Der Doppelgänger (Otto Rank)  

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Der Doppelgänger. Eine psychoanalytische Studie (English: The Double, originally published in Imago III.2, 1914, 97-164) is an essay by Austrian psychoanalyst Otto Rank on the theme of the 'double'.

Sigmund Freud wrote in The Uncanny:

"The theme of the 'double' has been very thoroughly treated by Otto Rank (Der Doppelgänger, 1914). He has gone into the connections which the 'double' has with reflections in mirrors, with shadows, with guardian spirits, with the belief in the soul and with the fear of death; but he also lets in a flood of light on the surprising evolution of the idea. For the 'double' was originally an insurance against the destruction of the ego, an 'energetic denial of the power of death'"

See also

Full text[1]

Full text of "Der Doppelgänger. Eine psychoanalytische Studie"

DER DOPPELGÄNGER

EINE PSYCHOANALYTISCHE STUDIE


VON


DR. OTTO RANK


1925

INTERNATIONALER

PSYCHOANALYTISCHER VERLAG

LEIPZIG/ WIEN /^ZÜRICH


7 tZT<<: r D0PPel * än *- B erschien zuerst in der Jmago, Zeitschrift für Anwendung der Psychoanalyse auf die Geisteswissenschaften, herausgegeben von Prof. Dr. Sign. Freud», III. Band (l 9 i 4 ) dann in des Verfassers „Psychoanalytischen Beiträgen zur Mythenforschung aus den Jahren 1912 bis 1914» (Internationale Psychoanalytische Bibliothek, Nr 4), Inter- nationaler Psychoanalytischer Verlag, Leipzig, Wien, Zürich 1919 In der zweiten Auflage dieses Sammelbandes (1922), die dann nur mehr die mytho- logischen Arbeiten im engeren Sinne vereinte, wurde sie jedoch weggelassen und erscheint hier zum erstenmal in selbständiger Buchform.

Alle Redite, insbesondere das der Übersetzung vorbehalten.

Copyright 1025 by „Internationaler Psychoanalytischer Verlag, Ges. m. b. H.", ty"i


'J


INTERNATIONAL

PSYCHOANALYTIC

UNIVERSITY

DIE PSYCHOANALYTISCHE HOCHSCHULE IN BERLIN


Gesellschaft für Graphische Industrie, Wien, III., Rüdengasse II


l


Partout oü j'ai voulu dormir,
Partout oü j'ai voulu mourir,
Partout oü j'ai touchd la terre,
Sur ma route est venu s'asseoir
Un malheureux vetu de noir,
Qui me ressemblait comme un frere.
Musset.


1


Die Psychoanalyse, die auf Grund ihrer Methodik gewohnt ist, jeweÜs von der aktuellen psychischen Oberfläche ausgehend, tieferliegendes und bedeutsames seelisches Erleben aufzudecken, hat am wenigsten Anlaß, einen zufälligen und banalen Aus- gangspunkt zur Aufrollung weiterziehender psychologischer Probleme zu scheuen. Es soll uns also nicht weiter stören wenn W ir die Entwicklung«- und Bedeutungsgeschichte einer altüber- lieferten Volksvorstellung, die phantasievolle und grüblerische Dichter auch zur Darstellung reizte, von einem „romantischen Drama" zurück verfolgen, welches vor kurzem die Runde durch unsere Kinotheater gemacht hat. Das literarische Gewissen mag sich damit beruhigen, daß der Verfasser dieses rasch populär gewordenen Stückes „Der Student von Prag" ein beliebter Schriftsteller ist und daß er sich an hervorragende, in der Wirkung bewährte Vorbilder gehalten hat; andere Bedenken gegen den innerlichen Gehalt eines so sehr auf äußerliche Wirkungen angewiesenen Schaustückes wollen wir so lange beiseite schieben, bis sich gezeigt hat, in welchem Sinne ein auf uralter Volksüberlieferung basierter Stoff von eminent psychologischem Gehalt durch die Anforderungen neuer Dar- stellungsmittel verändert wird. Vielleicht ergibt sich, daß die in mehrfacher Hinsicht an die Traumtechnik gemahnende Kino- darstellung auch gewisse psychologische Tatbestände und Beziehungen, die der Dichter oft nicht in klare Worte fassen kann, in einer deutlichen fund sinnfälligen Bildersprache zum



Dr. Otto Rank


Ausdruck bringt und uns dadurch den Zugang zu ihrem Verständnis erleichtert. Zumal wir aus ähnlichen Untersuchungen erfahren haben, daß es oft einem modernen Bearbeiter gelingt, dem eigendichen Sinn eines uralten und im Laufe der Über- lieferung unverständlich gewordenen oder mißverstandenen Stoffes auf intuitivem Wege wieder näherzukommen. 1

Versuchen wir zunächst, die schattenhaft flüchtigen, aber eindrucksvollen Bilder des von Hans Heinz Ewers stammenden Filmdramas festzuhalten:

Balduin, Pn^ Bottester Student und bester Pe4ter> hat scln Geld vertan und .«seine« wtisten T re ibe„ s Überdruß. Mißmutig wendet er sl* .von setaen Kumpanen und ihren Vergangen not der rZerü, Luschka ob. Da naht SK h ihm eta unheioüicher Alter und biete« iTSE an Im Gespr.4 m,t cuesem sonderbaren Abenteurer, ScapineUi, durch den Wald lustwanddnd, wird Balduin Zeuge eines Jagdunfalles der iunge" Komtesse von Schwarzenberg, die er aus dem Wasser rettet, lu £i

unbeholfen benimm, und J^Z^TJ^ZZ X^^

2TÄ2 dcr """ r atte ' aus -^ a -- -— rr

zweitln^X/ / ^ em ' erSKU " " ber ™ r StamKn ^ta AnH» "eines

ä!E& srjr ,os,sst - dem ^ durA * ?

^vornehmer Herr ha« der ehemalige arme Stade« Zu.ritt in Kreise er^ wo er dte verehrte Komtesse wieders ieht. Bei einem Ball hat er


Der Doppelgänger


Gelegenheit, ihr auf der Schloßterrasse seine Liebe zu gestehen. Das Mond- scheinidyü wird aber durch Dazwischentreten des Bräutigams gestört und von Lyduschka belauscht, die Balduin bald als Blumenmädchen in den Weg tritt, bald ihm auf halsbrecherischen Wegen unablässig folgt. Aus den süßen Gedanken an den ersten Erfolg seiner Liebeswerbung wird Balduin jäh durch die Erscheinung seines Spiegelbildes gerissen, das, an eine Säule gelehnt, auf der Brüstung der Veranda auftaucht. Er glaubt seinen Augen nicht zu trauen und wird erst durch die herannahenden Freunde aus seinem Dämmerzustand gerissen. Bei der Abfahrt steckt Balduin der Komtesse in ihr - vorhin fallen gelassenes - Taschentuch einen Zettel zu, auf dem er sie bittet, in der nächsten Nacht auf den Judenfriedhof zu kommen. Lyduschka schleicht der Komtesse bis in ihr Zimmer nach, um den Inhalt des Zettels zu erfahren, findet aber nur das Taschentuch und Balduins Krawattennadel, die ihm als Briefverschluß gedient hatte.

Am nächsten Abend eilt die Prinzessin zum Stelldichein; Lyduschka, die sie zufällig erblickt, folgt ihr wie ein Schatten. Auf dem einsamen Friedhof wandeln die Liebenden in herrlicher Mondnacht. Auf einer Weinen Anhöhe machen sie halt und eben ist Balduin im Begriffe, die Gehebte zum ersten- mal zu küssen, als er entsetzt innehält und auf seinen Doppelgänger starrt, der sich plötzlich hinter einem der Grabsteine gezeigt hat. Während Komtesse Margit, von der unheimlichen Erscheinung erschreckt, die Flucht ergreift, sucht Balduin vergebens, seines ebenso plötzlich verschwundenen Ebenbildes habhaft zu werden. /

Inzwischen hat Lyduschka das Taschentuch Margits mit Balduins Busen- nadel dem Verlobten der Komtesse überbracht, der beschließt, Balduin auf Säbel zu fordern. Da er aller Warnungen vor Balduins Fechtkunst nicht achtet, entschließt sich der alte Graf Schwarzenberg, der Balduin schon für die Rettung seiner Tochter verpflichtet ist, um Schonung seines künftigen Schwiegersohnes und einzigen Erben zu bitten. Nach einigem Widerstreben läßt sich Balduin das Wort abnehmen, seinen Gegner nicht zu töten. Auf dem Wege zum Duell kommt ihm aber im Wald sein früheres Ich mit dem blutigen Schläger entgegen und wischt ihn blank. Ehe Balduin noch an den 1 Ort des Duells kommt, sieht er von Ferne, daß sein anderes Ich den Gegner bereits getötet hat.

Seine Verzweiflung wächst noch, als er von da an im Hause des Grafen nicht mehr vorgelassen wird. Vergebens sucht er seine Liebe beim Wein zu vergessen; beim Kartenspiel sieht er sich seinem Doppelgänger gegenüber; Lyduschka lockt ihn ohne Erfolg. Er muß die Geliebte wiedersehen und schleicht bei Nacht - auf demselben Wege wie früher schon Lyduschka - in




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das Zimmer Margits, die ihn noch nicht vergessen hat. Er wirft sich ihr schluchzend zu Füßen, sie vergibt ihm und ihre Lippen finden sich zum ersten Kuß. Da bemerkt sie bei einer zufälligen Bewegung, daß neben ihrem Bild im Spiegel das seinige fehle; erschreckt fragt sie ihn nach der Ursache, da verhüllt er beschämt sein Haupt und grinsend erscheint in der Tür sein Spiegelbild. Margit fällt bei dessen Anblick in Ohnmacht und Balduin entweicht entsetzt, nunmehr auf Schritt und Tritt von dem grausigen Schatten gefolgt. Er flieht gehetzt durch Gassen und Straßen, über Wall und Graben, durch Wiese und Wald; endlich begegnet er einem Wagen, wirft sich hinein und spornt den Kutsdier zur höchsten Eile an. Nach einer längeren Fahrt in rasendem Tempo glaubt er sich geborgen, steigt aus und will den Kutsdier entlohnen - da erkennt er in ihm sein Spiegelbild Rasend stürzt er weiter; an allen Ecken sieht er die Spukgestalt, an ihr^ vorbei muß er in sein Haus stürmen. Türen und Fenster verschließt sicher. ;Er will seinem Leben ein Ende machen, legt die geladene P" t 1 bereit und schickt sich an, seinen letzten Willen aufzusetzen. Da steht d Doppelgänger wieder grinsend vor ihm ; seiner Sinne nidit mächtig, gr eift Balduin zur Waffe und schießt nach dem Phantom, das mit einem Schlage verschwunden ist. Befreit lacht er auf und glaubt sich von aller Qual erlöst Rasch enthüllt er den sonst dicht verhängten Handspiegel und [sieht sidi zum erstenmal seit langer Zeit wieder darin. Im selben Moment verspürt er einen heftigen Schmerz an der linken Brustseite, fühlt sein Hemd voll Blut und merkt, daß er angeschossen ist. Im nächsten Augenblick stürzt er tot zu Boden und Scapinelli erscheint schmunzelnd, um den Kontrakt über der Leidie zu zerreißen.

Das letzte Bild zeigt Balduins Grab an einem Wasser, überschattet von einer mächtigen Trauerweide. Auf dem Grabhügel Sitzbein Doppelgänger mit dem schwarzen unheimlichen Vogel, dem ständigen Begleiter Scapinelhs. Zur Erläuterung dienen die schönen Verse Mussets (La nuit de decembre) :

Oü tu vas, j'y serai toujours,

Juscpies au dernier de tes jours,

Oü j'irai m'asseoir sur ta pierre.

Über Sinn und Bedeutung dieser unheimlichen Begebenheiten will das Programm nicht lange im Zweifel lassen. Die „Grund- idee" soll die sein, daß die Vergangenheit eines Menschen ihm unentrinnbar anhaftet und ihm zum Verhängnis wird, sobald er versucht, sich ihrer zu entledigen; diese Vergangenheit soll


Der Doppelgänger


ll


sich in Balduins Spiegelbild selbst verkörpern, aber auch in der rätselhaften Gestalt der Lyduschka, die ihn aus seinem früheren Studentenleben her verfolgt. Es mag sein, daß dieser Erklärungsversuch - um einen solchen handelt es sich, nicht um das Herausheben der in der Sache selbst liegenden Grund- idee - in gewisser Beziehung genügen könnte, sicher aber xermag diese allegorisierende Deutung weder den Gehalt des Stückes zu erschöpfen noch den lebhaften Eindruck der Handlung voll zu rechtfertigen. Es bleiben noch genug auffällige Züge, die eine Erklärung fordern. Vor allem die Tatsache, daß der unheimliche Doppelgänger gerade nur „alle Stunden süßen Beisammenseins" mit der Geliebten stören muß und auch nur fcir sie - und den Helden selbst - sichtbar wird. Und zwar tritt er um so erschreckender dazwischen, je inniger die Liebe sich offenbaren will: beim ersten Geständnis auf der Terrasse erscheint das Spiegelbild gewissermaßen als ruhiger Mahner, bei der nächtlichen Liebesszene auf dem Friedhof stört es die intime Annäherung, indem es den ersten Kuß hindert, und bei der entscheidenden Versöhnung endlich, die mit Kuß und Umarmung besiegelt wird, trennt es die Liebenden gewaltsam für immer. So erweist sich der Held eigendich als unfähig zur Liebe, die in der rätselhaften Gestalt der charakteristischerweise von ihm nicht beachteten Lyduschka verkörpert scheint. Von seinem eigenen verkörperten Ich wird Balduin an der Liebe zum Weibe gehindert, und wie ihm sein Spiegelbild zur Geliebten folgt, so folgt Lyduschka der Komtesse wie ein Schatten: und beide Doppelgänger stellen sich zwischen das Heldenpaar, um es zu entzweien. Außer diesen bei Anwendung des allegorischen Schlüssels unerklärlichen Zügen ist vor allem nicht einzusehen, was den Verfasser - oder seine literarischen Vorgänger - dazu bewogen haben sollte, die Vergangenheit


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gerade in der Gestalt des selbständig gewordenen Spiegelbildes darzustellen; auch begreift man mit dem rationellen Denken allein nicht die schweren seelischen Folgen, die sich an dessen Verlust knüpfen, und am allerwenigsten den sonderbaren Tod des Helden. Ein dunkles, aber unabweisbares Gefühl, das sich des Zuschauers bemächtigt, scheint uns zu verraten, daß hier tiefe menschliche Probleme berührt werden und die Besonderheit der Kinotechnik, seelisches Geschehen bildlich zu veranschaulichen, macht uns mit übertriebener Deutlichkeit darauf aufinerksam! daß es das interessante und bedeutsame Problem des Verhält- nisses des Menschen zu seinem Ich ist, welches uns in seiner Störung als Schicksal des Individuums versinnbildlicht wird.

Um die Bedeutung dieses Grundproblems für das Verständni - des Stückes würdigen zu können, müssen wir die verwandten Motivgestalrungen in den literarischen Vorbildern und Parallelen verfolgen und mit den entsprechenden folkloristischen, ethno- graphischen und mythischen Überlieferungen vergleichen. Es soll daran deutlich werden, wie alle diese in die Urgeschichte der Menschheit, auf primitive Vorstellungen zurückgehenden Motive in einzelnen besonders disponierten Dichtern eine poetisch Gestalt gewinnen, die sioh in hohem Grade mit ihrem ursprüne liehen, später verwischten Sinne deckt und in letzter Linie auf das Urproblem des Ich zurückgeführt werden, das der moderne Bearbeiter, unterstützt oder genötigt durch die neue Darstellungs- technik besonders aufdringlich in den Vordergrund gerückt hat und eine so anschauliche Bildersprache sprechen läßt.


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„Ich denke mir mein Ich durch ein Ver- vielfältigungsglas ; alle Gestalten, die sich um mich bewegen, sind Ichs und ich ärgere mich über ihr Tun und Lassen." E. Th. A. Hoffmann.


Es ist kaum zweifelhaft, daß Ewers, der moderne E. Th. A. Hoff mann, wie man ihn nennt, zu seiner Filmidee haupt- sächlich von seinem literarischen Ahn und Meister inspiriert wurde, wenngleich noch andere Quellen und Einflüsse wirksam gewesen sind. 1 H o f f m a n n ist der klassische Gestalter des Doppel- gängertums, das in der romantischen Dichtung zu den beliebtesten Motiven zählte. Fast keines seiner zahlreichen Werke ist völlig frei von Anspielungen auf dieses Thema, in vielen bedeutsamen Dichtungen von ihm dominiert es. Das nächste Vorbild der Ewers sehen Gestaltung findet sich im Abschnitt III („Die Abenteuer der Silvesternacht") des zweiten Teiles der „Phantasie- stücke" und ist überschrieben: „Die Geschichte vom verlorenen Spiegelbilde." (I, S. 265 bis 279-) 2 Sie erzählt in seltsamer

1) Selbstverständlich soll damit die eigene persönliche Initiative, als die Haupttriebkraft der poetischen Produktion, nidit im mindesten unterschätzt werden. Daß Ewers den absonderlichen und okkulten Phänomenen des Seelenlebens seit jeher besonderes Interesse entgegengebracht hat, braucht Kennern seiner Werke nicht erst gesagt zu verden. Zu verweisen wäre nur auf sein letztes Drama „Das Wundermädchen von Berlin" (IOI2), das einzelne Beziehungen zu dem späteren „Student von Prag" verrät.

2) Sämtliche Hinweise auf Ho ff mann s Werke bezieben sich auf die fünfzehnbändige Ausgabe von Griesebach in Hesses Klassikern. Inzwischen ist ein neuer Meßterfilm „Der Mann im Spiegel", nach L. lh. A. Hoffmann bearbeitet von Robert Wiene, erschienen.


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Verknüpfung mit dem Phantasie- und Traumleben des „reisenden Enthusiasten", wie Erasmus Spikher, ein ehrsamer deutscher Ehemann und Familienvater, bei einem Aufenthalt in Florenz in das Liebesnetz der dämonischen Giulietta gerät und bei seiner Flucht wegen Totschlages eines Nebenbuhlers der Heiß- geliebten auf ihre Bitten sein Spiegelbild zurückläßt. Sie standen gerade vor dem Spiegel, „der ihn und Giulietta in süßer Liebes- umarmung zurückwarf"; sie „streckte sehnsuchtsvoll die Arme aus nach dem Spiegel. Erasmus sah, wie sein BÜd unabhängig von seinen Bewegungen hervortrat, wie es in Giuliettas Arme glitt, wie es mit ihr im seltsamen Duft verschwand." (I, S. 271) Schon auf der Heimreise wird Erasmus wegen seines zufällig entdeckten Mangels zum Gespött der Leute. Darum „ließ er überall, wo er hinkam, unter dem Vorwand eines natürlichen Abscheues gegen jede Abspiegelung, alle Spiegel schnell verhängen und man nannte ihn daher spottweise den General Suwarow der ein gleiches tat." (S. 274.) Zu Hause stößt ihn seine Frau von sich, während ihn sein Sohn verhöhnt. In seiner Verzweiflung naht sich ihm der geheimnisvolle Begleiter Giuliettas, der Dokto • Dapertutto, und verspricht ihm Wiedererlangung ihrer Lieb und seines Spiegelbildes, wenn er sich entschlösse, Weib und Kind dafür aufzuopfern. Die Erscheinung Giuliettas bringt ihn in neue Liebesraserei; sie zeigt ihm, wie getreu sie das Spiegel- bild bewahrte, .ndem sie das Tuch vom Spiegel zieht. „Erasmus sah mit Entzücken sein Bild der Giulietta sich anschmiegend- unabhängig von ihm selbst warf es aber keine seiner Bewegungen zurück." (S. 2770 Er ist nahe daran, den höllischen Pakt abzuschließen, der ihn selbst und die Seinen den fremden Mächten überliefern soll, als er, durch die plötzliche Erscheinung seiner Frau gewarnt, die Höllengeister hinweg zu beschwören vermag. Er zieht dann auf den Rat seiner Frau in die weite


Der Doppelgänger '5


Welt, sein Spiegelbild zu suchen, und trifft mit dem schattenlosen Peter Schlemihl zusammen, der bereits in der Einleitung zu der „Geschichte vorgekommen war, („Die Gesellschaft im Keller", ] S. 257 bis 26l) was darauf hinweist, daß Ho ff mann mit seiner phantastischen Erzählung ein Gegenstück zu der berühmten „wundersamen Geschichte" von Chamisso geben wollte, deren Inhalt wohl als bekannt vorausgesetzt werden kann.

Des Zusammenhanges wegen seien nur die wesentlichen Übereinstimmungen und Parallelen kurz hervorgehoben. Wie bei Balduin und Spikher, handelt es sich auch bei Schlemihls Schattenverkauf um eine Seelenverschreibung (Teufelspakt) und auch hier bekommt der Held Spott und Verachtung der Welt zu spüren. Als Analogie zur Bewunderung des Spiegelbildes ist die sonderbare Bewunderung des Schattens durch den grauen Mann hervorzuheben, 1 wie überhaupt die Eitelkeit einer der hervorstechendsten Charakterzüge Schlemihls ist („das ist im Menschen, wo der Anker am zuverlässigsten Grund faßt"). Die Katastrophe wird auch hier - wie in den bisher betrachteten Fällen - durch die Beziehung zum Weib herbeigeführt. Schon die schöne „Fanny" ist von der Schattenlosigkeit Schlemihls entsetzt und derselbe Mangel läßt ihn auch sein Lebensglück bei der liebevollen Mina verscherzen. Der bei Balduin offen hervortretende Wahnsinn im Gefolge der Katastrophe ist bei Spikher und Schlemihl, die sich schließlich beide dem Bösen noch zu entwinden vermögen, nur vorübergehend angedeutet. Nach dem Bruch mit Mina durchschweift Schlemihl „in irrem

1) „Während der kurzen Zeit, wo ich das Glück genoß, midi in Ihrer Nähe zu befinden, hab' ich, mein Herr, einige Male - erlauben Sie, daß idi es Ihnen sage - wirklich mit unaussprechlicher Bewunderung den schönen schönen Schatten betrachten können, den Sie in der Sonne, und gleichsam mit einer gewissen edlen Verachtung, ohne selbst darauf zu merken, von sich werfen, den herrlichen Schatten da zu Ihren Füßen."


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Lauf Wälder und Fluren. Angstschweiß troff von meiner Stirne ein dumpfes Stöhnen entrang sich meiner Brust, in mir tobte Wahnsinn."

Schon aus dieser Parallele ergibt sich die später von anderer Seite zu stützende Gleichwertigkeit des Spiegel- und des Schatten- bildes, die beide als selbständig gewordene Ebenbilder dem Ich entgegentreten. Von den zahlreichen Nachahmungen des Peter Schlemihl 1 sei hier nur das feine Andersen sehe Märchen „Der Schatten" erwähnt, das von dem Gelehrten erzählt, dessen Schatten sich in den Ländern der heißen Zone von seinem Besitzer freimacht und ihm einige Jahre später als Mensch wieder begegnet. Zunächst hatte der Schattenverlust ftir den Mann keinerlei üble Folgen - nach Art von Schlemihls Schicksal - gehabt, denn es wuchs ihm ein neuer, wenn auch bescheidener Schatten nach. Aber dem ersten sehr vermögend und ansehnlich gewordenen Schatten gelingt es allmählich, seinen ursprünglichen Besitzer sich dienstbar zu machen. Zuerst fordert er von ihm Stillschweigen über sein früheres Schattendasein, da er beabsichtigt, sich zu verloben. Bald treibt er jedoch die Kühnheit so weit, seinen ehemaligen Herrn wie seinen Schatten zu behandeln. Er erregt dadurch die Aufmerksamkeit einer Königstochter, die ihn schließlich zum Manne begehrt. Der Schatten sucht endlich seinen früheren Herrn gegen ein hohes Gehalt dazu zu bewegen, die Rolle des Schattens vor aller Welt zu spielen. Dagegen lehnt sich aber alles in ihm auf und er trifft Anstalten, den Usurpator seiner menschlichen Rechte zu verraten. Dieser aber kommt ihm zuvor und läßt ihn ins Gefängnis sperren; da er seiner Braut versichert, sein „Schatten" wäre verrückt geworden und halte sich für einen Menschen, wird es ihm leicht, noch am Abend der Hochzeit die heimliche Beseitigung des seiner Liebe ') Vgl. Goedecke, Grundriß der deutschen Dichtung VI, 149 f.




Der Doppelgänger W


gefährlichen Mannes zu bewirken und so sein Liebesglück zu

sichern.

Diese in einem bewußten Gegensatz zur Geschichte leter

Schlemihls gestaltete Erzählung verbindet die Fabel von den schweren Folgen der Schattenlosigkeit mit der Gestaltung des Motivs, wie sie beim Studenten von Prag vorliegt. Denn auch im Märchen Andersens handelt es sich nicht bloß um einen Mangel wie bei Chamisso, sondern um die Verfolgung durch den selbständig gewordenen Doppelgänger, der seinem Ich immer und überall - mit katastrophaler Wirkung aber wieder in der Liebe - hindernd in den Weg tritt.

Deutlicher ist wieder die Schattenlosigkeit betont inLenaus Gedicht „Anna", dem die schwedische Sage' von einem hübschen Mädchen zugrunde liegt, welches den Verlust seiner Schönhe,t durch Kindersegen fürchtet. Ihr Wunsch, immer so jung undschön zubleiben, treibt sie vor der Hochzeit zu einer geheimnisvollen Alten, die sie durch Zauber von den sieben ihr zugedachten Kindern befreit. In unwandelbarer Schönheit verlebt sie sieben Ehejahre, bis einst ihr Gatte im Monden- schein bemerkt, daß sie keinen Schatten wirft. Zur Rede gestellt, bekennt sie ihre Schuld und wird verstoßen. Nach weiteren sieben Jahren harter Buße und schweren Jammers, die ihre tiefen Spuren hinterlassen haben, wird Anna durch einen Ein- siedler entsühnt und stirbt mit Gott versöhnt, nachdem ihr vorher in einer Kapelle die Schatten ihrer sieben ungeborenen Kinder erschienen waren.

«) Dieselbe Sage hat F ran kl in der Ballade „Die Kinderlose" (Ges. Werke 2, U6, 1880) und Hans Müller von der Leppe ^ seinem Kronberger Liederbuch (Frankfurt 1805, S. 62) unter dem Titel „Fluch der Eitelkeit" behandelt. - Vgl. die auch über die verschiedenen Fassungen der Sage orientierende Arbeit von J. Bolte: „Lenaus Gedicht Anna

(Euphorion IV, 1807, S. 323)-

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Rank, Der Doppelgänger.


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Von entfernteren dichterischen Darstellungen des Schattenmotivs seien noch kurz genannt: In Goethes „Märchen" die Schilderung des R.esen der am Flußufer wohnt und dessen Schatten mittags unvermögend und schwach ist, um so mächtiger aber bei Sonnenauf- und -Untergang Lt-rt »an sich da auf den Nacken seines Schattens, so wird man, während er sich bewegt, zugleich mit über den Fluß gehoben. Um sich von dieser Beförderungsart unabhängig zu machen, baut man an dieser Stelle eine Brücke^ Aber wenn der Riese sich nun morgens die Augen rieb, so fuhr der Schatten seiner Fäuste so mächtig unter Menschen und Tiere daß alle zusammenstürzten. - Ferner Mörikes Gedicht „Der Schatten": ' E in Graf der ins Heihge Land zieht, läßt sich von seinem Weib Treue schwören Der' E,d ,st falsch, denn die Frau vergnügt sich mit ihrem Buhlen und sendet dem Mann einen Gifttrank nach, an dem er stirbt. Zur selben Stünde stirbt aber auch das ^ulose Weib, nur ihr Schatten bleibt unauslöschlich im Sa J bestehen - Endlich noch ein kleines Gedicht von Richard Dehmel Der Schatten , nach R. L. Stevens on,i das sehr hübsch die Rätselhaftigkeit ^attens für das Kind schilder, das nicht weiß, wozu es s^ntt"

„Das Sonderbarste an ihm ist, wie er sich anders macht - Gar n,cht wie artige Kinder tun, hübsch alles mit Bedach't. Und mancW sprmgt er schneller hoch als mein Gummimann- Und manchmal macht er sich so klein, daß keiner UmTaTkann.

(DcutsAe Chansons, Brettllieder, Leipzig, Ion, S. 64.)

Von den bisher betrachteten Gestaltungen des Stoßes, in denen der unheimliche Doppelgänger deutlich eine selbständig und sichtbar gewordene Abspaltung des Ichs ist (Schatten Spiegelbild), unterscheiden sich jene eigendichen Doppelgänger- faguren, die einander als reale und leibhaftige Personen von ungewöhnlicher äußerer Ähnlichkeit gegenüberstehen und die Wege kreuzen. Hoffmanns erster Roman „Die Elixiere des Teufels" (I8I4) basiert auf einer zu den sonderbarsten Verwechs- lungen führenden Ähnlichkeit zwischen dem Mönche Medardus

S t e v e n s o n hat übrigens das Problem der Doppelexistenz in seiner Fj-zählung „Der seltsame Fall des Doktor Jekyll und des Herrn Hyde" behandelt.


Der Doppelgänger l 9


und dem Grafen Viktorin, die - ohne es zu wissen -vom selben Vater stammen. Ihre merkwürdigen Schicksale sind nur auf Grund dieser mystischen Voraussetzung möglich und verständlich. Beide erkranken, vom Vater erblich belastet, an seelischen Störungen, deren meisterhafte Schilderung den Haupt- inhalt des Romanes bildet. 1 Der durch einen Sturz wahnsinnig gewordene Viktorin hält sich in seiner Krankheit für Medardus und gibt sich für ihn aus. Seine Identifizierung mit Medardus geht - allerdings nur unter Berücksichtigung der poetischen Lizenz - so weit, daß er dessen eigene Gedanken ausspricht, so daß Medardus glaubt, sich selbst sprechen zu hören, sein innerstes Denken als Stimme von außen zu vernehmen. 2 Dieses paranoische BÜd wird ergänzt durch die Beachtungs- und Verfolgungsideen, denen er im Kloster ausgesetzt ist, durch die Erotomanie, die sich an das nur flüchtig geschaute Bild der Geliebten knüpft, sowie das krankhaft gesteigerte Mißtrauen und Selbstgefühl. Auch wird er von der quälenden Idee beherrscht,

i) Vgl. O. Klinge, Hoffmanns Leben und Werke vom Standpunkt eines Irrenarztes. Halle (IQ02), 2. Aufl. I908

2) Eine psychologische Einsicht in diese Gestaltung des Doppelgangers verrät Dostojewskis Roman „Die Brüder Karamasow". Bevor Iwan Karamasow wahnsinnig wird, erscheint ihm der Teufel und bekennt sich als sein Doppelgänger. Als Iwan eines Abends spät nach Hause kommt, tritt ein unheinüicher Herr ein und erzählt ihm Dinge, von denen sich heraus- stellt, daß Iwan sie selbst einmal in seiner Jugend ausgedacht, aber wieder vergessen hatte. Er sträubt sich dagegen, die WirUichkeit der Ijscheinung anzuerkennen: „Nicht eine Minute akzeptiere ich dich als N^W«  Eine Lüge bist du, eine Krankheit bist du, emTrugbdd Nur weiß Idu** womit iA dich vernichten kann. - Du bist meine Hanuzination^ Dabist die Verkörperung meiner selbst, übrigens nur einer Seite ^ von nur meiner Gedanken und Gefühle, aber nur ^^^^JS dümmsten - Alles was sich schon längst überlebt hat, worüber icn

sin längst zu^er'anLen Ansicht gekommen bin . . •**£*£ 1 •• Ki i„\r \t<>n Du bist ich selbst, nur mit einer anderen

heran, als waren es Neuigkeiten, uu ui*>i »"» -

Fratze, du sprichst gerade das, was ich denke ...


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etnen kranken Doppelgänger zu haben, worin ihn die Erscheinung des geistesgestörten Kapuziners bestärkt. - h. deutlicher Verknüpfung mit der Rivalität um das geliebte Weib erschein, das Hauptmotiv dieses Romanes herausgearbeitet in der späteren Erzählung „Die Doppelgänger" (XIV, S. 5 bis 5 2). Wieder handelt es sich um zwei äußerlich zum Verwechseln ähnliche , und durch geheimnisvolle Familienbeziehungen einander nahe- stehende Jünglinge, die infolge dieses seltsamen Schicksals und durch ihre Liebe zu demselben Mädchen in die unverständlichsten Abenteuer geraten, welche ihre Lösung erst finden, als sich die beulen Nebenbuhler vor der Geliebten gegenüberstehen und fre.w.Ihg auf lh Besitz verzichten. Die gleiche äußere Ähn- hchkeu verbindet in den „Lebensansichten des Katers Murr" das Schicksal des zur Geisteskrankheit disponierten Kreisler mit dem des wahnsinnig Malers Ettlinger, dem Kreisler nach dem Ausspruch der Prinzessin Hedwiga so ähnlich sieht T er sein Brnder (X, , 39 ). Dies geht so weT daß Ü t ™ m,Wr lautes S p ie g el hi,d für den ^Z^Z halt und ,hn ausscjtilt, während er unmittelbar darauf gZht sein cgenes Ich und Ebenbild neben sich einhe™Wt ? e, (X, ,46f.) Von tiefstem Entsetzen erf^ttt iL" Z-mmer zu Meister Abraham und fordert ihn auf, den lästigen Verfolger mit einem Dolchstoß niederzustoßen, ein hnpL dessen Ausfthrung der Student von Prag mit seinem Leben bezahlen muß.

Hoffmann, der das Doppelgängerproblem „och in anderen Werken behandelte („Prinzessin Brambilla", „Das steinerne Herz „Die Brautwahr, „Der Sandmann» und andere), hat zwedellos starke persönliche Antriebe dazu gehabt; dennoch ist der E, nflu ß nicnt zu untersfnäbcn> den der w ^ ^

Hohe seines Ruhmes stehende Jean Paul übte, der das


Der Doppelgänger JJ


Doppelgängermotiv in die Romantik eingeführt hatte. An* im Schaffen Jean Panls dominiert dieses Thema in allen seinen psychologischen Varianten. Wirkliche Doppelgänger sind Leib- geber nnd sein Frennd Siebenkäs, der ihm auf. Haar ähnlich sieht und sogar den Namen mit ihm tauscht. Im „S.ebenkas steh, die ständige Verwechslung der beiden - ein Motiv das auch sonst bei Jean Paul häufig ist (zum Beispiel in „Katzen- bergers Badereise") - im Mittelpunkt des Interesses; im , „ Irtan kommt sie noch episodisch vor. Neben diesem leAhafhgen Doppelgängertum, welches sich bei Jean Pau auch in der form findet, daß jemand in der Gestalt des Geliebten dessen Geliebte zu verführen versucht (Amphytrionmotiv), hat der Dichter, wie kein zweiter vor- und nachher, das Problem der Spaltung und Vervielfachung des Ichs in krasser Ausprägung immer wieder behandelt M .Hesperus' läßt er das Ich bereits als unheimliches Gespenst vor sich erstehen (Sehne, der). Viktor wird schon in der Kindheit von solchen Geschichten besonders gepackt, in denen Leute sich selbst sehen „Oft besieht er abends vor dem Einschlafen seinen Körper so lange, daß er ihn von sich abtrennt und als eine fremde Gestalt neben seinem Ich stehen und gestikulieren sieht Darauf leg. er sich mit d,eser fremden Gestalt schlafen." (Czerny.) Auch hatte Viktor eme heftige Abneigung gegen Wachsfiguren, die er mit Ottomar („Die unsichtbare Loge") teilt, welcher als Scheintoter sein Ich in den Lüften sieh,. Dieser Schauder vor Wachsfiguren wu-d verständlich im „Titan", wo Albano in ohnmächtiger Wut seine eigene Wachsbüste zer quetscht; aber es ist ihm dabe. „w,e

.) Vgtdaza und zun. folgenden F. J. Schneider: Je» Pauls Jugend „„d sein Auftreten in der Literatur, Berlin W (bes. **£%* "££ .1. Czerny: Jean Pauls Beziehungen zu Honmann. Gymn. Progr. Mies IQ06/07 und 1907/O8.


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Selbstmord und Betasten des Ichs." Schoppe und Albano sind von dem zerstörenden Wahn eines sie verfolgenden Doppel- gängers besessen. Aus dem Traumtempel, wohin sidi Albano verirrt hat, wird er dur<h die mitlaufenden Spiegel-Ichs verscheucht „Auch Leibgeber im ,Siebenkäs' sieht sich von einem Heer von Wis umgeben, indem er sein Ich, sein und Firmians, seines Doppelgängers Spiegelbild, also drei Ich mit Firmian selbst, dem vierten, in Vergleich zieht . . . Firmian tritt zum Spiegel und drückt mit dem Finger den Augapfel seitwärts, so daß er i m Glase sein Bild doppelt sehen mußte, und wendet sich mideidig an seinen Freund mit den Worten: aber du kannst freilich die dritte Person darin nicht sehen." (Schneider.) Die im Namen Leibgeber angedeutete Entpersönlichungstendenz finden wir im „Titan" wieder. Roquairol, der als grenzenloser Egoist geschildert «st, sehnt sich doch einmal nach einer Freundschaft und schreibt an Albano: .Da sah ich Dich und wollte Dein Du werden - aber es geht nicht, denn ich kann nicht zurück, aber Du vor- wärts Du wirst mein Ich einmal."' „Spielend seine eigene Iragodie, nachäffend sein eigenes Ich, gibt er sich den Tod." (Schneider.) „Zur entsetzlichsten Pein steigert die Vorstellung vom Ich verfolgt zu werden, bei Schoppe. Er denkt sich die


erwähn OST T !?i enZ ** md,ard Dehme, > der Nachdichter des «^ SdudteDgtdMba von Stevenson, in dem sdxönen Gedicht «Masken» ausgedrückt, welches schildert, wie der Dichter auf einem Masket ballm versch.edenen Masken vergebens sein Ich sucht und jede s'ophe

Und Du, bist du's: du Domino im Spiegel, In dessen Blick die Farben meerhaft schwanken, Du maskenlos Gesicht: zeig her das Siegel, Das mir ausdrückt den Grund deiner Gedanken: Bist du es selbst? Ausdruck - du nickst mir zu: Grundsiegel - Maske - Bist Ich Du?


Der Doppelgänger


Seligkeit in einer ewigen Befreiung vomlA. Fäl t sem BhA nur Jm einmal auf seine Hände oder Beine so fahrt sAon über ihn die kalte Für*«, er könne siA ersAeinen und den IA sehen. Der Spiegel muß verhangen werden denn er bebt vor seinem Spiegelorangutang." (Schneider. AuA finden s«h veriüngenl und altmaAende Spiegel [(ähnliA auch Bdder, d.e ihre riAtigen Züge nur unter einer bestimmten Lupe erkennen lassen), was auf Spikher übergegangen zu sein sAemt, dem au* einmal sein GesiAt veraltet und verzerrt entgegengnnst W» erinnern uns hier daran, daß Spikher au* - wie Baldum - alle Spiegel verhängen läßt: „aber aus [dem entgegengesetzten Grunde, weil sie sein I* ni*t mehr wiedergeben. (Czerny.) Bei SAoppe geht diese Angst sogar so weit, daß er Ae aehaßten Spiegel zersAlägt, da ihm aus ihnen se.n A entgegen- tritt Und wie Kreisler und Balduin den Doppelgänger töten wollen, so sendet S*o PP e an Albano seinen StoAdegen mit der Aufforderung, die unheimli*e Ers*einung in Rattos Keller zu töten. »SAoppe stirbt sAließliA an seiner Wahnidee mit dem Satz der Identität auf den Lippen." (Schneider.) Es .st bekannt, daß Jean Paul im „Titan" Stellung nahm zur Fichte sAen Philosophie und zeigen wollte, wohin der trans- zendentale Idealismus bei äußerster Konsequenz führen müsse. Man hat darüber gestritten, ob der DiAter dem Philosophen bloß seine AnsAauungen gegenüberstellen oder ob er um ad absurdum führen wollte; wie dem auA sei, sAeint es jedentaUs deutliA, daß beide auf ihre eigene Art versuAten s.A m,t dem ihnen persönliA nahe gehenden Problem des lAs aus-

einander zu setzen. . ., a .

Einzelne originelle Gestaltungen leiten von den Mhaft.gen Doppelgängerfiguren zu den Darstellungen über, welAe d.e subjektive Bedingtheit und Bedeutung der sonderbaren Lin-


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Stellung wieder erkennen lassen. Eine davon ist Ferdinand Kaimunds romantisch-komisches Märchen „Der Alpenkönig und der Menschenfeind", wo der Doppelgänger des reichen Kappelkopf von dem mit echt Raimundscher Naivität objekti- vierten Alpengeist dargestellt wird. Dem in der Verkleidung seines Schwagers auftretenden Rappelkopf spielt der Alpenkönig Astragalus in der Rolle des Rappelkopf selbst dessen lächerliche Fehler und Schwächen vor. Die Handlung führt des Helden Heilung von seiner hypochondrischen Menschenfeindlichkeit und seinem paranoischen Mißtrauen herbei, indem der Dichter ihn sein eigenes Ich wie in einem „Seelenspiegel" erblicken läßt« er lernt dadurch sich selbst hassen und seine früher so verhaßte Umgebung lieben. Bemerkenswert ist, daß einige typische Motive des Doppelgängertums hier aus ihrer unbewußten Tragik in die Erkenntnissphäre des Humors gehoben erscheinen. In den Seelentausch fügt sich der halsstarrige Rappelkopf schließlich wie in einen Scherz und die Gegenüberstellung der beiden Doppel- gänger in den Hauptszenen des Stückes führt zu mehrfachen Verwechslungen und Verwicklungen, so daß der Held schließlich nicht weiß, wo er sein Ich suchen soll und bemerkt: Jch furcht* mich vor mir selber." Die „ verdammte Doppelgängerei * führt endlich zu gegenseitigen Beleidigungen und zum Duell. Der hnpuls, sich von dem unheimlichen Gegenspieler auf gewaltsame Weise zu befreien, gehört, wie wir sahen, zu den wesentlichen /.ugen des Motivs und wo dem Impuls nachgegeben wird, wie beispielsweise im „Studenten von Prag" und anderen noch zu besprechenden Gestaltungen, da zeigt es sich deudich, daß das Leben des Doppelgängers mit dem der Person selbst aufs engste verknüpft ist. Diese geheimnisvolle Grundlage des Problems wird be, Raimund zur bewußten Voraussetzung der Probe. Im letzten Moment vor dem Duell erinnert sich Rappelkopf


Der Doppelgänger


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dieser Bedingung: „Wir haben alle zwei nur ein Leben. Wenn ich ihn ersdiieße, so schieß ich mich selber tot." Er wird dadurch vom Banne gelöst, daß Astralagus sich ins Wasser stürzt und Rappelkopf, der in ihm zu ertrinken fürchtet, in eine Ohnmacht fällt, aus der er dann geheilt erwacht. Besonders interessant ist uns ein Rest des Spiegelmotivs, das auf die innerliche Bedeutung des Doppelgängers hinweist. Auf dem Höhepunkt des Wahnes, kurz vor der Flucht von Haus und Familie, erblickt sich Rappel- kopf in dem hohen Wandspiegel seines Zimmers; er verträgt den Anblick seines Gesichtes nicht und „zerschlägt den Spiegel mit geballter Faust". In einem hohen Wandspiegel in Rappel- kopfs Hause wird aber dann der Alpenkönig sichtbar, der später als Doppelgänger erscheint

In anderer Form hat Raimund dasselbe Thema im „Ver- schwender" behandelt. Der Bettler, der Flottwell ein Jahr lang überall hin folgt, stellt sich zwanzig Jahre später als sein Doppel- gänger heraus, der ihn - nach Art eines Schutzgeistes, wie auch der Alpenkönig einer ist - vor gänzlichem Ruin bewahrte. Tat- sächlich glaubt Flottwell in ihm den Geist seines Vaters zu erblicken, bis er, durch sein hartes Schicksal belehrt, in der warnenden Erscheinung sich selbst in seinem fünfzigsten Lebensjahr erkennt. Auch hier versucht der Verfolgte den lästigen Begleiter zu töten, aber er vermag ihm nichts anzuhaben. Die Beziehung dieses Doppelgängers zu dem im Alpenkönig auftretenden ist in einem gemeinsamen Motiv angedeutet, dessen psychologische Erörterung in einen anderen Zusammenhang gehört. Wie nämlich der Bettler von Flottwell Schätze erbettelt, um sie dann dem gänzlich Ver- armten zurückzustellen („ich hab' für di& bei dir gebettelt"), so wendet Rappelkopf, der gleichfalls ein scheinbar Verarmter und schließlich wieder reich Gewordener ist, dieses Motiv der „gemein- samen Kasse" ins Komische, indem er das von seinem Doppel-




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ganger weggeworfene Geld mit dem Bemerken aufhebt, daß diese Gemeinsamkeit des Besitzes eine weit bequemere Ein- richtung wäre, als die unerwünschte Gemeinschaft mit Gesundheit und Leben des anderen. Steht auch das Thema des Altwerdens mit dem hier unberücksichtigt gebliebenen Geldkomplex in einem interessanten Zusammenhang, so lassen sich doch einzelne Ver- bindungsfäden auch zum Doppelgängerproblem verfolgen. Daß der Betder in der Gestalt des um zwanzig Jahre gealterten Flottwell erscheint, erinnert an den auf den Alpenkönig bezüg- lichen Mädchenglauben, daß sein Anblick um vierzig Jahre älter mache. Und wie der Alpenkönig im Spiegel erscheint, schließt Lieschen die Augen, aus Furcht, ihre Schönheit einzubüßen. Dieser Zug stellt wieder die Verbindung zu den altmachenden und verjüngenden Spiegeln bei Jean Paul sowie den Zerr- spiegeln bei Hoffmann und anderen her.

Diese Furcht vor dem Altwerden wird als eines der tiefsten Probleme des Ichs behandelt in Oscar Wildes Roman „Das Bildnis des Dorian Gray." (1890) Der schöne und jugendfrische Dorian äußert beim Anblick seines wohlgetrofFenen Porträts den vermessenen Wunsch, immer so jung und schön zu bleiben und die Spuren des Alters und der Sünde auf das Bild übertragen zu können. Dieser Wunsch sollte ihm unheimlicherweise in Erfüllung gehen. Zum erstenmal bemerkt er eine Änderung an dem Bilde, als er die ihn über alles liebende Sibyl grausam und kalt von sich stößt, ähnlich wie die meisten seiner Schicksals- genossen in der Liebe zum Weibe am eigenen Ich irre werden. Von da an bleibt das stets alternde und die Spuren der Sünde verratende Bild das sichtbare Gewissen Dorians. An ihm lernt er, der sich selbst über die Maßen liebt, seine eigene Seele ver- abscheuen und er verhüllt und verschließt das ihm Furcht und Entsetzen einflößende Bild, um es nur in besonderen Momenten


Der Doppelgänger V


seines Lebens zu betrachten und mit seinem eigenen ewig unver- änderten Spiegelbild zu vergleichen. Das frühere Entzücken an seiner Schönheit macht allmählich einem Abscheu vor dem eigenen Ich Platz. Schließlich „verfluchte er die eigene Schönheit, und indem er den Spiegel auf den Boden schleuderte, zertrat er ihn mit dem Absatz in talend Splitter." Eine ausgesprochen neu- rotische Spiegelphobie ist mit feiner künstlerischer Wirkung als Inhalt eines vom Helden geschätzten Romans erzählt, dessen Held im vollen Gegensatz zu Dorian seine außerordentliche Schönheit in früher Jugend verloren hatte. Seither blieb ihm eine „groteske Furcht vor Spiegeln, polierten Metallplatten und stehendem Wasser." Nachdem Dorian den Maler des verhängnis- vollen Budes ermordet und Sibyl in den Tod getrieben hat, findet er keine Ruhe mehr: „es wurde ihm zur Gewißheit, daß er verfolgt, umgarnt und schließlich zu Tode gehetzt würde." Er beschließt ein Ende zu machen und das Bild zu vernichten, um sich auf diese Weise von der unerträglichen Vergangenheit zu befreien. Er durchsticht das Bild und fällt im selben Augen- blick gealtert und entstellt, mit dem Messer im Herzen, tot zu Boden, während das Bild ihn unversehrt in jugendlicher Schönheit

zeigt. 1

Von anderen Romantikern, die das Doppelgängermotiv behandelten - und in irgendeiner Form hat es fast bei jedem Verwendung gefunden* - sei hier nur Heine noch kurz erwähnt, weil bei ihm der Doppelgänger, der


i) Das Motiv des plötzlichen Altwerdens hat Claude Farrere meisterhaft behandelt im „Geheimnis der Lebenden"; verflacht erscheint es in dem W erschienenen „Mangobaumwunder" von Perutz und

F 2) Bei T i e c k, A r n i m, B r e n t a n o vorwiegend in der äußerlichen Form der Verwechslung oder der Lösung verwickelter Handlungen durch Identi- fizierung verschiedener Personen; bei Novalis und anderen m einer mystischen Verschwommenheit; bei Fouque („Der Zauberring , U, 13), Kerner („Die Reiseschatten") und anderen nur episodisch.


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nadi literarhistorischem Urteil zu seinen Urmotiven gehört,« auch nicht als leibhaftiger Gegenspieler, sondern in einer mehr verinnerlichten Form auf- tritt. „Im ,RatclifP will er das Schicksal zweier Menschen gestalten, deren Leben durch den Zwang einer Doppelexistenz von Sinnlosigkeit erfüllt ist, die sich morden müssen, obwohl sie sich lieben. Ihre Alltagsexistenz wird fort durchkreuzt von dem Leben ihrer Ahnen, das sie noch einmal zu leben gezwungen sind. Dieser Zwang bedingt die Spaltung der Persönlichkeit." Ratcliff gehorcht einer inneren Stimme, die ihn ermahnt, jeden zu morden, der sich Marien naht. In anderer Form findet sich das Motiv in den „floren- i mischen Nächten": das Doppelsein der Madame Laurencer, deren heiteres Tagesleben mit nächtlichen Tanzekstasen wechselt, von denen sie am Tage ruhig wie von etwas längst Vergangenem spricht. Verwandt ist die Ge- schichte des toten Laskaro im „Atta Troll", „dem die Mutterliebe nächtlich mit der stärksten Salbe ein verzaubert Leben einreibt." In „Deutschland Ein Wintermärchen" (Kap. VI) erscheint dem Dichter immer ein sonder- barer Geselle, wenn er nachts am Schreibtisch sitzt; gefragt, gibt er sich zu erkennen: „Ich bin die Tat von deinen Gedanken." Auch in manche Ge- dichte Heines spielt Ähnliches hinein.

Wie man sieht, nähern sich diese Gestaltungen des Motivs einem Extrem, das mit unserem Thema nur in loserem Zusammen- hang steht. Hat es sich bisher entweder um einen leibhaftigen Doppelgänger gehandelt, der wieder in die entferntere Ver- wedbslungskomödie ausmündet, 2 oder um ein vom Ich losgelöstes und seihständig gewordenes Ebenbild (Schatten, Spiegelbild Porträt),, so stoßen wir hier auf die darstellerisch entgegen- gesetzte Ausdrucksform der gleichen seelischen Konstellation : es werden nämlich zwei verschiedene, durch Amnesie getrennte Existenzen von ein und derselben Person dargestellt. Diese


•) Herrraann Helene Studien zu Heines Romanzero. Berlin IQ06. - Vgl. auch W. S i e b e r t : Heines Beziehungen zu Hoffmann (Beitr. z. deutsch, lit. Wiss. Bd. VII). Marburg IQ08.

2 ) Der unsterbliche Lustspielstoff, der von Plautus' „Menaechmi" bis zu Fuldas '„Zwillingsschwester" seiner Wirkung sicher war; als bekannte Typen seien genannt: Shakespeare „Comedy of the errors", Lecoq ue „Girofle-Girofla", Nestroy „Der Färber und sein Zwillings- bruder".


i


Der Doppelgänger 2Q


Fälle von Doppelbewußtsein, die auch klinisch zur Beobachtung gelangt sind,' haben in der neueren Literatur vielfach Dar- stellung gefunden, 2 können jedoch für unsere weitere Unter- suchung außer Betracht bleiben. 3

Wir wenden uns von diesen Grenzfällen aus wieder jenen für unsere Analyse ergiebigeren Stoffen zu, in denen es zu einer mehr oder minder deudichen Gestaltung einer Doppelgängerfigur kommt, die jedoch zugleich als spontane subjektive Schöpfung krankhafter Phantasietätigkeit erscheint. An die Fälle von Doppel- bewußtsein, die wir hier nicht heranziehen, aber die psychologisch als Grundlage und darstellerisch gewissermaßen als Vorstufe des voll ausgeprägten Doppelgängerwahns erscheinen, schließt sich unmittelbar als Übergang zu der uns interessierenden Gruppe Maupassants eindrucksvolle Erzählung „Le Horla" (1887). Der Held der Geschichte, dessen Tagebuchaufzeichnungen uns der Dichter vorlegt, erkrankt an Angstzuständen, die ihn insbesondere nachts quälen, ihn bis in seine Träume verfolgen und keinem Mittel dauernd weichen wollen. Eines Nachts entdeckt er zu seinem Entsetzen, daß die Wasserflasche, die abends gefüllt i) Vgl. die orientierende Schrift von Max Dessoir: „Das Doppel-Ich.« 

% Aufl. Leipzig 1896. ßL—L.

.) So in dem berühmten, später auch dramatisierten Roman von George du Maurier„Trilby", ferner HughConway „CaUed back, Dick- M a y L'affaire Allard" („Unheimliche Geschichten"), Paul L i n d a u s neuer- dings auch verfilmtes Drama „Der Andere", Georg Hirschfeld „Das

zweite Leben" u. a. m. _^

3) Gänzlich außeradit lassen wir die okkulte Auffassung des Doppel- fiäneeitums, wie sie als gleichzeitige Existenz desselben Individuums an zwei verschiedenen Orten interpretiert wird. Als typischen Vertreter dieser Lehre vergleiche man Str in dberg: „Inferno. Legenden." (Samtl. Sehr., deutsch v. Schering, IV, 4, Verlag Müller, München), S. 50 t 285 usw. - In vielen Dichtungen Strindbergs ist die Spaltung der Persönlichkeit bis zum Extrem geführt (vgl. bes. den Roman „Am offenen Meere ). Über Strindbergs Paranoia vgl. man die Pathographie von S. Rahmer (Grenzfragen d. Lit. u. Mediz., Heft 6, 1907).




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war, völlig geleert dastand, obwohl niemand in das versperrte Zimmer eindringen konnte. Von diesem Augenblick an kon- zentriert sich sein ganzes Interesse auf jenen unsichtbaren Geist - den Horla - der in ihm oder neben ihm lebt. Er stellt Ver- suche an und sucht ihm auf jede Weise zu entgehen. Ver- gebens: er wird nur immer mehr von der selbständigen Existenz des Geheimnisvollen überzeugt. Überall fühlt er sich belauert, betrachtet, durchdrungen, beherrscht, verfolgt von ihm. Oft wendet er sich blitzschnell um, damit er ihn endlich zu sehen und fassen bekäme. Oft stürzt er sich in das leere Dunkel seines Zimmers, wo er den Horla wähnt, um „ihn zu packen, ihn zu erwürgen und zu töten." Schließlich gewinnt dieser Gedanke der Befreiung von dem unsichtbaren Tyrannen die Oberhand. Er läßt Fenster und Türen seines Zimmers mit fest verschließbaren eisernen Laden versehen und schleicht sich eines Abends vorsichtig her- aus, um den Horla unentrinnbar einzuschließen. Dann steckt er das Haus in Brand und sieht von Ferne zu, wie es mit allem, was darin lebt, zugrunde geht. Aber zuletzt kommen ihm doch Zweifel, ob der Horla, dem das Ganze galt, vernichtet werden könne und er sieht als einzig sicheren Weg zur Befreiung den eigenen Selbstmord. 1 Auch hier trifft also wieder der dem doppelgängerischen Ich zugedachte Tod die eigene Person. Wie weit die Spaltung in ihr geht, zeigt eine vor der entscheidenden Katastrophe sich abspielende Spiegelphantasie. Der Held hat sein Zimmer hell erleuchtet, um dem Horla aufzulauern. „Hinter mir steht ein hoher Spiegelschrank, der mir täglich dazu gedient hat, mich zu rasieren, mich anzuziehen und in dem ich mich jedesmal, wenn ich v orüberging, von Kopf bis zu Fuß betrachtete.

') In einer ähnlichen Schilderung von P o r i t z k y („Geistergeschichten") ist „der Unbekannte" der Tod, der dem Betreffenden gleichfalls unablässig und unsichtbar folgt.


Der Doppelgänger 31


Ich tat also, als schriebe ich, um ihn zu täuschen, denn auch er spähte nach mir. Und plötzlich fühlte ich, ich war meiner Sache ganz sicher, daß er über meine Schulter gebeugt las, daß er da war und mein Ohr streifte. Ich stand auf, streckte die Hände aus und drehte mich so schnell um, daß ich beinahe gefallen wäre. Und nun? Man sah hier so gut wie am hellen Tage, und ich sah mich nicht in meinem Spiegel. Das Glas war leer, klar, tief, hell erleuchtet, aber mein Bild war nicht darin, und ich stand doch davor, ich sah die große, klare Spiegel- scheibe von oben bis unten und sah das mit entsetzten Augen an! Ich wagte nicht mehr vorwärts zu gehen, ich wagte keine Bewegung zu machen, ich fühlte, daß er da war, aber daß er mir wieder entwischen würde, er, dessen undurchdringlicher Körper hinderte, daß ich mich selbst spiegeln konnte. Und Ent- setzen! — plötzlich sah ich mich selbst in einem Nebel mitten im Spiegel, in einem Schleier, wie durch Wasser hindurch und mir war es, als ob dieses Wasser von links nach rechts glitte, ganz langsam, so daß von Sekunde zu Sekunde mein Bild in schärferen Linien erschien . . . Endlich konnte ich mich vollkommen erkennen, wie täglich, wenn ich in den Spiegel blicke. Ich hatte ihn gesehen und das Entsetzen blieb mir in den Gliedern, daß ich jetzt noch zittere". 1 In einer kleinen Skizze „LuiV die sich wie ein Entwurf zum „Horla" ausnimmt, hat Maupassant einzelne für uns inter- essante Züge deutlicher hervortreten lassen. So die Beziehung zum Weib, denn die ganze Erzählung von dem geheimnis- vollen Er", der dem Helden die grauenhafte Furcht vor sich selbst eüiflößt, erscheint als das Geständnis eines Mannes, der sich gegen seine bessere Einsicht verheiraten will, verheiraten

i) Maupas sants gesammelte Werke, übersetzt von G. v. Ompteda. 2) Deutsch von M o e 1 1 c r - B r u c k, Reclam-Bibl. Nr. 43E, S. IO ff.


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muß, einfach aus dem Grunde, weil er es nicht mehr erträgt, nachts allein zu sein, seit er einmal beim Nachhausekommen „Ihn" im Lehnsessel am Kamin den Platz einnehmen sah, den er selbst innezuhaben pflegte. 1 „Er verfolgt mich unaufhörlich. Das ist Wahnsinn! Doch es ist so. Wer, Er? Ich weiß sehr wohl, daß er nicht existiert, daß er nicht wirklich ist. Er lebt

bloß in meiner Ahnung, in meiner Furcht, in meiner Angst!

Wenn wir jedoch zu zwei sein werden, fühle ich deutlich, ja, ganz deutlich, wird er nicht mehr da sein. Denn er ist nur da, weil ich allein bin, einzig weil ich allein bin!"

Die gleiche Stimmung hat, zu melancholischer Resignation abgetönt, ergreifenden Ausdruck in Mussets „La nuit de decembre" (1835) gefunden. In einem Zwiegespräch mit der „Vision" erzählt der Dichter, daß ihm seit der Kindheit immer und überall ein schattenhafter Doppelgänger folge, der ihm wie ein Bruder gleiche. In den entscheidenden Momenten seines Lebens erscheint ihm der schwarzgekleidete Begleiter, dem er nicht entrinnen kann, so weit er auch vor ihm flieht, und dessen Natur er nicht zu erkennen vermag. Und wie er einst als ver- liebter Jüngling mit seinem Doppelgänger allein war, 2 so ist er nun viele Jahre später eines Nachts in süße Erinnerungen an die Zeit der Liebe versunken, als die Erscheinung sich wieder zeigt. Der Dichter sucht ihr Wesen zu ergründen, er spricht

») Ähnlich in Kiplings „The Knife and the Naked Chalk" (Rewards and Fairies) : Hummil, der sich seihst schon an der Tafel sitzen sieht, als er •zu Tisdi kommt, während die Erscheinung wegeilt. „Except that it cast no shadow it was in all respects real."

2 ) „A Tage oü l'on croit ä l'amour,

J'eiais seid dans ma chambre un jour,

Pleurant ma premiere misere.

Au coin de mon feu vint s'asseoir

Un etranger vetu de noir,

Qui me ressemblait comme un frere.


Der Doppelgänger 33


sie als böses Geschick, als guten Engel und schließlich, als die Erinnerungen an die Liebe sich nicht verscheuchen lassen, als

sein eigenes Spiegelbild an:

Mais tout ä coup j'ai vu dans la nuit sombre

Une forme glisser sans bruit. Sur mon rideau j'ai vu passer une ombre;

Elle vient s'asseoir sur mon üt. Qui donc es-tu, morne et pale visage,

Sombre portrait vetu de noir? Que me veux-tu, triste oiseau de passage? Est-ce un vain reve? est-ce ma propre image

Que j'apercois dans ce miroir?

Schließlich gibt sich die Erscheinung als „Einsamkeit zu erkennen. - Mag es auch auf den ersten Blick sonderbar erscheinen, daß die Einsamkeit, ähnlich wie bei Maupassant, als lästige Gesellschaft eines Zweiten empfunden und dargestellt wird, so liegt doch der Akzent - was auch Nietzsche ;ai»- sprach - auf der Geselligkeit mit dem eigenen Ich, das sich als Doppelgänger objektiviert. Ein ähnliches Selbstgespräch mit dem eigenen personifizierten Ich hegt Jean Pauls „Beichte des Teufels bei ein em großen Staatsbediensteten" ^ ugnmde^

.) Ähnliches findet sich bei Co ler idge (Poems) und Baudelaire (Fleurs du Malern ^^J^^^^^^t,

darstellt, dem sein eigenes wahres Ich ersdieint:

„Bann es in eines Augenblickes Räume, So ist's ein bröckelnd Nichts vom Land der Traume. Nimm, Jahre haben dunkel dir gewirkt," ^ Du siehst, was jedes Leben in sidi birgt." Von Baudelaire stehe hier als Beispiel eine Strophe aus „Le jeu" (übersetzt von Wolf v. Kalckreuth):

Das ist das schwarze Bild, das ich im bösen 1 räume Mit allzuklarem Blick erspäht in nächt'ger Zeit. Ich selber schaute in dem grauenhaften Räume Mich aufgestützt, stumm und von tiefem Neid. Die Unmöglichkeit, von der Vorstellung des eigenen Ich loszukommen, hat Wedekind in dem Gedicht „Der Gefangene" geschildert.

3 Rank, Der Doppelgänger.


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interessanter psychologischer Einkleidung findet sich das gleiche Motiv in der „Eines Nachts" betitelten Erzählung von J. E. Poritzky." Dem in der Blüte der Jahre stehenden Helden der feinen Skizze scheint sich eines Nachts „ein Faust an Alter und Weisheit" anzuschließen zu tiefsinnigem, erinnerungs- reichem Zwiegespräch. Der Alte erzählt von einer tags zuvor erlebten Mitternachtsstunde, in der ihn vor dem Spiegel eine Erinnerung aus der Kinderzeit überkam, welche die aber- gläubische Furcht, um Mitternacht in den Spiegel zu schauen, zum Inhalt hatte. „Ich lächelte in Erinnerung daran und trat vor den Spiegel hin, als wollte ich heute noch die Legenden der Jugend Lüge strafen und verhöhnen. Ich blickte hinein, aber da meine Vorstellung ganz von meinen Knabenjahren erfüllt war und ich mich im Geiste so schaute, wie ich als Knabe aus- gesehen hatte, da ich gewissermaßen ganz mein gegenwärtiges Sein vergessen hatte, blickte ich mit stierem Befremden in das durch- furchte Greisenantlitz, das mir aus dem Spiegel entgegenblickte. " Diese Entrückung geht so weit, daß die Gestalt vor dem Spiegel mit ihrer ehemaligen Knabenstimme um Hilfe ruft und der Greis die Erscheinung schützen will, die plötzlich verschwunden ist. Er sucht sich Rechenschaft von dem Erlebnis zu geben: „Ich kenne die Spaltung unseres Bewußtseins sehr wohl; mehr oder minder stark hat sie jeder schon empfunden: Jene Spaltung, in der man seine eigene Person in allen bereits durchlaufenen Verwand- lungen schattenhaft am Auge vorüberziehen sieht . . . 2 Aber es liegt auch die Möglichkeit in uns, zuweilen unsere zukünftigen Lebensformen zu erblicken . . . dieses Schauen des zukünftigen

2 »Gespenstergeschichten. München 1913. In der im selben Bande befindlichen Erzählung „Im Reiche der Geister" erscheint dem Studenten Orest Najaddin in geheimnisvoller Weise sein Doppelgänger (S. 84).

2 ) Wie in M us s e t s Versen.


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Selbst ist manchmal so stark, daß wir glauben, fremde Menschen zu sehen, die sich körperlich leibhaftig von uns ablösen, wie ein Kind vom Mutterleibe. Und dann begegnet man diesen von unserem Ich heraufbeschworenen Erscheinungen der Zukunft und nickt ihnen zu. Das ist meine geheimnisvolle Entdeckung. 1 Dem französischen Psychologen Ribot verdankt man einige sehr seltsame Beispiele seelischer Spaltung, die sich nicht schlechtweg als Halluzinationen erklären lassen. Ein sehr intelligenter Mann besaß die Fähigkeit, seinen Doppelgänger vor sich hin zu bannen. Er lachte stets laut über die Vision und der Doppel- gänger antwortete mit dem gleichen Lachen. Lange Zeit hin- durch belustigte ihn das gefährliche. Spiel; schließlich nahm es aber ein böses Ende. Er kam allmählich zu der Überzeugung, daß er von sich selbst verfolgt wurde, und da das andere Ich ihn unausgesetzt plagte, neckte und ärgerte, beschloß er eines Tages, diesem traurigen Dasein ein Ende zu machen." Nach Anführung eines weiteren Beispiels fragt der Greis den Begleiter, ob er sich noch nie alt fühlte, trotz seiner fünfund- dreißig Jahre, und als dieser verneint, verabschiedet er sich. Der Jüngere will die Hand ergreifen, faßt aber zu seinem Erstaunen ins Leere; weit und breit ist kein Mensch zu sehen. Ich war allein und mir gegenüber stand ein Spiegel, dessen Gefangener ich war, und erst jetzt, als er meine Augen frei- gegeben hatte, sah ich, daß die Kerze tief herabgebrannt war . . . Hatte ich mit mir gesprochen? Ha tte ich meinen Körper ^ er-

ti Man vgl. dazu den in Hebbels Tagebüchern (3. VI. «47) ■*- gdÄL seiner Frau, wo sie in einem Spiegel ihr ganzes zukünfhges Leben siehf zuerst sieht sie ihr Gesicht ganz jugendlich, dann immer alter iSÄ^dduß wendet sie sich ab in der Furcht, ihr Gerippe werde nun kommen. Siehe auch Hebbels Eintragung vom IS Dezember 1840 „Jemand, der sich selbst im Spiegel sieht, und um Hilfe schreit, wed er emen Fremden zu sehen glaubt; man hat ihn nämlich angemalt.


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lassen, und war ich erst jetzt in ihn zurü Agekehrt? Wer weiß Oder hatte ich mich, wieNarziß, gegen mich selber gekehrt und war dann den künftigen Gestalten meines eigenen Ich begegnet und habe ihnen zugenickt? Wer weiß ..."

Eine für manche späteren Bearbeiter vorbildliche Gestaltung hat Edgar Allan Poe dem Doppelgängerstoff in seiner Novelle „William Wilson" gegeben. Der Held der in der ersten Person erzählten Geschichte, der sich William Wilson nennt, begegnet schon in seiner Kindheit auf der Schule einem Doppelgänger der mit ihm Namen, Geburtstag, aber auch Gestalt, Sprache' Benehmen und Gang so sehr teÜt, daß sie für Brüder, ja sogar^ für Zwillinge gelten. Bald wird der sonderbare Namensvetter, der den Helden in allem und jedem nachahmt, zum treuen Kameraden, unzertrennlichen Gefährten, schließlich aber zum gefürchtetsten Rivalen. Nur durch seine Stimme, die sich über den Flüsterton nicht erheben kann, unterscheidet sich der Doppelgänger noch von seinem Vorbild; aber auch diese ist in Tonfall und Aussprache identisch, so daß „sein eigenartiges Hustern zum vollkommenen Echo meiner eigenen Stimme wurde." ' Trotz dieser unheimlichen Nachäffung ist der Held nicht fähig, sein Gegenstück zu hassen und vermag auch nicht, sich den von ihm „heimlich angedeuteten Ratschlägen", denen er nur mit Widerwillen gehorcht, zu entziehen. Diese Toleranz wird einigermaßen dadurch gerechtfertigt, daß die Imitation anscheinend nur vom Helden selbst wahrgenommen wird, seinen Kameraden aber nicht weiter auffällt. Ein Umstand war einzig geeignet, den Helden in Ärger zu versetzen, und das war die

J^T r CiSela Al ^ l ^ . e: DaS Feuer P ferd «• *• Novellen, v ! Beigaben von Alfred Kubin. Verlag Georg Müller, Mündien IOio) Vgl. auch P o e: „Shadow" (eine Parabel in dem Novellenband in Everyinan's Library, S. IOO).


Der Doppelgänger 37


Nennung seines Namens. „Sein Klang war meinen Ohren abstoßend, und als ich am Tage meines Schulantrittes erfuhr, daß gleichzeitig ein zweiter William Wilson eintrete, war ich auf diesen zornig, weil er den verhaßten Namen trug, und dem Namen doppelt feind, weil auch noch ein Fremder ihn führte, der nun schuld war, daß ich ihn doppelt so oft frören mußte." Eines Nachts schleicht der Held in die Schlafkammer seines Doppelgängers und muß sich dort überzeugen, daß die Züge des Schlafenden nicht das Resultat einer bloßen spöttischen Nachahmungssucht sein können.

Entsetzt flieht er aus der Schule und kommt nach einigen Monaten eines Aufenthaltes zu Hause als Student nach Eton. Dort beginnt er ein lockeres Leben zu führen und hat an die unheimliche Episode in der Schule längst vergessen, als ihm eines Nachts bei einem Zechgelage sein Doppelgänger, in der gleichen modernen Kleidung, nur mit undeutlichen Gesichts- zügen, erscheint. Er flüstert nur warnend die Worte: „William Wilson" und verschwindet Alle Nachforschungen nach seinem Wesen und seinem Verbleib sind erfolglos. Es stellt sich nur heraus, daß er am selben Tage aus der Schule verschwunden war wie sein Vorbild.

Bald danach geht der Held nach Oxford, wo er sein äußerst luxuriöses Leben fortsetzt, aber moralisch immer tiefer sinkt und auch vor den Kniffen des Falschspiels nicht zurückschreckt. Eines Abends, als er in Gesellschaft eben hohe Summen auf diese Weise gewonnen hatte, tritt der Doppelgänger plötzlich ein und enthüllt sein Gebaren. Beschämt und geächtet muß sich Wilson zurückziehen und verläßt am nächsten Morgen Oxford, um - ähnlich wie Mussets Dichter - durch ganz Europa ruhelos von Ort zu Ort zu fliehen. Aber überall durch- kreuzt der Doppelgänger seine Unternehmungen, allerdings


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immer in einer Unheil verhütenden Weise. Endlich kommt es, nachdem Wilson beschlossen hatte, sich der drückenden Tyrannei des Unbekannten um jeden Preis zu entziehen, in Rom auf einem Maskenball zur Katastrophe. Eben versucht Wilson, sich der reizenden Gattin seines alternden Gastgebers zu nahen, als ihn eine Hand an der Schulter faßt. Er erkennt in der Maske, die genau wie er gekleidet ist, seinen Doppelgänger und zieht ihn in einen Nebenraum, wo er ihn zum Duell herausfordert. Nach kurzem Zweikampf stößt er dem Doppelgänger den Degen ins Herz. Da rüttelt jemand an der Türe, Wilson wendet sich für einen Augenblick ab, aber im nächsten Moment hat sich die Situation in überraschender Weise geändert. „Ein großer Spiegel - so schien es mir zuerst in meiner Verwirrung - stand jetzt da, wo vorher keiner gewesen war; und als ich im höchsten Entsetzen zu ihm hinschritt, näherten sich mir aus seiner Fläche meine eigenen Züge - bleich und blutbesudelt - meine eigene Gestalt, ermatteten Schrittes. So schien es, sage ich, doch war es nicht so. Es war mein Gegner - es war Wilson, der da im Todeskampfe vor mir stand. Seine Maske und sein Mantel Jagen auf dem Boden, da, wo er sie hingeworfen. Kein Faden an seinem Anzug - keine Linie in den ausgeprägten und eigenartigen Zügen seines Antlitzes, die nicht bis zur voll- kommenen Identität mein eigen gewesen wären! Es war Wilson; aber seine Sprache war kein Flüsterton mehr, und ich hätte mir einbilden können, ich selber sei es, der da sagte: ,Du hast gesiegt, und ich unterliege. Dennoch, von nun an bist auch du tot - tot für die Welt, den Himmel und die Hoffnung! In mir lebtest du - und nun ich sterbe, sieh hier im Bilde, das dein eigenes ist, wie du dich selbst ermordet hast'"

Wohl die erschütterndste und psychologisch tiefste Darstellung hat unser Thema in Dostojewskis Jugendroman „Der


Der Doppelgänger


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Doppelgänger" (1846) gefunden. Er sdüldert den Ausbruch einer geistigen Störung bei einem Menschen, der sidi dessen - bei fehlender Krankheitseinsidit - nicht bewußt ist und der alle seine peinlidien Erlebnisse in paranoischer Auslegung als Ver- folgungen seiner Feinde ansieht. Das allmähliche Hineingleiten in den Wahn und dessen Vermengung mit der Realität - eigentlich der ganze Inhalt der an äußerer Handlung armen Erzählung - ist mit unübertrefflicher Meisterschaft geschildert. Die hohe künstlerische Leistung ist gekennzeichnet durch die vollkommene Objektivität der Schilderung, die nicht nur keinen Zug des paranoischen Krankheitsbildes übersieht, sondern die Wahnbildung vom Standpunkt ihres Opfers selbst auf die Umgebung wirken läßt. Die in wenige Tage zusammengedrängte Entwicklung bis zur Katastrophe ließe sich kaum anders als durch Abdruck der ganzen Erzählung wiedergeben. 1 Hier können nur kurz die einzelnen Etappen hervorgehoben werden.

Der unglückliche Held der Geschichte, Titularrat Goljädkin, kleidet sich eines Morgens, anstatt ins Amt zu gehen, mit besonderer Sorgfalt und Eleganz an, um zu einem Diner beim Staatsrat Berendejeff zu fahren, seinem „Wohltäter seit undenk- lichen Zeiten, der mir in gewissem Sinne den Vater ersetzt hat Doch schon auf dem Wege passiert ihm allerlei, was ihn zunächst zu einer Änderung seiner Absicht bestimmt. Aus dem Wagen bemerkt er zwei junge Kollegen des Amtes, und es schien ihm als hätte der eine mit dem Finger nach ihm gewiesen, während der andere laut seinen Namen gerufen habe. Im Ärger über „diese dummen Jungen" wird er von einem neuen, noch peinlicheren Erle bnis gestört. An seinem W agen rollt die

i) Dostojewskis sämtliche Werke, herausgegeben von Meresch- kowski und Moeller van der Brück. Bd. XIV, S. 237'500. - Deutsch von E. K. Rahsin.


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elegante Equipage seines Abteilungschefs, Andrej Philippowitsch, vorbei, der sieb offenbar wundert, seinen Unterbeamten unter solchen Umständen zu sehen. Goljädkin fragt sich „in unbe- schreiblich qualvoller Beklemmung : „Soll ich ihn erkennen oder soll ich tun, als wäre ich gar nicht ich, sondern irgend ein anderer, der mir zum Verwechseln ähnlich sieht?" »Jawohl, ich bin einfach nicht ich . . . ganz einfach, bin ein ganz anderer — und nichts weiter." Und er grüßt den Vorgesetzten nicht. Im reuevollen Nachdenken über diese begangene Dummheit und die Bosheit seiner Feinde, die ihn dazu genötigt hatte, empfand Herr Goljädkin „das dringende Bedürfnis, zu seiner eigenen Beruhigung etwas sehr Wichtiges seinem Arzt Krestjan Iwano- witsch mitzuteilen", obwohl er ihn erst seit wenigen Tagen kannte. Dem Doktor, dem er in äußerster Verlegenheit gegen- übersteht, vertraut er in umständlicher Erzählung und mit der charakteristischen Unbestimmtheit der Paranoischen, daß ihn Feinde verfolgen, „gehässige Feinde, die sich verschworen haben, mich zugrunde zu richten." Er wirft nebenbei hin, daß man auch vor Gift nicht zurückscheuen würde, daß es aber vor- wiegend auf seinen moralischen Tod abgesehen sei, bei dem die geheimnisvoll angedeutete Beziehung zu einer Frau die Haupt- rolle spiele. Diese, eine deutsche Köchin, mit der man ihn in verleumderische Beziehungen bringt, und Klara Olssuphjewna, die Tochter seines alten Protektors, zu dem er eben am Beginn der Geschichte fahren will, beherrschen seine überaus fein und charakteristisch dargelegten erotomanischen Phantasien. In der Überzeugung, daß „im Nest dieser abscheulichen Deutschen sich die ganze Macht der bösen Kräfte verbirgt", gesteht er dem Arzt unter Scham, daß sein Abteilungschef und dessen eben avancierter Neffe, der sich um Klara bewirbt, über ihn Klatschgeschichten verbreiten: er habe der Köchin, bei der er


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früher wohnte, an Stelle seiner Schuld für das Essen ein schrift- liches Heiratsversprechen geben müssen, sei also „bereits der Bräutigam einer anderen."

Beim Staatsrat, wo er etwas zu früh erscheint, wird [ihm bedeutet, daß man ihn nicht empfange; er muß [beschämt abziehen und sehen, wie die anderen Gäste, darunter sein Abteilungschef und dessen Neffe, vorgelassen werden. Später schleicht er sich unter beschämenden Umständen doch zu der Feierlichkeit ein, die zu Ehren von Klaras Geburtstag statt- findet. Er benimmt sich bei der Gratulation höchst ungeschickt und erregt allgemein Anstoß. Ais er dann noch beim Tanz mit Klara stolpert, entfernt man ihn gewaltsam aus der Gesellschaft.

Um Mitternacht eilt er, „um sich vor seinen Feinden zu retten", in einem fürchterlichen Wetter ziellos durch die menschen- leeren Straßen Petersburgs. Er sah aus, „als wolle er sich vor sich selbst verstecken, als wolle er am liebsten vor sich selbst fortlaufen." Erschöpft und in namenloser Verzweiflung bleibt er endlich am Kanal stehen, auf das Geländer gestützt. Plötzlich „schien es ihm, daß im Augenblick jemand neben ihm, dicht neben ihm gestanden hatte, gleichfalls auf das Geländer gestützt, und — seltsam! — es war, als habe der Betreffende ihm sogar etwas gesagt, schnell und kurz und nicht ganz deutlich, aber irgend etwas ihm Naheliegendes, etwas, das ihn persönlich anging." Er sucht sich über diese- sonderbare Erscheinung zu beruhigen, aber beim Weitergehen kommt ihm ein Mann entgegen, den er für die Hauptperson der gegen ihn gerichteten Intrige hält und der ihm in der Nähe Entsetzen einflößt durch die auffällige äußerliche Übereinstimmung: „Er ging gleichfalls sehr eilig, war gleichfalls ganz vermummt . . . und ging wie er, Herr Goljädkin, mit kleinen, schnellen, trippelnden Schritten" . . .


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Noch ein drittes Mal begegnet ihm zu seiner maßlosen Über- raschung derselbe Unbekannte; Goljädkin läuft ihm nach, ruft ihn an, entschuldigt aber dann im Scheine der nächsten Laterne seinen Irrtum. Trotzdem zweifelte er nicht daran, den Mann genau zu kennen, „er wußte sogar wie er hieß, mit dem Familiennamen und mit dem Ruf- und Vatersnamen. Und doch hätte er ihn selbst für alle Schätze der Welt nicht mit Namen genannt" Im Verlaufe der weiteren Überlegungen begann er, die unheimliche Begegnung, die ihm nunmehr unvermeidlich schien, je schneller desto lieber herbeizuwünschen und tatsächlich ging der Unbekannte bald darauf in kurzer Entfernung vor ihm her. Unser Held befand sich jetzt auf dem Nachhausewege, den der unverkennbare Doppelgänger vollkommen genau zu kennen schien; er trat in Herrn Goljädkins Haus ein, eilte behende die halsbrecherische Treppe hinauf und trat schließlich in die Wohnung ein, die der Diener bereitwillig öffnete. Als Herr Goljädkin atemlos in sein Zimmer trat, saß „der Unbekannte vor ihm auf seinem Bett, gleichfalls im Hut und Mantel" ; unfähig, seinen Empfindungen irgendwie Luft zu machen, setzt er „sich, starr vor Schreck, neben den anderen hin . . . Herr Goljädkin erkannte sofort seinen nächdichen Freund. Dieser nächdiche Freund aber war niemand anderer [als er selbst - ja: Herr Goljädkin selbst, ein anderer Herr Goljädkin und doch Herr Goljädkin selbst — mit einem Wort und in jeder Beziehung war er das, was man einen Doppelgänger nennt."

Der mächtige Eindruck dieses Erlebnisses vom Schluß des vergangenen Tages macht sich am nächsten Morgen durch Verstärkung der Verfolgungsideen bemerkbar, die nun immer deutlicher von dem Doppelgänger auszugehen scheinen, der bald leibhaftige Gestalt annimmt und nicht mehr aus dem Mittelpunkt der Wahngebilde verschwindet. Im Bureau, wo er „einen Verweis


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wegen Vernachlässigung des Dienstes" befürchten muß, findet der Held an seinem Nebenplatz einen neuen Beamten, der niemand anderer ist als der zweite Herr Goljädkin. Dabei aber „ein anderer Herr Goljädkin, ein vollkommen anderer, und zugleich doch einer, der vollkommen ähnlich dem ersten war. Von gleichem Wuchs, derselben Gestalt und Haltung, ebenso gekleidet, ebenso kahlköpfig — kurz, es war nichts, aber auch nichts zur vollkommenen Ähnlichkeit vergessen worden, so daß, wenn man die beiden nebeneinander aufgestellt hätte, niemand, aber auch wirklich niemand hätte sagen können, wer der wirkliche Herr Goljädkin und wer der nachgemachte sei, wer der alte und wer der neue, wer das Original und wer die Kopie." Und doch ist dieses getreue „Spiegelbild", das sogar dieselben Vornamen hat und aus derselben Stadt gebürtig ist, so daß die beiden für Zwillinge gelten, in seinen Charakter- eigenschaften gewissermaßen ein Gegenstück seines Vorbildes: er ist ein Draufgänger, Heuchler, Schmeichler und Streber, der sich überall beliebt zu machen weiß und so seinen unbeholfenen, schüchternen, pathologisch aufrichtigen Konkur- renten bald ausgestochen hat. 1

Das sich nunmehr entwickelnde Verhältnis des Herrn Goljädkin zu seinem Doppelgänger, dessen Darstellung den Hauptinhalt des Romans bildet, kann hier nur in seinen wichtigsten Phasen fixiert werden. Anfangs kommt es zu einer äußerst intimen Freundschaft, ja sogar zu einem Bündnis gegen die Feinde des Helden, der seinem neuen Freunde die wichtigsten Geheinmisse mitteilt: „Ich liebe, ich hebe dich, liebe dich brüderlich, sage ich dir. Aber zusammen Sascha, da wollen wir ihnen einen Streich spielen." Aber bald wittert Goljädkin in seinem Eben-

i) Einzelne Züge seiner Karriere erinnern auffällig an das Hauptmotiv in E. T. A. Hoffmanns Märdien ..klein Zadies".


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bilde den Hauptfeind und sucht sich gegen ihn zu schützen: sowohl im Amt, wo der Doppelgänger ihm die Gunst der Kollegen und Vorgesetzten abspenstig macht, als auch im Privat- leben, wo er bei Klara zu reüssieren scheint Der widerwärtige Kerl verfolgt den Helden bis in seine Träume, in denen er, auf der Flucht vor dem Doppelgänger, sich von einer großen Schar von Ebenbildern umgeben sieht, denen er nicht entkommen kann (S. 4Il).' Aber auch im Wachen quält ihn dieses unheimliche Verhältnis derart, daß er schließlich den Gegner zum Duell auf Pistolen herausfordert. Neben diesem typischen Motiv fehlen auch hier nicht die Spiegelszenen, für deren Bedeutsamkeit es zu sprechen scheint, daß die Erzählung mit einer solchen beginnt „Kaum war er nun aus dem Bett gesprungen, so war das erste, was es tat, daß er zu dem runden Spiegelchen stürzte, das auf der Kommode stand. Und obwohl das verschlafene Gesicht mit den kurzsichtigen Augen und dem ziemlich gelichteten Haupt- haar, das ihm aus dem Spiegel entgegenschaute, von so unbedeutender Art war, daß es ganz entschieden sonst keines Menschen Aufmerksamkeit hätte fesseln können, schien der Besitzer desselben doch mit dem Erlebten sehr zufrieden zu sein." Im Stadium der höchsten Verfolgung durch den Doppel- gänger, als Goljädkin am Büfett eines Restaurants ein Pastetchen zu sich nimmt, fordert man von ihm für das Zehnfache Bezahlung, mit dem bestimmten Hinweis, er habe so viel gegessen. Sein sprachloses Erstaunen weicht einem Verständnis, da er auf- blickt und in der gegenüberliegenden Türe, „die unser Held vorhin als Spiegelglas angesehen", den anderen Herrn Goljädkin erkennt, mit dem man ihn verwechselte und der es in dieser Weise gewagt hatte, ihn bloßzustellen. Einer ähnlichen Täuschung

•) Ein ähnlicher Angsttraum von zahlreichen Ebenbidern des eigenen Ich bei Jerorae KJerome „Roman-Studien" (Engelhorn-BibL XII, IQ, S. 38).


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unterliegt der Held, als er in größter Verzweiflung seinen höchsten Vorgesetzten aufsucht, um sich seinem „väterlichen" Schutz anzuvertrauen. Sein unbeholfenes Gespräch mit Ihrer Exzellenz unterbricht plötzlich „ein sonderbarer Gast In der Tür, die unser Held bis jetzt für einen Spiegel angesehen hatte, wie es ihm schon einmal passiert war — erschien er — wir wissen ja schon wer: der Bekannte und Freund Herrn Goljädkins."

Durch sein sonderbares Benehmen gegen^Kollegen und Vor- gesetzte bringt es Goljädkin zur Entlassung aus dem Dienste. Aber die eigendiche Katastrophe knüpft sich, wie die aller anderen Doppelgängerhelden an ein Weib, an Klara Olssuphjewna. In Korrespondenzen mit seinem Doppelgänger und mit Wach- ramejeff, einem! d er „Verteidiger" der „deutschen Köchin", verwickelt, erhält Goljädkin einen Brief zugesteckt, der seine erotomanischen Phantasien aufs neue entfacht. In diesem Briefe bittet Klara Olssuphjewna, sie vor einer ihr wider Willen auf- gezwungenen Verheüatung zu schützen und mit ihr, die bereits der*Arglist eines Nichtswürdigen zum Opfer gefallen sei und sich nun ihrem edlen Retter anvertraut, zu entfliehen. Nach vielfachen Bedenken und Überlegungen beschließt der miß- trauische Goljädkin dem Rufe doch Folge zu leisten und Klara, wie angegeben, um Q Uhr abends im Wagen vor ihrem Hause zu erwarten. Aber auf dem Wege zum Stelldichein unternimmt er noch einen letzten Versuch, alles in Ordnung zu bringen. Er will sich Seiner Exzellenz als einem Vater zu Füßen werfen und von ihm Rettung vor dem schändlichen Doppelgänger erflehen. Er würde sagen: „Er ist ein anderer Mensch, Ew. Exzellenz, und audi ich bin ein anderer Mensch! Er ist einer für sich und ich bin einer für mich, wirklich, ich bin ganz iür mich." Doch wie er vor dem hohen Herrn steht, wird er


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verlegen, beginnt zu stottern und zu fabeln, so daß die Exzellenz und ihre Gäste bedenklich werden. Besonders der anwesende Doktor, derselbe, den Goljädkin konsultiert hatte, beobachtet ihn scharf, und natürlich ist auch wieder sein bei Exzellenz in Gunst stehender Doppelgänger da, der ihn schließlich

hinauswirft.

Nachdem Goljädkin lange Zeit im Hofe von Klaras Hause verborgen gewartet und dabei alles Für und Wider seines Vorhabens nochmals erwogen hatte, wird er plötzlich von den hell erleuchteten Fenstern der Wohnung aus (entdeckt und - natürlich von seinem Doppelgänger - in der liebenswürdigsten Weise ins Haus eingeladen. Er glaubt seinen Plan entdeckt und ist auf das Ärgste vorbereitet; statt dessen geschieht nichts dergleichen, im Gegenteil wird er von allen liebenswürdig und zuvorkommend empfangen. Eine glückliche Stimmung überkommt ihn und er fühlt sich voll Liebe, nicht nur zu Olssuph Iwano- witsch, sondern zu allen Gästen, sogar zu seinem gefährlichen Doppelgänger, der durchaus nicht mehr böse, der gar nicht mehr der Doppelgänger zu sein schien, sondern ein ganz gleich- gültiger und liebenswürdiger Mensch. Dennoch hat der Held von den Gästen den Eindruck, daß sicji etwas Besonderes vorbereiten müsse; er glaubt, es handle sich um eine Versöhnung mit seinem Doppelgänger und reicht ihm die Wange zum Kusse; doch schien es ihm, „als tauchte etwas Böses in dem unedlen Gesicht Herrn Goljädkins des Jüngeren auf - die Grimasse des Judaskusses ... Im Kopfe Herrn Goljädkins dröhnte {es und vor seinen Augen wurde es dunkel: ihm schien eine end- lose Reihe Goljädkinscher Ebenbilder mit großem Geräusch durch die Tür ins Zimmer zu stürmen." In Wirklichkeit tritt dort unerwartet ein Mann ein, bei dessen Anblick unseren Helden Entsetzen faßt, obwohl er „schon früher alles gewußt


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und ähnliches geahnt" hatte. Es ist der Doktor, wie der trium- phierende Doppelgänger ihm boshaft zuflüstert. Der Doktor nimmt den bedauernswerten Goljädkin, der sich vor den Anwesenden zu rechtfertigen sucht, mit sich fort und besteigt mit ihm einen Wagen, der sich sogleich in Bewegung setzt. „Gellende, ganz unbändige Schreie seiner Feinde folgten ihm als Abschiedsgrüße auf den Weg. Eine Zeitlang hielten noch mehrere Gestalten mit dem Gefährt gleichen Schritt und sahen in den Wagen hinein. Allmählich jedoch wurden ihrer immer weniger, bis sie schließlich verschwanden und nur noch der schamlose Doppelgänger Herrn Goljädkins übrig blieb", fder, bald links, bald rechts neben dem Wagen herlaufend, zum Abschied Kußhände warf. Schließlich verschwindet auch er und Goljädkin verfällt in Bewußdosigkeit, aus der er im Dunkel der Nacht neben seinem Begleiter erwacht und von ihm erfährt, daß er von Staats wegen freie Station erhalte: „Unser Held stieß einen Schrei aus und griff sich an den Kopf. Das war es: und das hatte er schon lange geahnt!"

Alle diese Erzählungen weisen, abgesehen von den in Form verschiedener Typen gestalteten Doppelgängerfigur, eine Reihe so auffällig übereinstimmender Motive auf, daß es kaum nötig scheint, sie noch besonders hervorzuheben. Jmmer handelt es sich um ein dem Helden bis auf die kleinsten Züge, wie Namen, Stimme, Kleidung ähnliches Ebenbild, das, wie „aus dem Spiegel gestohlen" (Hoff mann), dem Helden auch meist im Spiegel erscheint; immer auch tritt dieser Doppelgänger seinem Vorbild hindernd in den Weg und in der Regel kommt es beim Verhältnis zum Weib zur Katastrophe, die meist in Selbstmord - auf dem Umweg des dem lästigen Verfolger zugedachten Todes - endet. In einer Anzahl von Fällen ist dies verquickt mit einem regelrechten Verfolgungswahn oder gar ersetzt durch


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einen solchen, der dann zu einem vollkommenen paranoischen Wahnsystem ausgestaltet erscheint

Die Aufzeigung dieser gemeinsamen typischen Züge bei einer Reihe von Autoren soll nicht so sehr deren literarische Abhängigkeit beweisen, die in einigen Fällen ebenso sicher wie in anderen unmöglich ist, als vielmehr auf die identische seelische Struktur dieser Dichter aufmerksam machen, die wir nun etwas näher betrachten wollen.




III

„Dichter sind doch immer Narzisse," W. Schlegel.

„Selbstliebe ist der Anfang zu einem lebenwahrenden Roman." "Wilde.

„Liebe zu sich selbst ist immer der Anfang eines romanhaften Lebens . . . denn nur wo das Ich eine Aufgabe ist, hat es einen Sinn zu schreiben."

Thomas Mann.

Es kann nicht unsere Absicht sein, Leben und Schaffen der hier in Betracht kommenden Dichter pathographisch oder gar analytisch zu durchforschen; nur ein Querschnitt durch eine bestimmte Schichte ihrer seelischen Konstitution soll die weit- gehenden Übereinstimmungen in gewissen Grundzügen erweisen, aus denen dann die gleichen psychischen Reaktionen folgen.

Als oberste Gemeinsamkeit fällt auf, daß die uns hier interessierenden Dichter - wie einige gleichgeartete 1 - aus- gesprochen pathologische Persönlichkeiten waren, die das sonst dem Künstler zugestandene Maß von Neurotik nach mehr als einer Richtung überschritten. Sie litten nämlich nicht nur offen- kundig an psychischen Störungen oder Nerven- und Geistes- krankheiten, sondern bewiesen auch im Leben ein ausgesprochen exzentrisches Tun und Treiben, sei es, daß sie im Trinken, im Gebrauch von Opiaten, in sexualibus - mit besonderer Betonung des Abnormen — exzedierten.

Von Ho ff mann, der von einer hysterischen Mutter stammt, ist bekannt, daß er nervös, exzentrisch und Stimmungen stark

i) Nahe stehen etwa noch: Vi liier s de l'I sie -Adam, Baude- laire, Strindberg, Kleist, Günther, Lenz, Grabbe, Hölderlin.

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unterworfen war, ja, daß er an Halluzinationen, Wahnideen und Zwangsvorstellungen litt, die er in seinen Dichtungen darzustellen liebte.' Er hatte Angst, wahnsinnig zu werden, und „glaubte manchmal sein leibhaftiges Spiegelbild, seinen Doppelgänger und andere spukhafte Gestalten in Vermummung vor sich zu sehen." (Klinke.) Die Doppelgänger und Schauergestalten sah er, wenn er sie beschrieb, wirklich um sich und weckte deshalb bei nächtlicher Arbeit oft in Angst seine Frau, um ihr die Gestalten zu zeigen. 2 Nach einem Gelage schrieb er ins Tagebuch: „An- wandlung von Todesgedanken: Doppeltgänger" (Hitzig I, 174, 275). Er ging mit siebenundvierzig Jahren an einer Nerven- krankheit zugrunde, die Klinke als Chorea diagnostiziert, die aber auch als Paralyse aufgefaßt wurde und die jedenfalls auf seine neuropathische Konstitution schließen läßt, die er mit den meisten seiner noch zu besprechenden Schicksals- genossen teilt. So mit Jean Paul, der gleichfalls an Angst vordem Wahnsinn litt und mit schweren seelischen Erschütterungen zu kämpfen hatte, um sich zum Schaffen durchzuringen. Im Mittelpunkt seiner Seelenkämpfe steht das Verhältnis zum Ich, dessen Bedeutung für die psychischen Störungen und die dichterischen Gestalten Jean Pauls sein Biograph Schneider eingehend


») Vgl. dazu Klinke 0- c.), Schaukai: Hoffmann („Die Diditung", Bd. XII, Berlin IQ04) sowie die dort zitierten Quellen, namentlich Hitzigs Erinnerungen „Aus Hoffmanns Leben". 2 Teile, Berlin 1823.

Hoffmann, der die psychiatrische und okkulte Literatur gut kannte, hat auch von dort her Anregung für seine Stoffe geschöpft. Insbesondere Schuberts damals stark gelesenen Büchern soll Hoffmann viel verdanken. In der 1814 erschienenen „Symbolik" heißt es, daß das Gefühl „einer doppelten Persönlichkeit vom Nachtwandler und auch nach langen Krankheiten empfunden wird und sie ist bei Wahnsinn mit leichten Intervallen und im Traume wirklich vorhanden" (S. 151).

2 ) In Maupassants „Lui" nimmt sich der Held eine Frau, um vor solchen Anwandlungen geschützt zu sein.




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würdigt. „Als eine der merkwürdigsten Erinnerungen aus seiner Kindheit erzählt Jean Paul, daß ihm einst als Knaben das innere Gesicht, ,ich bin ein Ich', wie ein Blitzstrahl vom Himmel kam und seitdem leuchtend vor ihm stehen blieb ... In der Leipziger Zeit drängt sich ihm jene mächtige Empfindung des eigenen Selbst wie ein schreckendes Gespenst auf." (I. c.) „Vorher die Geschichte", schreibt der Dichter l8lO in sein Vitabuch, „wie ich einmal Nachts in Leipzig nach ernstem Gespräche Oerthel ansehe und er mich, und uns beiden vor unserem Ich schaudert." . . . „Im Jiesperus' läßt er das Ich bereits als unheimliches Gespenst vor sich erstehen, das wie mit einem Basiliskenblick auf den Beschauer wirkt. Schon sehen wir den Dichter an der künsderiscfaen Ausgestaltung seiner Wahnidee. Er kann sie nicht mehr los werden, er verliert sich immer und immer wieder, wenn er einsam ist, in der Betrachtung seines eigenen Ich . . . Aus dem Ich, dem ursprünglich empfundenen Absoluten im wirbelnden Wechsel der Relationen (»Unsichtbare Loge'), ist allmählich ,d e r Ich' geworden, welcher bald als Traumgestalt durchsichtig und zitternd neben dem eigenen Ich steht, bald als Spiegelbild sich drohend emporreckt, gegen das Glas sich bewegt und heraustreten will. Immer weiter treibt es Jean Paul mit seiner furchtbaren Idee" (Schneider 1. c), deren künsderische Aus- gestaltung wir bereits verfolgt haben.

In einem Atem mit H o f f m a n n ist man gewohnt, Edgar Allan P o e zu nennen, dessen Leben ebenso exzentrisch war wie sein Dichten. 1 Wie bei Ho ff mann und Jean Paul, finden sich auch hier ungünstige Verhältnisse im Elternhaus. Poe verlor seine Eltern mit zwei Jahren und wurde bei Verwandten erzogen. Schon in der Pubertät trat eine schwere Melancholie

1) Hanns Heinz Ewers: Poe. Berlin IQ05. - H. Probst: Poe (Grenz- fragen der Lit. und Mediz., hg. von S. Rahmer, H. VIII). München 1008.

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auf, als die Mutter eines Kameraden, die er sehr verehrte, starb. Um diese Zeit begann er auch schon mit dem Alkoholgenuß und verfiel später in Trunksucht, bis er, etwa in den letzten zehn Jahren seines Lebens, zum Opium griff. Mit siebenund- zwanzig Jahren heiratete er seine kaum vierzehnjährige Cousine, die einige Jahre später an Schwindsucht starb, an der auch seine Eltern zugrunde gegangen waren. Bald nach dem Tode seiner Frau hatte er den ersten Anfall von Delirium tremens. Eine zweite Ehe kam nicht zustande, weil er am Tage vor der Hoch- zeit unmäßig Alkohol genossen hatte und exzedierte. 1 Im Jahre seines Todes knüpfte er noch Beziehungen mit einer inzwischen verwitweten Jugendgeliebten an. Er starb, nur siebenunddreißig Jahre alt, angeblich an Delirium tremens. Neben den typisch alkoholistischen und epileptischen Charakterzügen weist Poe Angstvorstellungen (besonders vor dem Lebendigbegrabenwerden) und zwangsneurotische Grübelsucht auf (man vergleiche die Novellen: „Berenice", „The tell-tale Heart" usw.). Sein Patho- graph Probst nennt ihn feminin und betont die Asexualität seiner Phantasien: „es fehlt ihm die Geschlechtsliebe", was er als Folge des Alkohol- und Opiumgenusses ansieht. Außerdem schildert er ihn als egozentrisch: „all sein. Denken dreht sich nur um sein Ich" (1. c. S. 25). Die Novelle „William Wilson" gilt allgemein als Selbstbekenntnis Poes und er schildert ja darin auch einen Menschen, der durch Spiel und Trunksucht immer mehr herabkommt, um sich schließlich gegen sein besseres Selbst zugrunde zu richten. Ähnlich, wenn auch von ergreifenderer Tragik, ist das Leben


Baudelaire erklärt in seinem feinen Essai über Poe diese Tat- sache psychologisch daraus, daß der Dichter seiner ersten Frau treu bleiben wollte und darum die Entlobung provozierte (Baudelaires Werke, deutsch von Max Bruns, Bd. Ul).


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und Leiden Maupassants. 1 Audi er stammt, wie Hoff- mann, von einer ausgesprochen hysterisdien Mutter, und war zweifellos zu seiner durch einen äußeren Anlaß verursachten geistigen Erkrankung stark prädisponiert. 2 Wie Poe im Alkohol so exzedierte Maupassant in der Liebe. Zola sagt von ihm: „Er war ein gefürchteter Mädchenjäger, der von seinen Streifzügen immer die erstaunlichsten Frauenzimmergeschichten mitbrachte, allerlei unmögliche Liebesabenteuer, bei deren Erzählung unserem guten Freunde Flaubert vor Lachen die Tränen in die Augen traten." Als sich Maupassant mit etwa achtundzwanzig Jahren bei Flaubert beklagt, daß er den Weibern keinen Geschmack mehr abgewinnen könne, schreibt ihm dieser: „Immer die Weiber, Schweinchen. " - „Zu viel Huren, zu viel Ruderei, zu viel Körperbewegung ..." (Vorberg, S. 4). Doch war er um diese Zeit ein kräftiger, gesunder, abenteuerlustiger Mensch von einer geradezu fabel- haften Arbeitskraft. 3 Aber schon im dreißigsten Lebensjahre machten sich die ersten Anzeichen der progressiven Paralyse bemerkbar, der der Dichter im dreiundvierzigsten Jahre erlegen ist. Seine ursprünglich anekdotenhaften und ergötzlichen, oft von derber Sinnenlust strotzenden Geschichten machen allmählich düsteren Selbstbekenntnissen Platz, in denen die schwere Ver- stimmung dominiert. Sein Buch „Sur l'Eau" (l888) schildert diese Zustände in Tagebuchform. Nach und nach nahm Maupassant


1) Paul Mahn, Maupassant, Berlin 1908. - Gaston Vorberg, Mau- passants Krankheit (Grenzfragen des Nerven- und Seelenlebens, heraus- gegeben von L. Löwenfeld, Heft 60). Wiesbaden IQ08.

2) Für entsprechende Disposition spricht der Umstand, daß audi sein Jüngerer Bruder Hervc an Paralyse zugrunde ging.

3) „Von I880 bis 1890 schrieb er außer zahlreichen Zeitungsartikeln sechzehn Bände Novellen, sechs Romane und drei Bände Reiseschilderungen." (Vorberg, S. 5-)


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zu allerhand narkotischen Mitteln seine Zuflucht und scheint sich auch zeitweise mit ihrer Hilfe aufrecht erhalten zu haben. Ja, manche seiner Werke sollen nach seiner eigenen Angabe unter der Einwirkung solcher Mittel geschrieben sein, was man auch von Poe, Hoffmann, Baudelaire und anderen behauptet hat. Wie diese Dichter, litt auch Maupassant, wenngleich aus anderer Ursache, an Halluzinationen und Illusionen, die er auch oft in seinen Werken geschildert hat. Später produzierte er eine Reihe interessanter Wahngebilde, hatte Größen- und Verfolgungsideen und unternahm auch einen Selbstmordversuch. Lange vorher schon kämpfte er gegen den „inneren Feind", den er in „Horla" so großartig dargestellt hat Auch diese Novelle ist, ebenso wie „Lui" und vieles andere, nichts als eine ergreifende Selbstschilderung. Die innere Spaltung in sich hat er schon früh deudich erkannt: „Weil ich in mir jenes Doppelleben trage, das die Kraft und zugleich das Elend des Schriftstellers ist. Ich schreibe, weil ich empfinde, und ich leide an allem, was ist, weil ich es nur zu gut kenne, und vor allem, weil ich, ohne es kosten zu können, es in mir selbst, in dem Spiegel meiner Gedanken sehe." (Sur l'Eau. IO. April.) Ähnlich wie Poe ist auch Maupassant stark egozentrisch eingestellt („Mich ermüdet sehr rasch alles, was sich nicht in mir selbst vollzieht"), und trotz seines intensiven Sexuallebens hat er doch niemals das richtige Verhältnis zum Weib gefunden, die Liebe, „ein Glück, das ich nicht kannte und das ich in stiller Ahnung für das Höchste auf Erden hielt." (Sur l'Eau.) Gerade die Frauen lassen ihn deudich seine Unfähigkeit zu wirklicher Hingabe fühlen: „Am meisten lassen mich die Frauen empfinden, daß ich allein bin . . . Nach jedem Kuß, nach jeder Umarmung wird das Vereinsamungsgefühl größer ... Ja, sogar in jenen Augenblicken, wo scheinbar ein


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geheimnisvolles Einverständnis besteht, wo sich Wunsch und Sehnsucht verschmelzen und man in die Tiefe ihrer Seele hin- abzutauchen glaubt, läßt ein Wort, ein einziges Wort, uns ■ unseren Irrtum erkennen und zeigt uns, wie ein Blitzstrahl in der Gewitternacht, den Abgrund zwischen uns beiden" („Solitude"). Wie er hier von seinem Ich nicht zum Weibe loskommt, so flüchtet er in „Lui" von diesem unheimlichen und grauenhaften Ich zum Weib. Daß sich ihm die innerliche seelische Spaltung auch direkt in der Doppelgängerphantasie objektivierte, zeigt eine von S o 1 1 i e r ! berichtete Halluzination Maupassant s, die der Dichter „eines Nachmittags im Jahre I889 hatte und noch am Abend desselben Tages einem vertrauten Freunde erzählte. Er saß in seinem Arbeitszimmer am Schreibtisch. Der Diener hatte strengen Befehl, niemals einzutreten, während sein Herr arbeitete. Plötzlich kam es Maupassant vor, als wenn die Türe geöffnet würde. Er dreht sich um und zu seinem größten Erstaunen sieht er, wie seine eigene Person eintritt und ihm gegenüber Platz nimmt, den Kopf in der Hand haltend. Alles, was er schreibt, wird ihm diktiert. Als der Schriftsteller mit der Arbeit fertig war und aufstand, ver- schwand die Halluzination." (Vorberg, S. IÖ.)

Ähnliche Selbstcrscheinungen hatten übrigens audi andere Dichter. Am bekanntesten ist wohl die von Goethe (am Schluß des elften Buches vom DJ Teil seiner Selbstbiographie „Dichtung und Wahrheit") berichtete Episode in Sesenheim, wo er von Friederike Abschied nahm und auf dem Fußpfad gegen Drusenheim fortritt. „Da überfiel mich eine der sonderbarsten Ahnungen. I(h sah nämlich, nicht mit den Augen des Leibes, sondern des Geistes, mich mir selbst, denselben Weg, zu Pferde wieder entgegen- kommen, und zwar in einem Kleide, wie ich es nie getragen: es war hecht- grau mit etwas Gold. Sobald ich mich aus diesem Traum aufschüttelte, war die Gestalt ganz hinweg. Sonderbar ist es jedoch, daß ich nach acht Jahren in dem Kleide, d as mir geträumt hatte und das idi nicht aus Wahl, sondern 1) Paul S o 1 1 i e r, „Les phenomenes d'autoscopie". Paris 1913, Felix Alcan.


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aus Zufall gerade trug, midi auf demselben Wege fand, um Friederiken noch einmal zu besudien. Es mag sidi übrigens mit diesen Dingen wie es will verhalten, das wunderliche Trugbild gab mir in jenen Augenblicken des Scheidens einige Beruhigung. Der Schmerz, das herrliche Elsaß, mit allem, was ich darin erworben, auf immer zu verlassen, war gemildert . . ." Ist hier der Wunsch, die Geliebte nicht verlassen zu müssen, zweifellos der Antrieb zu dieser sich in entgegengesetzter Richtung bewegenden Selbsterschei- nung,! so werden ähnliche Halluzinationen in verschiedenen anderen Situationen von Shelley berichtet.*

Es ist nun bemerkenswert, daß auch C harn i s s o, der Dichter des „Peter SdüemihT, ein ähnliches Doppeltsehen künsderisch verarbeitet hat. Er schildert dort, wie er nach einem Gelage um Mitternacht nach Hause kommt und sein Zimmer vom Doppel- gänger besetzt findet, wie Maupassant in „Lui", Dosto- jewski im „Doppelgänger", Kipling u. a. m. 3

Es entspinnt sich nun zwischen beiden ein Streit darum, wer der Rechte sei, 4


') Freud faßt, nadi einer mündlichen Mitteilung, die Erscheinung Goethes im seltsamen Kleide als rechtfertigende Entschuldigung der Treu- losigkeit auf, die es ihm ermöglichte, andere Ziele zu erreichen (Staats- kleid). v

2 ) Downey: Literary Self-Projection. Psychol. Rev. XIX. 1012, S. 299.

3) Auch in „Wilhelm Meister" glaubt der Graf seinen Doppelgänger an seinem Schreibtisch sitzen zu sehen und wird davon so tief erschüttert, daß sein ganzes Wesen sich ändert ; er wird melancholisch und hat nur noch Todesgedanken.

Da ward mir ein Gesicht gar schreckenreich, - Ich sah mich selbst an meinem Pulte stehen. Ich rief: „Wer bist Du, Spuk?" - Er rief zugleich: „Wer stört mich auf in später Geisterstunde?" Und sah mich an und ward, wie ich, auch bleich.

4) Man vgl. die Anmaßimg des Schattens in Andersens Märchen. Die ethisierende Gegenüberstellung der Doppelgängerfigur als Personifikation der eigenen bösen Regungen findet sich besonders deutlich in den Fällen von Doppelbewußtsein (Stevenson: „Dr. Jekyll"), aber auch bei Dostojewskis Goljädkin, und ist auch im „Studenten von Prag"


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Der Dichter weist sich als einer aus, der stets nach dem Schönen, Guten, Wahren getrachtet hahe, während sein Doppel- gänger sich rühmt, feig, heuchlerisch und eigennützig gewesen zu sein, worauf der Dichter ihm als dem echten Selbst beschämt das Feld räumt.

Wie die meisten der besprochenen Dichtungen, wird audi Chamissos Peter Schleraihl allgemein als ausgesprochen autobiographisches Werk aner- kannt: „Peter SchlemihI ist Chamisso selbst: ,dem ich vielmehr in dem Leibe stecke', sagt er in einem Briefe an Hitzig."' Dafür spricht nicht nur die äußere Erscheinung Schlemihls und manches in seinem Wesen, sondern auch die anderen Personen, die unverkennbare Vorbilder in des Dichters Leben haben. Bendel hieß sein eigener Diener; die kokette, eitle und genußsüchtige Fanny hat ihr Urbild in Ceres Duvernay, der schönen, aber egoistischen 2 Landsmännin des Dichters, „durch die er jahrelang glücklich und unglücklich ward; und die hingebungsvolle, schwärmerische Mina erinnert an Chamissos kurzes Liebesidyll mit der Dichterin Helmina v. Chezy. Auf die persönlichen Wurzeln der Dichtung wirft auch die Anekdote Licht, die Chamisso als Anlaß erwähnt. „Ich hatte," heißt es in einem Briefe, auf einer Reise Hut, Mantelsack, Handschuhe, Schnupftuch und mein ganzes bewegliches Gut verloren. Fouque frug, ob ich nicht auch meinen Schatten verloren habe und wir malten uns das Unglück aus." 3 Diese Szene zeigt

angedeutet, während in „William Wilson" von Poe der Doppelgänger die Rolle eines Schutzengels oder Warners zu spielen sucht. „Es soll mein echtes Ich sich offenbaren, Zu Nichts zerfließen dessen leerer Schein!" ») Chamisso von Ludw. Geiger (Dichter-Biographien, Bd. XIV, Reclam- Bibliothek). - Geiger, Aus Chamissos Frühzeit. Ungedruckte Briefe und Studien. Berlin 1905. - Fr. Chabozy, Über das Jugendleben Chamissos zur Beurteilung seiner Dichtung Peter SchlemihI. Diss. München 1879.

2) Chamisso macht ihr darüber Vorwürfe in einem Briefe : Tu es dans ton triste egoisme et dans ton faux orgueil, ma chere soeur, un vice que j'ai quelquefois repris avec vehemence et qu'il faut que je gourmande encore parce qu'il m'alarme et que c'est moi qu'il peut offenser (Ch abozy, Anmerkung S. 7).

3) Ein andermal ging der Dichter, nach dem Bericht eines Freundes, mit Fouque m der Sonne spazieren, so daß der kleine Fouque nach seinem Schatten fast so groß aussah wie der hochgewachsene Chamisso. Dieser soll nun den Freund mit der Drohung geneckt haben, ihm seinen Schatten aufzurollen.


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deutlich, daß der unbeholfene und schüchterne Chamisso selbst in- den Kreisen seiner Freunde als „Schlemihl" galt.'

Daß er sich selbst als solchen gefühlt hat, geht aus einzelnen Gedichten deutlich hervor: so „Pech" und „Geduld", beide aus dem Jahre 1828 (mit fast fünfzig Jahren), worin er sein „Unglück" schon in der Kindheit beginnen läßt. Aus dem Jahre seiner Heirat (1819) stammt das Gedicht „Adelbert an seine Braut", das den hohen Trost zeigt, den der Dichter für seine vielen Entsagungen endlich in der Liebe gefunden hatte. Auch in einem Brief vom Juni desselben Jahres preist er sich glücklich, eine liebevolle Braut gefunden zu haben und kein „Schlemihl" geworden zu sein. Er bringt also selbst diese Eigenschaft mit der mangelhaften Fähigkeit zur Liebe in Verbindung, wie ja auch die übrigen, in selbstgefälliger Eigenliebe befangenen Helden zur Geschlechtsliebe unfähig sind. - Auch die entsprechende Eitelkeit wird man einem Schlemihl nicht absprechen, der seinen Bericht an den Dichter mit dem Rat beschließt: „Willst du unter den Menschen leben, so lerne verehren zuvorderst den Schatten und dann das Geld. Willst du nur dir und deinem besseren Selbst leben, oh, so brauchst du kernen Rat." Und auch W a l z e 1 (1. c. LVIII) hebt als Moral der Geschichte hervor, der Mensdi solle sich rechtzeitig zur Erkenntnis durchringen, „daßer nur sich allein braucht, um glücklich zu sei n."

! ) Über den Namen „Schlemihl" schreibt Chamisso am TJ. März 1821 an seinen Bruder Hippolyt: „Schlemihl oder besser Schlemiel ist ein hebräisdier Name und bedeutet Gottlieb, Theophil oder aime de dieu. Dies ist in der gewöhnlichen Sprache der Juden die Benennung von ungeschickten und unglücklidien Leuten, denen nichts in der Welt gelingt. Ein Schlemihl bricht sich den Finger in der Westentasche ab, er fällt auf den Rücken und bridit sidi das Nasenbein, er kommt immer zur Unzeit. Schlemihl, dessen Name sprichwörtlich geworden, ist eine Person, von der der Talmud folgende Geschichte erzählt: Er hatte Umgang mit der Frau eines Rabbi, läßt sich dabei ertappen und wird getötet. Die Erläuterung stellt das Unglück dieses Schlemihls ins Licht, der so teuer das, was jedem anderen hingeht, bezahlen muß."

Nach Heine (Romanzero, drittes Buch, viertes Gedicht: Jehuda ben Halevy) stellt sich dieses letzte Unglück noch drastischer dar : Pinchas wollte den mit einem Weib buhlenden Simri erstechen, traf aber den ganz unschul- digen Schelumiel (Schlemiehl). - Andere leiten den Namen von „schlimm mazzel" = unglückliches Schicksal ab (vgl Jewish Encyclopedia). Nach Anton (Wb. d. Gauner- und Diebssprache, Magdeburg 1843, S. 61) wäre der Name aus dem Jenischen und bedeutete Pechvogel. (.Bekanntlich enthält die Gaunerspreche viele jüdische Elemente."*


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Es muß auffallen, daß so viele von den hier in Betracht kommenden Diditern an schweren Nerven- oder Geisteskrank- heiten zugrunde gingen, wie Hof fm an n, Poe, Maupassant, fernerhin Lenau, Heine und Dostojewski. Wenn wir diese Tatsache, zunächst nur im Sinne einer besonderen disposi- tionellen Anlage betrachten, darf doch nicht übersehen werden, daß diese sich eben oft schon vor dem Ausbruch des zerstörenden Leidens und auch in anderer Form zu äußern pflegt. So war Lenau unstät, lebensüberdrüssig, melancholisch und trüb- sinnig 1 und auch H e i n e litt unter Stimmungen und neurotischen Zuständen, ehe ihn die schwere Nervenkrankheit, an deren paralytischem Charakter neuerdings wieder gezweifelt wurde, niederwarf. Charakteristisch für den tief gewurzelten Dualismus im Fühlen und Denken ist dessen frühzeitiges Erkennen, wie es uns bei Jean Paul gelegentlich seines ersten Icherlebnisses in der Kindheit entgegengetreten ist und wie es auch Heine, Musset und andere von sich berichten. In seinen Memoiren spricht Heine davon, daß er als Knabe selbst eine Art alteration de la personnalite erlitten und das Leben seines Groß- oheims zu führen geglaubt habe. 2 Und Musset hat von sich erzählt, daß sich schon von seiner Knabenzeit an ein scharfer Dualismus durch sein Seelenleben gezogen habe. 3 Welch deudiche Gestalt dieser mit der Zeit gewonnen hat, zeigt das besprochene Gedicht, in welchem bei allen bedeutungsvollen Anlässen der Doppelgänger erscheint. In seiner „Confession d'un enfant du siecle" schildert der Dichter seine Verstimmungen

i) Vgl. die psydiographisdie Studie von I. Sadger (Schriften z. angew. Seelenkunde, herausgegeben von Freud, Heft VI, IOiO).

2) „Es gibt nichts Unheimlicheres, als wenn man bei Mondsdiein das eigene Gesicht zufällig im Spiegel sieht." Heine (Harzreise).

3) Vgl. die Biographie des Dichters von seinem Bruder Paul. - Ferner Paul Lindau, A. de Musset, 2. Aufl. Berlin 1877.


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wie auch seine Anfälle (acces de colere), deren ersten er im Alter von neunzehn Jahren aus Eifersucht auf seine Geliebte erlitten hatte. 1 Diese Eifersuchtsanfälle wiederholten sich später, besonders im Verhältnis mit der älteren George Sand, welches die beiden selbst als „inzestuös" charakterisierten. Nach dem Bruch dieses Liebesverhältnisses ergab sich der auch früher schon leichtsinnige Musset dem Trünke und sexuellen Ausschweifungen und ging früh seelisch und körperlich zugrunde.

Die Reihe der pathologischen Dichtergestalten beschließen zwei mit ausgesprochen schweren neurotischen Symptomen. Auch bei Ferdinand Raimund spielt zweifellos die ungünstige Disposition ebenso ihre Rolle 2 wie bei den geistesgestörtenDichtern, obwohl er vorwiegend an schweren Verstimmungen, Melancholie und hypochondrischen Befürchtungen litt, die ihn schließlich zum Selbstmord trieben. Schon von seinen Jünglingsjahren an zeigte er übermäßige Reizbarkeit, Jähzorn, Mißtrauen usw., auch Selbstmordimpulse und -versuche, die sich im Laufe der Jahre zu einem schweren Gemütsleiden entwickelten. In der selbstbiographischen Skizze schreibt Raimund: „Durch die fortwährende geistige und physische Anstrengung und Kränkungen im Leben verfiel ich im Jahre 1824 in eine bedeutende Nerven- krankheit, welche mich der Auszehrung nahe brachte." Er glaubte sich von falschen Freunden hintergangen, Wutausbrüche wechselten mit tief melancholischer Resignation und Schlaf- losigkeit stellte sich ein. Dazu hatte wahrscheinlich auch seine unglückliche, bald getrennte Ehe b eigetragen, die als Endpunkt

•) In seinem ersten Cediditband, den er mit achtzehn Jahren veröffent- i<hte, behandelte Musset fast ausschließlich das Thema des Ehebruchs und der Untreue mit -Duell der Rivalen, von denen immer einer fällt.

2 ) Vgl. I. S a d g e r. F. Raimund, eine pathologische Studie. Wage, I. Halb- jahr (1808). Heft 13 bis 25.


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einer Reihe unglücklicher Liebesgeschichten erscheint; immer wieder verfiel der Dichter dieser für ihn unseligen Leidenschaft, die ihn, wie er selbst sagte, am heftigsten beherrschte. Auch seine letzte, große Liebe zu Toni war nicht ganz glücklich, aber er fühlte selbst, daß die Schuld an ihm lag, daß er im tiefsten Grunde unfähig zur Liebe war, 1 und dies mag eine Hauptursache für die Ausführung des Selbstmordimpulses gewesen sein, der in ihm schlummerte und sich des äußeren Anlasses (Furcht vor Tollwut) nur zur Rationalisierung bediente. Denn schon Jahre vor dem gewaltsamen Ende sind deutliche Anzeichen einer tiefen Störung bemerkbar. I83I sagte der Dichter selbst zu dem Romanschriftsteller Spindler: „In mir sitzt es tief und böse, was mich untergräbt, und ich versichere Sie, daß meine komischen Erfolge nur zu oft eine gründliche Desperation zur Mutter haben. Man sollte mirs oft nicht ansehen, welch ein trauriger Spaßmacher ich bin. 2 Der Dichter wird immer ungenügsamer, mißtrauischer, melancholischer; zu seinen früheren Befürchtungen gesellt sich noch die, seine ohnehin schwache Stimme zu verlieren. Sein Zustand war damals - vier Jahre vor dem Tode - bereits derart, daß Coste noble in sein Tagebuch schrieb: „Der wird noch toll oder bringt sich um." Im Todesjahr steigerten sich die hypochondrischen und ängsdichen Befürchtungen zur Unerträglichkeit. „So schloß

„Einsam bin ich selber in der Menge, Streb' ich gleich zu sein, wo Menschen weilen, Einsam selbst im wildesten Gedränge, Wer soll Lust, wer Freuden mit mir teilen? Fremd sind die bekanntesten Gestalten Mir geworden, und seit du mir fern, Schmerz allein und Grab und Trübsinn walten, Weil ich stets sie pflege, bei mir gern. Sie umschmeicheln mich, doch acht sie haben Meine Ruh' auf immer untergraben: Schlaue Diener, zwingen sie den Herrn." (Stammbuchblatt 1834)

2) Raimunds Werke, hg. von Castle (Hesses Klassiker- Ausgabe), S. CDC. -Vgl. zu anderen biographischen Details Wilh. Börne r: F. Raimund. (Dichter-Biogr. Bd. XI, Reclam-Bibl.)



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er schon um halb acht Uhr abends alle Türen und Fensterladen fest zu, und selbst der Brief böte, der ihm eine wichtige Nachricht zu übermitteln hatte, vermochte nicht, ihn zum Öffnen der Tür zu bewegen. Seit dieser Zeit ging er auch nie mehr ohne Pistole außer Haus." (Born er, S. 91.) „Von Furcht und Bangigkeit übermannt, schloß er sich in den letzten Wochen oft ein und wollte nicht einmal die Freundin sehen." (Castle, S. CXI.) Als ihn in dieser Zeit zufällig sein Hund gebissen hatte, 1 befiel ihn die bereits zehn Jahre früher geäußerte Wahnvorstellung wieder, an Tollwut erkrankt zu sein, und er machte seinem Leben ein Ende.

Diese pathologischen Züge lassen es begreiflich erscheinen, daß man in „Alpenkönig und Menschenfeind" das deutlichste Selbstporträt des Dichters erblickte. Schon Grillparze r, auf dessen Rat Raimund das Thema nochmals behandeln wollte, 2 hat hervorgehoben, daß der Dichter „in der wunder- lichen Hauptperson ein wenig sich selbst habe kopieren können." Entschiedener meint Sauer: 3 „Hier konnte sich Raimund selbst spielen, selbst in Szene setzen; zu seinem Rappelkopf hat sich Raimund selbst Modell gesessen; er suchte sich durch diese poetische Kopie von eigenen krankhaften Stimmungen zu befreien." Dafür spricht auch die „Abdankung" nach der ersten Aufführung des Stückes (17. Oktober 1828), in der es unter anderem von der Rolle heißt:


') Vielleicht könnte sidi von der Wirkung des Bisses eine Beziehung zu dem von Castle (XL) angeführten Faktum ergeben, daß der Dichter bei einem Streit unmittelbar vom der Trauung von seiner später von ihm geschiedenen Frau in den Finger gebissen worden war.

2 ) Statt des Gestaltentausches wollte er einen Wesenaustausch zur Darstellung bringen. Das Stück, das den Titel „Eine Nacht am Himalaja" führen sollte, kam nicht zustande (Börner, S. 71).

3) Raimund, Eine Charakteristik. Allgemeine Deutsche Biographie. Bd. XXVH, S. 736-754.


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„Denn alles Üble, was idi schwer empfunden, Ist mit ihr Ieidit aus dem Gemüt entschwunden. Verachtung, den Zorn mißtrauisches Erbeben, Der Radie Wut, die Unlust zu dem Leben, Beschämung, Reu', kurz Leiden unermessen . . ."1

Auch Dostojewskis schwere seelische Krankheit kann keinem Zweifel unterliegen, wenn auch die Frage der Diagnose (Epilepsie) strittig ist. 2 Er war schon frühzeitig ein Sonderling, Iehte scheu und zurückgezogen. Wie Raimund war er äußerst mißtrauisch und erblickte in allem, was man ihm gegenüber tat, eine Beleidigung und die Absicht, ihn zu kränken und zu ärgern. 3 Als Jüngling in der Ingenieurschule soll er eingestandenermaßen schon leichte Anfälle (epileptischer Art) gehabt haben — die er mit Poe teilt, gleichwie die Furcht vor dem Lebendigbegrabenwerden — so daß jedenfalls die Behauptung, die Krankheit sei erst in der Verbannung aus- gebrochen, unhaltbar scheint. 4 Im Gegenteil sagt Dostojewski


') Außer Rappelkopf und dem bereits angeführten Verschwender hat Raimund auch die Persönlichkeit Wurzeis („Der Bauer als Millionär") gespalten und dem Manne den Jüngling und Greis gegenübergestellt. Dieses Motiv des Alterns wird uns noch beschäftigen. — Als charakteristisch sei noch aus Raimunds Knabenzeit erwähnt, daß der künftige Schauspieler „stundenlang vor dem Spiegel stand, Grimassen schnitt und sich bemühte, seinen Mund auszudehnen, um auch darin seinem Vorbild zu ähneln." (Börner, S. 9.)

2) Siehe neuerdings J. Neufeld: Dostojewski. 1913.

3) „Dostojewskis Krankheit" von Dr. Tim Segaloff (Grenzfragen d. Lit. u. Mediz., hg. v. Rahmer, Heft 5), München 1007.

4) Mereschkowski („Tolstoi und Dostojewski", Leipzig IQ03, S. 77 f.) macht eine für den infantilen Ursprung der Krankheit bedeutsame Bemer- kung: „In jedem Falle ist es sehr wahrscheinlich, daß die Sittenstrenge des Vaters, sein mürrisches, aufbrausendes Wesen und sein [tiefes Mißtrauen einen tiefen Einfluß auf Fedor Michailowitsch ausgeübt haben . . . Nur einer von Dostojewskis Biographen lüftet den Vorhang, der dieses Familien- geheimnis bedeckt, ein wenig, läßt ihn aber sofort wieder fallen. Indem er auf den Ursprung der Fallsucht bei Dostojewski zu sprechen kommt, bemerkt er sehr zurückhaltend und dunkel: ,Es gibt noch eine ganz beson-


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selbst, daß von dem Moment der Verhaftung seine Krankheit geschwunden sei und daß er während der ganzen Dauer der Strafe keinen einzigen Anfall erlitten habe. Seine Frau schreibt in ihr Notizbuch, daß er, nach seinen eigenen Worten, wahn- sinnig geworden wäre, wenn nicht die Katastrophe eingetreten wäre. Dieser psychologisch leicht begreifliche Umstand schein aber doch eher für ein hysterisches Leiden (mit pseudoepileptischen Anfällen) zu sprechen. Diese Anfälle traten später nach des Dichters Rückkehr ins Leben mit großer Häufigkeit und Intensität auf und er hat sie auch in seinen Werken vielfach meisterhaft geschildert. 1 Von seinen Anfällen sagt Dostojewski selbst: „Einige Augenblicke empfinde ich ein solches Glück, wie es im gewöhnlichen Zustande unmöglich ist und von dem andere Menschen keinen Begriff haben können . . . Diese Empfindung ist so stark und so süß, daß man für die Seligkeit einiger solcher Sekunden zehn Jahre seines Lebens oder auch das ganze hingeben könnte." Nach dem Anfall jedoch war sein seelischer Zustand sehr bedrückt; er fühlte sich als Verbrecher und ihm schien, als ob eine unbekannte Schuld auf ihm lastete. 2 — „Jeden zehnten Tag habe ich einen Anfall", schreibt er in den letzten Tagen seines Petersburger Aufenthalts, „und dann komme ich in fünf Tagen nicht zu mir, ich bin ein verlorener Mensch." — „Der Verstand litt wirklich, das ist


dere Überlieferung über die Krankheit Fedor Michailowitsch', die sie auf ein tragisches £reignis aus seiner frühesten Kindheit, das sich innerhalb seiner Familie abspielte, zurückführt; aber obgleich ich es von einem Fedor Michailowitsdi sehr nahestehenden Menschen gehört, so habe ich doch nirgends eine Bestätigung dieses Gerüchtes erhalten und entschließe mich daher nicht, es ausführlich und genau darzulegen.' '

') Vgl. Mereschkowski, S. 241, 243, sowie N. Hoffmann: „F. M. Dostojewski." Eine biogr. Studie. Berlin 1890, S. 225.

2 ) Mereschkowski, S. 92.


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Wahrheit. Idi fühle es; denn die Nervenzerrüttung brachte midi zuweilen dem Wahnsinn nahe." 1

In seinem Verhalten war er exzentrisch nach jeder Richtung, „beim Kartenspiel, bei wollüstigen Ausschweifungen, beim Aufsuchen mystischer Schrecken." (1. c. S. 84.) „Überall und immer", schreibt er von sich, „bin ich bis zur letzten Grenze gegangen, in meinem ganzen Leben habe ich immer die Linie überschritten." Zu seiner Charakteristik ist noch zu ergänzen, daß er - exzentrisch wie Poe — auch von hoher Selbstachtung und Selbstschätzung erfüllt war; er selbst schreibt in seinen Jünglings- jahren (um die Zeit der Vollendung des „Doppelgängers") an den Bruder: „Ich habe ein schreckliches Laster, eine grenzen- lose Eigenliebe und Ehrgeiz" und sein Pathograph sagt, er sei das Gemisch aller Arten von Eigenliebe. Eitelkeit und Eigen- liebe kennzeichnen auch viele seiner Figuren, wie den Paranoiker Goljädkin, dem der Dichter, als einer seiner frühesten Schöp- fungen, viele für sein späteres Schaffen bezeichnende Züge der eigenen Persönlichkeit verliehen hatte und den er selbst wiederholt als „Bekenntnis" bezeichnete. (H o f f m an n 1. c, S. 49-) Nach Mereschkowskis Darlegungen (S. 273, 274) wäre das Doppelgängermotiv bei Dostojewski ein zentrales Problem : „So entpuppen sich bei D o s t o j e w s k i alle tragischen, kämpfenden Paare der allerlebendigsten, realsten Menschen, die sich selbst und anderen als einige, ganze Wesen erscheinen, tatsächlich nur als zwei Hälften eines dritten gespaltenen Wesens, als Hälften, die sich gegenseitig wie Doppelgänger suchen und verfolgen." - Und über Dostojewskis Krank- haftigkeit als Künstler sagt er: „Tatsächlich - was ist das für ein sonderbarer Künstler, der mit unersättlicher Neugierde nur in den Krankheiten, nur i n den schrecklichsten und schmählichsten i) 1. c. S. 113.

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Geschwüren der menschlichen Seele herumstochert . . . Und was für sonderbare Helden sind diese »Glückseligen', diese Besessenen, Narren, Idioten, Geistesgestörten? Vielleicht ist er nicht so sehr Künstler, denn ein Arzt seelischer Krankheiten, dabei ein Arzt, zu dem man sagen müßte: ,Arzt, heile dich erst selbst'." (237-)

Die enge psychologische Verwandtschaft der skizzierten Dichterpersönlichkeiten ist so deutlich, daß zur Rekapitulation gewissermaßen die Hervorhebung des Grundgerüstes genügt.

Die pathologische Disposition zu geistigen und seelischen Störungen bedingt ein hohes Maß von Spaltung der Persön- lichkeit, mit besonderer Betonung des Ichkomplexes, dem ein abnorm starkes Interesse an der eigenen Person und ihren seelischen Zuständen und Schicksalen entspricht. Diese Einstellung führt zu der geschilderten charakteristischen Beziehung zur Welt, dem Leben und insbesondere dem Liebesobjekt, zu dem kein harmonisches Verhältnis gefunden wird: direkte Unfähigkeit zur Liebe oder eine - zum gleichen Effekt führende - übermäßig hochgespannte Liebessehnsucht kennzeichnen die beiden Pole dieser krassen Einstellung zum eigenen Ich. Diese auffälligen und weitgehenden Übereinstimmungen im Wesen und in einzelnen Charakterzügen des geschilderten Typus machen die bis auf geringfügige Details ähnlichen Gestaltungen des behandelten Themas, wie die Vorliebe dafür - über die literarische Abhängig- keit und Vorbildlichkeit hinaus - psychologisch begreiflich.

Aber die typisch wiederkehrenden wesendichen Formen, in die sich diese Gestaltungen kleiden, werden aus der individuellen Dichterpersönlichkeit nicht verständlich, ja, scheinen dieser in gewissem Grade fremd, unangemessen und ihrer sonstigen Welt- anschauung widersprechend. Es sind dies die sonderbaren Dar-


.


Der Doppelgänger 67


Stellungen des Doppelgängers als Schatten, Spiegelbild oder Porträt, deren bedeutsame Einschätzung wir nicht recht ver- stehen, wenn wir ihr auch gefühlsmäßig folgen können. Es scheint hier beim Dichter wie bei seinem Leser ein überindivi- duelles Moment unbewußt mitzuschwingen und diesen Motiven eine geheimnisvolle seelische Resonanz zu verleihen. Diesen völkerpsychologischen Anteil aus den ethnographischen, folklo- ristischen und mythologischen Überlieferungen aufzuzeigen und mit den individuell wiederbelebten gleichsinnigen Zügen in Beziehung zu bringen, ist die Absicht des folgenden Abschnittes, der uns zugleich auf die gemeinsame psychologische Grundlage der abergläubischen und der künstlerischen Darstellung dieser Regungen vorbereiten soll.


IV

„Ich dachte, der menschliche Schatten sei seine Eitelkeit» Nietzsche.

Wir gehen von den an den Schatten geknüpften abergläubi- schen Vorstellungen aus, die noch heute unter uns lebendig sind und an welche sich Dichter, wie beispielsweise Chamisso, Andersen, Goethe, bewußtermaßen anlehnen konnten.

Allbekannt ist eine in Österreich, ganz Deutschland, aber auch bei den Südslawen am Silvester- oder heiligen Abend geübte Probe: Wer beim Lichtanzünden an die Zimmerwand keinen Schatten wirft oder wessen Schatten ohne Kopf ist, der muß binnen Jahresfrist sterben.' Ähnliches gibt es bei den Juden, die in der siebenten Nacht des Pfingstfestes in den Mondschein gehen: wessen Schatten keinen Kopf zeigt, der stirbt im selben Jahr. 2 In deutschen Landen heißt es, wenn man in seinen eigenen Schatten tritt, muß man sterben. 3 In Widerspruch zu dem Glauben, daß, wer keinen Schatten wirft, sterben müsse, steht ein deutscher Glaube: Wer in den Zwölfnächten seinen Schatten

OVernaleken, Mythen und Bräuche des Volkes in Österreich, S. 341 ; Reinsberg-Düringsfeld, Das festliche Jahr, S. 401; Wuttke, Der deutsche Volksaberglaube, II, 207, § 314.

2) Rochholz: Ohne Schatten, ohne Seele. Der Mythus vom Körper- schatten und vom Schattengeist (Germania V, 1860). Enthalten in „Deutscher Glaube und Brauch", I, 1867, S. 50-130 (Zitate danach). Über Jüdische Schattenüberlieferungen speziell vgl. Gast er, Germania 26, 1881, 210.

3) W ut t k e, S. 388; in Schlesien und Italien heißt es, daß man in solchen Fällen nicht mehr wachse. P r a d e 1, Der Schatten im Volksglauben. Mittig. d. Schles. Ges. f. Volksk. 12, S. I-36.


Der Doppelgänger 69


doppelt sieht, der muß sterben. 1 Zur Erklärung dieser Anschauung sind verschiedene, darunter auch recht komplizierte Theorien aufgestellt worden, von denen wir die auf den Glauben an einen Schutzgeist bezügliche hervorheben wollen. 2 Aus dem Schattenaberglauben hat sich nämlich, nach Ansicht einzelner Forscher, 3 der Schutzgeistglaube entwickelt, der wieder mit dem Doppelgängertum in inniger Beziehung steht. Als den ursprüng- lichen Inhalt der Geschichten vom zweiten Gesicht, vom Sich- selbstsehen, vom Schatten im Lehnsessel, vom Doppelgänger, vom Bettgespenst in der Schlaf kammer bezeichnet Rochholz (1. c.) den seinem Körper folgenden Schatten. 4 Nach und nach war der Schatten, der über das Grab hinaus fortlebte, zum Doppelgänger geworden, der mit jedem Kind geboren wird. 5 Den Glauben an die verderbliche Wirkung des Doppelschattens erklärt demnach P r a d e 1 (1. c.) damit, daß in der Todesstunde dem Menschen sein Genius erscheine und neben den Schatten trete. 6 Darin wurzelt die für unser Thema bedeutsame Vor- stellung, daß der Doppelgänger, der sich selbst sieht, in Jahres- frist sterben muß. 7 Rochholz, der sich besonders mit dem

')Wuttke 1. c Dasselbe gilt bei den Slowaken für den heiligen Abend. Negelein: Bild, Spiegel und Schatten im Volksglauben. Ardi. f. ReL-Wiss.

V, s. 1-17.

2) Pradel 1. c, Rochholz L c.

3) Siehe: E. H. Meyer: Germ. Myth., 02, 66 ff. - Im Neugriechischen wird Sdiatten direkt im Sinne von Schutzgeist gebraucht. Vgl. Beruh. Schmidt, Volksleben der Neugr. I, 181, 229, 244, 169, 199-

4) Gegen diese von manchen als zu einseitig empfundene Erklärung wandte sich zuerst Pfannenschmied (Germ. Opferfeste, 447).

5) Negelein l. c.

6) Hieher gehört das Grimm sehe Märchen Nr. 44 vom „Gevatter Tod", dem der Held erfolgreich entkommt, indem er sich im Bett umgekehrt legt (vgl. dazu auch die Anm. Grimms im DI. Band).

7) Bastian, Elemente, S. 87, Wuttke 1. c., 212, Rochholz I.e. 103. Henne am Rh yn, Kultur der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, 1892, I. 193- - Nach Wuttke (S. 49) hatte der Ausdruck „Zweites Gesicht


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Schutzgeistglauben beschäftigt hat, meint, daß die wohltätige (Schutzgeist-)Bedeutung die ursprüngliche war und daß sich daraus erst allmählich, mit der Verstärkung des Jenseitsglaubens, die schädigende (Todes-)Bedeutung entwickelt habe: 1 „So muß sich des Menschen Schatten, der einst hilfreicher Gefolgsgeist im Leben war, 2 in ein erschreckendes und verfolgungssüchtiges Gespenst verkümmern, das seinen Schützling peinigt und zu Tode jagt." (Rochholz 1. c.) 3 In wie weitreichendem Ausmaß dies zutrifft, wird bei der psychologischen Erörterung des ganzen Themas deutlich werden.


ursprünglich die Bedeutung des Sehens eines Doppelgängers; wenn der Mensen aber sich selbst sieht, muß er im Laufe eines Jahres sterben. - Vgl. Villiersdel'Isle-Adam: „Das zweite Gesicht" (übers, v. Oppeln- Bronikowski; Büdier des deutschen Hauses, IV. 84).

Rochholz 1. c, 128 ff. - Später ist naöh ihm Schatten = Schaden, das heißt synonym genommen mit: schwarz, links, falsch, unfrei, schädlich, verdammt.

e) Rochholz unterscheidet für das deutsche Altertum dreierlei Arten des Schutzgeistes, die den drei Lebensaltern des Menschen und den drei Tageszeiten - verkörpert im jeweiligen Schattenwurf - entsprechen und irgend welche Beziehungen zu den Nornen zu haben scheinen. An den nordischen Glauben: Wer seine Fylgja schaut, den verläßt sie und der ver- liert damit sein Leben, knüpft R o c h h o 1 z interessante Hinweise auf die Sagen vom Staufenberger, von Melusine, der weißen Frau, Orpheus usw. - Die Buhlschaft dieser Fylgja mit ihrem Körper führt zu anderen Problemen, wie der mystischen Seelenbräutigamschaft und ähnlichem. - Über den Schutz- geistglauben vgl. man noch „Yreca, Glück und Schicksal im Glauben der Südslawen" von F. S. Krauß, Wien 1888.

3) Eine verbreitete Redensart: seinen Schatten fürchten, findet sich vielfach bei Dichtern illustriert. Vgl. dazu die peinvolle Angst von Maeter- lincks „Princesse Maleine" beim Anblick eines Schattens. Ferner in R. St ratz' „Törichte Jungfrau" (S. 307): Vor dir selber hast du Angst und läufst vor dir davon wie der Mann, der sich mit seinem Schatten gezankt hat; wozu Pradel, dem diese Hinweise entnommen sind, aus Pia ton (Apol. H8D, Republ. 520) den Ausdruck oxiec|iaxelv zitiert. In Strindbergs „Inferno. Legenden" heißt es: „Ich glaube, ihr fürchtet euch vor eurem eigenen Schatten, lachte der Arzt verächtlich" (S. 228).


Der Doppelgänger 71


Diese auf den Schatten bezüglichen abergläubischen Vorstel- lungen und Befürchtungen der heutigen Kulturvölker finden ihr Gegenstück in zahlreichen weitverbreiteten Verboten (Tabus) der Wilden, die sich auf den Schatten beziehen. Aus der reichen Materialsammlung bei Frazer 1 ersieht man, daß unser „ Aber- glaube" in dem „Glauben" der Wilden ein reales Gegenstück findet. Jede dem Schatten zugefügte Verletzung trifft seinen Träger, wie eine große Anzahl primitiver Völker glaubt (1. c. S. 78). Damit ist natürlich dem Zauber und der Magie ein weites Feld geöffnet. Bemerkenswert ist, daß in einigen der mitgeteilten dichterischen Darstellungen ein Nachklang der magischen Beeinflussung in dem Tod des Helden bei Ver- wundung seines Spiegelbildes, Porträts oder Doppelgängers zu erkennen ist. 2 „Weit verbreitet und schon aus dem Altertum bekannt, ist - nach N e g e 1 e i n - der Versuch, Menschen durcb

1) The golden bough: Taboo and the perils of the souL 3- ed. S. 77-100: ,The soul as a shadow and a refiexion."

2) Diese Beziehung klingt auch im germanischen Rechtsbrauch der sogenannten „Schattenbuße" nach, wonach z. B. ein von einem Freien beleidigter Unfreier an dessen Schatten Rache nimmt. (Lit. bei Roch- holz, S. 119, vgl. auch Grimm D. R. 677 &•) Noch unter Kaiser Maximilian war die Strafe des mit einem Spaten „abgestochenen" Schattens eine scharfe. Darauf bezieht sich eine Stelle in Luthers Tischreden (nach Pradel, S. 14 ff.) und eine Erzählung von Hermann Kurtz (Erz. Bd. I. Stuttg. 1858). Diese hier in vollster Ernsthaftigkeit gemeinte Schattenbuße erscheint in einzelnen orientalischen (von Pradel, S. 23 angeführten) Überlieferungen mit ironischer Betonung ihrer Nichtigkeit. ImBahar Danush (Benfey, Pantschatantra I, 117) soll auf die Klage eines Mädchens, dessen Spiegelbild ein Jüngling geküßt hat, des Jünglings Schatten durchgepeitscht werden. - Auf König Bokchoris von Ägypten, den weisesten Richter seiner Zeit, führte man den berühmten Urteilsspruch zurück, nach dem eine Hetäre, die ein Liebhaber im Traume genossen hatte, mit ihrer Klage auf Ent- schädigung auf den Schatten oder das Spiegelbild der zu zahlenden Summe verwiesen wurde (Plutarch, Demetr. 27). Rohde (Gr. Rom. 370, I) sieht darin das Urbild für den Prozeß um des Esels Schatten (vgl. dazu W i e 1 a n d s „ Abderiten" und Rob. R e i n i c k : Märchen, Lieder u. Gesch.).


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Verletzung ihres Doppelgängers zu vernichten." Auch nach indischem Glauben vernichtet man einen Feind, indem man dessen Bild oder Schatten ins Herz sticht (Oldenburg, Veda, S. 508). * Die Primitiven haben eine Unmenge von speziellen, den Schatten betreffende Tabus: sie hüten sich, ihren Schatten auf gewisse Dinge (besonders Speisen) fallen zu lassen, fürchten andererseits selbst den Schatten anderer Menschen (besonders schwangerer Frauen; der Schwiegermutter ,usw. Frazer, I. c. S. 83 ff.) und achten darauf, daß niemand in ihren Schatten trete. Auf den Salomoninseln, östlich von Neu-Guinea, wird jeder Eingeborene, der auf den Schatten des Königs tritt, mit dem Tode bestraft (Roch holz, S. II4), ebenso in Neu-Georgien (Pradel, S. 21) und bei den Kaffern (Frazer, I. c. S. 83). Besonders achten die Primitiven auch darauf, daß ihr Schatten nicht auf einen Toten oder dessen Grab, respektive Sarg falle, weswegen die Leichenbegängnisse vielfach bei Nacht stattfanden (Frazer, 1. c. S. 80).

Abgeschwächt erscheint die Todesbedeutung all dieser Ereig- nisse als Furcht vor Krankheit oder sonstiger Schädigung. Wer keinen Schatten wirft, der stirbt; wer einen kleinen oder schwachen Schatten hat, ist krank, während ein scharfer Schatten auf Genesung hinweist (P r a d e 1). Derartige Gesundheitsproben wurden wirklich veranstaltet und manche Völker tragen ihre Kranken auch heute noch in die Sonne, um mit ihrem Schatten die entschwindende Seele wieder herbeizulocken. In der entgegen- gesetzten Absicht verlassen die Bewohner von Amboyna und Uliase, zweier Inseln am Äquator, ihre Häuser niemals um die Mittagszeit, weil dann in diesen Gegenden der Schatten verschwindet und sie fürchten, damit auch ihre Seele zu verlieren.

Auf den Schatten bezügliche Begrüßungen und Verwünschungen, ebenda S. 526*.


Der Doppelgänger 73


(Frazer, S. 87.) Hier spielen die Vorstellungen vom kurzen und langen, vom kleinen und anwachsenden Schatten hinein, auf denen Goethes 1 und Andersens Märchen wie das Gedicht von Stevenson-Dehmel beruhen. Der Glaube, daß eines Men- schen Gesundheit und Kraft mit der Länge seines Schattens zunehme (F r a z er, S. 86 f.) 2 gehört ebenso hieher wie die Unter- scheidung der Zulus zwischen dem langen Schatten eines Menschen, der zum Ahnengeist wird, und dem kurzen, welcher bei dem Ver- storbenen bleibt. Daran schließt sich ein anderer Aberglaube, der mit der Wiedergeburt des Vaters im Sohne 3 zusammenhängt Die Wilden, die glauben, daß die Seele des Vaters oder Großvaters im Kinde wiedergeboren wird, 4 fürchten nämlich nach Frazer (1. c. S. 88) eine zu große Ähnlichkeit des Kindes mit den Eltern. Wenn ein Kind seinem Vater auffällig gleicht, so muß dieser bald sterben, da das Kind sein Abbild oder Schattenbild an sich gezogen hat. Ähnliches gilt für den Namen, in dem der Primitive ein wesentliches Stück der Persönlichkeit sieht; noch in der europäischen Kultur hat sich der Glaube erhalten, daß von zwei Kindern derselben Familie, die den gleichen Namen tragen,

1) Dem Schattenmotiv im G o e t h e sehen Märchen auffallend ähnlich ist eine von Frazer (1. c. S. 87) erzählte Geschichte aus Südamerika: „The Mangaians teil of a mighty warrior, Tukaitawa, whose strength waxed and waned with the length of his shadow." - Endlich entdeckt ein Held das Geheimnis Tukaitawas Kraft (Simson-Motiv) und erschlägt ihn am Mittag, wo sein Schatten den geringsten Grad erreicht.

2) So glauben die Baganda Zentralafrikas und die Kaffern in Südafrika. - In Solothurn galt die mehr oder minder starke Färbung des Schattens als Gesundheitskriterium (nadi W al z e 1, Einl. zu Chamissos Werken, Deutsche Nat. Lit. Bd. 149).

3) N e g e 1 e i n, Ein Beitrag zum indischen Seelenwanderungsglauben. Arch. f. Rel.-Wiss. I90I.

4) Frazer: The belief in immortality and the worship of the dead. VoL I: Among the aborigines of Australia etc., London I913,

S. 92, 315, 417-



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Dr. Otto Rank


eines sterben muß. 1 Wir erinnern uns dabei an dieselbe „Namen- phobie" in Poes „William Wilson" und verstehen auf Grund der „Namenmagie" auch die Geisterbeschwörung durch Namens- nennung. 2

Nach Freud zeigen alle tabuierten Dinge den Charakter der Ambivalenz und auch beim Schatten und dem sich daran knüpfenden Glauben fehlen solche Andeutungen nicht. Die eben besprochenen Wiedergeburtsideen des väterlichen Schattens im Kind führen zu den bereits erwähnten Vorstellungen vom Schatten als Schutzgeist, der mit dem Kind zugleich geboren wird. Direkt entgegengesetzt den Todesvorstellungen im Schatten- aberglauben sind die — wenn auch bei weitem weniger verbreiteten — Ideen vom befruchtenden Schatten, die Pradel (S. 25 f.) mit- teilt. Der Redensart vom Schatten des Todes, der den Menschen umnachtet, steht der biblische Ausdruck in der Verkündigung gegenüber, der Maria einen Sohn verheißt, obwohl sie mit keinem Manne zu tun hatte; denn Öövauig ucpiorou Imoxufeei aoi (die Kraft des Höchsten wird dich überschatten; Luc. I, 15). Bemerkenswert ist, daß Augustinus und andere Kirchenväter in dem Ausdruck Imtmdoet den Begriff der Kühle als Gegensatz wollüstiger Erzeugung finden. Pradel (1. c.) zitiert dazu die Redensart: „Schweig nur, du bist auch nicht vom Heiligen Geist überschattet", 3 und führt einen Mythus von Tahiti an, dem-


') H e n n e a m R h y n, I. c. S. 187.

2 ) Zur Verhinderung magischer Bräuche war den Juden auch die Nennung des Namens Jehova verboten. Giesebrecht („Über die alttest. Schätzung des Götternamens", Königsberg IOOl) zeigt, daß Name, Schatten und Seele im Volksglauben identisch sind (S. 79) und führt aus, daß der Name zu einem bedrohlichen Doppelgänger des Menschen wird (S. 94). Über das Namentabu vgl. Freuds „Totem und Tabu" (Ges. Schriften, Bd. X. S. 69) und über dessen Nachwirkung in unserem Seelen- leben „Psychopathologie des Alltagslebens".

3) Nach Rehsenerind. Zeitscfar. d. Vereines f. Volksk. VHI, 128.


Der Doppelgänger


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zufolge die Göttin Hina dadurch schwanger wird, daß der Schatten eines Brotfruchtlaubes, das ihr Vater Taaroa schüttelte, auf sie fiel. 1 Der Verhinderung solcher inzestuösen Schattenbefruchtung dienen offenbar die auf den Schatten der Schwiegermutter bezüglichen Tabus, die Fr az er anführt. 2 So ist es z. B. bei den Eingebornen Südostaustraliens ein Grund zur Scheidung, wenn der Schatten des Mannes zufällig auf seine Schwiegermutter fällt. In Zentralindien ist diese Furcht vor der Schattenbefruchtung allgemein und die schwangeren Frauen vermeiden es, in den Schatten eines Mannes zu gehen, weil sonst das Kind ihm nachgeraten könnte (1. c. S. 93). Halten wir diese Vorstellungen mit denen des zu- und abnehmenden Schattens (s. S. 275 f.) und der entsprechend variablen Mannes- kraft zusammen (Simson-Motiv), so ergibt sich seine symbolische Stellvertretung für die männliche Potenz, die ihrerseits mit dem eigenen Wiederaufleben in den Nachkommen und so mit der Fruchtbarkeit zusammenhängt.

Ähnlich wie der L e n a u sehen Ballade „Anna" liegt die Frucht- barkeitsbedeutung des Schattens dem aus orientalischer Quelle stammenden Stoff von Richard Strauß' Oper „Die Frau ohne Schatten" zugrunde, deren Text von H off- mann st hal stammt. Im Mittelpunkte der Handlung steht eine orientalische Prinzessin, deren Vater eine furchtbare Schuld auf sein Haupt geladen hat. Die Schuld des Vaters könne nur gesühnt werden, (so wird der Prinzessin am Hochzeitstage von

i) Nach Waitz („Anthropol. d. Naturvölker" VI, 624 f.), der darin den Rest des alten tahitisefaen Glaubens sieht, daß sich der brotfruchtähnliche Mond während des Neumondes begatte.

  • ) L c. S. 83 ff. Frazer glaubt übrigens selbst, daß die „Vermeidungen"

im Verhältnis von Schwiegermutter und Schwiegersohn der Inzestfurcht entstammen dürften (S. 85«). Die psychoanalytische Begründung und Ver- tiefung dieser Auffassung hat Freud gegeben (Totem und Tabu, IOI3, !)•


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einem roten Falken geweissagt) wenn in längstens drei Jahren dieser Ehe Aussicht auf Kinderglück beschieden sei. Jahr um Jahr verstreicht, aber dem Wunsch der Prinzessin wird keine Erfüllung. Sie ist eine Frau ohne Schatten . . . Am Ende des dritten Jahres erscheint der rote Falke wieder und gewährt noch eine Gnadenfrist von fünf Tagen. In dieser Not greift die Amme zu einer List. Sie findet einen jungen Färber, der sich nach Kindersegen sehnt Doch versagt sich ihm seine zänkische Frau. Entsprechend einem in den Sagen des Ostens weit- verbreiteten Glauben will nun die Amme von dieser Frau gegen einen schnell aus einem Strohwisch phantomhaft gezauberten Liebhaber und gegen köstliche Schätze den Schatten, d.i. die Fruchtbarkeit kaufen. Warnend klagen aus dem Herd- feuer die Stimmen der ungeborenen Kinder, die von der Amme in Gestalt von kleinen Fischchen durch das Fenster in die Bratpfanne gezaubert worden sind. (Übrigens ein Anklang an ein Grimmsches Märchen.) In der Kaiserin regt sich tiefes, menschliches Mideid mit der Armen, die sie nicht einer Schicksals- frage berauben will, die den Inbegrift weiblichen Entzückens bedeutet. In diesem Augenblick der seelischen Läuterung um- strahlt sie ein wundervolles Licht, und die Sehnsucht ihres Herzens wird zur Wirklichkeit. Sie, die Frau ohne Schatten, die bisher durchsichtig wie Kristall war, wirft plötzlich einen Schatten, und aus höheren Sphären läßt Richard Strauß den mystischen Chor der ungeborenen Kinder erklingen.

Wie fast alle Glückssymbole ursprünglich Fruchtbarkeits- symbole waren, so hat auch der Schatten von dieser Seite her Glücksbedeutung erhalten. Hierher gehört nicht nur die heil- kräftige Wirkung des Schattens gewisser Bäume (besonders in der Bibel), sondern vor allem die Rolle des Schattens als Schatzhüter (vgl. Pradel, 1. c), ja sogar Schatzmehrer (auch


Der Doppelgänger 77


praktisch galt der Schatten als Eigentumsabgrenzer). Im indischen Märchen von des Holzhauers Tochter spricht der Geist, der um das arme Mädchen freit, zu ihrem Vater: Gib mir deine Tochter, dann soll euer Schatten wachsen, eure Schätze sollen groß werden. (Rochholz nach der Märchensammlung des Somadeva Bhatta, übersetzt v. Brockhaus, II, I93-) Man wird hier an Peter Schlemihl, den Studenten Balduin und andere erinnert, die für den Schattenverlust durch Reichtum entschädigt werden, den sie zur Eroberung des geliebten Mädchens benützen wollen, dabei aber kläglich scheitern.

Nicht besser ergeht es den Helden ähnlicher dichterischer

Schöpfungen, in denen das Doppelgängerproblem in Form des

Gestalttausches (Amphytrion-Motiv) dargestellt ist. So in

Theophile Gautiers Novelle „Der Seelentausch" (deutsch,

Weimar 1918, Liebhaber-Bibl., Bd. 49), die dadurch besonders

interessant ist, daß sie den Verjüngungswunsch in den

Vordergrund rückt: Octave, der an der unerwiderten Liebe zu

der Frau eines anderen krankt und dahinsiecht, erhält von

seinem greisen Arzt die Seele seines störenden Rivalen, um so

bei dessen Frau Gehör zu finden. Die Frau bleibt jedoch ihm

gegenüber kühl, da sie die Täuschung erkennt, und der Mann

fordert Octave zum Duell. Octave tötet ihn, sucht aber dann

in Gewissensqualen neuerlich den alten Arzt auf, der nun seine

eigene Seele in den Körper des jungen Mannes transponiert,

dessen Seele wiederum, im altersgebrechlichen Körper des

Arztes, entschwebt. In besonders drastischer Weise treten diese

Motive in Jules Renard s groteskem Roman „Doktor Lerne"

hervor, dessen Held das Problem auf anatomisch-chirurgische

Weise zu lösen unternimmt, indem er die Persönlichkeit durch

Vertauschung der Gehirne invertiert. Der alte und von Emma,

der verkörperten Sexualität, abgelehnte Lerne nimmt sich den


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Dr. Otto Rank


jungen Körper seines Neffen, um von Emma so geliebt zu werden, wie der kräftige Jüngling, was ihm allerdings ebenso- wenig gelingt, wie dem Helden der Gauti ersehen Novelle. Das Duell mit dem Doppelgänger erscheint hier in der Form, daß der in einen Stierkörper gebannte „Neffe" sein körper- liches Ich (mit einem anderen Gehirn) in dem Moment aus Eifersucht fast tötet, da es das Sexualwesen Emma in Liebe umfängt. Das Äußerste wird nur dadurch verhütet, daß der Onkel im kritischen Moment den merkwürdigen Zweikampf zwischen dem tierischen und menschlichen Ich mit dem Aus- ruf unterbricht: „Lieber Freund, damit bringst du dich ja selbst um!"

In diesen sowie in manchen anderen Ausgestaltungen des Doppelgängermotivs fällt ein besonderer Akzent auf das Thema der Impotenz, die vielfach direkt als Motivierung für den Gestaltentausch — und die damit verbundene Verjüngung — angeführt wird, in anderen Fällen diese Tendenz leicht verrät, wie etwa in Schnitzlers Novelle „Casanovas Heimkehr", wo der alternde Held sich eine Liebesnacht bei der spröden Schönen von ihrem jugendlichen Liebhaber erkauft, der äußerlich dem jungen Casanova gleicht.

In psychoanalytischen Kreisen ist schon früh die Idee auf- getaucht, die Schattenlosigkeit Schlemihls 1 als Impotenz aufzu-

t) Über die Bedeutung von Schlemihls Schatten ist viel gestritten worden und <!'<• Literatur darüber ist ziemlich groß (vgl. Julius Schapler, Chamisso-Studien, 1909). Man wollte im Schatten eine allegorische Dar- stellung des Vaterlandes, der Lebensstellung, der Familie, der Heimat, der Konfession, von Orden und Titeln, der Achtung der Menschen, gesellschaft- lichen Talents usw. sehen und dementsprechend im Schattenverlust den Mangel an diesen Dingen. Noch bei Lebzeiten des Dichters, der sich gegen alle diese Auslegung skeptisch verhielt, soll mit seiner Zud des Menschen!" Nach Spieß (Entwicklungsgesch. d. Vor- stellungen vom Zustande nach dem Tode, Jena, 1877, S. 283) wird nach dem Tode die 4">X^ die Seele > die identisch ist mit dem Geiste, zum et8toXov, d. i. zu einem Schatten, zu einem Traumbild (Od. XI, 222).

2) Annales du Musee Guimet T. XIV, S. 33-

3) Auch der besonders bei den Ägyptern (aber auch anderwärts : Spieß, 182 f., 87; Freier, 1. c. S. 144 ff-) geübte Gebrauch des Einbalsamierens der Toten, sowie der von vielen Völkern geübte Brauch der Grabbeigaben (Essen und Feuer für die Seelen) weist darauf hin, daß man sich die Seele ursprünglich sehr materiell und dem Körper gleich dachte.


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Wilden an die Fortdauer einer schattenhaften Seele nach dem Tode stützt auch Spieß (1. c. S. 172) durch den Hinweis auf eine reiche Literatur. Nach ihm bezeichnet auch der hebräische Ausdruck „Rephaim" für das, was im Tode vom Menschen übrig bleibt, „die Matten oder die Kraftlosen, d. i. die Schatten, die Bewohner des Totenreiches, ein der griechischen Bezeichnung analoger Name" (S. 422).

Der ursprünglichste Seelenglaube selbst knüpft also, wie Spieß namentlich für die Kulturvölker, insbesondere aber Frazer (Belief usw.) für die primitivsten Wilden gezeigt hat, an den Tod an: die erste und für die ganze Entwicklung der Menschheitsgeschichte bedeutsame Seelenvorstellung der Primitiven ist die der Geister der Verstorbenen, die in den meisten Fällen als Schatten gedacht werden, wie wir ja auch heute noch vom „Schattenreich" der Abgeschiedenen sprechen.

Da die Seelen der Verstorbenen Schatten sind, so werfen sie selbst keinen Schatten, wie beispielsweise die Perser von den wieder zum Leben Erweckten direkt behaupteten. 1 Ja, nach manchen Autoren 2 soll die Beobachtung, daß der tote (liegende) Körper keinen Schatten mehr wirft, zur Annahme der im Schatten entflohenen Seele beigetragen haben. So hat man auch den heiligen Bezirk der Arkader, das Lykaion, innerhalb dessen vollkommene Schattenlosigkeit herrscht, als das Reich der Tot- geweihten aufgefaßt. 3 Nach Pausanias (VIII, 38, 6) war der

1) Spieß, 1. c. S. 266. - In Dantes Fegefeuer werfen die „Schatten" auch keinen Sdiatten. - Roh de sagt von der Unsterbüchkeit dieser Seelen : „Sie leben ja kaum mehr als das Bild des Lebenden im Spiegel."

2 ) Negelein I. c, Spencer, Prinzipien der Soziologie, deutsch von Vetter, H, S. 426.

3) Welker, Kl. Sehr. 3, S. l6l, der sich auf den Glauben der Pythago- räer beruft, welche die Redensart von dem „Schattenloswerden" gemäß ihrer Anschauung, daß die Seele des Verstorbenen keinen Sdiatten mache, wörtlich nahmen, während man in Arkadien damit zuerst den Tod euphemistisch


Der Doppelgänger 85

Eintritt in diesen Bezirk den Menschen untersagt; wer das Gesetz übertrat, mußte notwendig binnen Jahresfrist sterben. Die Schattenlosigkeit deutet also hier, wie in fast allen angeführten abergläubischen Vorstellungen, auf den bevor- stehenden Tod, dessen Schattenlosigkeit vorweggenommen wird, und so weicht nach Rochholz (1. c. S. IQ) im lykaiischen Abaton „der schützende Dämon von der Person des gottgeweihten Eindringlings und überläßt ihn den Schrecken des Todes". 1 Aber nicht nur die Seelen, sondern auch die ihnen nahestehenden Geister, Elfen, 2 Dämonen, Gespenster und Zauberer 3 sind schattenlos, weil sie ursprünglich selbst Schatten, d. i. Seelen sind. Die nach der Vorstellung der Neuseeländer schattenlosen Geister und Elfen nehmen darum von dargebotenen Dingen nichts mit als den Schatten. 4 Das Burg- oder Mittagsfräulein erkennt man daran, daß es keinen Schatten wirft, weil es ein Geist ist. Auch der Teufel hat als böser Dämon nach russischem Glauben (G a s t e r I. c.) keinen Schatten und darum ist er so begierig nach den Schatten der Menschen (vgl. den Pakt von Schlemihl, Balduin u. a.). Wer dem Teufel verfallen ist, zeigt darum keinen Schatten (Pradel 1. c.). Die zahlreichen Sagen, in denen der Teufel um seinen Lohn geprellt wird, indem er statt der ihm verfallenen Seele „nur" den Schatten erhält, 5 scheinen schon eine

bezeichnete (unser „umschatten") und erst später diese Redensart buch- stäblich nahm. Über die verschiedenen Auffassungen dieser kultischen Schattenlosigkeit vgl. man W. H. Röscher: „Die Schattenlosigkeit des Zeus Abatons auf dem Lykaion" (Fleckeisens Jahrb. f. klass. Altert. Bd. I45> 1892), sowie die daselbst angeführte Literatur; bes. K. O. Müller, Dörfer I, S. 308.

») Über die im lykaiischen Heiligtum abgehaltenen Menschenopfer siehe N e g e 1 e i n 1. c.

2) Germania V, 75.

3) N e g e 1 e i n 1. c.

4) W a i t z 1. c. 297, 300.

5) Siehe Grimm, D. Mythol.*, 2, S.855, 976 und Note S. 302; Müllen-


86 Dr. Otto Rank


Reaktion auf den zu bedeutsam genommenen Schattenverlust darzustellen und ursprünglich dürfte — wie ja noch Schlemihl und seine Nachfahren lehren - der Mensch in diesem Falle der Betrogene gewesen sein, da er den Schatten gering schätzte, dessen Wert

der Teufel noch kannte. 1

Daß „die vom Spiegelbild ausgehenden abergläubischen Anschauungen und Gebräuche den vom Schattenbild hervor- gerufenen in allen Hauptpunkten gleichen", hat N egelein an reichem folkloristischen Material der Kulturvölker gezeigt. Auch hier stehen die Todes- und Unheilsbefürchtungen in erster Reihe. In deutschen Landen gilt das Verbot, die Leiche vor einen Spiegel zu stellen oder im Spiegel zu betrachten, denn sonst erscheinen dort zwei Leichen und die zweite verkündet einen zweiten Todesfall. 2 Nach dalmatinischem Aberglauben,

hoff, Schlesw.-Holst. Sagen, S. 554 f. Über die spanische Sage des Teufels von Salamanca, die Th. Körner in einer Romanze behandelt hat, vgl. die Quellen bei Ro chholz, 1. c. S. HO. Das Gedidat selbst in „Deutsdie Nat.-Lit." Bd. 152, S. 200. Der Teufel unterhielt in Salamanca sieben Sdiüler, deren letzter mit seiner Seele bezahlen mußte. Einst zeigte dieser aber auf seinen Schatten, mit dem Bemerken, der sei der letzte, der das Zimmer verlasse. Der Teufel nahm den Schatten, der Sdiüler blieb sein Leben lang schattenlos und unglücklich.

') Dies zeigen die Überlieferungen, in denen der Teufel sich direkt den Schatten als Lohn für seine Hilfe ausbedingt (z. B. Konrad Maurers Isl. Sag., S. I2l), °d er m denen ein Mensch, der den Teufel irgendwie geprellt hat, dann zeitlebens ohne Schatten gehen muß (Müllen ho ff, 1. c. S. 454 f-> Grimm, D. Myth., S. 976). - Interessant ist die von Rochholz (S. H9) angeführte Überlieferung, wonach ein Graf Vülano (= Schufterle), der dem Teufel seinen Schatten überlassen hatte, von diesem die Kunst erlernte, alte Leute zu verjüngen (Verjüngungsmotiv) und diese an sich selbst anwenden wollte. Er ließ sich also im Alter töten, zerstückeln, die einzelnen Teile in ein Glas tun und dieses in Pferdemist vergraben. Dies wurde aber vorzeitig entdeckt und das noch nicht voll entwickelte Kind verbrannt. (Vgl. über dieses Thema Silberers Abhandlung „Homunculus", Imago DI, IOI40

2) Wuttke, S. 435 ff-


Der Doppelgänger 87


der sich auch in Oldenburg findet, stirbt derjenige, der sieb in einen Spiegel sieht, während eine Leiche im Hause ist. 1 Die allgemeine Geltung dieser Befürchtung ersieht man aus der weiten Verbreitung der darauf bezüglichen Gegenmaßregel, welche gebietet, bei einem Todesfall die Spiegel zu verhängen, damit die Seele des Toten nicht im Hause bleibe. Diese Sitte wird noch heute in Deutschland, Frankreich, bei den Juden, Litauern u. a. geübt. 2 Da die Seele des Verstorbenen im Spiegel gedacht wird, kann sie dort unter gewissen Umständen sichtbar werden. In Schlesien heißt es, daß in der Neujahrsmitternacht, wenn man mit zwei brennenden Lichtern vor den Spiegel tritt und den Namen eines Verstorbenen ruft, dieser im Spiegel erscheine. 3 In Frankreich soll man sich selbst wie in der Todes- stunde im Spiegel erblicken, wenn man in der Dreikönigsnacht eine bestimmte Zeremonie davor ausführt. 4 An diese Vorstel- lungen knüpfen die Verbote an, sich überhaupt nachts in den Spiegel zu schauen : wenn man das tut, verliert man sein eigenes Spiegelbild, 5 d. h. die Seele, woraus der Tod notwendig folgt. In Ostpreußen gibt man dafür die Begründung, daß in solchen Fällen hinter einem das Bild des Teufels auftaucht. Bemerkt


Haberland Karl, Der Spiegel im Glauben und Brauch der Völker. Zeitschr. f. Völkerpsychol. 1882, Bd. XIII, S. 324 bis 347- - Vgl. audi Rieß, Rhein. Mus. 1894, L1X, S. 185. .

2) Haberland, S. 344- ~ Nach Frazer, 1. c. S. 95, audi in Belgien, England, Schottland, Madagaskar und bei den Juden der Krim; ebenso bei den Mohammedanern auf Bombay: Mit der Begründung, daß die im Spiegel reflektierte Seele der Überlebenden von dem im Hause weilenden Geist des Verstorbenen mit sich weggenommen werden könnte.

3) H a b e r 1 a n d 1. c.

4) 1. c.

5) 1. c. S. 341 ff. nach Grimms Mythol. Anh., Deutscher Abergl. Nr. 104; Panzer, Beitr. z. d. Myth. 2, 298; Stracker Jan, Abergl. aus Olden- burg, I, 262;Wolff-Mannhardt I, 243; 4, 147; A lpenbu rg, Mythen u. Sagen Tirols 252, Wuttke, 1. c. S. 205.




88 Dr. Otto Rauk


überhaupt jemand im Spiegel neben seinem Gesicht noch ein anderes, so wird er bald sterben. 1 Aus ähnlichen Gründen ist kranken und schwachen Personen ihr Spiegelbild unheilvoll, 2 insbesondere nach böhmischem Glauben. 3 - Das Herabfallen oder Zerbrechen des Spiegels gilt als Todeszeichen in ganz Deutschland, 4 obwohl daneben sieben Jahre Ungemach als euphemistischer Ersatz steht 5 Auch wer zum letztenmal in einen zersprungenen Spiegel gesehen hat, muß sterben 6 oder leidet sieben Jahre Not. 7 Sitzen dreizehn beisammen, so muß der sterben, der dem Spiegel gegenüber sitzt. 8 Um sich vor den geheimnisvollen Kräften des Spiegels zu schützen, läßt man in gewissen Gegenden in einen neuen Spiegel eine Katze sehen. 9 Auch hütet man sich, kleine Kinder überhaupt in den Spiegel sehen zu lassen, aus Furcht vor dem eigenen Spiegelbild, das den Doppelgänger allen Schädigungen preisgibt, 10 und mit der Begründung, das Kind werde sonst stolz und leichtsinnig oder krank werden und sterben." Auf dem Glauben an den Doppel- gänger beruht nach Negelein die Überzeugung, daß der Spiegel verborgene Dinge anzeigt. Hieher gehört vor allem die magisdie Verwendung des Spiegels zur Ergründung der Zukunft. So heißt es z. B. in Oldenburg, daß man seine Zukunft im Spiegel sehe, wenn man um Mitternacht mit zwei brennenden

i) W u 1 1 k e, S. 230.

2) Negelein 1. c.

3) Haberland 1. c, Frazer, 1. c. S. 95.

4) Haberland 1. c.

5) Wuttke, S. 198.

6) Wuttke, S. 404.

7) Wuttke, S. 198.

8 ) Haberland 1. c.

9) Negelein 1. c.

10 ) Negelein I. c.

") Wuttke, S. 368 f. - Audi Webers Demokritos IV, 46.


Der Doppelgänger 89


Lichtern vor ihn trete und aufmerksam hineinschaue, während man dreimal den eigenen Namen rufe. Im Zusammenhang mit den angeführten Bräuchen ist klar, daß hier unter der „Zukunft" nicht das Was, sondern das Oh zu verstehen ist, d. h. daß den Menschen von allem Zukünftigen am meisten seine eigene Lebensdauer interessiert. Demgegenüber tritt die Bedeutung des Spiegels als Liebesprophet zurück, obwohl das Mädchen bei Ausübung ähnlicher Bräuche meist „den Zukünftigen" (für sie gleichbedeutend mit „das Zukünftige") im Spiegel sieht. 1 Eitle Mädchen aber sehen nachts im Spiegel das Gesicht des Teufels, 2 und wenn sie einen Spiegel zerschlagen, glauben sie, sieben Jahre lang keinen Mann zu bekommen.

Die magischen und mantischen Verwendungen des Spiegels (auch Wasserspiegels), von denen N e g e 1 e i n und Haber land berichten, übergehen wir hier, 3 um uns direkt ihrem Ursprung bei den Primitiven zuzuwenden. Wie im Schatten, so sehen die Wilden auch in dem im Glas, Wasser oder Porträt wieder- gegebenenen Ebenbild die Seele verkörpert, 4 und darauf beziehen sich die vielfachen Tabus, die an diesen Dingen ebenso wie am


i) W u 1 1 k e, S. 22Q f. 234; Haberland 1. c. - Diesen Volksglauben hat audi F. Th. A. Hoffmann in seinen Diditungen mehrfach verwendet. Vgl. K. 1 b r i c h, Hoffmann und der deutsdie Volksaberglaube. Mitt. d. Ges. f. Schlesischc Volksk. IQOO. - Über den an die „Andreasnächte" geknüpften Spiegelaberglauben handelt F. S. Krau ß im „Urquell".

2) N e g e 1 e i n 1. c.

3) Man vgl. die mit reichem folkloristischen Material belegte Abhandlung über „Spiegelzauber" von G. Rohe im (imago, V. Jahrg. IQI7/18) und das in der Internat, psychoanalytischen Bibliothek erschienene Buch mit dem

gleichen Titel.

4) Thomas Williams, der unter den Fidschi-Insulanern lebte, erzählt folgende für die Seelenbedeutung des Spiegelbildes bezeichnende Geschichte : „I once placed a good-looking native suddenly before a mirror. He stood dehghted. ,Now\ said he, softly, ,1 can see into the world of spirits'." (Nach F r a 7. e r, Belief etc., S. 412).


go


Dr. Otto Rank


Schatten haften. 1 Bei einem Stamm in Niederländisch-Indien dürfen halb erwachsene Kinder nicht in den Spiegel sehen, weil sie meinen, er nehme ihre Schönheit hinweg und lasse sie häßlich zurück. 2 Die Zulus schauen nicht in einen schmutzigen Sumpf, weil er ihr Spiegelbild nicht zurückwirft, und sie meinen, ein darin hausendes Untier habe es weggenommen, so daß sie sterben müssen. Wenn bei den Basutos jemand plötzlich, ohne ersichtliche Todesursache stirbt, so glauben sie, ein Krokodil habe das Schattenbild von der Wasseroberfläche hinab- gezogen.

Die ähnlich begründete Scheu vor dem Porträt oder der Photographie der eigenen Person ist nach Frazer 3 über die ganze Erde verbreitet. Sie findet sich ebenso bei den Eskimos wie bei den Indianern Amerikas, bei den zentralafrikanischen Stämmen, in Asien, Ostindien und - in Europa. Da sie im Abbild des Menschen seine Seele sehen, so fürchten sie, daß der fremde Besitzer des Ebenbildes schädlichen oder tödlichen Einfluß auf sie üben könnte. Manche Primitive glauben direkt, daß sie sterben müßten, wenn ihr Bild angefertigt werde oder sich in fremden Händen befinde. Ergötzliche Geschichten von der Angst der Wilden vor dem Photographieren erzählt Frazer (1. c.) und neuestens der Missionär Leuschner von


i)Frazer, 1. c. S. 92 ff.

2) 1. c. S. 93. Die psychologische Grundlage dieses Aberglaubens gibt Kleist, der das Doppelgängerproblem im „Amphytrion" behandelt, in seinen Bemerkungen „über das Marionettentheater". Er erzählt dort von einem schönen und wohlgebildeten Jüngling, der, um die Stellung des „Dornausziehers" nachzuahmen, anfing, „tagelang vor dem Spiegel zu stehen ; und immer ein Reiz nach dem anderen verließ ihn . . . und als ein Jahr verflossen war, war keine Spur mehr von der Lieblichkeit in ihm zu entdecken". Man vgl. dazu die Sage von Entelidas (unten S. 93) und den Lieblingsromanhelden von Dorian Gray (oben S. 27).

3) 1. c. S. 96 bis IOO.


Der Doppelgänger 9*


den Jautz in Südchina. ' Diese Furcht vor dem eigenen Eben- bild greift auf Grund des Seelenglaubens auf jede bildliche Darstellung über. So erzählt M einhof (I. c): „Ein plastisches Abbild des Menschen kann den Afrikaner in die größte Unruhe versetzen, und es ist vorgekommen, daß das Kunstwerk vernichtet werden mußte, um die aufgeregten Menschen zu beruhigen." Von den Waschamba berichtet Warn eck, 2 daß sie mit den menschlichen Photographien, welche die Missionäre in ihrem Zimmer aufgehängt hatten, nicht allein sein wollten; sie fürchteten, die Bilder könnten lebendig werden und auf sie zukommen.

Nach deutschem Aberglauben darf man sich nicht malen lassen, 3 weil man sonst stirbt. 4 Auch in Griechenland, Rußland 5 und Albanien weist Frazer denselben Glauben nach 6 und zeigt Spuren davon im heutigen England und Schottland auf.

Audi bei den antiken Kulturvölkern finden sich die den angeführten abergläubischen Vorstellungen entsprechenden Ideen. So bei den alten Indern und Griechen die Regel, nicht nach seinem Spiegelbild im Wasser zu sehen, 7 da dies den baldigen Tod zur Folge hätte. 8 „Kann einer sein eigenes eroioXov im Spiegel nicht mehr sehen, so ist das ein Todeszeichen." 9 Auch galt es

>) Mitt d. Geogr. Ges. zu Jena, 1913. Ober Ähnliches auf dem malaiischen Archipel vgl. man Ztscfa. f. Ethnol. 22, S. 494 f- - Nach Meinhof (Afrik. Kel. 1912) begegnet die Aufnahme der Stimme im Phonographen gelegentlich ähnlichen Schwierigkeiten.

2) „Lebenskräfte des Evangeliums", 1908, S. 30, Anmerkung 3.

3) Wuttke, S. 289.

4) Köhler, Volksbrauch, Aberglauben usw. im Voigtlande. Leipzig I867, S. 423.

5) Nach russischem Aberglauben steht das Spiegelbild eines Menschen in Verbindung mit seinem inneren Wesen (Spencer, 1. c. S. 426).

6) S. IOO.

7) Frazer, S. 94.

8) Frei ler, Griech. Mythol. I, S. 598.

9) 1 d e nb u r g, Rel. d. Veda S. 527.


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bei den Griechen als Todesvorzeichen, wenn man im Traum sein Wasserspiegelbild erblickte. " Der germanische Glaube legte gleichfalls dem Wasserbild Todesbedeutung bei; wenn jedoch das gleiche im Traum andere Male als Anzeichen langen Lebens aufgefaßt wurde, 2 so verstehen wir dies nicht nur als Wunsch- gegensatz, sondern werden es auch mit der Geburtsbedeutung der Wasserträume in Zusammenhang bringen dürfen.

Hier fügen sich zwanglos die interessanten mythologischen Überlieferungen an, welche den Glauben an die befruchtende Wirkung, die dem Schatten zugeschrieben wird, auch beim Spiegelaberglauben zeigen. 3 Hauptsächlich kommt dafür der Dionysosmythos und die daran knüpfenden Mysterien in Betracht Schon seine Mutter Persephone hatte sich, ehe sie den Zagreus gebar, in einem Spiegel betrachtet, 4 was Negelein (1. c.) als eine „Zeugung durch Zusammenwirken von Persönlichkeit und Doppelgänger" auffaßt. Bekanntlich wurde dann Zagreus bei seiner Wiedergeburt als Dionysos, gewissermaßen als Ausgleich seiner ursprünglich rein weiblichen Zeugung, von Zeus allein in seinem Schenkel ausgetragen. Auch in dieser Wiedergeburts- geschichte spielt ein Spiegel eine Rolle. Der vielgestaltige Zagreus betrachtete sich gerade als Stier in einem von Hephaistos verfertigten Spiegel, als die von der feindlichen Hera gesandten Titanen kamen und ihn trotz seiner Verwandlung in Stücke rissen; einzig das Herz wurde gerettet, aus dem dann mittels

«) Frazer, S. 94.

2) Haberland 1. c.

3) Das Folgende nadi Haberland, L c. S. 328 f. - Nur nebenbei sei hier der antike von Aristoteles und P l i n i u s berichtete Glaube an- geführt, daß ein Spiegel, in den eine menstruierende Frau hineinschaue, fleckig werde. - In Mecklenburg und Schlesien werden die Spiegel wie bei einem Todesfall auch dann verhängt, wenn eine Wöchnerin im Hause ist, offenbar um das Kind im Mutterleibe vor Bezauberung zu schützen.

4) Creuzer, Symbolik 4, S. 196.


Der Doppelgänger 93


der Semele Dionysos in der erwähnten Weise geboren wurde. 1 Aber noch einen bedeutungsvollen Schöpfungsmythos berichtet Proklus von Dionysos : Er soll sich selbst in dem von Hephaistos geschmiedeten Spiegel betrachtet, und von diesem Bild verführt, danach alle Dinge geschaffen haben. 2 Diese spät- griechische Auffassung von der Schöpfung der materiellen Welt findet ihr Urbild in der indischen Kosmogonie, welche die Selbst- bespiegelung des Urwesens als Grund der materiellen Welt kannte, und setzt sich in die neuplatonischen und gnostischen Lehren fort. So behaupteten die Gnostiker, Adam habe dadurch, daß er sich in einem Spiegel beschaute und sich in sein eigenes Bild verliebte, seine himmlische Natur verloren. 3

Die vom Anblick des Spiegelbildes ausgehende schädigende Wirkung stellt deutlich die von Plutarch 4 berichtete Sage des Entelidas dar, der, von seinem Anblick im Wasser entzückt, durch den eigenen bösen Blick erkrankte und mit seinem Wohl- befinden die Schönheit verlor.

Beide Seiten des Glaubens, die verderbliche und die erotische, vereinigt in einzigartiger Synthese die bekannte Fabel von Narkissos in der späten Form, in der sie auf uns gekommen ist. Ovid erzählt, 5 daß bei der Geburt des Narkissos der Seher Tiresias befragt wurde, ob dem Kinde ein langes Leben beschieden sei, und er habe geantwortet: wenn er sich nicht sehen würde. Einst erblickt jedoch der gegen Jünglinge und Mädchen gleich spröde Narkissos im Wasser sein Spiegelbild und verliebt sich dermaßen in den schönen, ihm daraus entgegenstrahlenden

1 ) W. Menzel, Die vorchristliche Unsterblichkeitslehre. Leipzig 1870, II, 66.

2) M e n z e 1 1. c, C r e u z e r 1. c. 4, S. L20.

3) Menzel, 1. c . S. 68.

4) Moralia, cjuest. conv. V, 7, 3-

5) Metamorph. III, 342 ff.


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Knaben, daß er aus Sehnsucht zu ihm dahinsiecht. Nach späterer Sage endeibt sich Narkissos selbst, nachdem er sich in sein Spiegelbild verliebt hatte. Noch in der Unterwelt schaut er im Styx sein Bild. Nach einer noch späteren rationalistischen Auf- fassung bei Paus anias 1 ist Narkissos nach dem Tod seiner ihm an Kleidung und Aussehen völlig gleichen Zwillingsschwester untröstlich, bis er sein Spiegelbild erblickt und, obwohl er weiß, daß er nur seinen Schatten sieht, doch eine gewisse Erleichterung seines Liebeskummers empfindet. 2 Weiß man nun auch, daß die Befragung des Tiresias und anderes 3 als spätere dichterische Zutat der ursprünglichen Sage nicht angehört, so scheint es doch nicht ausgemacht, daß die Fabel ursprünglich, wie Frazer 4 meint, nur in poetischer Einkleidung des Aberglaubens besagte, daß der Jüngling starb, nachdem er sein Spiegelbild (seinen Doppelgänger) im Wasser erblickt hatte, und daß die Verliebtheit in das eigene Ebenbild, die ja das Wesendiche der Narzißsage ausmacht, erst später zur Erklärung herangezogen wurde, als man diesen ursprünglichen Sinn nicht mehr kannte.


i) g, 31, 6.

2) Ein komisdies Seitenstück dazu bietet die kamtschadalische Erzählung von dem einfältigen Gotte Kutka, dem die Maus einen Streidi spielt, indem sie ihm im Schlafe das Gesicht wie einer Frau anmalt; als er dies im Wasser erblickt, verliebt er sich in sich selbst (Tylor, 1. c. S. 104). Vgl. die ähnliche Idee Hebbels, oben S. 289, Anmerkung 2.

3) So die Verbindung des Narkissos mit der Echo, die, von dem Spröden unerhört, sich in Gram verzehrt, bis nur mehr „vox tantum atque ossa supersunt". Als Bestrafung für diese verschmähte Liebe läßt der Dichter den Jüngling in quälerisdie Selbstliebe verfallen.

4) 1. c. S. 94-


„Es Ist das Phantom unseres eigenen Ichs, dessen innige Verwandtschaft und dessen tiefe Einwirkung auf unser Gemüt uns in die Hölle wirft oder in den Himmel verzückt."

E. Th. A. H o f f m a n n.

Die Psychoanalyse kann es keinesfalls als bloßen Zufall betrachten, daß die Todesbedeutung des Doppelgängers mit der narzißtischen — wie in der griechischen Sage so auch ander- wärts — eng verbunden erscheint. Zudem ergibt sich der Anlaß, es nicht bei der Fraz er sehen Zurückführung bewenden zu lassen, daraus, daß seine Erklärung der Narzißfabel das Problem nur auf die Frage nach Herkunft und Bedeutung der zugrunde liegenden abergläubischen Vorstellungen verschiebt. Sucht man aber doch zunächst auf Grund der Frazer sehen Annahme nach einer Erklärung dafür, warum die an den Anblick des Doppelgängers geknüpfte Todes Vorstellung 1 in der Narzißsage gerade durch das Motiv der Selbsdiebe 1 verdeckt worden sein sollte, so wird man zunächst an die allgemein wirksame Tendenz denken müssen, welche die besonders der Eigenliebe überaus peinliche Vorstellung des Todes mit besonderer Hartnäckigkeit aus dem Bewußtsein ausschließen will. Dieser Tendenz entsprechen ja die häufigen euphemistischen Ersatzvorstellungen, die im Aberglauben allmählich die ursprüngliche Todesbedeutung über- lagern. Daß diese Tendenz aus einem begreiflichen Kompen- sationsbestreben trachtet, ein möglichst entferntes und angenehmes

Wieseler (Narkissos, Göttingen 1856) faßt Narziß als Todesdämon (S. 76 ff.), bezieht den Mythus aber audi auf die kalte Selbstliebe (S. 3 7 , 74).


Äquivalent einzusetzen, hat Freud am Parzenmythe*? gezeigt, 1 in dessen verwandelten Gestaltungen an Stelle der Todesgöttin die Liebesgöttin tritt. Diese Entwicklung des Motivs ist aber keine willkürliche, sondern greift nur auf eine alte, ursprüngliche Identität dieser beiden Gestalten zurück, die bewußterweise auf der Überwindung des Todes durch eine neue Zeugung beruht und ihre tiefste Grundlage in der Beziehung zur Mutter findet. Daß die Todesbedeutung des Doppelgängers gleichfalls zur Ersetzung durch die Liebesbedeutung neigt, ersieht man aus den offenbar späten, sekundären und vereinzelten Überlieferungen, nach denen Mädchen unter denselben Bedingungen ihren Liebsten im Spiegel sehen können, unter denen sonst Tod oder Unheil sich ankündigen. 2 Und in der Ausnahmsregel, daß dies für eitle Mädchen nicht zutreffe, dürfen wir einen Hinweis auf den die Liebeswahl störenden Narzißmus erkennen. Ähnlich ist es ja auch in der Narzißsage, von der eine zwar späte, aber psycho- logisch gleichwertige Version berichtet, der schöne Jüngling habe im Wasserspiegel die geliebte Zwillingsschwester (die Liebste) zu erblicken geglaubt. Nur steht hier neben dieser deutlich narzißtischen Verliebtheit auch die Todesbedeutung noch so weit in Geltung, daß die enge Verknüpfung und tiefe Beziehung beider Komplexe außer Zweifel gestellt wird.

Daß dem Doppelgängermotiv, welches in dem folkloristischen Material die Seelen- und Todesbedeutung hervorkehrt, auch der narzißtische Sinn von Natur aus nicht fremd ist, zeigen außer den angeführten mythologischen Überlieferungen von der


Das Motiv der Kästchenwahl. Imago II, IOI3- (Ges. Sdiriften, Bd. X.) 2) Audi dort, wo die Todesbedeutung, wie wir gesehen haben, zur Zukunftsandeutung im allgemeinen sich verflüchtigt hat, ist der Übergang zur Glücksbedeutung (Liebe, Reichtum) leicht gegeben, indem an SteUe der unausweichlichen düsteren Zukunft die Wunschvorstellungen einer verheißungs- vollen Erwartung treten.


DerDoppelgänger 97


Schöpfung durch Selbstbespiegelung vor allem die dichterischen Bearbeitungen, welche neben dem Todesproblem, sei es direkt, sei es in pathologischer Verzerrung, das narzißtische Thema in den Vordergrund treten lassen.

Neben Furcht und Haß dem Doppelgänger gegenüber erscheint die narzißtische Verliebtheit in das eigene Ebenbild und Ich am deutlichsten ausgeprägt bei Oskar Wildes „Dorian Gray". „Die eigene Schönheit offenbart sich ihm" beim ersten Anblick seines Porträts, als er „das Abbild seiner eigenen Herrlichkeit sah" (1. c. 3Q). 1 Und zugleich befällt ihn die Furcht, er könnte jemals alt und anders werden als jetzt, die eng mit der Todes- vorstellung verknüpft ist: „wenn ich bemerke, daß ich alt werde, werde ich mich töten" (1. c). Dorian, der direkt als Narziß bezeichnet wird (S. I3), 2 Hebt sein eigenes Bild und in diesem seinen eigenen Körper: „Einmal hatte er wie ein knabenhaft ausgelassener Narzissus die gemalten Lippen geküßt, die ihn jetzt so grausam anlächelten. Morgen für Morgen hatte er vor dem Bilde gesessen und seine Schönheit bewundert, oftmals war er darüber in Verzückung geraten" (1. c. I2Q). „Oft . . . schlich er zu dem verschlossenen Zimmer hinauf und stand dann mit einem Spiegel in der Hand vor dem Bilde . . . Bald sah er auf das häßliche und alternde Antlitz auf der Leinwand, bald auf das schöne, jugendliche Gesicht, das ihm aus dem blanken Spiegel entgegenlachte. Er verliebte sich immer mehr in seine eigene Schönheit" 054)- Mit dieser narzißtischen Einstellung hängt sein imposanter Egoismus, seine Unfähigkeit zur Liebe und sein abnormes Sexualleben zusam men. Die intimen Freund-

Übersetzt v. M. Preiß, Reclam-Bibl.

2) Hallward hatte ihn vorher auch so gemalt: „Du hast dich über den einsamen Weiher in einer griechisdien Waldung gebeugt und in dem silbernen Wasserspiegel das Wunder der eigenen Sdiönheit geschaut" (I. c. S. 139)- *

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Schäften mit jungen Männern, die ihm HaUward vorwirft (I. c. S. 179)» suchen die erotische Verliebtheit in das eigene jugend- liche: Ebenbild zu .realisieren 1 und den Frauen vermag er nur die gröbsten sinnlichen Genüsse abzugewinnen, ohne einer seelischen Beziehung fähig zu sein. Diese mangelnde Liebes- fähigkeit teilt Dorian mit fast allen Doppelgängerhelden 2 und

1 ) Über die Bedeutung des Narzißmus für die homosexuelle Einstellung und Liebeswahl vgl. meinen „Beitrag zum Narzissismus" (Jahrb. f. Psycho- analyse, Bl, IOII) sowie die Arbeiten von Freud, S a d g e r u. a., auf die er sich stützt. - Auf die Beziehung des Doppelgängertums zum Narzißmus und zu verschiedenen Sexualphantasien hat Sa dg er bereits aufmerksam gemacht (Psychiatrisch-Neurologisches usw., 1. c). - In der interessanten Selbstbeobachtung eines Mannes, der mit seinem zweiten Ich gerne und viel spricht, findet sich ein pathologisch ausgeprägter Narzißmus: „Besonders abends nehme ich einen Stuhl und Spiegel her und betrachte nahezu eine Stunde lang mein Gesicht . . . Dann lege ich mich ins Bett, nehme den Spiegel vor und lächle mich an und denke mir : Es ist ja jammerschade, daß dich jetzt niemand sieht ... ein ganzes Mädchen (bist du). Dann küsse ich mich im Spiegel, d. h. ich ziehe den Spiegel, mich darin besehend, langsam an meine Lippen. Ich küsse also derart mein zweites Ich und bewundere sein gutes Aussehen." Audi nennt er das zweite Ich einen „schlechten Kerl" (Zentralbl. f. Psychoanalyse 1914, IV, S. 415.)

2) Als ein feiner dichterischer Zug muß es erscheinen, daß L e n a u der schwedischen Sage vom Zusammenhang des Schattenverlustes mit der Unfruchtbarkeit eine narzißtische Begründung gibt:

Anna steht in sich versunken, Nach dem Bilde niederhangend,

Blicket in den See hinein, Starrt sie zweifelnd und beglückt,

Weidet, eigner Schönheit trunken, Und das Bild, ihr nachverlangend,

Starrt bewundernd und entzückt.

In den seligen Gebärden, Die das Bild ihr abgelauscht, Sieht sich Anna schöner werden, Und die Jungfrau steht berauscht.

„Wenn so schön ich immer bliebe! Muß dies Bild denn auch vergehn?" Ruft sie, eitler Eigenliebe, Horch! die Winde sausend wehn!


Sich an ihrem Widerschein.

Sie beginnt hinab zu reden: Wunderholde Jungfrau, sprich, Schönstes Bild im Lande Schweden, Bin ich du? und bist du ich?


Anna neigt vom grünen Strande Sich in ihres Budes Näh', Streift vom Busen die Gewände, Läßt ihn leuchten in den See.


Rauschend wird ihr Bild zertrümmert Im empörten Wellenschaum; Und das Mädchen sieht bekümmert Sich darin vergehn wie Traum.


Der Doppelgänger


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er spricht es selbst an einer bedeutsamen Stelle deutlich aus, daß sie aus der narzißtischen Fixierung an das eigene Ich stammt: „Ich wünschte, ich könnte lieben", sagte Dorian Gray, eine tiefe Bewegung in seiner Stimme verratend. „Aber es scheint, daß ich die Leidenschaft verloren und den Wunsch vergessen habe. Ich habemich zu st ar kauf mich selbstkonzen- triert Die eigene Persönlichkeit ist mir eine Last geworden. Ich möchte entfliehen, weggehen, vergessen" (S. 240). In besonders deudicher Abwehrform zeigt dann der „Student von Prag", wie sich das gefürchtete Ich der Liebe zum Weib hindernd in den Weg stellt, und in W i 1 d e s Roman wird eben klar, daß Furcht und Haß dem doppelgängerischen Ich gegenüber mit der narzißtischen Liebe zu ihm und deren Abwehr in engem Zusammenhang steht. Je mehr Dorian sein alt und häßlich werdendes Ebenbild verabscheut, desto intensiver wird seine Selbstliebe: „Der sich von Tag zu Tag steigernde Kontrast erfüllte ihn mit lebhafter Freude. Er verliebte sich immer mehr in seine eigene Schönheit . . ." (S. 154)-

Diese erotische Einstellung zum eigenen Ich ist aber nur möglich, weil daneben die abwehrenden Gefühle sich an dem gehaßten und gefürchteten Doppelgänger endaden können. Der Narziß steht seinem Ich ambivalent geg enüber, etwas in ihm

Da erscheint die Alte und warnt sie vor der Gefahr des Kindersegens

für ihre Schönheit:

„Oh, dann frage deinen Schatten: Wangen, seid ihr mein, so bleich? Augen mein, ihr hohlen, matten? Weinen wirst du in den Teich."

Sie verlangt von der Alten, daß ihre Schönheit nie vergehen möge, und erfreut sich auch sieben volle Jahre dieser Gunst:

Oftmals bei verschloss'nem Riegel Ist sie unbelauscht allein, Stürzt ihr Aug' sich in den Spiegel, Schwelgt in ihrem Widerschein.

7*





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scheint und die


sich gegen die ausschließliche Selbstliebe zu sträuben, AWehrform gegen den Narzißmus äußert sich zunächst


in zweierlei ^Veise: 1 In Furcht und Abscheu vor dem eigenen Spiegelbild, wie es Dorians fiktiver Romanheld und die meisten Gestalten Jean Pauls zeigen oder, wie in der Mehrzahl der Fälle, im Verlust des Schatten-, respektive Spiegelbildes, der aber, wie die Verfolgungen zeigen, gar kein Verlust ist, sondern

') Welche Formen die abwehrende Einstellung gegen das Spiegel-Ich annehmen kann, zeigt ein im Jahre 1913 in London verhandelter Prozeß, aus dessen Bericht in einer Tageszeitung (vom 9. Dezember 1913) folgendes angeführt sei. Ein junger Lord hatte seine schöne, ungetreue Geliebte zur Buße für acht Tage in ein Zimmer gesperrt, dessen Wände aus Spiegel- scheiben bestanden, welche den Zweck hatten, „der jungen Dame fort- während ihr Antlitz vorzuhalten, damit sie es betrachte und sich im eigenen Angesicht Besserung gelobe. Im Laufe der Tage und Nächte, die das junge Mädchen zum Teil wachend zubrachte, bekam es vor dem ewig wieder- kehrenden Bilde des eigenen Gesichtes ein solches Grausen, daß sich der Verstand zu verwirren begann. Immer versuchte sie, dem Spiegelbild aus- zuweichen, und von allen Seiten grinste und lächelte ihr ihr eigenes Bild entgegen. Da wurde eines Morgens die alte Dienerin durch ein fürchterliches Poltern herbeigerufen. Miß R. schlug mit beiden Fäusten in die Spiegelwände, die Scherben flogen herum, flogen ihr in das Gesicht, sie achtete nicht darauf, sie schlug hinein, nur um nicht mehr das Bild zu sehen, vor dem sie ein solches Grausen bekommen hatte. Der sofort herbeigerufene Arzt konstatierte, daß Tobsucht ausgebrochen, die wahrscheinlich unheilbar geworden sei. Die Ursache führte er auf die Einsamkeit im Zimmer zurück, in dem das junge Mädchen nichts zu sehen bekommen hatte wie ihr eigenes Spiegelbild". - Die furchtbare Wirkung dieser Strafe weist daraufhin, wie sehr sie psychologisch getroffen hatte. Daß die der Liebe geweihten Orte verschwenderisch mit Spiegeln ausgestattet wurden, berichtet Fuchs im Erg.-Bd. z. galanten Zeit seiner „Rlustr. Sittengesch.", indem er sich auch auf das Zeugnis Casanovas beruft. Als Gegensatz zum obigen sei folgende Stelle zitiert: „Sie war überrascht von dem Wunder, daß sie, ohne sich zu rühren, ihre reizende Person in tausendfach verschiedener Art sah. Ihr Abbild, das von den Spiegeln, dank einer sinnreichen Anordnung der Kerzen, vervielfältigt wurde, bot ihr ein neues Schauspiel, von dem sie ihre Blicke nicht abwenden konnte" (1. c. S. 16). - In einer Variante des Schnee- wittchen-Märchens aus dem rumänischen Siebenbürgen wird die Pflegemutter um Schluß zur Strafe (für ihre Eitelkeit) in ein Zimmer gesperrt, dessen Wände aus lauter Spiegeln bestehen (B ö k 1 e n, Sneewittchen-Studien, S. 51).


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im Gegenteil eine Verstärkung, Verselbständigung, ein Über- mächtigwerden, das eben wieder nur das überstarke Interesse am eigenen Ich erweist. So erklärt sich der scheinbare Wider- spruch, daß der Verlust des Schatten- oder Spiegelbildes als Verfolgung durch dasselbe dargestellt werden kann, als Darstellung durchs Gegenteil auf der Basis der Wiederkehr des Verdrängten im Verdrängenden (siehe unten Schlußabsatz).

Denselben Mechanismus zeigt der mit der Verfolgung durch den Doppelgänger, das eigene Ich, so häufig verknüpfte Ausgang in Wahnsinn, der fast regelmäßig zum Selbstmord führt. Auch wo die Gestaltung nicht an Dostojewskis unübertreffliche klinische Exaktheit heranreicht, wird doch deutlich, daß es sich um paranoische Verfolgungs- und Beeinträchtigungsideen handelt, denen der Held von Seite seines Doppelgängers ausgesetzt ist. Nun wissen wir seit Freuds psychoanalytischer Aufklärung der Paranoia, 1 daß dieser Erkrankung „eine Fixierung im Narzißmus" zugrunde liegt, welcher der typische Größenwahn, die Sexualüberschätzung des eigenen Ich entspricht. Die Entwicklungsstufe, von der die Paranoiker auf den ursprünglichen Narzißmus regredieren, ist die sublimierte Homosexualität, gegen deren unverhüllten Durchbruch sie sich mit dem charakteri- stischen paranoischen Mechanismus der Projektion zur Wehre setzen. Auf Grund dieser Einsicht läßt sich leicht zeigen, daß die Verfolgung des Kranken regelmäßig von den ursprünglich geliebten Personen (oder deren Ersatzfiguren) ausgeht. Nun bestätigen die dichterischen Darstellungen des Doppelgänger- motivs, die den Verfolgungswahn schildern, nicht nur die Freud sehe Auffassung von der narzißtischen Disposition zur Paranoia, sondern sie reduzieren auch in einer von den Geistes-

i) Psychoanalytische Bemerkungen über einen autobiographisch beschrie- benen Fall von Paranoia (Dementia paranoides), I0II (Ges. Schriften, Bd. VIII).


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kranken relativ selten erreichten Anschaulichkeit den Haupt- verfolger auf das eigene Ich, die ehemals geliebteste Person, gegen die sidi nun die Abwehr richtet.' Diese Auffassung bedeutet keinen Widerspruch gegen die homosexuelle Ätiologie der Paranoia, denn wir wissen, wie bereits erwähnt, daß das gleich- geschlechdiche Liebesobjekt ursprünglich in narzißtischer Ein- stellung nach dem eigenen Ebenbilde gewählt wurde.

In Zusammenhang mit der paranoischen Verfolgung steht ein anderes Thema, das noch Hervorhebung verdient. Wir wissen, daß die Person des Verfolgers häufig den Vater oder dessen Ersatz (Bruder, Lehrer usw.) vertritt und finden auch in unserem Material den Doppelgänger oft mit dem Bruder identifiziert Am deutlichsten bei Musset, aber auch bei Hoffmann (Elixiere des Teufels, Die Doppelgänger), Poe, Dostojewski und anderen, meist sogar als Zwilling, was noch in der Sage vom weibischen Narziß nachklingt, der in seinem Ebenbild die ihm in allem ähnliche Zwillingsschwester zu erblicken glaubt. Daß die Dichter, welche das Doppelgängermotiv bevorzugen, auch mit dem Bruderkomplex zu kämpfen hatten, ergibt sich aus der nicht seltenen Behandlung der Bruderrivalität in anderen Werken von ihnen. So hat Jean Paul in dem berühmten Roman „Flegeljahre" das Motiv der miteinander rivalisierenden Zwillings- brüder behandelt, ebenso Maupassant in „Pierre et Jean"

•) Die Bedeutung eines eventuell andersgesdileditlichen Verfolgers im Bild der Paranoia kann hier nicht erörtert werden. Ein Gegenstück der paranoischen Erkrankung im Gefolge der Abwehr des Narzißmus bildet die von Raimund dargestellte Heilung des Rappelkopf von seinem paranoischen Wahn durch bewußte Vorführung des Doppelgängers. Auch Rappelkopfs Beeinträchtigungsideen gehen zunächst von der eigenen Frau aus, von der er sich verfolgt glaubt und vor der er flüchtet, um sich mit der Einsamkeit „zärtlich zu beweiben". Aber hier gelingt es, die Projektion rückgängig zu machen: anstatt sich zu heben und andere zu hassen, lernt der Held andere heben und sich hassen.


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und dem unvollendeten Roman „L'Angelus*, Dostojewski in „Die Brüder Karamasow" usw. 1 Tatsächlich ist der Doppel- gänger, von außen betrachtet, der Rivale seines Urbildes in allem und jedem, in erster Linie aber in der Liebe zum Weibe, und diesen Zug dürfte er zum Teil auch der Identifizierung mit dem Bruder verdanken. Über dieses Verhältnis äußerte ein Autor in anderem Zusammenhange: 2 „Der jüngere Bruder pflegt auch im gewöhnlichen Leben bereits äußerlich dem älteren irgendwie ähnlich zu sein. Er ist gleichsam das lebendig gewordene Spiegelbild des brüderlichen ,Ichs' und darum auch ein Neben- buhler in allem und jedem, was jener sieht, fühlt und denkt" Wie diese Identifizierung mit der narzißtischen Einstellung zusammenhängen könnte, mag aus einer anderen Äußerung desselben Autors hervorgehen. „Das Verhältnis des älteren zum jüngeren Bruder ist analog dem des Autoerotikers zu sich selbst." Aus dieser brüderlichen Rivalitätseinstellung gegen den gehaßten Nebenbuhler in der Liebe der Mutter wird auch der Todeswunsch und der Mordimpuls gegen den Doppelgänger ein Stück weit verständlich, 3 wenngleich die Bruderbedeutung

') Nebenbei seien genannt: die beiden Dramen „Die Brüder" von Poritzki (1907), dem Verfasser mehrerer Doppelgängcrgesdiichten, und das gleichnamige Stück von Paul Lindau (nach dem Roman desselben Autors), der dem Thema des Doppelgängers gleichfalls besonderes Interesse schenkte. Die auf dem Motiv der Zwillingsgeschwister beruhende Ver- wechslungskomödie (s. oben S. 284) gestattet die humoristische Auflösung

der tragischen Brüderrivalität.

2) J. B. Schneider, Das Geschwisterproblem. Geschl. u. Gesellscfa.

VIII, 1913, s. 381.

3) Natürlich ebenso die Sympathie, die aus dem Rivalen eine Art bcnutz- geist (William Wilson) macht oder gar eine Person, die sich für das Wohl ihres Doppelgängers opfert, wie beispielsweise in Dickens' „Tale of Two Cities", wo die Doppelgänger dasselbe Mädchen lieben (Rivalität) und der eine sich für den anderen hinrichten läßt, was den ursprünglichen Todes- wunsch, wenn auch in veränderter Form, doch realisiert, indem der Neben- buhler beiseite geschafft wird.


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in diesem Falle das Verständnis nicht erschöpft. Das Brüder- motiv ist eben nicht die Wurzel des Doppelgängerglaubens, sondern nur eine — allerdings wohldeterminierte — Interpretation der zunächst unzweifelhaft rein subjektiven Bedeutung des Doppelgängers. Allerdings genügt zu deren Aufdeckung nicht die psychologische Konstatierung, daß „der seelische Zwiespalt den Doppelgänger schafft", der einer „Projektion der inneren Zerrissenheit" entspricht und dessen Gestaltung eine innere Befreiung, eine Entlastung mit sich bringt, wenn auch um den Preis der „Angst vor Begegnung". So „gestaltet die Furcht aus dem Ichkomplex das Schreckgespenst des Doppelgängers", der „die geheimen und stets unterdrückten Wünsche seiner Seele wahrmacht". 11 Jenseits der Feststellung dieser formalen Bedeutung des Doppelgängers erheben sich erst die eigentlichen Probleme, die auf ein Verständnis der psychologischen Situation und der Einstellung zielen, welche eine solche innere Spaltung und Projektion schaffen.

Als auffälligstes Symptom dieser Gestaltungen erscheint ein mächtiges Schuldbewußtsein, das den Helden nötigt, für gewisse Handlungen seines Ich die Verantwortung nicht mehr auf sich zu nehmen, sondern einem anderen Ich, einem Doppelgänger, aufzubürden, der entweder im Teufel selbst personifiziert ist 2 oder durch die Teufelsverschreibung geschaffen wird. Diese abgespaltene Personifikation der einmal als verwerflich empfundenen Triebe und Neigungen, denen auf diesem Umweg doch verantwortungslos gefrönt werden kann, tritt in anderen Gestaltungen des Themas als wohltuender Warner („William Wilson") auf, der direkt als das „Gewissen" des Menschen ang esprochen wird (z. B. „Dorian

«) Emil Lucka, Dostojewski und der Teufel (Lit. Edio XVI, 6, 15. Dezember IQI3).

2 ) Dostojewskis „Brüder Karamasow", Jean Pauls „Bejdite" oder in den von Sadger 1. c. zitierten „Memoiren des Satans".


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Gray" u. a. m.)- Dieses Schuldbewußtsein, das verschiedene Quellen hat, mißt, wie Freud dargelegt hat, 1 einerseits die Distanz zwischen dem Ichideal und der erreichten Wirklichkeit, andererseits wird es aus einer mächtigen Todesangst gespeist und schafft heftige Selhstbestrahmgstendenzen, die auch den Selbstmord mitbedingen.

Nachdem wir die narzißtische Bedeutung des Doppelgängers in ihrem positiven Sinne wie auch in den verschiedenen Abwehr- formen hervorgehoben haben, erübrigt uns noch, die im Material breit vertretene Todesbedeutung unserem Verständnis näher- zubringen und ihre Beziehung zu dem bereits ermittelten Sinn aufzuzeigen. Was uns die folkloristischen und manche der dichterischen Darstellungen ohne weiteres verraten, ist eine ungeheure Todesangst, die sich insofern mit den bisher besprochenen Abwehrsymptomen berührt, als auch in diesen die Angst (vor dem Ebenbild, vor dessen Verlust oder Ver- folgung) das hervorstechendste Merkmal bildete.

Ein Motiv, welches einen gewissen Zusammenhang der Todes- angst mit der narzißtischen Einstellung verrät, ist der Wunsch, immer jung zu bleiben, 2 der einerseits die libidinöse Fixierung des Individuums an ein bestimmtes Entwicklungsstadium des Ich darstellt, anderseits aber der Furcht vor dem Altwerden Aus- druck gibt, hinter der letzten Endes die Todesfurcht steckt. So sagt Wildes Dorian: „Wenn ich bemerke, daß ich alt werde, werde ich mich töten" (S. 39)- Damit sind wir bei dem bedeutsamen Thema des Selbstmords, mit dem eine ganze Reihe der von ihrem Doppelgänger verfolgten Helden enden. Von diesem der behaupteten Todesfurcht scheinbar so sehr

Freud: Zur Einführung des Narzißmus, 1014. (Ges. Schriften, Bd. VL) 2) Man vgl. die in bezug auf die Liebe zum Weibe interessante Dar- stellung dieses Motivs in Wilbrandts „Meister von Palmyra".


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widersprechenden Motiv läßt sich nun gerade aus seiner beson- deren Verwendung in diesem Zusammenhang zeigen, daß es mit dem Thema der Todesfurcht, aber auch mit dem Narzißmus in enger Beziehung steht. Denn nicht den Tod fürchten diese Helden und ihre Dichter — soweit sie Selbstmord versucht oder verübt haben (Raimund, Maupassant), — sondern die Erwartung des unvermeidlichen Todesschicksals ist ihnen unerträglich oder wie Dorian Gray es ausdrückt: „Ich habe keine Furcht vor dem Tode. Nur das Nahen des Todes beängstigt mich" (S. 239). Der normalerweise unbewußte Gedanke von der bevorstehenden Vernichtung des Ich, das allgemeinste Beispiel der Verdrängung eines unerträglichen Wissens, peinigt diese Unglücklichen mit der bewußten Vor- stellung ihres ewigen, ewigen Nichtmehrwiederkommens, von der die Erlösung einzig im Tode möglich ist. So kommt es zu der sonderbaren Paradoxie, daß der Selbstmörder, um sich von der unerträglichen Todesangst zu befreien, den Tod frei- willig sucht.

Man könnte nun einwenden, daß die Todesfurcht einfach Äußerung eines überstarken Selbsterhaltungstriebes sei, der auf seine Durchsetzung nicht verzichten will, und gewiß hat die nur zu berechtigte Furcht vor dem Tode, der ja als eines der Grund- übel der Menschheit angesehen wird, ihre Hauptwurzel in der durch den Tod aufs stärkste bedrohten Selbsterhaltung. Aber für die pathologische Todesangst, die unter Umständen direkt zum Selbstmord führt, reicht diese Motivierung nicht hin. In dieser neurotischen Konstellation, in der das zu Verdrängende, gegen das sich das Individuum wehrt, schließlich wirklich realisiert wird, handelt es sich um einen komplizierten Konflikt, an dem neben den der Selbsterhaltung dienenden Ichtrieben auch die libidinösen Regungen beteiligt sind, die sich in den bewußten



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Furditvorstellungen bloß rationalisieren. Ihr unbewußter Anteil erklärt uns erst voll die hier zustande kommende pathologische Angst, hinter der wir ein Stadt verdrängter Libido erwarten müssen. Dieses glauben wir nun - neben anderen bereits bekannten Faktoren 1 - in dem Stück Narzißmus gefunden zu haben, das sieb von der Todesvorstellung ebenso intensiv bedroht fühlt, wie die reinen Icbtriebe und das darauf mit der pathologischen Todesangst und ihren eventuellen Konsequenzen reagiert. Zum Beweise dafür, daß die reinen Ichinteressen der Selbsterhaltung die pathologische Todesangst auch für andere Beobachter nicht befriedigend zu erklären vermögen, führen wir das Zeugnis eines psychologisch gänzlich unvoreingenommenen Forschers an. Spieß, aus dessen Werk wir manchen Beleg entnommen haben, gibt der Ansicht Ausdruck, daß „der Schauder des Menschen vor dem Tode nicht bloß aus der natürlichen Liebe zum Leben entspringt", und führt dies mit folgenden Worten aus (S. 115): „Es ist das aber nicht eine Anhänglichkeit an das Erdendasein; denn das haßt der Mensch oft . . . Nein, es ist die Liebe zu seiner ihm eigenen, im bewußten Besitz befindlichen Persönlichkeit, die Liebe zu seinem Selbst, zu dem zentralen Ich seiner Individualität, die ihn ans Leben fesselt Diese Selbstliebe ist ein unzertrennliches Element seines Wesens; in ihr ist der Instinkt der Selbsterhaltung gewurzelt und gegründet, und daraus entspringt ihm die tiefe und gewaltig e Sehnsucht, dem Tod, dem Versinken in das 9 Aus libidinösen Quellen (Eifersucht) entspringende Todeswünsdie gegen uahestehende Konkurrenten (z. B. Bruder) und deren Abwehr in Form der Hinwendung gegen das eigene Idi (Selbstbestrafung). In einem Falle mit schweren Todesangstanfällen ließ sich die Zwischenstufe der gegen Nahestehende gerichteten Todeswünsche leidat aufzeigen. Pat. gibt nämlich an, daß die schweren Todesbefürchtungen sich anfangs auf seine nächste Familie (Mutter, Bruder) bezogen, ehe sie sich auf ihn selbst warfen.


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Nichts zu entrinnen, 1 und die Hoffnung, zu einem neuen Leben und einer anderen Ära der Fortentwicklung wieder zu erwachen. Der Gedanke, sich selbst zu verlieren, ist dem Menschen so unerträglich, und dieser Gedanke ist es, der ihm den Tod so fürchterlich macht . . . Man schelte dieses hoffende Verlangen immerhin kindische Eitelkeit, lächerlichen Größenwahn; es lebt einmal in der Brust, es beeinflußt und regiert unser Dichten und Trachten." Dieser Zusammenhang liegt nun mit aller

  • ) Es sei hier an die Furdit vor dem Lebendigbegrabenwerden erinnert,

die Poe, Dostojewski und andere Diditer verraten. Diese pathologische Angst vor dem Tode hat Mereschkowski (1. c.) als wichtigsten Faktor zum Verständnis von Tolstois Wandlung und Persönlichkeit aufgezeigt (S. 27 f.). Ende der Siebzigerjahre hat ihn ein solcher „Anfall von Todes- furcht" nach Mereschkowskis Worten „fast zum Selbstmord getrieben" (S. 30). Die Grundlage für diese übermächtige Todesangst findet Meresch- kowski folgerichtig in ihrer Kehrseite - einer starken Liebe zum Leben, die sich in Form einer grenzenlosen Liebe zum eigenen Körper manifestiert. Mereschkowski wird nicht müde, diese Liebe zum eigenen Ich als den wesentlichsten Charakterzug Tolstois hervorzuheben. Schon von der dunklen Erinnerung an die früheste Kindheit an, wo Tolstoi, drei bis vier Jahre alt, als einen seiner glücklichsten Eindrücke ein Bad erwähnt : „Zum erstenmal erblickte ich meinen kleinen Körper mit den mir sichtbaren Rippen auf der Brust und gewann ihn lieb." Mereschkowski weist nun nach, daß von diesem Augenblicke an ihn diese Einstellung zu seinem Körper sein ganzes Leben lang nicht mehr verlassen habe (S. 52 f.). Von Tolstois Tätigkeit als Lehrer sagt Mereschkowski (S. 15): »Er erfreute sich — ein ewiger Narziß — an der Abspiegelung seines Ichs in den kindlichen Seelen ... Er liebte auch in den Kindern . . . nur sich selbst, sich allein." Als Gegenstück zu der bei Jean Paul ausgeprägten Furcht vor dem Anblick der eigenen Gliedmaßen sei, als ein Beispiel für mehrere, auf die Stelle in „Anna Karenina" hingewiesen, woWronski selbstgefällig seine „elastische Wade" betrachtet, die er sich kurz vorher verletzt hat: „Auch früher hatte er das freudige Bewußtsein seines körperlichen Lebens emp- funden, aber noch niemals vorher hatte er sich - seinen Körper so geliebt" (I. c. S. 53). „Die Liebe zu sich selbst, damit beginnt und endet alles. Liebe oder Haß zu sich selbst, nur zu sich selbst, das sind die hauptsächlichsten, einzigen, bald offen liegenden, bald verdeckten Achsen, um die sich alles in den ersten, vielleicht aufrichtigsten Werken L. To 1 s t o i s dreht und bewegt" (I. c. S. 12).


Der Doppelgänger 109


wünschenswerten Deutlichkeit, ja geradezu plastisch in dem dichterischen Material zutage, in dem ja überhaupt die narziß- tische Selbstbehauptung und Selbstüberschätzung vorherrscht. Die häufige Tötung des Doppelgängers, durch die sich der Held vor den Verfolgungen durch sein Ich endgültig zu schützen sucht, ist eigendich ein Selbstmord - und zwar in der schmerz- losen Form der Tötung eines anderen Ichs: eine unbewußte Illusion von Abspaltung eines bösen, strafwürdigen Ich, welche übrigens die Vorbedingung jedes Selbstmordes zu sein scheint. Der Selbstmörder ist nicht imstande, die aus der Bedrohung seines Narzißmus folgende Todesangst durch direkte Selbst- vernichtung zu beseitigen; er greift zwar zur einzig möglichen Befreiung, zum Selbstmord, ist aber unfähig, diesen anders als an dem Phantom eines gefürchteten und gehaßten Doppelgängers auszuführen, weil er sein Ich zu sehr liebt und schätzt, um ihm Sdbmerz zuzufügen oder die Idee seiner Vernichtung in die Tat umzusetzen. 1 Der Doppelgänger erweist sich in dieser subjektiven

i) Das narzißtische Moment der Schonung im Doppelgänger-Selbstmord zeigt sehr hübsch Gautier in der Duellszene der bereits erwähnten Novelle „Der SeelentausdT (S. 136). »In der Tat hatte jeder seinen eigenen Körper vor sich und mußte den Stahl in ein Fleisch senken, das noch zwei Tage vorher ihm gehört hatte. Der Zweikampf komplizierte sich zu einer Art unvorhergesehenem Selbstmord und obgleidi Octave und der Graf beide tapfer waren, empfanden sie ein instinktives Entsetzen, als sie sich mit dem Degen in der Hand ihrem eigenen Selbst gegenüberfanden, bereit, auf- einander loszugehen." Angedeutet auch in Schnitzlers Novelle „Casa- novas Heimkehr", wo der von der erkauften Liebesnacht im Morgengrauen wegschleichende Casanova von seinem jungen Ebenbild und Rivalen gefordert wird, der ihm vom ersten Augenblick rätselhaft sympathisch ist. Casanova hat nichts als einen Mantel um seinen bloßen Körper geworfen und damit er sich nidit seinem Gegner gegenüber im Nachteil befinde, zieht auch dieser sich nackt aus. „Lorenzi stand ihm gegenüber, herrlich in seiner Nacktheit wie ein junger Gott. Wenn ich meinen Degen hinwürfe? dachte Casanova. Wenn ich ibn umarmte?"

Ähnlich sdiafft sich der Dichter selbst im Helden einen Doppelgänger, den er für sich sterben läßt. In primitiver Form in den bekannten Geschichten


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HO Dr. Otto Rank


Bedeutung als ein funktionaler Ausdruck der psychologischen Tatsache, daß das derart eingestellte Individuum von einer bestimmten Phase seiner narzißtisch geliebten Ichentwicklung nicht loskommen kann, die ihm immer und überall wieder ent- gegentritt und seine Aktionen in einer bestimmten Richtung hemmt. Hier bekommt die allegorische Deutung des Doppel- gängers als eines Stückes unabstreifbarer Vergangenheit ihren psychologischen Sinn und es wird deutlich, was den Menschen an die Vergangenheit fesselt und warum diese die Gestalt des Doppelgängers annimmt 1

Schließlich steht auch die Bedeutung des Doppelgängers als Verkörperung der Seele, wie sie der primitive Glaube darstellt, der in unserem Aberglauben fortlebt, mit den bisher erörterten Momenten in engem Zusammenhang. Es scheint nämlich, daß

vom Doppelleben ein und derselben Person, wie beispielsweise in Steven- sons „Fall des Dr. JekylT, Wells' „Geschichte des Mr. Elvesham* oder Kiplings „At the end of the passage", Wiedmann „Ein Doppelleben". - Daran schließen sidi die verwandten Darstellungen von Vestenhofs „Mann mit den drei Augen" (Doppelexistenz in einem Körper) und des älteren R o s n y letztes Buch „L'Enigme de Givreuse", das die Verdoppelung einer Person (auf wissenschaftlichem Wege) behandelt und mit der Rivalität der beiden Doppelgänger um ein Mädchen verbindet. - Neuestens ist das Doppelgängerthema wieder auf die Bühne gebracht worden in Georg Kaisers symbolischem Drama „Die Koralle, wo der Milliardär in die Seele seines Doppelgängers, seines Sekretärs, flieht, um dessen glückseliger Kindheit und Schuldlosigkeit teilhaftig zu werden. Er ermordet den Sekretär, gibt sich aber doch für ihn aus, obwohl er dann für den Mörder des Milliardärs gilt und nur durch die Koralle seine Identität mit sich selbst nachweisen kann.

i) Mickiewicz hat in seiner fragmentarischen Dichtung „Totenfeier" („Dziady") das Doppelgängerproblem in der Form behandelt, daß der Selbstmörder Gustav im Moment seines Todes zu einem neuen, zweiten Leben erwadit, in welchem er eigentlich sein erstes Leben bis zum selben Punkte wiederlebt, da er über diese bestimmte Phase nicht hinauskommen kann (frdl. Mitteilung von Dr. Feder n). Diesen psychologischen Mecha- nismus finden wir im Sinne unserer Auffassung verbildlicht in dem Lied vom versteinerten Jüngling, das ein Kind als Einlage singt. Der Ritter


Der Doppelgänger III

die Entwicklung des primitiven Seelenglaubens den hier am pathologischen Material dargelegten psychologischen Verhältnissen in weitem Maße analog ist, was die „Übereinstimmung im Seelenleben der Wilden und der Neurotiker" aufs neue zu bestätigen geeignet wäre. Dieser Umstand würde es auch erklärlich machen, daß die primitiven Verhältnisse in den späteren mythischen und künstlerischen Darstellungen des Themas sich wiederholen, und zwar mit besonderer Betonung der in der Urgeschichte noch nicht so deutlich hervortretenden libidinösen Faktoren, die jedoch einen Rückschluß auf die undurchsichtigeren Urphänomene gestattete.

Daß wir uns den primitiven Menschen — ebenso wie das Kind 1 - exquisit narzißtisch eingestellt denken müssen, hat

von Twardow erstürmt einst ein altes Schloß und findet in einem ver- schlossenen Gewölbe in Ketten vor einem Spiegel einen Jüngling stehend, der durch einen Zauber Stückchen um Stückchen zu Stein verwächst. Im Verlauf von zwei Jahrhunderten ist er schon bis zur Brust versteinert, doch sein Gesicht ist noch frisch und lebensvoll! Der des Zaubers kundige Ritter will den Spiegel zerschlagen und den Jüngling dadurch befreien, dieser aber verlangt den Spiegel, um sich selbst vom Banne zu erlösen:

„Nahm ihn und seufzte — erbleichend blickt er

Und tränenden Auges hinein:

Und einen Kuß auf den Spiegel drückt er -

Und wurde ganz zu Stein." (Totenfeier, Obers, von Siegfr. Liplner, Leipzig 1887, S. 9.)

r) Sehr hübsch schildert das Erwachen des kindlichen Ichbewußtseins und dessen Zusammenhang mit der Selbstliebe Fritz W i 1 1 e 1 s : „Als ich noch ein kleiner Knabe war, erwachte ich eines Tages mit der überwältigenden Erkenntnis, daß ich ein Ich sei, daß ich zwar äußerlich aussähe, wie andere Kinder, aber dennoch grundverschieden sei und um ein Ungeheures wichtiger. Ich stellte mich vor den Spiegel, betrachtete mich aufmerksam und sprach mein Spiegelbild oftmals hintereinander mit meinem Vornamen an, womit ich offenbar bezweckte, von dem Bild in der Außenwelt zu mir eine Brücke zu schlagen, über die ich in mein unergründüches Ich eindringen könnte. Ich weiß nicht, ob ich mein Spiegelbild geküßt habe, aber ich habe gesehen, daß andere Kinder das Spiegelbild küssen. Sie finden sich mit ihrem Ich damit ab, daß sie es heben." („Das Ich des Kindes." - In „Die sexuelle Not", Wien 1909, S. 109.) - Während der Korrektur kommt mir zufällig



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Freud 1 an der auf der Allmacht der Gedanken beruhenden animistischen Weltauffassung wahrscheinlich gemacht und die angeführten narzißtischen Weltschöpfungstheorien weisen, ähnlich wie die späteren auf dem Ich basierenden philosophischen Systeme (z. B. Fichte), darauf hin, daß der Mensch die ihn umgebende Realität zunächst nur als Widerspiel oder Teil seines Ich zu apperzipieren vermag. 2 Ebenso hat Freud (a. a. O.) darauf hingewiesen, daß der Tod, die unerbittliche Ananke, es ist, die sich dem Narzißmus des Primitiven widersetzt und ihn nötigt, einen Teil seiner Allmacht an die Geister abzugeben. An diese dem Menschen aufgedrängte Tatsache des Todes, die er ständig von sich abzuleugnen sucht, knüpfen aber die ersten Seelen- vorstellungen an, wie sich für die Natur- wie die Kulturvölker nachweisen läßt Zu den allerersten und primitivsten Seelen- vorstellungen gehört nun der Schatten, der ein getreues Eben- bild des Körpers und dabei doch von einer leichteren Substanz scheint. Wundt 3 bestreitet zwar, daß der Schatten ein ursprüngliches Motiv zur Seelenvorstellung abgegeben habe; er glaubt, daß die von der Körperseele verschiedene „Schatten- seele", das alter Ego, „allem Anschein nach im Traum und Vision die einzige Quelle hat". 4 Doch haben andere Forscher,

das letzte Buch desselben Autors zu Gesicht („Über den Tod" usw., Wien, M. Perles, 1914), welches das Problem des Todes auf das der Todesangst

reduziert.

Animismus, Magie und Allmacht der Gedanken, lmago H, 1913- C^ s -

Schriften, Bd. X.)

2) Vgl. Fraze r, Belief usw. S. IQ- - »Er ist grenzenloser Egoist, sagt Heinzelmann (1. c. S. 14) nach H. Visscher, Religion und soziales Leben bei den Naturvölkern, Bonn 19U, L S. 07; IL S. 243».

3) Völkerpsychologie, Bd. U, Teil 2. .. ,„

4) Den Traum als die Hauptquelle für den Glauben an das Fortleben der Seele nach dem Tode betont auch Frazer, Belief usw., S. 57, 140, 214; und Radestock, L c. S. 251. - Nicht zu rergessen ist, daß man sich im Traume selbst sieht. —


Der Doppelgänger


"3


wie beispielsweise Tylor, 1 an reichem Material gezeigt, daß bei den Naturvölkern die Bild- oder Schattenbezeichnungen über- wiegen, und noch Heinzelmann, der sich auf die neuesten Ergebnisse stützt, nimmt in diesem Punkte gegen Wundt Stellung, indem er an einer Fülle von Beispielen nachweist, „daß es sich aber auch hier um ganz beständige und weithin wieder- kehrende Anschauungen handelt" (1. c. S. 19). Der Primitive betrachtet, ähnlich wie Spencer mit Recht für das Kind behauptet, 2 den Schatten als etwas Reales, als ein dem Menschen angehängtes Wesen und wird in seiner Auffassung als Seele bestärkt durch die Tatsache, daß der Tote (Liegende) eben keinen Schatten mehr wirft. 3 Den Beweis für den Glauben, daß das bewegliche Ich auch nach dem Tode noch existiere, mag der Mensch aus der Traumerfahrung geschöpft haben; aber daß er auch schon bei Lebzeiten einen geheimnisvollen Doppelgänger habe, kann ihm nur der Schatten und das Spiegelbild nahe- gebracht haben. Die verschiedenen Tabus, Vorsichten und Ver- , meidungen, mit denen der Wilde den Schatten bedenkt, weisen in gleich hohem Grade auf die narzißtische Schätzung des Ich wie auf die ungeheuere Angst vor seiner Bedrohung hin. Es spricht nun sehr deudich dafür, daß es der primitive Narzißmus ist, welcher sich vorwiegend durch die unausweichliche Ver- nichtung des Ich bedroht fühlt, wenn als die ursprünglichste Seelenvorstellung ein dem körperlichen Ich möglichst ähnliches Ebenbild, also ein wahrhaftiger Doppelgänger, angeführt, wenn also die Todesvorstellung durch eine Verdoppelung des Ich, die sich im Schatten oder im Spiegelbild verkörpert, dementiert wird. Wir haben gesehen, daß den wilden Völkern die Bezeich-


1) Anf. d. Kultur, I, S. 43 ff-

2 ) Vgl. audi das oben angeführte Gedicht von Stevenson-Dehmel.

3) Spencer 1. c., Ne gel ein 1. c.

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mingen für Schatten, Spiegelbild und ähnliche Begriffe auch für die Vorstellung „Seele" dienen und daß die ursprünglichste Seelen Vorstellung der Griechen, Ägypter und anderer hoch- stehender Kulturvölker sich mit der eines dem Körper wesens- gleichen Doppelgängers deckt; 1 und auch die Auflassung der Seele als Spiegelbild setzt voraus, daß sie einem genauen Abbild des Körpers gleiche. Ja, Negelein spricht direkt von einem „primitiven Monismus von Leib und Seele", womit er meint, daß sich ursprünglich die Vorstellung der Seele mit der eines zweiten Leibes völlig deckte; und er führt zum Beweise dafür an, daß man bei den Ägyptern Abbilder der Toten her- stellte, 2 um diese vor ewigem Untergang zu schützen. Einen so materiellen Ursprung hat die Seelenvorstellung, die sich später mit zunehmender Realerfahrung des Menschen, der doch den Tod als ewige Vernichtung nicht anerkennen will, wenigstens zum immateriellen Begriff verflüchtigen mußte. Ursprünglich handelte es sich allerdings noch nicht um einen Unsterblichkeits- glauben, sondern dem primitiven Narzißmus, wie er sich auch nodi beim Kinde äußert, entspringt die vollständige Unkenntnis der Todesvorstellung: für den Primitiven ist es - wie für das Kind - selbstverständlich, daß er ewig so weiterleben werde 3 und


i) Nach Rohde führt die ursprüngliche Seelenvorstellung zur Verdoppe- lung der Person, zur Bildung eines zweiten Ich. - „Die mit dem Tode ent- schwundene Seele ist das genaue Abbild des hier unten körperlich lebenden Menschen" (Heinzelmann, I. c. S. 20). Nodi nach Abschluß der Korrektur kann ich diese Belege mit einem Hinweis auf das eben erschienene Buch von Rudolf Kleinpaul (Volkspsychologie, Berlin 1914, Göschenscher Verlag) vermehren, der gleichfalls als die ursprünglichste Seelenvorstellung einen Doppelgänger aufzeigt (S. 5f-> 131» r/l).

2) Man vgl. auch die Spiegel als Grabbeigaben in den ältesten griechischen Zeiten (Creuzer 4, S. 196) und bei den Mohammedanern (Haberland 1. c.).

3) Frazer, Belief usw., S. 33, 35> 53 usw. Bezeichnend für diese naive Einstellung ist die Bemerkung des Anthropologen K. von den Steinen,


Der Doppelgänger 115

der Tod wird als ein unnatürliches, durch Zauberei bewirktes Ereignis aufgefaßt. 1 Erst bei der Apperzeption der Todesvor- stellung und der aus dem bedrohten Narzißmus folgenden Todesangst taucht der Unsterblichkeitswunsch als solcher auf, der eigendich den ursprünglichen naiven Glauben an die ewige Fortexistenz in einer teilweisen Akkommodation an die inzwischen apperzipierte Todeserfahrung wiederbringt. So ist also der primitive Seelenglaube ursprünglich nichts anderes als eine Art des Unsterblichkeitsglaubens, 2 der die Macht des Todes energisch dementiert, und auch heute noch ist ja der wesentliche Inhalt des Seelenglaubens, wie er in Religion, Aberglauben und modernem Kultus 3 enthalten ist, nichts anderes und nicht viel

der einem Bakairi-Indianer den Satz : „Alle Menschen müssen sterben" zur Übersetzung in dessen Sprache vorsagte. Zu seinem großen Erstaunen zeigte sich, daß der Mann nicht imstande war, den Sinn dieses Satzes zu erfassen, da er von der Notwendigkeit des Todes keine Ahnung hatte. („Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens", Berlin 1894, S. 344, 348; nach Frazer BeÜef usw., S. 35.)

1) 1. c. S. 84 ff.

2) Tatsächlich kennt der Primitive keinen Unsterblichkeitsglauben in unserem Sinne ; auch das schattenhafte Leben der Seele denken sidi manche Naturvölker allmählidi erblassend, bezeichnenderweise oft zugleich mit der Verwesung des Körpers (Frazer, 1. c. S. 165, 286), oder sie haben die Anschauung, der Mensch sterbe in der Unterwelt nodi mehrere Male, bis er endlich definitiv tot sei. Diese Vorstellung deckt sich in hohem Maße mit der infantilen, der auch der Begriff des Totseins in unserem Sinne fehlt und die ihn für graduell abstufbar hält (vgl. die entsprechenden Mitteilungen in der Rubrik „Kinderseele" von „Imago").

3) Das zeigt am besten der heutige Spiritismus, der ja eine Wiederkehr der Seelen Verstorbener in ihrer mensdilidien Gestalt (Geist) behauptet, und ebenso der okkulte Sinn des Doppelgängers, wonach die Seele den Körper verläßt und sich in eine materielle Gestalt kleidet, die unter günstigen Umständen siditbar wird (Exteriorisation der Seele). Ferner zeigt sich, daß die Seele ursprünglich mit dem im Tode verlöschenden Selbst- bewußtsein identifiziert wurde und audi von dieser Vorstellung hat sich unsere heutige wissenschaftliche Weltanschauung noch nicht frei gemacht, wie der affektive Widerstand gegen die Annahme eines unbewußten Seelen- lebens lehrt. Diese hier bloß gestreiften Probleme hat der belgische Dichter


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mehr geworden. Der Todesgedanke ist erträglich gemadit dadurdi, daß man sich nach diesem Leben eines zweiten in einem Doppel- gänger versichert. Wie bei der Bedrohung des Narzißmus durch die Geschlechtsliebe, 1 so kehrt auch bei der Todesbedrohung die ursprünglich mit dem Doppelgänger abgewehrte Todesvor- stellung in ihm selbst wieder, der ja nach allgemeinem Aber- glauben den Tod ankündigt oder dessen Verletzung das Indi- viduum schädigt.

So sehen wir also den primitiven Narzißmus, in dem die libidinösen und die der Selbsterhaltung dienenden Interessen in gleichmäßiger Intensität auf das Ich konzentriert sind, sich in gleicher Weise gegen eine Reihe von Bedrohungen schützen durch Reaktionen, die gegen die gänzliche Vernichtung des Ich oder seine Schädigung und Beeinträchtigung gerichtet sind. Daß diese Reaktionen nicht bloß der realen Furcht entspringen, die man sehr gut mit Visscher (1. c.) als die defensive Form eines überstarken Selbsterhaltungstriebes bezeichnen kann, geht daraus hervor, daß der Primitive diese sozusagen normale Furcht mit dem Neurotiker zur pathologischen Angst gesteigert zeigt,

M. Maeterlinck in einem tiefsinnigen Buche „Vom Tode" bis an die äußersten Grenzen ihrer Denkmöglidikeit verfolgt (Übers, von F. v. Oppeln- Bronikowski, Verlag E. Diederichs, Jena IOI3).

') Turgeniew schreibt an einen Freund: „Die Liebe ist eine von den Leidenschaften, die unser eigenes ,IäV vernichten" (nach Mereschkowski, S. 65). Wie sich der Narzißmus des Mannes damit abzufinden sucht, zeigt eine für Strindbergs ganze Einstellung zum Weib typische Stelle aus „Legenden" (S. 293): „Wir beginnen ein Weib zu heben, indem wir bei ihr Stück für Stück unserer Seele niederlegen. Wir verdoppeln unsere Persön- lichkeit und die Geliebte, die bisher gleichgültig, neutral war, beginnt sich in unser anderes Ich zu kleiden und sie wird unser Doppelgänger." In Villiers de l'Isle-Adams NoveUe „Vera" genügt es dem Manne, seine junge verstorbene Frau zu halluzinieren, gleichsam in seiner eigenen Person auch sie zu verkörpern und er fühlt sich in diesem Doppelleben glücklich. - Narzißtische Phantasien und Spiegelphantasien in desselben Autors Novelle „Sei ein Mann".


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die aus den „wirklichen Erlebnissen des Schreckens nicht zu erklären" ist 1 Den libidinösen Anteil, der hier mitwirkt, haben wir aus der gleich intensiv empfundenen Bedrohung des Narzißmus abgeleitet, der sich gegen die gänzliche Vernichtung des Ich ebenso sträubt wie gegen sein Aufgehen in der Geschlechtsliebe. Daß es tatsächlich der primitive Narzißmus ist, der sich gegen die Bedrohung sträubt, zeigen mit aller Deutlichkeit die Reaktionen, in denen wir den bedrohten Narzißmus mit verstärkter Intensität sich behaupten sehen: sei es in der Form der pathologischen Selbstliebe wie in der griechischen Sage oder bei Oscar Wilde, dem Vertreter des modernsten Ästhetentums, sei es in der Abwehrform der patho- logischen, oft bis zum paranoischen Wahnsinn führenden Angst vor dem eigenen Ich, das im verfolgenden Schatten, Spiegel- bild oder Doppelgänger personifiziert erscheint. Auf der anderen Seite kehrt aber in denselben Phänomenen der Abwehr auch die Bedrohung wieder, vor der sich das Individuum schützen und behaupten will, und so kommt es, daß der die narzißtische Selbsdiebe verkörpernde Doppelgänger gerade zum Rivalen in der Geschlechtsliebe werden muß oder daß er, ursprünglich als Wunschabwehr des gefürchteten ewigen Unterganges geschaffen, im Aberglauben als Todesbote wiederkehrt. 2


Heinzelmann, 1. c. S. 6o.

2) Dieser Grundzug des Doppelgängerproblems findet vettere Aufklärung in Freuds Aufsatz über das „Unheimliche", 1010. (Ges. Schriften, Bd. X.)


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Im „Internationalen Psychoanalytischen Verlag" erschien ferner von.

Dr. Otto Rank:


Der Künstler und andere Beiträge zur Psychoanalyse des dichterischen Schaffens (Imago-Bücher I). Vierte vermehrte Auflage 1925.

Inhalt: Der Künstler. Die sexuelle Grundlage. Die künstlerisdie Sublimicrung. - Der Sinn der Grisclda-FabeL Die Matrone von Ephesus. Das „Sdiausplel" In „Hamlet". Belege zur Rettungsphantasie (Rettungsphantaslc und Familienroman. Der „Familienroman" in der Psydiologle des Attentäters. Die „Geburtsrcttungsphantasle" in Traum und Mythus). „Um Städte werben." Traum und Dichtung. Ein gedichteter Traum.

Wohl eines der interessantesten Probleme, denen die Psychoanalyse sich zugewandt hat, ist das der Künstlerpsycholoirie. Die Psychoanalytiker tun gut daran, eine historische oder innere Gemeinschaft mit den Sansculottes des Materialismus, mit der Etikcttenklcberei allzu „unbefangener" Psychiater abzulehnen. „Frankfurter Zeitung"

Das Werk Ranks behandelt in komprimiertester und doch lichtvoller Darstellung ent- scheidende Fragen. Der Weg zur Losung dieser Fragen ist kühn — aber er ist kein Marsch auf der Straße. r)ig Zeit"

Viele sehr verdienstvolle, wenn auch harte und beinahe rücksichtslose Meinungen. Es gehört eine große Freiheit des Geistes und eine sehr schatzbare Unbefangenheit dazu, das Sexuelle offen als den Anfang und Ausgangspunkt dessen zu bezeichnen, womit abgerechnet werden muß. Otto Rank hat den Vorwurf der zynischen Brutalität, der bei solchen Dingen nie- mandem erspart bleibt, nicht gescheut. Zu philosophischer Propädeutik auf Mädchen-Gymnasien ist die Schrift nicht zu verwenden . . . Übrigens hat Otto Rank auf dem Wege zur Seelenschau des Künstlers eine ganze Menge psychologischer Faktoren auf ihren sexuellen Gehalt hin geprüft und mit schöner Prägnanz demonstriert. „Münchner Allg. Zeitung"

Auch unser Zeitalter hat seine Sophisten. Der in seiner verblüffenden Dialektik an Otto Wcininger gemahnende Wiener Psychologe Otto Rank — ein Reinecke Fuchs der Philosophie an staunenden Ränken — leitet in der Schrift „Der Künstler" überhaupt alles menschliche Leben mit seinen Kulturbestrcbungen, Religion, Wissenschaft, Philosophie, Poesie samt den anderen Künsten aus dem geschlechtlichen Urzustand und dessen allmählicher Entwicklung ab . . . Ganz in Ordnung jedoch ist es, daß Otto Rank die Traumzustände neben den Sexual- problemen zur Erklärung des dichterischen und künsüerischen Phantasieschaffens heranzieht

J. V. Widmann im „Bund"

Heute steht es wohl bei allen Psychoanalytikern fest, daß die Beschäftigung mit den Fragen der Ästhetik und Künstlerpsychologie nur ein kleiner Ausschnitt der Gesamtaufgabe ist; diese selbst umfaßt die ganze Entwicklung des Seelischen, also die menschliche Kultur- geschichte im weitesten und vollständigsten Sinne ... Die ersten Schritte in der neuen Bahn hat Rank mit seinem „Künstler", allen anderen weit voraus, getan. Die Wendung ins All- gemeine und Entwicklungsgeschichtliche ist nicht etwa durch Andeutungen vorweggenommen, sondern schon in methodischer Form ausgebaut.

H. Sachs im „Bericht über die Fortschritte der Psychoanalyse"

Höchst interessant, wie die Vertiefung der Freudschen Lehre auf Teile uralter religions- psychologischer Grundmauern stößt. Das Studium dieser geistreichen Schrift kann sehr empfohlen werden. „Zeitschrift für Religionspsychologie"

Einen Teil der neuen, Urhaftes belichtenden Seelenlehre, die wagniskräftig über die schwanken Mauern der Träume steigt, in die fahlen Gärten körperlicher Wallungen zwischen Kindern und Eltern tritt, — einen Teil dieser neuen Lehre erhärtet Otto Rank . . . Das Wesen seiner Arbeit geht den Wissenschaftler an, wie den gliedernden (und zergliederten) Dichter.

Alfred Kerr im „Pan"

As dimly glimpsed by Nietzsche, Hinton and other earlier thinkers, — the main explanation of the dynamic process by which the arts, in the widest sense, have come into beeing, is now chiefly being explored. One thinks of Freud and especially of Dr. Rank, perhaps the most bnlliant and clairvoyant of the younger investigators who still stand by the master's

Havelock Ellis in „The dance of the life"


side.


Psychoanalytische Beiträge zur Mythenforschung. (Internat. Psychoanalyt. Bibliothek, Bd. 4.) 1. Aufl. 1922.

Inhalt: Vorwort. Mythologie und Psychoanalyse Die Symbolik. Völkerpsychologische Parallelen zu den infantilen Sexualtheorien. Zur Deutung der Sintflutsagc. M&nneken-Plß und Dukaten-Scheißer. Das Brüderoiärchen. Mythus und Märchen.

Neben und nach Freud, dessen Traumdeutung Quelle und Ausgangspunkt aller einschlägigen Forschungen ist, ist es besonders Rank, dessen Arbeiten ein neues Licht in die bis dahin dunkle Entstehungsgeschichte mythologischer Schöpfungen brachten . . . Daß Rank es ver- standen hat, sein Thema klar, übersichtlich und fesselnd zu gestalten, ist für den Kenner seiner Arbeiten keine Überraschung. „Zeitschrift für Sexualwissenschaft' 1

Kritische Leser werden viel Anregung und interessantes Material in diesen Aufsätzen finden.

„Literarisches Echo"

Die analytische Erforschung des Traumes, die sich als die wertvollste Quelle von Auf- schlüssen über das psychische Geschehen erwies, hatte bald den Versuch gerechtfertigt erscheinen lassen, das in der Struktur und den seelischen Mechanismen ähnliche Phänomen des Mythus analytisch zu untersuchen. Das Hauptverdienst auf diesem Gebiete gebührt unstreitig Rank . . . Die analytische Mythenforschung auf einem Höhenpunkte!

Th. Beut in „Imago"

Libro ... de una presentaeiön elegante es una de las magnificas contribuciones a la inter- pretaeiön psicoanalitica de mitos y legendas. Revista di Psüjuiatria, Lima

Anerkennung gebührt der Gründlichkeit, mit der der Verfasser die Sagen und Dichtungen aller Zeiten durchforscht hat, und dem analytischen Scharfsinn, der ihn in den verschieden- artigsten Verkleidungen stets die ewigen Menschheitskonflikte erkennen läßt

„Die Neue Generation"

Die Don Juan-Gestalt. 1024.

Der unsterblich gewordene Name des spanischen Liebeshelden entfesselt mit seinem zauberischen Klang unwillkürlich eine Reihe von Vorstellungen und Erwartungen erotischer Natur, die unlösbar mit ihm verbunden scheinen ... Ist man aber gerade in der Stimmung, der Mozartschen Oper mit einer psychoanalytischen Einstellung gegenüberzutreten, d. h. die bewußte Ziclvorstellung des erotischen Helden teilweise auszuschalten, so bemerkt man unschwer und doch nicht ohne Überraschung, daß die Handlung eigentlich nichts weniger als einen erfolgreichen Sexualabenteurer, vielmehr einen von Mißgeschick verfolgten armen Sünder darstellt, den schließlich das seinem Milieu entsprechende Los der christlichen Höllenstrafe erreicht . . . Wir folgen nur den vorgezeichneten Spuren von Tradition und Dichtung, wenn wir dieser dem menschlichen Denken offenbar peinlichen Seite des ,Don Juan' unsere analytische Aufmerksamkeit zuwenden."

Das TraumaderGeburt und seine Bedeutung für die Psychoanalyse.

(Internat. Psychoanalyt. Bibliothek, Bd. 14) 1924.

Inhalt: Analytische Situation. Infantile Angst. Sexuelle Befriedigung. Neurotische Repro- duktion. Symbolische Anpassung. Heroische Kompensation. Religiöse Sublimierung. Künst- lerische Idealisierung. Philosophische Spekulation. Psychoanalytische Erkenntnis. Thera- peutische Wirkung.

Aus dem Nirwana des Lebens im mütterlichen Schoß wird das Kind durch ein erstes gewaltsames und erschütterndes Erlebnis, durch die Geburt in eine Welt hinausgetrieben, die von ihm mit zunehmendem Alter immer größere Anpassungsleistungen fordert Für den Neurotiker und seine Behandlung hat das „Trauma" der Geburt fundamentale Bedeutung. Wir sehen aber seine Wiederkehr nicht nur in der neurotischen Reproduktion, bei tieferer Untersuchung finden wir sie auch in der Entwicklung der Normalen, in der Kunst, Religion, Philosophie überall in der ganzen Kultur. Dies weist Rank in seinem prächtigen Buch nach . . . Das in jeder Hinsicht tief und reich angelegte Buch ist Freud gewidmet. Wir legen es mit dem Eindruck aus der Hand, daß seine Bedeutung für den Fortschritt der Psychologie und der Psychoanalyse im speziellen heute noch gar nicht abgeschätzt werden kann. . . . Wir Lehrer sind in unserer Arbeit an das Kleine und oft Kleinliche des menschlichen Lebens gefesselt. Es bedeutet für uns eine Erquickung, durch Ranks Buch in ungeheuer große Zusammenhange der menschlichen Natur hineinzublicken, welche Gegenwart, Ver- gangenheit und Zukunft in einer Einheit fassen und das Seelische gleichsam dreidimensional erleben lassen. „Berner Schulblatt"


Imponierend durch die Weite der Konzeption und die Geschlossenheit der Theorie, die keine Tatsache unberücksichtigt läßt, überrascht das Buch zugleich durch seine grandiose Einseitigkeit und den Sprung, den es von der Biologie zur Psychologie macht Die Aus- fahrungen Ranks bedeuten einen ersten Versuch, die psychoanalytische Denkweise als solche für das Verständnis der gesamten Menschheitsentwicklung, ja sogar Menschwerdung fruchtbar zu machen. „Neue Freie Presse"

Man sieht eine kühn geschwungene Riesentreppe, die uns zu den Wolken emporzuführen verspricht, deren Fundament jedoch leider nicht auf festem Boden steht . . . Das Urteil über die Grundfesten der These Ranks muß verschoben werden, bis die Nachprüfung- möglich ist . . . Die sprachliche Darstellung ist treffend und das riesige Gedankenmaterial mit sicherem Griff Zusammenfassend, durch glücklich gewählte und geschickt vorgebrachte Formulierungen ebenso ausgezeichnet, wie durch die verblüffende und doch nie in leere Sophisterei ausartende Dialektik . . . Trotz der Einseitigkeiten und Übertreibungen bietet der Hinweis auf die bisher übersehene oder unterschätzte Bedeutung des Geburtserlebnisses der Psychoanalyse eine wertvolle Bereicherung und Ranks psychologischer Scharfblick mag sich auch hier wieder erprobt haben. H. Sachs in der „Int. Zschr. f. Psychoanalyse"

Eine Neurosenanalyse in Träumen. (Neue Arbeiten zur ärzt- lichen Psychoanalyse, Nr. 3.) 1924. '

I n h a 1 1 : Die Widerstandsphasen (Kastrationswiderstand. Zahlzwang. Phantasiebildungen. Abendmahlsymbollk. Das leidende Heldenideal. Mutterregression. Libidoübertragung. Das sexuelle Kunststode Geldwldcrstand. Masturbation und Mannlichkcttskomplex. Schuldgefühl. Wandlung der Sexualsymbolik). Die Heilungsfaktoren (Ungeduld und Resignation. Identi- fizierung mit dem Analytiker. Akzeptierung der Schwester. Entwöhnungsphase. Lösung von der Analyse. Die letzte Stunde).

Diese „Heilungsgeschichte" einer Zwangsneurose in 150 Stunden ist wohl die detaillierteste Psychoanalyse, die publiziert worden ist, und als solche ein wichtiges Dokument.

Prof. E. Bleuler in der Jflünchner Med. Wochenschrift" Die Patientin — ein junges Mädchen — suchte die Analyse wegen einer Arbeitshemmung auf, die im Anschluß an ein unglücklich ausgegangenes Liebesverhältnis und zur Zeit der Verheiratung ihrer jüngeren Schwester aufgetreten war und ihr Berufsleben schwer beein- trächtigte. Die Analyse ergab als Grundlage des unlösbaren aktuellen Konfliktes eine voll ausgebildete Neurose, u. zw. vom Zwangstypus . . . Das üppige Traumleben der Patientin gestattete, den Fortgang ihrer Analyse und die Lösung ihrer Neurose an ihren fast täglichen Träumen schrittweise zu verfolgen . . . Man versteht diese Geschichte am besten als Dar- stellung der Entwicklung eines Menschen unter Berücksichtigung des unbewußten Seelen- anteiles. Von prinzipieller Bedeutung in dieser Analyse ist die Bedeutung unbewußter Leitmotive für das Schicksal der Menschen, ihre Leistungs- und Liebesfähigkeit, für ihre Erkrankungen und die Heilungsmöglichkeiten.


Mit Dr. S. Ferenczi

Entwicklungsziele der Psychoanalyse. Zur Wechselbeziehung von Theorie und Praxis. (Neue Arb. z. ärztl. Psychoanalyse, Nr. 1.) 1024. Inhalt: Die analytische Situation. Der Libido ab lauf und seine Phasen. Die Lösung der Libldofixlcrung im Erlcbnismoment. Historisch-kritischer Rückblick. Theorie und Praxis. Ergebnisse. Ausblicke.

Aus dem Bilde, das beide Autoren in gemeinsamer Arbeit entwarfen, wird sich nicht nur dem ausübenden Analytiker, sondern in hohem Maße auch dem wissenschaftlich und all- gemein an der Psychoanalyse Interessierten eine Fülle von Hinweisen ergeben . . . Die eingehende kritische Darstellung dessen, was unter einer Analyse verstanden wurde und wird, kann von großem Interesse sein. „Zeitschrift für Sexualwissenschaft"

Der leitende Gedanke dieses stark programmatisch gehaltenen Buches kommt am deutlichsten in der Feststellung der Autoren zum Ausdruck, daß die Psychoanalyse heute in eine neue Phase, in die „Erlebnisphase" eintritt, welche die „Erkenntnisphase" der letzten Jahre, die einerseits in der Überwucherung des theoretischen Forschens, andererseis therapeutisch in der Oberschätzung des während der Kur dem Patienten übermittelten Wissens bestand, ablöst.

„Internat. Zeitschr. f. Psychoanalyse"


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Otto Rank

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