Jokes and Their Relation to the Unconscious  

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Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten (1905 ) is a book by Sigmund Freud. It was translated in English as Jokes and their Relation to the Unconscious.

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Full text in German

DER WITZ

UND SEINE BEZIEHUNG

ZUM UNBEWUSSTEN


VON PROF. DR. SIGM. FREUD

IN WIEN.



LEIPZIG UND WIEN

FRANZ DEUTICKE

1905.


Verlags-Nr. 1 128.

INTERNATIONAL

PSYCHOANALYTIC

UNIVERSITY

DIE PSYCHOANALYTISCHE HOCHSCHULE IN BERLIN



K, n, K. Hofbnchdrocberei Kall Prochaeka in Tescbeß.


Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten. A. Analytischer Teil.


I. Einleitung.

Wer einmal Anlaß gehabt hat, sich in der Literatur bei Ästhctikeru und Psychologen zu erkundigen, welche Aufklärung über Wesen und Beziehungen des Witzes gegeben werden kann, der wird wohl zugestehen müssen, daß die philosophische Be- mühung dem Witz lange nicht in dem Maße zu teil geworden ist, welches er durch seine Rolle in unserem Geistesleben verdient. Man kann nur eine geringe Anzahl von Denkern nennen, die sich eingehender mit den Problemen des Witzes beschäftigt haben. Allerdings finden sich unter den Bearbeitern des Witzes die glänzenden Namen des Dichters Jean Paul (Fr. Richter) und der Philosophen Th. Vischer, Kuno Fischer und Th. Lipps; aber auch bei diesen Autoren steht das Thema des Witzes im Hintergrunde, während das Hauptinteresse der Unter- suchung dem umfassenderen und anziehenderen Probleme des Komischen zugewendet ist.

Man gewinnt aus der Literatur zunächst den Eindruck, als sei es völlig untunlich, den Witz anders als im Zusammenhange mit dem Komischen zu behandeln.

Nach Th. Lipps (Komik und Humor, 1S98)*) ist der Witz „die durchaus subjektive Komik", d. h. die Komik, „die wir hervor- bringen, die an unserem Tun als solchem haftet, zu der wir uns durchwegs als darüberstehendes Subjekt, niemals als Objekt, auch nicht als freiwilliges Objekt verhalten" (S. 80}. Erläuternd hiezu


  • ) Beiträge zur Ästhetik, herausgegeben von Theodor Lipps und

Richard Maria Werner. VL — Ein Buch, dem icli den Mut und die Möglichkeit verdanke, diesen Versuch zu unternehmen.

Freud, Der Witz. I


}


2 I- Einleitung. -

die Bemerkung: Witz heiße überhaupt „jedes bewußte und ge- schickte Hervorrufen der Komik, sei es der Komik der An- schauung oder der Situation" (S. 78).

K. Fischer erläutert die Beziehung des Witzes zum Komi- schen mit Beihilfe der in seiner Darstellung zwischen beide eingeschobenen Karikatur. (Über den Witz, 1889.) Gegenstand der Komik ist das Häßliche in irgend einer seiner Erscheinungs- formen: ,^Wo es verdeckt ist, muß es im Licht der komischen Betrachtung entdeckt, wo es wenig oder kaum bemerkt wird, muß es hervorgeholt und so verdeutlicht werden, daß es klar und offen am Tage hegt. , . . So entsteht die Karikatur" (S. 45)- — „Unsere ganze geistige Welt, das intellektuelle Reich unserer Gedanken und Vorstellungen, entfahet sich nicht vor dem Blicke der äußeren Betrachtung, läßt sich nicht unmittelbar bildlich und anschaulich vorstellen und enthält doch auch seine Hemmungen, Gebrechen, Verunstaltungen, eine Fülle des Lächerlichen und der komischen Kontraste. Diese hervorzuheben und der ästhetischen Betrachtung zugänglich zu machen, wird eine Kraft nötig sein, welche im stände ist, nicht bloß Objekte unmittelbar vorzustellen, sondern auf diese Vorstellungen selbst zu reflektieren und sie zu verdeutlichen: eine gcdankenerhellende Kraft. Diese Kraft ist allein das Urteil. Das Urteil, welches den komischen Kontrast erzeugt, ist der Witz, er hat im stillen schon in der Karikatur mitgespielt, aber erst im Urteil erreicht er seine eigentümliche Form und das freie Gebiet seiner Entfaltung" (S. 49).

Wie man sieht, verlegt L i p p s den Charakter, welcher den Witz innerhalb des Komischen auszeichnet, in die Betätigung, in das aktive Verhalten des Subjekts, während K. Fischer den Witz durch die Beziehung zu seinem Gegenstand, als welcher das verborgene Häßliche der Gedankenwelt gelten soll, kennzeichnet. Man kann diese Definitionen des Witzes nicht auf ihre Triftigkeit prüfen, ja man kann sie kaum verstehen, wenn man sie nicht m den Zusammenhang einfügt, aus dem gerissen sie hier erscheinen, und man stände so vor der Nötigung, sich durch die Darstellungen des Komischen bei den Autoren hindurch zu arbeiten, um von ihnen etwas über den Witz zu erfahren. Indes wird man an anderen Stellen gewahr, daß dieselben Autoren auch wesentliche und allgemein gültige Charaktere des Witzes anzugeben wissen, bei welchen von dessen Beziehung zum Komischen abgesehen ist.

Die Kennzeichnung des Witzes bei K. Fischer, die den Autor selbst am besten zu befriedigen scheint, lautet: Der Witz ist ein spielendes Urteil (S. 50- Zur Erläutenmg dieses Aus-


Darstellung des Witzes bei den Antoren. 3

druckes werden wir auf die Analogie verwiesen: „wie die ästhe- tische Freiheit in der spielenden Betrachtung der Dinge bestand" (S. 50), An anderer Stelle (S. 20) wird das ästhetische Verhalten gegen ein Objekt durch die Bedingung charakterisiert, daß wir von diesem Objekt nichts verlangen, insbesondere keine Befrie- digung unserer ernsten Bedürfnisse, sondern uns mit dem Genuß der Betrachtung desselben begnügen. Das ästhetische Verhalten ist spielend im Gegensatz zur Arbeit. — „Es könnte sein, daß aus der ästhetischen Freiheit auch eine von der gewöhnlichen Fessel und Richtschnur losgelöste Art des Urteilens entspringt, die ich um ihres Ursprunges willen „das spielende Urteil" nennen will, und daß in diesem Begriff die erste Bedingung, wenn nicht die ganze Formel enthalten ist, die unsere Aufgabe löst. „Freiheit gibt Witz und Witz gibt Freiheit," sagt Jean Paul. „Der Witz ist ein bloßes Spiel mit Ideen" {S. 24).

Von jeher liebte man es, den Witz als die Fertigkeit zu definieren, Ähnlichkeiten zwischen Unähnlichem, also versteckte Ähnlichkeiten zu finden. Jean Paul hat diesen Gedanken selbst witzig so ausgedrückt: „Der Witz ist der verkleidete Priester, der jedes Paar traut". Th. Vischer fügt die Fortsetzung an: „Er traut die Paare am liebsten, deren Verbindung die Ver- wandten nicht dulden wollen". Vischer wendet aber ein, daß es Witze gebe, bei denen von Vergleichung, also auch von Auf- findung von Ähnlichkeit, keine Rede sei. Er definiert also den Witz mit leiser Abweichung von Jean Paul als die Fertigkeit, mit überraschender Schnelle mehrere Vorstellungen, die nach ihrem inneren Gehalt und dem Nexus, dem sie angehören, einander eigent- lich fremd sind, zu einer zu verbinden. K. Fischer hebt dann hervor, daß in einer Menge von witzigen Urteilen nicht Ähnlich- keiten, sondern Unterschiede gefunden werden, und L i p p s macht darauf aufmerksam, daß sich diese Definitionen auf den Witz beziehen, den der Witzige hat, und nicht, den er macht.

Andere in gewissem Sinne miteinander verknüpfte Gesichts- punkte, die bei der Begriffsbestimmung oder Beschreibung des Witzes herangezogen wurden, sind der „V orstellungs- kontrast", „der Sinn im Unsinn", „die Verblüffung und Erleuchtung."

Auf den Vorsiellungskontrast legen Definitionen wie die von K r a c p e 1 i n den Nachdruck. Der Witz sei „die willkürliche Verbindung oder Verknüpfung zweier miteinander in irgend einer Weise kontrastierender Vorstellungen, zumeist durch das Hilfs- mittel der sprachlichen Assoziation". Es wird einem Kritiker

I* .


A


I. Einleitung.


wie L i p p s nicht schwer, die völlige Unzulänghchkeit dieser Formel aufzudecken, aber er selbst schließt das Moment des Kontrastes nicht aus, sondern verschiebt es nur an eine andere Stelle. „Der Kontrast bleibt bestehen, aber er ist nicht so oder so gefaßter Kontrast der mit den Worten verbundenen Vor- stellungen, sondern Kontrast oder Widerspruch der Bedeutung und Bedeutungslosigkeit der Worte" (S. 87). Beispiele erläutern, wie letzteres verstanden werden soll. „Ein Kontrast entsteht erst dadurch, daß .... wir seinen Worten eine Bedeutung zugestehen, die wir ihnen dann doch wieder nicht zugestehen können" (S. 90).

In der Weiterentwicklung dieser letzten Bestimmung kommt der Gegensatz von „Sinn und Unsinn" zur Bedeutung. „Was wir einen Moment für sinnvoll nehmen, steht als völlig sinnlos vor uns. Darin besteht in diesem Falle der komische Prozeß" (S. 85 u. ff.). „Witzig erscheint eine Aussage, wenn wir ihr eine Bedeutung mit psychologischer Notwendigkeit zuschreiben, und indem wir sie ihr zuschreiben, sofort auch wiederum absprechen. Dabei kann unter der Bedeutung verschiedenes verstanden sein. Wir leihen einer Aussage einen Sinn und wissen, daß er ihr logischerweise nicht zukommen kann. Wir finden in ihr eine Wahrheit, die wir dann doch wiederum den Gesetzen der Erfahrung oder allgemeinen Gewohnheiten unseres Denkens zufolge nicht darin finden können. Wir gestehen ihr eine über ihren wahren Inhalt hinausgehende logische oder praktische Folge zu, um eben diese Folge zu verneinen, sobald wir die Beschaffenheit der Aussage für sich in's Auge fassen. In jedem Falle besteht der psychologische Prozeß, den die witzige Aussage in uns hervor- ruft und auf dem das Gefühl der Komik beruht, in dem un- vermittelten Übergang von jenem Leihen, Fürwahrhahen, Zu- gestehen, zum Bewußtsein oder Eindruck relativer Nichtigkeit".

So eindringlich diese Auseinandersetzung khngt, so möchte man hier doch die Frage aufwerfen, ob der Gegensatz des Sinn- vollen und Sinnlosen, auf dem das Gefühl der Komik beruht, auch zur Begriffsbestimmung des Witzes, insofern er vom Komischen unterschieden ist, beiträgt.

Auch das Moment der „Verblüffung und Erleuchtung" führt tief in das Problem der Relation des Witzes zur Komik hinein. Kant sagt vom Komischen überhaupt, es sei eine merkwürdige Eigenschaft desselben, daß es uns nur für einen Moment täuschen könne. Heymans (Zeitschr. f. Psychologie XI, 1896) führt aus, wie die Wirkung eines Witzes durch die Aufeinanderfolge von Verblüffung und Erleuchtung zu stände komme. Er erläutert seine


Darstellung des Witzes bei den Autoren.


Meinung an einem prächtigen Witz von Hein e, der eine seiner Figuren, den armen Lotteriekollckteur Hirsch-Hyacinth, sich rühmen läßt, der große Baron Rothschild habe ihn ganz wie seines Gleichen, ganz familiionär, behandelt. Hier erscheine das Wort, welches der Träger des Witzes ist, zunächst einfach als eine fehlerhafte Wortbildung, als etwas Unverständliches, Unbe- greifliches, Rätselhaftes. Dadurch verblüffe es. Die Komik ergebe sich aus der Lösung der Verblüffung, aus dem Verständnis des Wortes. Lipps ergänzt hiezu, daß diesem ersten Stadium der Erleuchtung, das verblüffende Wort bedeute dies und jenes, ein zweites Stadium folgt, in dem man einsehe, dies sinnlose Wort habe uns verblüfft und dann den guten Sinn ergeben. Erst diese zweite Erleuchtung, die Einsicht, daß ein nach gemeinem Sprach- gebrauch sinnloses Wort das Ganze verschuldet habe, diese Auf- lösung in Nichts, erzeuge erst die Komik (S. 95).

Ob die eine oder die andere dieser beiden Auffassungen uns einleuchtender erscheinen möge; durch die Erörterungen über Ver- blüffung und Erleuchtung werden wir einer bestimmten Einsicht näher gebracht. Wenn nämlich die komische Wirkung des Heine- schen familiionär auf der Auflösung des scheinbar sinnlosen Wortes beruht, so ist wohl der „Witz" in die Bildung dieses Wortes und in den Charakter des so gebildeten Wortes zu versetzen.

Außer allem Zusammenhang mit den zuletzt behandelten Gesichtspunkten wird eine andere Eigentümlichkeit des Witzes als wesentlich für ihn von allen Autoren anerkannt. „Kürze ist der Körper und die Seele des Witzes, ja er selbst," sagt Jean Paul (Vorschule der Ästhetik, I, § 45) und modifiziert damit nur eine Rede des alten Schwätzers Polonius in Shakespeare's Hamlet (3. Akt, 2. Szene):

„Weil Kürze dann des Witzes Seele ist,

Weitschweifigkeit der Leib und äußre Zierat,

Fass* ich mich kurz." (Schlegel'sche Übersetzung.)

Bedeutsam ist dann die Schilderung der Kürze des Witzes bei

Lipps (S. 90). „Der Witz sagt, was er sagt, nicht immer in

wenig, aber immer in zu wenig Worten, d. h. in Worten, die nach

strenger Logik oder gemeiner Denk- und Redeweise dazu nicht

genügen. Er kann es schließlich geradezu sagen, indem er es

verschweigt."

Daß der Witz etwas Verborgenes oder Verstecktes hervorholen müsse" (K. Fischer, S. 51), wurde uns schon bei der Zusammenstellung des Witzes mit der Karikatur gelehrt. Ich hebe diese Bestimmung nochmals hervor, weil auch sie mehr mit


6 I. Einleitung.

dem Wesen des Witzes als mit seiner Zugehörigkeit zur Komik zu tun hat.


Ich weiß wohl, daß die vorstehenden kümmerÜchen Auszüge aus den Arbeiten der Autoren über den Witz dem Werte dieser Arbeiten nicht gerecht werden können. Infolge der Schwierig- keiten, welche einer von Mißverständnis freien Wiedergabe so komplizierLer und fein nuancierter Gedankengänge entgegenstehen, kann ich den Wißbegierigen die Mühe nicht ersparen, sich die gewünschte Belehrung an der ursprünglichen Quelle zu holen. Aber ich weiß nicht, ob sie von ihr voll befriedigt zurückkehren würden. Die von den Autoren angegebenen und im vorigen zu- sammengestellten Kriterien und Eigenschaften des Witzes ■ — die Aktivität, die Beziehung zum Inhalt unseres Denkens, der Charakter des spielenden Urteils, die Paarung des Unähnlichen, der Vor- stellungskontrast, der „Sinn im Unsinn", die Aufeinanderfolge von Verblüffung und Erleuchtung, das Hervorholen des Versteckten und die besondere Art von Kürze des Witzes — erscheinen uns zwar auf den ersten Blick als so sehr zutreffend und so leicht an Beispielen erweisbar, daß wir nicht in die Gefahr geraten können, den Wert solcher Einsichten zu unterschätzen, aber es sind disjecta membra, die wir zu einem organisch Ganzen zu- sammengefügt sehen möchten. Sie tragen schließhch zur Kenntnis des Witzes nicht mehr bei als etwa eine Reihe von Anekdoten zur Charakteristik einer PersönUchkeit, über welche wir eine Biographie beanspruchen dürfen. Es fehlt uns völlig die Einsicht in den vorauszusetzenden Zusammenhang der einzelnen Bestim- mungen, etwa was die Kürze des Witzes mit seinem Charakter als spielendes Urteil zu schaffen haben kann, und ferner die Aufklärung, ob der Witz allen diesen Bedingungen genügen muß, um ein richtiger Witz zu sein, oder nur einzelnen darunter, und welche dann durch andere vertretbar, welche unerläßlich sind. Auch eine Gruppierung und Einteilung der Witze auf Grund ihrer als wesentlich hervorgehobenen Eigenschaften würden wir wünschen. Die Einteilung, welche wir bei den Autoren finden, stützt sich einerseits auf die technischen Mittel, anderseits auf die Ver- wendung des Witzes in der Rede (Klangwitz, Wortspiel — kari- kierender, charakterisierender Witz, witzige Abfertigung).

Wir wären also nicht in Verlegenheit, einer weiteren Be- mühung zur Aufklärung des Witzes ihre Ziele zu weisen. Um auf Erfolg rechnen zu können, müßten wir entweder neue Ge-


i


Rechtfertigung dieser Untersuchung. 7

sichtspunktc in die Arbeit eintragen oder durch Verstärkung

unserer Aufmerksamkeit und Vertiefung unseres Interesses weiter einzudringen versuchen. Wir können uns vorsetzen, es wenigstens an dem. letzteren Mittel nicht fehlen zu lassen. Es ist immerhin auffälUg, wie wenig Beispiele von als solchen anerkannten Witzen den Autorer. für ihre Untersuchungen genügen, und wie ein jeder die nämlichen von seinen Vorgängern übernimmt. Wir dürfen uns der Verpflichtung nicht entziehen, dieselben Beispiele zu analysieren, die bereits den klassischen Autoren über den Witz gedient haben, aber wir beabsichtigen, uns außerdem an neues Material zu wenden, um eine breitere Unterlage für unsere Schluß- folgerungen zu gewinnen. Es liegt dann nahe, daß wir solche Beispiele von Witz zu Objekten unserer Untersuchung nehmen, die uns selbst im Leben den größten Eindruck gemacht und uns am ausgiebigsten lachen gemacht haben.

Ob das Thema des Witzes solcher Bemühung wert ist? Ich meine, daran ist nicht zu zweifeln. Wenn ich von persönlichen, während der Entwicklung dieser Studien aufzudeckenden, Motiven absehe, die mich drängen, Einsicht in die Probleme des Witzes zu gewinnen, kann ich mich auf die Tatsache des intimen Zu- sammenhanges alles seelischen Geschehens berufen, welche einer psychologischen Erkenntnis auch auf einem entlegenen Gebiet einen im vorhinein nicht abschätzbaren Wert für andere Gebiete zusichert. Man darf auch daran mahnen, welch eigentümlichen, geradezu faszinierenden Reiz der Witz in unserer Gesellschaft äußert. Ein neuer Witz wirkt fast wie ein Ereignis von all- gemeinstem Interesse; er wird wie die neueste Siegesnachricht von dem einen dem anderen zugetragen. Selbst bedeutende Männer, die es für mitteilenswert halten, wie sie geworden sind, welche Städte und Länder sie gesehen und mit welchen hervor- ragenden Menschen sie verkehrt haben, verschmähen es nicht, in ihre Lebensbeschreibung aufzunehmen, diese und jene vortreff- lichen Witze hätten sie gehört.*)


  • ) J. v. Falke, Lebens er innenin gen, 1S97.


II. Die Technik des Witzes.

Wir folgen einem Winke des Zufalls und greifen das erste Witzbeispie] auf, das uns im vorigen Abschnitt entgegen ge- treten ist.

In dem Stück der „Reisebilder", welches „Die Bäder von Lucca" betitelt ist, führt H. Heine die köstliche Gestalt des Lotteriekollekteurs und Hühneraugenoperateurs Hirsch-Hyacinth aus Hamburg auf, der sich gegen den Dichter seiner Beziehungen zum reichen Baron Rothschild berühmt und zuletzt sagt; Und so wahr mir Gott alles Gute geben soll, Herr Doktor, ich saß neben Salomon Rothschild und er behandelte mich ganz wie seines Gleichen, ganz famillionär.

An diesem als ausgezeichnet anerkannten und sehr lach- kräftigen Beispiel haben Hey man s und Lipps die Ableitung der komischen Wirkung des Witzes aus der „Verblüffung und Erleuchtung" (s. o.) erläutert. Wir aber lassen diese Frage bei- seite und stellen uns die andere: was es denn ist, was die Rede des Hirsch-Hyacinth zu einem Witze macht? Es könnte nur zweierlei sein; entweder ist es der in dem Satz ausgedrückte Ge- danke, der den Charakter des Witzigen an sich trägt, oder der Witz haftet an dem Ausdruck, den der Gedanke in dem Satze gefunden hat. Auf welcher Seite sich uns der Witzcharakter zeigt, dort wollen wir ihn weiter verfolgen und versuchen, seiner habhaft zu werden.

Ein Gedanke kann ja im allgemeinen in verschiedenen sprachlichen Formen — in Worten also — zum Ausdruck ge- bracht werden, die ihn gleich zutreffend wiedergeben mögen. In der Rede des Hirsch-Hyacinth liegt uns nun eine bestimmte Ausdrucksform eines Gedankens vor und, wie uns ahnt, eine be- sonders eigentümliche, nicht diejenige, welche am leichtesten ver- ständlich ist. Versuchen wir, denselben Gedanken möglichst getreulich in anderen Worten auszudrücken. Lipps hat dies bereits getan und damit die Fassung des Dichters gewissermaßen erläutert. Er sagt (S. 87): „Wir verstehen, daß Heine sagen will, die Aufnahme sei eine familiäre gewesen, nämlich von der bekannten Art, die durch den Beigeschmack des MiUionärtums an Annehmlichkeit nicht zu gewinnen pflegt." Wir verändern


Heine's Witz: Famillionär. ' g

nichts an diesem Sinn, wenn wir eine andere Fassung annehmen, die sich vielleicht besser in die Rede des Hirsch-Hyacinth einfügt; „Rothschild behandelte mich ganz wie seines Gleichen, ganz familiär, d. h. soweit ein Millionär das zu stände bringt." „Die Herablassung eines reichen Mannes hat immer etwas Mißliches für den, der sie an sich erfährt," würden wir noch hinzusetzen.*)

Ob wir nun bei dieser oder einer anderen gleichwertigen Textierung des Gedankens verbleiben, wir sehen, daß die Frage, welche wir uns vorgelegt haben, bereits entschieden ist. Der Witz- Charakter haftet in diesem Beispiel nicht am Gedanken. Es ist eine richtige und scharfsinnige Bemerkung, die Heine seinem Hirsch-Hyacinth in den Mund legt, eine Bemerkung von unver- kennbarer Bitterkeit, wie sie bei dem armen Manne angesichts so großen Reichtums leicht begreifhch ist, aber wir würden uns nicht getrauen, sie witzig zu heißen. Meinte nun jemand, der bei der Übertragung die Erinnerung an die Fassung des Dichters nicht los zu werden vermag, der Gedanke sei doch auch an sich witzig, so können wir ja auf ein sicheres Kriterium des bei der Übertragung verloren gegangenen Witzcharakters verweisen. Die Rede des Hirsch-Hyacinth machte uns laut lachen, die sinngetreue Übertragung- derselben nach L i p p s oder in unserer Fassung mag uns gefallen, zum Nachdenken anregen, aber zum Lachen bringen kann sie uns nicht.

Wenn aber der Witzcharakter unseres Beispiels nicht dem Gedanken anhaftet, so ist er in der Form, im Wortlaut seines Ausdruckes zu suchen. Wir brauchen nur die Besonderheit dieser Ausdrucksweise zu studieren, um zu erfassen, was man als die Wort- oder Ausdruckstechnik dieses Witzes bezeichnen kann und was in inniger Beziehung zu dem Wesen des Witzes stehen muß, da Charakter und Wirkung des Witzes mit dessen Ersetzung durch anderes verschwinden. Wir befinden uns übrigens in voller Übereinstimmung mit den Autoren, wenn wir soviel Wert auf die sprachliche Form des Witzes legen. So z. B. sagt K. Fischer {S. 72): „Es ist zunächst die bloße Form, die das Urteil zum Witz macht, und man wird hier an ein Wort Jean Paul's er- innert, welches eben diese Natur des Witzes in demselben Aus- spruche erklärt und beweist: „So sehr sieget die bloße Stellung, es sei der Krieger oder der Sätze."


  • ) Derselbe Witz wird uns noch an anderer Stelle beschäftigen, und

dort werden wir Anlaß finden, an der von Lipps gegebenen Übertragung desselben, dfcr sich die unserige anschließt, eine Korrektur vorzunehmen, welche aber die hier nachfolgenden Erörterungen nicht zu stören vermag.


10


II. Die Technik des Witzes.


Worin besteht nun die „Tochnik" dieses Witzes? Was ist mit dem Gedanken etwa in unserer Fassung vorgegangen, bis aus ihm der Witz wurde, über den wir so herzlich lachen ? Zweierlei, wie die Vergleichung unserer Fassung mit dem Text des Dichters lehrt. Erstens hat eine erhebliche Verkürzung stattgefunden. Wir mußten, um den im Witz enthaltenen Ge- danken voll auszudrücken, an die Worte „R. behandelte mich ganz wie seines Gleichen, ganz familiär", einen Nach- satz anfügen, der auf's kürzeste eingeengt lautete; d. h. soweit ein Millionär das zu stände bringt, und dann fühlten wir erst noch das Bedürfnis nach einem erläuternden Zusatz.*) Beim Dichter heißt es weit kürzer:

„R. behandelte mich ganz wie seines Gleichen, ganz famillionär." Die ganze Einschränkung, die der zweite Satz an den ersten anfügt, welcher die familiäre Behandlung konstatiert, ist im Witze verloren gegangen.

Aber doch nicht ganz ohne einen Ersatz, aus dem man sie rekonstruieren kann. Es hat auch noch eine zweite Abänderung stattgefunden. Das Wort „familiär" im witzlosen Ausdruck des Gedankens ist im Text des Witzes zu „famillionär" um- gewandelt worden, und ohne Zweifel hängt gerade an diesem Wortgebilde der Witzcharakter und der Lacheffekt des Witzes. Das neugebildete Wort deckt sich in seinem Anfang mit dem „familiär" des ersten, in seinen auslautenden Silben mit dem „Millionär des zweiten Satzes, es vertritt gleichsam den einen Bestandteil „Millionär" aus dem zweiten Satze, infolgedessen den ganzen zweiten Satz, und setzt uns auf diese Weise in den Stand, den im Text des Witzes ausgelassenen zweiten Satz zu erraten. Es ist als ein Mischgebilde aus den zwei Komponenten „familiär" und „Millionär" zu beschreiben, und man wäre versucht, sich seine Entstehung aus diesen beiden Worten graphisch zu ver- anschaulichen.**)

F A M I L I AR

F A M IL I ©MÄR


  • ) Ganz älmliches gilt für die Übertragung von Lipps.
    • ) Die beiden Worten gemeinsamen Silben sind hier fett ge-

druckt im Gegensatz zu den verschiedenen Typen der besonderen Be- standteile beider Worte. Das zweite I, welches in der Aussprache kaum zur Geltung kommt, dürfte natürlich übergangen werden. Es ist naheliegend, daß die Übereinstimmung der beiden Worte in mehreren Silben der Witz- technik den Anlaß zur Herstellung des Mischwortes bietet.


Mischvvortbildung.


II


Den Vorgang aber, welcher den Gedanken in den Witz übergeführt hat, kann man sich in folgender Weise darstellen, die zunächst recht phantastisch erscheinen mag, aber nichts- destoweniger genau das wirklich vorhandene Ergebnis liefert: „R. behandelte mich ganz famiHär,

d. h. soweit ein Millionär es zu stände bringt."

Nun denke man sich eine zusammendrängende Kraft auf diese Sätze einwirken und nehme an, daß der Nachsatz aus irgend einem Grunde der weniger resistente sei. Dieser wird dann zum Schwinden gebracht werden, der bedeutsame Bestandteil desselben, das Wort „Millionär", welches sich gegen die Unterdrückung zu sträuben vermag, wird gleichsam an den ersten Satz angepreßt, mit dem ihm so sehr ähnlichen Element dieses Satzes ,_jfamiliär" verschmolzen, und gerade diese zufällig gegebene Möglichkeit, das Wesentliche des zweiten Satzes 2u retten, wird den Untergang der anderen unwichtigeren Bestandteile begünstigen. So entsteht dann der Witz; „R. behandelte mich ganz familion är."

(mili) (är)

Abgesehen von solcher zusammendrängenden Kraft, die uns ja unbekannt ist, dürfen wir den Hergang der Witzbildung, also die Witztechnik dieses Falles, beschreiben als eine Verdich- tung mit Ersatzbildung, und zwar besteht in unserem Beispiel die Ersatzbildung in der Herstellung eines Misch w orte s. Dieses Mischwort „famillionar", an sich unverständlich, in dem Zusammenhange, in dem es steht, sofort verstanden und als sinn- reich erkannt, ist nun der Träger der zum Lachen zwingenden Wirkung des Witzes, deren Mechanismus uns allerdings durch die Aufdeckung der Witztechnik in keiner Weise näher gebracht wird. Inwiefern kann ein sprachlicher Verdichtungsvorgang mit Ersatzbildung durch ein Mischwort uns Lust schaffen und zum Lachen nötigen ? Wir merken, dies ist ein anderes Problem, dessen Behandlung wir aufschieben dürfen, bis wir einen Zugang zu ihm gefunden haben. Vorläufig werden wir bei der Technik des Witzes verbleiben.

Unsere Erwartung, daß die Technik des Witzes für die Einsicht in das Wesen desselben nicht gleichgültig sein könne, veranlaßt uns zunächst zu forschen, ob es noch andere Witzbeispiele gibt, die wie H e i n e's „famillionar" gebaut sind. Es gibt deren nun nicht sehr viele, aber immerhin genug, um eine kleine Gruppe, die durch die Mischwortbildung charakterisiert ist, aufzustellen. Heine selbst hat aus dem Worte Millionär einen zweiten Witz gezogen, sich gleichsam selbst kopiert, indem er von einem


12 II. Die Technik des Witzes.


„MilHonarr" spricht (Ideen, Kap. XIV), was eine durchsichtige Zusanunenziehung von Millionär und Narr ist und ganz ähn- lich wie das erste Beispiel einen unterdrückten Nebengedanken zum Ausdruck bringt.

Andere Beispiele, die mir bekannt geworden sind; Die

Berliner heißen einen gewissen Brunnen in ihrer Stadt,

dessen Errichtung dem Oberbürgermeister Forckenbeck viel

Ungnade zugezogen hat, das „Forckenbecken", und dieser

Bezeichnung ist der Witz nicht abzusprechen, wenngleich das Wort

„Brunnen' erst eine Wandlung in das ungebräuchliche „Becken"

erfahren mußte, um mit dem Namen in einem Gemeinsamen

zusammenzutreffen. — Der böse Witz Europas hat einen der heute

lebenden Potentaten aus Leopold in Cleopold umgetauft

wegen seiner Anhänglichkeit an eine Dame mit dem Vornamen

CUo, eine unzweifelhafte Verdichtungsleistung, die nun mit dem

Aufwand eines einzigen Buchstaben eine ärgerliche Anspielung

immer frisch erhält. — Eigennamen verfallen überhaupt leicht

dieser Bearbeitung der Witztechnik: In Wien gab es zwei Brüder,

namens Salinger, von denen einer Börsensensal war. Das gab

die Handhabe, den einen Bruder Sensalinger zu nennen,

während für den anderen zur Unterscheidung die unliebenswürdige

Bezeichnung Scheusalinger in Aufnahme kam. Es war bequem

tmd gewiß witzig; ich weiß nicht, ob es berechtigt war. Der

Witz pflegt darnach nicht viel zu fragen.

Folgender Verdichtungswitz wurde mir erzählt: Ein junger Mann, der bisher in der Fremde ein heiteres Leben geführt besucht nach längerer Abwesenheit einen hier wohnenden Freund' der nun mit Überraschung den Ehering an der Hand des Be- suchers bemerkt. Was? ruft er aus, Sie sind verheiratet? Ja, lautet die Antwort : Trauring, aber wahr. Der Witz ist vortrefflich ; in dem Worte „Trauring" kommen die beiden Kom- ponenten, das Wort: Ehering in Trauring gewandelt und der Satz: Traurig, aber wahr, zusammen.

Es tut der Wirkung des Witzes hier keinen Eintrag, daß das Mischwort eigentlich nicht ein unverständliches, sonst nicht existenz- fähiges Gebilde ist, wie „famillionär", sondern sich vollkommen mit dem einen der beiden verdichteten Elemente deckt.

Zu einem Witz, der wiederum dem „famillionär" ganz analog ist, habe ich selbst im Gespräche unabsichtlich das Material ge- liefert. Ich erzähhe einer Dame von den großen Verdiensten eines Forschers, den ich für einen mit Unrecht Verkannten halte. „Aber der Mann verdient doch ein Monument," meinte sie. „Mög-


Verdichtung mit Ersatzbildung. 13

lieh, daß er es einmal bekommen wird," antwortete ich, „aber momentan ist sein Erfolg sehr gering." „M o n u m e n t" und „momentan" sind Gegensätze." Die Dame vereinigt nun die Gegensätze; Also wünschen wir ihm einen monumentanen Erfolg.

Das vorzüglichste Witzbeispiel dieser Gruppe hat einen der ersten Männer Österreichs zum Urheber, der nach bedeutsamer wissenschaftlicher und Öffentlicher Tätigkeit nun ein oberstes Amt im Staate bekleidet. Ich habe mir die Freiheit genommen, die Witze, die dieser Person zugeschrieben werden und in der Tat alle das gleiche Gepräge tragen, als Material für diese Unter- suchungen zu verwenden,*) vor allem darum, weil es schwer ge- halten hätte, sich ein besseres zu verschaffen.

Herr N. wird eines Tages auf die Person eines Schriftstellers aufmerksam gemacht, der durch eine Reihe von wirklich lang- weiligen Aufsätzen bekannt geworden ist, welche er in einer Wiener Tageszeitung veröffentlicht hat. Die Aufsätze behandeln durchweg kleine Episoden aus den Beziehungen des ersten Napoleon zu Österreich. Der Verfasser ist rothaarig. Herrr N. fragt, sobald er den Namen gehört hat: Ist das nicht der rote Fadian, der sich durch die Geschichte der Napoleoniden zieht?

Um die Technik dieses Witzes zu finden, müssen wir auf ihn jenes Reduktionsverfahren anwenden, welches den Witz durch Änderung des Ausdruckes aufhebt und dafür den ursprünglichen vollen Sinn wieder einsetzt, wie er sich aus einem guten Witz mit Sicherheit erraten läßt. Der Witz des Herrn N. vom roten Fadian ist aus zwei Komponenten hervorgegangen, aus einem absprechenden Urteil über den Schriftsteller und aus der Reminis- zenz an das berühmte Gleichnis, mit welchem Goethe die Aus- züge. „Aus Ottiliens Tagebuche" in den „Wahlverwandtschaften" einleitet.**) Die unmutige Kritik mag gelautet haben: Das also ist der Mensch, der ewig und immer wieder nur langweilige

  • ) Ob ich ein Recht dazu habe? Ich bin wenigstens nicht durch eine

Indiskretion zur Kenntnis dieser Witze gekommen, die in dieser Stadt (Wien) allgemein bekannt sind und in jedermanns Munde gefunden werden. Eine Anzahl derselben hat Ed. Hanslick in der „Neuen freien Presse" und in seiner Autobiographie der Öffentlichkeit übergeben. Für die bei münd- licher Tradition kaum vermeidlichen Entstellungen, die etwa die anderen betroffen hätten, bitte ich um Entschuldigung.

    • ) „Wir hören von einer besonderen Einrichtung in der englischen

Marine. Sämtliche Tauwerke der königlichen Flotte, vom stärksten bis zum schwächsten, sind dergestalt gesponnen, daß ein roter Faden durch das GaÄZc durchgeht, den man nicht herauswinden kann, ohne alles auf-


14 n. Die Technik des Witzes.

Feuilletons über Napoleon in Österreich zu schreiben weiß ! Diese Äußerung ist nun gar nicht witzig. Auch der schöne Vergleich Goethe 's ist kein witziger und ganz gewiß nicht geeignet, uns zum Lachen zu bringen. Erst wenn diese beiden in Beziehung zueinander gesetzt werden und dem eigentümlichen Verdichtungs- und Verschmclzungsprozeß unterliegen, entsteht ein Witz, und zwar vom ersten Range.*)

Die Verknüpfung zwischen dem schimpfhchen Urteil über den langweiligen Geschichtschreiber und dem schönen Gleichnis in den Wahlverwandtschaften, muß sich aus Gründen, die ich hier noch nicht verständlich machen kann, auf weniger einfache Weise hergesteUt haben als in vielen ähnlichen Fällen. Ich werde es versuchen, den vermutlichen wirkhchen Hergang durch folgende Konstruktion zu ersetzen. Zunächst mag das Element der be- ständigen Widerkehr desselben Themas bei Herrn N. eine leise Reminiszen:: an die bekannte Stelle der Wahlverwandtschaften geweckt haben, die ja zumeist fälschlich mit dem Wortlaut „es zieht sich wie ein roter Faden" zitiert wird. Der „rote Faden" des Gleichnisses übte nun eine verändernde Wirkung auf den Ausdruck des ersten Satzes aus, infolge des zufälligen Umstandes, daß auch der Geschmähte rot, nämlich rothaarig ist. Es mag' nun gelautet haben : Also dieser rote Mensch ist es, der die langweiligen Feuilletons über Napoleon schreibt. Nun griff der Prozeß ein, der die Verdichtung beider Stücke zu einem bezweckte. Unter dem Drucke desselben der in der Gleichheit des Elements „rot" den ersten Stützpunkt ge- funden hatte, assimilierte sich das „langweilig" dem Faden" und verwandelte sich in „fad", und nun konnten die beiden Kom- ponenten verschmelzen zu dem Wortlaut des Witzes, an welchem diesmal das Zitat fast mehr Anteil hat als das gewiß ursprünglich allein vorhandene schmähende Urteil.

„Also dieser rote Mensch i^t es, der das f a d e Zeug über N. schreibt. Der rote Faden, dersichdurch

[alles hindurchzieht.

Ist das nicht der rote Fadian der sich durch die Ge-

[schichte der N. zieht?"

t zulösen, und woran auch die kleinsten Stücke kenntlich sind, daß sie der

Krone gehören. Eben so zieht sich durch Ottiliens Tagebuch ein Faden der Neigung und Anhänglichkeit, der alles verbindet und das Ganze be- zeichnet.« (20. Band der Sophien- Ausgabe, S. 212.)

y

i, '0 Wie wenig diese regelmäßig zu wiederholende Beobachtung mit

' der Behauptung stimmt, der Witz sei ein spielendes Urteil, brauche ich

{ nur anzudeuten.


Verdichtung mit Modifikation. 15

Eine Rechtfertigung, aber auch eine Korrektur dieser Dar- stellung werde ich in einem späteren Abschnitt geben, wenn ich diesen Witz von anderen als bloß formalen Gesichtspunkten her analysieren darf. Was immer aber an ihr zweifelhaft sein möge, die Tatsache, daß hier eine Verdichtung vorgefallen ist, kann nicht in Zweifel gezogen werden. Das Er_gebnis der Verdichtung ist einerseits wiederum eine erhebliche Verkürzung, anderseits an- statt einer auffälligen Mischwortbildung vielmehr eine Durch- dringung der Bestandteile beider Komponenten. „R o t e r F a d i a n" wäre immerhin als bloßes Schimpfwort existenzfähig; es ist in unserem Falle sicherlich ein Verdichtungsprodukt.

Wenn nun an dieser Stelle zuerst ein Leser unvviUig würde über eine Betrachtungsweise, die ihm das Vergnügen am Witz zu zerstören droht, ohne ihn über die Quelle dieses Vergnügens aufklären zu können, so würde ich ihn zunächst um Geduld bitten. Wir stehen erst bei der Technik des Witzes, deren Untersuchung ja auch Aufschlüsse verspricht, wenn wir sie erst weit genug aus- gedehnt haben.

Wir sind durch die Analyse des letzten Beispiels vorbereitet darauf, daß, wenn wir dem Verdichtungsvorgang noch in anderen Beispielen begegnen, der Ersatz des Unterdrückten nicht in einer Mischwortbildung, sondern auch in einer anderen Abänderung des Ausdrucks gegeben sein könne. Worin dieser andersartige Ersatz bestehen mag, wollen wir aus anderen Witzen des Herrn N. lernen.

„Ich bin tete-ä-bete mit ihm gefahren." Nichts leichter als diesen Witz zu reduzieren. Offenbar kann es dann nur heißen: Ich bin tete-ä-t6tc mit dem X. gefahren, und der X. ist ein dummes Vieh,

Keiner der beiden Sätze ist witzig. Oder in einen Satz zu- sammengezogen : Ich bin tete-ä-t^te mit dem dummen Vieh von X. gefahren, was ebensowenig witzig ist. Der Witz stellt sich erst her, wenn das „dumme Vieh" weggelassen wird und zum Ersatz dafür das eine t e t e sein, t in b verwandelt, mit welcher geringen Modifikation das erst unterdrückte „Vieh" doch wieder xura Ausdruck gelangt. Man kann die Technik dieser Gruppe von Witzen beschreiben als Verdichtung mit leichter Modifikatio n und ahnt, daß der Witz um so besser sein wird, je geringfügiger die Ersatzmodifikation ausfällt.

Ganz ähnlich, obwohl nicht unkompliziert, ist die Technik eines anderen Witzes. Herr N. sagt im Wechselgespräch über eine Person an der manches zu rühmen und vieles auszusetzen ist : Ja, die Eitelkeit ist eine seiner vier Achillesfersen.


i6


II. Die Technik des Witzes.


Die leichte Modifikation besteht hier darin, daß anstatt der einen Achillesferse, die man ja auch beim Helden zu- gestehen muß, deren vier behauptet werden. Vier Fersen, also vier Füße hat aber nur das Vieh. Somit haben die beiden im Witz verdichteten Gedanken gelautet:

„Y. ist bis auf seine Eitelkeit ein hervorragen- der Mensch; aber ich mag ihn doch nicht, er ist doch eher ein Vieh als ein Mensch."*)

Ähnlich, nur viel einfacher, ist ein anderer Witz, den ich in einem Familienkreise im statu nascendi zu hören bekam. Von zwei Brüdern, Gymnasiasten, ist der eine ein vortrefflicher, der andere ein recht mittelmäßiger Schüler. Nun passiert auch dem Musterknaben einmal ein Unfall in der Schule, den die Mutter zur Sprache bringt, um der Besorgnis Ausdruck zu geben, das Ereignis könne den Anfang einer dauernden Verschlechterung be- deuten. Der bisher durch seinen Bruder verdunkelte Knabe greift diesen Anlaß bereitwillig auf. Ja, sagt er, Karl geht auf allen Vieren zurück.

Die Modifikation besteht hier in einem kleinen Zusatz zur Versicherung, daß der andere auch nach seinem Urteil zurückgeht. Diese Modifikation vertritt und ersetzt aber ein leidenschaftliches Plaidoyer für die eigene Sache: Überhaupt müßt ihr nicht glauben, daß er darum soviel gescheiter ist als ich, weil er in der Schule besseren Erfolg hat. Er ist doch nur ein dummes Vieh, d. h. viel dümmer, als ich bin.

Ein schönes Beispiel von Verdichtung mit leichter Modifi- kation zeigt ein anderer sehr bekannter Witz des Herrn N. der von einer im öffentlichen Leben stehenden PersönHchkeit' be- hauptete, sie habe eine große Zukunft hinter sich. Es war ein jüngerer Mann, auf den dieser Witz zielte, der durch seine Abstammung, Erziehung und seine persönlichen Eigen- schaften berufen schien, dereinst die Führung einer großen Partei zu übernehmen und an ihrer Spitze zur Regierung zu gelangen. Aber die Zeiten änderten sich, die Partei wurde regierungsunfähig, und nun ließ sich vorhersehen, daß auch der zu ihrem Führer prädestinierte Mann es zu nichts bringen werde. Die kürzeste reduzierte Fassung, durch die man diesen Witz ersetzen könnte,

  • ) Eine der Komplikationen der TechnikMieses Beispiels liegt darin,

daß die Modifikation, durch welche sich die ausgelassene Schmähung ersetzt, als Anspielung auf diese letztere zu bezeichnen ist, da sie erst Über einen Schlußprozeß zu ihr hinführt. Über ein anderes Moment, welches hier die Technik kompliziert, s. u.


Verdichtung mit Modifikation. jy

würde lauten: Der Mann hat eine große Zukunft vor sich gehabt, mit der ist es aber jetzt ans. Anstatt des „gehabt" und des Nachsatzes die kleine Veränderung im Haupt- satze, daß das „vor" durch ein „hinter", sein Gegenteil, abgelöst wird.*)

Fast der nämlichen Modifikation bediente sich Herr N. im Falle eines Kavaliers, der Ackerbauminister geworden war ohne anderes Anrecht, als daß er selbst Landwirtschaft betrieb. Die öffentliche Meinung hatte Gelegenheit, ihn als den mindest be- gabten, der je mit diesem Amt betraut gewesen, zu erkennen Als er aber das Amt niedergelegt und sich auf seine landwirt- schafthchen Interessen zurückgezogen hatte, sagte Herr N. von ihm:

^ \^/^^' '"'^ Cincinnatus, auf seinen Platz vor dem Pflug zurückgekehrt.

Der Römer, den man auch von der Landwirtschaft weg zum Amt berufen hatte, nahm seinen Platz hinter dem Pflug wieder em. Vor dem Pflug ging damals wie heute nur - der Ochs.

Eine gelungene Verdichtung mit leiser Modifikation ist es auch, wenn em witziger Schriftsteller von einem sog. Revolver- Journalisten mitteilt, er sei mit dem Or i en terp r eß zug in emes der Balkanländer gefahren. Gewiß treffen in diesem Wort die beiden anderen „O rientexpr eß zug" und „E rpr e ss ung" zusammen. Infolge des Zusammenhanges macht sich das Element „Erpressung' nur als Modifikation des vom Verbum geforderten „Onentexpreßzuges" geltend. Dieser Witz hat für uns, indem er einen Druckfehler vorspiegelt, noch ein anderes Interesse.

Wir könnten die Reihe dieser Beispiele leicht um weitere verrnehren aber ich meine, wir bedürfen keiner neuen Fälle, um

tt M H^rf 7- ^^"'^^ '^ ^'^' ^-^"^" Gruppe, Vetdichtung

mit Modifikation sicher zu erfassen. Vergleichen wir nun die

M ^ Tu "", ^'^ '""■ ""^'^ '^^^^"^^ '" Verdichtung mit M.schwortbildung bestand, so sehen wir leicht ein, daß die Unter- schiede nicht wesentliche und die Übergänge fließend sind. Die Mischwortbildung wie die Modifikation unterordnea sich dem Be griff der Ersatzbildung, und wenn wir wollen, können wir die

«) An der Technik dieses Witzes wirkt noch ein anderes Moment mit, welches ich mir spater anzuführen aufspare. Es betrifft den inh. it liehen Charakter der Modihkation (Darstellung durch das Geeenteil W" dersimi). Die Witztechnik ist durch nichts behindert, sich mehrerer Mittel gleichzeitig zu bedienen, die wir aber nur der Reihe nach kennen lemTn können. "

Freud, Der Witz. -


iS


II. Die Technik des Witzes.


Mischwortbildung auch als Modifikation des Grundwortes durch das zweite Element beschreiben.


Wir dürfen aber hier einen ersten Halt machen und uns fragen, mit welchem aus der Literatur bekannten Moment sich unser erstes Ergebnis ganz oder teilweise deckt. Offenbar mit dem der Kürze, die Jean Paul die Seele des Witzes nennt (s. o. S. 5). Die Kürze ist nun nicht an sich witzig, sonst wäre jeder Lakonismus ein Witz. Die Kürze des Witzes muß von besonderer Art sein. Wir erinnern uns, daß Lipps versucht hat, die Besonderheit der Witzkürzung näher zu beschreiben (s. S. 5). Hier hat nun unsere Untersuchung eingesetzt und nachgewiesen, daß die Kürxe des Witzes oftmals das Ergebnis eines besonderen Vorganges ist, der im Wortlaut des Witzes eine zweite Spur, die Ersatzbildung, hinterlassen hat. Bei der An- wendung des Reduktionsverfahrens, welches den eigentümlichen Verdichtungsvorgang rückgängig zu machen beabsichtigt, finden wir aber auch, daß der Witz nur an dem wörtlichen Ausdruck hängt, welcher durch den Verdichtungsvorgang hergestellt wird. Natürlich wendet sich jetzt unser volles Interesse diesem sonder- baren und bisher fast nicht gewürdigten Vorgang zu. Wir können auch noch gar nicht verstehen, wie aus ihm all das Wertvolle des Witzes, der Lustgewinn, den der Witz uns bringt, entstehen kann.

Sind ähnliche Vorgänge, wie wir sie hier als Technik des Witzes beschrieben haben, auf irgend einem anderen Gebiete des seelischen Geschehens schon bekannt geworden? Allerdings, auf einem einzigen und scheinbar recht weit abliegenden. Im Jahre 1900 habe ich ein Buch veröffentlicht, welches, wie sein Titel („Die Traumdeutung") besagt, den Versuch macht, das Rätselhafte des Traumes aufzuklären und ihn als Abkömmling normaler seeli- scher Leistung hinzustellen. Ich finde dort Anlaß, den mani- festen, oft sonderbaren Trauminhalt in Gegensatz zu bringen zu den latenten, aber völlig korrekten Traum gedanken, von denen er abstammt, und gehe auf die Untersuchung der Vorgänge ein, welche aus den latenten Traumgedanken den Traum machen, sowie der psychischen Kräfte, die bei dieser Umwandlung beteiligt sind. Die Gesamtheit der umwandelnden Vorgänge nenne ich die Traumarbeit und als ein Stück dieser Traumarbeit habe ich einen Verdichtungsvorgang beschrieben, der mit dem der Witztechnik die größte Ähnlichkeit zeigt, wie dieser zur Ver- kürzung führt und Ersatzbildungen vom gleichen Charakter schafft.


Die Verdichtung in der Trauniarbeit aufzufinden. ig

Jedem werden aus eigener Erinnerung an seine Träume die Misch- gebilde von Personen und auch von Objekten bekannt sein, die in den Träumen auftreten; ja, der Traum bildet auch solche von Worten, die sich dann in der Analyse zerlegen lassen (z. B. Auto- didasker = Autodidakt + Lasker" („Die Traumdeutung", S. 206). Andere Male, und zwar noch viel häufiger, werden von der Ver- dichtungsarbeit des Traumes nicht Mischgebilde erzeugt, sondern Bilder, die völlig einem Objekt oder einer Person gleichen bis auf eine Zutat oder Abänderung, die aus anderer Quelle stammt also Modifikationen ganz wie die in den Witzen des Herrn n' Wir können nicht bezweifeln, daß wir hier wie dort den nämhchen psychischen Prozeß vor uns haben, den wir an den identischen Leistungen erkennen dürfen. Eine so weitgehende Analogie der Witztechmk mit der Traumarbeit wird gewiß unser Interesse für die erstere steigern und die Erwartung in uns rege machen, aus emem Vergleich von Witz und Traum manches zur Auf- klarung des Witzes zu ziehen. Aber wir enthalten uns, auf diese Arbeit emzugehen, indem wir uns sagen, daß wir die Technik erst bei einer sehr geringen Zahl von Witzen erforscht haben so daß wir nicht wissen können, ob die Analogie, deren Leitung wir uns überlassen wollen, auch vorhalten wird. Wir wenden uns also von dem Vergleich mit dem Traume ab und kehren zur Witztechnik zurück, lassen an dieser Stelle unserer Untersuchung gleichsam einen Faden heraushängen, den wir vielleicht später wieder aufnehmen werden.

Das nächste, was wir erfahren wollen, ist, ob der Vorgang der Verdichtung mit Ersatzbildung bei allen Witzen nachweisbar ist, so daß er als der allgemeine Charakter der Witztechnik bezeichnet werden kann.

Ich erinnere mich da an einen Witz, der mir infolge be- sonderer Umstände im Gedächtnis geblieben ist. Einer der großen Lehrer memer jungen Jahre, den wir für unbefähigt hielten, einen Witz zu schätzen, wie wir auch nie einen eigenen Witz von ihm gehört hatten, kam eines Tages lachend in das Institut und gab bereitwilliger als sonst Bescheid über den Anlaß seiner heiteren Stimmung. „Ich habe da einen vorzüglichen Witz gelesen In einem Pariser Salon wurde ein junger Mann eingeführt, der ein Verwandter des großen J. J. Rousseau sein sollte und auch diesen Namen trug. Er war überdies rothaarig. Er benahm sich aber so ungeschickt, daß die Dame des Hauses zu dem Herrn der ihn eingeführt, als Kritik äußerte: „Vous m'avez fait connaitre

2*


20


II Die Technik des Witzes.


un jeune honime roux et sot, mais non pas un Rousseau." Und er lachte von neuem.

Dies ist nach der Nomenklatur der Autoren ein Klangwitz, und zwar niedriger Sorte, einer, der mit dem Eigennamen spielt, etwa wie der Witz in der Kapuzinade aus Wallenstein's Lager, die bekanntlich der Manier des Abraham a Santa Clara nach- gebildet ist:

„Läßt sich nennen den Wallenstein, ja freilich ist er uns allen ein Stein des Anstoßes und Ärgernisses."*}

Welches ist aber die Technik dieses Witzes?

Da zeigt es sich, daß der Charakter, welchen wir vielleicht hoffen allgemein nachzuweisen, schon bei dem ersten neuen Fall versagt. Es liegt hier keine Auslassung, kaum eine Verkürzung vor. Die Dame sagt im Witze selbst fast alles aus, was wir ihren Gedanken unterlegen können. „Sie haben mich auf einen Ver- wandten von J. J. Rousseau gespannt gemacht, vielleicht einen Geistesverwandten, und siehe da, es ist ein rothaariger dummer Junge, ein roux et sot." Ich habe da allerdings einen Zusatz, eine Einschaltung machen können, aber dieser Reduktionsversuch hebt den Witz nicht auf. Er bleibt und haftet an dem Gleich-

Rousseau. ^ . . . , ^ ,. ,-

klang von — Damn ist nun erwiesen, daß die Ver-

roux sot

dichtung mit Ersatzbildung an dem Zustandekommen dieses Witzes keinen Anteil hat.

Was aber sonst? Neue Versuche zur Reduktion können mich belehren, daß der Witz so lange resistent bleibt, bis der Name Rousseau durch einen anderen ersetzt wird. Ich setze z. B. anstatt desselben Racine ein und sofort hat die Kritik der Dame, die ebenso möglich bleibt wie vorhin, jede Spur von Witz ein- gebüßt. Nun weiß ich. wo ich die Technik dieses Witzes zu suchen habe, kann aber noch über deren Formulierung schwanken; ich will folgende versuchen: Die Technik des Witzes liegt darin, daß em und dasselbe Wort — der Name — in zweifacher Verwendung vorkommt, einmal als Ganzes und dann in seine Silben zerteilt wie in einer Scharade.

Ich kann einige wenige Beispiele anführen, die in ihrer Technik mit diesem identisch sind.

(Nach T h. V i s c h e r und K. Fischer.) Als in Berlin einmal die Antigone aufgeführt wurde, fand die Kritik, daß die Auf-

  • ) Daß dieser Witz infolge eines anderen Moments doch einer

höheren Einschätzung würdig ist, kann erst an späterer Stelle gezeigt werden.


-™n-


Zerteilungswitze. 21

führung des antiken Charakters entbehrt habe. Der Berliner Witz machte sich diese Kritik in folgender Weise zu eigen; Antik? Oh, n e c.

In ärztlichen Kreisen ist ein analoger Zerteilungswitz heimisch. Wenn man einen seiner jugendlichen Patienten befragte, ob er sich je mit der iVIasturbation befaßt habe, würde man gewiß keine andere Antwort hören als: O na, nie.

In allen drei Beispielen, die für die Gattung genügen mögen, dieselbe Technik des Witzes. Ein Name wird in ihnen zweimal verwendet, das eine Mal ganz, das andere Mal in seine Silben zerteilt, in welcher Zerteilung seine Silben einen gewissen anderen Sinn ergeben.*)

Die mehrfache Verwendung desselben Wortes einmal als eines Ganzen und dann der Silben, in die es sich zerfallen läßt, war der erste Fall einer von der Verdichtung abweichenden Technik, der uns begegnet ist. Nach kurzer Besinnung müssen wir aber aus der Fülle der uns zuströmenden Beispiele erraten, daß die neu aufgefundene Technik kaum auf dieses eine Mittel beschränkt sein dürfte. Es gibt offenbar eine zunächst noch gar nicht über- sehbare Anzahl von Möglichkeiten, wie man dasselbe Wort oder dasselbe Material von Worten zur mehrfachen Verwendung in einem Satze ausnützen kann. Sollten uns alle diese Möglichkeiten als technische Mittel des Witzes entgegentreten? Es scheint so zu sein; die nachfolgenden Beispiele von Witzen werden es erweisen.

Man kann zunächst dasselbe Material von Worten nehmen und nur etwas an der Anordnung derselben ändern. Je geringer die

  • ) Die Güte dieser Witze beruht darauf, daß gleichzeitig ein anderes

Mittel der Technik von weit höherer Ordnung zur Anwendung gekommen ist {s. u.). — An dieser Stelle kann ich übrigens auch auf eine Be- ziehung des Witzes zum Rätsel aufmerksam machen. Der Philosoph Fr- Brentano hat eine Gattung von Rätseln gedichtet, in denen eine kleine Anzahl von Silben zu erraten ist, die, zu einem Worte vereinigt oder so oder anders zusammengefaßt, einen anderen Sinn ergeben, z. B. :

, . . ließ mich das Platanen blatt ahnen. oder: wie du deminder hast verschrieben, in der Hast verschrieben?

Die zu erratenden Silben werden im Zusammenhang des Satzes durch das entsprechend oft zu wiederholende Füllwort dal . . ersetzt. Ein Kollege des Philosophen übte eine geistreiche Rache, als er von der Verlobung des in reiferen Jahren stehenden Mannes hörte, indem er fragte: Daldaldal daldaldal? (Brentano brennt-a-no?)

Was macht den Unterschied zwischen diesen Daldal-Rätseln und den obenstehenden Witzen? Daß in ersteren die Technik als Bedingung ange- geben ist und der Wortlaut erraten werden soll, während in den Witzen der Wortlaut mitgeteilt und die Technik versteckt ist.


22


II. Die Technik des Witzes.


Abänderung ist, je eher man den Eindruck empfängt, verschiedener Sinn sei doch mit denselben Worten gesagt worden, desto besser ist in technischer Hinsicht der Witz.

D. Spitzer (Wiener Spaziergänge, IL Bd., S. 42): „Das Ehepaar X. lebt auf ziemlich großem Fuße. Nach der Ansicht der einen soll der Mann viel verdient imd sich dabei etwas zurückgelegt haben, nach anderen wieder soll sich die Frau etwas zurückgelegt und dabei viel verdient haben."

Ein geradezu diabolisch guter Witz! Und mit wie geringen Mitteln er hergestellt ist I Viel verdient — sich etwas zurückgelegt, sich etwas zurückgelegt — viel verdient; es ist eigentlich nichts als eine Umstellung dieser beiden Phrasen, wodurch sich das vom Manne Ausgesagte von dem über die Frau Angedeuteten unter- scheidet. Allerdings ist dies auch hier wiederum nicht die ganze Technik dieses Witzes.

Ein reicher Spielraum eröffnet sich der Witztechnik, wenn man die „mehrfache Verwendung des gleichen Mate- rials" dahin ausdehnt, daß das Wort — oder die Worte —, an denen der Witz haftet, das eine Mal unverändert, das andere Mal mit einer kleinen Modifikation gebraucht werden dürfe.

Z. B. ein anderer Witz des Herrn N.:

Er hört von einem Herrn, der selbst als Jude geboren ist, eine gehässige Äußerung über jüdisches Wesen. ,,Herr Hofrat," meint er, „Ihr An t e se mi t ismu s war mir bekannt, Ihr Anti- ser.iitismus ist mir neu."

Hier ist nur ein einziger Buchstabe verändert, dessen Modi- fikation bei sorgloser Aussprache kaum bemerkt wird. Das Bei- spiel erinnert an die anderen Modifikationswitze des Herrn N. (s. S. 15), aber zum Unterschiede von ihnen fehlt ihm die Ver- dichtung; es ist im Witze selbst alles gesagt, was gesagt werden soll. „Ich weiß, daß Sie früher selbst Jude waren; es wundert mich also, daß gerade Sic über Juden schimpfen."

Ein vortreffliches Beispiel eines solchen Modifikationswitzes ist auch der bekannte Ausruf: Traduttore — Traditore!

Die fast bis zur Identität gehende Ähnlichkeit der beiden Worte ergibt eine sehr eindrucksvolle Darstellung der Notwendig- keit, die den Übersetzer zum Frevler an seinem Autor werden läßt.

Die Mannigfaltigkeit der möglichen leisen Modifikationen ist bei

gleicht.


diesen Witzen so groß, daß keiner mehr ganz dem anderen


Mehrfache Venvendung dei-selben Worte. 23

Hier ein Witz, der sich bei einem rechtwissenschaftlichen Examen zugetragen haben soll! Der Kandidat soll eine Stelle des Corpus juris übersetzen. „Labeo ait" . . . Ich falle, sagt er . . . Sie fallen, sag' ich, erwidert der Prüfer und die Prüfung ist zu Ende. Wer den Namen des großen Rechtsgelehrten für eine, zudem falsch erinnerte, Vokabel verkennt, verdient freilich nichts besseres. Aber die Technik des Witzes liegt in der Ver- wendung fast der nämlichen Worte, welche die Unwissenheit des Geprüften bezeugen, zu seiner Bestrafung durch den Prüfer. Der Witz ist außerdem ein Beispiel von „Schlagfertigkeit", deren Technik, wie sich zeigen lassen wird, von der hier erläuterten nicht viel absteht.

Worte sind ein plastisches Material, mit dem sich allerlei anfangen läßt. Es gibt Worte, welche in gewissen Verwendungen die ursprüngliche volle Bedeutung eingebüßt haben, deren sie sich in anderem Zusammenhange noch erfreuen. In einem Witz von Lichtenberg sind gerade jene Verhältnisse herausgesucht, unter denen die abgeblaßten Worte ihre volle Bedeutung wieder bekommen müssen.

„Wie geht's?" fragt der Blinde den Lahmen. „Wie Sie sehen," antwortete der Lahme dem Blinden.

Es gibt im Deutschen auch Worte, die in anderem Sinne voll und leer genommen werden können, und zwar in mehr als nur einem. Es können nämlich zwei verschiedene ' Abkömmlinge desselben Stammes, das eine sich zu einem Worte mit voller Be- deutung, das andere sich zu einer abgeblaßten End- oder Anhänge- silbe entwickelt haben, und beide doch vollkommen gleich lauten. Der Gleichlaut zwischen einem vollen Wort und einer abgeblaßten Silbe mag auch ein zufälliger sein. In beiden Fällen kann die Witztechnik aus solchen Verhältnissen des Sprachmaterials Nutzen ziehen.

Schlciermacher wird z. B. ein Witz zugeschrieben, der uns als fast reines Beispiel solcher technischen Mittel wichtig ist: Eifersucht ist eine Leidenschaft, die mit Eifer sucht, was Leiden schafft.

Dies is' unstreitig witzig, wiewohl nicht gerade kräftig als Witz. Es fallen hier eine Menge von Momenten weg, die pns bei der Analyse anderer Witze irre machen können, so lange wir jeden von ihnen vereinzelt in Untersuchung ziehen. Der im Wort- laut ausgedrückte Gedanke ist wertlos; er gibt jedenfalls eine recht ungenügende Definition der Eifersucht. Von „Sinn im Unsinn", „verborgenem Sinn", „Verblüffung und Erleuchtung" ist


24


II, Die Technik des Witzes.


keine Rede. Einen Vorstcilungskontrast wird man mit der größten Anstrengung nicht herausfinden, einen Kontrast zwischen den Worten und dem, was sie bedeuten, nur mit großem Zwang. Von einer Verkürzung ist nichts zu finden; der Wortlaut macht im Gegenteil den Eindruck der Weitschweifigkeit. Und doch ist es ein Witz, selbst ein sehr vollkommener. Sein einzig auffälliger Charakter ist gleichzeitig derjenige, mit dessen Aufhebung der Witz verschwindet, nämlich daß hier dieselben Worte eine mehr- fache Verwendung erfahren. Man hat dann die Wahl, ob man diesen Witz jener Unterabteilung zurechnen will, in welcher Worte einmal ganz und das andere Mal zerteilt gebraucht werden {wie Rousseau, Antigen e), oder jener anderen, in der die volle und die abgeblaßte Bedeutung von Wortbestandteilen die Mannig- faltigkeit herstellen. Außer diesem ist nur noch ein anderes Moment für die Technik des Witzes beachtenswert. Es ist hier ein ungewohnter Zusammenhang hergestellt, eine Art Unifizie- rung vorgenommen worden, indem die Eifersucht durch ihren eigenen Namen, gleichsam durch sich selbst definiert ist. Auch dies ist, wie wir hier hören werden, eine Technik des Witzes. Diese beiden Momente müssen also für sich hinreichend sein, einer Rede den gesuchten Charakter des Witzes zu geben.

Wenn wir uns nun in die Mannigfaltigkeit der „mehrfachen Verwendung" desselben Wortes noch weiter einlassen, so merken wir mit einem Male, daß wir Formen von „Doppelsinn" oder „Wortspiel" vor uns haben, die als Technik des' Witzes länpt allgemein bekannt und gewürdigt sind. Wozu haben wir uns die Mühe gegeben, etwas neu zu entdecken, was wir aus der seichtesten Abhandlung über den Witz hätten entnehmen können ? Wir können zu unserer Rechtfertigung zunächst nur anführen, daß wir an den nämlichen Phänomen des sprachlichen Ausdrucks doch eine andere Seite hervorheben. Was bei den Autoren den „spielerischen" Charakter des Witzes erweisen soll, fällt bei uns unter den Gesichtspunkt der „mehrfachen Verwendung".

Die weiteren Fälle von mehrfacher Verwendung, die man auch als Doppelsinn zu einer neuen, dritten Gruppe ver- einigen kann, lassen sich leicht in Unterabteilungen bringen, die freilich nicht durch wesentliche Unterscheidungen von einander gesondert sind, ebensowenig wie die ganze dritte Gruppe von der zweiten. Da gibt es zunächst a) die Fälle von Doppelsinn eines Namens und seiner dinglichen Bedeutung, z. B. „Drück dich aus unserer Gesellschaft ab, Pistol" (bei Sha- kespeare).


Doppelsinn und Wortspiel. 2=;

„Mehr Hof als Freiung," sagte ein witziger Wiener mit Be- ziehung auf mehrere schöne Mädchenj die seit Jahren viel gefeiert wurden und noch immer keinen Mann gefunden hatten. „Hof" und „Freiung" sind zwei aneinander stoßende Plätze im Innern der Stadt Wien.

Heine: „Hier in Hamburg herrscht nicht der schändliche Macteclh, sondern hier herrscht Banko" (Banquo).

Wo der unveränderte Namen nicht brauchbar — man könnte sagen: nicht mißbrauchbar — ist, kann man mittels einer der uns bekannten kleinen Modifikationen den Doppelsinn aus ihm gewinnen :

„Weshalb haben die Franzosen den Lohengrin zurück- gewiesen?" fragte man in nun überwundenen Zeilen. Die Antwort lautete: „E 1 s a's (Elsaß) wegen."

6) Den Doppelsinn der sachlichen und metaphori- schen Bedeutung eines Wortes, der eine ergiebige Quelle für die Witztechnik ist. Ich zitiere nur ein Beispiel: Ein als Witzbold bekannter ärztlicher Kollege sagte einmal zum Dichter Arthur Schnitzl^er: „Ich wundere mich nicht, daß du ein großer Dichter geworden bist. Hat doch schon dein Vater seinen Zeitgenossen den Spiegel vorgehalten." Der Spiegel den der Vater des Dichters, der berühmte Arzt Dr. Schnitz 1er, gehandhabt, war der Kehlkopfspiegel; nach einem bekannten Ausspruch Haralet's ist es der Zweck des Schauspieles, also auch des Dichters, der es schafft, „der Natur gleichsam den Spiegel vor- zuhalten: der Tugend ihre eigenen Züge, der Schmach ihr eigenes Bild und dem Jahrhundert und Körper der Zeit den Abdruck seiner Gestalt zu zeigen" (III., 2. Szene).

c) Den eigentlichen Doppelsinn oder das Wortspiel, der sozusagen ideale Fall der mehrfachen Verwendung; dem Wort wird hier nicht Gewalt angetan, es wird nicht in seine Silben- bestandteile zerrissen, es braucht sich keiner Modifikation zu unter- ziehen, nicht die Sphäre, der es angehört, etwa als Eigenname, mit einer anderen zu vertauschen; ganz so wie es ist und im Gefüge des Satzes steht, darf es dank der Gunst gewisser Um- stände zweierlei Sinn aussagen.

Beispiele stehen hier reichlich zur Verfügung :

(Nach K. Fischer.) Eine der ersten Regentenhandlungen

des letzten Napoleon war bekanntlich die Wegnahme der Güter

der Orleans. Ein vortreffliches Wortspiel sagte damals „C'est le

Premier vol de l'aigle. „Vol" heißt Flug, aber auch Raub.


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II. Die Technik des Witzes,


Ludwig XV. wünschte den Witz eines seiner Hofherren, von dessen Talent man ihm erzählt hatte, auf die Probe zu stellen; bei der ersten Gelegenheit befiehlt er dem Kavalier, einen Witz zu machen über ihn selbst; er selbst, der König, wolle „Sujet" dieses Witzes sein. Der Hofmann antwortete mit dem geschickten Bonmot: „Le roi n'est pas sujet." „Sujet" heißt ja auch Untertan.

Der Arzt, der vom Krankenbett der Frau weggeht, sagt zu dem ihm begleitenden Ehemanne kopfschüttelnd: Die Frau ge- fällt mir nicht. Mir gefällt sie schon lange nicht, beeilt sich dieser zuzustimmen.

Der Arzt bezieht sich natürlich auf den Zustand der Frau, er hat aber seine Besorgnis um die Kranke in solchen Worten ausgedrückt, daß der Mann in ihnen die Bestätigung seiner ehe- lichen Abneigung finden kann.

Von einer satyrischen Komödie sagte Heine: „Diese Satyre wäre nicht so b i s s i g geworden, wenn der Dichter mehr zu b e i ß e n gehabt hätte." Dieser Witz ist eher ein Beispiel von metaphorischem und gemeinem Doppelsinn als ein richtiges Wortspiel, aber wem läge daran, hier an scharfen Grenzen festzuhalten?

Ein anderes gutes Wortspiel wird bei den Autoren (H e y- mans, Lipps) in einer Form erzählt, durch die ein Verständnis desselben verhindert wird.*J Die richtige Fassung und Ein-

  • ) „Wenn Saphir," so sagt Heymans, „einem reichen Gläubiger,

dem er einen Besuch abstattet, auf die Frage: Sie kommen wohl um die 300 Gulden, antwortet: Nein, Sie kommen um die 300 Gulden, so ist eben dasjenige, was er meint, in einer sprachlich vollkommen korrekten und auch keineswegs ungewöhnlichen Form ausgedrückt." In der Tat ist es so : Die Antwort Saphir's ist an sich betrachtet in schönster Ordnung. Wir verstehen auch, was er sagen will, nämlich, daß er seine Schuld nicht zu bezahlen beabsichtige. Aber Saphir ge- braucht dieselben Worte, die vorher von seinem Gläubiger gebraucht wur- den. Wir können also nicht umhin, sie auch in dem Sinne zu nehmen, in welchem sie von jenem gebraucht wurden. Und dann hat Saphir's Ant- wort gar keinen Sinn mehr. Der Gläubiger „kommt" ja überhaupt nicht. Er kann ja auch nicht um die 300 Gulden kommen, d.h.: er kann nicht kommen, um 300 Gulden zu bringen. Zudem hat er als Gläubiger nicht zu bringen, sondern zu fordern. Indem die Worte Saphir's in solcher Weise zugleich als Sinn und als Unsinn erkannt werden, entsteht die Komik" (Lipps, S. 97).

Nach der oben stehenden, zur Aufklärung vollständig wiedergegebe- nen Fassung ist die Technik dieses Witzes weit einfacher als Lipps meint. Saphir kommt nicht, um die 30a Gulden zu bringen, sondern um sie erst von dem Reichen zu holen. Somit entfallen die Erörterungen über „Sinn und Unsinn" in diesem Witz.


Doppelsinn. ay

kleidung fand ich unlängst in einer sonst wenig brauchbaren Sammlung von Witzen.*)

„Saphir kam einst mit Rothschild zusammen. Sie hatten kaum ein Weilchen miteinander geplaudert, als Saphir sagte: „Hören Sie, Rothschild, meine Kasse ist dünn geworden, Sie könnten mir loo Dukaten pumpen." „Je nun," erwiderte Rothschild, „darauf soll es mir nicht ankommen, aber nur unter der Bedingung, daß Sic einen Witz machen." „Darauf soll's mir ebenfalls nicht ankommen," versetzte Saphir. „Gut, so kommen Sie morgen auf mein Bureau." Saphir stellte sich pünktlich ein. „Ach," sagte Rothschild, als er den Ein- tretenden gewahrte, „Sie kommen um Ihre lOO Dukaten." „Nein," erwiderte dieser, „Sie kommen um Ihre loo Du- katen, da es mir bis zum jüngsten Tage nicht einfallen wird, sie wieder zu bezahlen."

„Was stellen diese Statuen vor?" fragt ein Fremder einen einheimischer. Berliner angesichts einer Front von Denkmälern auf einem öffentlichen Platz. „Je nu," antwortet dieser, „ent- weder das rechte oder das linke Bein."**)

Heine in der Harzreise: „Auch sind mir in diesem Augen- blicke nicht alle Studenten n amen im Gedächtnisse und unter den Professoren sind manche, die noch gar keinen Namen haben."

Wir üben uns vielleicht in der diagnostischen Differenzierung, wenn wir hier einen anderen allbekannten Professoremvitz an- schließen : „Der Unterschied zwischen ordentlichen und außerordentlichen Professoren besteht darin, daß die ordentlichen nichts außerordentliches und die außer- ordentliches nichts ordentliches leisten." Das ist gewiß ein Spiel mit den zwei Bedeutungen der Worte „ordentlich" und „außerordentlich", in und außer der Ordo {dem Stande) einerseits und tüchtig, beziehungsweise hervorragend, anderseits. Die Über- einstimmung dieses Witzes aber mit anderen uns bekannt ge- wordenen Beispielen malmt uns daran, daß hier die mehrfache Verwendung weit auffälliger ist als der Doppelsinn. Man hört ja in dem Satz nichts anderes als das immer wiederkehrende „ordentlich", bald als solches, bald negativ modifiziert (vgl. S. 22). Außerdem ist hier wiederum das Kunststück vollbracht, einen Begriff durch seinen Wortlaut zu definieren (vgl. Eifersucht

•) Das große Buch der Witze, gesammelt und herausgegeben von Willy Hermann. Berlin 1904.

    • ) Weiteres zur Analyse dieses Wortspiels, siehe unten.


?8


II. Die Technik des Witzes,


ist eine Leidenschaft usw.), genauer beschrieben, zwei korrelative Begriffe durch einander, wenn auch negativ, zu definieren, was eine kunstvolle Verschränkung ergibt. Endlich kann man den Gesichts- punkt dei Unifizierung auch hier hervorheben, die Herstellung eines innigeren Zusammenhanges zwischen den Elementen der Aussage, als man nach deren Natur zu erwarten ein Recht hätte. Heine in der Harzreise: „Der Pedell Seh. grüßte mich sehr kollegialisch, denn er ist ebenfalls Schriftsteller und hat meiner in seinen halbjährigen Schriften oft erwähnt; wie er mich denn auch außerdem oft zitiert hat, und wenn er mich nicht zu Hause fand, immer so gütig war, die Zitation mit Kreide auf meine Stubentür zu schreiben."

Der „Wiener Spaziergänger" D. Spitzer fand für einen sozialen Typus, der zur Zeit des Gründertums blühte, die lakonische, aber gewiß auch sehr witzige, biographische Charakteristik:

„Eiserne Stirne — eiserne Kasse — eiserne Krone." (Letzteres ein Orden, mit dessen Verleihung der Adelsstand ver- knüpft war.) Eine ganz ausgezeichnete Unifizierung, alles gleich- sam aus Eisen! Die verschiedenen, aber nicht sehr auffällig mit- einander kontrastierenden Bedeutungen des Beiwortes „eisern" er- möglichen diese „mehrfache Verwendung".

Ein anderes Wortspiel mag uns den Übergang zu einer neuen Unterart der Doppels inntechnik erleichtern. Der auf S. 25 er- wähnte witzige Kollege ließ sich zur Zeit des Dreyfushandels den Witz zu Schulden kommen :

„Dieses Mädchen erinnert mich an Dreyfus. Die Armee glaubt nicht an ihre Unschuld."

Das Wort „Unschuld", auf dessen Doppelsinn der Witz auf- gebaut ist, hat in dem einen Zusammenhang den gebräuchlichen Sinn mit dem Gegensatz ; Verschulden, Verbrechen, in dem anderen aber einen sexuellen Sinn, dessen Gegensatz sexuelle Erfahrung ist. Nun gibt es sehr viele derartiger Beispiele von Doppelsinn, und in ihnen allen kommt es für die Wirkung des Witzes ganz besonders auf den sexuellen Sinn an. Man könnte für diese Gruppe etwa die Bezeichnung „Zweideutigkeiten" reservieren.

Ein ausgezeichnetes Beispiel solch eines zweideutigen Witzes ist der auf Seite 22 mitgeteilte von D . Spitzer;

„Nach der Ansicht der einen soll der Mann viel verdient und sich dabei etwas zurückgelegt haben, nach anderen wieder soll sich die Frau etwas zurückgelegt und dabei viel verdient haben."


Zweideutigkeit. 2g

Vergleicht man aber dieses Beispiel von Doppelsinn mit Zweideutigkeit mit anderen, so fällt ein Unterschied in's Auge, der für die Technik nicht ganz belanglos ist. In dem Witz von der „Unschuld" liegt der eine Sinn des Wortes unserem Erfassen ebenso nahe wie der andere; man wüßte wirldich nicht zu unter- scheiden, ob die sexuelle oder die nicht sexuelle Bedeutung des Wortes die gebräuchlichere und uns vertrautere ist. Anders in dem Beispiel von D. Spitzer; in diesem ist der eine, banale, Sinn der Worte „sich etwas zurückgelegt", der bei weitem auf- dringlichere, verdeckt und versteckt gleichsam den sexuellen Sinn, der einem Arglosen etwa gar entgehen könnte. Setzen wir zum scharfen Gegensatz ein anderes Beispiel von Doppelsinn hin, in dem auf solches Verstecken der sexuellen Bedeutung verzichtet ist, z. B. H eine's Charakterschilderung einer gefälligen Dame: „Sie konnte nichts abschlagen außer ihr Wasser." Es klingt wie eine Zote, der Eindruck des Witzes kommt kaum zur Geltung.*) Nun kann die Eigentümlichkeit, daß die beiden Bedeutungen des Doppelsinnes uns nicht gleich nahe liegen, auch bei Witzen ohne sexuelle Beziehung vorkommen, sei es, daß der eine Sinn der an sich gebräuchhchere ist, sei es, daß er durch den Zusammen- hang mit den anderen Teilen des Satzes vorangestellt wird (z. B. c'est le Premier vol de l'aigle); alle diese Fälle schlage ich vor als Doppelsinn mit Anspielung zu bezeichnen.

Wir haben bis jetzt bereits eine so große Anzahl verschiedener Techniken des Witzes kennen gelernt, daß ich fürchten muß, wir könnten die Übersicht über dieselben verlieren. Versuchen *ir darum eine Zusammenstellung derselben:

I. Die Verdichtung:

n) mit Mischwortbildung,

b) mit Modifikation.

II. Die Verwendung des nämlichen Materials:

c) Ganzes und Teile,

d) Umordnung,

e) leichte Modifikation,

/) dieselben Worte voll und leer.


  • ) Vergl. liiezu K. Fischer (S. 85), der für solche doppelsinnige Witze,

in denen die beiden Bedeutungen nicht gleichmäßig im Vordergründe stehen sondern die eine hinter der anderen, den Namen „Zweideutigkeit" beansprucht, den ich oben anders verwendet habe. Solche Namengebung ist Sache des Übereinkommens, der Sprachgebrauch hat keine sichere Entscheidung getroffen.


30 n. Die Technik des Witzes.

III. Doppelsinn: ' ■ (

g) Name und Sachbedeutung, h) metaphorische und sachHche Bedeutung, i) eigeml. Doppelsinn (Wortspiel), li) Zweideutigkeit, l) Doppelsinn mit Anspielung.

Diese Mannigfaltigkeit wirkt verwirrend. Sie könnte uns miß- mutig werden lassen, daß wir uns gerade der Beschäftigung mit den technischen Mitteln des Witzes zugewendet haben, und könnte uns argwöhnen lassen, daß wir deren Bedeutung für eine Erkenntnis des Wesentlichen am Witze doch überschätzen. Stände dieser er- leichternden Vermutung nicht die eine unabweisbare Tatsache im Wege, daß der Witz jedesmal aufgehoben ist, sobald wir die Leistung dieser Techniken im Ausdruck wegräumen! Wir werden also doch darauf hingewiesen, die Einheit in dieser Mannigfaltigkeit zu suchen. Es müßte möglich sein, alle diese Techniken unter emen Hut zu bringen. Die zweite und dritte Gruppe zu vereinigen ist nicht schwierig, wie wir uns schon gesagt haben. Der Doppel- smn, das Wortspiel ist ja nur der ideale Fall von Verwendung des nämlichen Materials. Letzterer ist dabei offenbar der um- fassendere Begriff. Die Beispiele von Zerteilung, Umordnung des gleichen Materials, mehrfacher Verwendung mit leichter Modi fikation {c, d, e) würden sich dem Begriff des Doppelsinnes nicht ohne Zwang unterordnen. Aber welche Gemeinsamkeit gibt es zwischen der Technik der ersten Gruppe - Verdichtung mit Ersatz- bildung ~ und jener der beiden anderen, mehrfache Verwendung des nämlichen Materials?

Nun, eine sehr einfache und deuthche, sollt* ich meinen Die Verwendung des nämlichen Materials ist ja nur ein Spezialfall der Verdichtung; das Wortspiel ist nichts anderes als eine Ver- dichtung ohne Ersatzbildung; die Verdichtung bleibt die über- geordnete Kategorie. Eine zusammendrängende oder richtiger ersparende Tendenz beherrscht alle diese Techniken. Es scheint alles Sache der Ökonomie zu sein, wie Prinz Hamlet safft {Thrift, Horatio, Thrift!).

Machen wir die Probe auf diese Ersparnis an den einzelnen Beispielen. „C'est le premier vol de l'aigle." Das ist der erste Flug des Adlers. Ja, aber es ist ein Raubausflug. Vol bedeutet zum Glück für die Existenz dieses Witzes sowohl „Flug" als auch „Raub". Ist dabei nichts verdichtet und erspart worden ? Gewiß der ganze zweite Gedanke, und zwar ist er ohne Ersatz fallen gelassen


Die Tendenz zur Ersparung.


31


worden. Der Doppelsimi des Wortes v o 1 macht solchen Ersatz überflüssig, oder eben so richtig : Das Wort v o 1 enthält den Ersatz für den unterdrückten Gedanken, ohne daß der erste Satz darum einen Zusatz oder eine Abänderung brauchte. Das eben ist die Wohltat des Doppelsinnes.

Ein anderes Beispiel : Eiserne Stirne — eiserne Kasse — eiserne Krone. Welch außerordentliche Ersparnis gegen eine Ausführung des Gedankens, in welcher der Ausdruck das „e i s e r n" nicht gefunden hätte! „Mit der nötigen Frechheit und Gewissenlosigkeit ist es nicht schwer, ein großes Vermögen zu erwerben, und zur Be- lohnung für solche Verdienste bleibt natürlich der Adel nicht aus."

Ja, in diesen Beispielen ist die Verdichtung, also die Ersparnis, unverkennbar. Sie soll aber in allen nachweisbar sein. Wo steckt nun die Ersparnis in solchen Witzen wie Rousseau — roux et.sot, Antigene — antik?o — nee, in denen wir zuerst die Verdichtung vermißt haben, die uns vor allem bewogen haben, die Technik der mehrfachen Verwendung des nämlichen Materials aufzustellen? Hier würden wir allerdings mit der Verdichtung nicht durch- kommen, aber wenn wir diese mit dem ihr übergeordneten Begriff der „Ersparnis" vertauschen, geht es ohne Schwierigkeit. Was wie in den Beispielen Rousseau, Antigone usw. ersparen, ist leicht zu sagen. Wir ersparen es, eine Kritik zu äußern, ein Urteil zu bilden; beides ist im Namen selbst schon gegeben. Im Bei- spiel der Leidenschaft ~ Eifersucht ersparen wir es uns, eine Definition mühsam zusammenzustellen: Eifersucht, Leidenschaft und — Eifer sucht, Leiden schafft; die Füllworte dazu und die Definition ist fertig. Ähnliches gilt für alle anderen bisher analy- sierten Beispiele. Wo am wenigsten erspart wird, wie in dem Wortspiel von Saphir: „Sie kommen um Ihre 100 Dukaten," da wird wenigstens erspart, den Wortlaut der Antwort neu zu bilden; der Wortlaut der Anrede genügt auch zur Antwort. Es ist wenig, aber nur in diesem Wenigen liegt der Witz. Die mehrfache Ver- wendung der nämlichen Worte zur Anrede wie zur Antwort gehört gewiß zum „Sparen". Ganz, wie Hamlet die rasche Aufeinander- folge des Todes seines Vaters und der Hochzeit seiner Mutter aufgefaßt sehen will:

„Das Gebackne Vom Leichenschmaus gab kalte Hochzeitsschüsseln."

Ehe wir aber die „Tendenz zur Ersparnis" als den allgemein- sten Charakter der Witztechnik annehmen und die Fragen stellen, woher sie stammt, was sie bedeutet und wieso der Lustgewinn des Witzes aus ihr entspringt, wollen wir einem Zweifel Raum


33


II. Die Technik des Witzes.


gönnen, der ein Recht hat, angehört zu werden. Mag es sein, daß jede Witztechnik die Tendenz zeigt, mit dem Ausdruck zu sparen, aber die Beziehung ist nicht umkehrbar. Nicht jede Er- sparung am Ausdruck, jede Kürzung, ist darum auch witzig. Wir standen schon einmal an dieser Stelle, damals als wir noch bei jedem Witz den Verdichtungsvorgang nachzuweisen hofften, und damals machten wir uns den berechtigten Einwand, ein Lakonismus sei nocli kein Witz. Es müßte also eine besondere Art von Verkürzung und von Ersparnis sein, an welcher der Charakter des Witzes hinge, und solange wir diese Besonderheit nicht kennen, bringt uns die Auffindung des Gemeinsamen in der Witztechnik der Lösung unserer Aufgabe nicht näher. Außerdem finden wir den Mut zu bekennen, daß die Ersparungen, welche die Witztechnik macht, uns nicht zu imponieren vermögen. Sie er- innern vielleicht an die Art, wie manche Hausfrauen sparen, wenn sie, um einen entlegenen Markt aufzusuchen, Zeit und Geld für die Fahrt aufwenden, weil dort das Gemüse um einige Heller wohl- feiler zu haben ist. Was erspart sich der Witz durch seine Technik ? Einige neue Worte zusammenzufügen, die sich meist mühelos er- geben hätten; anstatt dessen muß er sich die Mühe geben, das eine Wort aufzusuchen, welches ihm beide Gedanken deckt; ja er muß oft erst den Ausdruck des einen Gedankens in eine nicht gebräuchliche Form umwandeln, bis diese ihm den Anhalt zur Zusammenfassung mit dem zweiten Gedanken ergeben kann. Wäre es nicht einfacher, leichter und eigentlich sparsamer gewesen, die beiden Gedanken so auszudrücken wie es sich eben trifft auch wenn dabei keine Gemeinsamkeit des Ausdruckes zu stände kommt ? Wird die Ersparnis an geäußerten Worten nicht durch den Auf- wand an intellektueller Leistung mehr als aufgehoben? Und wer macht dabei die Ersparung, wem kommt sie zu gute ?

Wir können diesen Zweifeln vorläufig entgehen, wenn wir den Zweifel selbst an eine andere Stelle versetzen. Kennen wir wirk- lich bereits alle Arten der Witztechnik? Es ist sicherlich vor- sichtiger, neue Beispiele zu sammeln und der Analyse zu unter- ziehen.


Wir haben in der Tat einer großen, vielleicht der zahlreichsten Gruppe von Witzen noch nicht gedacht und uns dabei vielleicht durch die Geringschätzung beeinflussen lassen, welche diesen Witzen zu teil geworden ist. Es sind die, welche gemeinhin Kalauer (Calembourgs) genannt werden und für die niedrigste Abart des Wortwitzes gelten, wahrscheinHch weil sie am „billig-


3VV


Kalauer.


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sten" sind, mit leichtester Mühe gemacht werden Icönnen. Und wirklich stellen sie den mindesten Anspruch an die Technilc des Ausdrucks wie das eigentliche Wortspiel den höchsten. Wenn bei letzterem die beiden Bedeutungen in dem identischen und darum meist nur einmal gesetzten Wort ihren Ausdruck finden sollen, so genügt beim Kalauer, daß die zwei Worte für die beiden Bedeutungen durch irgend eine, aber unübersehbare Ähnlichkeit aneinander erinnern, sei es durch eine allgemeine Ähnlichkeit ihrer Struktur, einen reimartigen Gleichklang, die Gemeinsamkeit einiger anlautender Buchstaben u. dgl. Eine Häufung solcher, nicht ganz treffend, ,jKlangwitze" benannter Beispiele findet sich in der Predigt des Kapuziners in Wallenstcin's Lager:

„Kümmert sich mehr um den Krug als den Krieg, Wetzt lieber den Schnabel als den Säbel,

Frißt den Ochsen lieber als den Oxenstirn',

Der Rheinstrom ist geworden zu einem Pein ström.

Die Klöster sind ausgenomraene Nester,

Die Bistümer sind verwandelt in W ü s 1 1 ü m e r,

Und alle die gesegneten deutschen Länder Sind verwandelt worden in Elender.

Besonders gern modifiziert der Witz einen der Vokale des Wortes: z. B. Von einem kaiserfeindlichen italienischen Dichter, der dann doch genötigt war, einen deutschen Kaiser in Hexametern zu besingen, sagt H e v e s i (Almanaccando, Reisen in Italien, S. 87): i)a er die Caesar en nicht auszurotten vermag, merzt er wenigstens die Caesuren aus.

Bei der Fülle von Kalauern, die uns zur Verfügung stünden, hat es vielleicht noch ein besonderes Interesse, ein wirklich schlechtes Beispiel hervorzuheben, das Heine zur Last fällt. Nachdem er sich (Buch Le Grand, Kapit. V) durch lange Zeit vor seiner Dame als „indischer Prinz" gebärdet, wirft er dann die Maske ab und gesteht: „Madame! Ich habe Sie belogen .... Ich war ebensowenig jemals in Kalkutta, wie der Kalkuten- braten, den ich gestern Mittag gegessen." Offenbar liegt der Fehler dieses Witzes darin, daß die beiden ähnlichen Worte nicht mehr bloß ähnlich, sondern eigentlich identisch sind. Der Vogel, dessen Braten er gegessen, heißt so, weil er aus dem nämlichen Kalkutta stammt oder stammen soll.

K. Fischer hat diesen Formen des Witzes große Aufmerk- samkeit geschenkt und will sie von den „Wortspielen" scharf ge-

Freiid, Der Wlt:;. 3


34


IL Die Technik des Witzes.


trennt wissen (S. 78). „Das Calembour ist das schlechte Wort- spiel, denn es spielt mit dem Wort nicht als Wort, sondern als Klang." Das Wortspiel aber „geht von dem Klange des Wortes in das Wort selbst ein." Anderseits zählt er auch Witze wie „famillionär", Antigene (antik? o nee) usw. zu den Klangwitzen, Ich sehe keine Nötigung, ihm hierin zu folgen. Auch im Wortspiel ist das Wort für uns nur ein Klangbild, mit dem sich dieser oder jener Sinn verbindet. Der Sprachgebrauch macht aber auch hier wieder keine scharfen Unterschiede, und wenn er den „Kalauer" mit Mißachtung, das „Wortspiel" mit einem gewissen Respekt behandelt, so scheinen diese Wertungen durch andere als tech- nische Gesichtspunkte bedingt zu sein. Man achte einmal darauf, welcher Art die Witze sind, die man als „Kalauer" zu hören be- kommt. Es gibt Personen, welche die Gabe besitzen, wenn sie in aufgeräumter Stimmung sind, durch längere Zeit jede an sie gerichtete Rede mit einem Kalauer zu beantworten. Einer meiner Freunde, sonst das Muster der Bescheidenheit, wenn seine ernst- haften Leistungen in der Wissenschaft in Rede stehen, pflegt dergleichen auch von sich zu rühmen. Als die Gesellschaft, die er einst so in Atem erhielt, der Verwunderung über seine Ausdauer Ausdruck gab, sagte, er: „Ja, ich liege hier auf der Ka- Lauer," und als man ihn bat endlich aufzuhören, stellte er die Bedingung, daß man ihm zum Poeta Ka-laureatus ernenne. Beides sind aber vortreffliche Verdichtungswitze mit Mischwortbildung. (Ich liege hier auf der Lauer, um Kalauer zu machen.)

Jedenfalls aber entnehmen wir schon aus den Strehigkeiten über die Abgrenzung von Kalauer und Wortspiel, daß ersterer uns nicht zur Kenntnis einer völlig neuen Witztechnik verhelfen kann. Wenn beim Kalauer auch der Anspruch auf die mehr- sinnige Verwendung des nämlichen Materials aufgegeben ist, so fällt doch der Akzent auf das Wiederfinden des Bekannten, auf die Übereinstimmung der beiden dem Kalauer dienenden Worte, und somit ist dieser nur eine Unterart der Gruppe, die im eigent- lichen Wortspiel ihren Gipfel erreicht.


Es gibt aber wirklich Witze, deren Technik fast jegliche Anknüpfung an die der bisher betrachteten Gruppen vermissen läßt.

„Man erzählt von Heine, daß er sich eines Abends in einem Pariser Salon mit dem Dichter S o u 1 i 6 befunden und unter- halten habe, unterdessen tritt einer jener Pariser Geldkönige in den Saal, die man nicht bloß um des Geldes willen mit Midas vergleicht, und sieht sich bald von einer Menge umringt, die ihn


Die Verschiebung.


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mit größter Ehrerbietung -behandelt. „Sehen Sie doch," sagt Soulie zu Heine, „wie dort das neunzehnte Jahrhundert das goldene Kalb anbetet." Mit einem Bhck auf den Gegenstand der Verehrung antwortet Heine, gleichsam berichtigend: „O, der muß schon älter sein" (K. Fischer, S. 82).

Worin ist nun die Technik dieses ausgezeichneten Witzes gelegen? In einem Wortspiel, meint K. Fischer: „So kann z. B. das Wort „goldenes Kalb" den Mammon und auch den Götzendienst bedeuten, im ersten Falle ist das Gold, im zweiten das Tierbild die Hauptsache; es kann auch dazu dienen, um nicht eben schmeichelhaft jemand zu bezeichnen, der sehr viel Geld und sehr wenig Verstand hat" (S. 82). Wenn wir die Probe machen und den Ausdruck „goldenes Kalb" wegschaffen, heben wir allerdings auch den Witz auf. Wir lassen dann Soulie sagen: „Sehen Sie doch, wie die Leute den dummen Kerl umschwärmen, bloß weil er reich ist," und das ist freiUch gar ;nicht mehr witzig. H e i n e's Antwort wird dann auch immöglich.

Aber wir wollen uns besinnen, daß es ja sich gar nicht um den etwa witzigen Vergleich S o u 1 i e's, sondern um die Antwort H e i n e's handelt, die gewiß weit witziger ist. Dann haben wir kein Recht an die Phrase vom goldenen Kalb zu rühren, dieselbe bleibt als Voraussetzung für die Worte H e i n e's bestehen und die Reduktion darf nur diese letzteren betreffen. Wenn wir diese Worte : „O, der muß schon älter sein," ausführen, können wir sie nur etwa so ersetzen: „O, das ist kein Kalb mehr, das ist schon ein ausgewachsener Ochs." Für den Witz Hein e's er- übrigte also, daß er das „goldene Kalb" nicht mehr metaphorisch, sondern persönlich genommen, auf den Geldmenschen selbst be- zogen hätte. Wenn dieser Doppelsinn nicht etwa schon in der Meinung Souli^'s enthalten war!

Wie aber? Nun glauben wir zu bemerken, daß diese Reduk- tion den Witz H eine's nicht völlig vernichtet, vielmehr dessen Wesentliches unangetastet gelassen habe. Es lautet jetzt so, daß Soulie sagt: „Sehen Sie doch, wie dort das neunzehnte Jahr- hundert das goldene Kalb anbetet !" und Heine zur Antwort gibt: „O, das ist kein Kalb mehr, das ist schon ein Ochs." Und in dieser reduzierten Fassung ist es noch immer ein Witz. Eine andere Reduktion der Worte H eine's ist aber nicht möglich.

Schade daß dieses schöne Beispiel so komphzierte technische Bedingungen enthält. Wir können an ihm zu keiner Klärung kommen, verlassen es darum und suchen uns ein anderes, in dem

3*


36 II- Die Technik des Witzes.

wir eine innere Verwandtschaft mit dem vorigen zu verspüren glauben.

Es sei einer der „Badewitze", welche die Badescheu der Juden in Galizien behandeln. Wir verlangen nämlich keinen Adelsbrief von unseren Beispielen, wir fragen nicht nach ihrer Herkunft, sondern nur nach ihrer Tüchtigkeit, ob sie uns zum Lachen zu bringen vermögen und ob sie unseres theoretischen Interesses würdig sind. Beiden diesen Anforderungen entsprechen aber gerade die Judenwitze am besten.

„Zwei Juden treffen in der Nähe des Badehauses zusammen. „Hast du genommen ein Bad?" fragt der eine. „Wieso?" fragt der andere dagegen, „fehlt ein's?"

Wenn man über einen Witz recht herzUch lacht, ist man nicht gerade in der geeignetsten Disposition, um seiner Technik nachzuforschen. Darum bereitet es einige Schwierigkeiten, sich in diese Analysen hineinzufinden. „Das ist ein komisches Miß- verständnis," drängt sich uns auf. — Gut, aber die Technik dieses Witzes ? — „Offenbar der doppelsinnige Gebrauch des Wortes nehmen. Für den einen ist „nehmen" das farblos gewordene Hilfswort; für den anderen das Verbum mit unabgeschwachter Bedeutung. Also ein Fall von jjVoU" und „leer" nehmen desselben Wortes (Gruppe II, f.). Ersetzen wir den Ausdruck „ein Bad genommen" durch den gleichwertigen einfacheren „gebadet", so fällt der Witz weg. Die Antwort paßt nicht mehr. Der Witz haftet also wiederum am Ausdruck „genommen ein Bad".

Ganz richtig, doch scheint es, daß auch in diesem Falle die Reduktion an unrichtiger Stelle angesetzt hat. Der Witz hegt nicht in der Frage, sondern in der Antwort, in der Gegenfrage : „Wieso ? Fehlt ein's ?" Und diese Antwort ist ihres Witzes durch keine Erweiterung oder Veränderung, die nur ihren Sinn ungestört läßt, zu berauben. Auch haben wir den Eindruck, daß in der Antwort des zweiten Juden das Übersehen des Bades bedeutsamer ist als das Mißverständnis des Wortes „nehmen". Aber wir sehen auch hier noch nicht klar und wollen ein drittes Beispiel suchen.

Wiederum ein Judenwitz, an dem aber nur das Beiwerk jüdisch ist, der Kern ist allgemein menschlich. Gewiß hat auch dieses Beispiel seine unerwünschten Komplikationen, aber zum Glück nicht diejenigen, welche uns bisher klar zu sehen ver- hindert haben.

„Ein Verarmter hat sich von einem wohlhabenden Bekannten unter vielen Beteuerungen seiner Notlage 25 fl. geborgt. Am selben Tage noch trifft ihn der Gönner im Restaurant vor einer


Die Verschiebung. ^y

Schüssel Lachs mit Mayonnaise. Er macht ihm Vorwürfe; „Wie, Sie leihen sich Geld von mir aus und dann bestellen Sie sich Lachs mit Mayonnaise. Dazu haben Sie mein Geld gebraucht?" „Ich verstehe Sie nicht," antwortet der Beschuldigte, „wenn ich kein Geld habe, kann ich nicht essen Lachs mit Mayonnaise, wenn ich Geld habe, darf ich nicht essen Lachs mit Mayonnaise. Also wann soll ich eigentlich essen Lachs mit Mayonnaise?"

Hier ist endlich nichts mehr von Doppelsinn zu entdecken. Auch die Wiederholung von „Lachs mit Mayonnaise" kann nicht die Technik des Witzes enthalten, denn sie ist nicht „mehrfache Verwendung" desselben Materials, sondern durch den Inhalt ge- forderte wirkliche Wiederholung des Identischen. Wir dürfen vor dieser Analyse eine Weile ratlos bleiben, werden vielleicht zur Ausflucht greifen wollen, der Anekdote, die uns lachen machte, den Charakter des Witzes zu bestreiten.

Was läßt sich sonst Bemerkenswertes über die Antwort des Verarmten sagen? Daß ihr in eigentlich auffälliger Weise der Charakter des Logischen verliehen ist. Mit Unrecht aber, die Antwort ist ja unlogisch. Der Mann verteidigt sich dagegen, daß er das ihm. geliehene Geld für den Leckerbissen verwendet hat, und fragt mit einem Schein von Recht — wann er denn eigent- lich Lachs essen darf. Aber das ist gar nicht die richtige Ant- wort; der Geldgeber wirft ihm nicht vor, daß er sich den Lachs gerade an dem Tage gegönnt, an dem er sich das Geld geborgt, sondern mahnt ihn daran, daß er in seinen Verhältnissen über- haupt nicht das Recht habe, an solche Leckerbissen zu denken. Diesen einzig möglichen Sinn des Vorwurfes läßt der verarmte Bonvivant unberücksichtigt, antwortet, als ob er den Vorwurf miß- verstanden hätte, auf etwas anderes.

Wenn nun gerade in dieser Ablenkung der Antwort von dem Sinn des Vorwurfes die Technik dieses Witzes gelegen wäre ? Eine ähnliche Veränderung des Standpunktes, Verschiebung des psychischen Akzents wäre dann vielleicht auch in den beiden früheren Beispielen, die wir als verwandt empfunden haben, nach- zuweisen.

Siehe da, dieser Nachweis gelingt ganz leicht und deckt in der Tat die Technik dieser Beispiele auf. Souli^ macht Heine darauf aufmerksam, daß die Gesellschaft im neunzehnten Jahr- hundert das „goldene Kalb" anbetet, gerade so wie einst das Volk der Juden in der Wüste. Dazu paßte eine Antwort von Heine etwa wie: „Ja, so ist die menschliche Natur, die Jahrtausende


3S


II. Die Technik des Witzes.


haben an ihr nichts geändert," oder irgend etwas anderes Bei- pflichtendes. Heine lenkt aber in seiner Antwort von dem angeregten Gedanken ab, er antwortet überhaupt nicht darauf, er bedient sich des Doppelsinnes, dessen die Phrase „goldenes Kalb" fähig ist, um einen Seitenweg einzuschlagen, greift den einen Bestandteil der Phrase, das „Kalb", auf und antwortet, als ob auf dieses der Akzent in der Rede S o u 1 i ^"s gefallen wäre: „O, das ist kein Kalb mehr usw.*)

Noch deutlicher ist die Ablenkung im Badewitz. Dieses Beispiel fordert eine graphische Darstellung heraus.

Der Erste fragt: „Hast du genommen ein Bäd?" Der Akzent ruht auf dem Element Bad.

Der Zweite antwortet, als hätte die Frage gelautet; „Hast du genommen ein Bad?"

Der Wortlaut „genommen ein Bad ?" soll nur diese Ver- schiebung des Akzents ermöglichen. Lautete es: „Hast du ge- badet?" so wäre ja jede Verschiebung unmöglich. Die unwitzige Antwort wäre dann: „Gebadet? Was meinst du? Ich weiß nicht, was das ist." Die Technik des Witzes aber hegt in der Ver- schiebimg des Akzents von „Baden" auf „nehmen".**)

Kehren wir zum Beispiel „Lachs mit Mayonnaise" als dem reinsten zurück. Das Neue an demselben darf uns nach ver- schiedenen Richtungen beschäftigen. Zunächst müssen wir die hier aufgedeckte Technik mit einem Namen belegen. Ich schlage vor, sie als Verschiebung zu bezeichnen, weil das Wesentliche an ihr die Ablenkung des Gedankenganges, die Verschiebung des psychischen Akzents auf ein anderes als das angefangene Thema ist. Sodann obliegt uns die Untersuchung, in welchem Verhältnis die Verschiebungstechnik zum Ausdruck des Witzes steht. Unser Beispiel (Lachs mit Mayonnaise) läßt uns erkennen, daß der Ver- schiebungswitz im hohen Grade unabhängig vom wörtlichen Aus- druck ist. Er hängt nicht am Worte, sondern am Gedankengange. Um ihn wegzuschaffen, fruchtet uns keine Ersetzung der Worte

  • ) Die Antwort H e i n e's ist eine Kombination von zwei Witztechniken,

einer Ablenkung mit einer Anspielung. Er sagt ja nicht direkt: Das ist ein

Ochs.

•*) Das Wort „nehmen" eignet sich infolge seiner vielseitigen Gebrauchs- fähigkeit sehr gut für die Herstellung von Wortspielen von denen ich ein reines Beispiel zum Gegensatz gegen den obenstehenden Verschiebungs- witz mitteilen wül: „Ein bekannter Börsenspekulant und Bankdirektor geht mit einem Freunde über die Ringstraße spazieren. Vor einem Kaffee- haus macht er diesem den Vorschlag: „Gehen wir hinein und nehmen wir etwas." Der Freund hält ihn zurück: „Aber Herr Hofrat, es sind doch Leute darin."


Die Verschiebung. 3g

bei Festhaltung des Sinnes der Antwort. Die Reduktion ist nur möglich, wenn wir den Gedankengang abändern und den Fein- schmecker auf den Vorwurf direkt antworten lassen, welchem er in der Fassung des Witzes ausgewichen ist. Die reduzierte Fassung würde dann lauten : „Was mir schmeckt, kann ich mir nicht ver- sagen, und woher ich das Geld dafür nehme, ist mir gleichgültig. Da haben Sie die Erklärung, warum ich gerade heute Lachs mit Mayonnaise esse, nachdem Sie mir Geld geliehen haben." — Das wäre aber kein Witz, sondern ein Zynismus.

Es ist lehrreich, diesen Witz mit einem ihm dem Sinne nach sehr nahestehenden zu vergleichen ;

„Ein Mann, der dem Trunk ergeben ist, ernährt sich in einer kleinen Stadt durch Lektionen geben. Sein Laster wird aber all- mählich bekannt und er verliert infolgedessen die meisten seiner Schüler. Ein Freund wird beauftragt, ihn zur Besserung zu mahnen. ,, Sehen Sie, Sie könnten die schönsten Lektionen in der Stadt haben, wenn Sie das Trinken aufgeben wollten. Also tun Sie's doch." — „Wie kommen Sie mir vor?" ist die entrüstete Antwort. „Ich geb' Lektionen, damit ich trinken kann; soll ich das Trinken aufgeben, damit ich Lektionen bekomme!"

Auch dieser Witz tragt den Anschein von Logik, der uns bei „Lachs mit Mayonnaise" aufgefallen ist, aber er ist kein Ver- schiebungswitz mehr. Die Antwort ist eine direkte. Der Zynismus, der dort verhüllt ist, wird hier offen eingestanden — „Das Trinken ist mir ja die Hauptsache," Die Technik dieses Witzes ist eigent- lich recht armselig und kann uns dessen Wirkung nicht erklären, sie liegt nur in der Umordnung des gleichen Materials, strenger genonrnien in der Umkehrung der Mittel- und Zweck-Relation zwischen dem Trinken und dem Lektionengeben oder -bekommen. Sowie ich in der Reduktion dieses Moment im Ausdruck nicht mehr betone, habe ich den Witz verwischt, also etwa so: „Was ist das für unsinnige Zumutung? Mir ist doch das Trinken die Hauptsache, nicht die Lektionen. Die Lektionen sind für mich doch nur ein Mittel, um weiter trinken zu können." Der Witz haftete also wirklich am Ausdruck.

Im Badewitz ist die Abhängigkeit des Witzes vom Wortlaut (Hast du genommen ein Bad?) unverkennbar, und die Abänderung desselben bringt die Aufhebung des Witzes mit sich. Die Technik ist hier nämlich eine kompliziertere, eine Verbindung von Doppel- sinn (von der Unterart f.) und Verschiebung. Der Wortlaut der Frage laßt einen Doppelsinn zu, und der Witz kommt dadurch


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n. Die Technik des Witzes,


zu Stande, daß die Antwort nicht an den vom Fragesteller be- absichtigten sondern an den Nebensinn anknüpft. Wir sind dem- gemäß im Stande, eine Reduktion zu finden, welche den Doppel- sinn im Ausdruck bestehen läßt und doch den Witz aufhebt^ indem wir bloß die Verschiebung rückgängig machen :

„Hast du genommen ein Bad?" — „Was soll ich genommen haben? Ein Bad? Was ist das?" Das ist aber kein Witz mehr, sondern eine gehässige oder scherzhafte Übertreibung.

Eine ganz ähnliche Rolle spielt der Doppelsinn im Heinc- schen Witz über das ,, goldene Kalb". Er ermöglicht der Antwort die Ablenkmig von dem angeregten Gedankengang, welche im Witz von Lachs mit Mayonnaise ohne solche Anlehnung an den Wortlaut geschieht. In der Reduktion würden die Rede SouHe's und die Antwort H eine's etwa lauten: ,,Es erinnert doch lebhaft an die Anbetung des goldenen Kalbes, wie die Gesellschaft hier den Mann, bloß weil er so reich ist, umschwärmt." Und Heine: „Daß er wegen seines Reichtums so gefeiert wird, finde ich nicht das Ärgste. Aber Sie betonen mir zu wenig, daß man ihm wegen seines Reichtums seine Dummheit verzeiht." Damit wäre bei Erhaltung des Doppelsinnes der Verschiebungswitz aufgehoben.

An dieser Stelle dürfen wir uns auf den Einwand gefaßt machen, daß uns vorgehalten werde, diese heikein Unterscheidungen suchen auseinander zu reißen, was doch zusammengehöre. Gibt nicht jeder Doppelsinn Anlaß zu einer Verschiebung, zu einer Ablenkung des Gedankenganges von dem einen Sinn zum anderen ? Und wir sollten damit einverstanden sein, daß „Doppelsinn" und „Verschiebung" als Repräsentanten zweier ganz verschiedener Typen der Witztechnik aufgestellt werden? Nun, diese Beziehung zwischen Doppelsinn und Verschiebung besteht allerdings, aber sie hat mit unserer Unterscheidung der Witztechniken nichts zu tun. Beim Doppelsinn enthält der Witz nichts als ein mehrfacher Deutung fähiges Wort, welches dem Hörer gestattet, den Übergang von einem Gedanken zu einem anderen zu finden, den man etwa — mit einigem Zwang — einer Verschiebung gleichstellen kann. Beim Verschiebungswitz aber enthält der Witz selbst einen Ge- dankengang, in dem eine solche V^erschiebung vollzogen ist; die Verschiebung gehört hier der Arbeit an, die den Witz hergestellt hat, nicht jener, die zu seinem Verständnis notwendig ist. Sollte uns dieser Unterschied nicht einleuchten, so haben wir an den Redtiktionsversuchen ein nie versagendes Mittel, uns denselben greifbar vor Augen zu führen. Einen Werl: wollen wir aber jenem Einwand nicht bestreiten. Wir werden durch ihn aufmerksam ge-




Verschiebung und Doppelsinn. ■ ■ 41

machtj daß wir die psychischen Vorgänge bei der Bildung des Witzes (die Witzarbeit) nicht mit den psychischen Vorgängen bei der Aufnahme des Witzes (die Verständnisarbeit) zusammenwerfen dürfen, Nur die ersteren sind der Gegenstand unserer gegen- wärtigen Untersuchung.*) **)

Gibt es noch andere Beispiele der Verschiebungstechnik? Sie sind nicht leicht aufzufinden. Ein ganz reines Beispiel, dem auch die bei unserem Vorbild so sehr überbetonte Logik abgeht, ist folgender Witz :

„Ein Pferdehändler empfiehlt dem Kunden ein Reitpferd : „Wenn Sit dieses Pferd nehmen und sich um 4 Uhr früh auf- setzen, sind Sie um Va? Uhr in Preßburg." — „Was mach' ich in Preßburg um Vs7 Uhr früh?"

Die Verschiebung ist hier wohl eklatant. Der Händler er- wähnt die frühe Ankunft in der kleinen Stadt offenbar nur in der Absicht, die Leistungsfähigkeit des Pferdes an einer Probe zu beweisen. Der Kunde sieht von dem Leistungsvermögen des Tieres, das er weiter nicht in Zweifel zieht, ab und geht bloß auf die Daten des zur Probe gewählten Beispieles ein. Die Reduktion dieses Witzes ist dann nicht schwer zu geben.

Mehr Schwierigkeiten bietet ein anderes, in seiner Technik recht undurchsichtiges Beispiel, welches sich aber doch als Doppel- sinn mit Verschiebung auflösen läßt. Der Witz erzählt von der Ausflucht eines Schadehen (jüdischen Heiratsvermittlers), gehört also zu einer Gruppe, die uns noch mehrfach beschäftigen wird.

„Der Schadehen hat dem Bewerber versichert, daß der Vater des Mädchens nicht mehr am Leben ist. Nach der Verlobung stellt sich heraus, daß der Vater noch lebt und eine Kerker- strafc abbüßt. Der Bewerber macht nun dem Schadehen Vor- würfe. „Nun," meint dieser, „was habe ich Ihnen gesagt? Ist denn das ein Leben?"

Der Doppelsinn liegt in dem Worte „Leben" und die Ver- schiebung besteht darin, daß der Schadehen sich von dem ge- meinen Sinn des Wortes, in dem es den Gegensatz zu „Tod"

  • ) Über die letzteren siehe die späteren Abschnitte.
    • ) Vielleicht sind hier einige Worte zur weiteren Klärung nicht über-

flüssig: Die Verschiebung findet regelmäßig statt zwischen einer Rede und einer Antwort, welche den Gedankengang nach anderer Richtung fortsetzt, als er in der Rede begonnen wurde. Die Berechtigung, Verschiebung von Doppelsinn zu sondern, geht am schönsten aus den Beispielen hervor, in denen sich beide kombinieren, wo also der Wortlaut der Rede einen Doppelsinn zuläßt, der vom Redner nicht beabsichtigt ist, aber der Antwort den Weg zur Verschiebung weist. (Siehe die Beispiele.)


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11. Die Technik des Witzes.


bildet, auf den Sinn wirft, den das Wort in der Redensart: Das ist kein Leben, hat. Er erklärt dabei seine damalige Äußerung nachträglich für doppelsinnig, obwohl diese mehrfache Bedeutung gerade hier recht fern Hegt. Soweit wäre die Technik ähnlich wie im Witz vom „goldenen Kalb" und im „Badewitz". Aber es ist hier noch ein anderes Moment zu beachten, welches durch seine Vordringlichkeit das Verständnis der Technik stört. Man könnte sagen, dieser Witz sei ein ,_,charakterisierender", er bemüht sich die für den Heiratsvermittler charakteristische Mischung von verlogener Dreistigkeit und schlagfertigem Witz durch ein Bei- spiel zu illustrieren. Wir werden hören, daß dies nur die Schau- seite, die Fassade, des Witzes ist; sein Sinn, d. h. seine Absicht ist eine andere. Wir schieben es auch auf, eine Reduktion von ihm zu versuchen.*)

Nach diesen komphzierten und schwierig zu analysierenden Beispielen wird es uns wiederum Befriedigung bereiten, wenn wir in einem Falle ein völlig reines und durchsichtiges Vorbild eines „Verschiebungswitzes" zu erkennen vermögen. „Ein Schnorrer trägt dem reichen Baron seine Bitte um Gewährung einer Unter- stützung für die Reise nach Ostende vor; die Ärzte hätten ihm Seebäder zur Herstellung seiner Gesundheit empfohlen. „Gut, ich will Ihnen etwas dazu geben," meint der Reiche; „aber müssen Sic gerade nach Ostende gehen, dem teuersten aller Seebäder?" — „Herr Baron," lautet die zurechtweisende Antwort, „für meine Gesundheit ist mir nichts zu teuer." — Gewiß, ein richtiger Stand- punkt, nur eben nicht richtig für den Bittsteller. Die Antwort ist gegeben vom Standpunkt eines reichen Mannes. Der Schnorrer benimmt sich, als wäre es sein eigenes Geld, das er für seine Gesundheit opfern soll, als gingen Geld und Gesundheit die näm- liche Person an.


Knüpfen wir nun von neuem an das so lehrreiche Beispiel „Lachs mit Mayonnaise" an. Es kehrte uns gleichfalls eine Schau- seite zu, an welcher ein auffälliges Aufgebot von logischer Arbeit zu bemerken war, imd wir haben durch die Analyse erfahren, daß diese Logik einen Denkfehler, nämUch eine Verschiebung des Gedankenganges zu verdecken hatte. Von hier aus mögen wir, wenn auch nur auf dem Wege der Kontrastverknüpfung, an andere Witze gemahnt werden, die ganz im Gegenteil etwas Widersinniges, einen Unsinn, eine Dummheit unverhüllt zur Schau


  • ) Siehe unten Abschnitt UI, S. 88.


Der Unsinn als technisches Mittel.


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stellen. Wir werden neugierig sein, worin die Technik dieser Witze bestehen mag.

Ich stelle das stärkste und zugleich reinste Beispiel der ganzen Gruppe voran. Es ist wiederum ein Judenwitz.

„Itzig ist zur Artillerie assentiert worden. Er ist offenbar ein intelligenter Bursche, aber ungefügig und ohne Interesse für den Dienst. Einer seiner Vorgesetzten, der ihm wohlgesinnt ist, nimmt ihn beiseite und sagt ihm: „Itzlg, du taugst nicht zu uns. Ich will dir einen Rat geben : Kauf dir eine Kanon' und mach' dich selb ständig."

Der Rat, über den man herzlich lachen kann, ist ein offen- barer Unsinn. Es gibt doch keine Kanonen zu kaufen, und ein einzelner kann sich als Wehrkraft unmöglich selbständig machen, gleichsam „etablieren". Es kann uns aber keinen Moment zweifel- haft bleiben, daß dieser Rat kein bloßer Unsinn ist, sondern ein witziger Unsinn, ein vorzüglicher Witz. Wodurch wird also der Unsinn zum Witz ?

Wir brauchen nicht lange zu überlegen. Aus den in der Einleitung angedeuteten Erörterungen der Autoren können wir erraten, daß in solchem witzigen Unsinn ein Sinn steckt, und daß dieser Sinn im Unsinn den Unsinn zum Witz macht. Der Sinn in unserem 'Beispiel ist leicht zu finden. Der Offizier, welcher dem Artilleristen Itzig den unsinnigen Rat gibt, stellt sich nur dumm, um Itzig zu zeigen, wie dumm er selbst sich benimmt. Er kopiert den Itzig. „Ich will dir jetzt einen Rat geben, der genau so dumm ist wie du." Er geht auf Itzig's Dummheit ein und bringt sie ihm zur Einsicht, indem er sie zur Grundlage eines Vorschlags macht, der Itzig's Wünschen ent- sprechen muß, denn besäße Itzig eine eigene Kanone und betriebe das Kriegshandwerk auf eigene Rechnung, wie kämen ihm da seine Intelligenz und sein Ehrgeiz zu statten ! Wie würde er die Kanone im stände halten und sich mit ihrem Mechanismus ver- traut machen, um die Konkurrenz mit anderen Kanonenbesitzern zu bestehen!

Ich unterbreche die Analyse dieses Beispiels, um in einem kürzeren und einfacheren, aber minder grellen Fall von Unsinns- witz den gleichen Sinn des Unsinns nachzuweisen.

Niemals geboren zu werden, wäre das beste für die sterblichen Menschenkinder." „Aber," setzen die Weisen der „Fhegenden Blätter" hinzu, „unter loo.ooo Menschen passiert dies kaum eine m."


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IL Die Technik des Witzes.


Der moderne Zusatz zum alten Weisheit ssprucli ist ein klarer Unsinn, der durch das anscheinend vorsichtige „kaum" noch dümmer wird. Aber er knüpft als unbestreitbar richtige Ein- schränkung an den ersten Satz an, kann uns also die Augen darüber öffnen, daß jene mit Ehrfurcht vernommene Weisheit auch niclit viel besser als ein Unsinn ist. Wer nie geboren worden ist, ist überhaupt kein Menschenkind; für den gibt es kein Gutes und kein Bestes. Der Unsinn im Witze dient also hier zur Auf- deckung und Darstellung eines anderen Unsinns wie im Beispiel vom Artilleristen Itzig.

Ich kann hier ein drittes Beispiel anfügen, welches durch seinen Inhalt die ausführliche Mitteilung, die es erfordert, kaum verdienen würde, aber gerade wieder die Verwendung des Unsinns im Witze zur Darstellung eines anderen Unsinns besonders deut- lich erläutert :

„Ein Mann, der verreisen muß, vertraut seine Tochter einem Freunde an mit der Bitte, während seiner Abwesenheit über ihre Tugend zu wachen. Er kommt nach Monaten zurück und findet sie geschwängert. Natürlich macht er dem Freund Vorwürfe. Der kann sich den Unglücksfall angeblich nicht erklären. Wo hat sie denn geschlafen? fragt endlich der Vater. — Im Zimmer mit meinem Sohn. — Aber wie kannst du sie im selben Zimmer mit deinem Sohn schlafen lassen, nachdem ich dich so gebeten habe, sie zu behüten? — Es war doch eine spanische }iVand zwischen ihnen. Da war das Bett von deiner Tochter, da das Bett von meinem Sohn und dazwischen die spanische Wand. — Und wenn er um die spanische Wand herumgegangen ist i* — Außer das, meint der andere nachdenklich. So wäre es mögli eh."

Von diesem, seinen sonstigen Qualitäten nach recht geringem Witz gelangen wir am leichtesten zur Reduktion. Sie würde offenbar lauten: Du hast kein Recht, mir Vorwürfe zu machen. Wie kannst du denn so dumm sein, deine Tochter in ,ein Haus zu geben, in dem sie in der beständigen Gesellschaft eines jungen Mannes leben muß ? Als ob es einem Fremden möglich wäre, unter solchen Umständen für die Tugend eines Mädchens einzustehen I Die scheinbare Dummheit des Freundes ist also auch hier nur die Spiegelung der Dummheit des Vaters. Durch die Reduktion haben wir die Dummheit im Witze und mit ihr den Witz selbst beseitigt. Das Element „Dummheit" selbst sind wir nicht los geworden; es findet im Zusammenhange des auf seinen Sinn reduzierten Satzes eine andere Stelle.


Uiisinnswitze.


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Nun können wir auch die Reduktion des Witzes von der Kanone versuchen. Der Offizier hätte zu sagen: „Itzig, ich weiß, du bist ein intelligenter Geschäftsmann. Aber ich sage dir, es ist eine große Dummheit, wenn du niclit einsiehst, daß es beim Militär unmöglich so zugehen kann wie im Geschäftsleben, wo jeder auf eigene Faust und gegen den anderen arbeitet. Beim Militär heißt es sich unterordnen und zusammenwirken."

Die Technik der bisherigen Unsinnswitze besteht also wirk- lich in der Anbringung von etwas Dummemj Unsinnigem, dessen Sinn die Veranschaulichung, Darstellung von etwas anderem Dummen und Unsinnigen ist.

Hat die Verwendung des Widersinnes in der Witztechnik jedesmal diese Bedeutung? Hier ist noch ein Beispiel, welches im bejahenden Sinne antwortet:

„Als dem Phokion einmal nach einer Rede Beifall ge- klatscht wurde, fragte er zu seinen Freunden gewendet: „Was habe ich denn Dummes gesagt?"'

Diese Frage klingt widersinnig. Aber wir verstehen alsbald ihren Sinn. „Was habe ich denn gesagt, was diesen dummem Volk so gefallen konnte ? Ich müßte mich ja eigentlich des .Bei- falls schämen; wenn es den Dummen gefallen hat, kann es selbst nicht sehr gescheit gewesen sein."

Andere Beispiele können uns aber darüber belehren, daß der Widersinn sehr häufig in der Witztechnik gebraucht wird, ohne dem Zwecke der Darstellung eines anderen Unsinns zu dienen.

„Einem bekamiten Universitätslehrer, der sein wenig anmuten- des Spezialfach reichlich mit Witzen zu würzen pflegt, wird zur Geburt seines jüngsten Kindes gratuliert, das ihm in bereits vor- gerücktem Alter beschieden wurde. ,Ja/' erwidert er den Glück Wünschenden, „es ist merkwürdig, was Menschenhände zu Stande bringen können." — Diese Antwort erscheint ganz besonders sinnlos und nicht am Platze. Kinder heißen doch ein Segen Gottes recht im Gegensatz zum Werk der Menschenhand. Aber bald fällt uns ein, daß diese Antwort doch einen Sinn hat, und zwar einen obszönen. Es ist keine Rede davon, daß der glückliche Vater sich dumm stellen will, um etwas anderes oder andere Personen als dumm zu bezeichnen. Die anscheinend sinn- lose Antwort wirkt auf uns überraschend, verblüffend, wie wir mit den Autoren sagen wollen. Wir haben gehört, daß die Autoren die ganze Wirkung solcher Witze aus dem Wechsel von „Ver- blüffung und Erleuchtung" ableiten. Darüber wollen wir uns später ein Urteil zu bilden versuchen; wir begnügen uns hervor-


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IL Die Technik des Witzes.


zuheben. daß die Technik dieses Witzes in der Anbringung von solchem Verblüffenden, Unsinnigen besteht.

Eine ganz besondere Stellung unter diesen Dummheitswitzen nimmt ein Witz von Lichtenberg ein.

„Er wunderte sich, daß den Katzen gerade an der Stelle zwei Löcher in den Pelz geschnitten wären, wo sie die Augen hätten." Sich über etwas Selbstverständ- liches zu wundern, etwas was eigenthch nur die Aus- einandersetzung einer Identität ist, ist doch gewiß eine Dumm- heit. Es mahnt an einen ernsthaft gemeinten Ausruf bei Michelet (Das Weib), der nach meiner Erinnerung etwa so lautet ; Wie schön ist es doch von der Natur eingerichtet, daß das Kind, sobald es zur Welt kommt, eine Mutter vorfindet, die bereit ist, sich seiner anzunehmen! Der Satz von Michelet ist eine wirkliche Dummheit, aber der Licht enberg'sche ist ein Witz, der sich der Dummheit zu irgend einem Zwecke bedient, hinter dem etwas steckt. Was? Das können wir freiüch in diesem Moment nicht angeben.

Wir haben nun bereits an zwei Gruppen von Beispielen er- fahren, daß die Witzarbeit sich der Abweichungen vom normalen Denken, der Verschiebung und des Widersinnes, als technischer Mittel zur Herstellung des witzigen Ausdrucks bedient. Es ist gewiß eine berechtigte Erwartung, daß auch andere Denk- fehler eine gleiche Verwendung finden können. Wirklich lassen sich einige Beispiele von dieser Art angeben:

„Ein Herr kommt in eine Konditorei und läßt sich eine Torte geben; bringt dieselbe aber bald wieder und verlangt an ihrer Statt ein Gläschen Likör. Dieses trinkt er aus und will sich entfernen, ohne gezahlt zu haben. Der Ladenbesitzer hält ihn zurück. „Was wollen Sie von mir?" — Sie sollen den Likör bezahlen. — „Für den habe ich Ihnen ja die Torte gegeben." — Die haben Sie ja auch nicht bezahlt. — „Die habe ich ja auch nicht gegessen."

Auch dieses Geschichtchen trägt den Schein von Logik zur Schau, den wir als geeignete Fassade für einen Denkfehler bereits kennen. Der Fehler liegt offenbar darin, daß der schlaue Kunde zwischen dem Zurückgeben der Torte und dem Dafürnehmen des Likörs eine Beziehung herstellt, die nicht besteht. Der Sachverhalt zerfällt vielmehr in zwei Vorgänge, die für den Verkäufer von- einander unabhängig sind, nur in seiner eigenen Absicht im Ver- hältnisse des Ersatzes stehen. Er hat zuerst die Torte genommen


Andere Deiikfehler.


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und [zurückgegeben, für die er also nichts schuldig ist, dann nimmt er den Likör und den ist er schuldig zu bezahlen. Man kann sagen, der Kunde wende die Relation „dafür" doppelsinnig an ; richtiger, er stelle vermittels eines Doppelsinnes eine Ver- bindung her, die sachlich nicht stichhältig ist.

Es ist nun die Gelegenheit da, ein nicht unwichtiges Be- kenntnis abzulegen. Wir beschäftigen uns hier mit der Erforschung der Technik des Witzes an Beispielen und sollten also sicher sein, daß die von uns gewählten Beispiele wirklich richtige Witze sind. Es steht aber so, daß wir in einer Reihe von Fällen in's Schwanken geraten, ob das betreffende Beispiel ein Witz genannt werden darf oder nicht. Ein Kriterium steht uns ja nicht zu Gebote, ehe die Untersuchung ein solches ergeben hat ; der Sprachgebrauch ist unzuverlässig und bedarf selbst der Prüfung auf seine Be- rechtigung: wir können uns bei der Entscheidung auf nichts anderes stützen als auf eine gewisse „Empfindung", welche wir dahin interpretieren dürfen, daß sich in unserem Urteilen die Entscheidung nach bestimmten Kriterien vollziehe, die unserer Erkenntnis noch nicht zugänglich sind. Für eine zureichende Be- gründung werden wir die Berufung auf diese „Empfindung" nicht ausgeben dürfen. Bei dem letzterwähnten Beispiel werden wir nun zweifeln müssen, ob wir es als Witz darstellen dürfen, als einen sophistischen Witz etwa, oder als ein Sophisma schlechtweg. Wir wissen eben noch nicht, worin der Charakter des Witzes liegt.

Hingegen ist das nächstfolgende Beispiel, welches den so- zusagen komplementären Denkfehler aufweist, ein unzweifelhafter Witz. Es ist wiederum eine Heiratsvermitdergeschichte:

„Der Schadehen verteidigt das von ihm vorgeschlagene Mädchen gegen die Ausstellungen des jungen Mannes. „Die Schwieger- mutter gefällt mir nicht," sagt dieser, „sie ist eine boshafte, dumme Person. — Sie heiraten doch nicht die Schwiegermutter, Sie wollen die Tochter. — „Ja, aber jung ist sie nicht mehr und schön von Gesicht gerade auch nicht." — Das macht nichts; ist sie nicht jung und schön, wird sie Ihnen um so ,cher treu bleiben. — „Geld ist auch nicht viel da." — Wer spricht vom Geld? Heiraten Sie denn das Geld? Sie wollen doch eine Frau. — „Aber sie hat ja auch einen Buckel 1" — Nun, was wollen Sie? „Gar keinen Fehler soll sie haben!"

Es handelt sich also in Wirklichkeit um ein nicht mehr junges, unschönes Mädchen mit geringer Mitgift, das eine ab- stoßende Mutter hat und außerdem mit einer argen Verunstaltung versehen ist. Gewiß keine zur Eheschließung einladenden Ver-


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il. Die Technik des Witzes.


hältnisse. Der Heiratsvermittler weiß bei jedem einzelnen dieser Fehler anzugeben, von welchem Gesichtspunkte man sich mit ihm versöhnen könnte; den nicht zu entschuldigenden Buckel nimmt er dann als den einen Fehler in Anspruch, den man jedem Menschen hingehen lassen müsse. Es liegt wiederum der Schein von Logik vor, welcher für das Sophisma charakteristisch ist, und der den Denkfehler verdecken soll. Das Mädchen hat offenbar lauter Fehler, mehrere, über die man hinwegsehen konnte, und einen, über den man nicht hinweg kommt; es ist nicht zu heiraten. Der Vermittler tut, als ob jeder einzelne Fehler durch seine Ausflucht beseitigt wäre, während doch von jedem ein Stück Entwertung erübrigt, das sich zum nächsten summiert. Er besteht darauf, jeden Faktor vereinzelt zu behandeln, und weigert sich, sie zur Summe zusammenzusetzen.

Die nämliche Unterlassung ist der Kern eines anderen Sophis- mas, das viel belacht worden ist, dessen Berechtigung ein Witz zu heißen man aber anzweifeln könnte.

„A. hat von B. einen kupfernen Kessel entlehnt und wird nach der Rückgabe von B. verklagt, weil der Kessel nun ein großes Loch zeigt, das ihn unverwendbar macht. Seine Verteidigung lautet : „Erstens habe ich von B. überhaupt keinen Kessel entlehnt; zweitens hatte der Kessel bereits ein Loch, als ich ihn von B. übernahm; drittens habe ich den Kessel ganz zurückgegebe n." Jede einzelne Einrede ist für sich gut, zusammengenommen aber schließen sie einander aus. A. behandelt isoliert, was im Zusammen- hange betrachtet werden muß, ganz wie der Heiratsvermittler mit den Mängeln der Braut verfährt. Man kann auch sagen : A. setzt das „und" an die Stelle, an der nur ein „entweder — oder" möglich ist.

Ein anderes Sophisma begegnet uns in der folgenden Heirats- vermittlergeschichte.

„Der Bewerber hat auszusetzen, daß die Braut ein kürzeres Bein hat und hinkt. Der Schadehen widerspricht ihm. „Sie haben Unrecht. Nehmen Sie an, Sie heiraten eine Frau mit gesunden, geraden Gliedern. Was haben Sie davon ? Sie sind keinen Tag sicher, daß sie nicht hinfällt, ein Bein bricht und dann lahm ist für's ganze Leben. Und dann die Schmerzen, die Aufregung, die Doktorrechnung! Wenn Sie aber die nehmen, so kann Ihnen das nicht passieren; da haben Sie eine fertige Sach'."

Der Schein von Logik ist hier recht dünn, und niemand wird dem bereits „fertigen Unglück" gar noch einen Vorzug vor dem bloß möglichen zugestehen wollen. Der in dem Gedanken-


Sophistische Denkfehler,


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gang enthaltene Fehler wird sich leichter an einem zweiten Bei- spiel aufzeigen lassen, einer Geschichte, die ich des Jargons nicht völlig entkleiden mag.

„Im Tempel zu Krakau sitzt der große Rabbi N. und betet mit seinen Schülern. Er stößt plötzlich einen Schrei aus und äußert, von den besorgten Schülern befragt : „Eben jetzt ist der große Rabbi L. in Lemberg gestorben." Die Gemeinde legt Trauer um den Verstorbenen an. Im Laufe der nächsten Tage werden nun die aus Lemberg Ankommenden befragt, wie der Rabbi ge- storben, y/as ihm gefehh, aber sie wissen nichts davon, sie haben ihn im besten Wohlbefinden verlassen. Es stellt sich endlich als gan^ gesichert heraus, daß Rabbi L. in Lemberg nicht zu jener Stunde gestorben ist, in der Rabbi N. seinen Tod telepathisch verspürte, da er immer noch weiter lebt. Ein Fremder ergreift die Gelegenheit, einen Schüler des Krakauer Rabbi mit dieser Begebenheit aufzuziehen. „Es war doch eäne große Blamage von Eurem Rabbi, daß er damals den Rabbi L. in Lemberg sterben gesehen hat. Der Mann lebt noch heute." „Macht nichts," er- widert der Schüler, „der K ü c k) von Krakau bis nach Lemberg war doch großartig."

Hier wird der beiden letzten Beispielen gemeinsame Denk- fehler unverhüllt eingestanden. Der Wert der Phantasievorstellung wird gegen die Realität ungebührlich erhoben, die Möglichkeit fast der Wirklichkeit gleichgestellt. Der Fernblick über die Krakau von Lemberg trennende Länderstrecke wäre e,ine imposante tele- pathische Leistung, wenn er etwas Wahres ergeben hätte, aber darauf kommt es dem Schüler nicht an. Es wäre doch mögUch gewesen, daß der Rabbi in Krakau in jenem Moment gestorben wäre, in dem der Lemberger Rabbi seinen Tod verkündete, und dem Schüler verschiebt sich der Akzent von der Bedingung, unter der die Leistung des Lehrers bewundernswert ist, zur unbedingten Bewunderung" dieser Leistung. „In magnis rebus voluisse sat est" bezeugt einen ähnlichen Standpunkt. Ebenso wie in diesem Bei- spiel von der Realität abgesehen wird zu Gunsten der Möglichkeit, so mutet im vorigen der Heiratsvermittler dem Bewerber zu, die Möglichkeit, daß eine Frau durch einen Unfall lahm werden kann, als das bei weitem Bedeutsamere in's Auge zu fassen, wogegen die Frage, ob sie wirklich lahm ist oder nicht, ganz zurücktreten soll.

Dieser Gruppe der sophistischen Denkfehler reiht sich eine interessante andere an, in welcher man den Denkfehler als


  • ) Kück von gucken, also Blii:k, Fernblick.

Freud, D« Witz.


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n. Die Technik des Witzes.


einen automatischen bezeichnen kann. Es ist vielleicht nur eine Laune des Zufalls, daß alle Beispiele, die ich aus dieser neuen Gruppe anführen werde, wiederum den Schadchengeschichten angehören :

„Ein Schadehen hat zur Besprechung über die Braut einen Gehilfen mitgebracht, der seine Mitteilungen bekräftigen soll. Sie ist gewachsen wie ein Tannenbaum, meint der Schadehen. — Wie ein Tannenbaum, wiederholt das Echo. — Und Augen hat sie, die muß man gesehen haben. — Heißt Augen, die sie hat! bekräftigt das Echo. — Und gebildet ist sie wie keine andere. — Und wie gebildet! — Aber das eine ist wahr, gesteht der Ver- mittler zu, sie hat einen kleinen Höcker. ■ — Aber ein Höcker! bekräftigi wieder das Echo." Die anderen Geschichten sind ganz analog, obwohl sinnreicher.

„Der Bräutigam ist bei der Vorstellung der Braut sehr un- angenehm überrascht und zieht den Vermittler beiseite, um ihm flüsternd seine Ausstellungen mitzuteilen. „Wozu haben Sic mich hieher gebracht?" fragt er ihn vorwurfsvoll. „Sie ist häßlich und alt, schielt und hat schlechte Zähne und triefende Augen . . ." — Sic können laut sprechen, wirft der Vermittler ein, taub ist sie auch."

„Der Bräutigam macht mit dem Vermittler den ersten Besuch im Hause der Braut, und während sie im Salon auf das Erscheinen der Familie warten, macht der Vermittler auf einen Glasschrank aufmerksam, in welchem die schönsten Silbergeräte zur Schau gestellt sind. „Da schauen Sie hin, an diesen Sachen können Sie sehen, wie reich diese Leute sind." — „Aber," fragt der miß- trauische junge Mann, „wäre es denn nicht möglich, daß diese schönen Sachen nur für die Gelegenheit zusammengeborgt sind, um den Eindruck des Reichtimis zu machen?" — „Was fällt Ihnen ein ?' antwortet der Vermittler abweisend. „W er wird denn den Leuten was borgen!"

In allen drei Fällen ereignet sich das nämliche. Eine Person, die mehrmals nacheinander in gleicher Weise reagiert hat, setzt diese Weise der Äußerung auch bei dem nächsten Anlasse fort, wo sie unpassend wird und den Absichten der Person zuwider- läuft. Sie versäumt es, sich den Anforderungen der Situation anzupassen, indem sie dem Automatismus der Gewöhnung nach- gibt. So vergißt der Helfer in der ersten Geschichte, daß er mitgenommen wurde, um den Bewerber zu Gunsten der vorge- schlagenen Braut zu stimmen, und da er bisher seiner Aufgabe gerecht wurde, indem er die vorgebrachten Vorzüge der Braut


Automatische Denkfehler.


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durch seine Wiederholung unterstrich, unterstreicht er jetzt auch ihren schüchtern zugestandenen Höcker, den er hätte verkleinern sollen. Der Vermittler der zweiten Geschß deren Untersuchung uns bisher mehr in's Dunkel als zur Erkenntnis geführt hat. Wir geben jedoch die Erwartung nicht auf, durch eine vollständigere Kenntnis der Techniken des Witzes zu einem Ergebnis zu gelangen, welches der Ausgangs- punkt für weitere Einsichten werden kann.


Die nächsten Beispiele von Witz, an denen wir unsere Unter- suchung fortsetzen wollen, geben leichtere Arbeit. Ihre Technik erinnert uns vor allem an Bekanntes.

Etwa ein Witz von Lichtenberg:

„Der Januarius ist der Monat, da man seinen guten Freunden Wünsche darbringt, und die übri- gen die, worin, sie nicht erfüllt werden."

Da diese Witze eher fein als stark zu nennen sind und mit wenig aufdringlichen Mitteln arbeiten, wollen wir uns den Ein- druck von ihnen erst durch Häufung verstärken.


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II. Die Technik des Witzes.


„D asmenschlicheLebenzerfälltinzweiHälften, in der ersten wünscht man die zweite herbei, und in der zweiten wünscht man die erste zurück."

„Die Erfahrung besteht darin, daß man erfährt, was man nicht zu erfahren wünscht" (beide bei K. Fischer).

Es ist unvermeidHch, daß wir durch diese Beispiele an eine früher behandelte Gruppe gemahnt werden, welche sich durch die „mehrfache Verwendung desselben Materials" auszeichnet. Das letzte Beispiel besonders wird uns veranlassen, die Frage auf- zuwerfen, warum wir es nicht dort angereiht haben, anstatt es hier in neuem Zusammenhange aufzuführen. „Die Erfahrung" wieder durch ihren eigenen Wortlaut beschriebenj wie an jener Stelle die Eifersucht (vgl. S. 23). Auch ich würde mich gegen diese Zuweisung nicht viel sträuben. An den beiden anderen Bei- spielen, meine ich aber, die ja ähnlichen Charakters sind, ist ein anderes Moment auffälHger und bedeutsamer als die mehrfache Verwendung derselben Worte, der hier alles an Doppelsinn Streifende abgeht. Und zwar möchte ich hervorheben, daß hier neue und unerwartete Einheiten hergestellt sind, Beziehungen von Vorstellungen zu einander, und Definitionen durch einander oder durch die Beziehung auf ein gemeinsames Drittes. Ich möchte diesen Vorgang Unifizierung heißen; er ist offenbar der Verdichtung durch Zusammendrängung in die nämlichen Worte analog. So werden 'die zwei Hälften des menschlichen Lebens durch eine zwischen ihnen entdeckte gegensehige Beziehung beschrieben; in der ersten wünscht man die zweite herbei, in der zweiten .die erste zurück. Es sind, genauer gesagt, zwei sehr ähnliche Beziehungen zu einander, die zur Darstellung gewählt wurden. Der Ähnlichkeit der Beziehungen entspricht dann die Ähnlichkeit der Worte, welche uns eben an die mehrfache Verwendung des nämlichen Materials mahnen konnte (herbei — wünschen). In dem Witz von Lich-

(zurück — wünschen). tenberg sind der Januar und die ihm gegenüber gestellten Monate durch eine wiederum modifizierte Beziehung zu etwas Drittem charakterisiert ; dies sind die Glückwünsche, die man in dem einen Monat empfängt, und die sich in den anderen nicht erfüllen. Der Unterschied von der mehrfachen Verwendung des gleichen Materials, die sich ja dem Doppelsinn annähert, ist hier recht deutlich.*)

  • ) Ich wül mich der früher erwähnten eigentümlichen Negativrelation

des Witzes zum Rätsel, daß der eine verbirgt, was das andere zur Schau


Umfizieniiig.


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Ein schönes Beispiel von Uiiifizierungswitz, das der Erläuterung nicht bedarf, ist folgendes:

„Der französische Odendichter J. B. Rousseau schrieb eine Ode an die Nachwelt (ä la posteritö); Voltaire fand, daß der Wert des Gedichtes dasselbe keineswegs berechtige, auf die Nach- welt zu kommen, und sagte witzig: „Dieses Gedicht wird nicht an seine Adresse gelangen." {Nach K. Fischer.)

Das letzte Beispiel kann uns darauf aufmerksam machen, daß es wesentlich die Unifizierung ist, welche den sogenannt schlag- fertigen Witzen zu Grunde liegt. Die Schlagfertigkeit besteht ja im Eingehen der Abwehr auf die Aggression, im „Umkehren des Spießes", im „Bezahlen mit gleicher Münze", also in Herstellung einer unerwarteten Einheit zwischen Angriff und Gegenangriff,

2. B. : Bäcker zum Wirt, der einen schwärenden Finger hat: „Der ist dir wohl in dein Bier hineingekommen?"

stellt, bedienen, um die „Unifizierung" besser, als obige Beispiele es gestalten, zu beschreiben. Viele der Rätsel, mit deren Produktion sich der Philosoph G. Th. Fechner die Zeit seiner Erblindung vertrieb, zeichnen sich durch einen hohen Grad von Unifizierung aus, der ihnen einen beson- deren Reiz verleiht. Man nehme z, B. das schöne Rätsel Nr. 203 (Rätsel- büclilein von Dr. Mises. Vierte vermehrte Auflage,Jahreszahl nicht angegeben ,jDie beiden Ersten finden ihre Ruhestätte Im Paar der Andern, und das Ganze macht ihr Bette." Von den beiden Silbenpaaren, die zu erraten sind, ist nichts ange- geben als eine Beziehung zu einander, und vom Ganzen nur eine solche zum ersten Paar. (Die Auflösung lautet: Totengräber.) Oder folgende zwei Beispiele von Beschreibung durch Relation zu dem nämlichen oder wenig modifizierten Dritten:

Nr. 170. „Die erste Silb' hat Zahn' und Haare, Die zweite Zähne in den Haaren. Wer auf den Zähnen nicht hat Piaare, Vom Ganzen kaufe keine Ware." (Roßkaram.)


Nr. 168. „Die erste Silbe frißt, Die andere Silbe ißt, Die dritte wird gefressen, Das Ganze wird gegessen. (Sauerkraut.)

Die vollendetste Unifizierung findet sich in einem Rätsel von Schleier- macher, das man nicht anders als witzig heißen kann:

„Von der Letzten umschlungen Schwebt das vollendete Ganze Zu den zwei Ersten empor.'* (Galgenstrick,)

Die o-rößte Mehrzahl aller Silbenrätsel ist der Unifizierung bar, d. h. das Merkmal, aus dem die eine Silbe erraten werden soll, ist ganz unab- hängig von dem für die zweite, dritte Silbe und wiederum von dem An- haltspunkt für's selbständige Erraten des Ganzen.


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II. Die Technik des Witzes.


Wirt: „Das nicht, aber es ist mir eine von deinen Semmeln unter den Nagel geraten." (Nach Über- horst, Das Komische, II, 1900.)

„Serenissimus macht eine Reise durch seine Staaten und bemerkt in der Menge einen Mann, der seiner eigenen hohen Person auffällig ähnlich sieht. Er winkt ihn heran, um ihn zu fragen: „Hat seine Mutter wohl einmal in der Resi- denz gedient?" — „Nein, Durchlaucht," lautet die Antwort, „aber mein Vater."

„Herzog Karl von Würtemberg trifft auf einem seiner Spazier- ritte von ungefähr einen Färber, der mit seiner Hantierung be- schäftigt ist. „Kannermeinen Schimmel blaufärben?" ruft ihm der Herzog zu und erhält die Antwort zurück: „Jawohl, Durchlauchtj wenn er das Sieden vertragen kann!"

Bei dieser ausgezeichneten „Retourkutsche" — die eine un- sinnige Anfrage mit einer ebenso unmöglichen Bedingung be- antwortet — wirkt noch ein anderes technisches Moment mit, das ausgeblieben wäre, wenn die Antwort des Färbers gelautet hätte: „Nein, Durchlaucht; ich fürchte, der Schimmel wird das Sieden nicht vertragen."

Der Unifizierung steht noch ein anderes, ganz besonders interessantes technisches Mittel zu Gebote, die Anreihung durch das Bindewort und. Solche Anreihung bedeutet Zusammenhang; wir verstehen sie nicht anders. Wenn z. B. Heine in der Harz- reise von der Stadt Göttingen erzählt: „Im Allgemeinen werden die Bewohner Göttinge n's eingeteilt in Studenten, Professoren, Philister und Vieh," so ver- stehen wir diese Zusammenstellung genau in dem Sinne, der durch den Zusatz H eine's noch unterstrichen wird: „welche vier Stände doch nichts weniger als scharf geschieden sind." Oder, wenn er von der Schule spricht, wo er „soviel Latein, Prügel und Geographie" ausstehen mußte, so will diese Anreihung, die durch die Mittelstellung der Prügel zwischen den beiden Lehr- gegenständen überdeutlich wird, uns sagen, daß wir die durch die Prügel unverkennbar bezeichnete Auffassung des Schulknaben gewiß auch auf Latein und Geographie ausdehnen sollen.

Bei L i p p s finden wir unter den Beispielen von „witziger Aufzählung" („Koordination") als nächst verwandt dem Heine- schen „Studenten, Professoren, Philister und Vieh" den Vers: „Mit einer Gabel undmit Müh' zogihndie Mutter aus der Brüh'"; als ob die Mühe ein Instrument wäre, wie die Gabel, setzt Lipps erläuternd hinzu. Wir empfangen aber den


Darstellung durch das Gegenteil. 55

Eindruck, als sei dieser Vers gar nicht witzig, allerdings sehr komisch, während die Hein e'sche Anreihung ein unzweifelhafter Witz ist. Vielleicht werden wir uns später an diese Beispiele erinnern, wenn wir dem Problem des Verhältnisses von Komik und Witz nicht mehr auszuweichen brauchen.


Am Beispiel vom Herzog und vom Färber haben wir be- merkt, daß es ein Witz durch Unifizierung bliebe, wenn der Färber antworten würde : Nein, ich fürchte, der Schimmel wird das Sieden nicht vertragen. Seine Antwort lautete aber : J a, Durch- laucht, wenn er das Sieden vertragen kann. In der Ersetzung des eigendich hingehörigen „Nein" durch ein „Ja" liegt ein neues technisches Mittel des Witzes, dessen Verwendung wir an anderen Beispielen verfolgen wollen.

Ein dem eben erwähnten bei K. Fischer benachbarter Witz ist einfacher : Friedrich der Große hört von einem Prediger in Schlesien, der im Rufe steht, mit Geistern zu verkehren; er läßt den Mann kommen und empfängt ihn mit der Frage: „Er kann Geister beschwören?" Die Antwort war : „Zu Befehl, Majestät, aber sie kommen nicht." Hier ist es nun ganz augenfällig, daß das Mittel des Witzes in nichts anderem bestand, als in der Ersetzung des einzig möglichen „Nein" durch sein Gegenteil. Um diese Ersetzung durchzuführen, mußte an das „Ja" ein „aber" geknüpft werden^ so daß „ja" und „aber" dem Sinne von „nein" gleichkommen.

Diese Darstellung durch"s Gegenteil, wie wir sie nennen wollen, dient der Witzarbeit in verschiedenen Ausführungen. In folgenden zwei Beispielen tritt sie fast rein hervor : Heine: „Diese Frau glich in vielen Punkten der Venus von Melos: sie ist auch außerordentlich alt, hat eben- falls keine Zähne und auf der gelblichen Ober- fläche ihres Körpers einige weiße Flecken."

Eine Darstellung der Häßlichkeit vermittels ihrer Überein- stimmungen mit dem Schönsten; diese Übereinstimmungen können freilich nur in doppelsinnig ausgedrückten Eigenschaften oder in Nebensachen bestehen. Letzteres trifft für das zweite Beispiel zu;

Lichtenberg: Der große Geist. ^ „Er hatte die Eigenschaften der größten Män-

ner in sich vereinigt, er trug den Kopf schief wie Alexander, hatte immer etwas in den Haaren zu nesteln wie Caesar, konnte Kaffee trinken wie Lcib- nitz, und wenn er einmal recht in seinem Lehnstuhl


56


II Die Teclmik des Witzes.


saßj so vergaß er Essen und Trinken darüber wie Newton; und man mußte ihn wie diesen wecken; seine Perücke trug er wie Dr. Johnson, und ein Hosenknopf stand ihm immer offen wie dem Cer- vantes."

Ein besonders schönes Beispiel von Darstellung durch das Gegenteil, in welchem auf die Verwendung doppelsinniger Worte gänzlich verzichtet ist, hat J- v. Falke von einer Reise nach Irland heimgebracht. „Schauplatz ein Wachsfigurenkabinetj sagen wir Madame Tussaud. Auch hier ein Führer, der eine Gesell- schaft von Alt und Jung von Figur zu Figur mit seinen Erläute- rungen begleitet. „This is the Duke of Wellington and bis horse," worauf ein junges Fräulein die Frage stellt „Which is the Duke of Wellington and which is his horse?" „Just, as you like, my pretty child," lautet die Antwort, „you pay the money and you have the choic e." (Welches ist der Herzog von W. und welches ist sein Pferd? — Wie es Ihnen beliebt, mein schönes Kind, Sie zahlen Ihr Geld und Sie haben die Wal.) {Lebenserinnerungen, S. 27t.)

Die Reduktion dieses irischen Witzes würde lauten : Un- verschämt, was diese Wachsfigurenleute dem Publikum zu bieten wagen! Pferd und Reiter sind nicht auseinander zu kennen. (Scherzhafte Übertreibung.) Und dafür zahlt man sein gutes Geld ! Diese entrüstete Äußerung wird nun dramatisiert, in einem kleinen Vorfall begründet, an Stelle des Publikums im allgemeinen tritt eine einzelne Dame, die Reiterfigur wird individuell bestimmt, es muß der in Irland so überaus populäre Herzog von Wellington sein. Die Unverschämtheit des Besitzers oder Führers aber, der den Leuten das Geld aus der Tasche zieht und ihnen nichts dafür bietet, wird durch das Gegenteil dargestellt, durch eine Rede, in welcher er sich als gewissenhaften Geschäftsmann herausstreicht, dem nichts mehr am Herzen liegt als die Achtung der Rechte, die das Publikum durch die Zahlung erworben hat. Nun merkt man auch, daß die Technik dieses Witzes keine ganz einfache ist. Indem ein Weg gefunden wurde, den Schwindler seine Ge- wissenhaftigkeit beteuern zu lassen, ist der Witz ein Fall von Darstellung durch's Gegenteil; indem er dies aber bei einem Anlaß tut, wo man ganz anders von ihm verlangt, so .daß er mit geschäfdicher Solidität antwortet, wo man Ähnlichkeit der Figtu-en von ihm erwartet, ist es ein Beispiel von Verschiebung. Die Technik des Witzes liegt in der Kombination der beiden Mittel.


Überbietungswitze. 5 7

Von diesem Beispiel ist es nichi; weit zu einer kleinen .Gruppe, die man als Überbietungswitze benennen könnte. In ihnen wird das ,Ja", welches in der Reduktion am Platze wäre, durch ein „Nein ersetzt, das aber mit einem noch verstärkten , J a" infolge seines Inhalts gleichwertig ist, und ebenso im umgekehrten Falle. Der Widerspruch steht an Stelle einer Bestätigung mit Über- bietung; so z. B. das Epigramm von Lessing: „Die gute Galathee! Man sagt, sie schwärz' ihr Haar; Da doch ihr Haar schon schwarz, als sie es kaufte, war." Oder die boshafte Scheinverteidigung der Schulweisheit durch Lichtenberg:

„Es gibt mehr Dinge im Himmel und auf Erden, als Eure Schulweisheit sich träumen läßt," hatte Prinz Hamlet verächtlich gesagt. Lichtenberg weiß, daß diese Verurteilung lange nicht scharf genug ist, indem sie nicht alles verwertet, was man gegen die Schulweisheit einwenden kann. Er fügt also das noch fehlende hinzu: „Aber es gibt auch vieles in der Schulweisheit, das sich weder im Himmel noch auf Erden findet." Seine Darstellung hebt zwar hervor, wodurch uns die Schulweisheit für den von Hamlet gerügten Mangel entschädigt, aber in dieser Entschädigung liegt ein zweiter und noch größerer Vorwurf.

Durchsichtiger noch, weil frei von jeder Spur von Verschiebung, sind zwei Judenwitze allerdings von grobem Kaliber.

„Zwei Juden sprechen über das Baden. .,Ich nehme jedes Jahr ein Bad," sagt der eine, „ob ich es nötig habe oder nicht."

Es ist klar, daß er sich durch solche prahlerische Versicherung seiner Reinlichkeit erst recht der Unreinlichkeit überführt.

„Ein Jude bemerkt Speisereste am Bart des anderen. Ich

kann dir sagen, was du gestern gegessen hast. —

Nun, sag'. — Also Linsen. — Gefehlt, vorgestern!" —

Ein prächtiger Überbietungswitz, der leicht auf Darstellung

durch's Gegenteil zurückzuführen ist, ist auch folgender:

Der König besucht in seiner Herablassung die chirurgische Klinik und trifft den Professor bei der Vornahme der Amputation eines Beines, deren einzelne Stadien er nun mit lauten Äußerungen seines königlichen Wohlgefallens begleitet. „Bravo, bravo, mein lieber Geheim rat." Nach vollendeter Operation tritt der Professor an ihn heran und fragt, sich tief verneigend: „Be- fehlen Majestät auch das andere Bein?"


58


II Die Technik des Witzes.


Was der Professor sich während des königlichen Beifalls gedacht haben mag, das ließ sich gewiß nicht unverändert aus- sprechen : „Das muß ja den Eindruck machen, als nehme ich dem armen Teufel das kranke Bein ab im königlichen Auftrag und nur wegen des königlichen Wohlgefallens. Ich habe doch wirklich andere Gründe für diese Operation." Aber dann geht er vor den König hin und sagt : „Ich habe keine anderen .Gründe für eine Operation als Ew. Majestät Auftrag. Der mir gespendete Beifall hat mich so beseeligt, daß ich nur Ew, Majestät Befehl erwarte, um auch das gesunde Bein zu amputieren." Es gelingt ihm so sich verständlich zu machen, indem er das Gegenteil von dem aussagt, was er sich denkt und bei sich behalten muß. Dieses Gegenteil ist eine unglaubwürdige Überbietung.

Die Darstellung durch's Gegenteil ist, wie wir an diesen Bei- spielen sehen, ein häufig gebrauchtes und kräftig wirkendes Mittel der Witztechnik. Aber wir dürfen auch etwas anderes nicht über- sehen, daß diese Technik keineswegs dem Witz allein eigen ist. Wenn Marcus Antonius, nachdem er in langer Rede auf dem Forum die Stimmung der Zuhörer um Caesar's Leichnam umgemodelt, endlich wieder einmal die Worte hinwirft: „Denn Brutus ist ein ehrenwerter Mann — "

so weiß er, daß das Volk ihm nun den wahren ßinn seiner Worte entgegenschreien wird:

„Sie sind Verräter: ehrenwerte Männer I" Oder wenn der „Simplizissimus" eine Sammlung unerhörter Brutalitäten und Zynismen als Äußerungen von „Gefühls- menschen" überschreibt, so ist das auch eine Darstellung durch's Gegenteil. Diese heißt man aber „Ironie", nicht mehr Witz. Der Ironie ist gar keine andere Technik als die der Darstellung durch's Gegenteil eigentümlich. Überdies liest und hört man vom ironi- schen Witz. Es ist also nicht mehr zu bezweifeln, daß die Technik allein nicht hinreicht, den Witz zu charakterisieren. Es muß noch etwas anderes hinzukommen, das wir bis jetzt nicht aufgefunden haben. Anderseits steht aber noch immer unwider- sprochen da, daß mit der Rückbildung der Technik der Witz beseitigt ist. Vorläufig mag es uns schwer fallen, die beiden festen Punkte, die wir für die Aufklärung des Witzes gewonnen haben, miteinander vereint zu denken.


1


Wenn die Darstellung durch's Gegenteil zu den technischen Mitteln des Witzes gehört, so wird in uns die Erwartung rege,


Indirekte Darstellung. 59

daß der Witz auch von deren Gegenteil, der Darstellung durch Ähnliches und Verwandtes, Gebrauch machen könne. Die Fortsetzung unserer Untersuchung kann uns in der Tat belehren, daß dies die Technik einer neuen, ganz besonders umfangreichen Gruppe von Gedankenwitzen ist. Wir beschreiben die Eigenart dieser Technik weit treffender, wenn wir anstatt Darstellung durch „Verwandtes" setzen: durch Zusammengehöriges oder Zu- sammenhängendes. Wir wollen sogar mit letztcrem Charak- ter den Anfang machen und ihn sofort durch ein Beispiel erläutern.

Eine amerikanische Anekdote erzählt: Zwei wenig skrupulösen Geschäftsleuten war es gelungen, sich durch eine Reihe recht ge- wagter Unternehmungen ein großes Vermögen zu erwerben und nun ging ihr Bemühen dahin, sich der guten Gesellschaft auf- zudrängen. Unter anderen erschien es ihnen als ein zweckmäßiges Mittel sich von dem. vornehmsten und teuersten Maler der Stadt, dessen Bilder als Ereignisse betrachtet wurden, malen zu lassen. Auf einer großen Soiree wurden die kostbaren Bilder zuerst ge- zeigt, und die beiden Hausherren führten selbst den einflußreichsten Kunstkenner und Kritiker zur Wand des Salons, auf welcher die beiden Portraits neben einander aufgehängt waren, um ihm sein bewunderndes Urteil zu entlocken. Der sah die Bilder lange Zeit auj schüttelte dann den Kopf, als ob er etwas vermissen würde, und fragte bloß, auf den freien Raum zwischen beiden Bildern deutend: „And where is the Saviour?" (Und wo bleibt der Heiland? Oder: Ich vermisse da das Bild des Heilands.)

Der Sinn dieser Rede ist klar. Es handelt sich wieder um die Darstellung von etwas, was direkt nicht ausgedrückt werden kann. Auf welchem Wege kommt diese „indirekte Dar- stellung" zu Stande? Durch eine Reihe leicht sich einstellen- der Assoziationen und Schlüsse verfolgen wir den Weg von der Darstellung des Witzes an nach rückwärts.

Die Frage : Wo ist der Heiland, das Bild des Heilands ? läßt uns erraten, daß der Redner durch den Anblick der .beiclen Bilder an einen ähnlichen, ihm wie uns vertrauten Anblick ge- mahnt worden ist, welcher aber als hier fehlendes Element das Bild des Erlösers in der Mitte zwischen zwei anderen Bildern zeigte. Es gibt nur einen solchen Fall : Christus hängend zwischen den beiden Schachern. Das Fehlende wird vom Witz hervor- gehoben, die Ähnlichkeit haftet an den im Witz übergegangenen Bildern rechts und links vom Heiland. Sie kann nur darin be- stehenj daß auch die im Salon aufgehängten die Bilder von


6ö-


II. Die Technik des Witzes.


Schachern sind. Was der Kritiker sagen wollte und nicht sagen konnte, war also : Ihr seid ein paar Hallunken ; ausführlicher ; Was kümmern mich eure Bilder? Ihr seid ein. paar Hallunken, das weiß ich. Und er hat es schließlich über einige .Assoziationen und Schlußfolgerungen auf einem Wege gesagt, den wir als den der Anspielung bezeichnen.

Wir erinnern uns sofort, daß wir der Anspielung bereits be- gegnet sind. Beim Doppelsinn nämlich; wenn von den zwei Bedeutungen, die in demselben Wort ihren Ausdruck finden, die eine als die häufigere und gebräuchlichere so sehr im Vordergrunde steht, daß sie uns an erster Stelle einfallen muß, während die andere als die entlegenere zurücksteht, so wollten wir diesen Fall als Doppelsinn mit Anspielung bezeichnen. Bei einer ganzen Reihe der bisher untersuchten Beispiele hatten wir an- gemerkt, daß deren Technik keine einfache sei und erkennen nun die Anspielung als deren komplizierendes Moment. (Z. B. vgl. etwa den Umordnungswitz von der Frau, die sich etwas zurück- gelegt und dabei viel verdient hat, oder den Widersinnswitz bei der Gratulation zum jüngsten Kind, es sei merkwürdig, was Menschenhände alles vermögen, S. 45.)

In der amerikanischen Anekdote haben wir nun die An- spielung frei vom Doppelsinn vor uns und finden als ihren Charakter die Ersetzung durch etwas im Denkzusammenhange Verbundenes. Es ist leicht zu erraten, daß der verwertbare Zu- sammenhang von mehr als einer Art sein kann. Um uns nicht in der Fülle zu verlieren, werden wir nur die ausgeprägtesten Variationen und diese nur an wenigen Beispielen erörtern.

Der zur Ersetzung verwendete Zusammenhang kann ein bloßer Anklang sein, so daß diese Unterart dem Kalauer beim Wort- witz analog wird. Es ist aber nicht der Anklang zweier Worte an einander, sonder ganzer Sätze, charakteristischer Wortverbin- dungen u. dgl.

Z. B. Lichtenberg hat den Spruch geprägt : „N e u e Bäder heilen gut", der uns sofort an das Sprichwort erinnert: Neue Besen kehren gut, mit dem er die ersten anderthalb Worte, das letzte und die ganze Struktur des Satzes gemeinsam hat. Er ist auch sicherlich im Kopfe des witzigen Denkers als Nach- bildung des bekannten Sprichwortes entstanden. Der Spruch Lichtenberg's wird so zur Anspielung auf das Sprichwort. Mittels dieser Anspielung wird uns etwas angedeutet, was nicht gerade heraus gesagt wird, daß an der Wirkung von Bädern auch


Anspielung. 6l

noch anderes beteiligt ist als das in seinen Eigenschaften sich gleich bleibende Thermalwasser.

Ähnlich ist ein anderer Scherz oder Witz von L i c h t e n b c r g technisch aufzulösen: Ein Mädchen, kaum zwölf Moden alt. Das klingt an die Zeitbestimmung „zwölf Monden" (i. e. Monate) an und war vielleicht ursprünglich ein Schreib- fehler für letzteren, in der Poesie zulässigen Ausdruck. Aber es hat einen guten Sinn, die wechselnde Mode anstatt des wechseln- den Mondes zur Altersbestimmung für ein weibliches Wesen zu verwenden.

Der Zusammenhang kann in der Gleichheit bis auf eine einzige leichte Modifikation bestehen. Diese Technik läuft also wiederum einer Worttechnik parallel. Beide Arten von Witzen rufen fast den gleichen Eindruck hervor, doch sind sie nach den Vorgängen bei der Witzarbeit besser von einander zu trennen.

Als Beispiel eines solchen Wortwitzes oder Kalauers: Die ^roße, aber nicht nur durch den Umfang ihrer Stimme berühmte Sängerin Marie Wilt erfuhr die Kränkung, daß man den Titel eines aus dem bekannten Roman von J. V e r n e gezogenen Theaterstückes zu einer Anspielung auf ihre Mißgestalt verwendete : „Die Reise um die Wilt in 80 Tagen."

Oder: „Jede Klafter eine Königin," eine Modifikation des bekannten Shakespeare' sehen „Jeder Zoll ein König" und eine Anspielung auf dieses Zitat, auf eine vornehme und über- lebensgroße Dame bezogen. Es wäre wirklich nicht viel Ernst- haftes dagegen zu sagen, wenn jemand diesen Witz vielmehr zu den Verdichtungen mit Modifikation (S. 15) als Ersatzbildung stellen würde. (Vgl. t^te-h-bete.)

Von einer hochstrebenden, aber in der Verfolgung ihrer Ziele eigensinnigen Person sagte ein Freund; „Er hat ein Ideal vor dem Kopf." „Ein Brett vor dem Kopf haben," ist die geläufige Redensart, auf welche diese Modifikation anspielt und deren Sinn sie für sich selbst in Anspruch nimmt. Auch hier kann man die Technik als Verdichtung mit Modifikation be- schreiben.

Fast ununterscheidbar werden Anspielung durch Modifikation und Verdichtung mit Ersatzbildung, wenn sich die Modifikation auf die Veränderung von Buchstaben einschränkt, z. B. Dichteritis. Die Anspielung auf die böse Seuche der Diphtherhis stellt auch das Dichten Unberufener als gemeingefährlich hin.


62 U. Die Technik des Witzes.

Die Negationspartikeln ermöglichen sehr schöne Anspielungen mit geringen Abänderungskosten:

„Mein U n glaubensgenosse Spinoza" sagt Heine. „Wir von Gottes LI n gnaden Taglöhner, Leibeigene, Neger, Fron- knechte" usw. . . . beginnt bei Lichtenberg ein nicht weiter ausgeführtes Manifest dieser Unglücklichen, die jedenfalls auf solche Titulatur mehr Anrecht haben als Könige und Fürstlichkeiten auf die unmodifizierte.

Eine Form der Anspielung ist schließlich auch die A u s- 1 a s s u n g, der Verdichtung ohne Ersatzbildung vergleichbar. Eigentlich wird bei jeder Anspielung etwas ausgelassen, nämlich die zur Anspielung hinführenden Gedankenwege. Es kommt nur darauf an, ob die Lücke das Augenfälligere ist oder der die Lücke teilweise ausfüllende Ersatz in dem Wortlaut der Anspielung. So kämen wir über eine Reihe von Beispielen von der krassen Aus- lassung zur eigentlichen Anspielung zurück.

Auslassung ohne Ersatz findet sich in folgendem Beispiel: In Wien lebt ein geistreicher und kampflustiger Schriftsteller, der sich durch die Schärfe seiner Invektive wiederhoh körperliche Mißhandlungen von Seiten der Angegriffenen zugezogen hat. Als einmal eine neue Missetat eines seiner habituellen Gegner beredet wurde, äußerte ein Dritter :WennderX. dashört, bekommt er wieder eine Ohrfeige. Zur Technik dieses Witzes ge- hört zunächst die Verblüffung über den scheinbaren Widersinn, denn eine Ohrfeige bekommen, leuchtet uns als unmittelbare Folge davon, daß man etwas gehört hat, keineswegs ein. Der Widersinn vergehl, wenn man in die Lücke einsetzt: dann schreibt er einen so bissigen Artikel gegen den Betreffenden, daß usw. Anspielung durch Auslassung und Widersinn sind also die technischen Mittel dieses Witzes.

Heine: „Er lobt sich so stark, daß die Räucher- kerzchen im Preise steigen." Diese Lücke ist leicht aus- zufüllen. Das Ausgelassene ist durch eine Folgerung ersetzt, die nun als Anspielung auf dasselbe zurückleitet. Eigenlob stinkt. Nun wieder einmal die beiden Juden vor dem Badehause I „Schon wieder ein Jahr vergangen! seufzt der eine." Diese Beispiele lassen wohl keinen Zweifel bestehen, daß die Auslassung zur Anspielung gehört.

Eine immer noch auffällige Lücke findet sich in nachstehen- dem Beispiel, das doch ein echter und richtiger Anspielungswitz ist. Nach einem Künstlerfest in Wien wurde ein Scherzbuch


Anspielung Murch Auslassung. 63

herausgegeben, in welchem unter anderen folgender, höchst merk- würdiger Sinnspruch verzeichnet stand:

„E ine Frau ist wie ein Regenschirm. Man nimmt sich dann doch einen Komfortabel."

Ein Regenschirm schützt nicht genug vor dem Regen. Das ,,dann doch" kann nur heißen: wenn es tüchtig regnet, und ein Komfortabel ist ein öffentliches Fuhrwerk. Da wird es aber hier mit der Form des Gleichnisses zu tun haben, wollen wir die ein- gehendere Untersuchung dieses Witzes auf einen spateren Moment verschieben.

Ein wahres Wespennest der stachligsten Anspielungen, ent- halten H eine's „Bader von Lucca", die von dieser Form des Witzes die kunstvollste Verwendung zu polemischen Zwecken (gegen den Grafen P 1 a t e n) machen. Lange zuvor, ehe der Leser diese Verwendung ahnen kann, wird einem gewissen Thema, das sich zur direkten Darstellung besonders schlecht eignet, durch Anspielungen aus dem mannigfaltigsten Material präludiert, z. B. in den Wort Verdrehungen des Hirsch-Hyacinth: „Sie sind zu korpulent und ich bin zu mager, Sie haben viel Einbildung und ich habe desto mehr Geschäftssinn, ich bin ein Praktikus und Sie sind ein Diarrhetikus, kurz und gut, Sie sind ganz mein Anti p o d e x." ~ „Venus U r i n i a" — die dicke Gudel vom Dreck- wall in Hamburg — u. dgl., dann nehmen die Begebenheiten, von denen der Dichter erzählt, eine Wendung, die zunächst nur von dem unartigen Mutwillen des Dichters zu zeugen scheint, bald aber ihre symbolische Beziehung zur polemischen Absicht enthüllt und sich somit gleichfalls als Anspielung kundgibt. End- lich bricht der Angriff auf Platen los und nun sprudeln und quellen die Anspielungen auf das bereits bekannt gewordene Thema der Männerliebe des Grafen aus jedem der Sätze, die Heine gegen das Talent und den Charakter seines Gegners richtet, z. B.:

,,Wemi auch die Musen ihm nicht hold sind, so hat er doch den Genius der Sprache in seiner Gewalt, oder vielmehr er weiß ihm Gewalt anzutun ; denn die freie Liebe dieses Genius fehlt ihm, er muß auch diesem Jungen beharrlich nachlaufen, und er weiß nur die äußeren Formen zu erfassen, die trotz ihrer schönen Rundung sich nie edel aussprechen."

„Es geht ihm dann wie dem Vogel Strauß, der sich hin- länglich verborgen glaubt, wenn er den Kopf in den Sand ge- steckt, so daß nur der Steiß sichtbar wird. Unser erlauchter Vogel hätte besser getan, wenn er den Steiß in den Sand ver- steckt und uns den Kopf gezeigt hätte."


64 n. Die Technik des Witzes.

Die Anspielung" ist vielleicht das gebräuchlichste und am leichtesten zu handhabende Mittel des Witzes und liegt den meisten der kurzlebigen Witzproduktionen zu Grunde, die wir in unsere Unterhaltung cinzuflechten gewöhnt sind, und welche eine Ab- lösung von diesem Mutterboden und selbständige Konservierung nicht vertragen. Gerade bei ihr werden wir aber von neuem An jenes Verhältnis gemahnt, das begonnen hat, uns an der Schätzung der Witztechnik irre zu machen. Auch die Anspielung ist nicht etwa an sich witzig, es gibt korrekt gebildete Anspielungen, die auf diesen Charakter keinen Anspruch haben. Witzig ist nur die ,, witzige" Anspielung, so daß das Kennzeichen des Witzes, das wir bis in die Technik verfolgt haben, uns dort wieder entschwindet.

Ich habe die Anspielung gelegentlich als „indirekte Dar- stellung" bezeichnet und werde nun darauf aufmerksam, daß man sehr wohl die verschiedenen Arten der Anspielung mit der Darstellunf^ durch's Gegenteil und mit den noch zu erwähnenden Techniken zu einer einzigen großen Gruppe vereinigen kann, für v/elche „indirekte Darstellung" der umfassendste Namen wäre. Denkfehler — Unifizierung — indirekte Dar- stellung heißen also die Gesichtspunkte, unter welche sich die uns bekannt gewordenen Techniken des Gedankenwitzes bringen ließen.

Bei fortgesetzter Untersuchung unseres Materials glauben v/ir nun eine neue Unterart der indirekten Darstellung zu er- kennen, die sich scharf charakterisieren, aber nur durch wenige Beispiele belegen läßt. Es ist dies die Darstellung durch ein Kleines oder Kleinstes, welche die Aufgabe löst, einen ganzen Charakter durch eiii winziges Detail zum vollen Ausdruck zu bringen. Die Anreihung dieser Gruppe an die Anspielung wird durch die Erwägung ermöglicht, daß ja diese Winzigkeit mit dem Darzustellenden in Zusammenhang steht, sich als Folgerung aus ihm ableiten läßt, z. B.:

„Ein galizischer Jude fährt in der Eisenbahn und hat es sich recht bequem gemacht, den Rock aufgeknöpft, die Füße auf die Bank gelegt. Da steigt ein modern gekleideter Herr ein. Sofort nimmt sich der Jude zusammen, setzt sich in bescheidene Positur. Der Fremde blättert in einem Buch, rechnet, besinnt sich und richtet plötzlich an den Juden die Frage: Ich bitte Sie, wann haben wir Jomkipur? (Versöhnungstag.) Aesoi, sagt der Jude und legt die Füße wieder auf die Bank, ehe er Antwort ^bt."


Darstellung durch ein Kleines. — Gleichnis. 65

Es wird nicht abzuweisen sein, daß diese Darstellung durch ein Kleines an die Tendenz zur Ersparnis anknüpft, welche wir nach der Erforschung der Wortwitztechnik als das letzte Gemein- same übrig" behalten haben.

Ein ganz ähnliches Beispiel ist folgendes :

„Der Arzt, der gebeten worden ist, der I'"rau Baronin bei ihrer Entbindung beizustehen, erklärt den Moment für noch nicht gekommen und schlägt dem Baron unterdes eine Kartenpartie im Nebenzimmer vor. Nach einer Weile dringt der Wehruf der Frau Baronin an das Ohr der beiden Männer. „Ah mon dieu, que je souffrc!" Der Gemahl springt auf, aber der Arzt wehrt ab: Es ist nichts, spielen wir weiter. Eine Wcilc später hört man die Kreißende wieder: „Mein Gott, mein G o 1 1, was für Schmerzen 1" — Wollen Sic nicht hineingehen, Herr Professor? fragt der Baron. — Nein, nein, es ist noch nicht Zeit. — Endlich hört man aus dem Nebenzimmer ein unverkennbares: .,Ai, waih, waih geschrieen"; da wirft der Arzt die Karten weg und sagt: Es ist Zeit,"

Wie der Schmerz durch alle Schichtungen der Erziehung die ursprüngliche Natur durchbrechen läßt, und wie eine wichtige Entscheidung mit Recht von einer scheinbar belanglosen Äußerung abhängig gemacht wird, das zeigt beides dieser gute Witz an dem Beispiel der schrittweisen Veränderung der Klagerufe bei der gebärenden vornehmen Frau.


Eine andere Art' der indirekten Darstellung, deren sich der Witz bedient, das Gleichnis, haben wir uns solange aufgespart, weil dessen Beurteilung auf neue Schwierigkeiten stößt, oder Schwierigkeiten, die sich schon bei anderen Gelegenheiten ergeben haben, besonders deutlich erkennen läßt. Wir haben schon vorhin eingestanden, daß wir bei manchen zur Untersuchung vorliegen- den Beispielen ein Schwanken, ob sie überhaupt den Witzen zu- zurechnen seien, nicht zu bannen vermögen, und haben in dieser Unsicherheit eine bedenkliche Erschütterung der Grundlagen unserer Untersuchung erkannt. Bei keinem anderen Material empfinde ich aber diese Unsicherheit stärker und häufiger als bei den Gleichnis witzen. Die Empfindung, welche mir — und wahrscheinlich einer großen Anzahl Anderer unter den nämlichen Bedingunger wie mir — zu sagen pflegt: Dies ist ein Witz, dies darf man für einen Witz ausgeben, noch ehe der verborgene wesentliche Charakter des Witzes entdeckt ist; diese Empfindung

Freud, Der Witz. 5


65 TI, Die Technik des Witzes.

läßt mich bei den witzigen Vergleichen am ehesten im Stiche. Wenn ich den Vergleich zuerst ohne Bedenken für einen Witz erklärt habe, so glaube ich einen Augenblick später zu bemerken, daß das Vergnügen, das er mir bereitet, von anderer Qualität ist, als welches ich einem Witz zu verdanken pflege, und der Umstand, daß die witzigen Vergleiche nur sehr selten das ex- plosionsartige Lachen hervorzurufen vermögen, durch welches sich ein guter Witz bezeugt, macht es mir unmöglich, mich dem Zweifel wie sonst zu entziehen, indem ich mich auf die besten und effekt- vollsten Beispiele der Gattung einschränke.

Daß es ausgezeichnet schöne und wirksame Beispiele von Gleichnissen gibt, die uns den Eindruck des Witzes keineswegs machen, ist leicht zu zeigen. Der schöne Vergleich der durch- gehenden Zärtlichkeit in Ottilien's Tagebuch mit dem roten Faden der englischen Marine (s. S. 13) ist ein solcher; auch ein anderes, das zu bewundern ich noch nicht müde geworden bin und dessen Eindruck ich nicht überwunden habe, kann ich mir nicht ver- sagen, im gleichen Sinne anzuführen. Es ist das Gleichnis, mit welchem Ferd. L a s s a II e eine seiner berühmten Verteidigungs- reden (Die Wissenschaft und die Arbeiter) geschlossen hat: „Ein Mann, welcher, wie ich Ihnen dies erklärt habe, sein Leben dem Wahlspruch gewidmet hat „Die Wissenscliaft und die Arbeiter", dem würde auch eine Verurteilung, die er auf seinem Wege findet, keinen anderen Eindruck machen können, als etwa das Springen einer Retorte dem in seine wissenschaft- lichenExperimentevertieften Chemiker. Mitein em >

leisen Stirnrunzeln über den Widerstand der Ma- terie, setzt er, sowie die Störung beseitigt ist, ruhig seine Forschungen und Arbeiten fort."

Eine reiche Auswahl von treffenden und witzigen Gleichnissen findet man in den Schriften Lichte nb erg's (IL B. der Göttinger Ausgabe, 1853); von dort will ich auch das Material für unsere Untersuchung entnehmen.

„Es ist fast unmöglich, die Fackel der Wahr- heit durch ein Gedränge zu tragen, ohne jemandem den Bart zu sengen."

Das erscheint wohl witzig, aber bei näherem Zusehen merkt man, daß die witzige Wirkung nicht vom Vergleich selbst, sondern von einer Nebeneigenschaft desselben ausgeht. Die „Fackel der Wahrheit ist eigentlich kein neuer Vergleich, sondern ein längst gebräuchlicher und zur fixierten Phrase herabgesunken, wie es immer zutrifft, wenn ein Vergleich Glück hat und vom Sprach-



?'


Zweifel bei witzigen Vergleichen. 67

gebrauch akzeptiert wird. Während wir in der Redensart „die Fackel der Wahrheit" den Vergleich kaum mehr bemerken, wird ihm bei Lichtenberg die ursprüngliche Vollkraft wiedergegeben, da nun auf dem Vergleich weiter gebaut, eine Folgerung aus ihm gezogen wird. Solches Vollnehmen abgeblaßter Redensarten ist uns aber als Technik des Witzes bereits bekannt, es findet seine Stelle bei der mehrfachen Verwendung des näm- lichen Materials (s. S. 23). Es könnte sehr wohl sein, daß der witzige Eindruck des Lieh t enb erg'schcn Satzes nur von der Anlehnung; an diese Witztechnik herrührt.

Dieselbe Beurteilung wird gewiß auch für einen anderen witzigen Vergleich desselben Autors gelten können:

„Ein großes Licht war der Mann eben nicht, aber ein großer Leuchter . . , , Er war Professor der Philosophie."

Einen Gelehrten ein großes Licht, ein „lumen mundi", zu heißen, ist längst kein wirksamer Vergleich mehr, mag er ur- sprünglich als Witz gewirkt haben oder nicht. Aber man frischt den Vergleich auf, man gibt ihm seine Vollkraft wieder, indem man eine Modifikation aus ihm ableitet und solcher Art einen zweiten, neuen, Vergleich aus ihm gewinnt. Die Art, wie der zweite Vergleich entstanden ist, scheint die Bedingung des Witzes zu enthalten, nicht die beiden Vergleiche selbst. Es wäre dies ein Fall der nämlichen Witzteclinik wie im Beispiele von der Fackel.

Auü einem anderen, aber ähnlich zu beurteilenden Grunde erscheint folgender Vergleich als witzig :

„Ich sehe die Rezensionen als eine Art von Kinder- krankheit an, die die neugeborenen Bücher mehr oder weniger befällt. Man hat Exempel, daß die gesündesten daran sterben, und die schwächlichen oft durchkommen. Manche bekommen sie gar nicht. Man hat oft versucht, ihnen durch Amulette von Vorrede und Dedikation vorzubeugen, oder sie gar durch eigene Urteile zu makulieren; es hilft aber nicht immer."

Der Vergleich der Rezensionen mit den Kinderkrankheiten ist zuerst nur auf das Befallenwerden, kurz nachdem sie das Licht der Welt erblickt haben, gegründet. Ob er soweit witzig ist, ge- traue ich mich nicht zu entscheiden. Aber dann wird er fort- geführt; es ergibt sich, daß die weiteren Schicksale der neuen Bücher innerhalb des Rahmens des nämlichen Gleichnisses oder durch angelehnte Gleichnisse dargestellt werden können. Solche Fortsetzung einer Vergleichung ist unzweifelhaft witzig, aber wir wissen bereits, dank welcher Technik sie so erscheint; es ist ein Fall von Unifizierung, Herstellung eines ungeahnten 2u-


{^g II. Die Technik des Witzes.

sammenhanges. Der Charakter der Unifizier ung wird aber da- durch nicht geändert, daß dieselbe hier in der Anreihung an ein erstes Gleichnis besteht.

Bei einer Reihe anderer Vergleichungen ist man versucht, den unleugbar vorliegenden witzigen Eindruck auf ein anderes Moment zu schieben, welches wiederum mit der Natur des Gleichnisses an sich nichts zu tun hat. Es sind dies Vergleichungen, die eine auffällige Zusammenstellung, oft eine absurd klingende Vereinigung enthalten, oder sich durch eine solche als Ergebnis des Vergleiches ersetzen. Die Mehrzahl der L ic ht enb e r g'schen Beispiele gehören dieser Gruppe an.

„Es ist Schade, daß man bei Schriftstellern die gelehrten Eingeweide nicht sehen kann, um zu erforschen, was sie gegessen haben." „Die gelehrten Eingeweide," das ist eine verblüffende, eigentlich absurde Attribuierung, die sich erst durch die Ver- gleichung aufklärt. Wie wäre es, wenn der witzige Eindruck dieses Vergleiches ganz und voll auf den verblüffenden .Charakter dieser Zusammenstellung zurückginge? Dies entspräche einem der uns gut bekannten Mittel des Witzes, der Darstellung durch Wider- sinn.

Lichtenberg hat dieselbe Vergleichung der Aufnahme von Lese- und Lernstoff mit der Aufnahme von physischer Nahrung auch zu einem anderen Witz verwendet :

„Er hielt sehr viel vom Lernen auf der Stube und war also gänzlich für gelehrte Stallfütterung."

Die nämliche absurde oder mindestens auffällige Attribuierung, welche, wie wir zu merken beginnen, der eigentliche Träger des Witzes ist, zeigen andere Gleichnisse desselben Autors:

„Das ist die Wetterseite meiner moralischen Kon- stitution, da kann ich etwas aushalten."

„Jeder Mensch hat auch seine moralische Backside, die er nicht ohne Not zeigt und die er so lange als möglich mit den Hosen des guten Anstandes zudeckt."

Die „moralische Backside", das ist die auffällige Attribuierung, die als Resultat einer Vergleichung da steht. Dazu kommt aber eine Fortführung des Vergleiches mit einem regelrechten Wort- spiel („Not") und einer zweiten noch ungewöhnlicheren Zu- sammenstellung („Die Hosen des guten Anstandes"), die vielleicht selbst an sich witzig ist, demi die Hosen werden dadurch, daß sie die Hosen des guten Anstandes sind, selbst gleichsam witzig. Es darf uns dann nicht Wunder nehmen, wenn wir vom Ganzen den Eindruck eines sehr witzigen Vergleiches empfangen, wir be-


Sonderbare Attribuierungen.


69


ginnen zu merken, daß wir ganz allgemein dazu neigen, einen Charakter, welcher nur an einem Teil des Ganzen haftet, in unserer Schätzung auf dieses Ganze auszudehnen, Die „Hosen des guten Anslandes" erinnern übrigens an einen ähnlichen verblüffenden Vers von Heine:

„Bis mir endlich alle Knöpfe rissen an der Hose der Geduld."

Es ist unverkennbar, daß diese beiden letzten Vergleichungen einen Charakter an sich tragen, den man nicht an allen guten, d. h. zutreffenden Gleichnissen wiederfinden kann. Sie sind in hohem Grade „herabziehend", konnte man sagen, sie stellen ein Ding hoher Kategorie, ein Abstraktum (hier: den guten An- stand, die Geduld) mit einem Ding sehr konkreter Natur und selbst niedriger Art (der Hose) zusammen. Ob diese Eigentüm- lichkeit etwas mit dem Witz zu schaffen hat, werden wir noch in einem anderen Zusammenhange in Erwägung ziehen müssen. Versuchen wir hier ein anderes Beispiel, in dem der herabziehende Charakter ganz besonders deutlich ist, zu analysieren. Der Kommis Weinberl in N e s t r o y's Posse „Einen Jux will er sich mache n", der sich ausmalt, wie er einmal als solider alter Handelsherr seiner Jugendtage gedenken wird, sagt : „Wenn so im traulichen Gespräch das Eis auf g'h ackt wird vor dem Magazin der Erinnerung, wann die G'w Ö 1 b t ü r der Vorzeit wieder auf g's perrt und die Pudel der Ph an- tasie voll ang'raumt wird mit Waren von ehemals." Das sind sicherlich Vergleichungen von Abstrakten mit sehr gewöhnlichen konkreten Dingen, aber der Witz hängt — aus- schließlich oder nur zimi Teile — an dem Umstand, daß ein Kommis sich dieser Vergleichungen bedient, die aus dem Bereiche seiner alltäglichen Tätigkeit genommen sind. Das Abstrakte aber in Beziehung zu diesem Gewöhnlichen, das ihn sonst ausfüllt, zu bringen, ist ein Akt von Unifizierung.

Kehren wir zu den Li c htenb er g'schen Vergleichen zurück.

„Die Bewegungsgründe,*) woraus man etwas tut, könnten so wie die 32 Winde geordnet und ihre Namen auf eine ähnliche Art formiert werden, z. B. Brot— Brot— Ruhm, oder R uhm — -Ruh m — B rot."

Wie so häufig bei den Lieh tenber g'schen Witzen ist auch hier der Eindruck des Treffenden, Geistreichen, Scharfsinnigen so vorherrschend, daß unser Urteil über den Charakter des Witzigen hiedurch irre geführt wird. Wenn in einem solchen Ausspruch

"0 Wir würden heute: Beweggründe, Motive sagen.


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II. Die Technik des Witzes.


etwas Witz sich dem ausgezeichneten Sinn beimengt, werden wir wahrscheinlich verleitet, das Ganze für einen vortrefflichen Witz zu erklären. Ich möchte vielmehr die Behauptung wagen, daß alles, was hieran wirklich witzig ist, aus dem Befremden über die sonderbare Kombination „Brot— Brot— Ruhm" hervorgeht. Also als Witz eine Darstellung durch Widersinn.

Die sonderbare Zusammenstellung oder absurde Attribuierung kann als Ergebnis eines Vergleiches für sich allein hingestellt

werden :

Lichtenberg: Eine zweischläfrige Frau — Ein einschläfriger Kirchenstuhl. Hinter beiden steckt der Vergleich mit einem Bett, bei beiden wirkt außer der Verblüffung noch das technische Moment der Anspielung mit, das eine Mal an die einschläfernde Wirkung von Predigten, das andere Mal an das nie zu erschöpfende Thema der geschlechtlichen Be- ziehungen.

Haben wir bisher gefunden, daß eine Vergleichung, so oft sie uns witzig erschien, diesen Eindruck der Beimengung einer der uns bekamiten Witztechniken verdankte, so scheinen einige andere Beispiele endlich dafür zu zeugen, daß ein Vergleich auch an und für sich witzig sein kann.

Lichtenberg's Charakteristik gewisser Oden:

„Sie sind das in der Poesie, was Jakob Böhm's unsterbliche Werke in Prose sind, eine Art von Pickenick, wobei der Verfasser die Worte, und der Leser den Sinn stellen."

„Wenn er philosophiert, so wirft er gewöhnlich ein an- genehmes Mondlicht über die Gegenstände, das im ganzen gefällt, aber nicht einen einzigen Gegenstand deutUch zeigt."

Oder Heine: „Ihr Gesicht glich einem Kodex palimpsestus, wo unter der neuschwarzen Mönchs- schrift eines Kirchenvatertextes die halb erlosche- nen Verse eines altgriechischen Liebesdichters her vor lau sehen."

Oder die fortgesetzte Vergleichung mit starker herabsetzen- der Tendenz, in den „Bädern von Lucca".

„Der katholische Pfaffe treibt es mehr wie ein Kommis, der in einei großen Handlung angestellt ist ; die Kirche, das große Haus, dessen Chef der Papst ist, gibt ihm bestimmte Be- schäftigung und dafür ein bestimmtes Salär; er arbeitet lässig, wie jeder, der nicht für eigene Rechnung arbeitet, und viele Kollegen hat, und im großen Geschäftstreiben leicht unbemerkt bleibt —


Zusammenfassung über die Witztechnik. 71

nur der Kredit des Hauses liegt ihm am Herzen, und noch mehr dessen Erhaltung, da er bei einigem etwaigen Bankerott seinen Lebensunterhalt verlöre. Der protestantische Pfaffe hin- gegen ist überall selbst Prinzipal, und treibt die Religionsgeschäfie für eigene Rechnung. Er treibt keinen Großhandel wie sein katholischer Gewerbsgenosse, sondern nur einen Kleinhandel; und da er demselben allein vorstehen muß, darf er nicht lässig sein, er muß seine Glaubensartikel den Leuten anrühmcn, die Artikel seiner Konkurrenten herabsetzen, und als echter Klein- händler steht er in seiner Ausschnittbude, voll von Gewerbsneid gegen alle großen Häuser, absonderlich gegen das große Haus in Rom, das viele tausend Buchhalter und Packknechtc besoldet und seine Faktoreien hat in allen vier Weltteilen."

Angesichts dieser, wie vieler anderer Beispiele können wir doch nicht mehr in Abrede stellen, daß ein Vergleich auch an sich witzig sein mag, ohne daß dieser Eindruck auf eine Kom- plikation mit einer der bekannten Witztechniken zu beziehen wäre. Es entgeht uns aber dann völlig, wodurch der witzige Charakter des Gleichnisses bestimmt ist, da er gewiß nicht am Gleichnis als Ausdrucksform des Gedankens oder an der Operation des Vergleichens haftet. Wir können nicht anders als das Gleichnis unter die Arten der „indirekten Darstellung" aufnehmen, deren sich die Witztechnik bedient, und müssen das Problem unerledigt lassen, das uns behn Gleichnis weit deutlicher als bei den früher behandelten Mitteln des Witzes entgegen getreten ist. Es muß wohl auch seinen besonderen Grund haben, wenn uns die Ent- scheidung, ob etwas ein Witz ist oder nicht, beim Gleichnis mehr Schwierigkeiten bereitet als bei anderen Ausdrucksformen.

Einen Grund aber uns zu beklagen, daß diese erste Unter- suchung ergebnislos verlaufen sei, bietet uns auch diese Lücke in unserem Verständnis nicht. Bei dem intimen Zusammenhang, den wir den verschiedenen Eigenschaften des Witzes zuzuschreiben bereit sein mußten, wäre es unvorsichtig gewesen zu erwarten, wir könnten eine Seite des Problems voll aufklären, ehe wir noch einen Blick auf die anderen geworfen haben. Wir werden das Problem nun wohl an anderer Stelle angreifen müssen.

Sind wir sicher, daß keine der möglichen Techniken des Witzes unserer Untersuchung entgangen ist? Das wohl nicht, aber wir können uns bei fortgesetzter Prüfung an neuem Material über- zeugen, daß wir die häufigsten und wichtigsten technischen Mittel der Witzarbeit kennen gelernt haben, 2um mindesten so viel, als zur Schöpfung eines Urteils über die Natur dieses psychischen Vor-


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72


11. Die Technik des Witi;es.


ganges erfordert wird. Ein solches Urteil steht gegenwärtig noch aus; hingegen sind wir in den Besitz einer wichtigen Anzeige gelangt, von welcher Richtung wir eine weitere Aufklärung des Problems 2U erwarten haben. Die interessanten Vorgänge der Verdichtung mit Ersatzbildung, die wir als den Kern der Technik des Wortwitzes erkannt haben, wiesen uns auf die Traumbildung hin, in deren Mechanismus die nämlichen psychischen Vorgänge aufgedeckt worden sind. Eben dahin weisen aber auch die Techniken des Gedankenwitzes, die Verschiebung, die Denkfehler, der Widersinn, die indirekte Darstellung, die Darstellung durch's Gegenteil, die samt und sonders in der Technik der Traumarbeit wiederkehren. Der Verschiebung verdankt der Traum das be- fremdende Ansehen, das uns abhält, in ihm die Fortsetzung unserer Wachgedanken zu erkennen; die Verwendung von Wider- sinn und Absurdität im Traum hat ihn die Würde eines psychi- schen Produkts gekostet und hat die Autoren yerleitet, Zerfall der geistiger Tätigkeiten, Sistierung von Kritik, Moral und Logik als Bedingungen der Traumbildung anzunehmen. Die Darstellung durch's Gegenteil ist im Traum so gebräuchlich, daß selbst die populären, gänzlich irre gehenden, Traumdeutungsbücher mit ihr ZU rechnen pflegen ; die indirekte Darstellung, der Ersatz des Traumgedankens durch eine Anspielung, ein Kleines, eine dem Gleichnis analoge Symbolik, ist gerade das, was ,die Ausdrucks- weise des Traumes von der unseres wachen Denkens unter- scheidet.*) Eine so weitgehende Übereinstimmung wie die zwischen den Mitteln der Witzarbeit und denen der Traumarbeit wird kaum eine zufällige sein können. Diese Übereinstimmung ausführlich nachzuweisen und ihrer Begründung nachzuspüren, wird eine unserer späteren Aufgaben werden.


  • l Vrgl. meine „Traumdeutung", Abschnitt VI, Traumarbeit.


III. Die Tendenzen des Witzes.

Als ich zu Ende des vorigen Abschnittes den Hein e'schen Vergleich des katholischen Priesters mit einem Angestellten einer Großhandlung und des protestantischen mit einem selbständigen Kleinhändler niederschrieb, verspürte ich eine Hemmung, die mich bestimmen wollte, dieses Gleichnis nicht zu verwenden. Ich sagte mir, daß sich unter meinen Lesern wahrscheinlich einige befinden würden, denen nicht nur die Religion, sondern auch deren Regie und Personal ehrwürdig sind; diese Leser würden sich nur über den Vergleich entrüsten und in einen Affektzustand geraten, der ihnen jedes Interesse für die Unterscheidung raubt, ob das Gleichnis an sich oder nur infolge irgend welcher Zutaten witzig erscheint. Bei anderen Gleichnissen, z. B. dem benachbarten von dem an- genehmen Mondlicht, welches eine gewisse Philosophie auf die Gegenstände wirft, wäre eine solche für unsere Untersuchung störende Beeinflussung eines Teiles der Leser nicht zu besorgen. Der frommgläubigste Mann bliebe in der Verfassung, sich ein Urteil über unser Problem zu bilden.

Es ist leicht, den Charakter des Witzes zu erraten, mit welchem die Verschiedenheit der Reaktion auf den Witz beim Hörer zu- sammenhängt. Der Witz ist das eine Mal Selbstzweck und dient keiner besonderen Absicht, das andere Mal stellt er sich in den Dienst einer solchen Absicht; er wird tendenziös. Nur der- jenige Witz, welcher eine Tendenz hat, läuft Gefahr auf Personen zu stoßen, die ihn nicht anhören wollen.

Der nicht tendenziöse Witz ist von Th. Vischer als „ab- strakter" Witz bezeichnet worden; ich ziehe es vor, ihn „harm- losen" Witz zu nennen.

Da wir vorhin den Witz nach dem Material, an dem seine Technik angreift, in Wort- und Gedankenwitz unterschieden haben, obliegt es uns, die Beziehung dieser Einteilung zur neu vorge- brachten zu untersuchen. Wort- und Gedankenwitz einerseits, ab- strakter und tendenziöser Witz anderseits stehen nun in keiner Relation der Beeinflussung zu einander; es sind zwei von einander völlig unabhängige Einteilungen der witzigen Produktionen. Viel- leicht könnte jemand den Eindruck empfangen haben, als seien die harmlosen Witze vorwiegend Wortwitze, während die kom-


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III. Die Tendenzen des Witzes.


plizierterc Technik des Gedankenwitzes meist von starken Ten- denzen in Dienst genommen wird; allein es gibt harmlose Witze, die mit Wortspiel und Gleichklang arbeiten, und ebenso harmlose, die sich aller Mittel des Gedanken witzes bedienen. Nicht minder leicht zu zeigen ist, daß der tendenziöse Witz der Technik jiach nichts anderes als ein Wortwitz zu sein braucht. So z. B. sind Witze, die mit Eigennamen „spielen", häufig von beleidigender, verletzender Tendenz, sie gehören selbstredend zu den Wortwitzen. Die harmlosesten aller Witze sind aber auch wieder Wortwitze, z. B. die neuerdings beliebt gewordenen Schüttelreime, in denen die mehrfache Verwendung desselben Materials mit einer ganz eigentümlichen Modifikation die Technik darstellt : „Und weil er Geld in Menge hatte, lag stets er in der Hängematte."

Es wird hoffentlich niemand in Abrede stellen, daß das Wohl- gefallen an dieser Art von sonst anspruchslosen Reimen das näm- liche ist, an dem wir den Witz erkennen.

Gute Beispiele von abstrakten oder harmlosen Gedankenwitzen findet man reichlich unter den Lichtenbcr g'schen Ver- gleichungen, von denen wir einige bereits kennen gelernt haben. Ich füge einige weitere hinzu:

,,Sie hatten ein Oktavbändchen nach Göttingen geschickt und an Leib und Seele einen Quartanten wieder bekommen."

„Um dieses Gebäude gehörig aufzuführen, muß vor allen Dingen ein ^uter Grund gelegt werden, und da weiß ich keinen festeren, als wenn man über jede Schicht pro gleich eine Schicht kontra aufträgt."

„Einer zeugt den Gedanken, der andere hebt ihn aus der Taufe, der dritte zeugt Kinder mit ihm, der vierte besucht ihn auf dem Sterbebette und der fünfte begräbt ihn." (Gleichnis mit Unifizierung.)

„Er glaubte nicht allein keine Gespenster, sondern er fürchtete sich nicht einmal davor." Der Witz liegt hier ausschließlich an der widersinnigen Darstellung, die das gewöhnlich für geringer Geschätzte in den Komparativ setzt, das für bedeutsamer Gehaltene zum Positiv nimmt. Mit Verzicht auf diese witzige Einkleidung hieße es: es ist viel leichter, sich mit dem Verstand über die Gespensterfurcht hinweg- zusetzen, als sich ihrer bei vorkommender Gelegenheit zu erwehren. Dies ist gar nicht mehr witzig, wohl aber eine richtige und noch


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Harmloser und tendenziöser Witz.


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zu wenig gewürdigte psychologische Erkenntnis, die nämliche, der Lessjng in den bekannten Worten Ausdruck gibt: „Es: sind nicht alle frei, die ihrer Ketten spotten."

Ich kann die Gelegenheit, die sich hier bietet, ergreifen, um ein immerhin mögliches Mißverständnis wegzuräumen. „Harm- loser" oder „abstrakter" Witz soll nämlich keineswegs gleich- bedeutend sein mit „gehahlosem" Witz, sondern eben nur den Gegensatz zu den später zu besprechenden „tendenziösen" Witzen bezeichnen. Wie obiges Beispiel zeigt, kann ein harmloser, d. i. tendenzloser Witz auch sehr gehahvoU sein, etwas Wertvolles aus- sagen. Der Gehalt eines Witzes ist aber vom Witz unabhängig und ist der Gehalt des Gedankens, der hier durch eine besondere Veranstaltung witzig ausgedrückt wird. Freilich so wie die Uhr- macher ein besonders gutes Werk auch mit einem kostbaren Ge- häuse auszustatten pflegen, mag es auch beim Witz vorkommen, daß die besten Witzleistungen gerade zur Einkleidung der gehah- voUsten Gedanken benützt werden.

Wenn wir nun scharf auf die Unterscheidung von Gedanken- gehalt und witziger Einkleidung beim Gedankenwitz achten, ^o ge- langen wir zu einer Einsicht, welche uns viel Unsicherheit in unserem Urteil über Witze aufzuklären vermag. Es stellt sich nämlich, was doch überraschend ist, heraus, daß wir unser Wohl- gefallen an einem Witz nach dem summierten Eindruck von Gehalt xmd Witzleistung abgeben und uns durch den einen Faktor über das Ausmaß des anderen geradezu täuschen lassen. Erst die Reduktion des Witzes klärt uns die Urteilstäuschung auf.

Das nämliche trifft übrigens auch beim Wortwitz zu. Wenn wir hören: „Die Erfahrung besteht darin, daß man erfährt, was man nicht wünscht erfahren zu haben"; — so sind wir ver- blüfft, glauben eine neue Wahrheit zu vernehmen, und es dauert eine Weile, bis wir in dieser Verkleidung die Platt- heit: „Durch Schaden wird man klug" (K. Fischer) erkennen. Die treffliche Witzleistung, die „Erfahrung" nahezu allein durch die Anwendung des Wortes „erfahren" zu definieren, täuscht uns so daß wir den Gehalt des Satzes überschätzen. Ebenso ergeht es uns bei dem Li ch tenberg'schen Unifizierungswitz vom lanuarius" (S. 51), der uns weiter nichts zu sagen hat. als was wir längst wissen, daß Neujahrswünsche so selten in Erfüllung gehen wie andere Wünsche, und in vielen ähnlichen Fällen.

Das Gegenteilige erfahren wir bei anderen Witzen, in denen offenbar das Treffende und Richtige des Gedankens uns gefangen nimmt, so daß wir den Satz einen glänzenden Witz heißen^ während


^6 in. Die Tendenzen des Witzes.

nur der Gedanke glänzend, die Witzleistung oft schwächlich ist. Gerade bei den Licht enb e rg'schen Witzen ist der Gedanken- kern häufig weit wertvoller als die Witzeinkleidung, auf welche wir dann die Schätzung vom ersteren her unberechtigter Weise ausdehnen. So ist z. B. die Bemerkung über die „Fackel der Wahrheit" (S. 66) ein kaum witziger Vergleich, aber sie ist so treffend, daß wir den Satz als einen besonders witzigen hervor- heben möchten.

Die Lichtenber g'schen Witze sind vor allem durch ihren Gedankeninhalt und ihre Treffsicherheit hervorragend. Goethe hat mit Recht von diesem Autor gesagt, daß seine witzigen und scherzhaften Einfälle geradezu Probleme verbergen, richtiger: an die Lösung von Problemen streifen. Wenn er z. B. als witzigen Einfall aufzeichnet :

„Er las immer Agamemnon anstatt angenommen, so sehr hatte er den Homer gelesen" (technisch: Dummheit + Wort- gleichklang), so hat er damit nichts weniger als das Geheimnis des Verlesens selbst aufgedeckt.*) Ähnlich ist der Witz, dessen Technik (S. 46) uns wohl recht unbefriedigend erschienen ist:

„Er wunderte sich, daß den Katzen gerade an der Stelle zwei Löcher in den Pelz geschnitten wären, wo sie die Augen hätten." Die Dummheit, die hier zur Schau getragen wird, ist nur eine scheinbare; in Wirk- lichkeit steckt hinter dieser einfältigen Bemerkung das große Problem der Teleologie im tierischen Aufbau; es ist gar nicht so selbstverständlich, daß die LidspaUe sich dort öffnet, wo die Hornhaut freiliegt, bis die Entwicklungsgeschichte uns dieses Zu- sammentreffen aufklärt.

Wir wollen es im Gedächtnis behalten, daß wir von einem witzigen Satz einen Gesamteindruck empfangen, in dem wir den Anteil de.s Gedankeninhalts von dem Anteil der ,Witzarbeit nicht zu sondern vermögen; vielleicht findet sich später hiezu eine noch bedeutsamere Parallele.


Für unsere theoretische Aufklärung über das Wesen des Witzes müssen uns die harmlosen Witze wertvoller sein als die tendenziösen, die gehaltlosen wertvoller als die tiefsinnigen. Harm- lose und gehaltlose Wortspiele etwa werden uns das Problem des Witzes in seiner reinsten Form entgegenbringen, weil wir bei ihnen der Gefahr der Verwirrung durch die Tendenz und der Urteils-

  • ) Vrgi, meine „Psychopathologie d. Alltagslebens". Berlin, S. Karger, 1904.


Die Lust stammt aus der Technik. yy

täuschung durch den, guten Sinn entgehen. An solchem Material kann unsere Erkenntnis einen neuen Fortschritt machen.

Ich wähle ein möglichst harmloses Beispiel von Wortwitz:

„Ein Mädchen, welches während seiner Toilette die An- kündigung eines Besuches erhält, klagt : Ach wie schade, gerade wenn man am anziehendsten ist, darf man sich nicht sehen lassen."*)

Da mir aber Bedenken aufsteigen, ob icli diesen Witz für einen tendenzlosen auszugeben das Recht habe, ersetze ich ihn durch einen anderen, herzlich einfältigen, der von solcher Ein- wendung frei sein dürfte.

„In einem Hause, wo ich zu Gast geladen bin, wird zum Schluß der Mahlzeit die R o u 1 a r d genannte Mehlspeise gereicht, deren Herstellung einiges Geschick bei der Köchin voraussetzt. Zu Hause gemacht? fragt darum einer der Gäste, und der Haus- herr antwortet; Ja gewiß, ein H ome- R o ulard" (Home-Rule).

Wir wollen diesmal nicht die Teclinik des Witzes untersuchen, sondern gedenken unsere Aufmerksamkeit einem anderen, dem wichtigsten Momente zwar, zuzuwenden. Das Anhören dieses im- provisierten Witzes bereitete den Anwesenden ein — von mir klar erinnertes — Vergnügen und machte uns lachen. In diesem wie in ungezählten anderen Fällen kann die Lustempfindung des Hörers nicht von der Tendenz und nicht vom Gcdankeninhalt des Witzes herrühren; es bleibt nichts übrig als diese Lust- empfindung mit der Technik des Witzes in Zusammenhang zu bringen. Die von uns vorhin beschriebenen technischen Mittel des Witzes — die Verdichtung, Verschiebung, indirekte Dar- stellung usw. — haben also das Vermögen, beim Hörer eine Lustempfindung hervorzurufen, wenngleich wir noch gar nicht ein- sehen können, wie ihnen dies Vermögen zukommen mag. Auf so leichte Art gewinnen wir den zweiten Satz zur Aufklärung des Witzes; der erste lautete (S. 9), daß der Charakter des Witzes an der Ausdrucksform hängt. Besinnen wir uns noch, daß der zweite Satz uns eigentlich nichts Neues gelehrt hat. Er isoliert nur was bereits in einer früher von uns gemachten Erfahrung enthalten war. Wir erinnern ja, wenn es gelang, den Witz zu reduzieren, d. h. mit sorgfähiger Erhaltung des Sinnes dessen Ausdruck durch einen anderen zu ersetzen, so war damit nicht nur der Witzcharakter, sondern auch der Lacheffekt, also das Vergnügen am Witze, aufgehoben.


  • ) R. Kleinpaul, Die Rätsel der Sprache, 1890.


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III. Die Tendenzen des Witzes,


Wir können hier nicht weiter gehen, ohne uns vorerst mit unseren philosophischen Autoritäten auseinander zu setzen.

Die Philosophen, welche den Witz dem Komischen zurechnen und das Komische selbst in der Ästhetik abhandeln, charakterisieren das ästhetische Vorstellen durch die Bedingung, daß wir dabei nichts von und mit den Dingen wollen, die Dinge nicht brauchen, um eines unserer großen Lebensbedürfnisse zu befriedigen, son- dern uns mit der Betrachtung derselben und dem Genuß der Vor- stellung begnügen. „Dieser Genuß, diese Vorstellungsart ist die rein ästhetische, die nur in sich beruht, nur in sich ihren Zweck hat und keine anderen Lebenszwecke erfüllt" (K. Fischer, S. 68).

Wir setzen uns nun kaum in Widerspruch mit diesen Worten K. Fischer's, übersetzen vielleicht nur seinen Gedanken in unsere Ausdrucksweise, wenn wir hervorheben, daß die witzige Tätigkeit doch keine zweck- oder ziellose genannt werden ,darf, da sie sich unverkennbar das Ziel gesteckt hat, Lust beim Hörer .hervorzurufen. Ich zweifle, ob wir irgend etwas zu unternehmen im stände sind, wobei eine Absicht nicht in Betracht kommt. Wenn wir unseren seelischen Apparat gerade nicht zur Erfüllung einer der unentbehr- lichen Befriedigungen brauchen, lassen wir ihn selbst auf Lust arbeiten, suchen wir Lust aus seiner eigenen Tätigkeit zu ziehen. Ich vermute, daß dies überhaupt die Bedingung ist, der alles ästhetische Vorstellen unterliegt, aber ich verstehe zu wenig von der Ästhetik, um diesen Satz durchführen zu wollen; vom Witz jedoch kann ich auf Grund der beiden vorhin gewonnenen Ein- sichten behaupten, daß er eine Tätigkeit ist, welche darauf abzielt, Lust aus den seelischen Vorgängen — intellektuellen oder an- deren — zu gewinnen. Es gibt gewiß noch andere Tätigkeiten, die dasselbe bezwecken. Vielleicht unterscheiden sie sich darin, aus welchem Gebiete seelischer Tätigkeit sie Lust schöpfen wollen, vielleicht durch die Methode, deren sie sich dabei bedienen. Wir können das gegenwärtig nicht entscheiden; wir halten aber daran fest, daß nun die Witztechnik und die sie teilweise beherrschende ersparende Tendenz (S. 31) in Beziehung gebracht sind zur Er- zeugung von Lust.

Ehe wir aber daran gehen, das Rätsel, wie die technischen Mittel der Witzarbeit Lust beim Hörer erregen können, zu lösen, wollen wir uns erinnern, daß wir zum Zwecke der Vereinfachung und besseren Durchsichtigkeit die tendenziösen Witze ganz zur Seite geschoben haben. Wir müssen doch aufzuklären suchen, welches die Tendenzen des Witzes sind, und in welcher Weise er diesen Tendenzen dient.


Feindseliger und obszöner Witz. 79

Wir werden vor allem durch eine Beobachtung gemahnt, den tendenziösen Witz bei der Untersuchung nach der Herkunft der Lust am Witze nicht beiseite zu lassen. Die Lustwirkung des harmlosen Witzes ist zumeist eine mäßige; ein deutliches Wohl- gefallen, ein leichtes Lächeln ist zumeist alles, was er beim Hörer zu erreichen vermag, und von diesem Effekt ist etwa noch ein Teil auf Rechnung seines Gedankeninhalts zu setzen, wie wir an geeigneten Beispielen (S. 75) bemerkt haben. Fast niemals erzielt dei tendenzlose Witz jene plötzlichen Ausbrüche von Ge- lächter, die den tendenziösen so unwiderstehlich machen. Da die Technik bei beiden die nämliche sein kann, darf in uns die Ver- mutung rege werden, daß der tendenziöse Witz kraft seiner Tendenz über Quellen der Lust verfügen müsse, zu denen der harmlose Witz keinen Zugang hat.

Die Tendenzen des Witzes sind nun leicht zu übersehen. Wo der Witz nicht Selbstzweck, d. h. harmlos ist, stellt er sich in den Dienst von nur zwei Tendenzen, die selbst eine Vereinigung unter einen Gesichtspunkt zulassen ; er ist entweder feindseliger Witz (der zur Aggression, Satire, Abwehr dient) oder obszöner Witz (welcher der Entblößung dient). Von vorne herein ist wieder zu bemerken, daß die technische Art des Witzes — ob Wort- oder Gedankenwitz — keine Relation zu diesen beiden Tendenzen hat.

Weitläufiger ist es nun, daoulegen, auf welche Weise der Witz diesen Tendenzen dient. Ich möchte bei dieser Untersuchung nicht den feindseligen, sondern den entblößenden Witz voranstellen. Dieser ist zwar weit seltener einer Untersuchung gewürdigt worden, als hätte sich hier eine Abneigung vom Stofflichen auf's Sachliche übertragen, allein wir wollen uns hiedurch nicht beirren lassen, da wir alsbald auf einen Grenzfall des Witzes stoßen werden, der uns Aufklärung über mehr als einen dunklen Punkt zu bringen verspricht.

Man weiß, was unter der „Zote" verstanden wird : Die be- absichtigte Hervorhebung sexueller Tatsachen und Verhältnisse durch die Rede. Indes diese Definition ist nicht stichhaltiger als andere Definitionen. Ein Vortrag über die Anatomie der Sexual- organe oder über die Physiologie der Zeugung braucht trotz dieser Definition nicht einen einzigen Berührungspunkt mit der Zote gemein zu haben. Es gehört noch dazu, daß die Zote an eine bestimmte Person gerichtet werde, von der man sexuell erregt wird, und die durch das Anhören der Zote von der Erregung des Redenden Kenntnis bekommen und dadurch selbst sexuell erregt werden soll. Anstatt dieser Erregung mag sie auch in


So


III. Die Tendenzen des AVitzes.


Scham oder Verlegenheit gebracht werden, was nur eine Reaktion gegen ihre Erregung und auf diesem Umwege ein Eingeständnis derselben bedeutet. Die Zote ist also ursprünglich an das Weib gerichtet und einem Verführungsversuch gleichzusetzen. Wenn sich dann ein Mann in Männergescllschaft mit dem Erzählen oder Anhören von Zoten vergnügt, so ist die ursprüngliche Situation, die infolge sozialer Hemmnisse nicht verwirklicht werden kann, dabei mitvorgestellt. Wer über die gehörte Zote lacht, lacht wie ein Zuschauer bei einer sexuellen Aggression.

Das Sexuelle, welches den Inhalt der Zote bildet, umfaßt mehr als das bei beiden Geschlechtern Besondere, nämlich noch überdies das beiden Geschlechtern Gemeinsame, auf das die Scham sich erstreckt^ also das Exkrementelle in seinem ganzen Umfang. Dies ist aber der Umfang, den das Sexuelle im Kindes- alter hat, wo für die Vorstellung gleichsam eine Kloake existiert, innerhalb deren Sexuelles und Exkrementelles schlecht oder gar nicht gesondert werden.*) Überall im Gedankenbereich der Neu- rosenpsychologie schließt das Sexuelle noch das Exkrementelle ein, wird es im alten, infantilen, Sinne verstanden.

Die Zote ist wie eine Entblößung der sexuell differenten Person, an die sie gerichtet ist. Durch das Aussprechen der obszönen Worte zwingt sie die angegriffene Person zur Vorstellung des betreffenden Körperteiles oder der Verrichtung und zeigt ihr, daß der Angreifer selbst sich solches vorstellt. Es ist nicht zu bezweifeln, daß die Lust, das Sexuelle entblößt zu sehen, das ursprüngliche Motiv der Zote ist.

Es kann der Klärung nur förderlich sein, wenn wir hier bis auf die Fundamente zurückgehen. Die Neigung, das Geschlechts- besondere entblößt zu schauen, ist eine der ursprünglichen Kom- ponenten unserer Libido. Sie ist selbst vielleicht bereits eine Er- setzung, geht auf eine als primär zu supponierende Lust, das Sexuelle zu berühren, zurück. Wie so häufig, hat das Schauen das Tasten auch hier abgelöst.*) Die Schau- ,oder Tastlibido ist bei jedermann in zweifacher Art, aktiv und passiv, männlich und weiblich, vorhanden, und bildet sich je nach dem Überwiegen des Geschlechtscharakters nach der einen oder der anderen Richtung überwiegend aus. Bei jungen Kindern kann man die Neigung zur Selbstentblößung leicht beobachten. Wo der Keim dieser

  • ) Siehe meine gleichzeitig erscheinenden „Drei Abhandlungen zur

Sexualtheorie", 1905.

•*) Moll's Kcintrektatioustrieb (Untersuchungen über die Libido sexualis, 1898).


Die Umbildung der Zote zum obszönen Witz. 8l

Neigung nicht das gewöhnliche Schicksal der Überlagerung und Unterdrückung erfährt, da entwickelt er sich zu der als Exhibitions- drang bekannten Perversioii erwachsener Männer, Beim Weibe wird die passive Exhibitionsneigung fast regelmäßig durch die großartige Reaktionsleistung der sexuellen Schamhaftigkeit über- lagert, aber nicht ohne daß ihr in der Kleidung ein Ausfalls- pförtchen gespart bliebe. Wie dehnbar und nach Konvention und Umständen variabel dann das der Frau als erlaubt verbliebene Maß von Exhibition ist, brauche ich nur anzudeuten.

Beim Manne bleibt ein hoher Grad dieser .Strebung als Teil- stück der Libido bestehen und dient zur Einleitung des Geschlechts- aktes. Wenn diese Strebung sich bei der ersten Annäherung an das Weib geltend macht, muß sie sich aus zwei Motiven der Rede bedienen. Erstens um sich dem Weibe anzuzeigen, und zweitens weil die Erweckung der Vorstellung durch die Rede das Weib selbst in die korrespondierende Erregung versetzen und die Neigung zur passiven Exhibition bei ihr erwecken kann. Diese werbende Rede ist noch nicht die Zote, geht aber in sie über. Wo nämlich die Bereitschaft des Weibes sich rasch einstellt, da ist die obszöne Rede kurzlebig, sie weicht alsbald der sexuellen Handlung. Anders, wenn auf die rasche Bereitschaft des Weibes nicht zu rechnen ist, sondern an deren Statt die Abwehrreaktionen desselben auftreten. Dann wird die sexuell erregende Rede als Zote Selbstzweck; da die sexuelle Aggression in ihrem Fortschreiten bis zum Akt aufgehalten ist, verweilt sie bei der Hervorruf ung der Erregung und zieht Lust aus den ^Anzeichen derselben beim Weibe. Die Aggression ändert dabei wohl auch ihren Charakter in dem nämlichen Sinne wie jede libidinöse Regung, der sich ein Hindernis entgegenstellt; sie wird direkt feindselig, grausam, ruft also die sadistische Komponente des Geschlechtstriebes gegen das Hindernis zur Hilfe.

Die Unnachgiebigkeit des Weibes ist also die nächste Be- dingung für die Ausbildung der Zote, allerdings eine solche, die bloß einen Aufschub zu bedeuten scheint und weitere Bemühung nicht aussichtslos erscheinen läßt. Der ideale Fall eines der- artigen Widerstandes beim Weibe ergibt sich bei der gleichzeitigen Anwesenheit eines anderen Mannes, eines Dritten, denn dann ist das sofortige Nachgeben des Weibes so gut wie ausgeschlossen. Dieser Dritte gelangt bald zur größten Bedeutung für die ^ni- wicklung der Zote; zunächst ist aber von der Anwesenheit des Weibes nicht abzusehen. Beim Landvolk oder im Wirtshaus des kleinen Mannes kann man beobachten, daß erst das Hinzutreten

Freud, Der Witz. 6


82 ni. Die Tendenzen des Witzes.

der Kellnerin oder der Wirtin die Zote zum Vorschein bringt ; auf höherer sozialer Stufe erst tritt das Gegenteil ein, macht die Anwesenheil eines weiblichen Wesens der Zote ein Ende; die Männer sparen sich diese Art der Unterhaltung, die ursprünglich ein sich schämendes Weib voraussetzt, auf, bis sie allein „unter sich" sind. So wird allmählich anstatt des Weibes der Zuschauer, jetzt Zuhörer, die Instanz, für welche die Zote bestimmt ist, und diese nähert sich durch solche Wandlung bereits dem Charakter des Witzes.

Unsere Aufmerksamkeit kann von dieser Stelle an .von zwei Momenten in Anspruch genommen werden, von der Rolle des Dritten, des Zuhörers, und von den inhaltlichen Bedingungen der Zote selbst.

Der tendenziöse Witz braucht im allgemeinen drei Personen, außer der, die den Witz macht, eine zweite, die zum Objekt der feindseligen oder sexuellen Aggression genommen wird, und eine dritte, an der sich die Absicht des Witzes, Lust zu erzeugen, erfüllt. Die tiefere Begründung für diese Verhältnisse werden wir später aufzusuchen haben, vorläufig halten wir uns an die Tat- sache, die sich ja darin bekundet, daß nicht, wer den Witz macht, ihn auch belacht, also dessen Lustwirkung genießt, sondern der untätige Zuhörer. In der nämlichen Relation befinden sich die drei Personen bei der Zote. Man kann den Hergang so be- schreiben : Der libidinöse Impuls des Ersten entfaltet, sowie er die Befriedigung durch das Weib gehemmt findet, eine gegen diese zweite Person feindselige Tendenz und ruft die ursprünglich störende dritte Person zum Bundesgenossen auf. Durch die zotige Rede des Ersten wird das Weib vor diesem Dritten entblößt, der nun als Zuhörer — durch die mühelose Befriedigung seiner eigenen Libido — bestochen wird.

Es ist merkwürdig, daß solcher Zotenverkehr beim gemeinen Volke so überaus beliebt und eine nie fehlende Betätigung heiterer Stimmung ist. Beachtenswert ist aber auch, daß bei diesem kom- plizierten Vorgang, der so viele Charaktere des tendenziösen Witzes an sich trägt, an die Zote selbst keiner der formellen Ansprüche, welche den Witz kennzeichnen, gestellt wird. " Die unverhüllte Nudität auszusprechen bereitet dem Ersten Vergnügen und macht den Dritten lachen.

Erst wenn wir zu höher gebildeter Gesellschaft aufsteigen, tritt die formelle Witzbedingung hinzu. Die Zote wird witzig und wird nur geduldet, wenn sie witzig ist. Das technische Mittel, dessen sie sich zumeist bedient, ist die Anspielung, d. h. die Er-


Die Leistung des Witzes im Dienste der Tendenz. 83

Setzung durch ein Kleines, ein im entfernten Zusammenhang Be- findliches, welches der Hörer in seinem Vorstellen zur vollen und direkten Obszönität rekonstruiert. Je größer das Mißverhältnis zwischen dem in der Zote direkt Gegebenen ,und dem von ihr im Hörer mit Notwendigkeit Angeregten ist, desto feiner wird der Witz, desto höher darf er sich dann auch in die gute Gesell- schaft hinauf wagen. Außer der groben und der feinen Anspielung stehen der witzigen Zote, wie leicht an Beispielen gezeigt werden kann, alle anderen Mittel des Wort- und .Gedankenwitzes zur Verfügung.

Hier wird endlich greifbar, was der Witz im Dienste seiner Tendenz leistet. Er ermöglicht die Befriedigung eines Triebes (des lüsternen und feindseligen) gegen ein im Wege stehendes Hindernis, er umgeht dieses Hindernis und schöpft somit Lust aus einer durch das Hindernis unzugänglich gewordenen Lust- quelle. Das im Wege stehende Hindernis ist eigentlich nichts anderes als die der höheren Bildungs- und Gesellschaftsstufe ent- sprechend gesteigerte Unfähigkeit des Weibes, das unverhüllte Sexuelle zu ertragen. Das in der Ausgangssituation als anwesend gedachte Weib wird eben weiterhin als anwesend beibehalten, oder ihr Einfluß wirkt auch in ihrer Abwesenheit auf die Männer ein- schüchternd fort. Man kann beobachten, wie Männer höherer Stände durch die Gesellschaft niedrig stehender Mädchen sofort veranlaßt werden, die witzige Zote in die einfache zurücksinken zu lassen.

Die Macht, welche dem Weibe und in geringerem Maße auch dem Manne den Genuß der unverhüllten Obszönität erschwert oder unmöglich macht, heißen wir die „Verdrängung" und er- kennen in ihr denselben psychischen Vorgang, der in ernsten Krankheitsfällen ganze Komplexe von Regungen mitsamt deren Abkömmlingen vom Bewußtsein fern hält, und sich .als ein Haupt- faktor der Verursachung bei den sog. Psychoneurosen heraus- gestellt hat. Wir gestehen der Kultur und höheren Erziehung einen großen Einfluß auf die Ausbildung der Verdrängung zu und nehmen an, daß unter diesen Bedingungen eine Veränderung der psychischen Organisation zu stände kommt, die auch als ererbte Anlage mitgebracht werden kann, der zufolge sonst angenehm Empfundenes nun als unannehmbar erscheint und mit allen psychi- schen Kräften abgelehnt wird. Durch die Verdrängungsarbeit der Kultur gehen primäre, jetzt aber von der Zensur in uns verworfene, Genußmöglichkeiten verloren. Der Psyche des Menschen wird aber alles Verzichten so sehr schwer, und so finden wir, daß der


8* III. Die Tendenzen des Witzes.

tendenziöse Witz ein Mittel abgibt, den Verzicht rückgängig zu machen, das Verlorene wieder zu gewinnen. Wenn wir über einen feinen obszönen Witz lachen, so lachen wir über das namUche, was den Bauer bei einer groben Zote lachen macht; die Lust stammt in beiden Fällen aus der nämlichen Quelle; über die grobe Zote zu lachen, brächten wir aber nicht zu stände, wir würden uns schämen, oder sie erschiene uns ekelhaft; wir können erst lachen, wenn uns der Witz seine Hilfe geliehen hat.

Es scheint sich uns also zu bestätigen, was wir Eingangs vermutet haben, daß der tendenziöse Witz über andere Quellen der Lust verfügt als der harmlose, bei dem alle Lust irgendwie an die Technik geknüpft ist. Wir können auch von neuem hervor- heben, daß wir beim tendenziösen Witz außer stände sind, durch unsere Empfindung zu imterscheiden, welcher Anteil der Lust aus j

den Quellen der Technik, welcher aus denen der Tendenz her- rührt. Wir wissen also streng genommen nicht, worüber wir lachen. Bei allen obszönen Witzen unterUegen wir grellen Urteilstäuschungen über die „Güte" des Witzes, soweit dieselbe von formalen Bedingungen abhängt; die Technik dieser Witze ist oft recht ärmlich, ihr Lacherfolg ein ungeheurer.


Wir wollen nun untersuchen, ob die Rolle des Witzes im Dienst der feindseligen Tendenz die nämliche ist.

Von vorne herein stoßen wir hier auf dieselben Bedingungen. Die feindseligen Impulse gegen unsere Nebenmenschen unterliegen seit unserer individuellen Kindheit wie seit den ,Kinderzeiten menschlicher Kultur den nämhchen Einschränkungen, der näm- lichen fortschreitenden Verdrängung, wie unsere sexuellen Stre- bungen. Wir haben es noch nicht soweit gebracht, daß wir unsere Feinde zu lieben vermöchten oder ihnen nach dem Backenstreich auf die rechte Backe die linke hinhielten; auch tragen alle Moral- vorschriften der Beschränkung im tätigen Haß noch heute die deutlichsten Anzeichen an sich, daß sie ursprünghch für eine kleine Gemeinschaft von Stammesgenossen gelten goUten. So wie wir uns alle als Angehörige eines Volkes fühlen dürfen, gestatten wir uns, von den meisten dieser Beschränkungen gegen ein fremdes Volk abzusehen. Aber innerhalb unseres eigenen Kreises haben wir doch Fortschritte in der Beherrschung feindseliger Regungen gemacht; wie es Lichtenberg drastisch ausdrückt: Wo man jetzt sagt: Entschuldigen Sie, da schlug man einem früher um's Ohr. Die gewalttätige Feindseligkeit, vom Gesetz verboten, ist durch die Invektive in Worten abgelöst worden, und die bessere


Die ErmügHchiing der Invektive durch den Witz. 85

Kenntnis der Verkettung menschlicher Regungen raubt uns durch ihr konsequentes „Tout comprendre c'est tout pardonner" immer mehr von der Fähigkeit, uns gegen den Nebenmenschen, der uns in den Weg getreten ist, zu erzürnen. Mit kräftigen Anlagen zur Feindschaft noch als Kinder begabt, lehrt uns später die höhere persönliche Kultur, daß es unwürdig ist, Schimpfwörter zu ge- brauchen, und selbst, wo der Kampf an sich erlaubt geblieben ist, hat die Anzahl der Dinge, die als Mittel im Kampf nicht verwendet werden dürfen, außerordentlich zugenommen. Seitdem wir auf den Ausdruck der Feindseligkeit durch die Tat verzichten mußten — durch den leidenschaftslosen Dritten daran gehindert, in dessen Interesse die Bewahrung der persönlichen .Sicherheit liegt — , haben wir ganz ähnlich wie bei der sexuellen Aggression eine neue Technik der Schmähung ausgebildet, die ,auf die An- werbung dieses Dritten gegen unseren Feind abzielt. Indem wir den Feind klein, niedrig, verächtlich, komisch machen, schaffen wir uns auf einem Umwege den Genuß seiner Überwindung, den uns der Dritte, der keine Mühe aufgewendet hat, durch sein Lachen bezeugt.

Wir sine, nun auf die Rolle des Witzes bei der feindseligen Aggression vorbereitet. Der Witz wird uns gestatten, Lächerliches am Feind zu verwerten, das wir entgegenstehender Hindernisse wegen nicht laut oder nicht bewußt vorbringen .durften, wird also wiederum Einschränkungen umgehen und unzugäng- lich gewordene Lustquellen eröffnen. Er wird femer den Hörer durch seinen Lustgewinn bestechen, ohne strengste Prüfung unsere Partei zu nehmen, wie wir selbst andere Male, vom harmlosen Witz bestochen, den Gehalt des witzig ausgedrückten Satzes zu überschätzen pflegten. „Die Lacher auf seine Seite ziehen," sagt mit vollkommen zutreffendem Ausdruck unsere Sprache.

Man fasse z. B. die über den vorigen Abschnitt zer- streuten Witze des Herrn N. in's Auge. Es sind sämtlich Schmähungen. Es ist, als wollte Herr N. laut schreien: Aber der Ackerbauminister ist ja selber ein Ochs! Laßt mich in Ruhe mit dem ***; der platzt ja vor Eitelkeit! Etwas Langweiligeres als die Aufsätze dieses Historikers über Napoleon in Österreich habe ich übirhaupt noch nicht gelesen 1 Aber der Hochstand seiner Persönlichkeit macht es ihm unmöglich, diese seine Urteile in dieser Form von sich zu geben. Sie nehmen darum den Witz zur Hilfe, welcher ihnen eine Aufnahme beim Hörer sichert, die sie trotz ihres etwaigen Wahrheitsgehaltes in nnwitziger Form


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III. Die Tendenzen des Witzes.


niemals gefunden hätten. Einer dieser Witze ist besonders lehr- reich, der vom „roten Fadian", vielleicht der überwältigendste von allen. Was nötigt uns daran zum Lachen und lenkt unser Interesse von der Frage, ob dem armen Schriftsteller Unrecht geschehen ist oder nicht, so vollständig ab? Gewiß die witzige Form, der Witz also: aber über was lachen wir dabei? Ohne Zweifel über die Person selbst, die uns als „roter Fadian** vorgeführt wird, und insbesondere über ihre Rothaarigkeit. Körperliche Gebrechen zu verlachen hat sich der Gebildete abgewöhnt, auch zählt für ihn die Rothaarigkeit nicht zu den lachenswürdigen Körperfehlern. Wohl aber gilt sie dafür beim Schulknaben und beim gemeinen Volk, ja auch noch auf der Bildungsstufe gewisser kommunaler und parlamentarischer Vertreter. Und nun hat dieser Witz des Herrn N. es auf die kunstvollste Weise ermöglicht, daß wir, er- wachsene und feinfühlige Leute, über die roten Haare des Histo- rikers X. lachen wie die Schulknaben. Es lag dies gewiß nicht in der Absicht des Herrn N.; aber es ist sehr zweifelhaft, ob jemand, dci seinen Witz walten läßt, dessen genaue Absicht kennen muß.

War in diesen Fällen das Hindernis für die Aggression, welches der Witz umgehen half, ein innerUches — die ästhetische Auflehnung- gegen die Schmähung — , so kann es andere Male rein äußerUcher Natur sein. So in dem Beispiel, wenn Serenissimus den Fremden, dessen Ähnlichkeit mit seiner eigenen Person ihm auffällt, fragt : War seine Mutter einmal in der Residenz ? und die schlagfertige Antwort darauf lautet : Nein, aber mein Vater. Der Gefragte möchte gewiß den Frechen niederschlagen, der es wagt, durch solche Anspielung dem Andenken der geUebten Mutter Schmach anzutun; aber dieser Freche ist Serenissimus, den man nicht niederschlagen, nicht einmal beleidigen darf, wenn man diese Rache nicht mit seiner ganzen Existenz erkaufen will. Es hieße also die Beleidigung schweigend herunterwürgen; aber zum Glück zeigt der Witz den Weg, sie ungefährdet zu vergelten, indem man mit dem technischen Mittel der Unifizierung die Anspielung auf- nimmt und gegen den Angreifer wendet. Der Eindruck des Witzigen wird hier so sehr von der Tendenz bestimmt, daß wir angesichts der witzigen Entgegnung zu vergessen neigen, daß die Frage des Angreifers selbst durch Anspielung witzig ist.

Die Verhinderung der Schmähung oder beleidigenden Ent- gegnung durch äußere Umstände ist ein so häufiger Fall, daß der tendenziöse Witz mit ganz besonderer Vorüebe zur Ermög- lichung der Aggression oder der Kritik gegen Höhergestellte, die


« 


Ermöglichung der Auflehnung gegen die Autorität, §7

Autorität in Anspruch nehmen, verwendet wird. Der Witz stellt dann eine Auflehnung gegen solche Autorität, eine Befreiung von dem Drucke derselben dar. In diesem Moment liegt ja auch der Reiz der Karikatur, über welche wir selbst dann lachen, wenn sie schlecht geraten ist. bloß weil wir ihr die Auflehnung gegen die Autorität als Verdienst anrechnen.

Wenn wir im Auge behalten, daß der tendenziöse Witz sich so sehr zum Angriff auf Großes, Würdiges und Mächtiges eignet, das durch innerliche Hemmungen oder äußerliche Umstände gegen direkte Herabsetzung geschützt ist, so werden wir zu einer be- sonderen Auffassung gewisser Gruppen von Witzen gedrängt, die sich mit minderwertigen und ohnmächtigen Personen abzugeben scheinen. Ich meine die Heiratsverraittlcrgeschichten, von denen wir einzelne bei der Untersuchung der mannigfaltigen Techniken des Gedankenwitzes kennen gelernt haben. In einigen derselben z. B. in den Beispielen „Taub ist sie auch" und „Wer borgt denn den Leuten was!" ist der Vermittler als ein unvorsichtiger und gedankenloser Mensch verlacht worden, der dadurch komisch wird, daß ihm die Wahrheit gleichsam automatisch entwischt. Aber reimt sich einerseits das, was wir von der Natur des tendenziösen Witzes erfahren haben, und anderseits die Größe unseres Wohl- gefallens an diesen Geschichten mit der Armseligkeit der Per- sonen zusammen, über die der Witz zu lachen scheint? Sind das des Witzes würdige Gegner ? Geht es nicht vielmehr so zu, daß der Witz die Vermittler nur vorschiebt, um etwas Bedeutsameres zu treffen, daß er, wie das Sprichwort sagt, auf den Sack schlägt, während er den Esel meint? Diese Auffassung ist wirklich nicht abzuweisen.

Die obige Deutung der Vermittlergeschichten läßt eine Forl- setzung zu. Es ist wahr, daß ich auf dieselbe nicht einzugehen brauche, daß ich mich begnügen kann, in diesen Geschichten „Schwanke" zu sehen, und ihnen den Charakter des Witzes ab- sprechen kann. Eine solche subjektive Bedingtheit des Witzes besteht also auch; wir sind jetzt auf sie aufmerksam geworden tmd werden sie späterhin untersuchen müssen. Sie besagt, daß nur das ein Witz ist, was ich als einen Witz gelten lasse. Was für mich ein Witz ist, kann für einen anderen bloß eine komische Geschichte sein. Gestattet aber ein Witz diesen Zweifel, so kann es nur daher rühren, daß er eine Schauseite, eine — in unseren Fällen komische — Fassade hat, an welcher sich der Blick des einen ersättigt, während ein anderer versuchen kann, hinter die- selbe zu spähen. Der Verdacht darf auch rege werden, daß diese


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III. Die Tendenzen des Witzes.


Fassade dazu bestimmt ist, den prüfenden Blick zu blenden, daß solche Geschichten also etwas zu verbergen haben.

Jedenfalls, wenn unsere Vermittlergeschichten Witze sind, so sind sie um so bessere Witze, weil sie dank ihrer Fassade im Stande sind zu verbergen, nicht nur, was sie zu sagen haben, sondern auch daß sie etwas — Verbotenes — zu sagen haben. Die Fortsetzung der Deutung aber, welche dies Verborgene auf- deckt und diese Geschichten mit komischer Fassade als ten- denziöse Witze entlarvt, wäre folgende: Jeder, der sich die Wahr- heit so in einem unbewachten Moment entschlüpfen läßt, ist eigent- lich froh darüber, daß er der Verstellung ledig wird. Das ist eine richtige und tief reichende psychologische Einsicht. Ohne solche innerliche Zustimmung läßt sich niemand von dem Auto- matismus, der hier die Wahrheit an den Tag bringt, übermannen.*) Hiemit wandelt sich aber die lächerliche Person des Schadehen in eine bedauernswert sympathische. Wie selig muß der Mann sein, die Last der Verstellung endlich abwerfen zu können, wenn er sofort die erste Gelegenheit benützt, um das letzte Stück der Wahrheit herauszuschreien 1 Sowie er merkt, daß die Sache verloren ist, daß die Braut dem jungen Manne nicht gefällt, verrät er gern, daß sie noch einen versteckten Fehler hat, der jenem nicht aufgefallen ist, oder er bedient sich des Anlasses, ein für ein Detail entscheidendes Argument anzuführen, um dabei den Leuten, in deren Dienst er arbeitet, seine Verachtung auszudrücken: Ich bitt' Sie, wer borgt denn den Leuten was! Die ganze Lächer- lichkeit fällt nun auf die in der Geschichte nur gestreiften Eltern, die solchen Schwindel für gestattet halten, um nur ihre Töchter an den Mann zu bringen, auf die Erbärmlichkeit der Mädchen, die sich unter solchen Veranstaltungen verheiraten lassen, auf die Unwürdigkeit der Ehen, die nach solchen Einleitungen geschlossen werden. Der Vermittler ist der richtige Mann, der solche Kritik zum Ausdruck bringen darf, denn er weiß am meisten von diesen Mißbräuchen, er darf sie aber nicht laut verkünden, denn er ist ein armer Mann, der gerade nur von deren Ausnützung leben kann. In einem ähnlichen Konflikt befindet sich aber auch der Volksgeist, der diese und ähnhche Geschichten geschaffen hat; denn er weiß, die Heiligkeit der geschlossenen Ehen leidet arg durch den Hinweis auf die Vorgänge bei der Eheschheßung.

Erinnern wir ims auch der Bemerkung bei der Untersuchung der Witztechnik, daß Widersinn im Witz häufig Spott und Kritik

  • )Es ist derselbe Mechanismus, der das„Versprechen"und andere Phäno-

mene des Selbstverrates beherrscht. S. „Psychopathologie des AUtagsiebens."


Nachweis der aggressiven Tendenz der Schadchenwitze , 89

in dem Gedanken hinter dem Witz ersetzen, worin es die Witz- arbeit übrigens der Traumarbeit gleichtut; wir finden diesen Sach- verhalt hier von neuem bestätigt. Daß Spoll und Kritik nicht der Person des Vermittlers gelten, der in den vorigen Beispielen nur als der Prügelknabe des Witzes auftritt, wird durch eine andere Reihe von Witzen erwiesen, in denen der Vermittler ganz im Gegenteile als überlegene Person gezeichnet ist, deren Dialektik sich jeder Schwierigkeit gewachsen erweist. Es sind Geschichten mit logischer anstatt der komischen Fassade, sophistische Ge- dankenwitze. In einer derselben (S. 48) weiß der Vermittler den Fehler der Braut, daß sie hinkt, hinweg zu disputieren. Es sei wenigstens eine „fertige Sache", eine andere Frau mit geraden Gliedern sei hingegen in beständiger Gefahr Iiinzufallen und sich ein Bein zu brechen, und dann käme die Krankheit, die Schmerzen, die Behandlungskosten, die man sich bei der bereits Hinkenden erspare. Oder in einer anderen Geschichte weiß er eine ganze Reihe von Ausstellungen des Bewerbers an der Braut, jede einzeln mit guten Argumenten, zurückzuweisen, um ihm dann bei der letzten, unbeschönbaren, entgegen zu halten; Was wollen Sie, gar kein" Fehler soll sie haben ?, als ob von den früheren Einwendungen nicht doch ein notwendiger Rest übrig geblieben wäre. Es ist nicht schwer, bei beiden Beispielen die schwache Stelle in der Argumentation nachzuweisen; wir haben dies auch bei der Unter- suchung der Technik getan. Aber nun interessiert uns etwas anderes. Wenn der Rede des Vermittlers so starker logischer Schein geliehen wird, der sich bei sorgfältiger Prüfung als Schein zu erkennen gibt, so ist die Wahrheit dahinter, daß der Witz dem Vermittler Recht gibt; der Gedanke getraut sich nicht, ihm ernsthaft Recht zu geben, ersetzt diesen Ernst durch den Schein, den der Witz vorbringt, aber der Scherz verrät hier wie so häufig den Ernst. Wir werden nicht irre gehen, wenn wir von all den Geschichten mit logischer Fassade annehmen, daß sie das wirklich meinen, was sie mit absichtlich fehlerhafter Begründung behaupten. Erst diese Verwendung des Sophismas zur versteckten Darstellung der Wahrheit verleiht ihm den Charakter des Witzes, der also haupt- sächlich von der Tendenz abhängt. Was in beiden Geschichten an- gedeutet werden soll, ist nämlich, daß der Bewerber sich wirklich lächerlich macht, wenn er die einzelnen Vorzüge der Braut so sorgsam zusammensucht, die doch alle hinfäUig sind, und wenn er dabei vergißt, daß er vorbereitet sein muß, ein Menschenkind mit unvermeidlichen Fehlern zu seinem Weibe zu machen, während doch die einzige Eigenschaft, welche die Ehe mit der mehr oder



III. Die Tendenzen des Witzes.


minder mangelhaften Persönlichkeit der Frau erträglich machen würde, die gegenseitige Zuneigung und Bereitwilligkeit zur liebe- vollen Anpassung wäre, von der bei dem ganzen Handel nicht die Rede ist.

Die in diesen Beispielen enthaltene Verspottung des Ehc: Werbers, bei welcher nun der Vermittler ganz passend die Rolle des Überlegenen spielt, wird in anderen Geschichten weit deut- licher zum Ausdruck gebracht. Je deutlicher diese Geschichten sind, desto weniger von Witztechnik enthalten sie; sie sind gleich- sam nur Grenzfälle des Witzes, mit dessen Technik sie nur mehr die Fassadenbildung gemeinsam haben. Infolge der gleichen Tendenz und des Versteckens derselben hinter der Fassade kommt ihnen aber die volle Wirkung des Witzes zu. Die Armut an technischen Mitteln läßt außerdem verstehen, daß viele Witze dieser Art das komische Element des Jargons, das ähnlich der Witztechnik wirkt, nicht ohne starke Einbuße entbehren können.

Eine solche Geschichte, die bei aller Kraft des tendenziösen Witzes nichts mehr von dessen Technik erkennen läßt, ist die folgende : Der Vermittler fragt ; Was verlangen Sie von Ihrer Braut ? — Antwort : Schön muß sie sein, reich muß sie sein und gebildet. — Gut, sagt der Vermittler, aber daraus mach' ich drei Partien. Hier wird der Verweis dem Manne direkt erteilt, nicht mehr in der Einkleidung eines Witzes.

In den bisherigen Beispielen richtete sich die verhüllte Aggression noch gegen Personen, in den Vermittlerwitzen gegen alle Parteien, die an dem Handel der Eheschließung beteiligt sind: Braut, Bräutigam und deren Eltern. Die Angriffsobjekte des Witzes können aber eben sowohl Institutionen sein, Personen, in soferne sie Träger derselben sind, Satzungen der Moral oder der Religion, Leb ensaii schauungen, die ein solches Ansehen genießen, daß der Einspruch gegen sie nicht anders als in der Maske eines Witzes, und zwar eines durch seine Fassade gedeckten Witzes auftreten kann. Mögen der Themata wenige sein, auf die dieser tendenziöse Witz abzielt, seine Formen und Einkleidungen sind äußerst mannigfaltig. Ich glaube, wir tun recht, diese Gattung von tendenziösem Witz durch einen besonderen Namen auszuzeichnen. Welcher Name der geeignete ist, wird sich ergeben, nachdem wir einige Beispiele dieser Gattung gedeutet haben.

Ich erinnere an die beiden Geschichten vom verarmten Gour- mand, der bei „Lachs mit Mayonnaise" betroffen wird, und vom trunksüchtigen Lehrer, die wir als sophistische Verschiebungswitze


Der Zynismus ersetzende Witz. gi

kennen gelernt haben, und führe deren Deutung fort. Wir haben seitdem gehört, daß,: wenn der Schein der Logik an die Fassade einer Geschichte geheftet ist, der Gedanke wohl im Ernst sagen möchte : Der Mann hat Recht, des entgegenstehenden Widerspruches wegen aber sich nicht getraut, dem Manne anders Recht zu geben als in einem Punkte, in dem sein Unrecht leicht nach- zuweisen ist. Die gewählte „Pointe" ist der richtige Kompromiß zwischen seinem Recht und seinem Unrecht, was freilich keine Entscheidung ist, aber wohl dem Konflikt in uns selbst entspricht. Die beiden Geschichten, sind einfach epikuräisch, sie sagen: Ja, der Mann hat Recht, es gibt nichts Höheres als den Genuß, .und es ist ziemlich gleichgültig, auf welche Art man sich ihn ver- schafft. Das klingt furchtbar unmoralisch und ist wohl auch nicht viel besser, aber im Grunde ist es nichts anderes als das „C a r p e d i e m" des Poeten, der sich auf die Unsicherheit des Lebens und auf die Unfruchtbarkeit der tugendhaften Entsagung beruft. Wenn die Idee, daß der Mann im Witz von „Lachs mit Mayonnaise" Recht haben soll, auf uns so abstoßend wirkt, so rührt dies nur von der Illustration der Wahrheit an einem Genuß niedrigster Art, der uns sehr entbehrlich scheint, her. In Wirklichkeit hat jeder von uns Stunden und Zeiten gehabt, in denen er dieser Lebensphilosophie ihr Recht zugestanden und der Morallehre vorgehalten hat, daß sie nur zu fordern verstand, ohne zu ent- schädigen. Seitdem die Anweisung auf das Jenseits, in dem sich alle Entsagung durch Befriedigung lohnen soll, von uns nicht mehr geglaubt wird — es gibt übrigens sehr wenig Fromme, wenn man die Entsagung zum Kennzeichen des Glaubens macht — , seitdem wird das „Carpe diem" zur ernsten Mahnung. Ich will die Be- friedigung gern aufschieben, aber weiß ich denn, ob ich morgen noch da sein, werde ?

„Di doman' non c'fe certezza."*)

Ich will gern auf alle von der Gesellschaft verpönten Wege der Befriedigung verzichten, aber bin ich sicher, daß mir die Gesellschaft diese Entsagung lohnen wird, indem sie mir — wenn auch mit einem gewissen Aufschub — einen der erlaubten Wege öffnet? Es läßt sich laut sagen, was diese Witze flüstern, daß die "Vyünschc und Begierden des Menschen ein Recht haben, sich vernehmbar zu machen neben der anspruchsvollen und rücksichts- losen Moral, und es ist in unseren Tagen in nachdrücklichen und packenden Sätzen gesagt worden, daß diese Moral nur die eigen- nützige Vorschrift der wenigen Reichen und Mächtigen ist, welche

"^ Lorenzo dei Medici.


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III. Die Tendenzen des Witzes.


jederzeit ohne Aufschub ihre Wünsche befriedigen können. So lange die Heilkunst es nicht weiter gebracht hat, unser Leben zu sichern, und so lange die sozialen Einrichtungen nicht mehr dazu tun, es erfreulicher zu gestalten, so lange kann die Stimme in uns, die sich gegen die Moralanforderungen auflehnt, nicht erstickt werden. Jeder ehrliche Mensch wird wenigstens bei sich dieses Zugeständnis endlich machen. Die Entscheidung in diesem Konflikt ist erst auf dem Umwege über eine neue Einsicht mög- lich. Man muß sein Leben so an das Anderer knüpfen, sich so innig mit Anderen identifizieren können, daß die Verkürzung der eigenen Lebensdauer überwindbar wird, und man darf die Forde- rungen der eigenen Bedürfnisse nicht unrechtmäßig erfüllen, sondern muß sie unerfüllt lassen, weil nur der Fortbestand so vieler unerfüllter Forderungen die Macht entwickeln kann, die gesellschaftliche Ordnung abzuändern. Aber nicht alle persön- lichen Bedürfnisse lassen sich in solcher Art verschieben und auf Andere übertragen, und eine allgemein- und endgültige Lösung des Konflikts gibt es nicht.

Wir wissen nun, wie wir Witze wie die letztgedeuteten zu benennen haben ; es sind zynische Witze, was sie verhüllen, sind Zynismen.

Unter den Institutionen, die der zynische Witz anzugreifen pflegt, ist keine wichtiger, eindringlicher durch Moralvorschriften geschützt, aber dennoch zum Angriff einladender als das Institut der Ehe, dem also auch die meisten zynischen Witze gelten. Kein Anspruch ist ja persönHcher als der auf sexuelle Freiheit, und nirgends hat die Kultur eine stärkere Unterdrückung zu üben versucht als auf dem Gebiete der Sexualität. Für unsere Ab- sichten mag ein einziges Beispiel genügen, die auf S. 62 erwähnte „Eintragung in das Stammbuch des Prinzen Karneval" :

„Eine Frau ist wie ein Regenschirm; — man nimmt sich dann doch einen Komfortabel."

Die komplizierte Technik dieses Beispiels haben wir bereits erörtert: ein verblüffender, anscheinend unmöglicher Vergleich, der aber, wie wir jetzt sehen, an sich nicht witzig ist, femer eine Anspielung (Komfortabel = öffentliches Fuhrwerk) und als stärk- stes technisches Mittel eine die Un Verständlichkeit erhöhende Auslassung. Die Vergleichung wäre in folgender Art auszuführen : Man heiratet, um sich gegen die Anfechtungen der Sinnlichkeit zu sichern, und dann stellt sich doch heraus, daß die Ehe keine Befriedigung eines etwas stärkeren Bedürfnisses gestattet, gerade so wie man einen Regenschirm mitnimmt, um sich gegen den


Zynische Witze und Selbstkritik.


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Regen zu schützen, und dann im Regen doch naß wird. In beiden Fällen muß man sich um stärkeren Schutz umsehen, hier öffentliches Fuhrwerk, dort für Geld zugängliche Frauen nehmen. Jetzt ist der Witz fast völlig durch Zynismus ersetzt. Daß die Ehe nicht die Veranstaltung ist, die Sexualität des Mannes zu befriedigen, getraut man sich nicht laut und öffentlich zu sagen, wenn man nicht etwa von der Wahrheitsliebe und dem Reform- eifer eines Christian v. Ehrenfels*) dazu gedrängt wird. Die Stärke dieses Witzes liegt nun darin, daß er es doch — auf allerlei Umwegen — gesagt hat.

Ein für den tendenziösen Witz besonders günstiger Fall wird hergestellt, wenn die beabsichtigte Kritik der Auflehnung sich gegen die eigene Person richtet, vorsichtiger ausgedrückt, eine Person, an der die eigene Anteil hat, eine Sammelperson also, das eigene Volk zum Beispiel. Diese Bedingung der Selbst- kritik mag uns erklären, daß gerade auf dem Boden des jüdi- schen Volkslebens eine Anzahl der trefflichsten Witze erwachsen sind, von denen wir ja hier reichliche Proben gegeben haben. Es sind Geschichten, die von Juden geschaffen und gegen jüdische Eigentümlichkeiten gerichtet sind. Die Witze, die von Fremden über Juden gemacht werden, sind zu allermeist brutale Schwanke, in denen der Witz durch die Tatsache erspart wird, daß der Jude den Fremden als komische Figur gilt. Auch die Judenwitze, die von Juden herrühren, geben dies zu, aber sie kennen ihre wirkhchen Fehler wie deren Zusammenhang mit ihren Vorzügen, und der Anteil der eigenen Person an dem zu Tadelnden schafft die sonst schwierig herzustellende subjektive Bedingung der Witz- arbeit. Ich weiß übrigens nicht, ob es sonst noch häufig vor- kommt, daß sich ein Volk in solchem Ausmaß über sein eigenes Wesen lustig macht.

Als Beispiel hiefür kann ich auf die S. 64 erwähnte Ge- schichte hinweisen, wie ein Jude in der Eisenbahn sofort alle Dezenz des Betragens aufgibt, nachdem er den Ankömmling im Coupi5 als Glaubensgenossen erkannt hat. Wir haben diesen Witz als Beleg für die Veranschaulichung durch ein Detail, Darstellung durch ein Kleinstes, kennen gelernt; er soll die demokratische Denkungsart der Juden schildern, die keinen Unterschied von Herren und Knechten anerkennt, aber leider auch Disziplin und Zusammenwirken stört. Eine andere, besonders interessante Reihe von Witzen schildert die Beziehungen der armen und der reichen Juden zu einander; ihre Helden sind der „Schnorrer" und der

  • ) Siehe dessen Aufsätze: inderPulitisch-anthropologischenRevuen, 1903.


94 HI' Die Tendenzen des Witzes.

mildtätige Hausherr oder der Baron. Der Schnorrer, der alle Sonntage in demselben Haus als Gast zugelassen wird, erscheint emes Tages in Begleitung eines unbekannten jungen Mannes, der Miene macht, sich mit zu Tische zu setzen. Wer ist das? fragt dür Hausherr und erhält die Antwort: Das ist mein Schwieger- sohn seit voriger Woche; ich hab' ihm die Kost versprochen das erste Jahr. Die Tendenz dieser Geschichten ist stets die näm- liche; sie wird in folgender am deutlichsten hervortreten- Der ächnorrer bettelt beim Baron um das Geld für eine Badereise nach Ostende; der Arzt hat ihm wegen seiner Beschwerden ein Seebad empfohlen. Der Baron findet, Ostende sei ein besonders kostspieliger Aufenthalt; ein wohlfeilerer würde es auch tun Aber der Schnorrer lehnt den Vorschlag mit den Worten ab- Herr Baron, für meine Gesundheit ist mir nichts zu teuer Das ist ein prachtiger Verschiebungswitz, den wir als Muster für seine Gattung hatten nehmen können. Der Baron will offenbar sein Geld ersparen, der Schnorrer antwortet aber, als sei das Geld des Barons sein eigenes, das er dann allerdings minder hoch- schätzen darf als seine Gesundheit. Man wird hier aufgefordert über die Frechheit des Anspruchs zu lachen, aber diese Witze smd ausnahmsweise nicht mit einer das Verständnis irre führen- den Fassade ausgestattet. Die Wahrheit dahinter ist, daß der Schnorrer, der das Geld des Reichen in Gedanken wie eigenes behandelt, nach den heiligen Vorschriften der Juden wirklich fast das Recht zu dieser Verwechslung hat. Natürlich richtet sich die Auflehnung, die diesen Witz geschaffen hat, gegen das selbst den Frommen schwer bedrückende Gesetz.

Eine andere Geschichte erzählt; Ein Schnorrer begegnet auf der Treppe des Reichen emen Genossen im Gewerbe, der ihm abrät, seinen Weg fortzusetzen. „Geh" heute nicht hinauf der Baron ist heute schlecht aufgelegt, er gibt niemand mehr als einen Gulden." ~ Ich werde doch hinaufgehen, sagt der erste bchnorrer. Warum soll' ich ihm den einen Gulden schenken? bchenkt er mir 'was?

Dieser Witz bedient sich der Technik des Widersinnes, in- dem er den Schnorrer in demselben Moment behaupten läßt,' der Baron schenke ' ihm nichts, in dem er sich anschickt, um' das Geschenk zu betteln. Aber der Widersinn ist nur ein scheinbarer- es ist bemahe richtig, daß ihm der Reiche nichts schenkt, da er durch das Gesetz verpflichtet ist, ihm Almosen zu geben, 'und Ihm strenge genommen, dankbar sein muß, daß er ihm die Ge- legenheit zum Wohltun schafft. Die gemeine, bürgerliche Auf-


Kritische und blasphemisclie Witze. 95

fassung des Almosens liegt hier mit der religiösen im Streit; sie revoltiert offen gegen die religiöse in der Geschichte vom Baron, der, durch die Leidenserzählung des Schnorrers tief ergriffen, seinen Dienern schellt: Werft's ihn hinaus; er bricht mir das Herzl Diese offene Darlegung der Tendenz stellt wieder einen Grenzfall des Witzes her. Von der nicht mehr witzigen Klage: „Es ist wirklich kein Vorzug, ein Reicher unter Juden zu sein. Das fremde Elend läßt einen nicht zum Genuß des eigenen Glückes kommen," entfernen sich diese letzten Geschichten fast nur durch die Veranschaulichung in einer einzelnen Situation.

Von einem tief pessimistischen Zynismus zeugen andere Ge- schichten, die technisch wiederum Grenzfälle des Witzes darstellen, wie die nachstehende: Ein Schwerhöriger konsultiert den Arzt, der die richtige Diagnose macht, der Patient trinke wahrscheinlich zuviel Branntwein und sei darum taub. Er rät ihm davon ab, der Schwerhörige verspricht den Rat zu beherzigen. Nach einer Weile trifft ihn der Arzt auf der Straße und fragt ihn laut, wie es ihm g;ehe. Ich danke, ist die Antwort. Sie brauchen nicht so zu schreien, Herr Doktor, ich habe das Trinken aufgegeben und hör" wieder gut. Nach einer weiteren Weile wiederholt sich die Begegnung. Der Doktor fragt mit gewöhnlicher Stimme nach seinem Befinden, merkt aber, daß er nicht ver- standen wird. — Wie? Was? — Mir scheint, Sie trinken wieder Branntwein, schreit ihm der Doktor in's Ohr, und darum hören Sie wieder nichts. Sie können Recht haben, antwortet der Schwer- hörige. Ich hab' wieder angefangen zu trinken Branntwein, aber ich will Ihnen sagen: warum. So lange ich nicht getrunken hab', hab' ich gehört; aber alles, was ich gehört, war nicht so gut wie der Branntwein. — Technisch ist dieser Witz nichts anderes als eine Veranschaulichung; der Jargon, die Künste der Erzählung müssen dazu dienen, das Lachen zu erwecken, aber dahinter lauert die traurige Frage: Hat der Mann mit seiner Wahl mcht recht

Es ist das mannigfaltige hoffnungslose Elend des Juden, auf welches diese pessimistischen Geschichten anspielen, die ich dieses Zusammenhanges wegen dem tendenziösen Witz anreihen muß.

Andere in ähnlichem Sinne zynische Witze, und zwar mcht nur Judengeschichten, greifen religiöse Dogmen und den Golles- glauben selber an. Die Geschichte vom „Kück des Rabbi", deren Technik in dem Denkfehler der Gleichstellung von Phantasie und Wirklichkeit bestand (auch die Auffassung als Verschiebung wäre haltbar), ist ein solcher zynischer oder kritischer Witz, der sich gegen die Wundertäter und gewiß auch gegen den Wunderglauben


q6 III. Die Tendenzen des Witzes.

richtet. Einen direkt blasphemischen Witz soll Heine in der Situation des Sterbenden gemacht haben. Als der freundliche Priester ihn auf Gottes Gnade verwies und ihm Hoffnung machte, daß er bei Gott Vergebung für seine Sünden finden werde, soll er geantwortet haben: Bien sür, qu'il me pardonnera; c'est son mittler. Das ist ein herabsetzender Vergleich, technisch etwa nur vom Werte einer Anspielung, denn ein mutier, Geschäft oder Beruf hat etwa ein Handwerker oder ein Arzt, und zwar hat er nur ein einziges mutier. Die Stärke des Witzes liegt .aber in seiner Tendenz. Er soll nichts anderes sagen als : Gewiß wird er mir verzeihen, dazu ist er ja da, zu keinem anderen Zweck habe ich ihn mir angeschafft, (wie man sich seinen Arzt, seinen Advokaten hält). Und so regt sich noch in dem machtlos da- liegenden Sterbenden das Bewußtsein, daß er sich Gott erschaffen und ihn mit Macht ausgestattet hat, um sich seiner bei Gelegen- heit zu bedienen. Das vermeintliche Geschöpf gibt sich noch kurz vor seiner Vernichtung als den Schöpfer zu erkennen.

Zu den bisher behandelten Gattungen des tendenziösen Witzes, dem entblößenden oder obszönen, dem aggressiven (feindseligen), dem zynischen (kritischen, blasphemischen), möchte ich als vierte und seltenste eine neue anreihen, deren Charakter durch ein gutes Beispiel erläutert werden soll.

„Zwei Juden treffen sich im Eisenbahnwagen einer galizi sehen Station. Wohin fahrst du? fragte der eine. Nach Krakau, ist die Antwort. Sieh her, was du für Lügner bist, braust der andere auf. Wenn du sagst, du fahrst nach Krakau, willst du doch, daß ichglauben soll, dufahrstnach Lemberg. Nun weiß ich aber, daß du wirklich fahrst nach Krakau. Also warum lügst du?"

Diese kostbare Geschichte, die den Eindruck übergroßer Spitzfindigkeit macht, wirkt offenbar durch die Technik des Wider- sinnes. Der Zweite soll sich Lüge vorwerfen lassen, weil er mit- geteilt, er fahre nach Krakau, was in Wahrheit sein Reiseziel ist I Dieses starke technische Mittel — der Widersinn — ist aber hier mit einer anderen Technik gepaart, der Darstellung durch das Gegen- teil, denn nach der unwidersprochenen Behauptung des Ersten lügt der Andere, wenn er die Wahrheit sagt, und sagt die Wahr- heit mit einer Lüge. Der ernstere Gehalt dieses Witzes ist aber die Frage nach den Bedingungen der Wahrheit; der Witz deutet


Skeptische Witze. oy

wiederum auf ein Problem und nützt die Unsicherheit eines unserer gebrauchUchsten Begriffe aus. Ist es Wahrheit, wenn man die Dinge so beschreibt, wie sie sind, und sich nicht darum kümmert, wie der Hörer das Gesagte auffassen wird? Oder ist dies nur jesuitische Wahrheit, und bestellt die echte Wahrhaftig- keit nicht viel mehr darin', auf den Zuhörer Rücksicht zu nehmen, imd ihm ein getreues Abbild seines eigenen Wissens zu vermitteln ? Ich halte Witze dieser Art für genug verschieden von den anderen, um ihnen eine besondere Stellung anzuweisen. Was sie angreifen, ist nicht eine Person oder eine Institution, sondern die Sicherheit unserer Erkenntnis selbst, eines unserer spekulativen Güter. Der Name „skeptische" Witze würde also für sie der ent- sprechende sein.

Wir haben im Verlaufe unserer Erörterungen über die Ten- denzen des Witzes vielleicht mancherlei Aufklärungen gewonnen und gewiß reichliche Anregungen zu weiteren Untersuchungen gefunden; aber die Ergebnisse dieses Abschnittes setzen sich mit denen des vorigen zu einem schwierigen Problem zusammen. Wenn es richtig ist, daß die Lust, die der Witz bringt, einerseits an der Technik, anderseits an der Tendenz haftet, unter welchem gemeinsamen Gesichtspunkt lassen sich etwa diese zwei so ver- schiedenen Lustquellen des Witzes vereinen?


Freud, Der Witi,


B. Synthetischer Teil.

IV. Der Lustmechanismus und die Psychogenese

des Witzes.


Aus welchen Quellen die eigentümliche Lust fließt, welche uns der Witz bereitet, das stellen wir nun als gesicherte Erkenntnis voran. Wir wissen, daß wir der Täuschung unterliegen können, unser Wohlgefallen am Gedankeninhalt des Satzes mit der eigent- lichen Witzeslust zu verwechseln, daß aber diese selbst wesentlich zwei Quellen hat, die Technik und die Tendenzen des Witzes. Was wir nun erfahren möchten, ist, auf welche Weise sich die Lust aus diesen Quellen ergibt, der Mechanismus dieser Lust- wirkung.

Es scheint uns, daß sich die gesuchte Aufklärung beim ten- denziösen Witz viel leichter ergibt als beim harmlosen. Mit ersterem werden wir also beginnen.

Die Lust beim tendenziösen Witz ergibt sich daraus, daß eine Tendenz befriedigt wird, deren Befriedigung sonst unterblieben wäre. Daß solche Befriedigung eine Lustquelle ist, bedarf keiner weiteren Ausführung. Aber die Art, wie der Witz die Befriedigung herbeiführt, ist an besondere Bedingungen geknüpft, aus denen vielleicht weiterer Aufschluß zu gewinnen ist. Es sind hier zwei Fälle zu unterscheiden. Der einfachere Fall ist, daß der Be- friedigung der Tendenz ein äußeres Hindernis im Wege steht, welches durch den Witz umgangen wird. So fanden wir es z. B. in der Antwort, die Serenissimus auf die Frage erhält, ob die Mutter des Angesprochenen je in der Residenz gelebt habe, oder in der Äußerung des Kunstkenners, dem die zwei reichen Gauner ihre Portraits zeigen: And where is the Saviour? Die Tendenz geht in dem einen Fall dahin, einen Schimpf mit Gleichem zu erwidern, im anderen, eine Beschimpfung an Stelle des geforder- ten Gutachtens von sich zu geben; was ihr entgegensteht, sind rein äußerliche Momente, die Machtverhältnisse der Personen, die von der Beschimpfung betroffen werden. Es mag uns immerhin auffallen, daß diese und analoge Witze tendenziöser Natur, so sehr sie uns auch befriedigen, doch nicht im stände sind, einen starken Lacheffekt hervorzubringen.


Erspai-ung an Hemmungs- oder Unterdrückungsaufwand


99


Anders, wenn nicht äußere Momente, sondern ein innerliches Hindernis der direkten Verwirklichiuig der Tendenz im Wege steht, wenn eine innere Regung sich der Tendenz entgegenstellt. Diese Bedingung wäre nach unserer Voraussetzung etwa in den aggres- siven Witzen des Herrn N. verwirklicht, in dessen Person eine starke Neigung zur Invektivc durch hochentwickelte ästhetische Kultur in Schach gehalten wird. Mit Hilfe des Witzes wird der innere Widerstand für diesen speziellen Fall überwunden, die Hemmung aufgehoben. Dadurch wird wie im Falle des äußeren Hindernisses die Befriedigung der Tendenz ermöglicht, eine Unter- drückung und die mit ihr verbundene „psychische Stauung" ver- mieden; der Mechanismus der Lustentwicklung wäre insoweit für beide Fälle der nämliche.

Wir verspüren an dieser Stelle allerdings die Neigung, in die Unterschiede der psychologischen Situation für den Fall des äußeren und des irmeren Hindernisses tiefer einzugehen, da uns die Mög- lichkeit vorschwebt, aus der Aufhebung des inneren Hindernisses könne sich ein ungleich höherer Beitrag zur Lust ergeben. Aber ich schlage vor, hier genügsam zu bleiben und uns vorläufig mit der einen Feststellung zu bescheiden, welche bei dem für uns Wesentlichen verbleibt. Die Fälle des äußerlichen und des inneren Hindernisses unterscheiden sich nur darin, daß hier eine bereits bestehende Hemmung aufgehoben, dort die Herstellung einer neuen vermieden wird. Wir nehmen dann die Spekulation nicht zu sehr in Anspruch, wenn wir behaupten, daß zur Herstellung wie zur Erhaltung einer psychischen Hemmung ein „psychischer Aufwand" erfordert wird. Ergibt sich nun, daß in beiden Fällen der Verwendung des tendenziösen Witzes Lust erzielt wird, so liegt es nahe anzunehmen, daß solcher Lustgewinn dem er- sparten psychischen Aufwand entspreche.

Somit wären wir wiederum auf das Prinzip der Ersparung gestoßen, dem wir zuerst bei der Technik des Wortwitzes begegnet sind. Während wir aber zunächst die Ersparung in dem Gebrauch von möglichst wenig oder möghchst den gleichen Worten zu finden glaubten, ahnt uns hier der weit umfassendere Sinn einer Er- sparung an psychischem Aufwand überhaupt, und wir müssen es für möglich halten, durch nähere Bestimmung des noch sehr un- klaren Begriffes „psychischer Aufwand" dem Wesen des Witzes näher zu kommen.

Eine gewisse Unklarheit, die wir bei der Behandlung des Lustmechanismus beim tendenziösen Witze nicht überwinden konn- ten, nehmen wir als billige Strafe dafür, daß wir versucht haben,

7*


100 IV. Der Lustmechanismus des Witzes.

das Kompliziertere vor dem Einfacheren, den tendenziösen Witz vor dem harmlosen aufzuklären. Wir merken uns, daß „E r- sparung an Hemmung s- oder Unterdrückungsauf- wand" das Geheimnis der Lustwirkimg des tendenziösen Witzes zu sein schien, und wenden uns dem Mechanismus der Lust beim harmlosen Witze zu.

Aus geeigneten Beispielen harmlosen Witzes, bei denen keine Störung unseres Urteils durch Inhalt oder Tendenz zu befürchten stand, mußten wir den Schluß ziehen, daß die Techniken des Witzes selbst Lustquellen sind, und wollen nun prüfen, ob sich diese Lust etwa auf Ersparung an psychischem Aufwand zurück- führen lasse. In einer Gruppe dieser Witze (den Wortspielen) bestand die Technik darin, unsere psychische Einstellung auf den Wortklang anstatt auf den Sinn des Wortes zu richten, die (akustische) Wortverstellung selbst an Stelle ihrer durch Rela- tionen zu den Dingvorstellungen gegebenen Bedeutung treten zu lassen. Wir dürfen wirklich vermuten, daß damit eine große Erleichterung der psychischen Arbeit gegeben ist, und daß wir uns bei der ernsthaften Verwendung der Worte durch eine gewisse Anstrengung von diesem bequemen Verfahren abhalten müssen. Wir können beobachten, daß krankhafte Zustände der Denk- tätigkeit, in denen die Möglichkeit, psychischen Aufwand auf eine Stelle zu konzentrieren, wahrscheinlich eingescliränkt ist, tatsäch- lich die Wortklangvorstellung solcher Art gegen die Wortbedeutung in den Vordergrund rücken lassen, und daß solche Kranke in. ihren Reden nach den „äußeren" anstatt nach den „inneren" Assoziationen der Wortvorstellung, wie die Formel lautet, fort- schreiten. Auch beim Kinde, welches ja die Worte noch als Dinge zu behandeln gewohnt ist, bemerken wir die Neigung, hinter gleichem oder ähnlichem Wortlaut gleichen Sinn zu suchen, die zur Quelle vieler von den Erwachsenen belachter Irrtümer wird. Wenn es uns dann im Witz ein unverkennbares Vergnügen bereitet, durch den Gebrauch des nämlichen Wortes oder eines ihm ähnlichen aus dem einen Vorstellungskreis in einen anderen entfernten zu gelangen (wie bei Home-Roulard aus dem der Küche in den der Politik), so ist dies Vergnügen wohl mit Recht auf die Ersparung an psychischem Aufwand zurückzuführen. Die Witzeslust aus solchem „Kurzschluß" scheint auch um so größer zu sein, je fremder die beiden durch das gleiche Wort in Ver- bindung gebrachten Vorstellungskreise einander sind, je welter ab sie von einander liegen, je größer also die Ersparung an Gedanken- weg durch das technische Mittel des Witzes ausfällt. Merken wir


Lust beim Wiederfinden des Bekannten. loi

Übrigens an, daß sich der Witz hier eines Mittels der Verknüpfung bedient, welches vom ernsthaften Denken verworfen und sorgfältig vermieden wird.*)

Eine zweite Gruppe technischer Mittel des Witzes — Uni- fizierung, Gleichklang, mehrfache Verwendung, Modifikation be- kannter Redensarten, Anspielung auf Zitate — läßt als gemein- samen Charakter herausheben, daß jedesmal etwas Bekanntes wiedergefunden wird, wo man anstatt dessen etwas Neues hätte erwarten können. Dieses Wiederfinden des Bekannten ist lust- voll, und es kann uns wiederum nicht schwer fallen, solche Lust als Ersparungslust zu erkennen, auf die Ersparung an psychischem Aufwand zu beziehen.

Daß das Wiederfinden des Bekannten, das „Wiedererkennen" lustvoll ist, scheint allgemein zugestanden zu werden. Groos**) sagt: (S. 153) „Das Wiedererkennen ist nun überall, wo es nicht

allzusehr mechanisiert ist (wie etwa beim Ankleiden, wo )

mit Lustgefühlen verbunden. Schon die bloße QuaHtät der Be- kanntheit ist leicht von jenem sanften Behagen begleitet, das Faust erfüllt, wie er nach einer unheimlichen Begegnung wieder

  • ) Wenn ich mir hier gestatten darf, der Darstellung im Texte vorzu-

greifen, so kann ich an dieser Stelle ein Licht auf die Bedingung werfen, welche für den Sprachgehrauch maßgebend scheint, um einen Witz emen „guten" oder einen „schlechten" zu heißen. Wenn ich mittels eines doppel- sinnigen oder wenig modifizierten Wortes auf kurzem Wege aus einem Vorstellungskreis in einen anderen geraten bin, während sich zwischen den beiden Vorstellungskreisen nicht auch gleichzeitig eine sinnvolle Ver- knüpfung ergibt, dann habe ich einen „schlechten Witz" gemacht. In diesem schlechten Witze ist das eme Wort, die „Pointe", die einzig vorhandene Verknüpfung zwischen den beiden disparaten Vorstellungen. Em solcher Fall ist das oben verwendete Beispiel: Home-Roulard. Ein ,,guter Witz kommt aber zu stände, wenn die Kindererwartung Recht behält und niit der Ähnlichkeit der Worte wirklich gleichzeitig eine andere, wesenthche Ähnlichkeit des Sinnes angezeigt ist wie im Beispiel: Traduttore-Traditore. Diebeiden disparaten Vorstellungen, die hier durch eine äußerhche Asso- ziation verknüpft sind, stehen außerdem in einem sinnreichen Zu.sa">"ien- hang, welcher eine Wesensverwandtschaft von ihnen aussagt. Die äußer- liche Assoziation ersetzt nur den innerlichen Zusammenhang; ^J« dien dazu, ihn anzuzeigen oder klarzustellen. Der „Übersetzer*' heißt ™cht nur ähnlich wie der Verräter; er ist auch eme Art von Verräter, er führt gleichsam mit Recht seinen Namen. .

Der hier entwickelte Unterschied fällt mit der später einzuführenden Scheidung von „Scherz" und „Witz" zusammen. Es wäre aber Unrecht, Beispiele wie Home-Roulard von der Erörterung über die Natur des Witzes auszuschließen. So wie wir die eigentümliche Lust des Witzes in Betracht ziehen, finden wir, daß die „schlechten" Witze keineswegs als Witze schlecht, d. h. ungeeignet zur Erzeugung von Lust sind.

  • ^ Die Spiele der Menschen, 1899.


J02 IV. Der Lustmechanismus des Witzes,

in sein Studierzimmer tritt" .... „Wenn so der Akt des Wieder- erkennens lusterregend ist, so werden wir erwarten dürfen, daß der Mensch darauf verfällt, diese Fähigkeit um ihrer selbst willen zu üben, also spielend mit ihr zu experimentieren. In der Tat hat Aristoteles in der Freude am Wiedererkennen die Grund- lage des Kunstgenusses erbHckt, un<i es läßt sich nicht leugnen, daß dieses Prinzip nicht übersehen werden darf, wenn es auch keine so weittragende Bedeutung hat, wie Aristoteles annimmt."

Groos erörtert dann die Spiele, deren Charakter darin be- steht, die Freude am Wiedererkennen dadurch zu steigern, daß man demselben Hindernisse in den Weg legt, also eine „psychische Stauung" herbeiführt, die mit dem Akt des Erkennens beseitigt ist. Sein Erklärungsversuch verläßt aber die Annahme, daß das Erkennen an sich lustvoll sei, indem er das Vergnügen am Er- kennen mit Berufung auf diese Spiele auf die Freude an der Macht, an der Überwindung einer Schwierigkeit zurückführt. Ich halte dieses letztere Moment für sekundär und sehe keinen Anlaß, von der einfacheren Auffassung abzuweichen, daß das Erkennen an sich, d. h. durch Erleichterung des psychischen Aufwands, lustvoil ist, und daß die auf diese Lust gegründeten Spiele sich eben nur des Stauungsmechanismus bedienen, um deren Betrag in die Höhe zu treiben.

Daß Reim, Alliteration, Refrain und andere Formen der Wiederholung ähnlicher Wortklänge in der Dichtung die näm- liche Lustquelle, das Wiederfinden des Bekannten, ausnützen, ist gleichfalls allgemein anerkannt. Ein „Machtgefühl" spielt bei diesen Techniken, die mit der „mehrfachen Verwendung" beim Witze so große Übereinstimmung zeigen, keine ersichtliche Rolle.

Bei den nahen Beziehungen zwischen Erkennen und Erinnern ist die Annahme nicht mehr gewagt, daß es auch eine Er- innerungslust gebe, d. h. daß der Akt des Erinnerns an sich von einem Lustgefühl ähnlicher Herkunft begleitet sei. Groos scheint einer solchen Annahme nicht abgeneigt zu sein, aber er leitet die Erinnerungslust wiederum vom „Machtgefühl" ab, in dem er den Hauptgrund des Genusses bei fast allen Spielen — wie ich meine, mit Unrecht — sucht.

Auf dem „Wiederfinden des Bekannten" beruht auch die Verwendung eines anderen technischen Hilfsmittels des Witzes, von dem bisher noch nicht die Rede war. Ich meine das Moment der Aktualität, das bei sehr vielen Witzen eine ausgiebige Lustquelle darstellt und einige Eigentümlichkeiten in der Lebens-


Das Moment der Aktualität. 103

geschichte der Witze erklärt. Es gibt Witze, die von dieser Be- dingung vollkommen frei sind, und in einer Abhandlung über den Witz sind wir genötigt, uns fast ausschließlich solcher Beispiele zu bedienen. Wir können aber nicht daran vergessen, daß wir vielleicht noch stärker als über solche perennierende Witze über andere gelacht haben, deren Verwendung uns jetzt schwer fällt, weil sie lange Kommentare erfordern und auch mit deren Nach- hilfe die einstige Wirkung nicht erreichen würden. Diese letzteren Witze enthielten nun Anspielungen auf Personen und Begeben- heiten, die zur Zeit „aktuell" waren, das allgemeine Interesse wach gerufen hatten und noch in Spannung erhielten. Nach dem Erlöschen dieses Interesses, nach der Erledigung der betreffenden Affäre hatten auch diese Witze einen Teil ihrer Lustwirkung, und zwar einen recht beträchtlichen Teil, eingebüßt. So z. B, erscheint mir der Witz, den mein freundlicher Gastgeber machte, als er die herumgereichte Mehlspeise einen „Home-Roulard" nannte, heute lange nicht so gut wie damals, als Home Rule eine ständige Rubrik in den politischen Nachrichten unserer Zeitungen war. Ver- suche ich jetzt das Verdienst dieses Witzes durch die Beschreibung zu -würdigen, daß uns das eine Wort mit Ersparung eines großen Benkumweges aus dem Vorstellungskreis der Küche in den so ferne liegenden der Politik führe, so hätte ich diese Beschreibung damals abändern müssen, „daß uns dieses Wort aus dem Vor- stellungskreis der Küche in den ihm selbst so ferne liegenden Kreis der Politik führe, der aber unseres lebhaften Interesses sicher sei, weil er uns eigentlich unausgesetzt beschäftige." Ein anderer Witz: „Dieses IVIädchen erinnert mich an Dreyfus; die Armee glaubt nicht an ihre Unschuld" ist heute, trotzdem alle seine technischen Mittel unverändert geblieben sein müssen, gleichfalls verblaßt. Die Verblüffung durch den Vergleich und die Zweideutigkeit des Wortes „Unschuld" können es nicht weit machen, daß die Anspielung, die damals an eine mit frischer Erregung besetzte Angelegenheit rührte, heute an ein erledigtes Interesse erinnert. Ein noch aktueller Witz wie z. B, folgender: „Kronprinzessin Louise hatte sich an das Krematorium in Gotha mit der Anfrage gewendet, was eine Verbrennung koste. Die Verwaltung gab ihr die Antwort: Sonst 5000 Mark, ihr werde man aber nur 3000 Mark berechnen, da sie schon einmal durch- gebrannt sei"; ein solcher Witz erscheint heute unwiderstehlich; in einiger Zeit wird er in unserer Schätzung sehr erheblich ge- sunken sein, und noch eine Weile später, wenn man ihn nicht erzählen kann, ohne in einem Kommentar hinzuzusetzen, wer die


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IV. Der Lustmechaiiismua des Witzes.


Prinzessin Louise war, und wie ihr „Durchgebranntsein" gemeint ist, wird er trotz des guten Wortspiels wirkungslos bleiben.

Eine große Zahl der im Umlauf befindlichen Witze gelangt so zu einer gewissen Lebensdauer, eigentlich zu einem Lebens- lauf, der sich aus einer Blütezeit und einer Verfallzeit zusammen- setzt und in völliger Vergessenheit endigt. Das Bedürfnis der Menschen, Lust aus ihren Denkvorgängen zu gewinnen, schafft dann immer neue Witze unter Anlehnung an die neuen Interessen des Tages. Die Lebenskraft der aktuellen Witze ist keine ihnen eigene, sie wird auf dem Wege der Anspielung jenen anderen Interessen entlehnt, deren Ablauf auch das Schicksal des Witzes bestimmt. Das Moment der Aktualität, welches als eine ver- gängliche Lustquelle zwar, aber als besonders ergiebige zu den eigenen des Witzes hinzutritt, kann nicht einfach dem Wieder- finden des Bekannten gleichgesetzt werden. Es handelt sich viel- mehr um eine besondere Qualifikation des Bekannten, dem die Eigenschaft des Frischen, Rezenten, nicht vom Vergessen Be- rührten zukommen muß. Auch bei der Traumbildung begegnet man einer besonderen Bevorzugung des Rezenten und kann sich der Vermutung nicht erwehren, daß die Assoziation mit dem Rezenten durch eine eigenartige Lustprämie belohnt, also er- leichtert wird.

Die Unifizierung, die ja nur die Wiederholung auf dem Gebiete des Gedankenzusammenhanges anstatt des Materials ist, hat bei G. Th. F e c h n e r eine besondere Anerkennung als Lust- quelle des Witzes gefunden. Fechner äußert (Vorschule der Ästhetik I, XVII): „Meines Erachtens spielt in dem Felde, was wir hier vor Augen haben, das Prinzip der einheitlichen Ver- knüpfung des Mannigfaltigen die Hauptrolle, bedarf aber noch unterstützender Nebenbedingungen, um das Vergnügen, was die hieher gehörigen Fälle gewähren können, mit seinem eigentümlichen Charakter über die Schwelle zu treiben."*)

In allen diesen Fällen von Wiederholung des nämlichen Zu- sammenhanges oder des nämlichen Materials von Worten, von Wiederfinden des Bekannten und Rezenten, die dabei verspürte Lust von der Ersparung an psychischem Aufwand abzuleiten, kann uns wohl nicht verwehrt werden, wenn dieser Gesichtspunkt sich fruchtljar zur Aufklärung von Einzelheiten und zur Gewinnung neuer Allgemeinheiten erweist. Wir wissen, daß wir noch die Art,

  • ) Abschnitt XVII ist Überschrieben: Von sinnreichen und witzigen

Vergleichen, Wortspielen u. a. Fällen, welche den Charakter der Ergötz- lichkeit, Lustigkeit, Lächerlichkeit tragen.


Worüust und Lust am Unsinn. 105

wie die Ersparung zu stände kommt, und den Sinn des Ausdrucks „psychischer Aufwand" deuthch zu machen haben.

Die dritte Gruppe der Techniken des Wit2es — zumeist des Ge- dankenwitzes — , welche die Denkfehler, Verschiebungen, den Wider- sinn, die Darstellung durch das Gegenteil u. a. umfaßt, mag für den ersten Anschein ein besonderes Gepräge tragen und keine Ver- wandtschaf mit den Techniken des Wiederfindens des Bekannten oder des Ersatzes der Gegenstandsassoziationen durch die Wort- assoziationen verraten ; es ist nichts desto weniger gerade hier sehr leicht, den Gesichtspunkt der Ersparung oder Erleichterung des psychischen Aufwandes zur Geltung zu bringen.

Daß es leichter und bequemer ist, von einem eingeschlagenen Gedankenweg- abzuweichen als ihn festzuhalten, Unterschiedenes zusammenzuwerfen als es in Gegensatz zu bringen, und gar be- sonders bequem, von der Logik verworfene Schlußweisen gelten zu lassen, endlich bei der Zusammenfiigung von Worten oder Gedanken von der Bedingung abzusehen, daß sie auch einen Sinn ergeben sollen: dies ist allerdings nicht zweifelhaft, und gerade dies tun die in Rede stehenden Techniken des Witzes. Befremden wird aber die Aufstellung erregen, daß solches Tun der Witz- arbeit eine Quelle der Lust eröffnet, da wir gegen alle derartigen Minderleistungen der Denktätigkeit außerhalb des Witzes nur un- lustige Abwehrgefühle verspüren können.

Die „Lust am Unsinn", wie wir abkürzend sagen können, ist im ernsthaften Leben allerdings bis zum Verschwinden ver- deckt. Um sie nachzuweisen, müssen wir auf zwei Falle eingehen, in denen sie noch sichtbar ist und wieder sichtbar wird, auf das Verhalten des lernenden Kindes und das des Erwachsenen in toxisch veränderter Stimmung. In der Zeit, da das Kind den Wortschatz seiner Muttersprache handhaben lernt, bereitet es ihm ein offenbares Vergnügen, mit diesem Material „spielend zu experimentieren" (Groos), und es fügt die Worte, ohne sich an die Sinnbedingung zu binden, zusammen, um den Lusteffekt des Rhythmus oder des Reimes mit ihnen zu erzielen. Dieses Vergnügen wird ihm allmählich verwehrt, bis ihm nur die sinnreichen Wort- verbindungen als gestattete erübrigen. Noch in spätere Jahre ragen daim die Bestrebungen, sich über die erlernten Einschrän- kungen im Gebrauche der Worte hinauszusetzen, indem man die- selben durch bestimmte Anhängsel verunstaltet, ihre Formen durch gewisse Veranstaltungen verändert (Reduplikationen, Zitter spräche) oder sich sogar für den Gebrauch unter den Gespielen eine eigene


^M


jo6 IV. Der Lustmechanismus des Witzes.

Sprache zurecht macht, Bemühungen, welche dann bei den Geistes- kranken gewisser Kategorien wieder auftauchen.

Ich meine, welches immer das Motiv war, dem das Kind folgte, als es mit solchen Spielen begann, in weiterer Entwicklung gibt es sich ihnen mit dem Bewußtsein, daß sie unsinnig sind, hin und findet das Vergnügen in diesem Reiz des von der Ver- nunft Verbotenen. Es benützt nun das Spiel dazu, sich dem Drucke der kritischen Vernunft zu entziehen. Weit gewaltiger sind aber die Einschränkungen, die bei der Erziehung zum rich- tigen Denken und zur Sonderung des in der Realität Wahren vom Falschen Platz greifen müssen, und darum ist die Auf- lehnung gegen den Denk- und Realilätszwang eine tiefgreifende und lang anhaltende; selbst die Phänomene der Phantasiebetätigung fallen unter diesen Gesichtspunkt. Die Macht der Kritik ist in dem späteren Abschnitt der Kindheit und in der über die Pubertät hinausreichenden Periode des Lernens meist so sehr gewachsen, daß die Lust am „befreiten Unsinn" sich nur selten direkt zu äußern wagt. Man getraut sich nicht, Widersinn auszusprechen; aber die für den Buben charakteristische Neigung zu wider- sinnigem, zweckwidrigem Tun scheint mir ein direkter Abkümm- iing der Lust am Unsinn zu sein. In pathologischen Fällen sieht man leicht diese Neigung soweit gesteigert, daß sie wieder die Reden und Antworten des Schülers beherrscht; bei einigen in Neurose verfallenen Gymnasiasten konnte ich mich überzeugen, daß die unbewußt wirkende Lust an dem von ihnen produzierten Unsinn an ihren Fehlleistungen nicht minderen Anteil hatte als ihre wirkliche Unwissenheit.

Der Student gibt es dann nicht auf, gegen den Denk- und Realitätszwang zu demonstrieren, dessen Herrschaft er doch im- mer unduldsamer und uneingeschränkter werden verspürt. Ein guter Teil des studentischen Ulks gehört dieser Reaktion an. Der Mensch ist eben ein „unermüdlicher Lustsucher", — ich weiß nicht mehr, bei welchem Autor ich diesen glücklichen Ausdruck gefunden habe — und jeder Verzicht auf eine einmal genossene Lust wird ihm sehr schwer. Mit dem heiteren Unsinn des Bier- schwefels versucht der Student, sich die Lust aus der Freiheit des Denkens zu retten, die ihm durch die Schulung des Kollegs immer mehr verloren geht. Ja noch viel später, wenn er als gereifter Mann mit anderen auf dem wissenschaftlichen Kongreß zusammengetroffen ist und sich wieder als Lernender gefühlt hat, muß nach Schluß der Sitzungen die Kneipzeitung, welche die neu


%


Wiederherstellung alter Freiheiten. io7

gewonnenen Einsichten in's Unsinnige verzerrt, ihm für die neu zugewachsene Denkhemmung Entschädigung bieten.

„Bierschwefel" und „Kneipzeitung" legen in ihren Namen Zeugnis dafür ab, daß die Kritik, welche die Lust am Unsinn verdrängt hat, bereits so stark geworden ist, daß sie ohne toxische Hilfsmittel auch nicht zeitweilig beiseite geschoben werden kann. Die Veränderung der Stimmungslage ist das WertvoUstCj was der Alkohol dem Menschen leistet, und weshalb dieses „Gift" nicht für jeden gleich entbehrlich ist. Die heitere Stimmung, ob nun endogen entstanden oder toxisch erzeugt, setzt die hemmenden Kräfte, die Kritik unter ihnen, herab und macht damit Lustquellen wieder zugänglich, auf denen die Unterdrückung lastete. Es ist überaus lehrreich zu sehen, wie die Anforderungen an den Witz mit einer Hebung der Stimmungslage sinken. Die Stimmung er- setzt eben den Witz, wie der Witz sich bemühen muß, die Stimmung zu ersetzen, in welcher sich sonst gehemmte Genuß- möglichkeiten, unter ihnen die Lust am Unsinn, geltend machen. „Mit wenig Witz und viel Behagen."

Unter dem Einfluß des Alkohols wird der Erwachsene wieder zum Kinde, dem die freie Verfügung über seinen Gedanken ablauf ohne Einhaltung des logischen Zwanges Lust bereitet.

Wir hoffen nun auch dargetan zu haben, daß die Widersinns- techniken des Witzes einer Lustquelle entsprechen. Daß diese Lust aus Ersparung an psychischem Aufwand, Erleichterung vom Zwange der Kritik, hervorgeht, brauchen wir nur zu wiederholen.

Bei einem nochmaligen Rückblick auf die in drei Gruppen gesonderten Techniken des Witzes bemerken wir, daß die erste und dritte dieser Gruppen, die Ersetzung der Dingassoziationen durch die Wortassoziationen und die Verwendung des Widersinns als Wiederherstellungen aher Freiheiten nnd als Entlastungen von dem Zwang der intellektuellen Erziehung zusammengefaßt werden können; es sind psychische Erleichterungen, die man in einen gewissen Gegensatz zur Ersparung bringen kann, welche die Technik in der zweiten Gruppe ausmacht. Erleichterung des schon bestehenden und Ersparung an erst aufzubietendem psychischem Aufwand, auf diese beiden Prinzipien führt sich also alle Technik des Witzes und somit alle Lust aus diesen Techniken zurück. Die beiden Arten der Technik und der Lustgewinnung fallen ü~brigens — im großen und ganzen wenigstens — mit der Scheidung des Witzes in Wort- und Gedankenwitz zusammen.


lo8 IV. Die Psychogenese des Witzes.

Die vorstehenden Erörterungen haben uns unversehens zur

Einsicht in eine Entwicklungsgeschichte oder Psychogenese des

Witzes geführt, welcher wir nun näher treten wollen. Wir haben

Vorstufen des Witzes kennen gelernt, deren Entwicklung bis zum

tendenziösen Witz wahrscheinlich neue Beziehungen zwischen den

verschiedenen Charakteren des Witzes aufdecken kann. Vor allem

Witz gibt es etwas, was wir als Spiel oder ,Scherz' bezeichnen

können. Das Spiel — verbleiben wir bei diesem Namen — tritt

beim Kinde auf, während es Worte verwenden und Gedanken an

einander fügen lernt. Dieses Spiel folgt wahrscheinlich einem der

Triebe, welche das Kind zur Übung seiner Fähigkeiten nötigen

(Groos); es stößt dabei auf Lustwirkungen, die sich aus der

Wiederholung des Ähnlichen, aus dem Wiederfinden des Bekannten,

dem Gleichklang usw. ergeben und als unvermutete Ersparungen

an psychischem Aufwand erklären. Es ist nicht zu verwundern,

daß diese Lusteffekte das Kind zur Pflege des Spieles antreiben

und es veranlassen, dieselben ohne Rücksicht auf die Bedeutung

der Worte und den Zusammenhang der Sätze fortzusetzen. Spiel

mit Worter. und Gedanken, motiviert durch gewisse Lusteffekte

der Ersparung, wäre also die erste Vorstufe des Witzes.

Diesem Spiel macht die Erstarkung eines Moments ein Ende, das als Kritik oder Vernünftigkeit bezeichnet zu werden verdient. Das Spiel wird nun als sinnlos oder direkt widersinnig verworfen; es wird infolge der Kritik unmögHch. Es ist nun auch ausge- schlossen, anders als zufallsweise aus jenen Quellen des Wicdcr- findens des Bekannten usw. Lust zu beziehen, es sei denn, daß den Heranwachsenden eine lustvolle Stimmung befalle, welche der Heiterkeit des Kindes ähnlich die kritische Hemmung aufhebt. In diesem Falle allein wird das alte Spiel der Lustgewinnung wieder ermöglicht, aber auf diesen Fall mag der Mensch nicht warten und auf die ihm vertraute Lust nicht verzichten. Er sucht also nach Mitteln, welche ihn von der lustvollen Stimmung un- abhängig machen; die weitere Entwicklung zum Witze wird von den beiden Bestrebungen, die Kritik zu vermeiden und die Stimmung zu ersetzen, regiert.

Damit setzt die zweite Vorstufe des Witzes ein, der Scherz. Es gilt nun den Lustgewinn des Spieles durchzusetzen und dabei doch den Einspruch der Kritik, der das Lustgefühl nicht auf- kommen ließe, zum Schweigen zu bringen. Zu diesem Ziele führt nur ein einziger Weg. Die sinnlose Zusammenstellung von Worten oder die widersinnige Anreihung von Gedanken muß doch einen Sinn haben. Die ganze Kunst der Witzarbeit wird


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, Spiel und Scherz. lOQ

aufgeboten, um solche Worte und solche Gedankenkonstcllationen aufzufinden, bei denen diese Bedingung erfüllt ist. Alle tech- nischen Mittel des Witzes finden hier bereits, beim Scherz, Ver- wendung, auch trifft der Sprachgebrauch zwischen Scherz und Witz keine konsequente Unterscheidung. Was den Scherz vom Witz unterscheidet, ist, daß der Sinn des der Kritik entzogenen Satzes kein wertvoller, kein neuer oder auch nur guter zu sein braucht; es muß sich eben nur so sagen lassen, wenngleich es ungebräuchlich, überflüssig, nutzlos ist, es so zu sagen. Beim Scherz steht die Befriedigung, das von der Kritik Verbotene ermöglicht zu haben, im Vordergrunde.

Ein bloßer Scherz ist es z. B., wemi Schleiermacher die Eifersucht definiert als die Leidenschaft, die mit Eifer sucht, was Leiden schafft. Ein Scherz ist es, wenn der Professor Kästner, der im i6. Jahrhundert in Göttingen Physik lehrte — und Witze machte, — einen Studenten namens Kriegk bei der Inskription nach seinem Alter fragte und auf die Antwort, er sei dreißig Jahre alt, meinte: Ei, so habe ich ja die Ehre, den 30- jährigen Krieg zu sehen.*) Mit einem Scherz antwortete Meister Rokitansky auf die Frage, welchen Berufen sich seine vier Söhne zugewendet hätten: „Zwei heilen und zwei heulen" (zwei Ärzte und zwei Sänger). Die Auskunft war richtig und darum nicht weiter angreifbar; aber sie fügte nichts hinzu, was nicht in dem in Klammern stehenden Ausdruck enthalten gewesen wäre. Es ist unverkennbar, daß die Antwort die andere Form nur wegen der Lust angenommen hat, welche sich aus der Unifizierung und aus dem Gleichklang der beiden Worte ableitet.

Ich meine, wir sehen nun endlich klar. Es hat uns in der Bewertung der Techniken des Witzes immer gestört, daß diese mcht dem Witz allein zu eigen sind, und doch schien das Wesen des Witzes an ihnen zu hängen, da mit ihrer Beseitigung durch die Reduktion Witzcharakter und Witzeslust verloren waren Nun merken wir, was wir als die Techniken des Witzes beschrieben haben — und in gewissem Sinne fortfahren müssen so zu nennen - das sind vielmehr die Quellen, aus denen der Witz die Lust bezieht und wir finden es nicht befremdend, daß andere Ver- fahren 'zum nämlichen Zweck aus den gleichen Quellen schöpfen. Die dem Witze eigentümliche und ihm allein zukommende Technik besteht aber in semem Verfahren, die Anwendung dieser lust- bereitenden Mittel gegen den Einspruch der Kritik sicher zu

•) Kleiiipaul. Die Rätsel der Sprache, 1890.


110 IV. Die Psychogenese des Witzes,

stellen, welcher die Lust aufheben würde. Wir können von diesem Verfahren wenig Allgemeines aussagen; die Witzarbeit äußert sich, wie schon erwähnt, in der Auswahl eines solchen Wortmaterials und solcher Denksituationen, welche es gestatten, daß das alte Spiel mit Worten und Gedanken die Prüfung der Kritik bestehe, und zu diesem Zwecke müssen alle Eigentümlichkeiten des Wortschatzes und alle Konstellationen des Gedankenzusammen- hanges auf das Geschickteste ausgenützt werden. Vielleicht werden wir späterhin noch in die Lage kommen, die Witzarbeit durch eine bestimmte Eigenschaft zu charakterisieren; vorläufig bleibt es unerklärt, wie die dem Witze ersprießliche Auswahl getroffen werden kann. Die Tendenz und Leistung des Witzes, die lust- bereitenden Wort- und Gedankenverbindungen vor der Kritik zu schützen, stellt sich aber schon beim Scherz als sein wesentliches Merkmal heraus. Von Anfang an besteht seine Leistung darin, innere Hemmungen aufzuheben und durch sie unzugänglich ge- wordene Lustquellen ergiebig zu machen, und wir werden finden, daß ei diesem Charakter durch seine ganze Entwicklung treu bleibt.

Wir sind nun auch in der Lage, dem Moment des „Sinnes im Unsinn" (vgl. Einleitung, S. 4), welchem von den Autoren eine so große Bedeutung zur Kennzeichnung des Witzes und zur Aufklärung der Lustwirkung beigemessen wird, seine richtige Stellung anzuweisen. Die zwei festen Punkte in der Bedingtheit des Witzes, seine Tendenz, das lustvolle Spiel durchzusetzen, und seine Bemühung, es vor der Kritik der Vernunft zu schützen, erklären ohne weiteres, warum der einzelne Witz, wenn er für die eine Ansicht unsinnig erscheint, für eine andere sinnvoll oder wenigstens zulässig erscheinen muß. Wie er dies macht, das bleibt die Sache der Witzarbeit; wo es ihm nicht gelungen ist, wird er eben als „Unsinn" verworfen. Wir haben es aber auch nicht nötig, die Lustwirkung des Witzes aus dem Widerstreit der Gefühle abzuleiten, die aus dem Sinn und gleichzeitigen Unsinn des Witzes, sei es direkt, sei es auf dem Wege der „Verblüffung und Erleuchtung", hervorgehen. Ebensowenig besteht für uns eine Nötigung, der Frage näher zu treten, wieso Lust aus der Abwechslung des für-sinnlos-Haltens und für-sinnreich-Er- kennens des Witzes hervorgehen könne. Die Psychogenese des Witzes hat uns belehrt, daß die Lust des Witzes aus dem Spiel mit Worten oder aus der Entfesselung des Unsinns stammt, und daß der Sinn des Witzes nur dazu bestimmt ist, diese Lust gegen die Aufhebung durch die Kritik zu schützen.


Scherz und Witz. 1 1 1

Somit wäre das Problem des wesentlichen Charakters des Witzes bereits am Scherz erklärt. Wir dürfen uns der weiteren Entwicklung des Scherzes bis zu deren Höhe im tendenziösen Witz zuwenden. Der Scherz steUt noch die Tendenz voran, uns ■Vergnügen zu bereiten, und begnügt sich damit, daß seine Aus- sage nicht unsinnig oder völlig gehaltlos erscheine. Wenn diese Aussage; selbst eine gehalt- und wertvolle ist, wandelt sich der Scherz zum Witz. Ein Gedanke, der unseres Interesses würdig gewesen wäre auch in schlichtester Form ausgedrückt, ist nun in eine Form gekleidet, die an und für sich unser Wohlgefallen erregen muß.*) Gewiß ist eine solche Vergesellschaftung nicht ohne Absicht zu stände gekommen, müssen wir denken und werden uns bemühen, die der Bildung des Witzes zu Grunde liegende Absicht zu erraten. Eine bereits früher, wie beiläufig gemachte Beobachtung wird uns auf die Spur führen. Wir haben oben bemerkt, daß ein guter Witz uns sozusagen einen Gesamt- eindruck von Wohlgefallen macht, ohne daß wir im stände wären, unmittelbar zu unterscheiden, welcher Anteil der Lust von der witzigen Form, welcher von dem trefflichen Gedankeninhalt her- rührt (S. 75). Wir täuschen uns beständig über diese Aufteüung, überschätzen das eine Mal die Güte des Witzes infolge unserer Bewunderung für den in ihm enthaltenen Gedanken, bald um- gekehrt den Wert des Gedankens wegen des Vergnügens, das uns die witzige Einkleidung bereitet. Wir wissen nicht, was uns Ver- gnügen macht, und worüber wir lachen. Diese als tatsächlich an- zunehmende Unsicherheit unseres Urteils mag das Motiv für die Bildung des Witzes im eigentlichen Sinne abgegeben haben. Der Gedanke sucht die Witzverkleidung, weil er durch sie sich unserer Aufmerksamkeit empfiehlt, uns bedeutsamer, wertvoller erschemen kann, vor allem aber, weil dieses Kleid unsere Kritik besticht und verwirrt. Wir haben die Neigung, dem Gedanken zu gute zu schreiben, was uns an der witzigen Form gefallen hat, sind auch nicht mehr geneigt, etwas unrichtig zu finden, was uns Vergnügen

  • ) Als Beispiel, welches den Unterschied von Scherz und eigent-

lichem Witz erkennen läßt, diene das ausgezeichnete Witzwort, mit welchem ein Mitglied des „Bürgerministeriums" in Österreich die Frage nach der Solidarität des Kabinetts beantwortete: „Wie sollen wir für einander ein- stehen können, wenn wir einander nicht ausstehen können? Technik: Verwendung des nämlichen Materials mit geringer (gegensätzlicher) Mo- difikation ; der korrekte und treffende Gedanke: Es gibt keine Solidarität ohne persönliches Einvernehmen. Die Gegensätzlichkeit der Modifikation (einstehen— ausstehen) entspricht der vom Gedanken behaupteten Un- vereinbarkeit und dient ihr als Darstellung.


112 IV. Die Psychogenese des Witzes.

bereitet hat, um uns so die Quelle einer Lust zu verschütten. Hat der Witz uns zum Lachen gebracht, so ist übrigens die für die Kritik ungünstigste Disposition in uns hergestellt., denn dann ist uns von einem Punkte aus jene Stimmung" aufgezwungen worden, der bereits das Spiel genügt hat, und die zu ersetzen der Witz mit allen Mitteln bemüht war. Wenngleich wir vorhin festgesetzt haben, daß solcher Witz als harmloser, noch nicht tendenziöser, zu bezeichnen sei, werden wir doch nicht verkennen dürfen, daß streng genommen nur der Scherz tendenzlos ist, d. h. allein der Absicht Lust zu erzeugen dient. Der Witz — mag der in ihm enthaltene Gedanke auch tendenzlos sein, also bloß theo- retischem Denkintercsso dienen — ist eigentlich nie tendenziös; er verfolgt die zweite Absicht, den Gedanken durch Vergrößerung zu fördern und ihn gegen die Kritik zu sichern. Er äußert hier wiederum seine ursprüngliche Natur, indem er sich einer hemmen- den und einschränkenden Macht, nun dem krhischen Urteil, entgegenstellt.

Diese erste über die Lusterzeugung hinausgehende Ver- wendung des Witzes weist den weiteren den Weg. Der Witz ist nun als ein psychischer Machtfaktor erkannt, dessen Gewicht den Ausschlag geben kann, wenn es in diese oder jene Wagschale fällt. Die großen Tendenzen und Triebe des Seelenlebens nehmen ihn für ihre Zwecke in Dienst. Der ursprünglich tendenzlose Witz, der als ein Spiel begann, kommt sekundär in Beziehung zu Tendenzen, denen sich nichts, was im Seelenleben gebildet wird, auf die Dauer entziehen kann. Wir wissen bereits, was er im Dienste der entblößenden, feindseligen, zynischen, skeptischen Tendenz zu leisten vermag. Beim obszönen Witz, welcher aus der Zote hervorgegangen ist, macht er aus dem ursprünglich die sexuelle Situation störenden Dritten einen Bundesgenossen, vor dem das Weib sich schämen muß, indem er ihn durch Mitteilung seines Lustgewinnes besticht. Bei der aggressiven Tendenz ver- wandelt er den anfänglich indifferenten Zuhörer durch das näm- liche Mittel in einen Mithasser oder Mitverächter und schafft dem Feind ein Heer von Gegnern, wo erst nur ein einziger war. Im ersten Falle überwindet er die Hemmungen der Scham und der Wohlanständigkeit durch die Lustprämie, die er bietet; im zweiten aber wirft er wiederum das kritische Urteil um, welches sonst den Streitfall geprüft hätte. Im dritten und vierten Falle, im Dienste der zynischen imd skeptischen Tendenz erschüttert er den Respekt vor Insthutionen und Wahrheiten, an die der Hörer ge- glaubt hat, einerseits indem er das Argument verstärkt, ander-


Die Entwicklung zum tendenziösen Witz. ua

seits aber, indem er eine neue Art des Angriffs pflegt. Wo das Argument die Kritik des Hörers auf seine Seite zu ziehen sucht, ist der Witz bestrebt, diese Kritik zur Seite zu drängen. Es ist kein Zweifel daß der Witz den psychologisch wirksameren Weg gewählt hat.

Bei dieser Übersicht über die Leistungen des tendenziösen Witzes hat sich uns in den Vordergrund gedrängt, was leichter zu sehen ist, die Wirkung des Witzes auf den, der ihn hört. Für das Verständnis bedeutsamer sind die Leistungen, die der Witz im Seelenleben desjenigen vollbringt, der ihn macht, oder, wie man einzig richtig sagen sollte, dem er einfällt. Wir haben schon einmal den Vorsatz gefaßt — und finden hier Anlaß ihn zu erneuern — , daß wir die psychischen Vorgänge des Witzes mit Rücksicht auf ihre Verteilung auf zwei Personen studieren wollen. Vorläufig wollen wir der Vermutung Ausdruck geben, daß der durch den Witz angeregte psychische Vorgang beim Hörer den beim Schöpfer des Witzes in den meisten Fällen nach- bildet. Dem äußerlichen Hindernis, welches beim Hörer über- wunden werden soll, entspricht eine innere Hemmung beim Witzigen. Zum mindesten ist beim Letzterem die Erwartung des äußerlichen Hindernisses als hemmende Vorstellung vorhanden. In einzelnen Fällen ist das innerliche Hindernis, das durch den tendenziösen Witz überwunden wird, evident; von den Witzen des Herrn N. (S. 85) dürfen wir z. B. annehmen, daß sie nicht nur den Hörern den Genuß der Aggression durch Injurien, sondern vor allem ihm die Produktion derselben ermöghchen. Unter den Arten der innerlichen Hemmung oder Unterdrückung wird eine unseres besonderen Interesses würdig sein, weil sie die weit- gehendste ist; sie wird mit dem Namen der „Verdrängung" be- zeichnet und an ihrer Leistung erkannt, daß sie die ihr ver- fallenen Regungen sowie deren Abkömmlinge vom Bewußt- werden ausschließt. Wir werden hören, daß der tendenziöse Witz selbst aus solchen der Verdrängung unterliegenden Quellen Lust zu entbinden vermag. Läßt sich in solcher Art, wie oben an- gedeutet wurde, die Überwindung äußerer Hindernisse auf die innerer Hemmungen und Verdrängungen zurückführen, so darf man sagen, daß der tendenziöse Witz den Hauptcharakter der Witzarbeit, Lust frei zu machen durch Beseitigung von Hemmungen am deutlichsten von allen Entwicklungsstufen des Witzes erweist. Er verstärkt die Tendenzen, in deren Dienst er sich stellt, indem er ihnen Hilfen aus unterdrückt gehahenen Regungen zuführt, oder er stellt sich überhaupt in den Dienst unterdrückter Tendenzen.

Freud, Der Wltx. 8


1 14 IV, Die Psychogenese des Witzes.

Man kann gern zugeben, daß dies die Leistungen des ten- denziösen Witzes sind, und wird sich doch besinnen müssen, daß man nicht versteht, auf welche Weise ihm diese Leistungen ge- lingen können. Seine Macht besteht in dem Lustgewinn, den er aus den Quellen des Spieles mit Worten und des befreiten Un- sinnes zieht, und wenn man nach den Eindrücken urteilen soll, die man von den tendenzlosen Scherzen empfangen hat, kann man den Betrag dieser Lust unmöglich für so groß halten, daß man ihr die Kraft zur Aufhebung eingewurzelter Hemmungen und Verdrängungen zutrauen könnte. Es Hegt hier in der Tat keine einfache Kraftwirkung, sondern ein verwickelteres Auslösungs- verhältnis vor. Anstatt den weiten Umweg darzulegen, auf dem ich zur Einsicht in dieses Verhältnis gelangt bin, werde ich es auf kurzem synthetischem Wege darzustellen versuchen.

G. Th. Fechner hat in seiner Vorschule der Ästhetik (I. Bd., V) das „Prinzip der ästhetischen Hilfe oder Steigerung" aufgestellt, das er in folgenind also »

besondere Anlagen oder psychische Bedingungen vorauszusetzen, 1

welche die Witzarbeit gestatten oder begünstigen. I

Ich fürchte, daß wir es in der Ergründung dieses Themas nicht besonders weit bringen werden. Es gelingt uns nur hie und da, von dem Verständnis eines einzelnen Witzes aus zur Kenntnis der subjektiven Bedingungen in der Seele dessen, der den Witz gemacht hat, vorzudringen. Ganz zufällig trifft es sich, daß gerade dat^ Beispiel von Witz, an welchem wir unsere Unter- suchungen über die Witztechnik begonnen haben, uns auch einen Einblick in die subjektive Bedingtheit des Witzes gestattet. Ich meine den Witz von Heine, tler auch bei H e y m a n s und L i p p s Aufmerksamkeit gefunden hat :

„ . . . Ich saß neben Salomon Rothschild, und er behandelte mich ganz wie seines GleicheUj ganz famillionär." (Bäder von Lucca.)


Die subjektive Bedingung des Witzes „famillionär". jig

Dieses Wort hat Heine einer komischen Person in den Mund gelegt, dem Hirsch-Hyacinth, Kollekteur, Operateur .und Taxator aus Hamburg, Kammerdiener bei dem vornehmen Baron Cristoforo Gumpelino (vormals Gumpel). Der Dichter emp- findet offenbar großes Wohlgefallen an diesem seinem Geschöpf, denn er läßt Hirsch-Hyacinth das große Wort führen und ihn die amüsantesten und freimütigsten Äußerungen vorbringen; er leiht ihm geradezu die praktische Weisheit eines Sancho Pansa. Man muß bedauern, daß Heine, der dramatischer Gestaltung, wie es scheint, nicht zuneigte, die kösthche Figur so bald wieder fallen läßt. An nicht wenigen Stellen will es uns scheinen, als spräche aus Hirsch-Hyacinth der Dichter selbst hinter einer dünnen Maske, und bald erlangen wir die Gewißheit, daß diese Person nur eine Selbstparodie des Dichters jst. Hirsch berichtet über die Gründe, weshalb er seinen früheren Namen abgelegt und sich jetzt Hyacinth heiße. „Dazu .habe ich noch den Vorteil," setzt er fort, „daß schon ein H. auf meinem Petschaft steht, und ich mir kein neues stechen zu Üassen brauche." Dieselbe Er- sparnis hatte aber Heine selbst, als er bei seiner Taufe seinen Vornamen „Harry" gegen „Heinrich" eintauschte. Nun muß jeder, dem des Dichters Lebensgeschichte bekannt ist, sich er- innern, daß Heine in Hamburg, wohin .auch die Person des Hirsch-Hyacinth weist, einen Onkel des gleichen Namens besaß, der als der reiche Mann Jn der FamiUe die größte Rolle in seinem Leben spielte. Der Onkel hieß auch — Salomon, ganz wie der alte Rothschild, der den armen Hirsch so famillionär aufgenommen. Was im Munde des Hirsch-Hyacinth ein bloßer Scherz schien, zeigt bald einen Hintergrund ernsthafter Bitterkeit, wenn wir es dem Neffen Harry- Heinrich zuschieben. Er gehörte doch zur FamiUe, ja wir wissen, es war sein heißer Wunsch, eine Tochter dieses Onkels zu heiraten, aber die Cousnie wies ihn ab und der Onkel behandelte ihn immer etwas „famillionär", als armen Verwandten. Die reichen Vettern in Hamburg nahmen ihn nie als voll; ich erinnere mich der Erzählung einer eigenen alten Tante, die durch Heirat in die Familie Heine gekommen war, daß sie eines Tages als schone junge Frau einen Sitznachbar an der Familientafel fand, der ihr unappetitlich schien, und gegen den die anderen sich geringschätzig benahmen. Sie fühlte sich nicht veranlaßt, herablassender gegen ihn zu sein; erst viele Jahre später erkannte sie, daß der nachlässige und vernachlässigte Vetter der Dichter Heinrich Heine gewesen war. Wie sehr Heine unter dieser Ablehnung seiner reichen Verwandten \a


120


V. Die Motive des Witzes.


seiner Jugendzeit und später gelitten, dürfte aus mancherlei Zeug- nissen bekannt sein. Auf dem Boden solcher subjektiven Er- griffenheit ist dann der Witz „famiHionär" erwachsen.

Auch bei manchen anderen Witzen des großen Spötters könnte man ähnliche subjektive Bedingungen vermuten, aber ich weiß kein Beispiel mehr, an dem man solche in ähnlich überzeugender Weise klar legen könnte; und es ist darum mißlich, .über die Natur dieser persönlichen Bedingungen etwas Genaueres aussagen zu wollen; auch wird man ja von vorne herein nicht geneigt sein, für jeden Witz ähnlich komplizierte Entstehungsbedingungen in Anspruch zu nehmen. An den witzigen Produktionen anderer berühmter Männer wird uns die gesuchte Einsicht eben nicht leichter zugänglich; man bekommt etwa den Eindruck, daß die subjektiven Bedingungen der Witzarbeit denen der neurotischen Erkrankung oft nicht ferne liegen, wenn man z.B. über Lichten- berg erfährt, daß er ein schwer hypochondrischer, mit allerlei Sonderbarkeiten behafteter Mensch war. Die größte Mehrzahl der Witze, besonders der immer neu bei den Anlässen des Tages produzierten, ist anonym im Umlaufe; man könnte neugierig fragen, was für Leute es sind, auf die solche Produktion sich zurückführt. Hat man als Arzt die Gelegenheit, eine der Per- sonen kennen zu lernen, die, obwohl sonst nicht hervorragend, doch in ihrem Kreise als Witzbolde und Urheber vieler gangbarer Witze bekannt sind, so kann man von der Entdeckung überrascht werden, daß dieser witze Kopf eine zwiespältige und zu nervösen Erkrankungen disponierte Persönlichkeit ist. Die Unzulänglichkeit der Dokumente wird uns aber sicherlich abhalten, eine solche psychoneurotische Konstitution als regelmäßige oder notwendige subjektive Bedingung der Witzbildung aufzustellen.

Einen durchsichtigeren Fall ergeben wiederum die Tudenwitze, die, wie schon erwähnt, durchwegs von Juden selbst gemacht worden sind, während die Judengeschichten anderer Herkunft sicli fast nie über das Niveau des komischen Schwankes oder der brutalen Verhöhnung erheben (S. 93). Die Bedingung der Selbst- beteiligung scheint sich hier wie bei H eine's Witz „famillionär" herauszustellen und deren Bedeutung darin zu liegen, daß der Person die Kritik oder Aggression direkt erschwert und nur auf Umwegen ermöglicht wird.

Andere subjektive Bedingungen oder Begünstigungen der Witzarbeit sind weniger in Dunkel gehüllt. Die Triebfeder der Produktion harmloser Witze ist nicht selten der ehrgeizige Drang, seinen Geist zu zeigen, sich darzustellen, ein der Exhibition auf


I


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Der Drang zur Mitteilung des Witzes. lai

sexuellem Gebiete gleichzusetzender Trieb. Das Vorhandensein zahlreicher gehemmter Triebe, deren Unterdrückung einen gewissen Grad von LabiÜtät bewahrt hat, wird für die Produktion des ten- denziösen Witzes die günstigste Disposition ergeben. So können insbesondere einzelne Komponenten der sexuellen Konstitution eines Menschen als Motive der Witzbildung auftreten. Eine ganze Reihe von obszönen Witzen läßt den Schluß auf eine versteckte Exhibitionsneigung ihrer Urheber zu; die tendenziösen Witze der Aggression gelingen denen am besten, in deren Sexualität eine mächtige sadistische Komponente, im Leben mehr oder weniger gehemmt, nachweisbar ist.

Die zweite Tatsache, die zur Untersuchung der subjektiven Bedingtheit des Witzes auffordert, ist die allgemeine bekannte Erfahrung, daß sich niemand begnügen kann, einen Witz für sich allein gemacht 2u haben. Mit der Witzarbeit ist der Drang zur Mitteilung des Witzes unabtrennbar verbunden; ja dieser Drang ist so stark, daß er sich oft genug mit Hinaussetzung über wichtige Bedenken verwirklicht. Auch beim Komischen gewährt die Mit- teilung an eine andere Person Genuß ; aber sie ist nicht gebieterisch, man kann das Komische, wo man darauf stößt, allein genießen. Den Witz hingegen ist man genötigt mitzuteilen, der psychische Vorgang der Witzbildung scheint mit dem Einfallen des Witzes nicht abgeschlossen; es bleibt etwas übrig, das durch die Mit- teilung des Einfalls den unbekannten Vorgang der Witzbildung zum Abschlüsse bringen will.

Wir können zunächst nicht erraten, wodurch der Trieb zur Mitteilung des Witzes begründet sein mag. Aber wir bemerken am Witz eine andere Eigentümlichkeit, die ihn wiederum vom Komischen unterscheidet. Wenn mir das Komische begegnet, so kann ich selbst herzlich darüber lachen; es freut mich allerdings auch, wenn ich durch die Mitteilung desselben einen Anderen zum Lachen bringe. Über den Witz, der mir eingefallen ist, den ich gemacht habe, kann ich nicht selbst lachen, trotz des unver- kennbaren Wohlgefallens, das ich am Witz empfinde. Es ist möglich, daß mein Bedürfnis nach Mitteilung des Witzes an einen Anderen mit diesem mir selbst versagten, beim Anderen aber manifesten Lacheffekt des Witzes irgendwie zusammenhängt.

Warum lache ich nun nicht über meinen eigenen Witz? Und welches ist dabei die Rolle des Anderen?

Wenden wir uns zuerst der letzteren Frage zu. Beim Komi- schen kommen im allgemeinen zwei Personen in Betracht, außer meinem Ich die Person, an der ich das Komische finde; wenn


122 V. Der Witz als sozialer Vorgang.

mir Gegenstände komisch erscheinen, geschieht dies durch eine in unserem Vorstellungsleben nicht seltene Art von Personifizie- rung. Mit diesen beiden Personen, dem Ich und der Objektperson begnügt sich der komische Vorgang; eine dritte Person kann hin- zukommen, wird aber nicht erfordert. Der Witz als ein Spiel mit den eigenen Worten und Gedanken entbehrt zunächst einer Objektperson, aber schon auf der Vorstufe des Scherzes verlangt er, wenn es ihm gelungen ist, Spiel und Unsinn gegen die Ein- rede der Vernunft sicherzustellen, nach einer anderen Person, welcher er sein Ergebnis mitteilen kann. Diese zweite Person beim Witze entspricht aber nicht der Objektperson, sondern der dritten Person, dem Anderen bei der Komik, Es scheint, daß beim Scherz der anderen Person die Entscheidung übertragen wird, ob die Witzarbeit ihre Aufgabe erfüllt hat, als ob das Ich sich seines Urteils darüber nicht sicher wüßte. Auch der harm- lose, den Gedanken verstärkende Witz bedarf des Anderen, um zu erproben, ob er seine Absicht erreicht hat. Begibt sich der Witz in den Dienst entblößender oder feindseliger Tendenzen, so kann er als psychischer Vorgang zwischen drei Personen be- schrieben werden, welche die nämlichen sind wie bei der Komik, aber die Rolle der dritten Person ist eine andere dabei; der psy- chische Vorgang des Witzes vollendet sich zwischen der ersten, dem Ich, und der dritten, der fremden Person, nicht wie beim Komischen zwischen dem Ich und der Objektperson.

Auch bei der dritten Person des Witzes stößt der Witz auf subjektive Bedingungen, die das Ziel der Lusterregung unerreich- bar machen können. Wie Shakespeare mahnt (Lovc's Labour's lost, V., 2):

„A jest's prosperity lies in the ear

of him that hears it, never in the tongue

of him that makes it . . ."

Wen eine an ernste Gedanken geknüpfte Stimmung beherrscht, der ist ungeeignet, dem Scherz zu bestätigen, daß es ihm geglückt ist, die Wortlust zu retten. Er muß selbst in heiterer oder wenig- stens in indifferenter Stimmungslage sein, um für den Scherz die dritte Person abzugeben. Dasselbe Hindernis setzt sich für den harmlosen und für den tendenziösen Witz fort; bei letzterem tritt aber als neues Hindernis der Gegensatz zur Tendenz auf, welcher der Witz dienen will. Die Bereitschaft über einen ausgezeichneten obszönen Witz zu lachen, kann sich nicht einstellen, wenn die Entblößung eine hoch gehaltene Angehörige der dritten Person


Die dritte Person des Witzes.


123


betrifft; in einer Versammlung von Pfarrern und Pastoren dürfte niemand wagen, die Heine'schen Vergleiche katholischer und protestantischer Pfaffen mit Kleinhändlern und Angestellten einer Großhandlung vorzubringen, und vor einem Parterre von ergebenen Freunden meines Gegners würden die witzigsten Invektiven, die ich gegen ihn vorbringen kann, nicht als Witze sondern als Invektiven zur Geltung kommen, Entrüstung und nicht Lust bei den Hörern erzeugen. Ein Grad von Geneigtheit oder eine ge- wisse Indifferenz, die Abwesenheit aller Momente, welche starke, der Tcndenr gegnerische Gefühle hervorrufen können, ist unerläß- liche Bedingung, wenn die dritte Person zur Vollendung des Witz- vorganges mitwirken soll.

Wo solche Hindernisse für die Wirkung des Witzes entfallen, da tritt das Phänomen auf, dem nun unsere Untersuchung gilt, daß die Lust, welche der Witz bereitet hat, sich an der dritten Person deutlicher erweist als an dem Urheber des Witzes. Wir müssen uns begnügen zu sagen : deudicher, wo wir geneigt wären zu fragen, ob die Lust des Hörers nicht intensiver ist als die des Witzbildners, weil uns wie begreiflich die Mittel zur Ab- messung und Vergleichung fehlen. Wir sehen aber, daß der Hörer seine Lust durch explosives Lachen bezeugt, nachdem die erste Person den Witz meist mit ernsthaft gespannter Miene vor- gebracht hat. Wenn ich einen Witz weiter erzähle, den ich selbst gehört habe, muß ich, um seine Wirkung nicht zu verderben, mich bei der Erzählung genau so benehmen wie jener, der ihn gemacht hat. Es ist nun die Frage, ob wir aus dieser Bedingtheit des Lachens über den Witz Rückschlüsse auf den psychischen Vorgang bei der Witzbildung ziehen können.

Es kann nun nicht unsere Absicht sein, hier alles in Betracht zu ziehen, was über die Natur des Lachens behauptet und ver- öffentlicht worden ist. Von solchem Vorhaben mag uns der Satz abschrecken, den Du gas, ein Schüler Ri bot's, an die Spitze seines Buches „Psychologie du rire" {1902) gestellt hat. „II n'est pas de fait plus banal et plus dtudiö que le rire; il n'en est pas qui ait en le don d'exciter davantage la curiositt^ du vulgaire et Celle des philosophes; il n'en est pas sur lequel on ait recueilli plus d'observations et bäti plus de thi^ories, et avec cela il n'en est pas qui demeure plus inexpliqu(5, on serait tent6 de dire avec les sceptiques qu'il faut gtre content de rire et de ne pas chercher a savoir pourquoi on rit, d'autant que peut-6tre le reflexion lue le rire, et qu'il serait alors contradictoire qu'elle en d6couvrit les causes" (S. i). l


124 ^' ^^^ Witz als sozialer Vorgang.

Hingegen werden wir es uns nicht entgehen lassen, eine An- sicht über den Mechanismus des Lachens für unsere Zwecke zu verwerten, die sich in unseren eigenen Gedankenkreis vortrefflich einfügt. Ich meine den Erklärungsversuch von H. Spencer in seinem Aufsatze ,,Physiology of Laughter".+)

Nach Spencer ist das Lachen ein Phänomen der Abfuhr seelischer Erregung und ein Beweis daf -" -, daß die psychische Verwendung dieser Erregung plötzlich aui om Hindernis ge- stoßen ist. Die psychologische Situation, die in Lachen ausläuft, schildert er in den folgenden Worten „Laughter naturally results only when consciousness is unawares transferred from great things to small — only when there is what me may call a descending incongruity."**)

In ganz ähnlichem Sinne bezeichnen französische Autoren (Dugas) das Lachen als eine „d^tente", eine Erscheinung der Entspannung, und auch die Formel A. Bain's: „Laughter a relief from restraint" scheint mir von der Auffassung Spencer's weit weniger abzustehen, als manche Autoren uns glauben machen wollen.

Wir empfinden allerdings das Bedürfnis, den Gedanken Spencer's zu modifizieren und die in ihm enthaltenen Vorstel- lungen zum Teil bestimmter zu fassen, zum Teil abzuändern. Wir würder sagen, das Lachen entstehe, wenn ein früher zur Besetzung gewisser psychischer Wege verwendeter Betrag von psychischer Energie unverwendbar geworden ist, so daß er freie

') H. Spencer, The physiology of laughter (first published in Mac- millans Magazine for March 1860), Essays IL Bd., 1901.

    • ) Verschiedene Punkte dieser Bestimmung würden bei einer Unter-

suchung Über die komische Lust eine eingehende Prüfung verlangen, die bereits von anderen Autoren vorgenommen worden ist und jedenfalls nicht auf unserem Wege liegt, — In der Erklärung, warum die Abfuhr gerade jene^Wege findet, deren Erregung das somatische Bild des Lachens ergibt, scheint mir Spencer nicht glücklich gewesen zu sein. Zu dem vor und seit Darwin ausführlich behandelten aber immer noch nicht endgültig erledigten Thema der physiologischen Aufklärung des Lachens, also der Ableitung oder Deutung der für das Lachen charakteristischen Muskel- aktionen, möchte ich einen einzigen Beitrag liefern. Meines Wissens tritt die für das Lächeln bezeichnende Grimasse der Mundwinkelverziehung zuerst beim befriedigten und übersättigten Säugling auf, wenn er einge- schläfert die Brust fahren läßt. Sie ist dort eine richtige Ausdrucksbewe- gung, da sie dem Entscliluß keine Nahrung mehr aufzunehmen entspricht, gleichsam ein „Genug" oder vielmehr „Übergenug" darstellt. Dieser ur- sprüngliche Sinn der lustvollen Übersättigung mag dem Lächeln, welches ja das Grundphänomen des Lachens bleibt, die spätere Beziehung zu den lustvollen Abfuhrvorgängen verschafft haben.


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Das Lachen und die Abfuhr. j2C

Abfuhr erfahren kann. Wir sind uns klar darüber, welchen „Übeln Schein" wir bei solcher Aufstellung auf uns laden, aber wir wagen es aus der Schrift von L i p p s über Komik und Humor, aus welcher Aufklärung über mehr als nur über Komik und Humor zu holen ist, zu unserer Deckung den trefflichen Satz zu zitieren : „Schließlich führen psychologische Einzelprobleme immer ziemlich tief in die Psychologie hinein, so daß im Grunde kein psycho- logisches Problem isoliert sich behandeln läßt" {S. 71). Die Begriffe „psychische Energie", „Abfuhr" und die Behandlung der psychischen Energie als einer Quantität sind mir zur Denkgewohn- heit geworden, seitdem ich begonnen habe, mir die Tatsachen der Psychopathologie philosophisch zurechtzulegen, und bereits in meiner „Traumdeutung" (1900) habe ich gleichsinnig mit Lipps die an sich unbewußten psychischen Vorgänge, und nicht die Bewußtseinsinhalte als das „eigentlich psychisch Wirkungsfähige" hinzustellen versucht.*) Nur wenn ich von der „Besetzung psychi- scher Wege" rede, scheine ich mich von den bei Lipps gebräuch- lichen Gleichnissen zu entfernen. Die Erfahrungen über die Ver- schiebbarkeit der psychischen Energie längs gewisser Assoziations- bahnen und über die fast unverwüstliche Erhaltung der Spuren psychischer Vorgänge haben es mir in der Tat nahe gelegt, eine solche Verbildlichung für das Unbekannte zu versuchen. Um dem Mißverständnis auszuweichen, muß ich hinzufügen, daß ich keinen Versuch mache, Zellen imd Fasern oder die heute ihre _Stelle einnehmenden Neuronsysteme als diese psychischen Wege zu proklamieren, wenngleich solche Wege in noch nicht angebbarer Weise durch organische Elemente des Nervensystems darstellbar sein müßten.

Beim Lachen sind also nach unserer Annahme die Bedingungen dafür gegeben, daß eine bisher zur Besetzung verwendete Summe psychischer Energie der freien Abfuhr unterliege, und da zwar


•) Vrgi. die Abschnitte indem zitierten Buch von Lipps, Kap. VIII. „Über die psychische Kraft" u. s. f. (Dazu „Traumdeutung", VIII.) — „Es gilt also der allgemeine Satz : Die Faktoren des psychischen Lebens sind nicht die Bewußtseinsinhalte, sondern die an sich unbewußten psychischen Vorgänge. Die Aufgabe der Psychologie, falls sie nicht bloß Bewußtseins- inhalte beschreiben will, muß dann darin bestehen, aus der Beschaffenheit der Bewußtseinsinhalte und ihres zeitlichen Zusammenhanges die Natur dieser unbewußten Vorgänge zu erschließen. Die Psychologie muß sein eine Theorie dieser Vorgänge. Eine solche Psychologie wird aber sehr bald finden, daß es gar mancherlei Eigenschaften dieser Vorgänge gibt, die in den entsprechenden Bewußtseinsinhalten nicht repräsentiert sind." (Lipps, 1. c. S. 133.)


120 V. Der Witz als sozialer Vorgang.

nicht jedes Lachen, aber doch gewiß das Lachen über den Witz ein Anzeichen von Lust ist, werden wir geneigt sein, diese Lust auf die Aufhebung der bisherigen Besetzung zu beziehen. Wenn wir sehen, daß der Hörer des Witzes lacht, der Schöpfer desselben nicht lachen kann, darf uns dies soviel besagen als, daß beim Hörer ein Besetzungsaufwand aufgehoben und abgeführt wird, während sich bei der Witzbildung entweder in der Aufhebung oder in der Abfuhrmöglichkeit Hemmnisse ergeben. Den psychi- schen Vorgang beim Hörer, bei der dritten Person des Witzes, kann man kaum treffender charakterisieren, als wenn man hervor- hebt, daß er die Lust des Witzes mit sehr geringem eigenem Aufwand erkauft. Sie wird ihm sozusagen geschenkt. Die Worte des Witzes, die er hört, lassen in ihm notwendig jene Vorstellung oder Gedankenverbindung entstehen, deren Bildung auch bei ihm so große innere Hindernisse entgegenstanden. Er hätte eigene Be- mühung anwenden müssen, um sie spontan als erste Person zu Stande zu bringen, mindestens soviel psychischen Aufwand daran setzen müssen, als der Stärke der Hemmung, Unterdrückung oder Verdrängung derselben entspricht. Diesen psychischen Aufwand hat er sich erspart; nach unseren früheren Erörterungen (v. S. 99) würden wir sagen, seine Lust entspreche dieser Ersparung. Nach unserer Einsicht in den Mechanismus des Lachens werden wir vielmehr sagen, die zur Hemmung verwendete Besetzungsenergie sei nun durch die Herstellung der verpönten Vorstellung auf dem Wege der Gehörswahrnehmung plötzlich überflüssig geworden, aufgehoben und darum zur Abfuhr durch das Lachen bereit. Im' wesentlichen laufen beide Darstellungen auf das gleiche hinaus, denn der ersparte Aufwand entspricht genau der überflüssig ge- wordenen Hemmung. Anschaulicher ist aber die letztere Dar- stellung, denn sie gestattet uns zu sagen, der Hörer des Witzes lache mit dem Betrag von psychischer Energie, der durch die Aufhebung der Hemmungsbesetzung frei geworden ist; er lache diesen Betrag gleichsam ab.

Wenn die Person, bei der der Witz sich bildet, nicht lachen kann, so deute dies, sagten wir eben, auf eine Abweichung vom Vorgang bei der dritten Person, der entweder die Aufhebung der Hemmungsbesetzung oder die Abfuhrmöglichkeit derselben be- trifft. Aber der erstere der beiden Fälle ist unzutreffend, wie wir sofort einsehen müssen. Die Hemmungsbesetzung muß auch bei der ersten Person aufgehoben worden sein, sonst wäre ja kein Witz geworden, dessen Bildung ja einen solchen Widerstand zu überwinden hatte. Auch wäre es unmöglich, daß die erste Person


Warum die erste Person des Witzes nicht lacht 127

die Witzeslust empfände, die wir ja von der Aufhebung der Hemmung ableiten mußten. Es erübrigt also nur der andere Fall, daß die erste Person nicht lachen kann, obwohl sie Lust empfindet, weil die Abfuhrmöglichkeit gestört ist. Eine solche Störung in der Ermöglichung der Abfuhr, welche für's Lachen Bedingung ist, kann sich daraus ergeben, daß die frei gewordene Besetzungs- energie sofort einer anderen endopsychischen Verwendung zu- geführt wird. Es ist gut, daß wir auf diese Möglichkeit auf- merksam geworden sind; wir werden ihr alsbald weiteres Interesse zuwenden. Bei der ersten Person des Witzes kann aber eine andere Bedingung, die zum gleichen Ergebnis führt, verwirklicht sein. Es ist vielleicht überhaupt kein äußeningsfähiger Betrag von Energie frei geworden, trotz der erfolgten Aufhebung der Hem- mungsbesetzung. Bei der ersten Person des Witzes geht ja die Witzarbeit vor sich, die einem gewissen Betrag von neuem psy- chischen Aufwand entsprechen muß. Die erste Person bringt also die Kraft selbst auf, welche die Hemmung aufhebt; daraus resul- tiert für sie sicherlich ein Lustgewinn, im Falle des tendenziösen Witzes sogar ein sehr erheblicher, da die durch die Witzarbeit gewonnene Vorlust selbst die weitere Hemmungsaufhebung über- nimmt, aber der Aufwand der Witzarbeit zieht sich in jedem Falle von dem Gewinn bei der Aufhebung der Hemmung ab, der nämliche Aufwand, welcher beim Hörer des Witzes entfällt. Zur Unterstützung des obenstehenden kann man noch anführen, daß der Witz auch bei der dritten Person seinen Lacheffekt einbüßt, sobald derselben ein Aufwand von Denkarbeit zugemutet wird. Die Anspielungen des Witzes müssen augenfällige sein, die Aus- lassungen sich leicht ergänzen; mit der Erweckung des bewußten Denkinteresses ist in der Regel die Wirkung des Witzes unmöglich gemacht. Hierin liegt ein wichtiger Unterschied von Witz und Rätsel. Vielleicht, daß die psychische Konstellation während der Witzarbeit der freien Abfuhr des Gewonnenen überhaupt nicht günstig ist. Wir sind hier wohl nicht in der Lage tiefere Einsicht zu gewinnen; wir haben den einen Teil unseres Problems, warum die dritte Person lacht, besser aufklären können als dessen anderen Teil, warum die erste Person nicht lacht.

Immerhin sind wir nun, wenn wir diese Anschauungen über die Bedingungen des Lachens und über den psychischen Vorgang bei der dritten Person fest halten, in die Lage versetzt, uns eine ganze Reihe von Eigentümhchkeiten, die vom Witze bekannt, aber nicht verstanden worden sind, befriedigend aufzuklären. Wenn bei der dritten Person ein der Abfuhr fähiger Betrag von Be-


128 V. Der Witz als sozialer Vorgang.

Setzungsenergie frei gemacht werden soll, so sind mehrere Be- dingungen zu erfüllen oder als Uegünstigungen erwünscht, i. Es muß gesichert sein, daß die dritte Person diesen Besetzungs- aufwand wirklich macht. 2. Es muß verhütet werden, daß der- selbe, wenn frei geworden, eine andere psychische Verwendung finde, anstatt sich zur motorischen Abfuhr zu bieten. 3. Es kann nur von Vorteil sein, wenn die frei zu machende Besetzung bei der dritten Person zuvor noch verstärkt, in die Höhe getrieben wird. Allen diesen Absichten dienen gewisse Mittel der Witzarbeit, die wir etwa als sekundäre oder Hiifstechniken zusammenfassen können. i ' ' ' ' ' ' ' ■ !

Die erste dieser Bedingungen legt eine der Eignungen der dritten Person als Hörer des Witzes fest. Sie muß durchaus soviel psychische Übereinstimmung mit der ersten Person besitzen, daß sie über die nämhchen inneren Hemmungen verfügt, welche die Witzarbeit bei der ersten überwunden hat. Wer auf Zoten ein- gestellt ist, der wird von geistreichen, entblößenden Witzen keine Lust ablehen können; die Aggressionen des Herrn N. werden bei Ungebildeten, die gewohnt sind, ihrer Schimpflust freien Lauf zu lassen, kein Verständnis finden. Jeder Witz verlangt so sein eigenes Publikum, und über die gleichen Witze zu lachen ist ein Beweis weitgehender psychischer Übereinstimmung. Wir sind hier übrigens an einem Punkte angelangt, der uns gestattet, den Vor- gang bei der dritten Person noch genauer zu erraten. Dieselbe muß die nämliche Hemmung, welche der Witz bei der ersten Person überwunden hat, gewohnheitsmäßig in sich herstellen können, so daß, sobald sie den Witz hört, in ihr die Bereitschaft zu dieser Hemmung zwangsartig oder automatisch erv/acht. Diese Hemmungsbereitschaft, die ich als einen wirklichen Aufwand analog einer Mobilmachung im Arraeewesen fassen muß, wird gleichzeitig als überflüssig oder als verspätet erkannt und somit in statu nascendi durch Lachen abgeführt.*)

Die zweite Bedingung für die Herstellung der freien Abfuhr, daß eine andersartige Verwendung der frei gewordenen Energie hintangehalten werde, erscheint als die weitaus wichtigere. Sie gibt die theoretische Aufklärung für die Unsicherheit der Witz- wirkung, wemi bei dem Hörer durch den im Witze ausgedrückten Gedanken stark erregende Vorstellungen wachgerufen werden, wobei es dann von der Übereinstimmung oder dem Widerspruch

  • ) Der Gesichtspunkt des Status nascendi ist von Heymans (Zeit-

schrift fürPsychol.,XI) in etwas anderem Zusammenhange geltend gemacht worden.


Automatismus des Witz Vorganges. 129

zwischen den Tendenzen des Witzes und der den Höicv be- herrschenden Gedankenreihe abhängt, ob dem Witz Vorgang die Aufmerksamkeit belassen oder entzogen wird. Von noch größerem theoretischem Interesse sind aber eine Reihe von Hilfstechniken des WitzeSj welche offenbar der Absicht dienen, die Aufmerksamkeit des Hörers überhaupt vom Witzvorgang abzuziehen, den letzteren automatisch verlaufen zu lassen. Ich sage absichtlich: automa- tisch und nicht : unbewußt, weil letztere Bezeichnung irreführend wäre. Es handelt sich hier nur darum, die Mehrbesetzung der Aufmerksamkeit von dem psychischen Vorgang beim Anhören des Witzes fern zu halten, und die Brauchbarkeit dieser Hilfstechniken läßt uns mit Recht vermuten, daß gerade die Aufmerksamkeits- besetzung an der Überwachung und Neuverwendung von frei ge- wordener Besetzungsenergie einen großen Anteil hat.

Es scheint überhaupt nicht leicht zu sein, die cndopsychische Verwendung entbehrlich gewordener Besetzung zu vermeiden, denn wir sind ja bei unseren Denkvorgängen beständig in der Üljung, solche Besetzungen von einem Weg auf den anderen zu verschieben, ohne von deren Energie etwas durch Abfuhr zu verlieren. Der Witz bedient sich hiezu folgender Mittel. Erstens strebt er einen möglichst kurzen Ausdruck an, um der Aufmerksamkeit weniger Angriffspunkte zu bieten. Zweitens hält er die Bedingung der leichten Verständlichkeit ein (vgl. oben); sowie er Denkarbeit in Anspruch nehmen, eine Auswahl unter verschiedenen Gedanken- wegen erfordern würde, müßte er die Wirkung nicht nur durch den unvermeidhchen Denkaufwand, sondern auch durch die Er- weckung der Aufmerksamkeit gefährden. Außerdem aber bedient er sich des Kunstgriffs, die Aufmerksamkeit abzulenken, indem er ihr im Ausdruck des Witzes etwas darbietet, was sie fesselt, so daB sich unterdes die Befreiung der Hemmungsbesetzung und deren Abfuhr ungestört durch sie vollziehen kann. Bereits die Auslassungen im Wortlaut des Witzes erfüllen diese Absicht; sie regen zur 'Ausfüllung der Lücken an und bringen es auf diese Weise zu stände, den Witzvorgang von der Aufmerksamkeit zu befreien. Hier wird gleichsam die Technik des Rätsels, welches die Aufmerksamkeit anzieht, in den Dienst der Witzarbeii gestellt. Noch viel wirksamer sind die Fassadcnbildungen, die wir zumal bei manchen Gruppen von tendenziösen Witzen gefunden haben (vgl. S. 88). Die syllogistischen Fassaden erfüllen den Zweck, die Aufmerksamkeit durch eine ihr gestellte Aufgabe festzuhalten, in ausgezeichneter Weise. Während wir nachzudenken beginnen, worin wohl diese Antwort gefehlt haben mag, lachen wir bereits;

Freud. Der Wlte. Q


130 V. Der Witz als sozialer Vorgang.

unsere Aufmerksamkeit ist überrumpelt worden, die Abfuhr der frei gewordenen Hemmungsbesetzung ist vollzogen. Das nämliche gilt für die Witze mit komischer Fassade, bei denen die Komik der Witz- technik Hilfsdienste leistet. Eine komische Fassade fördert die Wirkung des Witzes auf mehr als eine Weise, sie ermöglicht nicht nur den Automatismus des Witzvorganges durch die Fesselung der Aufmerksamkeit, sondern erleichtert auch die Abfuhr vom Witz her, indem sie eine Abfuhr vom Komischen her vorausschickt. Die Komik wirkt hier ganz wie eine bestechende Vorlust, und so mögen wir es verstehen, daß manche Witze auf die durch die sonstigen Mittel des Witzes hergestellte Vorlust ganz zu ver- zichten vermögen und sich nur des Komischen als Vorlust be- dienen. Unter den eigentlichen Techniken des Witzes sind es insbesondere die Verschiebung und die Darstellung durch Absur- des, welche außer ihrer sonstigen Eignung auch die für den automatischen Ablauf des Witzvorganges wünschenswerte Ab- lenkung der Aufmerksamkeit entfalten.*)

Wir ahnen bereits und werden es späterhin noch besser ein- sehen können, daß wir mit der Bedingung der Ablenkung der Aufmerksamkeit keinen unwesentlichen Zug des psychischen Vor- ganges beim Hörer des Witzes aufgedeckt haben. Im Zusammen- hange mit diesem können wir noch anderes verstehen. Erstens, wie es kommt, daß wir beim Witz fast niemals wissen, worüber wir lachen, obwohl wir es durch eine analytische Untersuchung feststellen können. Dieses Lachen ist eben das Ergebnis eines automatischen Vorganges, der erst durch die Fernhaltung unserer

") An einem Beispiel von Verschiebungswitz möchte ich noch einen anderen interessanten Charakter der Witztechnik erörtern. Die geniale Schauspielerin Gallmeyer soll einmal auf die unerwünschte Frage „Wie alt?", „im Gretchenton und mit verschämtem Augenniederschlag" geant- wortet haben: „In Brunn". Das ist nun das Muster einer Verschiebung; nach dem Alter gefragt, antwortet sie mit der Angabe ihres Geburtsortes, antizipiert also die nächste Frage und gibt zu verstehen: Diese eine Frage möchte ich übergangen wissen. Und doch fühlen wir, daß der Charakter des Witzes hier nicht ungetrübt zum Ausdruck kommt. Das Abspringen von der Frage ist zu klar, die Verschiebung allzu augenfällig. Unsere Aufmerksamkeit versteht sofort, daß es sich um eine beabsichtigte Verschiebung handelt. Bei den anderen Verschiebungswitzen ist die Ver- schiebung verhüllt, unsere Aufmerksamkeit wird durch das Bemühen sie festzustellen gefesselt. In einem der Verschiebungswitze (S. 41) „Was mache ich um Vs7 Uhr in Preßburg?" als Antwort auf die Empfehlung des Reitpferdes ist die Verschiebung gleichfalls eine vordringhche, aber zum Ersatz dafür wirkt sie als unsinnig verwirrend auf die Aufmerksam- keit, während wir beim Verhör der Schauspielerin ihre Verschiebungs- antwort sofort unterzubringen wissen.


Begünstigungen des Witzvorganges. ii|

bewußten Aufmerksamkeit ermöglicht wurde. Zweitens gewinnen wir das Verständnis für die Eigentümlichkeit des Witzes, seine volle Wirkung auf den Hörer nur zu äußern, wenn er ihm neu ist, ihm als Überraschung entgegentritt. Diese Eigenschaft des Witzes, die seine Kurzlebigkeit bedingt und zur Produktion immer neuer Witze auffordert, leitet sich offenbar davon ab, daß es im Wesen einer Überraschung oder Überrumpelung liegt, kein zweites Mal zu gelingen. Bei einer Wiederholung des Witzes wird die Aufmerksamkeit durch die aufsteigende Erinnerung an das erste Mal geleitet. Von hier aus eröffnet sich dann das Verständnis für den Drang, den gehörten Witz Anderen, die ihn noch nicht kennen, zu erzählen. Wahrscheinlich holt man sich ein Stuck der infolge mangelnder Neuheit entfallenden Genußmöglichkeit aus dem Eindruck wieder, den der Witz auf den Neuling macht. Und ein analoges Motiv mag den Schöpfer des Witzes getrieben zu haben, ihn überhaupt dem Anderen mitzuteilen.

Als Begünstigungen, wenn auch nicht mehr als Bedingungen, des Witzvorganges führe ich zu dritt jene technischen Hilfsmittel der Witzarbeit an, welche dazu bestimmt sind, den zur Abfuhr gelangenden Betrag zu erhöhen, und die auf solche Art die Wir- kung des Witzes steigern. Dieselben steigern zwar zumeist auch die dem Witz zugewandte Aufmerksamkeit, machen aber deren Ein- fluß wieder unschädlich, indem sie die Aufmerksamkeit gleich- zeitig fesseln und in ihrer Beweglichkeit hemmen. Alles, was Interesse und Verblüffung hervorruft, wirkt nach diesen beiden Richtungen, also vor allem das Unsinnige, der Gegensatz vor allem, der „Vorstellungskontrast", den manche Autoren zum wesentlichen Charakter des Witzes machen wollten, in dem ich aber nichts anderes als ein Verstärkungsmittel der Wirkung desselben erblicken kann. Alles Verblüffende ruft beim Hörer jenen Zustand der Energieverteilung hervor, den Lipps als „psychische Stauung" bezeichnet hat, und er hat wohl auch Recht anzunehmen, daß die „Endadung" um so stärker ausfällt, je höher die vorherige Stauung war. Die Darstellung von Lipps bezieht sich zwar nicht ausdrücklich auf den Witz, sondern auf das Komische überhaupt; aber es kann uns sehr wahrscheinlich vorkommen, daß die Abfuhr beim Witze, welche eine Hemmungsbesetzung entladet, in gleicher Weise durch die Stauung in die Höhe gebracht wird.

Es leuchtet uns nun ein, daß die Technik des Witzes über- haupt von zweierlei Tendenzen bestimmt wird, solchen, welche die Bildung des Witzes bei der ersten Person ermöglichen, und an- deren, welche dem Witz eine möglichst große Lustwirkung bei

9*


j,^ V. Der Witz als sozialer Vorgang.

der dritten Person gewährleisten sollen. Die Janus-artigc Doppel- gesichtigkeit des Witzes, welche dessen ursprünghcheii Lustgewinn gegen die Anfechtung der kritischen Vernünftigkeit sicher stellt, und der Vorlustmechanismus gehören der ersteren Tendenz an; die weitere Komplikation der Technik durch die in diesem Ab- schnitt ausgeführten Bedingungen ergeben sich aus der Rücksicht auf die dritte Person des Witzes. Der Witz ist so ein ^n sich doppelzüngiger Schelm, der gleichzeitig zweien Herren dient. Alles, was auf Lustgewinnung abzielt, ist beim Witz auf die dritte Person berechnet, als ob innere, nicht zu überwindende Hindernisse bei der ersten Person einer solchen im Wege stünden. Man bekommt so den vollen Eindruck von der Unentbehrlichkcit dieser dritten Person für die Vollendung des Witzvorganges. Während wir aber ziemlich guten Einblick in die Natur dieses Vorganges bei der dritten Person gewinnen konnten, verspüren wir, daß der ent- sprechende Vorgang bei der ersten Person uns noch durch ein Dunkel verhüllt wird. Von den beiden Fragen: Warum können wir über den selbstgemachten Witz nicht lachen? und: Warum sind wir getrieben, den eigenen Witz dem Anderen zu erzählen? hat sich die erste bisher unserer Beantwortung entzogen. Wir können nur vermuten, daß zwischen den beiden aufzuklärenden Tatsachen ein inniger Zusammenhang besteht, daß wir darum genötigt sind, unseren Witz dem Anderen mitzuteilen, weil wir selbst über ihn nicht zu lachen vermögen. Aus unseren Einsichten in die Bedingungen der Lustgewinnung und -Abfuhr bei der dritten Person können wir für die erste den Rückschluß ziehen, daß bei ihr die Bedingungen für die Abfuhr fehlen, die für die Lust- gewinnung etwa erst unvollständig erfüllt sind. Es ist dann nicht abzuweisen, daß wir unsere Lust ergänzen, indem wir das uns unmögliche Lachen auf dem Umweg über den Eindruck der zum Lachen gebrachten Person erreichen. Wir lachen so gleichsam „par ricochet", wie Dugas es ausdrückt. Das Lachen gehört zu den im hohen Grade ansteckenden Äußerungen psychischer Zustände; wenn ich den Anderen durch die Mitteilung meines Witzes zum Lachen bringe, bediene ich mich seiner eigentlich, um mein eigenes Lachen zu erwecken, und man kann wirklich beobachten, daß, wer zuerst mit ernster Miene den Witz erzählt hat, dann in das Gelächter des Anderen mit einer gemäßigten Lache einstimmt. Die Mitteilung meines Witzes an den Anderen dürfte also mehreren Absichten dienen, erstens mir die objektive Gewißheit von dein Gelingen der Witzarbeit zu geben, zweitens meine eigene Lust durch die Rückwirkung von diesem Anderen


Erspaning und Gesamtaufwand. 133

auf mich zu ergänzen, drittens — bei der Wiederholung eines nicht selbstproduzierten Witzes — der Lusteinbuße durch Weg- fall der Neuheit abzuhelfen.

Am Ende dieser Erörterungen über die psychischen Vorgänge des Witzes, insofern sie sich zwischen zwei Personen abspielen, können wir einen Rückblick auf das Moment der Ersparung werfen, welches uns als bedeutsam für die psychologische Auffassung des Witzes seit der ersten Aufklärung über die Technik desselben vorschwebt. Von der nächstliegenden, aber auch einfältigsten Auffassung dieser Ersparung, es handle sich bei ihr um die Ver- meidung von psychischem Aufwand überhaupt, wie ihn die mög- lichste Einschränkung im Gebrauche von Worten und in der Her- stellung von Gedankenzusammenhängen mit sich brächte, sind wir längst abgekommen. Wir sagten uns schon damals : Knapp, lakonisch, ist noch nicht witzig. Die Kürze des Witzes ist eine besondere, eben die ,jwitzige" Kürze. Der ursprüngliche Lust- gewinn, den das Spiel mit Worten und Gedanken brachte, rührte allerdings von bloßer Ersparnis an Aufwand her, aber mit der Entwicklung des Spieles zum Witze mußte auch die Spartendenz ihre Ziele verlegen, denn gegen den riesigen Aufwand unserer Denktätigkeit käme, was durch Gebrauch der nämlichen Worte oder Vermeidung einer neuen Gedankenfügung erspart würde, sicher- lich nicht in Betracht. Wir dürfen uns wohl den Vergleich der psychischen Ökonomie mit einem Geschäftsbetrieb gestatten. So- lange in diesem der Umsatz sehr klein ist, kommt es allerdings darauf an, daß im ganzen wenig verbraucht, die Kosten der Regie auf's äußerste eingeschränkt werden. Die Sparsamkeit geht noch auf die absolute Höhe des Aufwandes. Späterhin, wenn sich der Betrieb vergrößert hat, tritt die Bedeutung der Regiekosten zurück; es liegt nichts mehr daran, zu welcher Höhe sich der Betrag des Aufwandes erhebt, wenn nur Umsatz und Ertrag groß genug gesteigert werden können. Zurückhaltung im Aufwände für den Geschäftsbetrieb wäre kleinlich, ja direkt verlustbringend. Den- noch wäre es unrichtig anzunehmen, bei dem absolut großen Auf- wände gäbe es keinen Raum mehr für die Spartendenz. Der zur Ersparung neigende Sinn des Chefs wird sich nun der Sparsam- keit im Einzelnen zuwenden imd sich befriedigt fühlen, wenn die- selbe Veranstaltung nun mit geringeren Kosten besorgt werden kann, die vorher größere Kosten zu verursachen pflegte, so gering auch die Ersparnis zur Höhe des Gesamtaufwandes erscheinen mag. In ganz analoger Weise bleibt auch in, unserem komplizierten psychischen Betrieb die detaiUierte Ersparung eine Quelle der


134 ^' ^^^ Witz als sozialer Vorgang.

Lust, wie alltägliche Vorkommnisse uns zeigen können. Wer früher in seinem Zimmer eine Gaslampe brennen hatte und sich nun auf elektrisches Licht eingerichtet hat, der wird eine ganze Zeit lang ein deutliches Lustgefühl verspüren, wenn er den elek- trischen Hahn umlegt, so lange nämlich, als in jenem Moment die Erinnerung in ihm lebendig wird an die komplizierten Verrich- tungen, die zur Entzündung der Gaslampe erforderlich waren. Ebenso werden die im Vergleich zum psychischen Gesamtaufwand geringfügigen Ersparungen an psychischem Hemmungsaufwand, die der Witz zu stände bringt, eine Quelle der Lust für uns bleiben, weil durch sie ein einzelner Aufwand erspart wird, den wir zu machen gewohnt sind, und den wir auch diesmal zu machen schon in Bereitschaft waren. Das Moment, daß der Aufwand ein er- warteter, vorbereiteter ist, tritt unverkennbar in den Vordergrund. Eine lokalisierte Ersparung, wie die eben betrachtete, wird nicht verfehlen uns momentane Lust zu bereiten, aber eine dauernde Erleichterung wird durch sie nicht herbeigeführt, solange das hier Ersparte an anderer Stelle zur Verwendung kommen kann. Erst wenn diese anderweitige Verfügung vermieden werden kann, wandelt sich die spezielle Ersparung wieder in eine allgemeine Erleichterung des psychischen Aufwandes um. So tritt für uns mit besserer Einsicht in die psychischen Vorgänge des Witzes das Moment der Erleichterung an die Stelle der Ersparung. Erstere ergibt offenbar das größere Lustgefühl. Der Vorgang bei der ersten Person des Witzes erzeugt Lust durch Aufhebung von Hemmung, Verringerung des lokalen Aufwandes; er scheint nun nicht eher zur Ruhe zu kommen, als bis er durch die Ver- mittlung der eingeschobenen dritten Person die allgemeine Er- leichterung durch die Abfuhr erzielt hat.


1


C. Theoretischer Teil.

VI. Die Beziehung des Witzes zum Traum und zum

Unbewußtea

Zu Ende des Abschnittes, der sich mit der Aufdeckung der Witztechnik beschäftigte, haben wir (S. 72) ausgesprochen, daß die Vorgänge der Verdichtung mit und ohne Ersatzbildung, der Ver- schiebung, der Darstellung durch Widersinn, durch das Gegenteil, der indirekten Darstellung u. a., welche wir an der Herstellung des Witzes beteiligt fanden, eine sehr weitgehende Übereinstim- mung mit den Vorgängen der „Traumaibeit" zeigen, und haben uns vorbehalten, einerseits diese Ähnlichkeiten sorgfältiger zu studieren, anderseits das Gemeinsame von Witz und Traum, welches sich solcher Art anzudeuten scheint, zu erforschen. Die Ausführung dieser Vergleichung wäre uns sehr erleichtert, wenn wir das eine der Verglichenen — die „Traumarbeit" — als bekannt annehmen dürften. Wir tun aber wahrscheinlich besser daran, diese Annahme nicht zu machen; ich habe den Eindruck empfangen, als ob meine im Jahre 1900 veröffentlichte ,, Traumdeutung" mehr „Verblüffung" als „Erleuchtung" bei den Fachgenossen hervorgerufen halte, und weiß, daß weitere Leserkreise sich damit begnügt haben, den Inhalt des Buches auf ein Schlagwort („Wunscherfüllung") zu reduzieren, das sich leicht behalten und bequem mißbrauchen läßt.

In der fortgesetzten Beschäftigung mit den dort behandelten Problemen, zu der mir meine ärztliche Tätigkeit als Psychotherapeut reichlich Anlaß gibt, bin ich aber auf nichts gestoßen, was eine Veränderung oder Verbesserung meiner Gedankengänge von mir geforden hätte, und kann darum in Ruhe abwarten, bis das Ver- ständnis der Leser mir nachgekommen ist, oder bis eine einsichtige Kritik mir die Grundirrtümer meiner Auffassung nachgewiesen hat. Zum Zwecke der Vergleichung mit dem Witze werde ich hier das Notwendigste über den Traum und die Traumarbeit in gedrängter Kürze wiederholen.

Wir kennen den Traum aus der uns meist fragmentarisch scheinenden Erinnerung, die sich nach dem Erwachen an ihn einstellt. Er ist dann ein Gefüge von meist visuellen (aber auch


136


VI, Die Beziehung des Witzes zum Traum.


andersartigen) Sinneseindrücken, die uns ein Erleben vorgetäuscht haben, und unter welche Denkvorgänge (das „Wissen" im Traum) und Affektäußerungen gemengt sein mögen. Was wir so als Traum erinnern, das heiße ich den „m anifesten Traum- inhalt". Derselbe ist häufig völlig absurd und verworren, andere Male nur das Eine oder das Andere; aber auch wenn er ^anz kohärent ist wie in manchen Angstträumen steht er unserem Seelenleben als etwas Fremdes gegenüber, von dessen Herkunft man sich keine Rechenschaft zu geben vermag. Die Aufklärung für diese Charaktere des Traumes wurde bisher in ihm selbst gesucht, indem man dieselben als Anzeichen einer unordentlichen, dissoziierten und sozusagen „verschlafenen" Tätigkeit der nervösen Elemente ansah.

Dagegen habe ich gezeigt, daß der so sonderbare „manifeste" Trauminhalt regelmäßig verständlich gemacht werden kann als die verstümmelte und abgeänderte Umschrift gewisser korrekter psy- chischer Bildungen, die den Namen „latente Traumgedan- ken" verdienen. Man verschafft sich die Kenntnis derselben, indem man den manifesten Trauminhalt ohne Rücksicht auf seinen etwaigen scheinbaren Sinn in seine Bestandteile zerlegt, und dann die Assoziationsfäden verfolgt, die von jedem der nun isolierten Elemente ausgehen. Diese verflechten sich mit einander und leiten endlich zu einem Gefüge von Gedanken, welche nicht nur völlig korrekt sind, sondern auch leicht in den uns bekannten Zusammenhang unserer seelischen Vorgänge eingereiht werden. Auf dem Wege dieser „Analyse" hat der Trauminhalt all seine uns befremdenden Sonderbarkeiten abgestreift; wenn uns aber die Analyse gelingen soll, müssen wir während derselben die kritischen Einwendungen, die sich unausgesetzt gegen die Reproduktion der einzelnen vermittelnden Assoziationen erheben, standhaft zurück- weisen.

Aus der Vergleichung des erinnerten manifesten Trauminhalts mit den so gefundenen latenten Traumgedanken ergibt sich der Begriff der „Traumarbeit". Als Traumarbeit wird die ganze Summe der umwandelnden Vorgänge zu bezeichnen sein, welche die latenten Traumgedanken in den manifesten Traum überführt haben. An der Traumarbeit haftet nun das Befremden, welches vorhin der Traum in uns erregt hatte.

Die Leistung der Traumarbeit kann aber folgender Art be- schrieben werden: Ein meist sehr kompliziertes Gefüge von Ge- danken, welches während des Tages aufgebaut worden ist und nicht zur Erledigung geführt wurde, — ein Tagesrest — hält


Die Traumarbeit. I^y

auch während der Nacht den von ihm in Anspruch genommenen Energiebetrag' — das Interesse — fest und droht eine Störung des Schlafes. Dieser Tagesrest wird durch die Traumarbeit in einen Traum verwandelt und für den Schlaf unschädlich gemacht. Um der Traumarbeit einen Angriffspunkt zu bieten, muß der Tages- rest wunschbildungsfähig sein, eine nicht eben schwer zu erfüllende Bedingung. Der aus den Traumgedanken hervorgehende Wunsch bildet die \'^orstufe und später den Kern des Traumes. Die aus den Analysen stammende Erfahrung — nicht die Theorie des Traumes — sagt uns, daß beim Kinde ein beliebiger vom Wachlebcn erübrigter Wunsch hinreicht, einen Traum hervorzurufen, der dann zusammenhängend und sinnreich, meist aber kurz ausfällt und leicht als „Wunscherfüllung" erkannt wird. Beim Erwachsenen scheint es allgemein gültige Bedingung für den traumschaffenden Wunsch, daß er dem bewußten Denken fremd, also ein verdrängter Wunsch sei, oder doch, daß er dem Bewußtsein unbekannte Ver- stärkungen haben könne. Ohne Annahme des Unbewußten in dem oben dargelegten Sinne wüßte ich die Theorie des Traumes nicht weiter zu entwickehi und das Erfahrungsmaterial der Traum- analysen nicht zu deuten. Die Einwirkung dieses unbewußten Wunsches auf das bewußtseinskorrekte Material der Traumgedanken ergibt nun den Traum. Letzteres wird dabei gleichsam in's Un- bewußte herabgezogen, genauer gesagt, einer Behandlung aus- gesetzt, wie sie auf der Stufe der unbewußten Denkvorgänge vor- kömmlich und für diese Stufe charakteristisch ist. Wir keimen die Charaktere des unbewußten Denkens und dessen Unterschiede vom bewußtseinsfähigen „vorbewußlen" bisher nur aus den Er- gebnissen eben der „Traumarbeit".

Eine neuartige, nicht einfache und den Denkgewohnheiten widersprechende Lehre kann bei gedrängter Darstellung an Klar- heit kaum gewinnen. Ich kann mit diesen Auseinandersetzungen also nichts anderes bezwecken, als auf die ausführlichere Behand- lung des Unbewußten in meiner „Traumdeutung" und auf die mir höchst bedeutungsvoll erscheinenden Arbeiten von Lipps zu ver- weisen. Ich weiß, daß wer im Ranne einer guten philosophischen Schulbildung steht oder entfernt von einem sog. philosophischen System abhängt, der Annahme des „Unbewußt Psychischen" in Lipps' und meinem Sinne widerstrebt und dessen Unmöglichkeit am liebsten aus der Definition des Psychischen beweisen möchte. Aber Definitionen sind konventionell und lassen sich abändern. Ich habe häufig die Erfahrung gemacht, daß Personen, welche das Unbewußte als absurd oder unmöglich bestreiten, ihre Ein-


l^S VI. Die Beziehung des Witzes zum Traum.

drücke nicht an den Quellen geholt hatten, aus denen wenigstens für mich die Nötigung zur Anerkennung desselben geflossen ist. Diese Gegner des Unbewußten hatten nie den Effekt einer post- hypnotischen Suggestion mitangesehen, und was ich ihnen als Probe aus meinen Analysen bei nicht hypnotisierten Neurotikern mitteilte, versetzte sie in das größte Erstaunen. Sie hatten nie den Gedanken realisiert, daß das Unbewußte etwas ist, was man wirklich nicht weiß, während man durch zwingende Schlüsse ge- nötigt wird, es zu ergänzen, sondern etwas Bewußtseinsfähiges dar- unter verstanden, an was man gerade nicht gedacht hatte, was nicht im „Blickpunkt der Aufmerksamkeit" stand. Sie hatten auch nie versucht, sich von der Existenz solcher unbewußter Gedanken in ihrem eigenen Seelenleben durch eine Analyse eines eigenen Traumes zu überzeugen, und wenn ich eine solche mit ihnen ver- suchte, konnten sie ihre eigenen Einfälle nur mit Verwunderung und Verwirrtheit aufnehmen. Ich habe auch den Eindruck be- kommen, daß der Annahme des „Unbewußten" wesentlich Affekt- widerstände im Wege stehen, darin begründet, daß niemand sein Unbewußtes keimen lernen will, wo es dann am bequemsten ist, dessen Möglichkeit überhaupt zu leugnen.

Die Traumarbeit also, zu der ich nach dieser Abschweifung zurückkehre, setzt das in den Optativ gebrachte Gedankenmaterial einer ganz eigentümlichen Bearbeitung aus. Zunächst macht sie den Schritt vom Optativ zum Präsens, ersetzt das: „O möchte doch" — durch ein: Es ist. Dies „Es ist" ist zur halluzinatorischen Darstellung bestimmt, was ich als die „Regression" der Traum- arbeit bezeichnet habe; der Weg von den Gedanken zu den Wahrnehmungsbildern, oder wenn man mit Bezug auf die noch unbekannte ^ nicht anatomisch zu verstehende — Topik des seelischen Apparats sprechen will, von der Gegend der Denk- bildungen zu der der sinnlichen Wahrnehmungen. Auf diesem Wege, welcher der Entwicklungsrichtung der seehschen Kompli- kationen entgegengesetzt ist, gewinnen die Traumgedanken An- schaulichkeit; es stellt sich schließlich eine plastische Situation heraus als Kern des manifesten „Traumbildes". Um solche sinnliche Darstellbarkeit zu erreichen, haben die Traumgedanken eingreifende Umgestaltungen ihres Ausdrucks erfahren müssen. Aber während der Rückverwandlung der Gedanken in Sinnes- bilder treten noch weitere Veränderungen an ihnen auf, die zum. Teil als notwendige begreiflich, zum anderen Teil überraschend sind. Als notwendigen Nebenerfolg der Regression begreift man, daß fast alle Relationen innerhalb der Gedanken, welche die-


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Verdichtung und Verschiebung in der Traumarbeit. i^n

selben gegliedert haben, für den manifesten Traum verloren gehen. Die Traumarbeit übernimmt sozusagen nur das Rohmaterial der Vorstellungen zur Darstellung, nicht auch die Denkbeziehungen, die sie gegen einander einhielten, oder sie wahrt sich wenigstens die Freiheit, von diesen, letzteren abzusehen. Hingegen können wir ein anderes Stück der Traumarbeit nicht von der Regression, der Rückverwandlung in Sinnesbilder, ableiten, gerade jenes, welches uns für die Analogie mit der Witzbildung bedeutsam ist. Das Material der Traumgedanken erfährt während der Traumarbeit eine ganz außerordentliche Zusammendrängung oder Verdich- tung. Ausgangspunkte derselben sind die Gemeinsamkeiten, die sich zufällig oder dem Inhalt gemäß innerhalb der Traumgedanken vorfinden; da dieselben für eine ausgiebige Verdichtung in der Regel nicht hinreichen, werden in der Traumarbeit neue, künst- liche und flüchtige, Gemeinsamkeiten geschaffen, und zu diesem Zwecke werden mh Vorliebe selbst Worte benützt, in deren Laut verschiedene Bedeutungen zusammentreffen. Die neugeschaffenen Verdichtungsgemeinsamen gehen wie Repräsentanten der Traum- gedanken in den manifesten Trauminhalt ein, so daß ein Element des Traumes einem Knoten- und Kreuzungspunkt für die Traum- gedanken entspricht und mit Rücksicht auf die letzteren ganz allgemein ,jüberdeterminiert" genannt werden muß. Die Tatsache der Verdichtung ist dasjenige Stück der Traumarbeit, welches sich am leichtesten erkennen läßt; es genügt, den aufgeschriebenen Wortlaut eines Traumes mit der Niederschrift der durch Analyse gewonnener Traumgedanken zu vergleichen, um sich von der Ausgiebigkeit der Traumverdichtung einen guten Eindruck zu holen. Minder bequem ist es, sich von der zweiten großen Verände- rung, welche durch die Traumarbeit an den Traumgedanken be- wirkt wird, zu überzeugen, von jenem Vorgang, den ich die Traum- verschiebung genannt habe. Dieselbe äußert sich darin, daß im manifesten Traum zentral steht und mit großer sinnlicher Intensität auftritt, was in den Traumgedanken peripherisch lag und nebensächlich war; und ebenso umgekehrt. Der Traum er- scheint dadurch gegen die Traumgedanken verschoben, und gerade durch diese Verschiebung wird erreicht, daß er dem wachen Seelenleben fremd und unverständlich entgegentritt. Damit solche Verschiebung zu stände kam, mußte es möglich sein, daß die Besetzungsenergie von den wichtigen Vorstellungen ungehemmt auf die unwichtigen übergehe, was im normalen bewußtseins- fähigen, Denken nur den Eindruck eines „Denkfehlers" hervor- rufen kann.


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j^Q VI. Die Beziehung des Witzes zum Traum.

Umwandlung zur Darstellungsfähigkeit, Verdichtung und Ver- schiebung sind die drei großen Leistungen, die wir der Traum- arbeit zuschreiben dürfen. Eine vierte, in der Traumdeutung viel- leicht zu kurz gewürdigte, kommt für unsere Zwecke hier nicht in Betracht. Bei einer konsequenten Ausführung der Ideen von der „Topik des seeHschen Apparats" und der „Regression" — und nur eine solche würde diese Arbeitshypothesen wertvoll machen — müßte man zu bestimmen versuchen, an welchen Stationen der Regression die verschiedenen Umwandlungen der Traum- gedanken vor sich gehen. Dieser Versuch ist noch nicht ernst- l haft unternommen worden; es läßt sich aber wenigstens von der ' Verschiebung- mit Sicherheit angeben, daß sie an dem Gedanken- material erfolgen muß, während es sich auf der Stufe der un- bewußten Vorgänge befmdet. Die Verdichtung wird man sich wahrscheinlich als einen über den ganzen Verlauf sich erstrecken- den Vorgang bis zum Anlangen in der Wahrnehmungsregion vor- zustellen haben, im allgemeinen aber sich mit der Annahme einer ■ gleichzeitig erfolgenden Wirkung aller bei der Traumbildung be- teiligten Kräfte begnügen. Bei der Zurückhaltung, die man ver- ständigerweise in der Behandlung solcher Probleme bewahren muß, und mit Rücksicht auf die hier nicht zu erörternden prinzipiellen Bedenken solcher Fragestellung, möchte ich mich etwa der Auf- stellung getrauen, daß der den Traum vorbereitende Vorgang der Traumarbeit in die Region des Unbewußten zu verlegen ist. Im ganzen wären also bei der Traumbildung, grob genommen, drei Stadien zu unterscheiden : erstens die Versetzung der vorbewußten Tagesreste in's Unbewußte, woran die Bedingungen des Schlaf- zustandes' mitbeteiligt sein müßten, sodann die eigcntUche Traum- arbeit im Unbewußten, und drittens die Regression des so be- I arbeiteten Traummaterials auf die Wahrnehmung, als welche der Traum bewußt wird.

Als Kräfte, welche bei der Traumbildung beteiligt sind, lassen sich erkennen: Der Wunsch zu schlafen, die den Tagesresten nach der Erniedrigung durch den Schlafzustand noch verbliebene Energiebesetzung, die psychische Energie des traumbildenden un- bewußten Wunsches und die widerstrebende Kraft der im Wachleben herrschenden, während des Schlafes nicht völlig aufgehobenen, „Zensur". Aufgabe der Traumbildung ist es vor allem, die Hem- mung der Zensur zu überwinden, und gerade diese Aufgabe wird durch die Verschiebungen der psychischen Energie iimerhalb des Materials der Traumgedanken gelöst.

Nun ermnern wir uns, welchen Anlaß wir hatten, bei der


Die Formel für die Witzarbeit. 141

Untersuchung des Witzes an den Traum zu denken. Wir fanden, daß Charakter und Wirkung des Witzes an gewisse Ausdrucks- formen, technische Mittel, gebunden sind, unter denen die ver- schiedenen Arten der Verdichtung, Verschiebung und indirekten Darstellung am auffälligsten sind. Vorgänge, die zu den näm- lichen Ergebnissen, Verdichtung, Verschiebung und indirekter Dar- stellung führen, sind uns aber als Eigentümlichkeiten der Traum- arbeit bekannt geworden. Wird uns durch diese Übereinstimmung nicht dei Schluß nahe gelegt, daß Witzarbeit und Traumarbeit in wenigstens einem wesentlichen Punkte identisch sein müssen? Die Traumarbeit liegt, wie ich meine, in ihren wichtigsten Charak- teren entschleiert vor uns; von den psychischen Vorgängen beim Witze ist uns gerade jenes Stück verhüllt, welches wir der Traum- arbeit vergleichen dürfen, der Vorgang der Witzbildung bei der ersten Person. Sollen wir nicht der Versuchung nachgeben, diesen Vorgang nach der Analogie der Traumbildung zu konstruieren? Einige der Züge des Traumes sind dem Witze so fremd, daß wir auch das ihnen entsprechende Stück der Traumarbeit nicht auf die Witzbildung übertragen dürfen. Die Regression des Gedanken- ganges zur Wahrnehmung fällt für den Witz sicherlich weg; die beiden anderen Stadien der Traumbildung aber, das Herabsinken eines vorbewußten Gedankens zum Unbewußten und die unbewußte Bearbeitung würden uns, wenn wir sie für die Witzbildung sup- ponieren, gerade das Ergebnis liefern, das wir am' Witze beobachten können. Entschließen wir uns also zur Annahme, daß dies der Hergang der Witzbildung bei der ersten Person ist. Ein vor- bewußter Gedanke wird für einen Moment der un- bewußten Bearbeitung überlassen, und deren Er- gebnis alsbald von der bewußten Wahrnehmung

erfaßt.

Ehe wir aber diese Aufstellung im Emzelnen prüfen, wollen wir eines Einwandes gedenken, welcher unserer Voraussetzung bedrohlich werden kann. Wir gehen von der Tatsache aus, daß die Techniken des Witzes auf dieselben Vorgänge hindeuten, welche uns als Eigentümlichkeiten der Traumarbeit bekannt sind. Nun ist es leicht dawider zu sagen, daß wir die Techniken des Witzes nicht als Verdichtung, Verschiebung usw. beschrieben hätten und nicht zu so weit gehenden Übereinstimmungen in den Darstel- lungsmitteln von Witz und Traum gelangt wären, wenn nicht die vorherige Kenntnis der Traumarbeit unsere Auffassung für die Witztechnik bestochen hätte, so daß wir im Grunde am Witz nur die Erwartungen bestätigt finden, mit denen wir vom Traum


142 VI. Die Beziehung des Witzes zum Unbewußten

her an ihn herangetreten sind. Eine solche Genese der Über- einstimmung wäre keine sichere Gewähr für ihren Bestand außer- halb unseres Vorurteils. Die Gesichtspunkte der Verdichtung, Verschiebung, indirekten Darstellung sind auch wirklich von keinem anderen Autor für die Ausdrucksformen des Witzes geltend ge- macht worden. Das wäre ein möglicher Einwand, aber darum noch kein berechtigter. Es kann ebensowohl sein, daß die Schär- fung unserer Auffassung durch die Kenntnis der Traumarbeit un- entbehrlich wäre, um die reale Übereinstimmung zu erkennen. Die Entscheidung wird doch nur davon abhängen, ob die prüfende Kritik solche Auffassung der Witztechnik an den einzelnen Bei- spielen als eine aufgezwungene nachweisen kann, zu deren Gunsten andere näher liegende und tiefer reichende Auffassungen unter- drückt worden sind, oder ob sie zugeben muß, daß die Erwartungen vom Traum her sich am Witz wirklich bestätigen lassen. Ich bin der Meinung, daß wir solche Kritik nicht zu fürchten haben und daß unser Reduktionsverfahren (siehe S. 13) uns verläßlich angezeigt hat, in welchen Ausdrucksformen die Techniken des Witzes zu suchen waren. Daß wir diesen Techniken Namen ge- geben hatten, welche das Ergebnis der Übereinstimmung von Witztechnik und Traumarbeit bereits antizipierten, dies war unser gutes Recht, eigentlich nichts anderes als eine leicht zu recht- fertigende Vereinfachung.

Ein anderer Einwand träfe unsere Sache nicht so schwer, wäre aber auch nicht so gründlich zu widerlegen. Man könnte meinen, daß die zu unseren Absichten so gut stimmenden Tech- niken des Witzes zwar Anerkennung verdienen, aber doch nicht alle möglichen oder in der Praxis verwendeten Techniken des Witzes wären. Wir hätten eben von dem Vorbild der Traum- arbeit beeinflußt nur die zu ihr passenden Witztechniken heraus- gesucht, während andere, von uns übersehene, eine solche Über- einstimmung als nicht allgemein vorhanden erwiesen hätten. Ich getraue mich nun wirkhch nicht der Behauptung, daß es mir gelungen ist, alle im Umlauf befindlichen Witze in Bezug auf ihre Technik aufzuklären, und lasse darum die Möglichkeit offen, daß meine Aufzählung der Witztechniken manche UnvoUständig- keit erkennen lassen wird, aber ich habe keine Art der Technik, die mir durchsichtig wurde, absichtlich von der Erörterung aus- geschlossen und kann die Behauptung vertreten, daß die häufigsten, wichtigsten, am meisten charakteristischen technischen Mittel des Witzes sich meiner Aufmerksamkeit nicht entzogen haben.

Der Witz besitzt noch einen anderen Charakter, welcher sich


I


Der Witz als Einfall.


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unserer vom Traum lierstammenden Auffassung der Witzarbeit befriedigend fügt. Man sagt zwar, daß man den Witz „macht", aber man verspürt, daß man sich dabei anders benimmt, als wenn man ein Urteil fällt, einen Einwand macht. Der Witz hat in ganz hervorragender Weise den Charakter eines ungewollten „Ein* falls". Man weiß nicht etwa einen Moment vorher, welchen Witz man machen wird, den man dann nur in Worte zu kleiden braucht. Man verspürt vielmehr etwas Undefinierbares, das ich am ehesten einer Absenz, einem plötzlichen Auslassen der intellektuellen Spannung vergleichen möchte, und dann ist der Witz mit einem Schlage da, meist gleichzeitig mit seiner Einkleidung. Manche der Mittel des Witzes finden auch außerhalb desselben im Ge- dankenausdruck Verwendung, z. B. das Gleichnis und die An- spielung. Ich kami eine Anspielung absichtlich machen wollen. Dabei habe ich zuerst den direkten Ausdruck meines Gedankens im Sinne (im inneren Hören), ich hemme mich in der Äußerung desselben durch ein der Situation entsprechendes Bedenken, nehme mir beinahe vor, den direkten Ausdruck durch eine Form des indirekten Ausdrucks zu ersetzen und bringe dann eine Anspielung hervor; aber die so entstandene, unter meiner forUaufenden Kon- trolle gebildete Anspielung ist niemals witzig, so brauchbar sie auch sonst sein mag; die witzige Anspielung hingegen erscheint, ohne daß ich diese vorbereitenden Stadien in meinem Denken verfolgen konnte. Ich will nicht zuviel Wert auf dies Verhalten legen; es ist kaum entscheidend, aber es stimmt doch gut zu unserer Annahme, daß man bei der Witzbildung einen Gedanken- gang für einen Moment fallen läßt, der dann plötzlich als Witz aus dem Unbewußten auftaucht.

Witze zeigen auch assoziativ ein besonderes Benehmen. Sie stehen unserem Gedächtnis häufig nicht zur Verfügung, wenn wir sie wollen, stellen sich dafür andere Male wie ungewollt ein, und 7.waT an Stellen unseres Gedankenganges, wo wir ihre Einflechtung nicht verstehen. Es sind dies wiederum nur kleine Züge, aber immerhin Hinweise auf ihre Abkunft aus dem Unbewußten.

Suchen wir nun die Charaktere des Witzes zusammen, die sich auf seine Bildung im Unbewußten beziehen lassen. Da ist vor allem die eigentümliche Kürze des Witzes, ein zwar nicht unerläßliches, aber ungemein bezeichnendes Merkmal desselben. Als wir ihr zuerst begegneten, waren wir geneigt, einen Ausdruck sparender Tendenzen in ihr zu sehen, entwerteten aber diese Auf- fassung selbst durch nahe liegende Einwendungen. Sie erscheint uns jetzt vielmehr als ein Zeichen der unbewußten Bearbeitung,


144


VI. Die Beziehung des Witzes zum Unbewußten.



welche der Witzgcdaiike erfahren hat. Das ihr beim Traum ent- sprechende, die Verdichtung, können wir nämlich mit keinem anderen Moment als mit der Lokalisation im Unbewußten zusammen- bringen und müssen annehmen, daß im unbewußten Denkvorgang die im Vorbewußten fehlenden Bedingungen für solche Verdich- tungen gegeben sind.*) Es steht zu erwarten, daß beim Ver- dichtungsvorgang einige der ihm unterworfenen Elemente verloren gehen, während andere, welche deren Besetzungsenergie über- nehmen, durch die Verdichtung erstarken oder überstark auf- gebaut werden. Die Kürze des Witzes wäre also wie die des Traumes eine notwendige Begleiterscheinung der in beiden vor- kommenden Verdichtungen, beide Male ein Ergebnis des Ver- dichtungsvorganges. Dieser Herkunft verdankte auch die Kürze des Witzes ihren besonderen, nicht weiter angebbaren, aber der Empfindung auffälligen Charakter.

Wir haben vorhin (S. 104) das eine Ergebnis der Verdichtung, die mehrfache Verwendung desselben Materials, das Wortspiel, den Gleichklang, als lokahsierte Ersparung aufgefaßt und die Lust, die der (harmlose) Witz schafft, aus solcher Ersparung abgeleitet; späterhin haben wir die ursprünglichste Absicht des Witzes darin gefi;nden, derartigen Lustgewinn an Worten zu machen, was ihm auf der Stufe des Spieles unverwehrt war, im Verlaufe der in- tellektuellen Entwicklung aber durch die vernünftige Kritik ein- gedämmt wurde. Nun haben wir uns zu der Annahme entschlossen, daß derartige Verdichtungen, wie sie der Technik des Witzes dienen, automatisch, ohne besondere Absicht, während des Denk- vorganges im Unbewußten entstehen. Liegen da nicht zwei ver- schiedene Auffassungen derselben Tatsache vor, die mit einander tmverträglich scheinen. Ich glaube nicht; es sind allerdings zwei verschiedene Auffassungen, und sie verlangen mit einander in Einklang gebracht zu werden, aber sie widersprechen einander nicht. Die eine ist bloß der anderen fremd, und wenn wir eine Beziehung zwischen ihnen hergestellt haben, werden wir wahr- scheinlich um ein Stück Erkenntnis weiter gekommen sein. Daß solche Verdichtungen Quellen von Lustgewinn sind, verträgt sich sehr wohl mit der Voraussetzung, daß sie im Unbewußten leicht

  • j Die Verdichtung als regelmäßigen und bedeutungsvollen Vorgang

habe ich außer bei der Traumarbeit und Witztechnik noch in einem anderen seelischen Geschehen nachweisen können, beim Mechanismus des normalen (nicht tendenziösen) Vergessens. Singulare Eindrücke setzen dem Vergessen Schwierigkeiten entgegen; irgendwie analoge werden vergessen, indem sie von ihren Berührungspunkten aus verdichtet werden. Die Verwechslung analoger Eindrücke ist eine der Vorstufen des Vergessens.


%


Das Unbewußte und das Infantile. 145

die Bedingungen zu ihrer Entstehung finden ; wir sehen im Gegenteile die Motivierung für das Eintauchen in's Unbewußte in dem Umstände, daß dort die lustbringende Verdichtung, welcher der Witz bedarf, sich leicht ergibt. Auch zwei andere Momente, welche für die erste Betrachtung einander völlig fremd scheinen und wie durch einen unerwünschten Zufall zusammentreffen, werden sich bei tieferem Eingehen als innig verknüpft, ja wesenseinig erkennen lassen. Ich meine die beiden Aufstellungen, daß der Witz einerseits während seiner Entwicklung auf der Stufe des Spieles, also im Kindesalter der Vernunft, solche lustbringende Verdichtungen hervorbringen konnte, und daß er anderseits auf höheren Stufen dieselbe Leistung durch das Eintauchen des Ge- dankens in's Unbewußte vollbringt. Das Infantile ist nämlich die Quelle des Unbewußten, die unbewußten Denkvorgänge sind keine anderen, als welche im Kindesaltcr einzig und allein hergestelk werden. Der Gedanke, der zum Zwecke der Witzbildung in's Unbewußte eintaucht, sucht dort nur die alte Heimstätte des einstigen Spieles mit Worten auf. Das Denken wird für einen Moment auf die kindliche Stufe zurückversetzt, um so der kind- lichen Lustquelle wieder habhaft zu werden. Wüßte man es nicht bereits aus der Erforschung der Neurosenpsychologie, so müßte man beim Witz auf die Ahnung geraten, daß die sonderbare unbewußte Bearbeitung nichts anderes als der infantile Typus der Denkarbeit ist. Es ist bloß nicht sehr leicht, dieses infantile Denken mit seinen im Unbewußten des Erwachsenen erhaltenen Eigentümlichkeiten beim Kinde zu erhaschen, weil es meist so- zusagen in statu nascendi korrigiert wird. In einer Reihe von Fällen gelingt es aber doch, und dann lachen wir jedesmal über die „Kinderdummheit". Jede Aufdeckung eines solchen Unbewuß- ten wirkt auf uns überhaupt als „komisch".*)

Leichter zu fassen sind die Charaktere dieser unbewußten Denkvorgänge in den Äußerungen der Kranken bei manchen psychischen Störungen. Es ist sehr wahrscheinlich, daß wir nach des alten Gricsinger Vermutung im stände wären, die Delirien der Geisteskranken zu verstehen und als Mitteilungen zu verwerten, wenn wir nicht die Anforderungen des bewußten Denkens an sie

' *) Viele meiner neurotischen, in psychoanalytischer Behandlung stehen- den Patienten pflegen regelmäßig durch ein Lachen zu bezeugen, daß es gelungen ist ihrer bewußten Wahrnehmung das verhüllte Unbewußte ge- treuUch zu zei^^en, und sie lachen auch dann, wenn der Inhalt des Ent- hüllten es keineswegs rechtfertigen würde. Bedingung dafür ist allerdings, daß sie diesem Unbewußten nahe genug gekommen sind, um es zu erfassen, wenn der Arzt es erraten und ihnen vorgeführt hat.

Freud, Der Witz. ^°


Ia5 vi. Die Beziehung des Witzes zum Traum.

stellen, sondern sie mit unserer Deutungskunst behandeln würden wie etwa die Träume.*) Auch für den Traum haben wir ja seinerzeit die „Rückkehr des Seelenlebens auf den embryonalen Standpunkt" zur Geltung gebracht.**)

Wir haben an den Verdichtungsvorgängen die Bedeutung der Analogie von Witz und Traum, so eingehend erörtert, daß wir uns im folgenden kürzer fassen dürfen. Wir wissen, daß die Verschiebungen bei der Trauraarbeit auf die Einwirkung der Zensur des bewußten Denkens hindeuten, und werden demgemäß, wenn wir die Verschiebung unter den Techniken des Witzes begegnen, geneigt sein anzunehmen, daß auch bei der Witzbildung eine hemmende Macht eine Rolle spielt. Wir wissen auch bereits, daß dies ganz allgemein der Fall ist; das Bestreben des Witzes, die alte Lust am Unsinn oder die ahe Wortlust zu gewinnen, findet bei normaler Stimmung an dem Einspruch der kritischen Vernunft eine Hemmung, die für jeden Einzelfall überwunden werden muß. Aber in der Art und Weise, wie die Witzarbeit diese Aufgabe löst, zeigt sich ein durchgreifender Unterschied zwischen dem Witz und dem Traum. In der Traumarbeit geschieht die Lösung dieser Aufgabe regelmäßig durch Verschiebungen, durch die Auswahl von Vorstellungen, welche weit genug entfernt von den beanstandeten sind, um Durchlaß bei der Zensur zu finden, und doch Abkömmlinge dieser sind, deren psychische Be- setzung sie durch volle Übertragung auf sich übernommen haben. Die Verschiebungen fehlen darum bei keinem Traum und sind weit umfassender; nicht nur die Ablenkungen vom Gedankengang, sondern auch alle Äxten der indirekten Darstellung sind zu den Verschiebungen zu rechnen, insbesondere der Ersatz eines bedeut- ^ Samen aber anstößigen Elements durch ein indifferentes, aber

der Zensur harmlos erscheinendes, welches wie eine entfernteste Anspielung an das erstere steht, der Ersatz durch eine Symbolik, ein Gleichnis, ein Kleines. Es ist nicht abzuweisen, daß Stücke dieser indirekten Darstellung bereits in den vorbewußten Gedanken des Traumes zu stände kommen, so z. B. die symbolische und die Gleichnisdarstellung, weil sonst der Gedanke es überhaupt nicht zur Stufe des vorbewußten Ausdrucks gebracht hätte. Indirekte Darstellunger dieser Art und Anspielungen, deren Beziehung zum Eigentlichen leicht auffindbar ist, sind ja zulässige und viel- gebrauchte Ausdrucksmittel auch in unserem bewußten Denken.

•) Dabei dürften wir nicht vergessen, der Entstellung infolge der auch in der Psychose noch wirksamen Zensur Rechnung zu tragen.

    • ) Traumdeutung, S. 350.


Der Unterschied der Witztechnik von der Traumtechnik. lAn

Die Traumarbeit übertreibt aber die Anwendung dieser Mittel der indirekten Darstellung in's Schrankenlose. Jede Art von Zu- sammenhang wird unter dem Drucke der Zensur zum Ersatz durch Anspielung gut genug, die Verschiebung von einem Ele- ment her ist auf jedes andere gestattet. Ganz besonders auffällig und für die Traumarbeit charakteristisch ist die Ersetzung der inneren Assoziationen (Ähnlichkeit, Kausalzusammenhang usw.) durch die sog. äußeren (Gleichzeitigkeit, Kontiguität im Raum, Gleichklang).

Alle diese Verschiebungsmittel kommen auch als Techniken des Witzes vor, aber wenn sie vorkommen, halten sie zumeist die Grenzen ein, die ihrer Anwendung im bewußten Denken ge- zogen sind, und sie können überhaupt fehlen, obwohl ja auch der Witz regelmäßig eine Hemmungsaufgabe zu erledigen hat. Man versteht dies Zurücktreten der Verschiebungen bei der Witz- arbeit, wenn man sich erinnert, daß dem Witz ganz allgemein eine andere Technik zu Gebote steht, mit welcher er sich der Hemmung erwehrt, ja daß wir nichts gefunden haben, was charakteristischer für ihn wäre als gerade diese Technik. Der Witz schafft nämlich nicht Kompromisse wie der Traum, er weicht der Hemmung nicht aus, sondern er besteht darauf, das Spiel mit dem Wort oder dem Unsinn unverändert zu erhalten, be- schränkt sich aber auf die Auswahl von Fällen, in denen dieses Spiel oder dieser Unsinn doch gleichzeitig zulässig (Scherz) oder sinnreich (Witz) erscheinen kann, Dank der Vieldeutigkeit der Worte und der Maimigfaltigkeit der Denkrelationen. Nichts scheidet den Witz besser von allen anderen psychischen Bildungen als diese seine Doppelseitigkeit und Doppelzüngigkeit, und wenig- stens von dieser Seite haben sich die Autoren durch die Betonung des „Sinnes im Unsinn" der Erkenntnis des Witzes am meisten genähert.

Bei der ausnahmslosen Vorherrschaft dieser dem Witz be- sonderen Technik zur Überwindung seiner Hemmungen konnte man es überflüssig finden, daß er sich überhaupt noch der Ver- schiebungstechnik in einzelnen Fällen bedient, allein einerseits bleiben gewisse Arten dieser Technik als Ziele und Lustquellen für den Witz wertvoll, wie z. B. die eigentliche Verschiebung (Gedankenablenkung), die ja die Natur des Unsinns teilt, ander- seits darf man nicht vergessen, daß die höchste Stufe des Witzes, der tendenziöse Witz, häufig zweierlei Hemmungen zu überwinden hat, die ihm selbst und die seiner Tendenz entgegenstehenden, (S. 83) und daß die Anspielungen und Verschiebungen ihm die letztere Aufgabe zu ermöglichen geeignet sind.

10*


1^8 VI. Die Beziehung des Witzes zum Traum.

Die reichliche und zügellose Anwendung der indirekten Dar- stellung, der Verschiebungen und insbesondere Anspielungen in der Traumarbeit hat eine Folge, die ich nicht ihrer eigenen Be- deutung wegen erwähne, sondern weil sie der subjektive Anlaß für mich wurde, mich mit dem Problem des Witzes zu beschäftigen. Wenn man einem Unkundigen oder Ungewohnten eine Traum- analyse mitteilt, in welcher also die sonderbaren, dem Wachdenken anstößigen Wege der Anspielungen und Verschiebungen dargelegt werden, deren sich die Traumarbeit bedient hat, so unterliegt der Leser einem ihm unbehaglichen Eindruck, erklärt diese Deu- tungen für „witzig", erblickt aber in ihnen offenbar nicht ge- lungene Witze, sondern gezwungene und irgendwie gegen die Regeln des Witzes verstoßende. Dieser Eindruck ist nun leicht aufzuklären; er rührt daher, daß die Traumarbeit mit denselben Mitteln arbeilet wie der Witz, aber in der Anwendung derselben die Grenzen überschreitet, welche der Witz einhält. Wir werden auch alsbald hören, daß der Witz infolge der Rolle der dritten Person an eine gewisse Bedingung gebunden ist, welche den Traum nicht berührt.

Ein gewisses Interesse nehmen unter den Techniken, die Witz und Traum gemeinsam sind, die Darstellung durch das Gegenteil und die Verwendung des Widersinnes in Anspruch. Die erstere gehört zu den kräftig wirkenden Mitteln des Witzes, wie wir unter anderen an den Beispielen von „Überbietuiigswitz" er- sehen konnten (S. 57). Die Darstellung durch's Gegenteil ver- mochte sich übrigens der bewußten Aufmerksamkeit nicht wie die meisten anderen Witztechniken zu entziehen; wer den Mechanis- mus der Witzarbeit bei sich möglichst absichtlich in Tätigkeit zu bringen sucht, der habituelle Witzling, pflegt bald herauszufinden, daß man auf eine Behauptung am leichtesten mit einem Witz erwidert, wenn man deren Gegenteil festhält und es dem Einfall überläßt, den gegen dies Gegenteil zu befürchtenden Einspruch durch eine Umdeutung zu beseitigen. Vielleicht verdankt die Dar- stellung durch's Gegenteil solche Bevorzugung dem Umstände, daß sie den Kern einer anderen lustbringenden Ausdrucksweise des Gedankens bildet, für deren Verständnis wir das Unbewußte nicht zu bemühen brauchen Ich meine die Ironie, die sich dem Witze sehr annähert und zu den Unterarten der Komik ge- rechnet wird. Ihr Wesen besteht darin, das Gegenteil von dem, was man dem Anderen mitzuteilen beabsichtigt, auszusagen, diesem aber den Widerspruch dadurch zu ersparen, daß man im Ton- fall, in den begleitenden Gesten, in kleinen stilistischen Anzeichen


Die Ironie. — Der Negativismus. 149

— wenn es sich um schriftliche Darstellung handelt — 2u ver- stehen gibt, man meine selbst das Gegenteil seiner Aussage. Die Ironie ist nur dort anwendbar, wo der Andere das Gegenteil zu hören vorbereitet ist, so daß seine Neigung zum Widerspruch nicht ausbleiben kann. Infolge dieser Bedingtheit ist die Ironie der Gefahr, nicht verstanden zu werden, besonders leicht ausgesetzt. Sie bringt der sie anwendenden Person den Vorteil, daß sie die Schwierigkeiten direkter Äußerungen, z. B. bei Invektiven, leicht um- gehen läßt; bei dem Hörer erzeugt sie komische Lust, wahr- scheinlich, indem sie ihn zu einem Widerspruchsaufwand bewegt, der sofort als überflüssig erkannt wird. Ein solcher Vergleich des Witzes mit einer ihm nahe stehenden Gattung des Komischen mag uns in der Annahme bestärken, daß die Beziehung zum Unbewußten das dem Witz Besondere ist, das ihn vielleicht auch von der Komik scheidet.*)

lu der Traumarbeit fällt der Darstellung durch's Gegenteil eine noch weit größere Rolle zu als beim Witz. Der Traum liebt es nicht nur, zwei Gegensätze durch ein und dasselbe Misch- gebilde darzustellen; er verwandelt auch so häufig ein Ding aus den Traumgedanken in sein Gegenteil, daß hieraus der Deutungs- arbeit eine große Schwierigkeit erwächst. „Man weiß zunächst von keinem eines Gegenteils fähigen Elemente, ob es in den Traumgedanken positiv oder negativ enthalten ist.**)

Ich muß hervorheben, daß diese Tatsache noch keineswegs Verständnis gefunden hat. Sie scheint aber einen wichtigen Charakter des unbewußten Denkens anzudeuten, dem aller Wahr- scheinlichkeit nach ein dem „Urteilen" vergleichbarer Vorgang abgeht. An Stelle der Urteilsvcrwerfung findet man im Un- bewußten die „Verdrängung". Die Verdrängung kann wohl richtig als die Zwischenstufe zwischen dem Abwehrreflex und der Verurteilung beschrieben werden.***)

Der Unsinn, die Absurdität, die so häufig im Traum vor- kommt und ihm soviel unverdiente Verachtung zugezogen hat, ist

  • ) Auf der Scheidung vjn Aussage und begleitenden Gebärden (im

weitesten Sinne) beruht auch der Charakter der Komik, der als ihre „Trockenheit" bezeichnet wird.

    • ) Traumdeutung, S. 218.
      • ) Dies höchst merkwürdige und immer noch ungenügend erkannte

Verhalten der Gegensatzrelation im Unbewußten ist wohl nicht ohne Wert für das Verständnis des „Negativismus" bei Neurotikern und Geistes- kranken. (Vgl. die beiden letzten Arbeiten darüber: Bleuler, Über die negative" Sugs^estibilität, Psych.-Neurol. Wochenschrift, 1904, und Otto Groß, Zur Differentialdiagnostik negativistischer Phänomene, ebda.)


150 VI. Die Beziehung des Witzes zum Traum.

doch niemals zufällig durch die Zusammenwürfelung von Vor- stellungselementen entstanden, sondern jedesmal als von der Traumarbeit absichtlich zugelassen nachzuweisen und zur Dar- stellung von erbitterter Kritik und verächtHchem Widerspruch innerhalb der Traumgedanken bestimmt. Die Absurdität des Trauminhalls ersetzt also das Urteil: Es ist ein Unsinn, in den Traumgedanken. Ich habe, in meiner „Traumdeutung" großen Nachdruck auf diesen Nachweis gelegt, weil ich den Irrtum, der Traum sei überhaupt kein psychisches Phänomen, der den Weg zur Erkenntnis des Unbewußten versperrt, auf diese Weise am eindringlichsten zu bekämpfen gedachte. Wir haben nun erfahren (bei der Auflösung gewisser tendenziöser Witze, S. 44), daß der Unsinn im Witze den gleichen Zwecken der Darstellung dienst- bar gemacht wird. Wir wissen auch, daß eine unsinnige Fassade des Witzes ganz besonders geeignet ist, den psychischen Aufwand bei dem Hörer zu steigern und somit auch den zur Abfuhr durch Lachen frei werdenden Betrag zu erhöhen. Außerdem aber wollen wir nicht daran vergessen, daß der Unsinn im Witz Selbstzweck ist, da die Absicht, die alte Lust am Unsinn wiederzugewinnen, zu den "Motiven der Witzarbeit gehört. Es gibt andere Wege, um den Unsinn wiederzugewinnen und Lust aus ihm zu ziehen; Karikatur, Übertreibung, Parodie und Travestie bedienen sich der- selben und schaffen so den „komischen Unsinn". Unterwerfen wir diese Ausdrucksformen einer ähnlichen Analyse, wie wir sie am Witz geübt haben, so werden wir finden, daß sich bei ihnen allen keir. Anlaß ergibt, unbewußte Vorgänge in unserem Sinne zur Erklärung heranzuziehen. Wir verstehen nun auch, warum der Charakter des „Witzigen" zur Karikatur, Übertreibung, Paro- die als Zutat hinzukommen kann; es ist die Verschiedenheit des „psychischen Schauplatzes", die dies ermöglicht.*)

Ich meine, die Verlegung der Witzarbeit in das System des Unbewußten ist uns um ein ganzes Stück wertvoller geworden, seitdem sie uns das Verständnis für die Tatsache eröffnet hati daß die Techniken, an denen der Witz doch haftet, anderseits nicht sein ausschließliches Gut sind. Manche Zweifel, die wir während unserer anfänglichen Untersuchung dieser Techniken für's nächste zurückstellen mußten, finden nun ihre bequeme Lösung. Um so mehr verdient unsere Würdigung ein Bedenken, welches uns sagen möchte, daß die unleugbar vorhandene Be- ziehung des Witzes zum Unbewußten nur für gewisse Kategorien

  • ) Ein für meine Auffassung bedeutsam gewordener Ausdruck von

G. Th. Fechner.


Das Unbewußte als der psychische Schauplatz der Witzarbeit. 151


des tendenziösen Witzes richtig ist, während wir bereit sind, die- selbe auf alle Arten und Entwicklungsstufen des Witzes auszu- dehnen. Wir dürfen uns der Prüfung dieses Einwandes nicht

entziehen.

Der sichere Fall der Witzbildung im Unbewußten ist anzu- nehmen, wenn es sich um Witze im Dienste unbewußter oder durch's Unbewußte verstärkter Tendenzen handelt, also bei den meisten „zynischen" Witzen. Dann zieht nämlich die unbewußte Tendenz den vorbewußten Gedanken zu sich herab in's Unbewußte, um ihn dort umzuformen, ein Vorgang, zu welchem das Studium der Neurosenpsychologie zahlreiclae Analogien kennen gelehrt hat. Bei den tendenziösen Witzen anderer Art, beim harmlosen Witz und beim Scherz scheint aber diese herabziehende Kraft weg- zufallen, steht also die Beziehung des Witzes zum Unbewußten

in Frage.

Fassen wir aber nun den Fall des witzigen Ausdrucks eines an sich nicht wertlosen, im Zusammenhange der Denkvorgänge auftauchenden Gedankens in's Auge. Um diesen Gedanken zum Witz werden zu lassen, bedarf es offenbar einer Auswahl unter den möglichen Ausdrucksformen, damit gerade jene gefunden werde, welche den Wortlustgewinn mit sich bringt. Wir wissen aus unserer Selbstbeobachtung, daß nicht die bewußte Aufmerk- samkeit diese Auswahl trifft; es wird derselben aber gewiß zu gute kommen, wenn die Besetzung des vorbewußten Gedankens zur unbewußten erniedrigt wird, denn im Unbewußten werden die vom Wort ausgehenden Verbindungswege, wie wir aus der Traum- arbeit erfahren haben, den Sachverbindungen gleichartig behandelt. Die unbewußte Besetzung bietet der Auswahl des Ausdrucks die weitaus günstigeren Bedingungen. Wir können übrigens ohne weiteres annehmen, daß die Ausdrucksmöglichkeit, welche den Wordustgewinn enthält, in ähnlicher Weise herabziehend auf die noch schwankende Fassung des vorbewußten Gedankens wirkt wie im ersteren Falle die unbewußte Tendenz. Für den simpleren Fall des Scherzes dürfen wir uns vorstellen, daß eine allzeit lauernde Absicht, den Wortlustgewinn zu erreichen, sich des An- lasses, der gerade im Vorbewußten gegeben ist, bemächtigt, um wiederum nach dem bekannten Schema den Besetzungsvorgang in's Unbewußte zu ziehen.

Ich wünschte gern, daß es mir möglich wäre, diesen einen entscheidenden Punkt in meiner Auffassung des Witzes einerseits klarer darzulegen, anderseits mit zwingenden Argumenten zu ver- stärken. Aber es handelt sich hier in Wahrheit nicht um ein


r52


VI. Die Beziehung des Witzes zum Unbevraßten.


zweifaches, sondern um ein und das nämliche Mißlingen. Ich kann eine klarere Darstellung nicht geben, weil ich keine weiteren Beweise für nieine Auffassung habe. Dieselbe ist mir aus dem Studium der Technik und aus dem Vergleich mit der Traum- arbeit erwachsen, und zwar nur von dieser einen Seite her; ich kann dann finden, daß sie den Eigentümlichkeiten des Witzes im ganzen vortrefflich angepaßt ist. Die.'^e Auffassung ist nun eine erschlossene; gelangt man mit solchem Schluß nicht auf ein be- kanntes, sondern vielmehr auf ein fremdes, dem Denken neuartiges Gebiet, so nennt man den Schluß eine „Hypothese" und läßt mit Recht die Beziehung der Hypothese zu dem Material, aus dem sie erschlossen ist, nicht als ,, Beweis" gelten. Als „bewiesen" gilt diese erst dann, wenn man auch auf anderem Wege zu ihr ge- langen, sie als den Knotenpunkt auch anderer Zusammenhänge aufzeigen kann. Solcher Beweis ist aber bei unserer kaum erst beginnenden Kenntnis der unbewußten Vorgänge nicht zu haben. In der Erkenntnis, daß wir auf einem überhaupt noch nicht be- tretenen Boden stehen, begnügen wir uns also damit, von unserem Standpunkt der Beobachtung ein einziges, schmales und schwankes, Brett in's Unergründete hinaus zu schieben.

Wir werden nicht viel auf dieser Grundlage aufbauen. Bringen wir die verschiedenen Stufen des Witzes in Beziehung zu den für sie günstigen seelischen Dispositionen, so können wir etwa sagen: Der Scherz entspringt aus der heiteren Stimmung, der eine N eigung zur H erabminderung der seelischen Besetzungen eigentümlich scheint. Er bedient sich bereits aller charakteristi- schen Techniken des Witzes und erfüllt bereits die Grundbedingung desselben durch die Auswahl eines solchen Wortmaterials oder einer solchen Gedankenverknüpfung, wie sie sowohl den Anforderungen der Lustgewinnung als auch denen der verständigen Kritik genügen. Wir werden schließen, daß das Herabsinken der Gedankenbesetzung zur unbewußten Stufe, durch die heitere Stimmung erleichcrt, schon beim Scherz zutreffe. Für den harmlosen, aber mit dem Aus- druck eines wertvollen Gedankens verknüpften Witz fällt diese Förderung durch die Stimmung weg; wir bedürfen hier der An- nahme einer besonderen persönlichen Eignung, die in der Leichtigkeit zum Ausdruck kommt, mit welcher die vorbewußte Besetzung fallen gelassen und für einen Moment mit der unbewuß- ten vertauscht wird. Eine stets lauernde Tendenz, den ursprüng- lichen Lustgewinn des Witzes zu erneuern, wirkt hiebe! herabziehend auf den noch schwankenden vorbewußten Ausdruck des Gedankens. In heiterer Stimmung sind wohl die meisten


Unterschiede von Witz und Traum.


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Menschen fähig, Scherze zu produzieren; die Eignung zum Witz ist nur bei wenigen Personen unabhängig von der Stimmung vorhanden. EndUch wirkt als kräftigste Anregung zur Witzarbeit das Vorhandensein starker, bis in's U nbewußte reichender Ten- denzen, die eine besondere Eignung zur witzigen Produktion dar- stellen und uns erklären mögen, daß die subjektiven Bedingungen des Witzes so häufig bei neurotischen Personen erfüllt sind. Unter dem Einfluß starker Tendenzen kann auch der sonst Ungeeignete witzig werden.

Mit diesem letzten Beitrag, der wenn auch hypothetisch ge- bliebenen Aufklärung der Witzarbeit bei der ersten Person, ist aber unser Interesse am Witz streng genommen erledigt. Es erübrigt uns etwa noch eine kurze Vergleichung des Witzes mit dem besser bekannten Traum, der wir die Erwartung vorausschicken werden, daß zwei so verschiedenartige seelische Leistungen neben der einen bereits gewürdigten Übereinstimmung nur noch Unter- schiede erkennen lassen dürften. Der wichtigste Unterschied liegt in ihrem sozialen Verhalten. Der Traum ist ein vollkommen asoziales seelisches Produkt; er hat einem Anderen nichts mit- zuteilen; innerhalb einer Person als Kompromiß der in ihr ringen- den seelischen Kräfte entstanden, bleibt er dieser Person selbst unverständlich und ist darum für eine andere völlig uninteressant. Nicht nur, daß er keinen Wert auf Verständlichkeit zti legen braucht, er muß sich sogar hüten verstanden zu werden, da er sonst zerstört würde; er karm nur in der Vermummung bestehen. Er darf sich darum ungehindert des Mechanismus, der die un- bewußten Denkvorgänge beherrscht, bis zu einer nicht mehr redressierbaren Entstellung bedienen. Der Witz dagegen ist die sozialste aller auf Lustgewinn zielenden seelischen Leistungen. Er benötigt oftmals dreier Personen und verlangt seine Vollendung durch die Teilnahme eines Anderen an dem von ihm angeregten seelischen Vorgange. Er muß sich also an die Bedingung der Verständlichkeit binden, darf die im Unbewußten mögliche Ent- stellung durch Verdichtung und Verschiebung in keinem weiteren Ausmaße in Anspruch nehmen, als soweit dieselbe durch das Ver- ständnis der dritten Person redressierbar ist. Im übrigen sind die beiden, Witz und Traum, auf ganz verschiedenen Gebieten des Seelenlebens erwachsen und an weit von einander entlegenen Stellen des psychologischen Systems unterzubringen. Der Traum ist immer noch ein, wiewohl unkenntlich gemachter, Wunsch; der Witz ist ein entwickeltes Spiel. Der Traum behält trotz all seiner praktischen Nichtigkeit die Beziehung zu den großen


IC. VI. Die Beziehung des Witzes zum Traum.

Interessen des Lebens bei; er sucht die Bedürfnisse auf dem regressiven Umwege der Halluzination zu erfüllen, und er ver- dankt seine Zulassung dem. einzig während des Nachtzustandes regen Bedürfnis zu schlafen. Der Witz hingegen sucht einen kleinen Lustgewinn aus der bloßen, bedürfnisfreien, Tätigkeit un- seres seelischen Apparats zu ziehen, später einen solchen als Nebengewinn während der Tätigkeit desselben zu erhaschen, und gelangt so sekundär zu nicht unwichtigen, der Außenwelt zu- gewendeten Funktionen. Der Traum dient vorwiegend der Un- lusterspamis, der Witz dem Lusterwerb; in diesen beiden Zielen treffen aber alle unsere seelischen Tätigkeiten zusammen.


VII. Der Witz und die Arten des Komischen.

Wir haben uns den Problemen des Komischen auf eine un- gewöhnliche Weise genähert. Es schien uns, daß der Witz, der sonst als eine Unterart der Komik betrachtet wird, genug der Eigentümlichkeiten biete, um direkt in Angriff genommen zu wer- den, und so sind wir seiner Beziehung zu der umfassenderen Kategorie des Komischen, solange es uns möglich war, aus- gewichen, nicht ohne unterwegs einige für's Komische verwertbare Hinweise aufzugreifen. Wir haben ohne Schwierigkeiten gefunden, daß das Komische sich sozial anders verhält als der Witz. Es kann sich mit nur zwei Personen begnügen, der einen, die das Komische findet, und der zweiten, an der es gefunden wird. Die dritte Person, der das Komische mitgeteilt wird, verstärkt den komischen Vorgang, fügt aber nichts Neues zu ihm hinzu. Beim Witz ist diese dritte Person zur Vollendung des lustbringenden V^organges unentbehrlich; dagegen kann die zweite wegfallen, wo es sich nicht um tendenziösen, aggressiven Witz handelt. Der Witz wird gemacht, die Komik wird gefunden, und zwar zu allererst an Personen, erst in weiterer Übertragung auch an Objekten, Situationen u. dgl. Vom Witz wissen wir, daß nicht fremde Per- sonen, sondern die eigenen Denkvorgänge die Quellen der zu fördernden Lust in sich bergen. Wir haben ferner gehört, daß der Witz gelegentlich unzugänglich gewordene Quellen der Komik wieder zu eröffnen weiß, und daß das Komische häufig dem Wiiz als Fassade dient und ihm die sonst durch die bekannte Technik herzustellende Vorlust ersetzt (S. 130). Es deutet dies alles gerade nicht auf sehr einfache Beziehungen zwischen Witz und Komik hin. Anderseits haben sich die Probleme des Komischen als so komplizierte erwiesen, allen Lösungsbestrebungen der Philosophen bisher so erfolgreich getrotzt, daß wir die Erwartung nicht auf- recht erhalten können, wir würden ihrer gleichsam durch einen Handstreich Meister werden, wenn wir von der Seite des Witzes her an sie herankommen. Auch brachten wir für die Erforschung des Witzes ein Instrument mit, welches Anderen noch nicht ge- dient hatte, die Kenntnis der Traumarbeit; zur Erkenntnis des Komischen steht uns kein ähnlicher Vorteil zu Gebote, und wir dürfen daher gewärtig sein, daß wir vom Wesen der Komik nichts


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VII. Der Witz und die Arten des Komischen.


Anderes erkennen werden, als was sich uns bereits im Witz ge- zeigt hat, insoferne derselbe dem Komischen zugehört und gewisse Züge desselben unverändert oder modifiziert in seinem eigenen

Wesen führt.

Diejenige Gattimg des Komischen, welche dem Witze am nächsten steht, ist das Naive. Das Naive wird wie das Komische im allgemeinen gefunden, nicht wie der Witz gemacht, und zwar kann das Naive überhaupt nicht gemacht werden, während beim rein Komischen auch ein Komischmachen, ein Hervorrufen der Komik in Betracht kommt. Das Naive muß sich ohne unser Dazutun ergeben an den Reden und Handlungen anderer Personen, die an der Stelle der zweiten Person beim Komischen oder beim Witze stehen. Das Naive entsteht, wenn sich jemand über eine Hemmung voll hinaussetzt, weil eine solche bei ihm nicht vor- handen ist, wenn er sie also mühelos zu überwinden scheint. Bedingung für die Wirkung des Naiven ist, daß uns bekannt sei, er besitze diese Hemmung nicht, sonst heißen wir ihn nicht naiv, sondern frech, lachen nicht über ihn, sondern sind über ihn ent- rüstet. Die Wirkung des Naiven ist unwiderstehhch und scheint dem Verständnis einfach. Ein von uns gewohnheitsmäßig ge- machter Hemmungsaufwand wird durch das Anhören der naiven Rede plötzlich unverwendbar mid durch Lachen abgeführt; eine Ablenkung der Aufmerksamkeit braucht es dabei nicht, wahr- scheinlich, weil die Aufhebung der Hemmung direkt und nicht durch Vermittlung einer angeregten Operation erfolgt. Wir ver- halten uns dabei analog der dritten Person des Witzes, welcher die Hemmungsersparung ohne eigene Bemühung geschenkt wird.

Nach den Einblicken in die Genese der Hemmungen, welche wir bei der Verfolgung der Entwicklung vom Spiel zum Witz gewonnen haben, wird es uns nicht wundern, daß das Naive zu allermeist am Kind gefunden wird, in weiterer Übertragung dann beim ungebildeten Erwachsenen, den wir als kindlich betreffs seiner intellektuellen Ausbildung auffassen können. Zum Vergleiche mit dem Witze bieten sich naive Reden natürlich besser als naive Handlungen, da Reden und nicht Handlungen die gcwöhnhchen Äußerungsformen des Witzes sind. Es ist nun bezeichnend, daß man naive Reden wie die der Kinder ohne Zwang auch als „naive Witze" benennen kaim. Die Übereinstimmung und die Begrün- dung der Verschiedenheit zwischen Witz und Naivität wird uns an einigen Beispielen leicht ersichtlich werden.

Ein sVaJähriges Mädchen warnt seinen Bruder: Du, iß nicht soviel von dieser Speise, sonst wirst du krank werden und mußt


Das Naive.


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Bubizin nehmen. „Bubizin?" fragt die Mutter, „was ist denn das?" Wie ich krank war, rechtfertigt sich das Kind, habe ich ja auch Medizin nehmen müssen. Das Kind ist der Meinung, daß das vom Arzt verschriebene Mittel Madi — zin heißt, wenn es für das Mädi bestimmt ist, und schließt, daß es Bubi — zin heißen wird, wenn das Bubi es nehmen soll. Dies ist nun gemacht wie ein Wortwitz, der mit der Technik des Gleichklangs arbeitet, und könnte sich ja auch als wirklicher Witz zugetragen haben, in welchem Falle wir ihm halb widerwillig ein Lächeln geschenkt hätten. Als Beispiel einer Naivität scheint es uns ganz ausge- zeichnet und macht uns laut lachen. Was stellt aber hier den Unterschied zwischen dem Witz und dem Naiven her? Offenbar nicht der Wortlaut oder die Technik, die für beide Möglichkeiten die gleichen sind, sondern ein für den ersten Anblick von beiden recht ferne ab liegendes Moment. Es handelt sich nur darum, ob wir annehmen, daß der Sprecher einen Witz beabsichtigt habe, oder daß er — das Kind — im guten Glauben auf Grund seiner unkorrigierten Unwissenheit einen ernsthaften Schluß habe ziehen wollen. Nui' der letztere Fall ist einer der Naivität. Auf ein solches Sichhineinversetzen der anderen Person in den psychischen Vorgang bei der produzierenden Person werden wir hier zuerst aufmerksam gemacht.

Die Untersuchung eines zweiten Beispieles wird diese Auf- fassung bestätigen. Ein Geschwisterpaar, ein I2jähriges Mädchen und ein lojähriger Knabe führen ein von ihnen selbst komponiertes Theaterstück vor einem Parterre von Onkeln und Tanten auf. Die Szene stellt eine Hütte am Meeresstrande dar. Im ersten Akt klagen die beiden Dichter- Schauspieler, ein armer Fischer und sein braves Weib, über die harten Zeiten und den schlechten Erwerb. Der Mann beschließt auf seinem Boot über das weite Meer zu fahren, um anderswo den Reichtum zu suchen, und nach einem zärtlichen Abschied der Beiden wird der Vorhang zugezogen. Der zweite Akt spielt einige Jahre später. Der Fischer ist als reicher Mann mit einem großen Geldbeutel zurückgekehrt und erzählt der Frau, die er vor der Hütte wartend antrifft, wie schön es ihm draußen geglückt ist. Die Frau unterbricht ihn stolz: Ich war aber auch nicht faul unterdessen, und öffnet seinen Blicken die Hütte, auf deren Boden man zwölf große Puppen als Kinder schlafen sieht ... An dieser Stelle des Schauspieles wurden die Darsteller durch ein sturmartiges Lachen der Zuschauer unter- brochen, welches sie sich nicht erklären konnten. Sie starrten verduzt auf die lieben Verwandten hin, die sich soweit anständig


jeg VII. Der Witz und die Arten des Komischen.

benommen und gespannt zugehört hatten. Die Voraussetzung, imter der dieses Lachen sich erklärt, ist die Annahme der Zu- schauer, daß die jungen Dichter noch nichts von den Bedingungen der Entstehung der Kinder wissen und darum glauben können, eine Frau würde sich der in längerer Abwesenheit des Mannes geborenen Nachkommenschaft rühmen und ein Mann sich mit ihr freuen dürfen. Was die Dichter auf Grund solcher Unwissenheit produzierten, kann man aber als Unsinn, als Absurdität bezeichnen.

Ein drittes Beispiel wird uns eine noch andere Technik, die wir beim Witze kennen gelernt haben, im Dienste des Naiven zeigen. Für ein kleines Mädchen wird eine „Französin" als Gou- vernante aufgenommen, deren Person aber nicht ihren Beifall findet. Kaum daß die neu Engagierte sich entfernt hat, läßt die Kleine ihre Kritik verlauten : Das soll eine Französin sein I Vielleicht heißt sie sich so, weil sie einmal bei einem Franzosen gelegen ist ! Dies könnte ein sogar erträglicher Witz sein — Doppelsinn mit Zweideutigkeit oder zweideutiger Anspielimg, wenn das Kind von der Möglichkeit des Doppelsinnes eine Ahnung gehabt hätte. In Wirklichkeit hatte sie nur eine oft geborte scherzhafte Behauptung der Unechtheit auf die ihr unsympathische Fremde übertragen. („Das soll echtes Gold sein? Das ist viel- leicht einmal bei Gold gelegen!") Wegen dieser Unkenntnis dos Kindes, die den psychischen Vorgang bei den verstehenden Zu- hörern so gründlich abändert, wird seine Rede eine naive. In- folge dieser Bedingung gibt es aber auch ein mißverständlich Naives; man kann beim Kind eine Unwissenheit annehmen, die nicht mehr besteht, und Kinder pflegen sich häufig naiv zu stellen, um sich einer Freiheit zu bedienen, die ihnen sonst nicht zu- gestanden würde.

An diesen Beispielen kann man die Stellung des Naiven zwischen dem Witz und dem Komischen erläutern. Mit dem Witz stimmt das Naive (der Rede) im Wortlaut und im Inhalt überein, es bringt einen Wortmißbrauch, einen Unsinn oder eine Zote zu Stande. Aber der psychische Vorgang in der ersten produzieren- den Person, der uns beim Witze so viel des Interessanten und Rätselhaften bot, entfällt hier völlig. Die naive Person vermeint sich ihrer Ausdrucksmittel und Denkwege in normaler und ein- facher Weise bedient zu haben und weiß nichts von einer Neben- absicht; sie zieht aus der Produktion des Naiven auch keinen Lustgewinn. Alle Charaktere des Naiven bestehen nur in der Auffassimg der anhörenden Person, die mit der dritten Person des Witzes zusammenfällt. Die produzierende Person erzeugt


Das Naive dem Witze am nächsten.


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ferner das Naive mühelos; die komplizicrtt; Technik, die beim Witz dazu bestimmt ist, die Hemmung durch die verständige Kritik zu lähmen, entfällt bei ihr, weil sie diese Hemmung noch nicht besitzt, so daß sie Unsinn und Zote unmittelbar und ohne Kompromiß von sich geben kann. Insoferne ist das Naive der Grenzfall des Witzes, der sich herausstellt, wenn man in der Formel der Witzbildung die Größe dieser Zensur auf Null herumersetzt.

War es für die Wirksamkeit des Witzes Bedingung, daß beide Personen unter ungefähr gleichen Hemmungen oder inneren Widerständen stehen, so läßt sich also als Bedingung des Naiven erkennen, daß die eine Person Hemmungen besitze, deren die andere entbehrt. Bei der mit Hemmungen versehenen Person liegt die Auffassung des Naiven, ausschließlich bei ihr kommt der Lustgewinn, den das Naive bringt, zu stände, und wir sind nahe daran zu erraten, daß diese Lust durch Hemmungsaufhebung ent- steht. Da die Lust des Witzes der nämhchen Herkunft ist, — ein Kern von Wort- und Unsinnslust und eine Hülle von Auf- hebungs- und Erleichterungslust, — so begründet diese ähnliche Be- ziehung zur Hemmung die innere Verwandtschaft des Naiven mit dem Witze. Bei beiden entsteht die Lust durch Aufhebung von innerer Hemmung. Der psychische Vorgang bei der rezeptiven Person (mit der beim Naiven unser Ich regelmäßig zusammen- fällt, während wir uns beim Witz auch an die Stelle der produktiven setzen können) ist aber im Falla des Naiven um so viel komplizierter, als der bei der produktiven Person im Vergleich mit dem Witze vereinfacht ist. Auf die rezeptive Person muß das gehörte Naive einerseits wirken wie ein Witz, wofür gerade unsere Beispiele Zeugnis ablegen können, denn ihr ist wie beim Witz die Auf- hebung der Zensur durch die bloße Mühe des Anhörens ermög- licht worden. Aber nur ein Teil der Lust, die das Naive schafft, läßt diese Erklärung zu, ja selbst dieser wäre in anderen Fällen des Naiven, z, B. beim Anhören von naiven Zoten gefährdet. Man könnte auf eine naive Zote ohne weiteres mit der nämlichen Entrüstung reagieren, die sich etwa gegen die wirkliche Zote erhebt, wenn nicht ein anderes Moment uns diese Entrüstung ersparen und gleichzeitig den bedeutsameren Anteil der Lust am Naiven liefern würde.

Dieses andere Moment ist uns durch die vorhin erwähnte Bedingung gegeben, daß uns, um das Naive anzuerkennen, das Fehlen der inneren Hemmimg bei der produzierenden Person be- kannt sein müsse. Nur wenn dies gesichert ist, lachen wir anstatt uns zu entrüsten. Wir ziehen also den psychischen Zustand der


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,5o Vn. Der Witz und die Arten des Komischen. jf

produzierenden Person in Betracht, versetzen uns in denselben, suchen ihn zu verstehen, indem wir ihn mit dem unserigen ver- gleichen. Aus solchem Sichhineinversetzen und Vergleichen resul- tiert eine Ersparung von Aufwand, die wir durch Lachen abführen. Man könnte die einfachere Darstellung bevorzugen, durch die Überlegung, daß die Person keine Hemmung zu überwinden brauchte, werde unsere Entrüstung überflüssig; das Lachen ge- schehe also auf Kosten der ersparten Entrüstung. Um diese im allgemeinen irreführende Auffassung ferne zu halten, will ich zwei Fälle schärfer sondern, die ich in obiger Darstellung vereinigt hatte. Das Naive, das vor uns hintritt, kann entweder von der Natur des Witzes sein wie in unseren Beispielen, oder von der Natur der Zote, des Anstößigen überhaupt, was dann besonders zutreffen wird, wenn es sich nicht als Rede, sondern als I-iandlung äußert. Dieser letztere Fall ist wirkUch irreführend; man könnte für ihn annehmen, die Lust entstehe aus der ersparten und um- gewandelten Entrüstung. Aber der erstere Fall ist der aufklärende. Die naive Rede z. B. vom Bubizin, kann an sich wirken wie em geringer Witz und zur Entrüstung keinen Anlaß geben; es ist dies gewiß der seltenere aber der reinere und bei Weitem lehr- reichere Fall. Sowie wir nun daran denken, daß das Kind die Silben „Medi" in „Medizin" ernsthaft und ohne Nebenansicht für identisch mit seinem eigenen Namen „Mädi" gehalten hat, erfährt die Lust am Gehörten eine Steigerung, die nichts mehr mit der Witzeslust zu tun hat. Wir betrachten jetzt das Gesagte von zweierlei Standpunkten, einmal so, wie es sich beim Kind ergeben hat, und dann so, wie sich es für uns ergeben würde, finden bei diesem Vergleich, daß das Kind eine Identität gefunden, eine Schranke überwunden hat, die für uns besteht, und dann geht es etwa so weiter, als ob wir uns sagen würden: Wenn du das Gehörte verstehen willst, kannst du dir den Aufwand für die Einhaltung dieser Schranke ersparen. Der bei solchem Vergleich frei gewordene Aufwand ist die Quelle der Lust am Naiven und wird durch Lachen abgeführt; es ist allerdings der nämliche, den wir sonst in Emrüstung verwandelt hätten, wenn das Verständnis der produzierenden Person und hier auch die Natur des Gesagten eine solche nicht ausschlößen. Nehmen wir aber den Fall des naiven Witzes als vorbildlich für den anderen Fall des naiv Anstößigen, so sehen wir, daß auch hier die Ersparung an Hem- mung direkt aus der Vergleichung hervorgehen kann, daß wir nicht notwendig haben, eine beginnende und dann erstickte Ent- rüstung anzunehmen und daß die letztere nur einer anderweirigen


Die Quelle der komischen Lust beim Naiven. i6i

Verwendung des frei gewordenen Aufwandes entspricht, gegen welche beim Witze komphzicrte Schutzeinrichtungen erforder- lich waren.

Dieser Vergleich, diese Ersparung an Aufwand beim Sich- hineinversetzen in den seelischen Vorgang der produzierenden Person, können für das Naive nur dann eine Bedeutung be- anspruchen, wenn sie nicht ihm allein zukommen. In der Tat entsteht bei uns die Vermutung, daß dieser dem Witz völlig fremde Mechanismus, ein Stück, vielleicht das wesentliche Stück des psy- chischen Vorganges beim Komischen ist. Von dieser Seite ~ es ist gewiß die wichtigste Ansicht des Naiven — steHt sich das Naive also als eine Art des Komischen dar. Was bei unseren Beispielen von naiven Reden zur Witzeslust dazukommt, ist „komi- sche" Lust. Von dieser wären wir geneigt ganz allgemein an- zunehmen, daß sie durch ersparten Aufwand bei Vergleichung der Äußerungen eines Anderen mit den unserigen entstehe. Da wir aber hier vor weit ausgreifenden Anschauungen stehen,, wollen wir vorerst die Würdigung des Naiven abschließen. Das Naive wäre also eine Art des Komischen, insoferne seine Lust aus der Aufwanddifferenz entspringt, die sich beim Verstehenwollen des Anderen ergibt, und es näherte sich dem Witz durch die Bedingung, daß der bei der Vergleichung ersparte Aufwand ein Hemmungs- aufwand sein muß.*)

Stellen wir noch rasch einige Übereinstimmungen und Unter- scheidungen fest zwischen den Begriffen, zu denen wir zuletzt gelangt sind, und jenen, die seit Langem in der Psychologie der Komik genannt werden. Das Sichhineinversetzen, Verstehen wollen ist offenbar nichts Anderes als das „komische Leihen", das seit Jean Paul in der Analyse des Komischen eine Rolle spielt; das „Vergleichen" des seelischen Vorganges beim Anderen mit dem eigenen entspricht dem „psychologischen Kontrast", für den wir hier endlich eine Stelle finden, nachdem wir beim Witze mit ihm nichts anzufangen wußten. In der Erklärung der komischen Lust weichen wir aber von vielen Autoren ab, bei denen die Lust durch das Hin- und Herschwanken der Aufmerksamkeit zwischen den kontrastierenden Vorstellungen entstehen soll. Wir wüßten einen solchen Mechanismus der Lust nicht zu begreifen, wir weisen darauf

  • ) Ich habe hier überall das Naive mit dem Naivkomischen identifiziert,

was gewiß nicht allgemein zulässig ist. Aber es genügt unseren Absichten, die Charaktere des Naiven am „naiven Witz" und an der „naiven Zote" zu studieren. Ein weiteres Eingehen würde die Absicht voraussetzen, von hier aus das Wesen des Komischen zu ergründen.

Freua, Der Wlt». H


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VII. Der Witz und die Arten des Komischen.


hin, daß bei der Vergleichung der Kontraste sich eine Aufwand- differenz herausstellt, welche, wenn sie keine andere Verwendung erfährt, abfuhrfähig und dadurch Lustquelle wird.*}

An das Problem des Komischen selbst wagen wir uns nur mit Bangen heran. Es wäre vermessen zu erwarten, daß unsere Bemühungen etwas Entscheidendes zu dessen Lösung beitragen könnten, nachdem die Arbeiten einer großen Reihe von ausgezeich- neten Denkern eine allseitig befriedigende Aufklärung nicht ergeben haben. Wir beabsichtigen wirklich nichts Anderes als jene Gesichts- punkte, die sich uns als wertvoll für den Witz erwiesen haben, eine Strecke weit in's Gebiet des Komischen zu verfolgen.

Das Komische ergibt sich zunächst als ein unbeabsichtigter Fund aus den sozialen Beziehungen der Menschen. Es wird an Personen gefunden, und zwar an deren Bewegungen, Formen, Handlungen und Charakterzügen, wahrscheinlich ursprünghch nur an den körperlichen, später auch an den seelischen Eigenschaften derselben, beziehungsweise an deren Äußerungen. Durch eine sehr gebräuchliche Art von Personifizierung werden dann auch Tiere und unbelebte Objekte komisch. Das Komische ist indes der Ablösung von den Personen fähig, indem die Bedingung erkannt wird, unter welcher eine Person komisch erscheint. So entsteht das Komische der Situation, und mit solcher Erkenntnis ist die Möglichkeit vorhanden, eine Person nach Beheben komisch zu machen, indem man sie in Situationen versetzt, in denen ihrem Tun diese Bedingungen des Komischen anhängen. Die Entdeckung, daß man es in seiner Macht hat, einen Anderen komisch zu machen, eröffnet den Zugang zu ungeahntem Gewinn an komischer Lust und gibt einer hochausgebildeten Technik den Ursprung. Man kann auch sich selbst ebensowohl komisch machen wie andere. Die Mittel, die zum Komischmachen dienen, sind: die Versetzung in komische Situationen, die Nachahmung, Verkleidung, Entlarvung, Karikatur, Parodie und Travestie u. a. Wie selbstverständig können diese Techniken in den Dienst feindseliger und aggressiver Ten- denzen treten. Man kann eine Person komisch machen, um sie verächtlich werden zu lassen, um ihr den Anspruch auf Würde


•) Auch Bergson (Le rire, 1904) weist {S. 99) eine solche Ableitung der komischen Lust, die unverkennbar durch das Bestreben beeinflußt worden ist, eine Analogie mit dem Lachen des Gekitzelten zu schaffen, mit guten Argumenten ab. — Auf einem ganz anderen Niveau steht die Erklärung der komischen Lust bei Lipps, die im Zusammenhange mit seiner Auffassung des Komischen als eines „unerwarteten Kiemen" dar- zustellen wäre.


Vorkommen und Urspmngsgebiete des Komischen. 163

und Autorität zu benehmen. Aber selbst wenn solche Absicht dem Komischmachen regelmäßig zu Grunde läge, brauchte dies nicht der Sinn des spontan Komischen zu sein.

Aus dieser ungeordneten Übersicht über das Vorkommen des Komischen ersehen wir bereits, daß ihm ein sehr ausgedehntes Ursprungsgebiet zugesprochen werden muß, und daß so speziali- sierte Bedingungen wie z. B. beim Naiven beim Komischen nicht zu erwarten sind. Um der für das Komische gütigen Bedingung auf die Spur zu kommen, ist die Wahl eines Ausgangsfalles das Bedeutsamste; wir wählen die Komik der Bewegungen, weil wir uns erinnern, daß die primitivste Bühnendarstellung, die der Pan- tomime, sich dieses Mittels bedient, um uns lachen zu machen. Die Antwort, warum wir über die Bewegungen der Clowns lachen, würde lauten, weil sie uns übermäßig und unzweckmäßig erscheinen. Wir lachen über einen allzu großen Aufwand. Suchen wir die Bedingung außerhalb der künsthch gemachten Komik, also dort, wo sie sich unabsichtlich finden läßt. Die Bewegungen des Kindes erscheinen uns nicht komisch, obwohl das Kind zappelt und springt. Komisch ist es dagegen, wenn das Kind beim Schreibenlemen die herausgestreckte Zunge die Bewegungen des Federstils mit- machen läßt; wir sehen in diesen Mitbewegungen einen über- flüssigen Bewegungsaufwand, den wir uns bei der gleichen Tätig- keit ersparen würden. In gleicher Weise sind uns andere Mit- bewegungen oder auch bloß übermäßig gesteigerte Ausdrucks- bewegungen komisch auch bei Erwachsenen. So sind ganz reine Fälle dieser Art von Komik die Bewegungen, die der Kegel- schieber ausführt, nachdem er die Kugel entlassen hat, solange er ihren Lauf verfolgt, als könnte er diesen noch nachträglich regulieren; so sind alle Grimassen komisch, welche den normalen Ausdruck der Gemütsbewegungen übertreiben, auch dann, wenn sie unwillkürlich erfolgen wie bei an Veitstanz (Chorea St. Viti) leidenden Personen; so werden die leidenschaftlichen Bewegungen eines modernen Dirigenten jedem Unmusikalischen komisch er- scheinen, der ihre Notwendigkeit nicht zu verstehen weiß. Ja, von dieser Komik der Bewegungen zweigt das Komische der Körperformen und Gesichtszüge ab, indem diese aufgefaßt werden, als seien sie das Ergebnis einer zu weit getriebenen und zweck- losen Bewegung. Aufgerissene Augen, eine hakenförmig zum Mund abgebogenen Nase, abstehende Ohren, ein Buckel, all der- gleichen wirkt wahrscheinlich nur komisch, insoferne die Be- wegungen vorgestellt werden, die zum Zustandekommen dieser Züge notwendig wären, wobei Nase, Ohren und andere Körper-


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VII. Der Witz und die Arten des Komischen.


teile der Vorstellung beweglicher gelten, als sie es in Wirklichkeit sind. Es ist ohne Zweifel komisch, wenn jemand „mit den Ohren wackeln" kann, und es wäre ganz gewiß noch komischer, wenn er die Nase heben oder senken könnte. Ein gutes Stück der komischen Wirkung, welche die Tiere auf uns äußern, kommt von der Wahrnehmung solcher Bewegungen an ihnen, die wir nicht nachahmen können.

Auf welche Weise gelangen wir aber zum Lachen, wenn wir die Bewegungen eines Anderen als übermäßig und unzweckmäßig erkannt haben? Auf dem Wege der Vergleichung, meine ich, zwischen der am Anderen beobachteten Bewegung und jener, die ich selbst an ihrer statt ausgeführt hätte. Die beiden Verglichenen müssen natürlich auf gleiches Maß gesetzt werden, und dieses Maß ist mein, mit der Vorstellung der Bewegung in dem einen wie im anderen Falle verbundener, Innervationsaufwand. Diese Behaup- tung bedarf der Erläuterung und weiterer Ausführung.

Was wir hier in Beziehung zu einander setzen, ist einerseits der psychische Aufwand bei einem gewissen Vorstellen und ander- seits der Inhalt dieses Vorgestellten. Unsere Behauptung geht dahin, daß der erstere nicht allgemein und prinzipiell unabhängig sei vom letzteren, vom Vorstellungsinhalt, insbesondere daß die Vorstellung eines Großen einen Mehraufwand gegen die eines Kleinen erfordere. Solange es sich nur um die Vorstellung ver- schieden großer Bewegungen handelt, dürfte uns die theoretische Begründung unseres Satzes und sein Erweis durch die Beobach- tung keine Schwierigkeiten bereiten. Es wird sich zeigen, daß in diesem Falle eine Eigenschaft der Vorstellung tatsächUch mit einer Eigenschaft des Vorgestellten zusammenfällt, obwohl die Psychologie uns sonst vor solcher Verwechslung warnt.

Die Vorstellung von einer bestimmt großen Bewegung habe ich erworben, indem ich diese Bewegung ausführte oder nach- ahmte, und bei dieser Aktion habe ich in meinen Innervations- empfindungen ein Maß für diese Bewegung kennen gelernt.*)

Wenn ich nun eine ähnUche, mehr oder minder große Be- wegung bei einem Anderen wahrnehme, wird der sicherste Weg

•) Die Erinnerung an diesen Innervationsaufwand wird das wesent- liche Stück der Vorstellung von dieser Bewegung bleiben, und es wird immer Denkweisen in meinem Seelenleben geben, bei welchen die Vor- stellung durch nichts Anderes als diesen Aufwand repräsentiert wird. In anderen Zusammenhängen mag ja ein Ersatz dieses Elements durch andere, z. B. durch die visuellen Vorstellungen des Bewegungszieles, durch die Wortvorstellung, eintreten, und bei gewissen Arten des abstrakten Denkens wird ein Zeichen anstatt des vollen Inhalts der Vorstellung genügen.


Komik der Bewegung. — Vorstellungsminiik. 165

zum Verständnis — zur Apperzeption — derselben sein, daß ich sie nachahmend ausführe, und dann kann ich durch den Ver- gleich entscheiden, bei welcher Bewegung mein Aufwand größer war. Ein solcher Drang zur Nachahmung tritt gewiß beim Wahr- nehmen von Bewegungen auf. In Wirklichkeit aber führe ich die Nachahmung nicht durch, sowenig wie ich noch buchstabiere, wenn ich durch das Buchstabieren das Lesen erlernt habe. An Stelle der Nachahmung der Bewegung durch meine Muskeln setze ich das Vorstellen derselben vermittels meiner Erinnerungs- spuren an die Aufwände bei ähnlichen Bewegungen. Das Vor- stellen oder „Denken" unterscheidet sich vom Handeln oder Ausführen vor allem dadurch, daß es sehr viel geringere Be- setzungsenergien in Verschiebung bringt und den Hauptaufwand vom Abfluß zurückhält. Auf welche Weise wird aber das quanti- tative Moment — das mehr oder minder Große — der wahr- genommenen Bewegung in der Vorstellung zu Ausdruck gebracht? Und wenn eine Darstellung der Quantität in der aus Qualitäten zusammengesetzten Vorstellung wegfällt, wie kann ich dann die Vorstellungen verschieden großer Bewegungen unterscheiden, den Vergleich anstellen, auf den es hier ankommt ?

Hier weist uns die Physiologie den Weg, indem sie uns lehrt, daß auch während des Vorstellens Innervationen zu den Muskeln ablaufen, die freilich nur einem bescheidenen Aufwand entsprechen. Es liegt aber jetzt sehr nahe anzunehmen, daß dieser das Vor- stellen begleitende Innervationsaufwand zur Darstellung des quan- titativen Faktors der Vorstellung verwendet wird, daß er größer ist, wenn eine große Bewegung vorgestellt wird, als wenn es sich um eine kleine handelt. Die Vorstellung der größeren Be- wegung wäre also hier wirklich die größere, d. h. von größerem Aufwand begleitete Vorstellung.

Die Beobachtung zeigt nun unmittelbar, daß die Menschen gewöhnt sind, das Groß und Klein in ihren Vorstellungsinhalten durch mannigfachen Aufwand in einer Art von Vorstellung s- mimik zum Ausdruck zu bringen.

Wenn ein Kind oder ein Mann aus dem Volke oder ein Angehöriger gewisser Rassen etwas mitteilt oder schildert, so kann man leicht sehen, daß er sich nicht damit begnügt, seine Vor- stellung durch die Wahl klarer Worte dem Hörer deutlich zu machen, sondern daß er auch den Inhalt derselben in seinen Ausdrucksbewegungen darstellt; er verbindet die mimische mit der wörtHchen "Darstellung. Er bezeichnet zumal die Quantitäten und Intensitäten. „Ein hoher Berg", dabei hebt er die Hand über seinen


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VII. Der Witz und die Arten des Komischen.


Kopf; „ein kleiner Zwerg", dabei hält er sie nahe an den Boden. Er mag es sich abgewöhnt haben, mit den Händen zu malen, so wird es darum doch mit der Stimme tun, und wenn er sich auch darin beherrscht, so mag man wetten, daß er bei der Schil- derung von etwas Großem die Augen aufreißt und bei der Dar- stellung von etwas Kleinem die Augen zusammendrückt. Es sind nicht seine Affekte, die er so äußert, sondern wirklich der Inhalt des von ihm Vorgestellten.

Soll man nun annehmen, daß dies Bedürfnis nach Mimik erst durch die Anforderung der Mitteilung geweckt wird, während doch ein gutes Stück dieser Darstellungsweise der Aufmerksam- keit des Hörers überhaupt entgeht? Ich glaube vielmehr, daß diese Mimik, wenn auch minder lebhaft, abgesehen von jeder Mitteilung besteht, daß sie auch zu stände kommt, wenn die Person für sich allein vorstellt, etwas anschaulich denkt; daß diese Person dann das Groß und Klein an ihrem Körper ebenso wie wäh- rend der Rede zum Ausdruck bringt, durch veränderte Innervation an ihren Gesichtszügen und Sinnesorganen wenigstens. Ja ich kann mir denken, daß die dem Inhalt des Vorgestellten konsen- suelle Körperinnervation der Beginn und Ursprung der Mimik zu Mitteilungszwecken war ; sie brauchte ja nur gesteigert, dem Anderen auffällig gemacht zu werden, um dieser Absicht dienen zu können. Wenn ich so die Ansicht vertrete, daß zu dem „A"^" druck der Gemütsbewegungen", der als körperliche Nebenwirkung seelischer Vorgänge bekannt ist, dieser „Ausdruck des Vorstel- lungsinhalts" hinzugefügt werden sollte, so ist mir gewiß klar, daß meine auf die Kategorie des Großen und Kleinen bezüglichen Bemerkungen das Thema nicht erschöpfen. Ich wüßte selbst noch mancherlei dazu zu tun, noch ehe man zu den Spannungsphäno- menen gelangt, durch welche eine Person die Sammlung ihrer Aufmerksamkeit und das Niveau der Abstraktion, auf dem ihr Denken eben verweilt, körperlich anzeigt. Ich halte den Gegen- stand für recht bedeutsam und glaube, daß die Verfolgung der Vorstellungsmimik auf anderen Gebieten der Ästhetik ähnhch nütz- lich sein dürfte wie hier für das Verständnis des Komischen.

Um nun zur Komik der Bewegung zurückzukehren, wiederhole ich, daß mit der Wahrnehmung einer bestimmten Bewegung der Impuls zu ihrer Vorstellung durch einen gewissen Aufwand ge- geben sein wird- Ich mache also beim „Verstehenwollen", bei der Apperzeption dieser Bewegung einen gewissen Aufwand, ver- halte mich bei diesem Stück des seeUschen Vorganges ganz so, als ob ich mich an die Stelle der beobachteten Person versetzte.


Der Vergleich zweier Aufwände als Lustquelle.


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Wahrscheinlich gleichzeitig fasse ich aber das Ziel dieser Be- wegung in's Auge und kann duixh frühere Erfahrung das Maß von Aufwand abschätzen, welches zur Erreichung dieses Zieles erforderlich ist. Ich sehe dabei von der beobachteten Person ab und benehme mich so, als ob ich selbst das Ziel der Bewegung erreichen wollte. Diese beiden Vorstellungstätigkcitcn kommen auf einen Vergleich der beobachteten mit meiner eigenen Be- wegung hinaus. Bei einer übermäßigen und unzweckmäßigen Bewegung des Anderen wird mein Mehraufwand für's Verständnis in statu nascendi, gleichsam in der Mobilmachung gehemmt, als überflüssig erklärt und ist für weitere Verwendung, eventuell für die Abfuhr durch Lachen, frei. Dieser Art wäre, wenn andere günstige Bedingungen hinzutreten, die Entstehung der Lust an der komischen Bewegung, ein bei der Vergleichung mit der eigenen Bewegung als Überschuß unverwendbar gewordener Inncrvations- aufwand.

Wir merken nun, daß wir unsere Erörterungen nach zwei verschiedenen Richtungen fortzusetzen haben, erstens, um die Bedingungej'. für die Abfuhr des Überschusses festzustellen, zweitens um zu prüfen, ob die anderen Fälle des Komischen sich ähnlich fassen lassen wie das Komische der Bewegung.

Wir wenden uns der letzteren Aufgabe zuerst zu und ziehen nach dem Komischen der Bewegung und Handlung das Komische in Betracht, das an den geistigen Leistungen und Charakterzügen des Anderen gefunden wird.

Wir können den komischen Unsinn, wie er von unwissenden Kandidaten im Examen produziert wird, zum Muster der Gattung nehmen; schwieriger ist es wohl, von den Charakterzügen ein ein- faches Beispiel zu geben. Es darf uns nicht irre machen, daß Unsinn und Dummheit, die so häufig komisch wirken, doch nicht in allen Fällen als komisch empfunden werden, ebenso wie die nämlichen Charaktere, über die wir das eine Mal als komisch lachen, andere Male uns als verächtlich oder hassenswert er- scheinen können. Diese Tatsache, der Rechnung zu tragen wir nicht vergessen dürfen, deutet doch nur darauf hin, daß für die komische Wirkung noch andere Verhältnisse als die der uns bekannten Vergleichung in Betracht kommen, Bedingungen, denen wir in anderem Zusammenhange nachspüren können.

Das Komische, das an geistigen imd seelischen Eigenschaften eines Anderen gefunden wird, ist offenbar wiederum Ergebnis einer Vergleichung zwischen ihm und meinem Ich, aber merk- würdigerweise einer Vergleichung, die zumeist das entgegengesetzte


i68 VII. Der Witz und die Arten des Komisclien.

Resultat geliefert hat wie im Falle der komischen Bewegimg oder llandlung. In diesem letzteren Falle war es komisch, wenn der Andere sich mehr Aufwand auferlegt hatte, als ich zu gebrauchen glaubte; im Falle der seeUschen Leistung wird es hingegen komisch, wenn der Andere sich Aufwand erspart hat, den ich für unerläßlich halte, denn Unsinn und Dummheit sind ja Minder- leistungen. Im ersteren Falle lache ich, weil er es sich zu schwer, im letzteren, weil er's sich zu leicht gemacht hat. Es kommt also scheinbar für die komische Wirkung nur auf die Differenz zwischen den beiden Besetzungsaufwänden — dem der „Einfühlung" und dem des Ich's — an und nicht darauf, zu wessen Gunsten diese Differenz aussagt. Diese unser Urteil zunächst verwirrende Sonderbarkeit schwindet aber, wenn man in Erwägung zieht, daß es in der Richtung unserer persönlichen Entwicklung zu einer höheren Kulturstufe Hegt, unsere Muskelarbeit einzuschränken und unsere Gedankenarbeit zu steigern. Durch Erhöhung unseres Denkaufwandes erzielen wir eine Verringerung unseres Bewegungs- aufwandes für die nämliche Leistung, von. welchem Kulturerfolg ja unsere Maschinen Zeugnis ablegen.*)

Es fügt sich also einem einheitlichen Verständnis, wenn der- jenige uns komisch erscheint, der für seine körperlichen Leistungen zuviel und für seine seelischen Leistungen zu wenig Aufwand im Vergleich mit uns treibt, und es ist nicht abzuweisen, daß unser Lachen in diesen beiden Fällen der Ausdruck der lustvoll emp- fundenen Überlegenheit ist, die wir uns ihm gegenüber zusprechen. Wenn da.'i Verhältnis sich in beiden Fällen umkehrt, der somatische Aufwand des Anderen geringer und sein seelischer größer ge- funden wird als der unserige, dann lachen wir nicht mehr, dann staunen und bewundern wir.**)

Der hier erörterte Ursprung der komischen Lust aus der Vergleichung der anderen Person mit dem eigenen Ich — aus der Differenz zwischen dem Einfühlungsaufwand und dem eigenen — ist wahrscheinlich der genetisch bedeutsamste. Sicher steht aber, daß er nicht der einzige geblieben ist. Wir haben irgend einmal gelernt, von solcher Vergleichung zwischen dem Anderen und dem Ich abzusehen und die lustbringende Differenz uns von

  • ) „Was man nicht im Kopfe hat," sagt das Sprichwort, „muß man

in den Beinen haben."

  • p Diese durchgehende Gegensätzlichkeit in den Bedingungen des

. Komischen, daß bald ein Zuviel, bald ein Zuwenig als die Quelle der komischen ^.ust erscheint, hat zur Verwirrung des Problems nicht wenig beigetragen. :.Vgl. Lipps 0- S S. 47).


Situationskomik.


169


nur einer Seite her zu holen, sei es von der Einfühlung her, sei es aus den Vorgängen im eigenen Icli, womit der Beweis erbracht ist, daß das Gefülil der Überlegenheit keine wesentliche Beziehung zur komischen Lust hat. Eine Vergleichung ist für die Entstehung dieser Lust unentbehrlich; wir finden, daß diese Vergleichung statt hat zwischen zwei rasch auf einander folgenden und auf dieselbe Leistung bezüglichen Besetzungsaufwänden, die wir entweder auf dem Wege der Einfühlung in den Anderen bei uns herstellen oder ohne solche Beziehung in unseren eigenen seelischen Vor- gängen finden. Der erste Fall, bei dem die andere Person also noch eine Rolle spielt, nur nicht ihr Vergleich mit unserem Ich, ergibt sich, wenn die lustbringende Differenz der Besetzungsauf- wände hergestellt wird durch äußere Einflüsse, die wir als „Situa- tion' ' zusammenfassen können, weshalb diese Art Komik auch Situationskomik genannt wird. Die Eigenschaften der Person, welche das Komische liefert, kommen dabei nicht hauptsächlich in Betracht; wir lachen, auch wenn wir uns sagen müssen, daß wir in derselben Situation das nämliche hätten tun müssen. Wir ziehen hier die Komik aus dem Verhältnis des Menschen zur oft übermächtigen Außenwelt, als welche sich für die seelischen Vorgänge im Menschen auch die Konventionen und Notwendig- keiten der Gesellschaft, ja selbst seine eigenen leiblichen Bedürf- nisse darstellen. Ein typischer Fall der letzten Art ist es, wenn jemand in einer Tätigkeit, die seine seelischen Kräfte in Anspruch nimmt, plötzHch gestört wird durch einen Schmerz oder ein exkre- mentelles Bedürfnis. Der Gegensatz, welcher uns bei der Ein- fühlung die komische Differenz liefert, ist der zwischen dem hohen Interesse vor der Störung und dem minimalen, welches er nach Eintritt der Störung noch für seine seelische Tätigkeit übrig hat. Die Person, die uns diese Differenz liefert, wird uns wiederum als eine unterlegene komisch; sie ist aber nur unterlegen im Ver- gleiche mit ihrem früheren Ich und nicht im Vergleiche zu uns, da wir wissen, daß wir uns im gleichen Fallen nicht anders be- nehmen könnten. Es ist aber bemerkenswert, daß wir dieses Unterliegen des Menschen nur im Falle der Einfühlung, also beim Anderen, komisch finden können, während wir selbst im Falle solcher und ähnlicher Verlegenheiten uns nur peinlicher Gefühle bewußt würden. Wahrscheinlich ermöglicht uns erst dieses Fern- halten des Peinlichen von unserer Person, die aus der Vergleichung der wechselnden Besetzungen sich ergebende Differenz als eine lustvolle zu genießen.

Die andere Quelle des Komischen, die wir in unseren eigenen


I I

!■ 1


lyo VJI Der Witz und die Arten des Komischen.

Besetzungswandlungen finden, liegt in unseren Beziehungen zum Zukünftigen, weklies wir gewöhnt sind, durch unsere Erwartungs- vorstellungen zu antizipieren. Ich nehme an, daß ein quantitativ bestimmter Aufwand unserer jedesmaligen Erwartungsvorstellung zu Grunde liegt, der sich also im Falle der Enttäuschung um eine bestimmte Differenz vermindert, und berufe mich hier wiederum auf die vorhin gemachten Bemerkungen über „Vorstellungsmimik". Es scheint mir aber leichter, den wirklich mobil gemachten Be- setzungsaufwand für die Fälle der Erwartung zu erweisen. Es ist für eine Reihe von Fällen ganz offenkundig, daß motorische Vorbereitungen den Ausdruck der Erwartung bilden, zunächst für alle Fälle, in denen das erwartete Ereignis Ansprüche an meine Motilität stellt, und diese Vorbereitungen sind ohne weiteres quantitativ besümmbar. Wenn ich einen Ball aufzufangen erwarte, der mir zugeworfen wird, so versetze ich meinen Körper in Spannungen, die ihn befähigen sollen, dem Anprall des Balls Stand zu halten, und die überschüssigen Bewegungen, die ich mache, wenn sich der aufgefangene Ball als zu leicht erweist, machen mich den Zuschauern komisch. Ich habe mich durch die Erwartung zu einem übermäßigen Bewegungsaufwand ver- führen lassen. Desgleichen, wenn ich z. B. eine für schwer ge- haltene Frucht aus einem Korb hebe, die aber zu meiner Täuschung hohl, aus Wachs nachgeahmt ist. Meine Hand verrät durch ihr Emporschnellen, daß ich eine für den Zweck übergroße Inner- vation vorbereitet hatte, und ich werde dafür verlacht. Ja es gibt wenigstens einen Fall, in welchem der Erwartungsaufwand durch das physiologische Experiment am Tier unmittelbar meßbar auf- gezeigt werden kann. In den Pawlof'schen Versuchen über Speichelsekretion werden Hunden, denen eine Speichelfistel an- gelegt worden ist, verschiedene Nahrungsmittel vorgezeigt, und die abgesonderten Mengen Speichel schwanken dann, je nachdem die Versuchsbedingungen die Erwartung des Hundes, mit dem Vor- gezeigten gefüttert zu werden, bestärkt oder getäuscht haben.

Auch wo das Erwartete bloß Ansprüche an meine Sinnes- organe und nicht an meine Motilität stellt, darf ich annehmen, daß die Erwartung sich in emer gewissen motorischen Veraus- gabung zur Spannung der Sinne, zur Abhaltung anderer nicht erwarteter Eindrücke äußert, und darf überhaupt die Einstellung der Aufmerksamkeit als eine motorische Leistung, die einem gewissen Aufwand gleichkommt, auffassen. Ich darf femer vor- aussetzen, daß die vorbereitende Tätigkeit der Erwartung nicht unabhängig sein wird von der Größe des erwarteten Eindrucks,


Erwartungskomik. "lyi

sondern daß ich das Groß oder Klein derselben mimisch durch einen größeren oder kleineren Vorbereitungsaufwand darstellen werde wie im Falle der Mitteilung und im Falle des Denkens ohne zu erwarten. Der Erwartungsaufwand wird sich allerdings aus mehreren Komponenten zusammensetzen, und auch für meine Enttäuschung wird verschiedenes in Betracht kommen, nicht nur ob das Eingetroffene sinnlich größer oder kleiner ist als das Erwartete, sondern auch, ob es des großen Interesses würdig ist, welches ich für die Erwartung aufgeboten hatte. Ich werde auf diese Weise etwa dazu angeleitet, außer dem Aufwand für die- Darstellung von Groß und Klein (der Vorstellungsmimik), den Aufwand für die Spannung der Aufmerksamkeit (Erwartungsauf- wand) und bei anderen Fällen überdies den Abstraktionsaufwand in Betracht zu ziehen. Aber diese anderen Arten von Aufwand lassen sich leicht auf den für Groß und Klein zurückführen, da ja das Interessantere, das Erhabenere und selbst das Abstraktere nur besonders qualifizierte Spezialfälle des Größeren sind. Nehmen wir hinzu, daß nach Lipps u. A. der quantitative — und nicht der qualitative — Kontrast in erster Linie als Quelle der komischen Lust angesehen wird, so werden wir im ganzen damit zufrieden sein, daß wir das Komische der Bewegung zum Aus- gangspunkt unserer Untersuchung gewählt haben.

In Ausführung des Kant'schcn Satzes, „das Komische sei eine in nichts zergangene Erwartung", hat Lipps in seinem hier wiederholt zitierten Buche den Versuch gemacht, die komische Lust ganz allgemein aus der Erwartung abzuleiten. Trotz der vielen lehrreichen und wertvollen Ergebnisse, welche dieser Ver- such zu Tage gefördert hat, möchte ich aber der von anderen Autoren geäußerten Kritik beipflichten, daß Lipps das Ursprungs- gebiet des Komischen um vieles zu eng gefaßt hat und dessen Phänomene seiner Formel nicht ohne großen Zwang unterwerfen konnte.


Die Menschen haben sich nicht damit begnügt, das Komische zu genießen, wo sie im Erleben darauf stoßen, sondern darnach gestrebt es absichtlich herzustellen, und man erfährt mehr vom Wesen des Komischen, wenn man die Mittel studiert, welche zum Komischmachen dienen. Man kann vor allem das Komische an seiner eigenen Person zur Erheiterung Anderer hervorrufen, z. B. indem man sich ungeschickt oder dumm stellt. Man erzeugt dann die Komik genau so, als ob man es wirklich wäre, indem man die Bedingung der Vergleichung, die zur Aufwanddifferenz führt,


172


VU, Der Witz und die Arten des Kümischen.


erfüllt; man macht sich selbst aber nicht lächerHch oder verächt- lich dadurch, sondern kann unter Umständen sogar Bewunderung erzielen. Das Gefühl der Überlegenheit kommt beim Anderen nicht zu Stande, wenn er weiß, daß man sich bloß verstellt hat, und dies gibt einen guten neuerlichen Beweis für die prinzipielle Unabhängigkeit der Komik vom Übcrlegenheitsgefühl.

Als Mittel, einen Anderen komisch zu machenj dient vor allem die Versetzung in Situationen, in denen man infolge der mensch- lichen Abhängigkeit von äußeren Verhältnissen, insbesondere sozialen Momenten komisch wird, ohne Rücksicht auf die persön- lichen Eigenschaften des Betroffenen, also die Ausnützung der Situationskomik. Diese Versetzung in eine komische Situation mag eine reale sein (a practical joke), indem man jemandem ein Bein stellt, so daß er wie ein Ungeschickter hinfällt, ihn dumm erscheinen läßt, dadurch daß man seine Gläubigkeit ausnützt, ihm etwas Unsinniges einzureden sucht u. dgl., oder sie kann durch Rede oder Spiel fingiert werden. Es ist ein gutes Hilfsmittel der Aggression, in deren Dienst sich das Komischmachen zu stellen pflegt, daß die komische Lust unabhängig ist von der Realität der komischen Situation, so daß jeder eigentlich wehrlos dem Komischgemachtwerden ausgesetzt ist.

Es gibt aber noch andere Mittel zum Komischmacheiij die eine besondere Würdigung verdienen und zum Teil auch neue Ursprünge der komischen Lust aufzeigen. Hieher gehört z. B. die Nachahmung, die dem Hörer eine ganz außerordentliche Lust I gewährt und ihren Gegenstand komisch macht, auch wenn sie

sich von der karikierenden Übertreibung noch ferne hält. Es ist I viel leichter, die komische Wirkung der Karikatur als die der

1 bloßen Nachahmung zu ergründen. Karikatur, Parodie und

Travestie, sowie deren praktisches Gegenstück: die Entlarvung, richten sich gegen Personen und Objekte, die Autorität und Respekt beanspruchen, in irgend einem Sinne erhaben sind. Es sind Verfahren zur Herabsetzung, wie der glückliche Ausdruck der deutschen Sprache besagt.*) Das Erhabene ist ein Großes im übertragenen, im psychischen Sinne, und ich möchte die An- nahme machen oder vielmehr erneuern, daß dasselbe wie das somatisch Große durch einen Mehraufwand dargestellt wird. Es gehört wenig Beobachtung dazu um festzustellen, daß ich, wenn

'l *) Degradation. A. Bain (The emotions and the wül, 2. edit 1865,

I sagt: The occasion of the Ludicrous is the degradation of some person

(j{ or interest, possessing dignity, in circumstances thal excite no other streng

I emotion." (S, 248).


Die Karikatur. — Der Aufwand für's Erhabene. 173

ich vom Erhabenen rede, meine Stimme anders innerviere, andere Mienen mache und meine ganze Körperhaltung gleichsam in Ein- klang mit der Würde dessen zu bringen suche, was ich vorstelle. Ich lege mir einen feierhchen Zwang auf, nicht viel anders, als wenn ich mich in die Gegenwart einer erhabenen Persönlichkeit, eines Monarchen, eines Fürsten der Wissenschaft begeben soll. Ich werde kaum irre gehen, wenn ich annehme, daß diese andere Innervation der Vorstellungsmimik einem Mehraufwand entspricht. Den dritten Fall eines solchen Mehraufwandes finde ich wohl, wenn ich mich in abstrakten Gedankengängen anstatt in den gewohnten konkreten und plastischen Vorstellungen ergehe. Wenn nun die besprochenen Verfahren zur Herabsetzung des Ei-habenen mich dieses wie ein Gewöhnliches vorstellen lassen, bei dem ich mich nicht zusammennehmen muß, in dessen idealer Gegen- wart ich es mir „kommod" machen kann, wie die militärische Formel lautet, erspart sie mir den Mehraufwand des feierlichen Zwanges, und der Vergleich dieser durch die Einfühlung angeregten Vorstellungsweise mit der bisher gewohnten, die sich gleichzeitig herzustellen sucht, schafft wiederum die Aufwandsdifferenz, die durch Lachen abgeführt werden kann.

Die Karikatur stellt die Herabsetzung bekanntlich her, indem sie aus dem Gesamtausdrucke des erhabenen Objekts einen ein- zelnen an sich komischen Zug heraushebt, welcher übersehen werden mußte, solange er nur im Gesamtbilde wahrnehmbar war. Durch dessen IsoUerung kann nun ein komischer Effekt erzielt werden, der sich auf das Ganze in unserer Erinnerung erstreckt. Bedingung ist dabei, daß nicht die Anwesenheit des Erhabenen selbst uns in der Disposition der Ehrerbietung festhalte. Wo ein solcher über- sehener komischer Zug in Wirklichkeit fehh, da schafft ihn die Karikatur unbedenklich durch die Übertreibung eines an sich nicht komischen. Es ist wiederum kennzeichnend für den Ursprung der komischen Lust, daß der Effekt der Karikatur durch solche Ver- fälschung der Wirkhchkeit nicht wesentlich beeinträchtigt wird.

Parodie und Travestie erreichen die Herabsetzung des Erhabenen auf andere Weise, indem sie die Einheitlichkeit zwischen den uns bekannten Charakteren von Personen und deren Reden und Handlungen zerstören, entweder die erhabenen Personen oder deren Äußerungen durch niedrige ersetzen. Darin unterscheiden sie sich von der Karikatur, nicht aber durch den Mechanismus der Produktion, von komischer Lust. Der nämliche Mechanismus gilt auch noch für die Entlarvung, die nur dort in Betracht kommt, wo jemand Würde und Autorität durch einen Trug an sich gerissen


1^4 ^^^- Der Witz und die Arten des Komischen.

hatj die ihm in der Wirklichkeit abgenommen werden müssen. Den komischen Effekt der Entlarvung haben wir durch einige Beispiele beim Witze kennen gelernt, z. B. in jener Geschichte von der vornehmen Dame, die in den ersten Geburtswehen: Ah, mon dieu ruft, welcher der Arzt aber nicht eher Beistand leisten will, als bis sie Ai, waih geschrien hat. Nachdem wir nun die Charaktere des Komischen kennen gelernt haben, können wir nicht mehr bestreiten, daß diese Geschichte eigentlich ein Beispiel von komi- scher Entlarvung ist und keinen berechtigten Anspruch hat, ein Witz geheißen zu werden. An den Witz erinnert sie bloß durch die Inszenierung, durch das technische Mittel der „Darstellung durch ein Kleinstes", hier also den Schrei, der zur Indikations- stellung ausreichend gefunden wird. Es bleibt indes bestehen, daß unser Sprachgefühl, wenn wir es zur Entscheidung anrufen, sich nicht dagegen sträubt, eine solche Geschichte einen Witz zu heißen. Wir mögen die Erklärung hiefür in der Überlegung finden, daß der Sprachgebrauch nicht von der wissenschaftlichen Einsicht in das Wesen des Witzes ausgeht, welche wir uns in dieser mühseligen Untersuchung erworben haben. Da es zu den Leistungen des Witzes gehört, verdeckte Quellen der komischen Lust wieder zugänglich zu machen (S. 86), kann in lockerer Analogie jeder Kunstgriff, der nicht offenkundige Komik an den Tag bringt, ein Witz genannt werden. Dies letztere trifft aber vorzugsweise für die Entlarvung zu, wie auch sonst für andere Methoden des Komischmachens.*)

Zur ,,E n 1 1 a r V u n g" kann man auch jene uns schon bekannten Verfahren zum Komischmachen rechnen, welche die Würde des einzelnen Menschen herabsetzen, indem sie auf seine allgemein menschliche Gebrechlichkeit, besonders aber auf die Abhängigkeit seiner seelischen Leistungen von körperlichen Bedürfnissen auf- merksam machen. Die Entlarvung wird dann gleichbedeutend mit der Mahnung: Dieser und jener gleich einem Halbgott Bewunderte ist doch auch nur ein Mensch wie ich und du. Ferner gehören alle Bemühungen hieher, hinter dem Reichtum und der schein- baren Freiheit der psychischen Leistungen den monotonen psy- chischen Automatismus bloßzulegen. Wir haben Beispiele von solchen „Entlarvungen" bei den Heiratsvermittlerwitzen kennen gelernt und wohl damals den Zweifel gefühlt, ob wir diese Ge-


  • ) „So heißt überhaupt Witz jedes bewußte und geschickte Hervorrufen

der Komik, sei es der Komik der Anschauung oder der Situation. Natür- lich können wir auch diesen Begriff des Witzes hier nicht brauchen." Lipps, 1. c. S. 78.


Die Entlarvung- 175

schichten mit Recht zu den Witzen rechnen. Wir können nun mit größerer Sicherheit entscheiden, daß die Anekdote von dem Echo, welches alle Behauptungen des Heiratsvermittlers bekräftigt und zuletzt auch dessen Zugeständnis, die Braut habe einen Höcker, mit dem Ausrufe verstärkt: Aber, was für einen Höcker! im wesent- Uchen eine komische Geschichte ist, ein Beispiel von Entlarvung des psychischen Automatismus. Die komische Geschichte dient aber hier doch nur als Fassade; für jedermann, der auf den verborgenen Sinn der Heiratsvermittleranekdoten achten will, bleibt das Ganze ein vortrefflich inszenierter Witz. Wer nicht soweit eindringt, bleibt bei der komischen Geschichte stehen. Ähnliches gilt für den anderen Witz vom Heiratsvermittler, der, um emen Einwand zu widerlegen, schließHch durch den Ausruf: Aber ich bitte Sie, wer wird denn solchen Leuten etwas leihen! die Wahr- heit zugesteht; eine komische Entlarvung als Fassade für einen Witz. Doch ist der Charakter des Witzes hier weit unverkenn- barer, denn die Rede des Vermittlers ist gleichzeitig eine Dar- stellung durchs Gegenteil. Indem er beweisen will, daß die Leute reich sind, beweist er zugleich, daß sie nicht reich, sondern sehr arm sind. Witz und Komik kombinieren sich hier und lehren uns, daß die nämliche Aussage zugleich witzig und komisch sein kann.

Wir ergreifen gern die Gelegenheit von der Komik der Ent- larvung auf den Witz zurückzugehen, da ja die Klärung des Verhältnisses zwischen Witz und Komik, nicht die Wesensbestim- mung des Komischen unsere eigentliche Aufgabe ist. Wir reihen darum dem Falle der Aufdeckung des psychischen Automatismus, für den uns das Gefühl, ob etwas komisch oder witzig sei, im Stiche gelassen hat, einen anderen an, in dem gleichfalls Witz und Komik sich mit einander verwirren, den Fall der Unsinns- witze Unsere Untersuchung wird uns aber schließlich zeigen, daß für diesen zweiten Fall das Zusammentreffen von Witz und Komik theoretisch ableitbar ist.

Wir haben bei der Erörterung der Witztechniken gefunden, daß das Gewährenlassen solcher Denkweisen, wie sie im Un- bewußten üblich sind, und die im Bewußten nur als „Denkfehler beurteilt werden können, das technische Mittel sehr vieler Witze ist über deren Witzcharakter wir dann doch wieder zweifeln konnten, so daß wir geneigt waren, sie einfach als komische Ge- schichten zu klassifizieren. Wir konnten zu keiner Entscheidung über unseren Zweifel gelangen, weil uns zunächst der wesentliche Charakter des Witzes nicht bekannt war. Später fanden wir diesen, durch die Analogie mit der Traumarbeit geleitet, in der Kompromiß-


176 VII. Der Witz und die Arten des Komischen.

leistung der Witzarbeit zwischen den Anforderungen der vernünf- tigen Kritik und dem Trieb, auf die alte Wort- und Unsinnskist nicht zu verzichten. Was so als Kompromiß zu stände kam, wenn der vorbewußte Ansatz des Gedankens für einen Moment der unbewußten Bearbeitung: überlassen wurde, genügte in allen Fällen beiderlei Ansprüchen, präsentierte sich aber der Kritik in verschiedenen Formen und mußte sich verschiedene Beurteilungen von ihr gefallen lassen. Es war dem Witz das eine Mal gelungen, sich die Form eines bedeutungslosen aber immerhin zulässigen Satzes zu erschleichen, das andere Mal sich im Ausdruck eines wertvollen Gedankens einzuschmuggeln; im Grenzfalle der Kom- promißleistung aber hatte er auf die Befriedigung der Kritik ver- zichtet und war trotzend auf die Lustquellen, über die er ver- fügte, als barer Unsinn vor ihr erschienen, hatte sich nicht ge- scheut, ihren Widerspruch wachzurufen, weil er darauf rechnen konnte, daß der Hörer die Verunstaltung seines Ausdrucks durch die unbewußte Bearbeitung redressieren und ihm so seinen Sinn wiedergeben würde.

In welchem Falle wird nun der Witz vor der Kritik als

j Unsinn erscheinen? Besonders dann, wenn er sich jener Denk-

weisen bedient, die im Unbewußten üblich, im bewußten Denken verpönt sind, also der Denkfehler. Gewisse der Denkweisen des Unbewußten sind nämlich auch für das Bewußte erhalten ge- blieben, z. B. manche Arten der indirekten Darstellung, die An- spielung usw., wenngleich deren bewußter Gebrauch größeren Beschränkungen unterliegt. Mit diesen Techniken wird der Witz

ffl bei der Kritik keinen oder geringen Anstoß erregen; dieser Erfolg

tritt erst ein, wenn er sich auch jener Mittel als Technik bedient, von denen das bewußte Denken nichts mehr wissen will. Der Witz kann den Anstoß immer noch vermeiden, wenn er den angewandten Denkfehler verhüUt, ihn mit einem Schein von Logik verkleidet wie in der Geschichte von Torte und Likör, Lachs mit Mayonnaise und ähnlichen. Bringt er den Denkfehler aber un- verhüllt, so ist der Einspruch der Kritik gewiß.

In diesem Falle kommt dem Witz nun etwas anderes zu gute. Die Denkfehler, die er als Denkweisen des Unbewußten für seine Technik benützt, erscheinen der Kritik — wenn auch nicht regelmäßig so — als komisch. Das bewußte Gewährenlassen der unbewußten und als fehlerhaft verworfenen Denkweisen ist ein Mittel zur Erzeugung der komischen Lust, und dies ist leicht zu verstehen, denn zur Herstellung der vorbewußten Besetzung bedarf es gewiß eines größeren Aufwandes als zum Gewähren-


Fälle des Zusammentreffens von Witz und Komik. i-j-j

lassen der unbewußten. Indem wir beim Anhören des wie im Unbewußten gebildeten Gedankens diesen mit seiner Korrektur vergleichen, ergibt sich für uns die Aufwanddifferenz, aus welcher die komische Lust hervorgeht. Ein Witz, der sich solcher Denk- fehler als Technik bedient und darum unsinnig erscheint, kann also gleichzeitig komisch wirken. Kommen wir dem Witze nicht auf die Spur, so erübrigt uns wiederum nur die komische Ge- schichte, der Schwank.

Die Geschichte vom geborgten Kessel, der bei der Zurück- stellung ein Loch hatte, wobei sich der Entlehner verantwortete, erstens habe er überhaupt keinen Kessel geborgt, zweitens sei dieser schon bei der Entlehnung durchlöchert gewesen, und drittens habe er ihn unversehrt, ohne Loch, zurückgestellt (S. 48), ist ein vortreffliches Beispiel einer rein komischen Wirkung durch Ge- währenlassen unbewußter Denkweise. Gerade dieses einander Aufheben von mehreren Gedanken, von denen jeder für sich gut motiviert ist, fallt im Unbewußten weg. Der Traum, an dem ja die Denkweisen des Unbewußten manifest werden, kennt dem entsprechend auch kein Entweder — oder,*} nur ein gleichzeitiges Nebeneinander. In jenem Traumbeispiel meiner Traumdeutung, das ich trotz seiner Komplikation zum Muster für die Deutungs- arbeit gewählt habe,**) suche ich mich von dem Vorwurf zu ent- lasten, daß ich die Schmerzen einer Patientin nicht durch psy- chische Kur zum Verschwinden gebracht habe. Meine Begrün- dungen lauten: i. sie sei selbst an ihrem Kranksein schuld, weil sie meine Lösung nicht annehmen wolle, 2. ihre Schmerzen seien organischer, Herkunft, gehen mich also gar nichts an, 3. ihre Schmerzen hängen mit ihrer Witwenschaft zusammen, an der ich ja nicht schuld bin, 4. ihre Schmerzen rühren von einer Injektion mit verunreinigter Spritze her, die ihr ein Anderer gegeben hat. Alle diese Gründe stehen nun so nebeneinander, als schloße nicht der eine den anderen aus. Ich müßte für das „Und"' des Traumes ein „Entweder — oder" einsetzen, um dem Vorwurf des Unsinns

zu entgehen.

Eine ähnliche komische Geschichte wäre die, daß sich in einem ungarischen Dorf der Schmied ein todwürdiges Verbrechen habe zu Schulden kommen lassen, der Bürgermeister aber habe beschlossen zur Sühne nicht den Schmied, sondern einen Schnei- der aufhängen zu lassen, denn es wären zwei Schneider im Dorfe ansässig, aber kein anderer Schmied, und Sühne mußte sein,

  • ) Dies wird höchstens vom Erzähler als Deutung eingesetzt

••) L. c. S. 83.

Freud, Der Witz. 12


lyg VII. Der Witz und die Arten des Komischen.

Eine solche Verschiebung von der Person des Schuldigen auf einen Anderen widerspricht natürlich allen Gesetzen bewußter Logik, keineswegs aber der Denkweise des Unbewußten. Ich stehe nicht an, diese Geschichte komisch zu heißen, und doch habe die vom Kessel unter den Witzen angeführt. Ich gebe nun zu, daß auch letztere viel richtiger als „komisch" denn als witzig zu bezeichnen ist. Ich verstehe aber nun, wie es zugeht, daß mein sonst so sicheres Gefühl mich im Zweifel lassen kann, ob diese Geschichte komisch oder witzig ist. Es ist dies der Fall, in dem ich nach dem Gefühl die Entscheidung nicht treffen kann, wenn nämlich die Komik durch Aufdeckung der dem Unbewußten aus- schließlich eigenen Denkweisen entsteht. Eine derartige Geschichte kann komisch und witzig zugleich sein; sie wird mir aber den Eindruck des Witzigen machen, auch wenn sie bloß komisch ist, weil die Verwendung der Denkfehler des Unbewußten mich an den Witz mahnt, ebenso wie vorhin (S. 174) die Veranstaltungen zur Aufdeckung verborgener Komik.

Ich muß Wert darauf legen, diesen heikelsten Punkt meiner Auseinandersetzungen, das Verhältnis des Witzes zur Komik, klar zu stellen, und will darum das Gesagte durch einige negative Sätze ergänzen. Zunächst kann ich darauf aufmerksam machen, daß der hier behandelte Fall des Zusammentreffens von Witz und Komik mit dem vorigen (S. 175) nicht identisch ist. Es ist dies zwar eine feinere Unterscheidung, aber sie ist mit Sicherheit zu machen. Im vorigen Falle rührte die Komik von der Aufdeckung des psychischen Automatismus her. Dieser ist nun keineswegs dem Unbewußten allein eigentümUch und spielt auch keine auf- fällige Rolle unter den Techniken des Witzes. Die Entlarvung tritt nur zufällig zum Witze in Beziehung, indem sie einer anderen Technik des Witzes, 2. B. der Darstellung durch das Gegenteil dient. Im Falle des Ge währen lassens unbewußter Denkweisen ist aber das Zusammentreffen von Witz und Komik ein notwendiges, weil dasselbe Mittel, das bei der ersten Person des Witzes zur Technik der Lustentbindung verwendet wird, seiner Natur nach bei der dritten Person komische Lust erzeugt.

Man könnte in die Versuchung geraten, diesen letzten Fall zu verallgemeinern, und die Beziehung des Witzes zur Komik darin suchen, daß die Wirkung des Witzes auf die dritte Person nach dem Mechanismus der komischen Lust erfolgt. Aber davon ist keine Rede, die Berührung mit dem Komischen trifft keineswegs für alle oder auch nur die meisten Witze zu; in den meisten Fällen sind Witz und Komik vielmehr reinlich zu scheiden. So oft es


Zusammentreffen von Witz und Komik. 17g

dem Witz gelingt, dem Anschein des Unsinnigen zu entgehen, also bei den meisten Doppelsinn- und Anspielungswitzen ist von einer dem Komischen ähnUchen Wirkung beim Hörer nichts zu ent- decken. Man mache die Probe an den früher mitgeteilten Bei- spielen oder an einigen neuen, die icli anführen kann.

Glückwunschtelegramm zum 70. Geburtstag eines Spielers: „Tränte et quarante." {Wortzerteilung mit Anspielung.)

Hevesi beschreibt einmal den Prozeß der Tabakfabrikation: „Die hellgelben Blätter . . . wurden da in eine Beize getunkt und in dieser Tunke gebeizt." (Mehrfache Verwendung des nämlichen Materials.)

Madame de Maintenon wurde Mme. de Maintenant genannt. (Namensmodifikation.)

Prof. Kästner sagt zu einem Prinzen, der sich während einer Demonstration vor das Fernrohr gestellt: Mein Prinz, ich weiß wohl, daß Sie durchlauchtig sind, aber Sie sind nicht durch sichtig.

Graf Andrassy wurde der Minister des schönen Äußeren genannt.

Man könnte ferner glauben, daß wenigstens alle Witze mit Unsinnsfassade komisch erscheinen und so wirken müssen. Allein ich erinnere hier daran, daß solche Witze sehr oft eine andere Wirkung auf den Hörer haben, Verblüffung und Neigung zur Ablehnung hervorrufen (siehe S. 117). Es kommt also offenbar darauf an, ob der Unsinn des Witzes als komischer oder als gemeiner, barer Unsinn erscheint, wofür wir die Bedingung noch nicht erforscht haben. Wir verbleiben demnach bei dem Schlüsse, daß der Witz seiner Natur nach vom Komischen zu sondern ist und nur einerseits in gewissen speziellen Fällen, anderseits in der Tendenz, Lust aus intellektuellen Quellen zu gewinnen, mit ihm zusammentrifft.

Während dieser Untersuchungen über die Beziehungen von Witz und Komik enthüllt sich uns nun jener Unterschied, den wir als den bedeutsamsten betonen müssen, und der gleichzeitig auf einen psychologischen Hauptcharakter der Komik hinweist. Die Quelle der Lust des Witzes mußten wir in das Unbewußte verlegen; keine Veranlassung zur gleichen Lokalisation ist für das ■ Komische erfindlich. Vielmehr deuten alle Analysen, die wir bisher angestellt haben, darauf hin, daß die Quelle der komischen Lust die Vergleichung zweier Atifwande ist, die wir beide dem Vor- bewußten zuordnen müssen. Witz und Komik unterscheiden sich

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iSo Vn. Der Witz und die Arten des Komischen.

vor allem in der psychischen Lokalisation; der Witz ist sozusagen der Beitrag zur Komik aus dem Bereich des Unbewußten.


Wir brauchen uns nicht zu beschuldigen, daß wir uns in eine Abschweifung eingelassen haben, da ja das Verhältnis des Witzes zur Komik der Anlaß ist, welcher uns zur Untersuchung des Komischen gedrängt hat. Es ist aber wohl an der Zeit, daß wir zu unserem dermaligen Thema zurückkehren, zur Behandlung der Mittel, welche dem Komischmachen dienen. Wir haben die Er- örterung der Karikatur und der Endarvung vorausgeschickt, weil wir aus ihnen beiden einige Anknüpfungen für die Analyse der Komik der Nachahmung entnehmen können. Die Nach- ahmung ist wohl zumeist mit Karikatur, Übertreibung einiger sonst nicht auffälliger Züge versetzt und trägt auch den Charakter der Herabsetzung an sich. Doch scheint ihr Wesen hiemit nicht er- schöpft; es ist unleugbar, daß sie an sich eine außerordentlich ergiebige Quelle der komischen Lust darstellt, indem wir gerade über die Treue der Nachahmung besonders lachen. Es ist nicht leicht, hiefür eine befriedigende Aufklärung zu geben, wenn man sich nicht der Ansicht von Bergson*) anschließen will, durch welche die Komik der Nachahmung nahe an die durch Auf- deckung des psychischen Automat ismus herangerückt wird. Bergson meint, daß alles dasjenige komisch wirkt, was bei einer lebenden Person an einen unbelebeen Mechanismus denken läßt. Seine Formel hiefür lautet: „Mecanisation de la vie". Er erklärt die Komik der Nachahmung, indem er an ein Problem anknüpft, welches Pascal in seinen „Pensees" aufgestellt, warum man bei der Vergleichung zweier ähnlicher Gesichter lache, von denen keines an sich komisch wirke. „Das Lebende soll sich nach unserer Erwartung niemals völlig ähnhch wiederholen. Wo wir solche Wiederholung finden, vermuten wir jedesmal einen Mechanismus, der hinter diesem Lebenden steckt." Wenn man zwei Gesichter von zuweitgehender Ähnlichkeit sieht, denkt man an zwei Abdrücke aus derselben Form oder an ein ähnliches Verfahren der mechanischen Herstellung. Kurz die Ursache des Lachens wäre in diesen Fällen die Abweichung des Lebenden gegen das Leblose hin; wir könnten sagen, die Degradierung des Lebenden zum Leblosen (1. c, S. 35). Wenn wir diese einschmeicheln- den Ausführungen Bergson's gelten lassen, fällt es uns übrigens nicht schwer, seine Ansicht unserer eigenen Formel zu unterwerfen,

•) Bergson, La rire, essai sur la signification du comique. 3me edi- tion, Paris 1904,




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Komik der Nachahmung.


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Durch die Erfahrung belehrt, daß jedes Lebende ein anderes ist und eine Art von Aufwand von unserem Verständnis fordert, finden wir uns enttäuscht, wenn wir infolge vollkommener Über- einstimmung oder täuschender Nachahmung keines neuen Auf- wandes bedürfen. Wir sind aber enttäuscht im Sinne der Erleich- terung, und der überflüssig gewordene Erwartungsaufwand wird durch Lachen abgeführt. Die nämliche Formel würde auch alle bei B e r g s o n gewürdigten Fälle der komischen Erstarrung (raideur), der professionellen Gewohnheiten, fixen Ideen und bei jedem Anlaß wiederholten Redensarten decken. Alle diese Fälle würden auf den Vergleich des Erwartungsaufwandes mit dem zum Verständnis des sich gleich Gebhebenen erforderlichen ausgehen, wobei die größere Erwartung sich auf die Beobachtung der indi- viduellen Mannigfaltigkeit und Plastizität des Lebenden stützt. Bei der 'Nachahmung wäre also nicht die Situations-, sondern die Erwartungskomik die Quelle der komischen Lust.

Da wir die komische Lust allgemein von einer Vergleichung ableiten, obliegt es uns, auch das Komische des Vergleichs selbst zu untersuchen, welcher ja gleichfalls als Mittel zum Komisch- machen dient. Unser Interesse für diese Frage wird eine Steige- rung erfahren, wenn wir uns erinnern, daß uns oft auch im Falle des Gleichnisses das „Gefühl", ob etwas ein Witz oder bloß komisch zu nennen sei, im Stiche zu lassen pflegt (s. S. 65).

Das Thema verdiente freilich mehr Sorgfalt, als wir ihm von unserem Interesse her zu teil werden lassen können. Die Haupt- eigenschaft, nach welcher wir beim Gleichnis fragen, ist, ob das- selbe „treffend" ist, d. h. ob es auf eine wirklich vorhandenje Übereinstimmung zweier verschiedener Objekte aufmerksam macht. Die ursprüngliche Lust am Wiederfinden des Gleichen (Groos, S. loi) ist nicht das einzige Motiv, welches den Gebrauch der Vergleichung begünstigt; es kommt hinzu, daß das Gleichnis einer Verwendung fähig ist, welche eine Erleichterung der intellektuellen Arbeit mit sich bringt, wenn man nämlich, wie zumeist üblich, das Unbekanntere mit dem Bekannteren, das Abstrakte mit dem Konkreten vergleicht und durch diesen Vergleich das Fremdere und Schwierigere erläutert. Mit jeder solchen Vergleichung speziell des Abstrakten mit dem Sachlichen ist eine gewisse Herabsetzung und eine gewisse Ersparung an Abstraktionsaufwand (im Sinne einer Vorstellungsmimik) verbunden, doch reicht dieselbe natür- lich nicht hin, um den Charakter des Komischen deutlich hervor- treten zu lassen. Dieser taucht nicht plötzlich, sondern allmählich aus der Erleichterungslust der Vergleichung auf; es gibt reichlich


ig2 VII. Der Witz und die Arten des Komischen.

Fälle, die bloß an's Komische streifen, bei denen man zweifeln könnte, ob sie den komischen Charakter zeigen. Unzweifelhaft komisch wird die Vergleichung, wenn der Niveauunterschied des Abstraktionsaufwandes zwischen beiden Verglichenen sich steigert, wenn etwas Ernstes und Fremdes, insbesondere intellektueller oder moralischer Natur, in den Vergleich mit etwas Banalem und Nie- drigem gezogen wird. Die vorherige Erleichterungslust und der Beitrag aus den Bedingungen der Vorstellungsmimik mögen etwa den allmählichen durch quantitative Verhältnisse bestimmten Über- gang des allgemein Lustvollen in das Komische bei der Vergleichung erklären. Ich gehe wohl Mißverständnissen aus dem Wege, indem ich hervorhebe, daß ich die komische Lust beim Gleichnis nicht aus dem Kontrast der beiden Verglichenen, sondern aus der Diffe- renz der beiden Abstraktionsaufwände ableite. Das schwer zu fassende Fremde, Abstrakte, eigentlich intellektuell Erhabene wird nun durch die behauptete Übereinstimmung mit einem vertrauten Niedrigen, bei dessen Vorstellung jeder Abs traktionsauf wand weg- fallt, selbst als etwas ebenso Niedriges entlarvt. Die Komik der Vergleichung reduziert sich also auf einen Fall von Degradierung. Der Vergleich kann nun, wie wir früher gesehen haben, witzig sein ohne die Spur von komischer Beimengung, dann nämlich, wenn er gerade der Herabsetzung ausweicht. So ist der Vergleich der Wahrheit mit einer Fackel, die man nicht durch ein Gedränge tragen kann, ohne jemandem den Bart zu versengen, rein witzig, weil er eine erloschene Redensart („Die Fackel der Wahrheit") vollwertig nimmt, und gar nicht komisch, weil die Fackel als Ob- jekt einer gewissen Vornehmheit, obwohl sie ein konkreter Gegen- stand ist, nicht entbehrt. Ein Vergleich kann aber leicht eben- sowohl witzig sein als auch komisch, und zwar das eine unabhängig vom anderen, indem die Vergleichung ein Behelf für gewisse Techniken des Witzes, z. B. die Unifizierung oder die Anspielung wird. So ist der Nestroy'sche Vergleich der Erinnerung mit einem „Magazin (S. 69) gleichzeitig komisch und witzig, ersteres wegen der außerordentlichen Herabsetzung, die sich der psycho- logische Begriff im Vergleich mit einem „Magazin" gefallen lassen muß, das Andere aber, weil der, welcher den Vergleich gebraucht, ein Kommisist, in dieser Vergleichung also eine ganz unerwartete Unifizierung zwischen der Psychologie und seiner Berufstätigkeit herstellt. Die Hein e'sclie Zeile „Bis mir endlich alle Knöpfe rissen an der Hose der Geduld" erscheint zunächst bloß als ein ausgezeichnetes Beispiel eines komisch erniedrigenden Vergleichs; bei näherer Überlegung muß man ihr aber auch den Charakter


Vergleichung. — KoniUt der Rede. 183

des Witzigen zugestehen, da der Vergleich als Mittel der Anspielung in's Bereich des Obszönen einschlägt und es so zu stände bringt die Lust am Obszönen frei zu machen. Aus dem nämlichen Material entsteht für uns durch ein freilich nicht ganz zufälliges Zusammentreffen gleichzeitig komischer und witziger Lustgewinn; mögen die Bedingungen des einen auch die Entstehung des anderen fördern, für das „Gefühl", welches uns angeben soll, ob hier Witz oder Komik vorliegt, ist solche Vereinigung ein verwirrender Ein- fluß, und erst eine von der Lustdisposition unabhängig gewordene aufmerksame Untersuchung kann die Entscheidung bringen.

So verlockend es wäre, diesen intimeren Bedingtheiten des komischen Lustgewinnes nachzuspüren, so muß doch der Autor sich vorhalten, daß weder seine Vorbildung noch sein täghcher Beruf ihn berechtigen, seine Untersuchungen weit hinaus über die Sphäre des Witzes zu erstrecken, und darf eingestehen, daß gerade das Thema der komischen Vergleichung ihm seine Inkompetenz fühlbar macht.

Wir lassen uns also gern daran mahnen, daß viele Autoren die scharfe begriffhche und sachliche Scheidung zwischen Witz und Komik nicht anerkennen, zu der wir uns veranlaßt sahen, und daß diese den Witz einfach als das „Komische der Rede" oder „der Worte" hinstellen. Zur Prüfung dieser Ansicht wollen wir uns je ein Beispiel von absichtlicher und von unfreiwilliger Komik der Rede für den Vergleich mit dem Witze auswählen. Wir haben bereits an einer früheren Stelle bemerkt, daß wir uns sehr wohl im Stande glauben, komische Rede von witziger Rede zu unter- scheiden.

„Mit einer Gabel und mit Müh' zog ihn die Mutter aus der Brüh'", ist bloß komisch; H eine's Satz von den vier Kasten der Be- völkerung G ö 1 1 i n g e n's :

Professoren, Studenten, Philister und Vieh

ist aber exquisit witzig.

Für die absichdiche Komik der Rede nehme ich Stetten- heim's „Wippchen" als Muster. Man nennt Stettenheim witzig, weil er in besonderem Grade die Geschicklichkeit besitzt, das 'Komische hervorzurufen. Der Witz, den man „hat", im Gegensatz zu dem, den man „macht", ist in der Tat durch diese Fähigkeit zutreffend bestimmt. Es ist unleugbar, daß die Briefe des Bernauer Korrespondenten Wippchen auch witzig sind, in- soferne sie reichlich Witze jeder Art, darunter ernsthaft gelungene („festlich entkleidet" von einer Parade bei Wilden) eingestreut


184 VII. Der Witz und die Arten des Komischen.

enthalten; was diesen Produktionen aber ihren eigentümlichen Charakter verleiht, sind nicht diese vereinzelten Witze, sondern das in ihnen fast überreichlich quellende Komische der Rede. „Wippchen" ist gewiß eine ursprünglich satirisch gemeinte Figur, eine Modifikation des G. F r ey tag'schen Schmock, einer jener Ungebildeten, die mit dem Bildungsschatz der Nation Handel und Mißbrauch treiben, aber das Behagen an den bei ihrer Darstellung erzielten komischen Effekten hat beim Autor offenbar die satirische Tendenz allmählich in den Hintergrund gedrängt. Die Produk- tionen Wippchen's sind zum großen Teil „komischer Unsinn"; der durch Häufung solcher Leistungen erzielten Luststimmung hat sich der Autor — übrigens mit Recht — bedient um neben durchau.; Zulässigem allerlei Abgeschmacktes vorzubringen, was für sich allein nicht zu vertragen wäre. Der Unsinn Wippchen's erscheint nun als ein spezifischer infolge einer besonderen Technik. Faßt man diese „Witze" näher in's Auge, so fallen einige Gat tungen besonders auf, die der ganzen Produktion ihr Gepräge geben. Wippchen bedient sich vorwiegend der Zusammensetzungen (Verschmelzungen), der Modifikationen bekannter Redensarten und Zitate und der Ersetzungen einzelner banaler Elemente in diesen durch meist anspruchsvollere, höherwertige Ausdrucksmittel. Das geht allerdings nahe an die Techniken des Witzes heran.

Verschmelzungen sind z. B. (aus der Vorrede und den ersten Seiten der ganzen Reihe ausgesucht) :

„Die Türkei hat Geld wie Heu am Meere"; was aus den beiden Redensarten :

„Geld wie Heu"

„Geld wie Sand am Meere" zusammen- geflickt ist. Oder: „Ich bin nichts mehr als eine entlaubte Säule, die von entschwundener Pracht zeugt", verdichtet aus „entlaubter Stamm" und „eine Säule, die usw." Oder: „Wo ist der Ariadne- faden, der aus der Skylla dieses Augiasstalles herausleitet?", wozu dreierlei griechische Sagen je ein Element beigesteuert haben.

Die Modifikationen und Ersetzungen kann man ohne viel Zwang zusammenfassen; ihr Charakter ergibt sich aus nachstehen- den Wippchen eigentümlichen Beispielen, in denen regelmäßig ein anderer, geläufiger, meist banaler, zum Gemeinplatz herab- gesunkener Wortlaut durchschimmert :

„Mir Papier und Tinte höher zu hängen." Man sagt: einem den ßrodkorb höher hängen bildlich für : einen unter erschwerende Bedingungen versetzen. Warum sollte man dieses Bild also nicht auf anderes Material erstrecken dürfen?


Komik der Rede. 185

„Schlachten, in denen die Russen einmal den Kürzeren, ein- mal den Längeren ziehen." Nur die crstcre Redensart ist be- kanntlich im Gebrauche; nach der Ableitung derselben wäre es sogar nicht unsinnig, auch die andere in Aufnahme zu bringen.

„Schon früh regte sich in mir der Pegasus." Mit dem Rückersatz „der Dichter" ist dies eine durch häufigen Gebrauch bereits entwertete selbstbiographische Wendung. ,,Pegasus" eignet sich zwar nicht zum Ersatz für „Dichter", steht aber in Gedanken- relation zu ihm und ist ein hochklingendes Wort.

„Sc durchlebte ich dornenvolle Kinderschuhe."

Durchaus ein Bildnis anstatt eines einfachen Wortes. „Die Kinderschuhe austreten" ist eines der Bilder, die mit dem Begriff Kindheit zusammenhängen.

Aus der Fülle anderer Produktionen Wippchen's kann man manches als Beispiele reiner Komik hervorheben, z. B. als komi- sche Enttäuschung: Stundenlang wogte das Gefecht, endlich blieb es unentschieden, oder als komische Entlarvung (der Unwissenheit) : Klio, die Meduse der Geschichte; Zitate wie Habent sua fata morgana. Unser Interesse wecken aber eher die Verschmelzungen und Modifikationen, weil sie bekannte Techniken des Witzes wieder- bringen. Man vergleiche z. B. zu den Modifikationen Witze wie: Er hat eine große Zukunft hinter sich — Er hat ein Ideal vor dem Kopf — ; die Lichtenbcrg'schen Modifikationswitze: Neue Bäder heilen gut u. dgl. Sind die Produktionen Wippchen's mit der gleichen Technik nun Witze zu heißen, oder wodurch unter- scheiden sie sich von solchen ?

Es ist gewiß nicht schwierig, darauf zu antworten. Erinnern wir uns daran, daß der Witz dem Hörer ein Doppelgesicht zeigt, ihn zu zwei verschiedenen Auffassungen zwingt. Bei den Unsmns- Witzen, wie die letzterwähnten, lautet die eine Auffassung, die nur den Wortlaut berücksichtigt, er sei ein Unsinn; die andere, die den Andeutungen folgend beim Hörer den Weg durch das Un- bewußti zurücklegt, findet den ausgezeichneten Smn. Bei den witzähnHchen Produktionen Wippchen's ist das eine der Angesichte des Witzes leer, wie verkümmert; ein Januskopf, aber nur ein Angesicht ausgebildet. Man gerät auf nichts, wenn man sich von der Technik in's Unbewußte verlocken läßt. Aus den Verschmel- zungen wird man zu keinem Fall geführt, in dem die beiden Ver- schmolzenen wirklich einen neuen Sinn ergeben; diese fallen bei einen Versuch der Analyse gänzlich aus einander. Die Modifika- tionen und Ersetzungen führen wie beim Witz auf einen gebräuch- lichen und bekannten Wortlaut, aber die Modifikation oder Er-


i86 Vil. Der Witz und die Arten des Komischen.

Setzung sagt selbst nichts anderes und in der Regel auch nichts Mögliches oder Brauchbares. Es bleibt also für diese „Witze" nur die eine Auffassung als Unsinn übrig. Man kann nun nach Belieben darüber entscheiden, ob man solche Produktionen, die sich von einem der wesentlichsten Charaktere des Witzes frei gemacht haben, „schlechte" Witze oder überhaupt nicht Witze heißen will.

Unzweifelhaft machen solche verkümmerte Witze einen komi- schen Effekt, den wir uns auf mehr als eine Weise zurecht legen können. Entweder entsteht die Komik aus der Aufdeckung der Denkweisen des Unbewußten wie in früher betrachteten Fällen, oder es ist der Vergleich mit dem vollkommenen Witz, aus dem die Lust hervorgeht. Es hindert uns nichts anzunehmen, daß beider- lei Entstehungsweisen der komischen Lust hier zusammentreffen. Es ist nicht abzuweisen, daß gerade die unzulängliche Anlehnung an den Witz den Unsinn hier zu einem komischen Unsinn macht. Es gibt nämlich andere leicht zu durchschauende Fälle, in denen solche Unzulänglichkeit durch den Vergleich mit dem zu Leistenden den Unsinn unwiderstehlich komisch werden läßt. Das Gegenstück des Witzes, das Rätsel, kann uns hiefür vielleicht bessere Beispiele als der Witz selbst geben. Eine Scherzfrage lautet z. B.: Was ist das: Es hängt an der Wand und man kann sich an ihm die Hände abtrocknen? Es wäre ein dummes Rätsel, wenn die Antwort lauten würde: Ein Handtuch. Diese Antwort wird vielmehr zurückgewiesen. — Nein, ein Hering. — Aber um Gottes- willen, heißt dann der entsetzte Einwand, ein Hering hängt doch nicht an der Wand. — Du kannst ihn ja hinhängen. — Aber wer wird sich denn an einem Hering die Hände abtrocknen ? — Nun, sagt die beschwichtigende Antwort, du mußt ja nicht. — Diese durch zwei typische Verschiebungen gegebene Aufklärung zeigt, wieviel dieser Frage zu einem wirklichen Rätsel fehlt, und wegen dieser absoluten Unzulänglichkeit erscheint sie anstatt bloß unsinnig dumm ~ unwiderstehlich komisch. Auf solche Weise, durch Nichteinhaltung wesentlicher Bedingungen können also Witz, Rätsel und Anderes, die an sich komische Lust nicht ergeben, zu Quellen komischer Lust gemacht werden.

Noch geringere Schwierigkeiten bereitet dem Verständnis der Fall der unfreiwilligen Komik der Rede, den wir etwa in den Gedichten der Friederike Kempner*) in uns beliebender Häufigkeit verwirklicht finden können.


•) Sechste Auflage, Berlin 1891.


1!


Komik des Unzulänglichen. 187

Gegen die Vivisektion. Ein unbekanntes Band der Seelen kettet Den Menschen an das arme Tier. Das Tier hat einen Willen — ergo Seele — Wenn auch 'ne kleinere als wir. Oder ein Gespräch zwischen zärtlichen Ehegatten: („Der

Kontrast")

„Wie glücklich bin ich," ruft sie leise,

,Auch ich," sagt lauter ihr Gemahl,

„Es macht mich deine Art und Weise

Sehr stolz auf meine gute Wahl!" Hier ist nun nichts, was an den Witz erinnert. Ohne Zweifel ist es abei die Unzulänglichkeit dieser „Dichtungen", die sie komisch macht, die ganz außerordentliche Plumpheit ihrer Aus- drucksweise, die an die alltäglichsten oder dem Zeitungsstil ent- nommenen Redensarten gebunden ist, die einfältige Beschrankt- heit ihrer Gedanken, das Fehlen jeder Spur von poetischer Denk- oder Redeweise. Bei alledem ist es nicht selbstverständlich, daß wir die Gedichte der Kempner komisch finden; viele ähnliche Produktionen finden wir bloß herzlich schlecht, belachen sie nicht, sondern ärgern uns über sie. Gerade die Größe des Abstandes von unseren Anforderungen an ein Gedicht drängt aber zur komi- schen Auffassung; wo diese Differenz geringer ausfiele, waren wir eher zur Kritik als zum Lachen geneigt. Femer wird die komische Wirkung bei den Gedichten der Kempner durch andere Neben- umständc- gesichert, durch die unverkennbare gute Absicht der Verfasserin, und durch eine gewisse unseren Spott oder "nsei"^" Ärger entwaffnende Gefühlsinnigkeit, die wir hinter ihren hilflosen Phrasen verspüren. Wir werden hier an ein Problem gemahnt, dessen Würdigung wir uns aufgeschoben haben. Die Aufwands- differenz ist gewiß die Grundbedingung der komischen Lust aber die Beobachtung zeigt, daß aus solcher Differenz nicht jedesmal Lust hervorgeht. Welche Bedingungen müssen hinzukommen oder welche Störungen hintangehalten werden, damit die komische Lust sich aus der Aufwandsdifferenz wirklich ergeben könne? Ehe wir uns aber der Beantwortung dieser Frage zuwenden, wollen wir als Abschluß der vorigen Erörterungen feststellen, daß das Komische der Rede nicht zusammenfällt mit dem Witz, der Witz also etwas Anderes sein muß als das Komische der Rede.

Im Begriffe, nun an die Beantwortung der letztgestellten Frage, nach den Bedingungen der Entstehung komischer Lust aus der


l88 VIL Der Witz und die Arten des Komischen,

Aufwandsdifferenz heranzutreten, dürfen wir uns eine Erleichterung gestatten, die uns selbst nicht anders als zur Lust gereichen kann. Die genaue Beantwortung dieser Frage wäre identisch mit einer erschöpfenden Darstellung der Natur des Komischen, zu der wir uns weder die Fähigkeit noch die Befugnis zusprechen können. Wir werden uns wiederum damit begnügen, das Problem des Komischen nur so weit zu beleuchten, bis es sich deutlich von dem des Witzes abhebt.

Allen Theorien des Komischen ist von ihren Kritikern der Einwurf gemacht worden, daß ihre Definition das für die Komik Wesentliche übersieht. Das Komische beruht auf einem Vorstel- lungskontrast; ja, insoferne dieser Kontrast komisch und nicht anders wirkt. Das Gefühl der Komik rührt vom Zergehen einer Erwartung her; ja, wenn diese Enttäuschung nicht gerade pein- lich ist. Die Einwürfe sind ohne Zweifel berechtigt, aber man überschätzt sie, wenn man aus ihnen schließt, daß das wesentliche Kennzeichen des Komischen bisher der Auffassung entschlüpft ist. Was die Allgemeingiltigkeit jener Definitionen beeinträchtigt, sind Bedingungen, die für die Entstehung der komischen Lust unerläß- lich sind, ohne daß man das Wesen der Komik in ihnen suchen müßte. Die Abweisung der Einwendungen und die Aufklärung der Widersprüche gegen die Definitionen des Komischen wird uns allerdings erst leicht, wenn wir die komische Lust aus der Ver- gleichsdifferenz zweier Aufwände hervorgehen lassen. Die komi- sche Lusi und der Effekt, an dem sie erkannt wird, das Lachen, können erst dann entstehen, wenn diese Differenz unverwendbar und abfuhrfähig wird. Wir gewinnen keinen Lusteffekt, sondern höchstens ein flüchtiges Lustgefühl, an dem der komische Charak- ter nicht hervortritt, wenn die Differenz, sobald' sie erkannt wird, eine andere Verwendung erfährt. Wie beim Witz ' besondere Ver- anstaltung getroffen sein müssen, um die anderweitige Verwendung des als überflüssig erkannten Aufwandes zu verhüten, so kann auch die komische Lust nur unter Verhältnissen entstehen, welche diese letztere Bedingung erfüllen. Die Fälle, in denen in unserem VorstelJungsleben solche Aufwand sdifferenzen entstehen, sind da- her ungemein zahlreich; die Fälle, in denen das Komische aus ihnen hervorgeht, vergleichsweise recht selten.

Zwei Bemerkungen drängen sich dem Beobachter auf, der die Bedingungen für die Entstehung des Komischen aus der Auf- wandsdifferenz auch nur flüchtig überblickt, erstens daß es Fälle gibt, in denen sich die Komik regelmäßig und wie notwendig einstellt, und im Gegensatze zu ihnen andere, in denen es durch-



Bedingungen der Isolierung des Komischen. 189

aus von den Bedingungen des Falles und dem Standpunkt des Beobachters abhängig erscheint; zweitens aber, daß ungewöhnlich große Differenzen sehr häufig ungünstige Bedingungen durch- brechen, so daß das komische Gefühl diesen zum Trotz entsteht. Man könnte mit Bezug auf den ersten Punkt zwei Klassen auf- stellen, die des unabweisbar Komischen und die des gelegentlich Komischen, obwohl man von vorneherein darauf verzichten müßte, in der ersten Klasse die Unabweisbarkeit des Komischen frei von Aufnahmen zu finden. Es wäre verlockend, den für beide Klassen maßgebenden Bedingungen nachzugehen.

Wesentlich für die zweite Klasse gelten die Bedingungen, von denen man einen Teil als die „Isoherung" des komischen Falles zusammengefaßt hat. Eine nähere Zerlegung macht etwa folgende Verhältnisse kenntlich :

a) Die günstigste Bedingung für die Entstehung der komischen Lust ergibt die allgemein heitere Stimmung, in welcher man „zum Lachen aufgelegt" ist. Bei toxischer Heiterstimmung erscheint fast alles komisch, wahrscheinlich durch Vergleich mit dem Auf- wände in normaler Verfassung. Witz, Komik und alle ähnlichen Methoden des Lustgewinnes aus seelischer Tätigkeit sind ja weiter nichts als Wege, um diese heitere Stimmung — Euphorie — , wenn sie nicht als allgemeine Disposition der Psyche vorhanden ist, von einem einzelnen Punkte aus wiederzugewinnen.

b) Ähnlich begünstigend wirkt die Erwartung des Komischen, die Einstellung auf die komische Lust. Daher reichen bei der Absicht komisch zu machen, wenn sie vom Anderen geteilt wird, Differenzen von so geringer Höhe aus, daß sie wahrscheinHch übersehen worden wären, wenn sie sich im absichtslosen Erleben ereignet hätten. Wer eine komische Lektüre vornimmt oder zu einer Posse in's Theater geht, dankt es dieser Absicht, daß er dann über Dinge lacht, die in seinem gewöhnlichen Leben kaum einen Fall des Komischen für ihn ergeben hätten. Er lacht zuletzt bei der Erinnerung gelacht zu haben, bei der Erwartung zu lachen, wenn er den komischen Darsteller erst auftreten sieht, ehe dieser den Versuch unternehmen konnte, ihn zum Lachen zu bringen. Man gesteht darum auch zu, daß man sich nachträglich schämt, worüber man im Theater lachen konnte.

c) Ungünstige Bedingungen für die Komik ergeben sich aus der Art der seelischen Tätigkeit, welche das Individuum im Moment beschäftigt. Vorstellungs- oder Denkarbeit, welche ernste Ziele verfolgt, stört die Abfuhrfähigkeit der Besetzungen, deren sie ja für ihre Verschiebungen bedarf, so daß nur unerwartet


190


VII. Der Witz und die Arten des Komischen.


große Aufwandsdifferenzen zur komischen Lust durchbrechen können. Der Komik ungünstig sind ganz besonders alle Weisen des Denkvorganges, die sich vom AnschauHchen weit genug ent- fernen, um die Vorstellungsmimik aufhören zu lassen ; bei ab- straktem Nachdenken ist für die Komik überhaupt kein Raum mehr, außer wenn diese Denkweise plötzlich unterbrochen wird. d) Die Gelegenheit zur Entbindung komischer Lust schwindet auch, wenn die Aufmerksamkeit gerade auf die Vergleichung eingestellt ist, aus welcher die Komik hervorgehen kann. Unter solchen Umständen verliert seine komische Kraft, was sonst am sichersten komisch wirkt. Eine Bewegung oder eine geistige Leistung kann nicht komisch für den werden, dessen Interesse eben darauf gerichtet ist, sie mit einem ihm klar vorschwebenden Maße zu vergleichen. So findet der Prüfer den Unsinn nicht komisch, den der Examinierte in seiner Unwissenheit produziert; er ärgert sich über ihn, während die Kollegen des Geprüften, die sich weit mehr dafür interessieren, welches Geschick dieser haben wird, als wieviel er weiß, denselben Unsinn herzlich be- lachen. Der T.urn- oder Tanzlehrer hat nur selten ein Auge für das Komische der Bewegungen bei seinen Schülern, und dem Prediger entgeht durchaus das Komische an den Charaktcrfehlern der Menschen, das der Lustspieldichter so wirksam herauszufinden weiß. Der komische Prozeß verträgt nicht die Überbesetzung durch die Aufmerksamkeit, er muß durchaus unbeachtet vor sich gehen kömaen^ übrigens darin dem Witze ganz ähnlich. Es wider- spräche aber der Nomenklatur der „Bewußtseinsvorgänge", deren ich mich in der „Traumdeutung" mit gutem Grunde bedient habe, wollte man. ihn einen notwendigerweise unbewußten nennen. Er gehört vielmehr dem Vorbewußten an, und man kann für solche Vorgänge, die sich im Vorbewußten abspielen und der Aufmerksamkeitsbesetzung, mit welcher Bewußtsein verbunden ist, entbehren, passend den Namen „automatische" verwenden. Der Prozeß der Vergleichung der Aufwände muß automatisch bleiben, wenn er komische Lust erzeugen soll.

e) Es ist überaus störend für die Komik, wenn der Fall, aus dem sie entstehen soll, gleichzeitig zu starker Affektentbindung Anlaß gibt. Die Abfuhr der wirksamen Differenz ist dann in der Regel ausgeschlossen. Affekte, Disposition und Einstellung des Individuums im jeweiligen Falle lassen es verständlich werden, daß das Komische mit dem Standpunkt der einzelnen Person auf- taucht oder schwindet, daß es ein absolut Komisches nur in Aus- nahmsfällen gibt. Die Abhängigkeit oder Relativität des Komischen


Die Abiuhr störende Bedingungen. 191

ist darunn weit größer als die des Witzes, der sich niemals ergibt, der regelmäßig gemacht wird, und bei dessen Herstellung bereits auf die Bedingimgen, unter denen er Annahme findet, geachtet werden kann. Die Affektentwicklung ist aber die intensivste unter den die Komik störenden Bedingungen und wird in dieser Be- deutung von keiner Seite verkannt.*) Man sagt darum, das komi- sche Gefühl käme am ehesten in halbwegs indifferenten Fällen ohne stärkere Gefühls- oder Interessenbeteiligung zu stände. Doch kann man gerade in Fällen mit Affektentbindung eine besonders starke Aufwands differenz den Automatismus der Abfuhr herstellen sehen. Wenn der Oberst Butler die Mahnungen Ottavio's „bitter lachend" mit dem Ausruf beantwortet;

„Dank vom Haus Österreich!", so hat seine Erbitterung das Lachen nicht verhindert, welches der Erinnerung an die Enttäuschung gilt, die er erfahren zu haben glaubt, und anderseits kann die Größe dieser Enttäuschung vom Dichter nicht eindrucksvoller geschildert werden, als indem er sie fähig zeigt, mitten im Sturm der entfesselten Affekte ein Lachen zu erzwingen Ich würde meinen, daß diese Erklärung für alle Fälle anwendbar ist, in denen das Lachen bei anderen als lust- vollen Gelegenheiten und mit intensiven peinlichen oder gespannten Affekten gemeinsam vorkommt.

/) Wenn wir noch hinzufügen, daß die Entwicklung der komi- schen Lust durch jede andere lustvolle Zutat zum Falle wie durch eine Art von Kontakt wirkung gefördert werden kann (nach Art des Vorlustprinzipes beim tendenziösen Witze), so haben wir die Bedingungen der komischen Lust gewiß nicht vollständig, aber doch für unsere Absicht hinreichend erörtert. Wir sehen dann, daß diesen Bedingungen sowie der Inkonstanz und Abhängigkeit des komischen Effekts keine andere Annahme so leicht genügt wie die Ableitung der komischen Lust von der Abfuhr einer Differenz, welche unter den wechselndsten Verhältnissen einer anderen Verwendung als der Abfuhr unterliegen kann.

Eine eingehendere Würdigung verdiente noch das Komische des Sexuellen und Obszönen, das wir hier aber nur mit wenigen Bemerkungen streifen wollen. Den Ausgangspunkt würde auch hier die Entblößung bilden. Eine zufällige Entblößung wirkt auf uns komisch, weil wir die Leichtigkeit, mit welcher wir den Anblick genießen, mit dem großen Aufwand vergleichen, der sonst

•) „Du hast leicht lachen, dich geht es nicht weiter an."


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VII. Der Witz und die Arten des Komischen.


zur Erreichung dieses Zieles erforderlich wäre. Der Fall nähert sich so dem des Naiv-komischen, ist aber einfacher als dieser. Jede Entblößung, zu deren Zuschauer — oder Zuhörer im Falle der Zote — wir von Seite eines Dritten gemacht werden, gilt gleich einem Komischmachen der entblößten Person. Wir haben gehört, daß es Aufgabe des Witzes wird, die Zote zu ersetzen und so eine verloren gegangene Quelle komischer Lust wieder zu eröffnen. Hingegen ist das Belauschen einer Entblößung für den Lauschenden kein Fall von Komik, weil die eigene Anstrengung dabei die Bedingung der komischen Lust aufhebt; es bleibt hier nur die sexuelle Lust am Erschauten übrig. In der Erzählung des Lauschers an einen Anderen wird die belauschte Person wiederum komisch, weil der Gesichtspunkt vorwiegt, daß sie den Aufwand unterlassen hat, der zur Verhüllung ihres Geheimen am Platze gewesen wäre. Sonst ergeben sich aus dem Bereiche des Sexuellen und Obszönen die reichlichsten Gelegenheiten zum Ge- winne komischer Lust neben der lustvollen sexuellen Erregtheit, insoferne der Mensch in seiner Abhängigkeit von körperlichen Bedürfnissen gezeigt (Herabsetzung) oder hinter dem Anspruch der seelischen Liebe die leibhche Anforderung aufgedeckt werden kann (Entlarvung).

Eine Aufforderung, auch das Verständnis des Komischen in seiner Psychogenese zu suchen, hat sich überraschender Weise aus dem schönen und lebensfrischen Buche von B e r g s o n (Le rire) ergeben. Bergson, dessen Formeln zur Erfassung des komi- schen Charakters uns bereits bekannt geworden sind — .,mdcani- sation de la vie", „Substitution quelconque de l'artificiel au naturel" — gerät durch nahe liegende Gedankenverbindung vom Automatis- mus auf den Automaten und sucht eine Reihe von komischen Effekten auf die verblaßte Erinnerung an ein Kinderspielzeug zurückzuführen. In diesem Zusammenhange erhebt er sich ein- mal zu einem Standpunkt, den er allerdings bald wieder verläßt; er sucht das Komische von der Nachwirkung der Kinderfreuden abzuleiten. „Peut-^tre m&me devrions-nous pousser la simplification plus loin encore, remonter k nos souvcnirs les plus ancients, chercher dans les jeux qui amuserent l'enfant, la premiere ^bauche des combinaisons qui fönt rire l'homme . . . Trop souvent surtout nous mdconnaissons ce qu'il y a d'encore enfantin, pour ainsi dire, dans la plupart de nos ^motions joyeuses" (S. 68 u. ff.). Da wir nun den Witz bis auf ein durch die verständige Kritik versagtes Kinderspiel mit Worten und Gedanken zurückverfolgt


Psychogenese des Komischen. j«,

haben, muß es uns verlocken, auch diesen von B e r g s o n ver- muteten infantilen Wurzeln des Komischen nachzuspüren.

Wirklich stoßen wir auf eine ganze Reihe von Beziehungen, die uns vielversprechend erscheinen, wenn wir das Verhältnis der Komik zum Kinde untersuchen. Das Kind selbst erscheint uns keineswegs komisch, obwohl sein, Wesen alle die Bedingungen erfüllt, die beim Vergleiche mit dem unserigen eine komische Differenz ergeben : Den übermäßigen Bewegungs- wie den ge- ringen geistigen Aufwand, die Beherrschung der seelischen Leistungen durch die körperlichen Funktionen und andere Züge. Das Kind wirkt auf uns nur dann komisch, wenn es sich nicht als Kind, sondern als ernsthafter Erwachsener gebärdet, und dann in der gleichen Weise wie andere sich verkleidende Personen; solange es aber das Wesen des Kindes beibehält, bereitet uns seine Wahrnehmung eine reine, vielleicht an's Komische an- klingende Lust. Wir heißen es naiv, insofeme es uns seine Hem- mungslosigkeit zeigt, und naiv-komisch jene seiner Äußerungen, die wir bei einem Anderen als obszön oder als witzig beurteilt hätten.

Anderseits geht dem Kinde das Gefühl für Komik ab. Dieser Satz scheint nicht mehr zu besagen, als daß das komische Gefühl sich erst im Laufe der seelischen Entwicklung irgend einmal ein- stellt wie so manches Andere, und das wäre nun keineswegs merkwürdig, zumal da man zugestehen muß, daß es in Jahren, die man dem Kindesalter zurechnen muß, bereits deutlich hervor- tritt. Aber es läßt sich doch zeigen, daß die Behauptung, dem Kinde fehle das Gefühl des Komischen, mehr enthält als eine Selbstverständlichkeit. Zunächst mrd es leicht einzusehen, daß es nicht anders sein kann, wenn unsere Auffassung richtig ist, welche das komische Gefühl von einer beim Verstehen des Anderen sich ergebenden Aufwanddifferenz ableitet. Wahlen wir wiederum das Komische der Bewegung als Beispiel. Der Vergleich, der die Differenz liefert, lautet in bewußte Formeln gebracht: So macht es der, und : So würde ich es machen, so habe ich es gemacht. Dem Kinde fehlt aber der im zweiten Satze enthaltene Maßstab, es versteht einfach durch Nachahmung, es macht es ebenso. Die Erziehung des Kindes beschenkt dasselbe mit dem Standard : So sollst du es machen; bedient es sich desselben nun bei der Ver- gleichung, so liegt ihm der Schluß nahe : Der hat es nicht recht gemacht, und: Ich kann es besser. In diesem Falle lacht es den anderen aus, es verlacht ihn im Gefühle seiner Überlegenheit. Es steht nichts im Wege, auch dieses Lachen von der Aufwands- Freud, Der Witz. jt


ig4 VII. Der Witz und die Arten des Komischen.

differenz abzuleiten, aber nach der Analogie mit den bei uns sich ereignenden Fällen von Verlachen dürfen wir schließen, daß beim Überlegenheitslachen des Kindes das komische Gefühl nicht ver- spürt wird. Es ist ein Lachen reiner Lust. Wo bei uns das Urteil der eigenen Überlegenheit sich deutlich einstellt, da lächeln wir bloß anstatt zu lachen, oder wenn wir lachen, können wir dies Bewußtwerden unserer Überlegenheit doch vom Komi- schen, das uns lachen macht, deutlich unterscheiden.

Es ist wahrscheinlich richtig zu sagen, das Kind lache aus reiner Lust unter verschiedenen Umständen, die wir als „komisch"' empfinden und nicht zu motivieren verstehen, während die Motive des Kindes klare und angebbare sind. Wenn z. B. jemand auf der Straße ausgleitet und hinfällt, so lachen wir, weil dieser Ein- druck — unbekannt warum — komisch ist. Das Kind lacht im gleichen Falle aus Überlegenheitsgefühl oder aus Schadenfreude: Du bist gefallen, und ich nicht. Gewisse Lustmotive des Kindes scheinen uns Erwachsenen verloren zu gehen, dafür verspüren wir imter den gleichen Bedingungen das „komische" Gefühl als Ersatz für das Verlorene.

Dürfte man verallgemeinern, so erschiene es recht verlockend, den gesuchten spezifischen Charakter des Komischen in die Er- weckung des Infantilen zu verlegen, das Komische als das wieder- gewomiene „verlorene Kinderlachen" zu erfassen. Man könnte dann sagen, ich lache jedesmal über eine Aufwandsdifferenz zwischen dem Anderen und mir, wenn ich' in dem Anderen das Kind wieder- finde. Oder genauer ausgedrückt, der vollständige Vergleich, der zum Komischen führt, würde lauten:

So macht es der — Ich mache es anders —

Der macht es so, wie ich es als Kind gemacht habe.

Dieses Lachen gälte also jedesmal dem Vergleich zwischen dem Ich des Erwachsenen und dem Ich als Kind. Selbst die Ungleichsinnigkeit der komischen Differenz, daß mir bald das Mehr, bald das Minder des Aufwandes komisch erscheint, würde mit der infantilen Bedingtmg stimmen; das Komische ist dabei tatsächlich stets auf der Seite des Infantilen.

Es widerspricht dem nicht, daß das Kind selbst als Objekt der Vergleichung mir keinen komischen, sondern einen rein lust- vollen Eindruck macht; auch nicht, daß dieser Vergleich mit dem Infantilen nur dann komisch wirkt, wenn eine andere Verwendung der Differenz vermieden wird. Denn dabei kommen die Bedingungen der Abfuhr in Betracht. Alles was einen psychischen Vorgang in einen Zusammenhang einschließt, wirkt der Abfuhr der über-


Das Infantile und die Komik.


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schüssigen Besetzung entgegen und führt diese eine anderen Ver- wendung zu; was einen psychischen Akt isoHert, begünstigt die Abfuhr. Die bewußte Einstellung auf das Kind als Vergleichs- person macht daher die Abfuhr unmöglich, die zur komischen Lust erforderlich ist; nur bei vorbewußter Besetzung ergibt sich eine ähnliche Annäherung an die Isolierung, wie wir sie übrigens auch den seelischen Vorgängen im Kinde zuschreiben dürfen. Der Zusatz zum Vergleiche : So hab' ich es als Kind auch gemacht, von dem die komische Wirkung ausginge, käme also für mittlere Differenzen erst dann in Betracht, wenn kein anderer Zusammen- hang sich des frei gewordenen Überschusses bemächtigen könnte.

Verweilen wir noch bei dem Versuch, das Wesen des Komi- schen in der vorbewußten Anknüpfung an das Infantile zu finden, so müssen wir einen Schritt über Bergson hinaus tun und zu- geben, daß der das Komische ergebende Vergleich nicht etwa alte Kinderlust und Kinderspiel erwecken müsse, sondern daß es hinreiche, wenn er an kindliches Wesen überhaupt, vielleicht selbst an. Kinderleid rühre. Wir entfernen uns hierin von Berg- son, bleiben aber im Einklang mit uns selbst, wenn wir die komische Lust nicht auf erinnerte Lust, sondern immer wieder auf einen Vergleich beziehen. Vielleicht, daß die Fälle der ersteren Art das regelmäßig und unwiderstehlich Komische einigermaßen decken. Ziehen wir hier das vorhin angeführte Schema der komi- schen Möglichkeiten heran. Wir sagten, die komische Differenz würde gefunden entweder

a) durch einen Vergleich zwischen dem Anderen und dem Ich, oder &) durch einen Vergleich ganz innerhalb des Anderen, oder c) durch einen Vergleich ganz innerhalb des Ich's.

Im ersteren Falle erschiene der Andere mir als Kind, im zweiten ließe er sich selbst zum Kind herab, im dritten fände ich das Kind in mir selbst. Zum ersten Falle gehören das Komische der Bewegung und der Formen, der geistigen Leistung und des Charakters; das entsprechende Infantile wären der Bewegungsdrang und die geistige und sitthche Minderentwicklung des Kindes, so daß etwa der Dumme mir komisch würde, insoferne er mich an ein faules, der Böse, insoferne er an ein schlimmes Kind mahnt. Von einer dem Erwachsenen verloren gegangenen Kinderlust könnte man nur das eine Mal reden, wo die dem Kind eigene Bewegungsfreudigkeit in Betracht kommt.

Der zweite Fall, bei welchem die Komik ganz auf „Ein- fühlung" beruht, umfaßt die zahlreichsten MögUchkeiten, die Konuk der Situation, der Übertreibung (Karikatur), der Nach-

13*


196 Vn. Der Witz und die Arten des Komischen.

ahmung, der Herabsetzung und der Entlarvung. Es ist derjenige Fall, dem die Einführung des infantilen Gesichtspunktes am meisten 2u statten kommt. Denn die Situationskomik gründet sich zumeist auf Verlegenheiten, in denen wir die Hilflosigkeit des Kindes wiederfinden; die ärgste dieser Verlegenheiten, die Störung an- derer Leistungen durch die gebieterischen Anforderungen der natürhchen Bedürfnisse entspricht der dem Kinde noch mangeln- den Beherrschung der leiblichen Funktionen. Wo die Situations- komik durch Wiederholungen wirkt, stützt sie sich auf die dem Kinde eigentümliche Lust an fortgesetzter Wiederholung (Fragen, Geschichten erzählen), durch die es dem Erwachsenen zur Plage wird. Die Übertreibung, welche auch dem Erwachsenen noch Lust bereitet, insofeme sie eine Rechtfertigung vor dessen Kritik zu finden weiß, hängt mit der eigentümlichen Maßlosigkeit des Kindes, mit dessen Unkenntnis aller quantitativen Beziehungen zusammen, die es ja später kennen lernt als die qualitativen. Maß- halten, Ermäßigung auch der erlaubten Regungen ist eine späte Frucht der Erziehung und wird durch gegenseitige Hemmung der m einen Zusammenhang aufgenommenen seelischen Tätigkeiten gewonnen. Wo dieser Zusammenhang geschwächt wird, im Un- bewußten des Traumes, beim Monoideismus der Psychoneurosen tritt die Unmäßigkeit des Kindes wieder hervor.

Die Komik der Nachahmung hatte unserem Verständnis rela- tiv große Schwierigkeiten bereitet, solange wir das infantile Moment dabei außer Acht ließen. Die Nachahmung ist aber die beste Kunst des Kindes und das treibende Motiv der meisten seiner Spiele. Der Ehrgeiz des Kindes zielt weit weniger auf die Aus- zeichnung unter seinesgleichen als auf die Nachahmung der Großen. Von dem Verhältnis des Kindes zu den Erwachsenen hängt auch die Komik der Herabsetzung ab, der die Herablassung des Er- wachsenen im Kinderleben entspricht. Wenig anderes kann dem Kinde größere Lust bereiten, als wenn der Große sich zu ihm herabläßt, auf seine drückende Überlegenheit verzichtet und wie seinesgleichen mit ihm spielt. Die Erleichterung, die dem Kinde reine Lust schafft, wird beim Erwachsenen ais Herabsetzung zu einem Mittel des Komischmachens und zu einer Quelle komischer Lust. Von der Entlarvung wissen wir, daß sie auf die Herab- setzung zurückgeht.

Am meisten stößt auf Schwierigkeiten die infantile Begrün- dung des dritten Falles, der Komik der Erwartung, was wohl erklärt, daß jene Autoren, welche diesen Fall in ihrer Auffassung des Komischen vorangestellt haben, keinen Anlaß fanden, das


J


'


Der Humor. 197

infantile Moment für die Komik in Betracht zu ziehen. Das Komische der Erwartung liegt dem Kinde wohl am fernsten, die Fähigkeit, dieses zu erfassen, tritt bei ihm am spätesten auf. Das Kind wird in den meisten derartigen Fällen, die dem Erwachsenen komisch dünken, wahrscheinlich nur Enttäuschung empfinden. Man könnte aber an die Erwartmigsseligkeit und Leichtgläubigkeit des Kindes anknüpfen, um zu verstehen, daß man sich „als Kmd" komisch vorkommt, werm man der komischen Enttäuschung unterliegt.

Ergäbe sich nun auch aus dem Vorstehenden eine gewisse Walirscheinlichkeit für eine Übersetzung des komischen Gefühls die etwa lauten könnte: Komisch ist das, was sich für den Er- wachsenen nicht schickt, so fühle ich mich doch, vermöge memer ganzen Stellung zum komischen Problem, nicht kühn genug, diesen letzten Satz mit ähnlichem Ernst wie die vorhin aufgestell- ten zu verteidigen. Ich mag nicht entscheiden, ob die Herab- setzung zum Kinde nur ein Spezialfall der komischen Herabsetzung ist, oder ob alle Komik im Grunde auf einer Herabsetzung zum Kinde beruht.*)

Eine Untersuchung, die das Komische noch so flüchtig be- handelt, wäre in arger Weise unvollständig, wenn sie nicht wenig- stens einige Bemerkungen für den Humor übrig hatte. Die Wesensverwandtschaft zwischen beiden ist so wenig zweifelhaft, daß ein Erklärungsversuch des Komischen mindestens eine Kom- ponente zum Verständnis des Humors abgeben muß. Soviel des Treffenden und Erhebenden auch zur Wertschätzung des Humors vorgebracht worden ist, der, selbst eine der höchsten psychischen Leistungen, auch die besondere Gunst der Denker genießt, so können wir doch dem Versuche nicht ausweichen, sein Wesen durch eine Annäherung an die Formeln für den Witz und für das Komische auszudrücken.

Wir haben gehört, daß die Entbindung peinlicher Affekte das stärkste Hindernis der komischen Wirkung ist. Sowie die zweck- lose Bewegung Schaden stiftet, die Dummheit zum Unheil fuhrt, die Enttäuschung Schmerz bereitet, ist es mit der Möglichkeit eines komischen Effekts zu Ende, für den wenigstens, der sich

  • ) Daß die komische Lust ihre QueUe im „quantitativen Kontrast»

im Vergleich von Klein und Groß hat, welcher schließhch auch die wesentiiche Relation des Kindes zum Erwachsenen ausdrückt, das wäre in der Tat ein seltsames Zusammentreffen, wenn das Komische weiter nichts mit dem Infantilen zu tun hätte.


igg VII. Der Witz und die Arten des Komischen.

solcher Unlust nicht erwehren kann, selbst von ihr betroffen wird oder an ihr Anteil nehmen muß, während der Unbeteiligte durch sein Verhalten bezeugt, daß in der Situation des betreffenden Falles alles enthalten ist, was für eine komische Wirkung erfordert wird. Der Humor ist nun ein Mittel, um die Lust trotz der sie störenden peinlichen Affekte zu gewinnen; er tritt für diese Affekt- entwicklung ein, setzt sich an die Stelle derselben. Seine Be- dingung ist gegeben, wenn eine Situation vorliegt, in welcher wir imseren Gewohnheiten gemäß versucht sind, peinlichen Affekt zu entbinden, und wenn nun Motive auf uns einwirken, um diesen Affekt in statu nascendi zu unterdrücken. In den eben angeführten Fällen könnte also die vom Schaden, Schmerz usw. betroffene Person humoristische Lust gewinnen, während die unbeteiligte aus komischer Lust lacht. Die Lust des Humors entsteht dann, wir können nicht anders sagen, auf Kosten dieser unterbliebenen Affekt- entbindung, sie geht aus erspartem Affektaufwand hervor. Der Humor ist die genügsamste unter den Arten des Komi- schen; sein Vorgang vollendet sich bereits in einer einzigen Person, die Teilnahme einer anderen fügt nichts Neues zu ihm hinzu. Ich kann den Genuß der in mir entstandenen humoristischen Lust für mich behalten, ohne mich zur Mitteilung gedrängt zu fühlen- Es ist nicht leicht zu sagen, was bei der Erzeugung der humo- ristischen Lust in der einen Person vorgeht; man gewinnt aber eine gewisse Einsicht, wenn man die Fälle des mitgeteilten oder nachgefühlten Humors untersucht, in denen ich durch das Ver- ständnis der humoristischen Person zur gleichen Lust wie sie ge- lange. Der gröbste Fall des Humors, der sogenannte Galgen- humor mag uns darüber belehren. Der Spitzbube, der am Montag zur Exekution geführt wird, äußert: Na, diese Woche fängt gut an. Das ist eigendich ein Witz, denn die Bemerkung ist an sich ganz zutreffend, anderseits in ganz unsinniger Weise deplaciert, da es weitere Ereignisse in dieser Woche für ihn nicht geben wird. Es gehört aber Humor dazu, einen solchen Witz zu machen, d. h. über alles hinwegzusehen, was diesen Wochenbeginn vor anderen auszeichnet, den Unterschied zu leugnen, aus dem sich Motive zu ganz besonderen Gefühlsregungen ergeben könnten. Derselbe Fall, wenn er sich auf dem Wege zur Hinrichtung ein Halstuch für seinen bloßen Hals ausbittet, um sich nicht zu verkühlen, eine Vorsicht, die sonst ganz lobenswert wäre, bei dem nahe bevorstehenden Schicksal dieses Halses aber ungeheuer über- flüssig und gleichgiltig ist. Man muß sagen, es steckt etwas wie Seelengröße m dieser „Blague", in solchem Festhalten seines ge-



Ersparter Affektaufwand, loo

wohnten Wesens und Abwenden von dem, was dieses Wesen um- werfen lond zur Verzweiflung treiben sollte. Diese Art von Groß, artigkeit des Humors tritt dann, unverkennbar in Fällen hervor, 3n denen unsere Bewunderung keine Hemmung an den Umständen der humoristischen Person findet.

In V. Hugo's Hernani ist der Bandit, der sich in eine Verschwörung gegen seinen König, Karl I. von Spanien und Karl V. als deutscher Kaiser, eingelassen hat, in die Hände dieses seines großmächtigen Feindes gefallen; er sieht sein Schicksal als überführter Hochverräter voraus, sein Kopf wird fallen. Aber diese Voraussicht hält ihn nicht ab, sich als erbberechtigten Grande von Spanien erkennen zu geben und zu erklären, daß er auf kein Vorrecht eines solchen zu verzichten gedenke. Ein Grande von Spanien durfte in Gegenwart seines königlichen Herrn sein Haupt bedecken. Nun gut:

„Nos t^tes ont le droit

De tomber couvertes devant de toi."

Dies ist großartiger Humor, und wenn wir als Hörer dabei nicht lachen, so geschieht es, weil unsere Bewunderung die humoristische Lust deckt. Im Falle des Spitzbuben, der sich auf dem Wege zum Galgen nicht verkühlen will, lachen wir aus vollem Halse. Die Situation, die den Delinquenten zur Verzweiflung treiben sollte, könnte bei uns intensives Mitleid erregen; aber dies Mitleid wird gehemmt, weil wir verstehen, daß er, der näher Betroffene, sich aus der Situation nichts macht. Infolge dieses Verständnisses wird der Aufwand zum Mitleid, der schon in uns bereit war, unverwend- bar, und wir lachen ihn ab. Die Gleichgiltigkeit des Spitzbuben, von der wir aber merken, daß sie ihn einen großen Aufwand von psychischer Arbeit gekostet hat, steckt iras gleichsam an.

Erspartes Mitleid ist eine der häufigsten Quellen der humo- ristischen Lust. Der Humor Mark Twain's arbeitet gewöhn- lich mit diesem Mechanismus. Wenn er uns aus dem Leben seines Bruders erzählt, wie dieser als Angestellter einer großen Wegbau- unternehmung durch die vorzeitige Explosion einer Mine in die Luft zu fliegen kam, um weit entfernt von seinem Arbeitsorte wieder zur Erde zu kommen, so werden unvermeidlich Regungen des Mitgefühls für den Verunglückten in uns wach; wir möchten fragen, ob ihm bei diesem Unfall kein Schaden geschehen ist; aber die Fortsetzung der Geschichte, daß dem Bruder ein halber Tag Arbeitslohn abgezogen wurde „wegen Entfernung vom Arbeits- orte" lenkt uns vollständig vom Mitleid ab und macht uns beinahe


200 VII. Der Witz und die Arten des Komischen,

ebenso hartherzig wie jene Unternehmer, ebenso gleichgiltig gegen die etwaige Gesundheitsschädigung des Bruders. Ein andermal legt uns Mark Twain seinen Stammbaum vor, den er etwa bis auf einen Gefährten des Kolumbus zurückführt. Nachdem uns aber der Charakter dieses Ahnen geschildert wurde, dessen ganzes Gepäck aus mehreren Wäschestücken besteht, von denen jedes eine andere Märke trägt, können wir nicht anders als auf Kosten der ersparten Pietät lachen, in welche wir uns zu Beginn dieser Familiengeschichte zu versetzen gedachten. Der Mechanismus der humoristischen Lust wird dabei nicht durch unser Wissen gestört, daß diese Ahnengeschichte eine fingierte ist, und daß diese Fiktion der satirischen Tendenz dient, die Schönfärberei, die sich in solchen Mitteilungen Anderer kundgibt, bloßzustellen; er ist ebenso un- abhängig von der Realitätsbedingung wie im Falle des Komisch- machens. Eine andere Geschichte von Mark Twain, die berich- tet, wie sein Bruder sich ein unterirdisches Quartier herstellte, in das er Bett, Tisch und Lampe brachte, und das als Dach ein großes, in der Mitte durchlöchertes Stück Segeltuch bekam, wie aber in der Nacht, nachdem die Stube fertig geworden, eine heim- getriebene Kuh durch die Öffnung der Decke auf den Tisch herab- fiel und die Lampe auslöschte, wie der Bruder geduldig mithalf, das Tier hinaufzubefördem und die Einrichtung wiederherzustellen, wie er das gleiche tat, als sich die gleiche Störung in der nächsten Nacht wiederholte und dann jede weitere Nacht; eine solche Ge- schichte wird durch ihre Wiederholung komisch. Mark Twain beschließt sie aber mit der Mitteilung, der Bruder habe endlich in der 46sten Nacht, als wiederum die Kuh herabfiel, bemerkt: Die Sache fange an, monoton zu werden, und da können wir unsere humoristische Lust nicht zurückhalten, denn wir hätten längst zu hören erwartet, wie sich der Bruder über dies hartnäckige Malheur — geärgert. Den kleinen Humor, den wir etwa selbst in unserem Leben aufbringen, produzieren wir in der Regel auf Kosten des Ärgers, anstatt uns zu ärgern.*)

  • ) Die großartige humoristische Wirkung einer Figur wie des dicken

Ritters Sir John Falstaff beruht auf ersparter Verachtung und Ent- rüstung. Wir erkennen zwar in ihm den unwürdigen Schlemmer und Hochstapler, aber unsere Verurteilung wird durch eine ganze Reihe von Momenten entwaffnet. Wir verstehen, daß er sich genau so kennt, wie wir ihn beurteilen; er imponiert uns durch seinen Witz, und außerdem übt seine körperliche Mißgestalt eine Kontaktwirkung zu Gunsten einer komi- schen Auffassung seiner Person anstatt einer ernsthaften aus, als ob unsere Anforderungen von Moral und Ehre von einem so dicken Bauch abprallen müßten, Sein Treiben ist im Ganzen harmlos und wird durch


Arten des Humors. 20l

Die Arten des Humors sind außerordentlich mannigfach je nach der Natur der Gefühlserregmig, die zu Gunsten des Humors erspart wird: Mitleid, Ärger, Schmerz, Rührung usw. Die Reihe derselben erscheint auch unabgeschlossen, weil das Reich des Humors immer weitere Ausdehnung erfährt, wenn es dem Künstler oder Schriftsteller gelingt, bisher noch unbezwungene Gefühls- regungen humoristisch zu bändigen, sie durch ähnliche Kunstgriffe wie in den vorigen Beispielen zur Quelle humoristischer Lust zu machen. Die Künstler des „Si mplizis simus", z. B. haben Er- staunliches darin geleistet, den Humor auf Kosten von Grausen und Ekel zu gewinnen. Die Erscheinungsformen des Humors werden übrigens durch zwei Eigentümlichkeiten bestimmt, die mit den Bedingungen seiner Entstehung zusammenhängen. Der Humor kann erstens mit dem Witz oder einer anderen Art des Komischen verschmolzen auftreten, wobei ihm die Aufgabe zufällt, eine in der Situation enthaltene MögHchkeit von Affektentwicklung, die ein Hindernis für die Lustwirkung wäre, zu beseitigen. Er kann zweitens diese Affektentwicklung gänzlich aufheben oder bloß partiell, was sogar der häufigere Fall ist, weil die leichtere Leistung, und die verschiedenen Formen des „gebrochenen"*) Humors, den

die komische Niedrigkeit der von ihm Betrogenen fast entschnldigt Wir geben zu, daß der Arme bemüht sein darf zu leben und zu genießen wie ein Anderer, und bemitleiden ihn fast, weil wir ihn in den Hauptsituationen als Spielzeug in den Händen eines ihm weit Überlegenen finden. Damm können wir ihm nicht gram werden und schlagen alles, was wir bei ihm an Entrüstung ersparen, zur komischen Lust, die er sonst bereitet, hinzu. Sir John's eigener Humor geht eigentlich aus der Überlegenheit eines Ich's hervor, dem weder seine leiblichen noch seine moralischen Defekte die Heiterkeit und Sicherheit rauben können.

Der geistreiche Ritter Don Quijote de la Mancha ist hingegen eine Gestalt, die selbst keinen Humor besitzt und uns in ihrem Ernst eine Lust bereitet, die man eine humoristische nennen könnte, obwohl deren Mechanismus eine wichtige Abweichung von dem des Humors erkennen läßt. Don Quijote ist ursprünglich einerein komische Figur, ein großes Kind, dem die Phantasien seiner Ritterbücher zu Kopfe gestiegen sind. Es ist bekannt, daß der Dichter anfangs nichts anderes mit ihm wollte, und daß das Geschöpf allmählich weit über die ersten Absichten des Schöpfers hinauswuchs. Nachdem aber der Dichter diese lächerliche Person mit der tiefsten Weisheit und den edelsten Absichten ausgestattet und sie zum symbolischen Vertreter eines Idealismus gemacht hat, der an die Verwirklichung seiner Ziele glaubt, Pflichten ernst und Versprechen wört- hch nimmt, hört diese Person auf komisch zu wirken. Ähnlich wie sonst die humoristische Lust durch Verhinderung einer Gefühlserregung entsteht sie hier durch Störung der komischen Lust. Doch entfernen wir uns mit diesen Beispielen bereits merklich von den einfachen Fällen des Humors.

  • ) Ein Terminus, der in der Ästhetik von Fr. Th, Vischer in ganz

anderem Sinne verwendet wird.


302 VII, Der Witz und die Arten des Komischen.

Humor, der unter Tränen lächelt, ergibt. Er entzieht dem Affekt einen Teil seiner Energie und gibt ihm dafür den humoristischen Beiklang.

Die durch Nachfühlen gewonnene humoristische Lust ent- springt, wie man an obigen Beispielen merken konnte, einer be- sonderen, der Verschiebung vergleichbaren Technik, durch welche die bereit gehaltene Affektentbindung enttäuscht und die Be- setzung auf anderes, nicht selten auf Nebensächliches gelenkt wird. Für das Verständnis des Vorganges, durch welchen in der humo- ristischen Person selbst die Verschiebung von der Affektentwicklung weg vor sich geht, ist aber hiemit nichts gewonnen. Wir sehen, daß der Empfänger den Schöpfer des Humors in seinen seelischen Vorgängen nachahmt, erfahren aber nichts dabei über die Kräfte, welche diesen Vorgang bei letzterem ermöglichen.

Man kann nur sagen, wenn es jemandem z. B. gelingt, sich über einen schmerzlichen Affekt hinwegzusetzen, indem er sich die Größe der Weltinteressen als Gegensatz zur eigenen Kleinheit vor- hält, so sehen wir darin keine Leistung des Humors, sondern des philosophischen Denkens und haben auch keinen Lustgewinn, wenn wir uns in seinen Gedankengang hineinversetzen. Die humoristische Verschiebung ist also in der Beleuchtung der bewußten Aufmerk- samkeit ebenso unmöglich wie die komische Vergleichung ; sie ist wie diese an die Bedingung, vorbewußt oder automatisch zu bleiben, gebunden.

Zu einigem Aufschluß über die humoristische Verschiebung gelangt man, wenn man sie im Lichte eines Abwehrvorganges betrachtet. Die Abwehrvorgänge sind die psychischen Korrelate des Fluchtreflexes und verfolgen die Aufgabe, die Entstehung von Unlust aus inneren Quellen zu verhüten; in der Erfüllung dieser Aufgabe dienen sie dem seelischen Geschehen als eine automatische Regulierung, die sich schließlich allerdings als schädlich heraus- stellt und darum der Beherrschung durch das bewußte Denken unterworfen werden muß. Eine bestimmte Art dieser Abwehr, . die mißglückte Verdrängung, habe ich als den wirkenden Mechanis- mus für die Entstehung der Psychoneurosen nachgewiesen. Der Humor kann nun als die höchststehende dieser Abwehrleistungen aufgefaßt werden. Er verschmäht es, den mit dem peinhchen Affekt verknüpften Vorstellungsinhalt der bewußten Aufmerksam- keit zu entziehen, wie es die Verdrängung tut, und überwindet somit den Abwehrautomatismus; er bringt dies zu stände, indem er die Mittel findet, der bereit gehaltenen Unlustentbindung ihre Energie zu entziehen und diese durch Abfuhr in Lust zu verwandeln.


k


Stellung des Humors zu Witz und Komik. 203

Es ist selbst denkbar, daß wiederum der Zusammenhang mit dem Infantilen ihm die Mittel zu dieser Leistung zur Verfügung stellt. Im Kinderleben allein hat es intensive peinliche Affekte gegeben, über welche der Erwachsene heute lächeln würde, wie er als Humorist über seine gegenwärtigen peinhchen Affekte lacht. Die Erhebung seines Ich's, von welcher die humoristische Verschiebung Zeugnis ablegt — deren Übersetzung doch lauten würde : I ch bin zu groß(artig), als daß diese Anlässe mich peinUch berühren sollten — , köimte er wohl aus der Vergleichung seines gegen- wärtigen Ich's mit seinem kindlichen entnehmen. Einigermaßen unterstützt wird diese Auffassung durch die Rolle, die dem In- fantilen bei den neurotischen Verdrängungsvorgängen zufällt.

Im ganzen steht der Humor dem Komischen näher als dem Witz. Er hat mit jenem auch die psychische Lokalisation im Vorbewußten gemeinsam, während der Witz, wie wir annehmen mußten, als Kompromiß zwischen Unbewußtem und Vorbewußtem gebildet wird. Dafür hat er keinen Anteil an einem eigentüm- lichen Charakter, in welchem Witz und Komik sich treffen, den wir vielleicht bisher nicht scharf genug hervorgehoben haben. Es ist Bedingung für die Entstehung des Komischen, daß wir ver- anlaßt werden, gleichzeitig oder in rascher Aufein- anderfolge für die nämliche Vorstellungsleistung zweierlei verschiedene Vorstellungsweisen anzuwenden, zwischen denen dann die „Vergleichung" statt hat, und die komische Differenz sich ergibt. Solche Aufwandsdifferenzen entstehen zwischen dem Fremden und dem Eigenen, dem Gewohnten und dem Veränderten, dem Er- warteten und dem Eingetroffenen.*)

Beim Witz kommt die Differenz zwischen zwei sich gleich- zeitig ergebenden Auffassungsweisen, die mit verschiedenem Auf- wand arbeiten, für den Vorgang beim Witzhörer in Betracht. Die eine dieser beiden Auffassungen macht, den im Witze enthaltenen Andeutimgen folgend, den Weg des Gedankens durch das Unbe- wußte nach, die andere verbleibt an der Oberfläche und stellt den Witz wie einen sonstigen aus dem Vorbewußten bewußt gewordenen Wortlaut vor. Es wäre vielleicht keine unberechtigte Darstellung,


•) Wenn man sich nicht scheut, dem Begriff Erwartung einigen Zwang anzutun, kann man nach dem Vorgange vonLipps ein sehr großes Gebiet des Komischen der Erwartungskomik zurechnen, aber gerade die wahr- scheinlich ursprünglichsten Fälle der Komik, die aus der Vergleichung eines fremden Aufwandes mit dem eigenen hervorgehen, würden sich dieser Zusammenfassung am wenigsten fügen.


304 ^^^- ^^^ 'Witz und die Arten des Komischen.

wenn man die Lust des angehörten Witzes aus der Differenz dieser beiden Vorstellungsweisen ableiten würde.*)

Wir sagen hier vom Witze das nämliche aus, was wir als seine Janusköpfigkeit beschrieben haben, solange uns die Be- ziehung zwischen Witz und Komik noch unerledigt erschien.**)

Beim Humor verwischt sich der hier in den Vordergrund gerückte Charakter. Wir verspüren zwar die humoristische Lust, wo eine Gefühlsregung vermieden wird, die wir als eine der Situation gewohnheitsmäßig zugeordnete erwartet hätten, und iu- soferne fällt auch der Humor unter den erweiterten Begriff der Erwartungskomik. Aber es handelt sich beim Humor nicht mehr um zwei verschiedene Vor stellungs weisen desselben Inhaks; daß die Situation durch die zu vermeidende Gefühlserregung mit Un- lustcharakter beherrscht wird, macht der Vergleichbarkeit mit dem Charakter beim Komischen und beim Witze ein Ende. Die humo- ristische Verschiebung ist eigentlich ein Fall jener andersartigen Verwendung eines frei gewordenen Aufwandes, der sich als so gefährlich für die komische Wirkung herausgestellt hat.

Wir stehen nun am Ende unserer Aufgabe, nachdem wir den Mechanismus der humoristischen Lust auf eine analoge Formel zurückgeführt haben wie für die komische Lust und den Witz. Die Lust des Witzes schien uns aus erspartem Hemmuno-s- aufwand hervorzugehen, die der Komik aus erspartem Vor- stellung s-(Besetzungs-)a ufw an d, und die des Humors aus er-

  • ) Man kann an dieser Formel ohne weiteres festhalten, denn sie

lauft auf mchts heraus, was im Widerspruch zu früheren Erörtemngen stunde. Die Differenz zwischen den beiden Aufwänden muß sich im wesent- lichen auf den ersparten Hemmungsaufwand reduzieren. Das Fehlen dieser Hemmungsersparung beim Komischen und der Wegfall des quantitativen Kontrastes beim Witze würden, bei aller Übereinstimmung im Charakter der zweierlei Vorstellungsarbeit für die nämliche Auffassung, den Unter- schied des komischen Gefühls vom Eindruck des Witzes bedingen.

_ **> Die Eigentilniiichkeit der »Double face« ist den Autoren natürKch mcbt entgangen. M 61 in au d, dem ich obigen Ausdruck entnahm (Pourquoi nt-on ? Revue des deux mondes, Februar, 1895), faßt die Bedingung für das Lachen m folgende Formel: Ce qui fait rire, c'est ce qui est ä la fois d'un cöt^, absurde et de l'autre, famiüer. Die Formel paßt auf den Witz besser als aufs Komische, deckt aber auch den ersteren nicht ganz. - ßergson (1. c, S. gS) definiert die komische Situation durch die „inter- f^rence des sdries": ,,Une Situation est toujours comique quand eile appar- üentenm6me temps ä deux sdries d'ev^nements absolument independantes, et qu'elle peut s'interpreter ä la fois dans deux sens tout diff^rents." — Für Lipps ist die Komik „die Größe und Kleinheit desselben".


Die Formeln für Witz, Komik, Humor. 205

spartem Gefühlsaufwand. In allen drei Arbeitsweisen un- seres seelischen Apparats stammt die Lust von einer Ersparung; alle drei kommen darin üherein, daß sie Methoden darstellen, um aus der seelischen Tätigkeit eine Lust wiederzugewinnen, welche eigentlich erst durch die Entwicklung dieser Tätigkeit verloren gegangen ist. Denn die Euphorie, welche wir auf diesen Wegen zu erreichen streben, ist nichts anderes als die Stimmung einer Lebenszeit, in welcher wir unsere psychische Arbeit überhaupt mit geringem Aufwand zu bestreiten pflegten, die Stimmung unserer Kindheit, in der wir das Komische nicht kannten, des Witzes nicht fähig waren und den Humor nicht brauchten, um uns im Leben glücklich zu fühlen.


Inhaltsverzeichnis.


Seite

A. Analytischer Teil.

I. Einleitung l

IL Die Technik des Witzes 8

m. Die Tendenzen des Witzes 73

B. Synthetischer Teil.

IV. Der Lustmechanismus und die Psychogenese des Witzes . . 98 V. Die Motive des Witzes. — Der Witz als sozialer Vorgang , . . 118

C. Theoretischer Teil.

VI. Die Beziehung des Witzes zum Traum und zum Unbewußten. 135 VII. Der Witz und die Arten des Komischen 155





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