Zug des Halses paßt so trefflich und alles harmoniert so bis auf die allerschönsten Füßchen, daß an seiner Echtheit zur Figur keinen Augenblick zu zweifeln ist. Ein Gesicht voll hohem Geist und ionischer Grazie! Die Nase schießt nur ein klein wenig von der Stirn ab, nicht den dritten Teil wie ein Strahl im Wasser. Der Leib ist die frischeste, kernigste, ausgebildete Wollust; Brust und Schenkel schwellen markicht vorn und hinten. Sie hat durchaus den süßesten überschwenglichen Reiz eines soeben reif gewordnen himmlischen Geschöpfes vor der ersten Liebesnacht, welches Vater Homer mit dem Wundergürtel hat ausdrücken wollen. Sie hat ein Grübchen im Kinn: Zeichen von Fülle und Kraft zugleich und Reifheit der göttlichen Frucht, und nur halb eröffnete oder zugehaltne Augen, die das Innre nicht erkennen lassen wollen, sprödiglich. Kurz, es ist Erscheinung eines überirdischen Wesens, von dem man nicht begreift, wo es herkömmt; denn es hat hienieden keine Leiden ausgestanden, alles ist zur Vollkommenheit ungestört an ihm geworden. Selbst der schönste und edelste Jüngling unter den Sterblichen muß sich vor ihm niederwerfen; und das Höchste, was er verlangen kann, ist ein Moment, nicht Huldigung auf ein ganzes Leben. Schönheit, zur Reife gediehen und gedeihend, noch ungenossen. Das sich regendste Leben wölbt sich sanft hervor in unendlichen Formen und macht eine entzückende ganze. Adel, für sich bestehend, blickt aus den süßen lustseligen Augen, ein sonnenheißer Blick von Liebesfülle; flammt die Stirn herab, schwebt auf dem Munde, wo Stolz und Zärtlichkeit zusammenschmelzen. Die Mitte des Oberleibs ist kräftig und gar nicht dünn; die Schultern sind völlig so breit wie die Hüften und gehen noch darüber hinaus, sanft vom Halse herabgesenkt. Der Unterleib hat zwei zarte Einwölbungen, bis wo die Höhen der Freuden sich heben. Die Schenkel steigen wie Säulen hernieder und verbergen den Eingang der Lust mit einem gelinden Druck. Die Waden sind straff und voll bis an die Kniekehlen, ohne auszuschweifen. Sie erscheint von den Seiten her schmal und von dem Rücken breit; alles Fleisch lebt, und nichts ist leer und müßig. Aus dem Ganzen spricht jungfräulicher Ernst und Stolz, nichts Lockendes; es ist Inbegriff höchster weiblicher Liebesstärke. Sie blickt auf wie eine Jugendgöttin, von den Edelsten angebetet. Sie erhält den ersten Preis unter den weiblichen antiken Schönheiten. Ihr Gesicht schon für sich, das glücklich ganz unversehrt blieb, ergreift unaussprechlich reizend, mehr als irgendein andres, ist gewiß ursprünglich in der Natur selbst voll Geist und hohem eigentümlichen Wesen aufgeblüht und stammt wahrscheinlich von einer Lais oder Phryne. Bei der Niobe und ihrer schönsten Tochter, bei der Juno und einer kolossalischen Muse in Rom mag man mehr Erhabenheit finden; aber sie haben den lautern Quell von Leben nicht, der den Durst nach aller Art von Glückseligkeit im Menschen erquickend stillt. Hier ist alles beisammen, Körperreiz und Seelenreiz, Feuer und Schnelligkeit der Empfindung und heller ausgebildeter Verstand bei jedem Vorfall in der Welt. Doch was verschwend ich Worte darüber; komm und sieh! und fühle! und traure herzinniglich, daß sie nicht den Mantel von Dir sich umwirft, Dich zu begleiten. Tizians Venus wird eine schlimme Nachbarin an ihr erhalten. Diese ist eine reizende junge Venezianerin von siebzehn bis achtzehn Jahren, mit schmachtendem Blick, aufs weiße widerstrebende Sommerbett, im frischen Morgenlichte, faselnackend vor innrer Glut von aller Decke und Hülle, bereit und kampflüstern hingelagert, Wollust zu geben und zu nehmen; die, anstatt die Hand vorzuhalten, schon damit die stechende und brennende Süßigkeit der Begierde wie abkühlt und mit den Fingerkoppen die regsamsten gefühligsten Nerven ihres höchsten Lebens berührt. Bezaubernde Beischläferin und nicht Griechenvenus, Wollust und nicht Liebe, Körper bloß für augenblicklichen Genuß. Ihre Formen machen einen starken Kontrast mit der griechischen. Wie das Leben sich an dieser in allen Muskeln regt und sanft hervorquillt und hervortritt: und bei der Venezianerin der ganze Leib nur eine ausgedehnte Masse macht! Aber es ist schier nicht möglich, ein schmeichelnder und sich ergebender und süß verlangender Gesicht zu sehen. Sie neigt den Kopf auf die rechte Seite, sonst liegt sie ganz auf dem Rücken. Das linke Bein in schöner Form ist reizend gestreckt, und das erhobne rechte Knie läßt unten die süße Fülle der Schenkel sehen. Der Kopf hat die Gestalt nach der Natur, ist aber, hingelassen nachdenkend mit dem zerfloßnen Körper, matt und wenig gebildet gegen die Griechin. Die Blumen in der Rechten geben Hand und Arm durch den Widerschein bezaubernde Farbe und drücken den Leib zurück. Ihr Haar ist kastanienbräunlich und lieblich verstreut über die rechte Schulter mit einem Streif auf den linken Arm. Der Schatten an der Scham und die emporschwellenden Schenkel davor im Lichte sind äußerst wollüstig, so wie die jungen Brüste. Die großen grünlichtbraunen Augen mit den breiten Augenbraunen blicken in Feuchtigkeit. Sie ist lauter Huld, es recht zu machen in reizender sömmerlicher Lage, und gibt sich ganz preis, und wartet mit gierigem Verlangen furchtsamlich auf den Kommenden. Man sieht's ihr deutlich an, daß das Jungfräuliche schon einige Zeit gewichen ist, und sie scheint nur Besorgnis vor mehrern zugleich zu haben wegen der Eifersucht. Tizian wollte keine Venus malen, sondern nur eine Buhlerin; was konnt er dafür, daß man diese hernach Göttin der Liebe taufte? Sein Fleisch hat allen Farbenzauber, ist mit wahrem jugendlichen Blut durchflossen; was er darstellen wollte, hat er besser als irgend ein andrer geleistet. Unter den Antiken aber, die ich mitgebracht habe, ist ein himmlischer Bube, ein junger Apollo, welcher stark mit der Göttin wetteifern wird. Er lehnt sich mit der Linken an einen Stamm mit über den Kopf geschlagner Rechten; die ganze Stellung ist voll Reiz, besonders der schlanke Zug der rechten Seite. Das Gesicht blüht wonniglich selig und edel in seiner Gottheit auf. Das Leibchen ist äußerst zart gehalten, und doch regt und bildet sich alles. Es ist eine wahre Wollust, Venus und ihn zugleich von hinten zu sehen, das Weibliche und üppig Bübliche des Gewächses; Venus ist ein Schwall von hinten, etwas speckicht: Apollo lauter süßer Kern. Ebenso kernfleischig spaltet sich sein Rücken; die Schenkel sind am vollsten und schier zirkelrund. Die zwei Hände muß ich ergänzen lassen und noch die Nase. Der Ausdruck ist bezaubernd; er empfindet in sich und sinnt in Stille. Erste Ahndung von Verlangen in Ungewißheit, und doch mit dem entzückendsten Blick der Liebe. Zwei junge Ringer aus einem Block Marmor gehören unter die gelehrtesten Arbeiten, die uns aus dem Altertum übrig sind. Sie sind im schönsten Moment eines Ringspiels verflochten, und es kann dazu keine auserlesenere Stellung geben. Die angestrengten Sehnen zeigen ihre Kraft in höchster Stärke und doch nicht schroff, und nichts erscheint gekünstelt, wie unsre Meister schon bei Körpern in Ruhe prahlen. Noch hab ich Bruchstücke von einem Merkur, wo zum Ganzen nur die Hände fehlen. Das Gewächs ist zart und schlank, der Kopf voll Schönheit und Kraft und stellt einen klugen sinnreichen Jüngling dar. Er trägt einen Helm, wie einen Teller, mit Flügeln; die Haare waren abgeschnitten, und es sind kleine Löckchen wieder daraus geworden. Von Gemälden, deren viel sind, will ich Dir nur ein Paar von Raffael anführen: Papst Julius den Zweiten. Man kann nichts Wahrers von Gestalt sehen; und wie gemalt! Es hält sich neben dem besten Tizian. Erhabenheit und Scharfsinn im Nachdenken bilden ein Ideal von Heiligem Vater. Welch ein gediegnes festes Feuer in der ganzen Arbeit! Der schöne herabfließende Bart wie herrlich aufgesetzt! Hände, Stellung im Stuhl mit beiden aufgestützt, alles vortrefflich. Es ist die Natur. Die Stirn ist stark beleuchtet und geht hervor, und so fällt noch Licht auf den Bart; ein Meisterstück auch hierin. Das zweite ist ganz klein, wenig über einen Fuß lang und breit und von ihm die größte Seltenheit, jedoch mit aller Liebe in seiner besten Zeit vollendet. Gottvater sitzt auf einem Adler in den Lüften, von zwei Engeln, wovon besonders der rechter Hand wunderschön ist, an den Armen leicht gehalten; und unter ihm sind die vier Evangelisten mit ihren Tieren; dann Wolken, dann Erde mit Bäumen. Um den Ewigen vergeht eine Glorie andrer geflügelter Buben im Glanze. Der Kopf ist lauter Erhabenheit, ganz derselbe des Michelangelo in der Capella Sixtina, welcher die Sonne schafft. Das Nackende der Brust bis auf die bekleideten Schenkel in seiner Kleinheit vollkommen wie eine schöne Antike. Er stützt die Füße auf den geflügelten Stier und Löwen und sieht jovialisch gut und stark und mächtig in die Bestien und Menschen. Haar und Bart fliegen im Winde. Ein himmlisch Bildchen; reizende apokalyptische Laune! Bianca freute sich darüber kindlich; und ich hab ihr damit ein Geschenk gemacht, weil ich's für mich erkaufte. Der Herzog nahm es übergnädig auf, und sie drückte mir eifrig die Hand dafür. Die Schlaue stellt sich hochschwanger. Jetzt will er ihr einen Palast in eine unsrer angenehmsten Gegenden bauen lassen; und ich wurde gerufen, alles zu besorgen. Florenz, Februar. Florenz gefällt mir nicht mehr; ich gehöre nicht zu dem Hasengeschlechte, das nirgends am liebsten ist, als wo es geheckt ward. Unsre großen Männer haben wir gehabt; Tacitus sagt mit Recht, daß nach der Schlacht bei Actium in Rom kein großer Mann mehr aufstand. Wo der Bürger nichts mehr zu sagen hat, da ist es mit der Vaterlandsliebe eitel Ziererei. Ein so großer Freund ich auch von Geschäftigkeit bin, so ekelt mich doch die bloße Schuster- und Schneider- und Tuchknappengeschäftigkeit an. Romulus, der hohe Geist, verbot aus gutem Grunde jedem Mitgenossen seiner Republik die niedern Handwerke; und dies wurde hernach so zur Sitte, daß noch jetzt im dritten Jahrtausend die Teutschen und Spanier und Franzosen dieselben schier allein noch in den Ruinen der alten Herrlichkeit treiben. Sokrates wollte den nicht zum Gefährten durchs Leben, der auf Geld und Gut erpicht zu nichts Edlerm Muße hätte; und bei den stolzen Ottomanen kann der Überwundne und Sklave noch heutzutag alle Schuld deswegen aufs Schicksal schieben. Florenz macht einen starken Kontrast mit Rom, alles regt und bewegt sich, und läuft und rennt und arbeitet; und das Volk kömmt einem trotzig und übermütig und ungefällig vor gegen das Stille, Große und Schöne der Römer. Der Römer überhaupt hat gewiß einen höhern Charakter. Die Politiker mögen die menschlichen Ameisenhaufen rühmen und preisen, sosehr sie wollen, und diese selbst auf ihre Arbeitsamkeit sich noch soviel einbilden: Maul und Magen, denn dieserwegen geschieht's doch, ist wahrlich nicht, was den Menschen über das Vieh setzt! Wo nicht gemeinschaftliche Freiheit der Person und des Eigentums und Rang in menschlicher Würde vor seinen Nachbarn der erste Trieb und das Hauptband einer bürgerlichen Gesellschaft ist, veracht ich alles andre, und jedes Verdienst kömmt in kurze Berechnung. Der Boden trägt freilich auch viel hierzu bei; Rom hat das Mark von dem mittlern Italien und Toskana die Knochen, nach dem alten Sprichwort. Auch erhebt die Gegend nicht so, und Florenz fehlen die majestätischen römischen Fernen. An unserm Hofe herrscht eine unerträgliche Langeweile; alles muß sich in den Ton des Monarchen stimmen. Der Minister ist geschwind schon ein Chamäleon geworden und nimmt alle Modefarben an. Verschiedne von meinen angegebnen Einrichtungen sind wieder abgeändert, und die andern werden nachlässig betrieben. Alle Heilungsmittel eines Hippokrates sind vergeblich, wo die Natur sich nicht selbst hilft. Ich muß auf und davon, weil ich das Verderben nicht mehr mit Augen ansehen kann. Wenn man nichts Bessers weiß, so mag es sich ertragen lassen; o Griechenland und Rom, wie glücklich macht ihr unsre Phantasie und elend unser wirklich Leben! Aber wo soll ich hin in dem ganzen jetzigen Italien? Da ist keine Ausflucht, keine Sphäre für einen gesunden Kopf und Arm zu handeln. Mut und Geschick schmachtet überall ohne Gegenstand und Ausübung wie im Kerker. Um noch einmal von dem leidigen Minister zu reden: so hat der Fuchs ein paar bestialische Grundsätze angenommen, von welchen der erste ist: man dürfe nie gescheiter scheinen als der Herr; und der zweite: alle guten Köpfe, denn jeder ist ihm ein Dorn im Auge, besonders Gelehrten, in der Ferne halten. Für einen, der gern im trüben fischt, hätte sie kein Machiavell besser ausdenken können. Und bei den meisten Höfen erkennt man gleich daraus, daß da keine Philippe, Alexander, Cäsarn und Mark Antonine herrschen. Es kann eben keiner höher, als ihm die Flügel gewachsen sind. Florenz, Februar Unser Karneval ist mit einer wirklichen ungeheuern Tragikomödie beschlossen worden, die mir aber all mein Eingeweide, Galle und Lunge und Leber und Herz empört hat, so daß ich hier keine bleibende Stätte mehr finde. Bianca, wie ich Dir schon geschrieben habe, stellte sich die ganze gehörige Zeit vom Herzoge schwanger an, spielte ihre Rolle meisterlich und wählte dies festliche Geräusch, weil zugleich die erkauften Weiber auf dem Lande die Mutterwehen nahe fühlten, niederzukommen. Eine Woche lang tragodierte sie die Geburtsschmerzen, und der gute Herr war zitternd und zagend für ihr Leben bange. Endlich trat gegen Mitternacht die alte abgefäumte Kupplerin von Amme mit dem eben gebornen Knäblein, welchem der Mund mit Wachs verklebt und verbunden war, daß es nicht schreien konnte, in einer Schachtel unter dem Mantel, wie mit Gerät, zur Tür in einem Nebenzimmer herein und winkte das verabredete Zeichen. Bianca rief alsdenn mit Hand und Mund zum Herzoge, der mit dem Kopf in Armen am Fenster stand: »Geht, geht, o Teurester! o weh! ich fühle mich in der Entbindung.« Er ging freudig fort mit den eifrigsten Wünschen. Der Komödie wurde bald ein Ende gemacht. Die Alte tat das Kind heraus, nachdem sie das übrige der Szene täuschend zubereitet und die Gebärerin laut genug geächzt hatte, zog ihm das Wachs aus dem Munde, und dies fing an zu schreien. Sie eilte zum eingebildeten Papa und zeigte und frohlockte: »Euch ist ein Löwe, ein Löwe geboren, ganz Euer Gepräge! O seh Eure Hoheit das derbe gewundne Gemächtchen, wie es den Heldensamen verkündigt!« Ich beschreib es Dir aristophanisch, weil es sich geradeso zugetragen hat. Ihm war es Götterwonne, etwas Lebendiges von sich zu erblicken, was er noch nie schaute; und er krähte vor Jubel, gleichsam wie ein Hahn, ohne weiter ein Wort hervorbringen zu können. Dies ist eine Posse, welche jedoch große Folgen haben kann, die wir heiß durch die Kammerjungfer erfuhren. Diese und die Alte mögen sich vor der Hochstrebenden in acht nehmen, wenn sie nicht bald den Styx und Phlegeton wollen sieden und brausen hören. Der andre Auftritt aber ist gräßlich. Don Paolo, der Gemahl der Isabella, kam vor wenig Tagen von Rom und nahm einen gewissen Scherz und Leichtsinn an über ihre vorige Aufführung, bis er sie täuschte und sie froh sich wieder mit ihm versöhnt glaubte. Gerade dieselbe Nacht, wo Bianca ihre Farce spielte, so wunderbar fügen sich die Begebenheiten! führte er sie nach seinem Schlafgemach; sie hatte zwar Anstand, ihn zu begleiten, und hielt einigemal ein; ihr Geist mochte ihr Schicksal vorausahnden! Doch folgte das ergiebige Geschöpf endlich seinem Händedruck und hielt die racheheißen für liebewarme. Im Zimmer umarmt er sie und küßt sie und sinkt wie unenthaltsam mit ihr aufs Bett. Als sie auf der Breite desselben so hingestreckt liegt, wird ihr hinten ein Strick um den Hals geworfen von einem gedungnen Mörder und sie mit langer Marter erdrosselt. O du Elender! warum nicht kurz mit Gift, mit einem Dolchstich, wenn du sie doch aus der Welt schaffen wolltest? Sie wurde die andre Nacht schon zu ihrer Familie in die Kirche San Lorenzo begraben; und man sprengte aus, sie sei plötzlich an einem Steckfluß gestorben. Allein ihr schwarzes Gesicht war jedem, der sie zu sehen bekam, ein unverwerflicher Zeuge der Tat. Ihre Verwandten schweigen; aber Florenz murrt laut und bejammert das scheußliche Ende ihres noch so blühenden Lebens.32 März, bei Cortona. Der Herzog hat mir erlaubt, den künftigen Frühling hier auf meinem Gute zu sein; doch unter der Bedingung, daß ich zuweilen nach Florenz komme und den schon angelegten Palast der Bianca besorge. Übrigens hab ich dort eine gute Partei für mich zurückgelassen, und in manchem Hause lebt die Hoffnung, mich zum Gemahl und Schwiegersohn zu erhalten. Polybios und die Gegend ist nun mein Geschäft, und zur Abwechslung bau und pflanz ich. Der deutliche Sinn mancher Wörter in der Taktik der alten Griechen und Römer hat mir anfangs bei ihm zu schaffen gemacht; doch bin ich bald durchgedrungen und damit zu Rande gekommen. Dies ist ein Geschichtschreiber, wie sie sein sollen; der das verstand, worüber er schrieb, noch zur rechten Zeit lebte und Menschen und Örter kannte. Unter allen Heldenzügen ergreift mich keiner so wie der des Hannibal durch Italien; und es geschieht nicht bloß deswegen, weil ich Land und Boden und die Geschichte der kriegenden Völker besser kenne. Der des Alexander durch Persien ist romantischer und hat mehr barbarisches Getümmel um sich; aber der des Afrikaners hat mehr Einheit, Nerve und Kernathletengeist; und es ist ein ganz ander großes Naturschauspiel, zwei solche Republiken sich in den Haaren liegen zu sehn als einen bloßen Darius und Sohn Philipps. Von seinem Satz an über den wilden schnellströmenden Rhodan unter Avignon und kühnem Marsch durch die reißenden Wetterbäche, über den hundertjährigen Schnee und das schneidende Eis der gräßlichen tiefen Täler und himmelhohen Alpenklippen dünkt mich in jeder Schlacht nur ein olympisches Faustbalgerspiel zu sehen. In der bei der Trebbia, am Trasimenischen See, besonders am Aufidus, packt er überall mit seinem tapfer gebildeten Haufen so gewandt seinen starken ungelenken Gegner und wirft ihn zu Boden, und schlägt ihm Zahn und Nase und Ohren und Backen in einen blutigen Brei zusammen. Er verstand die Kunst zu siegen wie keiner, behandelte Armeen von Hunderttausenden vor und mitten und nach der Schlacht wie einen einzelnen Mann, an jedem Fleck, bei jeder Schwäche voll Vorsicht, Bewegsamkeit, Mut und Schlauheit und Gegenwart der Seele: bis auf so einfache Grundsätze hatte er das weitläuftige Kriegshandwerk von der ersten Jugend an gebracht. Halbgötter erkennt man erst recht bei wichtigen Zeitpunkten. Welche Reihe Taten nacheinander! Was sind Millionen Menschen gegen diesen einen, die ihr Leben lang nicht eine einzige solche Stunde haben! Ein Heldengedicht möcht ich singen über ihn von den Pyrenäen an bis wo die Scylla um den Fuß des Apennin rauscht. Wie ein echter unbezwinglicher rächerischer Löwe streift er Italien durch, reißt Rinder und blökende Herden nieder; und das vom Homer schon verbrauchte Gleichnis ist zum erstenmal wahr geworden. Das römische Volk, das seine Bildsäulen in die Straßen stellte, wo sie am furchtbarsten gesehen wurden, und sich hernach seinetwegen noch an den Mauersteinen von Karthago ereiferte, zeigt den Mann auch bei dem Feind, und anders als die ungerechten Horaze und Liviusse; und Virgil krümmt dem Überwinder bei Cannä mit seiner Hofspötterei der Dido kein Haar. Der Ausbund von Karthaginenser ging dem römischen Staatskörper auf das Herz los; und außerdem kannt er die Menschen gut genug, um zu wissen, daß jeder seine größten Feinde in der Nähe hat: und fand es so bei den welschen Galliern. Die Schlacht an meinem See ziert mir hier die Gegend ganz anders aus als Konstantins Schlacht vom Raffael das Vatikan. Die furchtbaren Wörter, die wunderbar davon noch immer übriggeblieben sind, als Ponte Sanguinetto,33 Ossaja,34 Spelonca 35 gehen mir immer wie eine Brandfackel in die Seele, wenn ich da herumreite, so daß ich zuweilen vor Hitze und Ungeduld nicht auf dem Pferde bleiben kann und herunter in ein Wirtshaus muß, um einen frischen Zug zu tun von Römergrimm, der hier ins Gras biß und noch die Weinfelder düngt. Treve, April. Ich schreibe Dir im Fluge, weil ich Dich künftigen Sommer bei mir haben muß, um Dir die Schönheit und den Reiz auch meiner Gegenden zu zeigen und sie mit Dir zu genießen, glücklicher noch, als ich mit Dir die Lombardei an Deinem Lago genoß. Mache Dich beizeiten auf und kehre bei meiner Tante zu Florenz ein, wo wir uns treffen werden. Ich lag bei Passignano, nicht weit von meiner Wohnung, auf einer fruchtbaren Anhöhe, wo man den See überschaut, unter hohen Ulmen und Eichen, zwischen alten Ölbäumen und Zypressen und blühenden Wipfeln, den neuen Gesang der Nachtigallen um mich, noch früh am Morgen; und tat nichts als hören und betrachten in Freude, wie ein Kind ohne weitere Gedanken; doch ahndeten süße Regungen in meinem Herzen entzückende Dinge. Und sieh! auf einmal reitet aus dem Hohlwege, mit einem Boten voran, ein junger Ritter hervor auf einem kastanienfarben königlichen Rosse, dem auf einem andern ein Mohr folgt. Eine Engelsgestalt der Jüngling, wie er näher kam in rundem Hut mit Federbusch, kurzem spanischen scharlachnen Mantel, Halbstiefeln, die vollen Schenkel und den schlanken Leib in weiches Leder gekleidet, ein blitzend Schwert über den Rücken an seinen Lenden und Pistolen im Sattel. Ich kannte das halbversteckte Gesicht und wußte mich nicht dreinzufinden. ›Ist sie es, oder täusch ich mich?‹ fuhr ich schnell auf, wie der reizende Ritter bald bei mir war. Er erblickte mich, hielt ein mit lächelnder Verwundrung, sprang vom Pferde: und Fiordimona und ich hielten uns umschlungen mit wonneglänzenden Blicken, gierigen Seelenküssen. Ich schrieb ihr noch von Florenz aus; auch sie begab sich ohne weitere Nachricht auf eins ihrer Güter in der Nachbarschaft, wovon sie mir nie etwas gesagt hatte, und kam nun, mich zu überraschen und zu einer Lustreise abzuholen. Zu Perugia, wo sie den Tag zuvor eintraf, saß sie gegen Morgen noch in der Dunkelheit auf und war bei mir in wenig Stunden. Sie blieb nur zwei Göttertage bei mir; alles, was zu Cortona Liebe fühlen kann, geriet schon im Vorübergehen bei ihrer Annäherung in eine solche Feuersbrunst, daß wir uns plötzlich in der Stille davonmachen mußten, damit meine Wohnung nicht wie Lots Haus belagert würde. Fiordimona veränderte ihre Kleidung in etwas, und ich gab ihr andern Hut und Mantel, um weniger bemerkt zu reisen. Sie scherzte selbst über ihren vorigen Putz und daß die Weiber ihn nie vergessen könnten, und so verkappten wir noch ihre Mohrin. Ich nahm meinen jungen treuen Schweizer Häl, einen Gemsjäger aus Wallis von den Quellen des Rhodan, mit mir; und Paar und Paar zogen wir in der Nacht ab. Vorher schrieb ich an den Herzog eine notwendige Lüge und an meine Tante um ein paar starke Wechsel. Zu Perugia weideten wir uns inniglich, nach eingenommenem Frühstück, an den Raffaelen, welcher ihr Liebling ist, und den Werken seines Lehrmeisters. Ritten dann die Höhen herab nach den anmutigen Tälern und über die Johannisbrücke, worunter der Tiberstrom reißend in rauschenden wilden Fluten wegschießt, und hielten Mittagsrast auf dem schönen Hügel Assisi im heiligen Kloster. Die Nacht blieben wir in Foligno. Den Morgen darauf zogen wir durch das reizende Tal, das an malerischen Schönheiten und Fruchtbarkeit seinesgleichen nächst der Lombardei vielleicht nur wenig auf dem ganzen Erdboden hat, und schieden uns bei Treve abgeredetermaßen. Sie begab sich wieder auf ihr Gut, welches nicht weit davon liegt und wo wir zusammenkönnen, wenn wir wollen. Mein Lustörtchen hat die schönste Lage der ganzen Gegend und ist an einen runden, nicht hohen Berg die Hälfte herum gebaut, der einen weiten Olivenwald ausmacht. Die Menschen scheinen sich wie Vögel in die Bäume mit ihren Häusern obenhin genistet zu haben. Man übersieht von hier aus das ganze Tal von Spoleto bis Foligno, Assisi und Perugia, und der Flecken heißt mit Recht der Balkon von Umbrien. Fiordimona hat ihren Aufenthalt in üppigen Gärten von Fruchtbarkeit und Lieblichkeit bei den Quellen des Clitumnus (le Vene), die am Fuß des höchsten Bergs im ganzen Umkreis, Campello, aus einem Felsen kommen, mit vielen uralten Feigenbäumen bewachsen, in unzählbaren Sprüngen. Es ist ein unaussprechliches Vergnügen, wie das klare, kristallhelle, frische gesunde Naß aufquillt, von der Macht zu zarten Bläschen getrieben, unter dem erfreulichen Schatten, alles innerlich sich regt und bewegt und die Fülle von selbst auf ebner Fläche fortrinnt. Nahe dabei wallen sie in Bächen zu den Gärten Fiordimonens hinein und drängen sich da in einen lebendigen Teich zusammen, dessen Ufer hohe Ahornen, Pinien, Lorbeern, Reben und Haselstauden beschatten; und aus diesem strömt der Clitunno schon ein ansehnlicher Fluß, voll schneller Forellen, so daß ich in Italien keine so starke Quellen kenne. Etwa tausend Schritte davon steht ein kleiner Tempel mit korinthischen Säulen zierlich in der Ferne, obgleich aus spätern Zeiten, dem Flußgott zu Ehren, der den Römern ihr Vieh so weiß machte. Auch haben wirklich alle Rinder dieses Tals ein glänzendes Silberweiß und sind außerordentlich gutartig mit ihren ungeheuern großen Hörnern. Der Strom, denn diesen Namen darf man ihm wohl geben, bleibt das ganze lange Tal durch kristallhell. Ich gebe mich in meinem Wirtshause für einen Maler aus; und wahrlich ist da genug zu malen und zu zeichnen an Menschen, Vieh und den Bergen mit ihren herrlichen Formen und Tinten, wenn mir Zeit dazu übrigbliebe. Die ganze Nächte steck ich bei Fiordimonen, und wir müssen zuweilen unsern Brand bei der heißen Witterung in dem lieblichen See des Clitunno abkühlen, denn sie schwimmt wie ein Fisch, von zarter Kindheit dazu angelehrt; wo wir die Schwäne von ihrem Schlummer aufwecken, deren sie eine Herde darauf hat. Dieser König der Wasservögel ist ihr Lieblingsvogel; und wo gibt es auch einen schönern? und ein lockender lebendiger Bild der Lust, wenn sie ihre Hälse umflechten und vor Entzücken leis kreischen und zusammengirren und mit ihren Flügeln schlagen, daß der Gesang der Nachtigall davor verschwindet und zu geschwätzigem und unaufhörlichem Getön wird. Die meisten läßt sie wild fliegen; sie kennen das Plätzchen und kommen immer wieder. Morgen geht die Woche schon zu Ende, seitdem wir hier sind; Himmel, wie schnell! Wir wollten nur einen oder zwei Tage haltmachen, aber es war gar zu erfreulich. Sie läßt alles zurück, und die Mohrin, und begleitet mich allein. Übermorgen in der Nacht brechen wir heimlich auf und streichen weiter; im Hause glaubt man, daß sie nach Rom reise. Terni, Mai. Ich bin im Himmelreiche! Wie ein paar kühne Adler jagen wir durch die weiten Lustreviere! Freiheit, Quellenjugend und feurige Liebe und Zärtlichkeit! Gestern abend kamen wir durch den rauhen Wald und das wilde Gebirg von Spoleto hier an, und diesen Morgen sind wir gleich nach dem neuen Sturz des Velino in aller Frühe ausgezogen. Wir wollten ihn zuerst von oben betrachten. Der Weg dahin ist voll reizender Aussichten; die Berge wölben sich immer einer höher als der andre weiter fort gen Himmel, um gleichsam dieses Paradies ganz von der irdischen Welt abzusondern. Die Sonne ging eben auf, als wir nach der Höhe zu ritten, gerade über dem Gebirg den Felsenriß hinein, worin eine herrliche See von befruchtendem Taunebel in der Mitte schwamm. Der Wasserfall ist nun eine entzückende Vollkommenheit in seiner Art, und es mangelt nichts, ihn höchst reizend zu machen. Ein starker Strom, der feindselig gegen ein unschuldiges Völkchen handelte, muß sich, gebändigt durch einen tiefen Kanal stürmend, in wilden Wogen wälzen, mit allerlei süßem lieblichen Gesträuch umpflanzt, als hohen grünen Eichen, Ahornen, Pappeln, Zypressen, Buchen, Eschen, Ulmen, Seekirschen, und in die greuliche Tiefe senkelrecht an die zweihundert Fuß hinabstürzen, daß der Wasserstaub davon noch höher von unten heraufschlägt. Alsdenn tobt er schäumend über Felsen fort, breitet sich aus, rauscht zürnend um grüne Bauminseln, und hastig schießt er in den Grund von dannen, zwischen zauberischen Gärten von selbstgewachsnen Pomeranzen, Zitronen und andern Frucht- und Ölbäumen. Sein Fall dauert sieben bis acht Sekunden oder neun meiner gewöhnlichen Pulsschläge von der Höhe zur Tiefe. Das Aufschlagen in den zurückspringenden Wasserstaub macht einen heroisch süßen Ton und erquickt mit nie gehörter donnernder Musik und Verändrung von Klang und Bewegung die Ohren, und das Auge kann sich nicht müde sehen. Fiordimona jauchzte vor Freude in das allgewaltige Leben hinein und rief außer sich unter dem brausenden Ungestüm: »Es ist ein Kunstwerk so vollkommen in seiner Art als irgend eins vom Homer, Pindar oder Sophokles, Praxiteles und Apelles, wozu Mutter Natur Stoff und Hand lieh.« Gewiß aber läßt es sich mit keinem andern vergleichen und ist einzig in seiner Art; die große Natur der herrlichen Gebirge herum, der frische Reiz und die liebliche Zierde der den Sturz vor dem Fall umfassenden Bäume, das einfache Ganze, was das Auge so entzückt, auf einmal ohne alle Zerstreuung, so wollüstig verziert und doch so völlig wie kunstlos, nährt des Menschen Geist wie lauter kräftiger Kern. Wir saßen alsdenn wieder auf und ritten dem Velino oben weiter entgegen, bis wir eine kleine Stunde vor dem Sturz an seinen See kamen, worin er sich klarwäscht. Die Mannigfaltigkeit des Stroms von hier aus, der bald langsamere, bald schnellere Lauf, das mit schöner Waldung eingefaßte Bett überall, der See in seiner Rundung von einem Amphitheater sich nacheinander verlierender höchster Gebirge umlagert; alles, das fruchtbare Tal der Szene, der ehemalige Streit der Nachbarn um ihn, macht diesen Wasserfall immer wunderbarer und ergreifender. Man hat ihn schon abgemalt und zeigte mir gestern bei unsrer Ankunft die Kopie von dem Original. Aber gemalt bleibt er immer ein armseliges Fragment ohn alles Leben, weil kein Anschauer des Gemäldes, der die Natur nicht sah, sich auch mit der blühendsten Phantasie das hinzuzudenken vermag, was man nicht andeuten kann. Und überhaupt ist es Frechheit von einem Künstler, das vorstellen zu wollen, dessen Wesentliches bloß in Bewegung besteht. Tizian zeigt klüglich allen Wasserfall nur in Fernen an, wo die Bewegung sich verliert und stillezustehen scheint. Terni selbst, das Vaterland des Geschichtschreibers Tacitus, liegt äußerst angenehm zwischen lauter Gärten. An der Nordseite erhebt sich noch ein Bogen von Hügeln mit lustigen Landhäusern, meistens zwischen Ölbäumen, die einen kleinen Wald ausmachen. Aus der Nera, worin der Velino seinen Namen verliert, werden eine Menge Kanäle abgeleitet, die die Stadt und alles Land herum, unter immer lebendigem Rauschen, zur höchsten Fruchtbarkeit bewässern. Tivoli hatte einen so großen Reiz für die alten Römer, weil es nahe an Rom lag, und wegen der weiten Aussicht in die Ebnen herum bis ans Meer. Es hat etwas Feierliches, was Terni nicht hat. Aber dies hat im Grunde größere Natur um sich her und läßt an Fruchtbarkeit mit Tivoli gar keine Vergleichung zu; dieses ist dürres und ödes Land meistens und Terni lauter Mark. Die Römer verstunden zu leben! Sie genossen den wahren Reiz von jedem und wußten zu wählen aus tausenderlei Erfahrungen. Scipio der Jüngere wählte Terni, dessen Landsitz man noch zeigt, der Ältere Cajeta und seine erhabne Tochter Cornelia das Misenische Vorgebirg, welche letztern Örter wegen des Meers freilich über alles gehen; denn nichts ist doch lebendiger als das Meer und hat mehr Mannigfaltigkeit und Bewegung. O wie freu ich mich, das alte glückselige Bajä bald zu finden! Die Terner erweisen uns alle Ehre, und dies setzt Fiordimonen nicht wenig in Verlegenheit; sie befürchtet, erkannt zu werden; und außerdem wollen sich ihre mutwilligen Brüste, stolz auf ihre junge Schönheit, mit aller Kunst nicht vollkommen verbergen lassen. Dies macht mich oft lächeln und sie erröten. Wir begeben uns deswegen platterdings in keine sitzende Gesellschaft und sind gegen Abend wieder nach dem Wasserfall untenhin geritten; morgen eilen wir weiter. Unten ist man recht der Mutter Natur im Schoß und genießt die Höhen und Tiefen der Erde, ihr Schaffen und Wirken und die Fülle ihres Lebens. Ein enges Tal von neuen und äußerst reizenden Kontrasten; welsche Milde und Schweizerrauheit vereinbart. Himmelan strebende Gebirge, donnernder Wassersturz, hereinbrausende wilde Fluten; und daneben: die zarten Pomeranzen- und Ölbäume, Lorbeerngänge, süße Reben und Feigen; und mittendrin im Felsen eine Kapelle der heiligen Rosalia, die Bildsäule der Heiligen, die auf einem weichen Lager ruht, mit Blumen bekränzt, um sie her leisschwebende Engel.

Portici, Junius. Die Freude läuft mir durch alle Glieder, daß Du mich besuchen willst; o ein Götterjahr, dies Jahr in meinem Leben! Ich habe meiner Tante schon geschrieben, Quartier für Dich bereitzuhalten; bei meiner Ankunft hoff ich Dich zu Florenz zu treffen. Die nächsten Tage werden wir von hier abreisen. Von unsern Abenteuern hätt ich Dir so viel zu erzählen, daß ich jetzt nicht wüßte, wo ich anfangen sollte; ich verspar es, bis wir Herzen und Seelen mündlich gegeneinander ausschütten. O welch ein Jubel, mit Dir noch durch die bezaubernden Plätze von Umbrien zu streichen! Fiordimona und ich sind nun völlig ein Wesen, so zusammengeschmolzen von tausendfachem Entzücken; alles Hohe und Schöne, Kühne und heroisch Erduldende der menschlichen Natur ist in ihr vereinbart. Endlich werden wir denn doch noch das Band der Ehe der bürgerlichen Ordnung wegen tragen; aber wahrlich nicht deswegen, daß es uns zusammenhalten soll. O sie ist der glückliche Hafen aller meiner stürmischen Wünsche! Wir kennen uns nun von innen und außen bis auf unsre geheimsten Regungen. Unsre Reise war eine immerwährende Augenlust. Wir haben den Weg über Monte Cassino genommen. Hier fühlt man erst recht die Schönheit von Italien und hat sinnlich vor sich, wie sich der Apennin in seiner ganzen Majestät durch dessen Mitte lagert, zur Erfrischung mit seinen luftigen und waldichten Gipfeln für den Sommer und reizenden Tälern und Ebnen an beiden Meeren für den Winter. In weiten Kreisen türmt sich immer ein Gebirg über das andre, und das Farbenspiel geht in unendlichen Höhen und Tiefen durch alle Töne in süßen und furchtbaren Harmonien. Der heilige Benedikt hat trefflich für seine Schar gesorgt, und die Mönche zu Monte Cassino leben wie die Fürsten. Jeder hat seine drei Bedienten, das Kostbarste vom Lande zu essen und zu trinken und schläft in weichen Betten auf Stahlfedern. Das übrige versteht sich von selbst; aus Vorsorge bereitete ich meiner Fiordimona eine Krankheitsschminke und gab sie für meinen Bruder, einen Sänger, aus, der seiner Gesundheit wegen in die Bäder von Bajä zöge. Und kaum so sind wir durchgekommen; denn die schelmischen Faune witterten doch die blühende Gesundheit und das Fleisch wie Mandelkern unter dem angestrichnen Gelb. Ihr prächtiges Kloster liegt auf einem steilen Absatze von einem der höchsten Berge, von unten wie eine Burg des Zeus, nur daß umgekehrt von oben das Wetter des Jahrs wenigstens ein paarmal da einschlägt, und wird in kurzer Ferne von einem stolzen Amphitheater von Gebirgen umgeben, wo die Sonne bei ihrem Untergang immer neue zauberische Schauspiele hervorbringt. Wir haben uns nur einen Tag zu Neapel selbst aufgehalten und sind gleich aufs Land hieher gezogen, wenn man es Land nennen kann, denn Portici ist gleichsam nur Vorstadt; bewohnen den Garten einer jungen Witwe, von Tarent gebürtig, die mit Recht den lieblichen Namen Candida Graziosa führt, im besten Punkt, dies wirkliche Paradies zu beschauen; denn von Neapel aus ist das göttliche Meer zu eingeschlossen. Die Stadt selbst sieht man hier am wahrsten und besten; sie ist so recht ein Sitz des Vergnügens, voll Adel, voll der lebhaftesten Menschen, rundum in Schönheit und Fruchtbarkeit! zu strenger und erhabner Weisheit ist's fast nicht möglich, hier zu gelangen. Zur Linken die reizende Küste von Sorrent; dann die Fahrt nach Elysium Sizilien; dann die Insel der Freuden des Tiberius, Capri; dann die unendlichen Gewässer breit und offen, wo sich das Auge verliert; und daneben und darüberhin die alten Feuerauswürfe der Insel Ischia, und Procida, und den entzückenden Strich Hügel des Pausilipp, und das Gebirg der Kamaldolenser; welche bezaubernde Mannigfaltigkeit! Darunter wieder das Gemisch von unzählbaren Felsenhütten von Neapel, wo eine halbe Million Menschen sich gütlich tun; und bei uns, hinter dem schüchternen Portici, in schrecklicher Majestät Vesuv. Ein echter wonneschäumender Becher rundum, dieser große Meerbusen! Hier schwimmt alles und schwebt in Lust, im Wasser, am Ufer und auf den Straßen. Die Feuermassen scheinen dies Land der Sonne näherzurücken; es sieht ganz anders als die übrige Welt aus. Gewiß waren alle Planeten ehemals selbst Sonnen und sind nun ausgebrannt, und Neapel ist noch ein Rest jener stolzen Zeiten. Man glaubt in der Venus, im Merkur, einem höhern Planeten zu wohnen. Immerwährender Frühling, Schönheit und Fruchtbarkeit von Meer und Land, und Gesundheit von Wasser und Luft. Gleich die erste Woche haben wir uns mit der ganzen Gegend und der besondern Art Menschen bekannt gemacht; und den dritten Tag schon waren wir oben auf dem Vulkan und genossen den Anblick der höchsten Gewalt in seinem Krater, die man auf Erdboden schauen kann. Die Risse von unten heraus, trichterförmig, gehen über alle Macht von Wetterschlägen, auffliegenden Pulvertürmen und Einbrüchen stürmenden Meeres. Erdbeben, die Länder bewegen wie Winde Wasserflächen, sind dagegen nur schwache Vorboten. Man glaubt in die Wohnung der Donnerkeile wie ein Schlangennest hineinzusehen, so blitzschnell ist alles aus unergründlicher Tiefe gerissen, von Metall bespritzt und Schwefel beleckt: ein entzückend schauerig Bild allerhöchster Wut. Sein Gipfel besteht aus lauter Schlacken; dies gibt ihm von fern eine haarichte Riesengestalt. Dann wächst lauter Heide; und dann in der Mitte fangen Gärten und Bäume an. Der Vesuv ist augenscheinlich ein uralter Berg, dessen Krater einst zusammenstürzte, wovon die Risse noch an der Somma zu sehen sind. Alsdenn hat er sich vom neuen durch viele Ausbrüche wieder aufgetürmt. Vorher war es ein einziger Berg; jetzt mag er nicht so schön mehr sein, aber desto furchtbarer. Wir sind mehr als einmal oben gewesen, so hat uns dies Schauspiel und die Aussicht ergötzt. Unser Aufenthalt im Garten der Candida hat uns großes Vergnügen gewährt, aber auch viel von unsrer Freiheit benommen und ist Ursach, daß wir früher zurückreisen, als wir wollten. Nebenan bewohnt einen andern die Geliebte des Sohns vom Vizekönig, eine reizende Spanierin, kaum sechzehn bis siebzehn Jahre alt, sogenannte Gräfin von Coimbra. Diese brennt vor Leidenschaft gegen Fiordimonen; und Candida hat sich mit weniger Geschmack, aber besserm Instinkt in mich und meinen jungen Bart vergafft. Beide sind wir so belagert. Coimbra ist eifersüchtig auf mich und Candida auf Fiordimonen, und der Sohn vom Vizekönig ward es endlich auf uns beide und schöpfte Verdacht gegen alle. Die Komödie fing sich damit an. Wir kauften gleich bei unsrer Ankunft in Neapel eine Laute und Zither zum Zeitvertreib; und die erste Nacht in Portici hielten wir einen Wechselgesang. Coimbra ward entzückt schon von der Stimme Fiordimonens, die, möcht ich sagen, wie ein Arm so stark aus ihrer Kehle strömt mit aller Geschmeidigkeit und Mannigfaltigkeit, vom leisen Lispel bis zum Sturm und in Läufen von erstaunlichem Umfang, jeder Ton perlenrein und herzig. Den andern Abend hörten wir ein Lied von unsrer Nachbarin, wozu sie sich auf einem Psalter begleitete. Ihre Stimme ist nur schwach, einfach und von wenig vollen Tönen, aber silbern und süß von Empfindung; was sie sang, war ein Meisterstück spanischer Poesie, und wir haben davon nur die ersten Strophen behalten. Quando contemplo el cielo de innumerables luces adornado; y miro hazia el suelo de noche redeado en sueño y en olvido sepultado: El amor y la pena despiertan en mi pecho un ansia ardiente, despide larga vena los ojos hechos fuente, Oloarte, y digo al fin con voz doliente: »Morada de grandeza templo de claridad y hermosura, el alma, que a tua alteza Naciò, que desventura la tiene en esta carcel baxa escura? –« 36 Der Jüngling war vermutlich bei ihr; denn wir hörten hernach sprechen und seufzen und Stille zu Kuß und Umarmung in der dichten Laube. Ach, es war in der Tat ein schöner Abend! Kühlender Duft senkte sich nieder und hüllte nach und nach das Gebirg ein, alles wurde verwischt, und Form dämmerte nur unten, indes oben die reinen vollkommnen Sterne blinkten. Wir meinten, wir müßten uns sogleich mit dem Liede der holden Spanierin emporheben und unsre Stelle verlassen. Es ist unten doch alles so Nichts, wenn es nicht von dem klaren himmlischen Licht seine Gestalt empfängt! Dann ging der stille Mond am wilden dampfenden Vesuv auf; dunkel lag das Meer noch in Schatten und erwartete mit unendlichen leisen plätschernden Schlägen seine Ankunft. Die Menschen kühlen sich ab in den Fluten, machen Chorus und scherzen und genießen weg ihr Dasein. Es ist entzückend, wie man die Erde mit sich gen Osten unaufhaltbar fortrollen sieht und die ganze Harmonie des Weltalls fühlt! »Du bist glücklich, Mond«, seufzte Fiordimona; »du läufst deine Bahn ewig fort, dein Schicksal ist entschieden! Ach Gott, wer wüßte, was das Licht wäre, das so schön leuchtet, und es erkennen könnte! Es ist doch gewiß ein heilig Wesen; und tot ist es nicht, weil es sich so schnell fortbewegt! O wer in den großen Massen, Himmel und Meer und Mond und Sternen, Frescobaldi, an Deinem liebevollen Herzen immer so schweben könnte! Was dies für eine Ruh und Seligkeit ist! Man atmet so recht aus und schöpft mit jedem Zuge Lust und Erquickung!« Denke noch zu solchen Wonnelauten, unmittelbar von ihren Quellen, Kuß und Blick und Umarmung der Erhabnen! Coimbra machte hernach mit uns Bekanntschaft und redt uns zuerst an, als wir einander auf einem Spaziergange begegneten; ein durchaus gefühlig zartes Wesen, worin aber kühne Blitze von Leidenschaften herumkreuzen. Wörtliche Liebeserklärung erfolgte bald, wie Fiordimona sich, zu unerfahrner Jüngling, bei Händedruck und schmachtenden Seufzern und Blicken bezeugte. Fiordimona spielte ihre Rolle trefflich, um sich nicht erkennen geben zu dürfen und Tätlichkeiten bis zu unsrer Fortreise abzuhalten; und wir sind während der Zeit in der ganzen Gegend herumgestrichen und wenig anders zu Hause geblieben, als zu schlafen. Von Quartier wollten wir nur im höchsten Notfall ändern, wegen Anlaß vielleicht zu gefährlichen Auftritten. Am meisten sind wir zu Bajä, am Pausilipp und einige Tage an der Küste von Sorrento gewesen. Von allen diesen Zaubereien mündlich weitläuftig. Zu Bajä ist ein Wunder der Natur an dem andern; und in der alten Römer Zeiten war noch dabei ein Wunder der Kunst an dem andern, wovon die herrlichen Ruinen außer den Beschreibungen der Dichter zeugen. Was der Archipelagus sein muß, wo das immerwährende Leben so um unzählbare Inseln herumwallt, wie hier nur um drei oder vier! Glückliche Griechen! wenigstens zwei Drittel bewohnten und bewohnen noch schöne Seeküsten. Das Grabmal Virgils, an dessen Echtheit man keinen Grund zu zweifeln hat, ist in der Tat ein rührender Winkel, der innerste Punkt des alten Parthenope; der Mittelsitz der Ruhe von der See her, die Spitze des Winkels von der Bucht. Ich wünschte selbst an einem solchen Ort meine Asche; ohne Pomp, still, ein kleines Gemäuer. Es liegt gerad am Pausilipp in der Höhe über der vor alters durchgehauenen Grotte nach Pozzuolo. Die Pinien schienen allemal voll Ehrfurcht sich zu seinem Schatten zu neigen und nur leis zu bewegen, um seinen Schlummer nicht zu stören. Es ist schön, eine solche Stelle zu haben, wo sich die Erinnerungen an einen großen Menschen alle lieblich zusammensammeln! Das Denkmal an der mit so warmer und heller Empfindung gewählten Stätte ist mit mancherlei Gesträuch bekränzt; Efeu und wilde Weinranken schlingen sich überall herum; und auf der Decke selbst, wo in den vielen Jahrhunderten sich eine Schicht Erdreich festgesetzt hat, grünt es am dichtesten. Ein Lorbeer steigt in der Mitte stolz hervor, der nur nicht lange dauern wird, weil alle Reisenden, Dichter, Prinzen und Damen davon abbrechen, um Anteil an dem Ruhme des Unsterblichen zu haben. Man genießt hier Neapel und den erfreulichen Meerbusen in einem der schönsten Gesichtspunkte. Sorrent liegt von Bergen eingeschlossen in einem kleinen Tal, das die Form wie ein Hufeisen hat. Es ist das bezauberndste Plätzchen des weiten Paradieses der Gegend, wohinein das Meer noch eine besondre kleine Bucht macht. Dessen Ufer sind hohe senkelrechte Felsen, so daß es wie auf einer Bühne sich zeigt. Man muß aus der See eine halbe Stunde lang auf einem Wege von Terrassen hinansteigen. Die niedlichen Häuser und Palästchen stecken in einem Gartenwald von Öl–, Pomeranzen–, Zitronen- und Fruchtbäumen; hier wachsen die köstlichsten Melonen. Der Vesuv ist davon in seiner einfachsten, allergrößten und furchtbarsten Gestalt zu sehen, so stolz und erhaben, daß die höchsten Alpen davor verschwinden. Er sieht aus wie ein Wesen, das sich selbst gemacht hat, alles andre ist wie Kot dagegen, und der Dampf aus seinem offnen Rachen ist im eigentlichsten Verstand entsetzlich schön. An keinem andern Orte möcht ich seine Feuerauswürfe betrachten; es muß ein wahres Bild rasender Hölle sein. Unten am Fuß sind die Menschen mit ihren Wohnungen wie unschuldige Lämmer, die er sich zur Beute herschleppte; und die alte Mutter, die See, zieht vergebens zärtlich rauschend heran, sie zu retten. Ein entzückender Morgen, wie wir wieder Portici hinüber schifften! Ein leichter Nebel deckte dasselbe wie eine zarte Bettdecke. Auf dem Gewässer waren tausend Nachen, die unbesorgten Fische zu fangen, welche aus ihren Tiefen sich dem neuen Lichte näherten. Leis wallend, wie ein unermeßlicher Lebensquell, verlor sich das Meer in ein Chaosdunkel, woraus Capri kaum sichtbar in grauem Duft noch hervortrat. In blassem Purpur rötete sich auf den Apenninen der Himmel, und der Vulkan atmete schrecklich der Sonn entgegen in majestätischer Ruhe seinen schweren Dampf aus, der sich an den Seiten herabwälzt. Und nun steigt sie empor in Strahlenglut, vollkommen und unveränderlich, der Geist ihrer Welt, die alles mit Liebe faßt, und in ihrem Glanze spielen die Wellen. Was mir übrigens an Neapel doch nicht gefällt, ist, daß man weder Sonne noch Mond und Morgen- und Abendstern im Meer auf- und untergehen sieht. Nachschrift: Wir müssen fort, noch heute. Coimbra brennt in lichterlohen Flammen und drang gestern in einem herzbrechenden Briefe darauf, Fiordimona solle sie entführen. Candida schlich sich diese Nacht, aller feinen Wendungen überdrüssig, in mein Zimmer schier nackend und überraschte mich mit Fiordimonen, deren Geschlecht sie erkannte. Und Häl, der so treue, daß er selbst seinen Genuß bei dem Kammermädchen der Spanierin drangibt, verkündigt uns Mord und Tod und die ausgestellten Wachten und Posten des getäuschten Liebhabers. Diesen letztern Brief erhielt ich erst zu Florenz von seiner Tante, einer jungen Witwe ohne Kinder, voll Geist und Anmut im Umgang und mannigfaltigen Reizen. Ardinghello war noch nicht wiedergekommen bei meiner Ankunft daselbst, und sie erteilte mir anfangs über sein Ausbleiben zweifelhafte Nachrichten von fürchterlichen Begebenheiten, die sich hernach nur zu gewiß bestätigten. Doch vorher etwas von mir und meiner Reisegesellschaft! Ich habe aus seinen Briefen alles weggelassen, was meine Angelegenheiten betraf, um die Geschichte nicht zu verwickeln und weitläuftig zu machen. Auch ich stand auf dem Punkte, mich zu verheuraten, als meine Geliebte von der Seuche weggerafft wurde, die von Trient nach Verona und von da nach Venedig kam und sich hernach durch die Lombardei verbreitete. Ich folgte nun mit Begier der Einladung meines Freundes, um mich von den traurigen Gegenständen zu entfernen, und sagte davon Cäcilien. Sie konnte gleich vor Ungeduld nicht bleiben, die Reise mitzumachen. Noch hatt ich ihr immer nicht entdeckt, daß ich alles von ihr und Ardinghellon wußte; ich scheute die Lage, in welche mich dies versetzen würde. Nur gab ich ihr zuweilen von ihm Nachricht, mit Verschweigung seiner Liebesgeschichten, und sie hatten sich auch einander selbst geschrieben, welche Briefe mir aber nicht in die Hände gekommen waren, so daß ich nicht wußte, was für Wendungen er bei ihr brauchte und wie sie zusammen standen. Ich mochte mich nicht mehr dreinmischen und einem Tauben predigen, ließ aber nun doch, gewissermaßen dazu genötigt, der Sache ihren baldigen Ausgang. Cäcilia beredete gleich ihren Vater und ihre Mutter zu einer Wallfahrt nach Loretto. Von ihren Brüdern war einer zu Korfu, und der andre blieb zu Hause. Und so brachen wir denn in der Geschwindigkeit zusammen auf. Sie nahm ihr Söhnchen mit, einen kleinen Engel. Wie ein Vogel, der dem neuen Frühling zueilt, war alles an ihr. »O unsern Ardinghello muß ich doch auch gleich sehen!« hieß es zu Florenz. Das Gerücht war schon in der Stadt, daß er einen jungen Anverwandten des Papsts ermordet und sich darauf aus dem Staube gemacht habe. Ich sagt es ihr geradezu, damit sie bei keinem andern durch ihre Leidenschaft Verdacht erregte. »O Gott!« war ihr Wort; und blaß wie eine Lilie und verstummend begab sie sich beiseite. Ihre Eltern befürchteten darauf, sie habe die Krankheit. Sie litt Todesqualen, als sie ferner erfuhr, die Tat sei um Mitternacht vor dem Palaste der Fiordimona geschehen. Die Unglückliche liebte ihn wahrhaftig, und von Grund der Seele. Sonderbarerweise hielt sich in demselben Gasthofe Fulvia mit ihrem Gemahl auf; sie hatten Genua wegen der bürgerlichen Unruhen verlassen, worin schon verschiedne Edle dort ihr Leben einbüßten. Ein allgemeines Strafgericht schien wirklich über Italien nach dem Ausspruch der Gottesgelehrten wegen seiner Sünden und Bosheiten verhängt. Auch sie führte ihr Söhnchen, das sie aus voller mütterlichen Liebe selbst säugte, bei sich. Eine wahrhafte Bacchantinfigur, wie von einem griechischen Basrelief oder einer alten Gemme weg ins wirkliche Leben gezaubert! Die Glut schlug aus ihren schwarzen Augen, und ihre Lippen schienen berauscht zu dürsten. Auch sie mußte das Gerücht von Ardinghellon erfahren haben. Doch lief dabei noch ein andres herum: der Kardinal, Bruder des Großherzogs, habe den Anverwandten des Papsts ermordet, und nicht Ardinghello. Dieser sei entwichen, vermutlich, um nicht in Verhaft genommen zu werden und die Schuld für den mächtigen Kardinal zu büßen. So schwebten wir zwischen Furcht und Hoffnung. Fulvia machte sich nach Rom auf, obgleich vor kurzem erst aus dem Kindbette und von der von Genua nach Florenz gemachten Reise ermüdet, und wir bald ihr nach, um an die Quelle zu gelangen. Ich ging gleich zu Demetrin, welcher von nichts weiter etwas wissen wollte, als was jedermann sagte, ob ich ihm gleich meine Freundschaft mit Ardinghellon aus deutlichen Proben anzeigte. So schlau und sicher betrug er sich. Auch glaub ich, daß Ardinghellos Tante der ganzen Begebenheit kundig war; aber beide liebten ihn schier wie sich selbst, und bei solchen Gefahren kann man nicht genug behutsam sein. In Rom erfuhren wir noch, daß der Kardinal sich dieselbe Nacht, wo der Anverwandte des Papsts sei ermordet worden, die Hände und Arme von zwei der geschicktesten Chirurgen habe verbinden lassen, die ihm mit starken Wunden wären verhauen gewesen. Tags darauf hab er und Fiordimona Wache vor ihr Zimmer bekommen, seien aber bald wieder davon befreit worden; nur hätte der Papst ohne weitere Untersuchung Fiordimonen von Rom verbannt und auf ihre Güter verwiesen. Die Sache läge so vertuscht, und man laure Ardinghellon doch als dem Täter auf und habe Kundschafter allerorten nach ihm ausgesandt. Gewissere Nachricht konnten wir nicht erhalten. Wir reisten von Rom ab nach Loretto und hielten uns Sommer und Herbst in den Gebirgen des Apennin auf; Cäcilia und ich mit tiefer Trauer in der Seele, daß der Kardinal unsern Liebling heimlich möchte aus dem Wege geräumt haben. Nach und nach wurden wir vertrauter über diesen Punkt; sie gestand mir endlich von selbst ihre Leidenschaft und faßte Mut auf meine tiefe Treue, weinte wie ein Kind über ihre unseligen Schicksale und daß sie endlich hatte, wo sie ihr angeschwollnes Herz erleichtern konnte. So umschlang uns beide das Band einer vertrauten und innigen Freundschaft. Endlich im November erst empfing ich einen Brief von diesem, der schon im August geschrieben, aber von Demetri oder seiner Tante, denn von der letztern kam er zu mir, verspätet worden war. Mir dünkte, als ob ich von einem fürchterlichen Traum erwachte und den Glanz der Morgenröte schaute, als ich die Züge seiner Hand erblickte. Brindisi, August. Meine widerwärtigen Schicksale erheben mich mehr, als daß sie mich niederschlagen sollten; je stärker der Widerstand, desto gedrungner und geschwellter regt sich alles in mir. Ich glaubte schon in Genuß und Ruhe zu sein, und jetzt erst beginnen meine Arbeiten. Ich seh in ein neues Leben hin, und das hohe Getümmel ergreift meine Sinnen. Gut, daß ich nicht wie ein Kind hineinkomme! Das Leben des Jünglings ist Liebe, das Leben des Mannes Verstand und Tat. Ach, daß ich Dich nicht noch einmal sprechen durfte! Wir kamen bei Nacht zu Rom an; ich schickte Hälen mit meinen Pferden voraus und wollte mit Fiordimonen auf ihr Gut alle Vene nachfahren, um uns dort zu vermählen. Sie hatte deswegen in der Stadt verschiednes zu besorgen und mitzunehmen; aber es ist alles nun zerstört und zerrissen. Ich versteckte mich auf die drei oder vier Tage bei Demetrin, damit mich der Kardinal nicht wittern möchte; sie hatte mir manches erzählt, wie er sie mit seiner Liebe verfolgte und daß sie ihn nicht leiden könnte. Die zweite Nacht kam ein fürchterliches Donnerwetter ohne Regen über Rom, und es schmetterte Schlag auf Schlag, als ob alles untergehen sollte. Statt daß ich sonst große Freude an diesen Naturbegebenheiten habe und mich daran nicht satt hören und sehen kann, wurde mir diesmal selbst bang im Herzen. Der Mensch ist ein sonderbares Wesen und voller dunkeln Gefühle, die kein Philosoph aufklärt; es war gewiß Ahndung dessen, was mir bevorstand. Ich warf meinen Mantel um mich und nahm den bloßen Degen auf alle Gefahr unter den Arm und ging fort, um Fiordimonen in der schrecklichen Nacht nicht allein zu lassen; in ihrem Palaste waren den Sommer über nur ein paar alte Bedienten und Frauen zurückgeblieben. Sie hatte mir den Schlüssel zu einer Seitentür gegeben. Ich eilte, und ging oft wieder langsam, und hielt im Schritt ein. Endlich kam ich in das kleine Gäßchen an den Garten, wo ihr Schlafzimmer ist, und wurde plötzlich angefallen mit einem Dolchstoß in die Seite. Ich sprang zurück, Blitze machten die Finsternis hell und zum Tage; erblickte den Mörder, der mir nicht ausweichen konnte. Er rennte noch einmal auf mich zu, mich zu unterlaufen, und ich stieß ihn auf der Stelle nieder. Bei diesem allen wurde kein Wort ausgesprochen, indes der Donner um uns brüllte, daß die Erde dröhnte. Kaum war dies vorbei und ich im Begriff, den Leichnam wegzuschleppen, so tritt eine andre verkappte Gestalt auf und setzt mit Tigersprüngen auf mich ein, daß ich mit Not den Augenblick erhasche, mich zur Wehre zu stellen. »Vermaledeite Brut!« hört ich die Stimme meines Kardinals, der in die vorgehaltne Klinge mit der Brust lief, die ich bepanzert fühlte. Erstaunt und erschrocken über alle die Folgen, tat ich nichts als ihn von mir abhalten, gebrauchte meine ganze Stärke und war bald so glücklich, daß ich ihm den Degen herausschlug, hieb ihn auf die Hände, womit er in Raserei mein Gewehr fassen wollte, schonte sein Leben und lief dann davon und durch Nebenwege wieder zu Demetrin. Diesem erzählt ich gleich, was geschehen war, und vertraute ihm das Hauptsächlichste meiner Geschichte mit Fiordimonen; und sein großer edler Charakter erhielt hier Gelegenheit, sich zu zeigen. Er verbarg mich unerforschlich und half mir die folgende Nacht fort, nachdem wir erfuhren, daß der Ermordete, den wir zuerst für einen Banditen hielten, selbst Vetter des Papsts, der jüngere B*** sei. Auch dieser war wütend in Fiordimonen verliebt, ob sie mir gleich nie etwas von ihm gesagt hat. Meine Wunde ging nur gestreift über die Rippen weg; das Stichblatt vom Degen im Arm hielt den Stoß auf, und wir brauchten dazu keinen Chirurgen. Tolomei verkleidete sich mit mir in einen Franziskaner, und so sind wir die Pontinischen Sümpfe zu Fuß durch und von Capua durch Kalabrien nach Brindisi. Heroen, echte wie Theseus und Perithoos, wie Orestes und Pylades, Demetri und er. O der Mensch kann groß sein in jedem Zeitalter, und das Edle in seiner Natur bleibt immer irgendwo noch auf Erdboden! Fiordimona dauert mich; was kann das Feuer dafür, daß es brennt? Demetri hat kurze Nachricht vom fernern Erfolg an Tolomein nach Brindisi gegeben, unter andern Dingen, die er ihm meldete, dies wie im Vorbeigehen, wenn ohngefähr der Brief sollte aufgefangen werden: sie und der Kardinal haben des Mordes wegen Arrest bekommen. Um alles noch zu tun, was ich kann, hab ich selbst an den Heiligen Vater geschrieben, und an den Großherzog, und noch an den Kardinal; und ihnen allen die Natürlichkeit und Notwendigkeit der Begebenheit und meine Unschuld vorgestellt. Und nun denn hinein in die Wasserwelt; o wie klopft mir das Herz! O Vaterland, Vaterland, daß ich dich in Ketten und Banden sehen muß und von dir scheiden! Lebe wohl, schönes Italien, lebe wohl! Lebe wohl, Venedig, Genua und Rom! O du warst es wert, stolzes Land, vor allen andern einmal die Herrschaft über die Welt zu haben! Umarm und küsse Cäcilien statt meiner; das himmlische Geschöpf wird an keines andern Brust besser aufgehoben und glücklicher sein als der meines Freundes. Befürchtet keine Sünde; der Größte der Halbgötter gab Iolen mit der empfangnen Frucht seiner Liebe seinem eignen Sohne zur Gattin. Lucinde, du allein brennst mich auf dem Herzen; aber ich will alle Verfolgungen des erzürnten Himmels dulden, wenn ich's büßen kann. Lebt wohl, ihr Höhen des Apennin und ihr entzückenden Täler! wohl, du königlicher Po, und du, Tiber und Arno! ach, und ihr klaren Quellen des Clitumnus! Ein günstiger Wind schwellt die Segel, und ich flieg Ionien entgegen. Ich reiße mich von Eurem Herzen, o all Ihr Lieben, um Eurer würdig zu sein. Ardinghello Fiordimona war leider an allem schuld; sie mochte nun erkennen, wohin ihr schönes System führe. Sie hatte vermutlich erst dem Neffen des Papsts Gehör gegeben, und hatte dann dem Kardinal Gehör gegeben, und suchte beide loszuwerden, wie sie Ardinghello mit ganz andrer Lust und Freude und Schönheit und Inbrunst an sich fesselte; und dieser ließ sich in jugendlichem Taumel von ihren überschwenglichen Reizen fangen. Die verwegne Reise nach Neapel machte sie wahrscheinlich deswegen, um die erstern ganz von sich abzubringen, welche vielleicht auch den Weg zu den Quellen des Clitumnus wußten, und den Ardinghello in aller möglichen Lust ungestört zu genießen. Ein Weib kann seine Natur nicht verleugnen: sie kam den folgenden Winter mit Zwillingen von beiderlei Geschlecht nieder und fand es doch ihrem Stande gemäß, den Vater derselben als Gemahl zu besitzen. Die Mohrin mußte unter den heftigsten Drohungen ohne Zweifel dem Kardinal ihre Reise mit Ardinghellon anzeigen, konnte aber nicht sagen, wohin. Und zu Rom und alle Vene wurde voll Rache auf ihre Zurückkunft gelauert. In der Leidenschaft hatte das zärtliche Paar seine Maßregeln nicht behutsam genug genommen. Ardinghello wurde allgemein bedauert, und auch Fiordimonen tadelte man nicht sehr: sie machten miteinander das vollkommenste Paar aus, das man weit und breit hätte finden können. Das Verständnis der letztern mit dem Neffen und dem Kardinal ließ sich durch den Ausgang nur mutmaßen und blieb außerdem im verborgnen; ihre seltne Schönheit und hohe Naturgaben und Reichtümer sprachen übrigens für sie, und das Geschwätz der Weiber hielt man für Neid und gewöhnliche Lästerung. Jeder Triumph hat seine Schmählieder vom Pöbel hinterdrein; dies ist in der Natur. Der Mann im Purpurhute schwieg hierüber weislich und sagte nicht mehr, als was er sagen mußte, ins Ohr dem Richter. Ich habe hernach in lauter neuem Vergnügen vergessen, sie hierüber auszuforschen. Von den Gütern des Ardinghello wurde nichts eingezogen, der Kardinal mußt es doch groß finden, daß er sein Leben schonte, da er es in seiner Gewalt hatte; und seine Tante übernahm deren Verwaltung, als Schwester seines Vaters. Sie verkaufte einen Teil davon und tilgte die Schulden; der Edle hatte manchem Mann von Talent aus der Not geholfen und in eine bequemere Verfassung gesetzt, welches nun bekannt wurde. Erst den Frühling darauf erhielt ich wieder kurze Nachricht von ihm; ein Brief war unterdessen mit einem venezianischen Schiffe verlorengegangen, das im Sturm bei Korfu scheiterte. Im Hafen zu Scio, Mai. All mein Wesen ist Genuß und Wirksamkeit; heiter der Kopf, immer voll heller Gedanken, reizender Bilder und bezaubernder Aussichten, und das Herz schlägt mir wie einer jungen Bacchantin im ersten ganz freien Liebestaumel. Diagoras durchstreicht mit mir den Archipelagus, damit ich jeden gefährlichen Paß und alle Häfen kenne. Von Smyrna sind wir ausgelaufen, den langen Golfo durch, nach Mytileni, Tenedos, an den Dardanellen herum, nach Stalimene, den herrlichen Posten Skyros und von hier ferner in jeden guten Hafen der Kykladen. Jetzt sind wir an den Küsten von Asien und werden bis Rhodos, in den Golfo von Makri segeln und von dort nach Ägypten. Die Arbeit wird mir leicht; denn er hat von seinem Alten die trefflichsten Karten, woran wir wenig verbessern können. Überall weiß mein edler Führer, wo die neuern Helenen, Aspasien und Phrynen stecken, und hat mit mancher schon in Korsarenehe37 gelebt; Liebesgötter umgaukeln uns, sooft wir einlaufen. Demetri hat einen glücklichen Geburtsort gehabt. Scio ist die schönste Stadt aller griechischen Inseln; und die Rebenhügel und Täler und Gärten zwischen den Gebirgen im Innern des Landes mit ihren Pomeranzen–, Zitronen- und Granatenhainen, von klaren herabstürzenden Bächen erfrischt und belebt, sind entzückend und bezaubernd. Jedoch so schön ist alles, wie Du längst weißt, unter diesem seligen Himmel; fast immerwährender Frühling, und für die Sommerhitze kühle Nächte; dichte Schatten, spielende Seelüfte, Menge von Quellen und Überfluß an gesunden und erquickenden Früchten. Paradies der Welt, Archipelagus, Morea, Karien und Ionien, o daß ich würdig werde, euer ganz zu genießen! Die Griechen sind noch immer an Gehalt und Schönheit die ersten Menschen auf dem Erdboden, ihre Liebe zur Freiheit und ihr Haß gegen alle Art von Unterdrückung noch ebenso wie bei den Alten. Sobald sie nur ein wenig Luft bekommen von der ungeheuern Masse des Schicksals, die sie drückt, wie regt sich alles und ist Leben und Feuer! und wie halten sie an, wie blitzschnell durchdringt ihr Verstand bei Gefahr, übersieht das Ganze und schlägt den rechten Weg ein! Die Mainotten auf den Gebirgen von Sparta sind noch nie bezwungen worden, sie und Montenegriner, Illyrier und Karier Helden wie ihre Urväter bei Plataia. Kunst und mildere Sitten sind nur Ausbildung und machen weder eigentlichen Kern noch Genuß aus. Und der Hang zur Freude, zur Lust, zu Gesang und Tanz, wie klopft er dennoch ebenso in ihren Adern! und wie mächtig das Gefühl für Schönheit. O Du und Cäcilia, Ihr meine Geliebten, eilt hervor aus Euern Sümpfen! Ardinghello Im Herbste schrieb er mir von Sizilien aus, in dessen Gewässern er herumkreuzte und reiche Beute machte, ›am Fuß der Säule des Himmels, des stürmigen Ätna, aus dessen hohlen Eingeweiden die lautersten Quellen unergründlichen Feuers geworfen werden‹. Ulazal, der berühmte Kalabreser, das Schrecken der Mittelländischen See, welcher die türkische Flotte anführte und schon verschiedenemal die Spanier schlug, hatte ihn mit Freuden aufgenommen. Er tat sich bald hervor durch Verstand und Tapferkeit; bekam alsdenn eine Galeere unter seine Befehle, worin meistens italienische Renegaten und Griechen dienten; und es wurde durch Vermittelung des Diagoras, des Sohns vom Admiral, so unter der Decke getrieben, daß er nicht einmal seinen Glauben abschwören durfte und man dies für geschehen annahm. Er und dieser junge Held, sein Todesbundesfreund, streiften nun jeder mit einem kleinen Geschwader als raublüsterne Adler an den Küsten von Kalabrien, Sizilien und Spanien herum. Den Winter darauf machten sie den Anfang mit Ausführung eines der kühnsten und feinsten Plane. Der alte Ulazal und besonders sein Sohn galten alles bei dem jungen Sultan Amurath. Diese begehrten die Inseln Paros und Naxos, um eine italienische Kolonie hier anzulegen. Beide waren durch Krieg schier unbewohnt geblieben. Die wenig übrigen Griechen wollte man reichlich wegen ihrer Besitzungen entschädigen und an andre Örter verpflanzen, und zwar deswegen, weil die Abkömmlinge ihre eigne Religion auszuüben verlangten und damit weder stören noch darin gestört sein wollten. Es wären in diesem Jahrhundert mancherlei Sekten unter den Christen entstanden, die sich einander bis aufs Blut haßten und verfolgten, unter andern eine, die sich Todesleugner nennten und glaubten, daß die Natur ein ewiger Quell von Leben und der Trieb alles Daseins Freude sei; deren Meinungen mit der Lehre Mahomeds in wesentlichen Punkten übereinkämen. Zu dieser hielten sich die edelsten und reichsten Jünglinge und Frauenzimmer und hofften am ersten unter seiner Herrschaft Schutz. Ein Held aus ihnen, einer von ihren Anführern, habe flüchten müssen, diene bei ihnen und verrichte seinen Grundsätzen gemäß die tapfersten Taten. Eine Menge würde diesem nachfolgen, wenn sie Sicherheit für ihre Personen und ihr Eigentum wüßten. Der große Vorteil für sein Reich dabei wäre augenscheinlich; außerdem dürften wohl wenige Muselmänner an Feuer im Gefecht gegen die sogenannten Orthodoxen ihnen gleichkommen. Amurath wollte den Ardinghello sehen. Dieser trat auf in männlicher Jugend und Schönheit, kühn, als ob er selbst ein Sultan wäre, und gefällig wie vor einer Semiramis. Sie sprachen Neugriechisch miteinander, und Amurath blieb von ihm bezaubert; sie waren schier von gleichem Alter, und Ardinghello schmeichelte lieblich und mächtig seiner geheimsten Denkungsart. Sie erhielten, was sie wollten. Ardinghello schrieb gleich an Demetrin, den er bei seiner Schwäche faßte. Jeder Mensch, auch der festeste Charakter, hat seinen Grad von Schwärmerei; die reinste Vernunft so wie die geringste Insektenseele, ihre Ebbe und Flut unter dem Mond. Und sandte geheime sichere Werber aus nach Venedig, Genua, Florenz mit starken Summen zu Reisegeldern. Er kannte die vortrefflichste Jugend in allen diesen Städten, und sein Name schon allein war genug Verführung. Den neuen Frühling bewegte sich alles in den lustigen Inseln. Sie befestigten zuerst die Häfen von Paros und machten besonders den Hafen Nausa, wo die größten Flotten sicher liegen, ganz unüberwindlich. Demetri kam bald mit zwei Schiffen voll jungen tapfern Römern und blühenden Römerinnen in den zauberischen Gegenden seiner Geburt an, und Künstlern: Architekten, Bildhauern, Malern, äußerst mißvergnügt vorher über ihren Lebenswandel, und hatte seinen Abzug mit wunderbarer Klugheit bewerkstelligt. Sie brachen Marmor in den reichen Gängen des Bergs Kapresso zu Tempeln, öffentlichen Palästen mit Versammlungshallen; das alte Athen unter dem Perikles schien wieder aufzuleben. Und es lebte wirklich und verklärt auf. Nach Vertrag und Übereinkunft mit dem Ardinghello und Diagoras predigte Demetri erst insgeheim Auserwählten seine neue Religion; die mehrsten andern fielen hernach diesen bald bei, und endlich alle. Tolomei tat Wunder mit seiner Schönheit und einschmeichelnden Zunge. Wir waren meistens lauter unbefangne Jugend. Ein neues Pantheon wurde der Natur aufgeführt, ein Tempel der Sonne und den Gestirnen, ein Tempel der Erde, ein Tempel der Luft und einer auf einem Vorgebirg in die See hin thronend dem Vater Neptun, und dann noch ein Labyrinth angelegt von Zedern und Eichen zur künftigen schauervollen Nacht für Zweifler dem unbekannten Gotte. Der Tempel der Erde, der Tempel der Luft und das Labyrinth kamen nach Naxos, der Tempel der Erde in ein entzückendes Tal. Während der Zeit hatte Fiordimona den größten Teil ihrer Güter zu Gelde gemacht und überraschte mit einem kleinen Kastor und einer kleinen Helena den glücklichen Ardinghello; sie ward von der Coimbra begleitet, die sich mit List und Gewalt zu Neapel mit ihr einschiffte, und einer auserlesnen Schar. Ich konnte Cäcilien nicht länger widerstehen, ihrem Gram und Kummer. Sie schien dieselbe nicht mehr, die sie bei den großen Szenen ihres Lebens war; aber eben dies machte sie mir immer liebenswürdiger. Nach dem Tode meiner Braut und unsrer Reise glaubte man in Venedig allgemein bei unserm vertrauten Umgange, und selbst ihre Brüder und Eltern, daß wir uns bald vermählen würden. Sie verkaufte unter allerlei Vorwand ihre reichsten Güter; wir segelten, wie zu einer Lustreise, aus der alten Residenz des heiligen Markus nach Ancona, schifften uns dort ein nach Smyrna und kamen auch an. Welch ein Auftritt, Ardinghello, sie und ich! So hat die Freude ihren Nektarrausch noch in wenig Herzen ergossen. Alles ging nach Wunsch, nur Fulvia war unglücklich. Sie flüchtete auf einem Schiffe Genueser, dem man nachsetzte. Es kam bei dem Golfo von Tarent zu einem mörderlichen Gefechte, wo sie die volle Ladung eines Mörsers traf und in Trümmern zerfleischte. Die jungen Helden schlugen sich jedoch durch und langten an, und brachten zugleich die Nachricht: Lucinde sei zu Lissabon, vermählt mit dem Florio Branca, welchen der König zum obersten Admiral seiner ganzen Schiffahrt gemacht habe. Gabriotto band dem Ardinghello nichts auf, als er ihm erzählte, ein portugiesischer Prinz sei der wahre Vater von Lucinden. Dieser war vor kurzem auf den Thron gestiegen und ließ nun die provenzalische Frucht seiner Liebe aufsuchen, weil er mit seiner Gemahlin ohne Kinder blieb. Und Lucinde kam schon vorher in der klösterlichen Einsamkeit wieder zu sich von ihrer Leidenschaft, wofür sie genug gebüßt hatte, und ließ ihren wohl größtenteils verstellten Wahnsinn. Sie ward wie im Triumph mit einem prächtigen Schiff unter Bedeckung von andern abgeholt. Die Großen des Reichs lagen der himmlischen Schönheit bald zu Füßen; aber das edle Herz wählte seine erste Liebe. Ihre Ehe war äußerst glücklich; sie zeugten viel Söhne und Töchter, von welchen jene der Vater zu Helden bildete und diese die Mutter durch ihr unvergleichliches Beispiel zu trefflichen Wirtschafterinnen und frommen, zärtlichen und keuschen Frauen. Ardinghellon war ein ander Los beschieden, eine andre Glückseligkeit, von mancherlei Stürmen und Gefahren durchwütet. Mazzuolo brachte mit einem starken Trupp Florentinern Emilien noch in seine Arme, und er schien für jetzt Mahomed im Paradiese bei lebendigem Leibe. Demetri ward zum Hohenpriester der Natur von allen einmütig erwählt. Ardinghello zum Priester der Sonne und der Gestirne, Diagoras zum Priester des Meers. Fiordimona zur Priesterin der Erde und Cäcilia zur Priesterin der Luft. Coimbra und ich pflegten und warteten das Labyrinth. Demetri und Ardinghello und Fiordimona setzten Gesänge auf aus dem Moses, Hiob, den Psalmen, dem Hohenlied und dem göttlichen Prediger; und aus dem Homer, dem Plato und den Chören der tragischen Dichter und ihrer eignen Begeistrung im Italienischen für sich und die andern Priester und Priesterinnen und die Gemeinde, und erfanden heilige Gewänder in echter alter ionischer Grazie und Schönheit. Und die Feierlichkeiten ergriffen bei dem Reize für Aug und Ohr noch mit den starken Bildern aus wirklicher Natur den ganzen Menschen, daß alle Nerven harmonisch dröhnten wie Saiten, von Meistern gespielt, auf wohlklingenden Instrumenten. Alles leere Pöbelblendwerk ward verworfen, und wir wandelten in lauter Leben. Darauf richteten wir unsre Staatsverfassung ein nach Rom und Griechenland und studierten fleißig dabei die Republik des Lykurg, des Plato, die Politik des Aristoteles, und den Fürsten vom Machiavell, um uns vor diesem zu bewahren. Platons doppelten Bürgerstand, wo die eine Klasse die Ehrenstellen haben und die andre den Ackerbau treiben soll, vermieden wir weislich, behielten aber die Gemeinschaft der Güter gegen den Aristoteles. Der Haufen Übel, den wir dadurch verbannten, war allzu groß, und der scharfsinnige Prüfer aller zu seiner Zeit bekannten Republiken schien uns hierin die Vorurteile der Erziehung nicht genug abgelegt zu haben. Inzwischen fand noch immer Eigentum statt, nämlich öffentliche Belohnungen; und jedem blieb, was er mit sich brachte, bis ans Ende seiner Tage. Ferner waren die Weiber nach dem erhabnen Schüler des Sokrates, jedoch auch nur gewissermaßen, gemeinschaftlich, und so die Männer; das ist: jedes hatte völlige Freiheit seiner Person, und alle Gewalttätigkeit wurde hart bestraft. Für gute Ordnung war dabei wohl gesorgt; Männer und Weiber wohnten voneinander abgesondert. Den Weibern und Kindern überließen wir ganz Naxos, die schönste Perle aller Inseln, von den Alten schon wegen ihrer Fruchtbarkeit und Lieblichkeit das kleine Sizilien genannt. Ihr Wein und ihre Früchte haben an Köstlichkeit ihresgleichen nicht auf dem weiten Erdboden. Schade nur, daß sich jener nicht verführen, nicht einmal auf die See bringen läßt, ohne sogleich zu verderben. Wahrer Nektar, dem Himmel unentwendbar! Alles schien für uns, von der Natur selbst, schon vorherbereitet. Naxos hatte keinen Hafen für Schiffe, nur die Barken der Verliebten können anländen: hingegen Paros deren fünf, rundum einen immer schöner als den andern. Für die Jugend, bevor sie mannbar ward, hatte man noch andre Einrichtungen getroffen. Auch die Weiber hatten Stimmen bei den allgemeinen Geschäften und wurden nicht als bloße Sklavinnen behandelt, doch nur zehn Prozent in Vergleich mit den Männern. Fiordimona, die unbegreiflich allein – wer kann des Menschen Charakter fassen? – dem Ardinghello treu blieb, hatte dies durchgesetzt, wie noch andres Amazonenhafte für ihr Geschlecht; daß sie zum Beispiel auch Schiffe ausrüsteten und auf Streifereien ausliefen. Sie waren Mitglieder vom Staat, obgleich die schwächern; und ihnen blieb das Recht, gut oder nicht gutzuheißen, besonders was sie selbst betraf. Übrigens war immer der Hauptunterschied, daß die Männer erwarben und sie bewahrten. So schwang die Liebe in allerhöchster Freiheit ihre Flügel; jedes beeiferte sich, schön und liebenswürdig zu sein, und konnte sich weder auf Geld und Gut noch Pflicht und Schuldigkeit verlassen. Was die Bevölkerung betraf, wollten wir uns in der Folge nach dem Spartaner richten, von welchem die erstaunte Priesterin zu Delphi nicht wußte, ob sie ihn als Sterblichen oder Gott begrüßen sollte; die Kinder gehörten dem Staate, und der Tod dünkte uns bei weitem nicht das größte Übel. Kurz, wir vermieden alle die Unbequemlichkeiten, die Aristoteles und zum Teil schon Aristophanes in seiner weiblichen Volksversammlung bei solchen Einrichtungen berühren. Um jeden Tempel, auf Bergen und Anhöhen, mit den Aussichten auf die reizenden Inseln umher, war ein schöner Hain gepflanzt, bestimmt noch außer Festen zur Erziehung der Jugend. Nebenan führte man nach und nach Gymnasien auf. Wir hielten die Übung des Körpers für die Hauptsache, welcher alsdenn die Bildung des Geistes durch zweckvollen Unterricht und im Umgange leicht nachfolgt. Alle Tugenden und Künste müssen sich allemal nach dem gegenwärtigen Staate richten, wenn sie wirken und Nutzen bringen sollen, oder überhaupt jede Tugend nach der Person. Binnen wenig Jahren hatten wir schon alle Kykladen im Besitz und starken Einfluß auf dem festen Lande. Bei den Griechen, fast durchgehends heitern Sinnes, rotteten wir in gesellschaftlichen Gesprächen bald den Aberglauben aus und verschafften ihren Geistlichen auf anständigre Weise Unterhalt. Die Türken, die sich um uns, mitten im Meer, wenig bekümmerten, ließen wir in der Meinung, die verschiednen Tempel seien nur für verschiedne christliche Heiligen, als für den Heiligen des Feuers, der Wasser, der Lüfte. Überhaupt herrschte über diesen Punkt, die Fortpflanzung, und andre bei uns unerhörte Verschwiegenheit; wir schienen durchaus ein Orden dieser Tugend. Auf allen Fall hielten wir uns des Schutzes vom Sultan für versichert. Wir machten uns die gesellschaftlichen Bürden so leicht wie möglich zu ertragen und genossen alle Wonne dieses Lebens unter dem milden Himmelsstrich bei den ersprießlichen und allgemein beliebten Gesetzen; und das Ganze fügte sich immer lebendiger zusammen und wuchs zur reifen Schönheit durch neue auserwählte Ankömmlinge, worunter sich die schönste und heldenmütigste griechische Jugend aus beiderlei Geschlecht befand, die wir mit Behutsamkeit in unsern Geheimnissen einweihten. Kriegerische Schiffahrt und Handlung zwischen Kleinasien, dem Schwarzen Meer und den westlichen Ländern, und höchste Freiheit, süßes Ergötzen und frohe Geschäftigkeit im Innern, darauf zweckte alles; durch jene erhielten wir Sicherheit und verdienten Schutz, und durch beides gewannen wir Sklaven und Sklavinnen und Überfluß an allen Bequemlichkeiten. Bei aller dieser Seligkeit glaub ich jedoch, daß auf dem ganzen Erdboden kein andrer Platz war, wo man sich so wenig vor dem Tode scheute. Jeden Frühling war allgemeine Versammlung, worin wir die nötigen neuen Einrichtungen oder Abänderungen für das ganze Jahr trafen; sie wurde mit feierlichen Spielen und Lustbarkeiten beschlossen. Kurz, wir kamen beieinander, so verschieden auch mancher vorher dachte, in folgenden Grundbegriffen überein: Kraft zu genießen, oder, welches einerlei ist, Bedürfnis, gibt jedem Dinge sein Recht, und Stärke und Verstand, Glück und Schönheit den Besitz. Deswegen ist der Stand der Natur ein Stand des Krieges. Das Interesse aller, die sich in eine Gesellschaft vereinigen, bildet darauf Ordnung, stiftet Gesetze und innerlichen Frieden; alles richtet sich dabei, wie bei jedem andern lebendigen Ganzen, immer nach den Umständen. Der beste Staat ist, wo alle vollkommne Menschen und Bürger sind; und diesem folgt, wo die mehrsten es sind. Hier wird kein Nero gedeihen! Derjenige Mensch und Bürger ist vollkommen, welcher seine und seines Staats Rechte kennt und ausübt. Jedes hat fürs erste das Bedürfnis zu essen, zu trinken, mit Kleidung und Wohnung sich zu schützen und zu sichern, die Wahrheit von dem Notwendigen einzusehen und, wenn es mannbar ist, das der Liebe zu pflegen. Vermag es nicht, sich dieses friedlich zu verschaffen, so darf es dazu die äußersten Mittel brauchen; denn ohne dasselbe erhält es weder sich noch sein Geschlecht. Auf gleiche Weise geht es hernach mit den Bequemlichkeiten und Freuden des Lebens. Ein armer schwacher Staat mag sich an den ersten rohen begnügen; allein dieses ist zur Glückseligkeit nicht hinlänglich. Der starke und tapfre hat zu mehrerm Recht, eben weil er weitre Bedürfnisse hat. Das beste Instrument gehört dem besten Virtuosen, das königlichste Roß dem mutigsten und geübtesten Bereiter. Land für Themistoklesse und Scipionen, für Praxitelesse und Horaze keinen Mönchen und Barbaren. Wirkliche (nicht bloß eingebildete und erträumte) Glückseligkeit besteht allezeit in einem unzertrennlichen Drei: in Kraft zu genießen, Gegenstand und Genuß. Regierung und Erziehung soll jedes verschaffen, verstärken und verschönern. Der Krieg richtet greuliche Verwüstungen an, es ist wahr; bringt aber auch die wohltätigsten Früchte hervor. Er gleicht dem Elemente des Feuers. Es ist nichts, was den Menschen so zur Vollkommenheit treibt, deren er fähig ist. Das goldne Jahrhundert der Griechen kam nach den Schlachten gegen die Perser. Das goldne Jahrhundert der Römer war mitten unter ihren Bürgerkriegen, und ihr Geist fing an zu erschlaffen bei dem langen Frieden unter Augusten. Florenz ragt in den neuern Zeiten hervor bei innerlichem Tumult und Aufruhr. Die höchste Weisheit der Schöpfung ist vielleicht, daß alles in der Natur seine Feinde hat; dies regt das Leben auf! Sterben ist nur ein scheinbares Aufhören und kömmt beim Ganzen wenig in Betrachtung. Alles, was atmet, und wenn es auch Nestor wird, ist ohnedies in einer kurzen Reihe von Tagen nicht mehr dasselbe. Ruh und Friede ist ein herrlicher Stand, zu genießen und sich zu sammeln; aber der Mensch, ohne gereizt zu werden, träge, versinkt dabei in Untätigkeit. Besser, daß immer etwas da ist, das ihn aus seinem Schlummer weckt. Wir sollen einander bekriegen, weil kein höher Geschöpf es kann. Was das ganze menschliche Geschlecht betrifft, durch Meere und Gebirge und Klima, durch Sitten und Sprachen abgesondert, welcher Kopf will es in Ordnung bringen? Die Natur scheint ewig wie ein Kind in das Mannigfaltige verliebt und will zu jeder Zeit deswegen rund um die Erdkugel Skythen, Perser, Athen und Sparta. Das besondre Geheimnis unsrer Staatsverfassung, welches nur denen anvertraut ward, die sich durch Heldentaten und großen Verstand ausgezeichnet hatten, bestand darin: der ganzen Regierung der Türken in diesem heitern Klima ein Ende zu machen und die Menschheit wieder zu ihrer Würde zu erheben. Doch vereitelte dies nach seligem Zeitraum das unerbittliche Schicksal. Fußnoten 1 Es würde allzu weitläufig sein, die hier berührten Punkte der venezianischen Geschichte im Zusammenhange zu erzählen; wer sie noch nicht wissen sollte, kann leicht anderswo davon Nachricht finden. 2 Man stoße sich nicht an diese jugendlichen Ausfälle auf die römischen und florentinischen Schulen; in der Folge wird sich alles deutlicher entwickeln. Inzwischen liegt schon Wahres hier zum Grunde. Es ging dem jungen Mann wie allen, die in zu strenger Lehre standen: sobald sie in Freiheit kommen, verabscheuen sie das Joch. Allein treffliche Naturen bequemen sich nach und nach wieder zu dem Guten, was es mit sich brachte. 3 Sirmio, Augapfel aller Halbinseln und Inseln, die der Gott der Wasserwelt in süßen Seen und dem ungeheuren Meer umfaßt. 4 Du wirst sagen, daß jene Menschen, diese Götter erbaut haben. 5 In der Folge wird man den Begriff von Schönheit allgemeiner und richtiger und nicht mehr so jugendlich sinnlich finden. 6 ... der wie ein Meer aufsteigt in rauschenden Fluten. 7 Bei unsern teutschen Übersetzungen ist dies jedoch der Fall nicht; und wir haben recht, einzelne Namen zum Beispiel so echt altgriechisch dem Laute nach zu übertragen, als wir zu bestimmen imstande sind. Der Laut h wird inzwischen immer schwer mit einem Zeichen vollkommen richtig zu bestimmen sein, da ihn wahrscheinlich schon die Alten verschieden aussprachen; nämlich nachdem die zwei Vokalen waren, die er ausdrückte. Die neuern Griechen machten es nach und nach damit wie die Engländer mit ihrem ee und ea und ergriffen endlich noch eine festere Partie. Auch ist der Übergang von ee und ea in i den Sprachorganen leichter und natürlicher, als es auf dem Papiere aussieht. Den Neugriechen klingt außerdem hira oder hiri, aphroditi und so fort so zärtlich, weiblich und lichtvoll als uns cidli, silli und dergleichen. Auf ähnliche Weise ändern die Sizilianer das Toskanische um. Über Wohlklang eines Vokals vor dem andern läßt sich im allgemeinen nichts entscheiden; es kömmt auf jedes Wort selbst, den Gebrauch und das Ohr des Volks an. Was uns fremd lautet bei allen andern Nationen, lautet ihnen nicht fremd. 8 Fu amata dal Cosmo suo padre, di maniera, che era voce per la città, che egli avesse commercio carnale seco, sagt eine florentinische Handschrift aus der damaligen Zeit hierüber. 9 Man erinnere sich hier, daß Poesie in Italien so gemein war und noch ist, daß Handwerksleute Homerische Fabel und Mythologie kennen. 10 Mare senza pesce, donne senza vergogna, Uomini senza fede; hat vermutlich seinen Ursprung aus Venedig, der natürlichen Feindin von Genua. 11 Bianca war die Tochter eines venezianischen Edelmanns, Bartolomeo Capello. Dessen Palast gegenüber hatte das Haus Salviati zu Florenz eine Bank und darin zum Kassierer den Pietro Bonaventuri. Dieser verliebte sich in ihre aufblühende Schönheit, selbst jung und wohlgebildet, und klug und kühn, obgleich unter ihrem Stand und ohne Vermögen. Sie glaubte, er selbst habe Anteil an der Bank, und gab seiner Leidenschaft unter Versprechung der Ehe Gehör, schlich sich oft des Nachts zu ihm und kehrte vor Anbruch des Morgens wieder zurück. Einst, da sie auch die Tür von ihrem Hause angelehnt hatte, kam, wie damals in Venedig gewöhnlich, früh der Bäcker an die Fenster, um den Mägden zu sagen, daß der Backofen für den Brotteig geheizt wäre, und zog die Tür zu, in der Meinung, es sei gestern nachts vernachlässigt worden. Bianca war mit ihrem Geliebten eingeschlummert, und beide hatten sich verschlafen. Sie fand die Tür verschlossen, ohne zu wissen, wie es zuging, und erschrak. Eine alte Vertraute hörte weder auf Pfeifen von Bonaventuri noch Rufen. Sie trug die Frucht der Liebe schon unter ihrem Herzen; auf freie Einwilligung ihrer Eltern durfte sie nicht hoffen: Bonaventuri mußte mit ihr plötzlich sogleich nach Florenz durchgehen, wo sie zu Anfang ein kümmerlich Leben führte und die niedrigsten Arbeiten beim Vater ihres Gatten verrichtete; sie hatten sich nun vermählt. Hier wurde hernach der junge Herzog gegen sie entzündet, als er ihre Reize von ohngefähr auf einem Spazierritt am Fenster erblickte; und sein Hofmeister Mondragone, ein Spanier, und dessen Frau machten die Unterhändler. Der neue Liebhaber ernannte den Bonaventuri zum Guardaroba maggiore und schenkte ihm einen prächtigen Palast in Via Maggio, wo er mit der Bianca in allem Überfluß lebte. Als dieser aber sich bald zu übermütig betrug, so ließ ihn der Herzog bei Nacht auf der Straße ermorden, wo er sich noch lange wehrte. Ihr einzig Kind, eine Tochter mit Bonaventuri, wurde mit Ulyß Bentivoglio verheuratet und reich ausgestattet. Keine zwei Monate nach dem Tode der Johanna von Österreich, seiner Gemahlin, (einige Jahre nach dem gegenwärtigen Lauf dieser Geschichte) vermählte sich der Herzog mit Biancen in geheim; welches er ein Jahr darauf allen Höfen bekanntmachte. Nach Venedig sandt er den Grafen Sforza von Santa Fiore: und sie läuteten alle Glocken der Stadt, brannten die Kanonen ab und erklärten die Bianca für vera e particolar figliola della Republica; e cio in considerazione di quelle preclarissime e singolarissime qualita, che degnissima la fanno di ogni gran fortuna. Das ist: erklärten sie für eigentliche und vorzügliche Tochter der Republik; und dies in Betrachtung der glänzenden und außerordentlichen Eigenschaften, die sie vollkommen würdig jedes Thrones machten. Sie wurde darauf als Tochter von Sankt Markus noch einmal ihm öffentlich angetraut. Aus einer gleichzeitigen Handschrift. 12 Epicharmos; ›Traue nicht!‹ sagt er, ›dies ist alles Gelenk der Klugheit.‹ 13 Bruder des Großherzogs. 14 Platoni artifices disserendi, non interpretes naturae aut doctores sapientiae, war damals die Meinung. 15 Vielleicht sprach Poussin bei dieser Gelegenheit das folglich höchst einseitige Urteil aus, daß Raffael gegen die Antiken ein Esel wäre; denn was möchte sonst er selbst sein? 16 Hieron beim Xenophon spricht darüber anders aus Erfahrung. 17 Kyropädie, 8. B., 8. K. 18 Die Seiten sind hier und überall immer nach dem Bilde genommen. 19 Poussin hat es auch oft genug kopiert. 20 Nebst einigen Überbleibseln in Griechenland, die damals noch nicht bekannt waren. 21 Religion selbst kömmt nach dem Cicero her von relegere, dem fleißigen Lesen dessen, was über den Götterdienst war festgesetzt worden. Die dies taten, hießen religiosi. 22 Seine Lehre findet man kurz beisammen in folgenden Worten des Plato: thn ton allon apanton pysin, oy pisteyeis' Anaxagora, noyn kai pyxhn einai thn diakosmoysan kai exoysan. Kratylos 23 Sieh eben seinen Kratylos. 24 Das System des Preußen Kopernikus wurde am spätesten im Kirchenstaate angenommen, und Galilei war zu dieser Zeit kaum geboren. Man kann das Folgende für eine Prophezeiung auf ihn halten. 25 Ich habe dieses jugendliche Gespräch eine Streiferei in die Metaphysik damaliger Zeit, wo Aristoteles noch auf dem Throne saß, des Zusammenhanges wegen nicht ausgelassen. Wohl uns, wenn wir ein paar Jahrhunderte höher stehen! Ein Barbar aus Preußen, einer von der Themse hätte schon den tiefsinnigsten Griechen viel vergeblichen Kopfbrechens ersparen können. 26 Auch einige Alten hatten diese Idee; vom Licht käme das Auge, von der Luft das Ohr her, vom Wasser Geruch und Geschmack und von der Erde das Gefühl. 27 Im Griechischen, was hier im Original gebraucht wird, von schwimmen. 28 Über Pro und Contra in diesen Dingen sind wir jetzt durch gründlich denkende Männer, die es sich zum Hauptgeschäfte machten, besser im klaren. Demetri hat die Idee des Xenophanes (damals in Rom, wie es scheint, noch ziemlich unbekannt), die schon längst vor diesem da war und in den neuern Zeiten (nach dem Cartesianischen Beweise) in Europa, mit bewunderten Systemen darüber, allgemein angenommen wird, auf seine Art behandelt. Ich wollte nichts daran umändern und den ersten rohen Entwurf lassen, weil es immer wenigstens ein künstlerisches Vergnügen macht, auch des Geringsten eignen Gang wahrzunehmen. 29 Das Intelligibile, wie Leibniz in seiner Verteidigung der Dreieinigkeit, per nova reperta logica, sagt; so wie Gott der Vater das Intellectivum und der Heilige Geist, der von beiden ausgeht, die Intellectio. 30 Das Scharfsinnigste gegen das formlose Wesen findet man kräftig dargestellt im ersten Buche des Lucrez, an welchen Demetri und Ardinghello bei ihrer Unterredung nicht gedacht zu haben scheinen. Sein Nihilum ist gerade dasselbe. 31 Syme ist das Vaterland der Untertaucher in der Levante, eine kleine Insel mit einer Stadt bei Rhodi, dem großen Magazin der türkischen Seemacht. Niemand erhält das Bürgerrecht, ohne vorher Beweise seiner Geschicklichkeit im Untertauchen gegeben zu haben. Hernach werden sie in die Häfen weit und breit herum verschrieben und untertauchen. Gleichsam Akademien und Hallen von Metaphysikern; nur daß sie bei ihrer auch gefährlichen Kunst glücklicher sind und öfter Verlornes ergründen und fest packen als Plato und Leibniz. 32 Eine gleichzeitige handschriftliche Chronik meldet dabei, jeder habe gesagt: che bisognava aver rimediato prima, che il padre, e il Granduca Francesco, il Cardinale, & altri suoi fratelli si servissero del mezzo suo per cavarsi le lor voglie, e con le altre donne della cità menandola tutta notte fuori vestita da Uomo, e voler poi, ch'ella fusse stata santa senza il marito. Und macht den Beschluß mit ihr, nachdem sie von den andern schier ein gleiches erzählt hat: e questo fu il misero fine delle figliole del Duca Cosmo de Medici. 33 Blutbrücke. 34 Knochenberg. 35 Das Mordloch. 36 Wenn ich den Himmel betrachte, mit unzählbaren Sternen ausgeziert, und nieder auf den Boden schaue, von Nacht umgeben, in Schlaf und Vergessenheit begraben: So erwecken Kummer und Liebe in meiner Brust eine heiße Bangigkeit, und die Augen, zu Quellen geworden, vergießen einen Bach von Tränen, Oloarte, und ich sag endlich mit klagender Stimme: »Aufenthalt der Herrlichkeit, Tempel der Klarheit und Schönheit, welch ein böses Schicksal hält die Seele, für deine Höhen geboren, in diesem tiefen dunklen Kerker? –« 37 Ist in den griechischen Häfen so im Gebrauch, wie bei den Engländern die Soldatenehe.





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