Negerplastik  

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Negerplastik (1915) is an art book by Carl Einstein, credited as being one of first important books acknowledging African art in Europe (and especially its relationship to Cubism).

Full text[1]

Presented to the

LIBRARY o/r/ie

UNIVERSITY OF TORONTO

by

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NEGEEPLASTIK


NEGERPLASTIK

VON

CARL EINSTEIN


MIT 119 ABBILDUNGEN


VERLAG DER WEISSEN BÜCHER / LEIPZIG

1915


COPYRIGHT 1915 BY VERLAG DER WEISSEN BÜCHER. LEIPZIG GEDRÜCKT IN DER OFFIZIN A. TH. ENGELHARDT, LEIPZIG


Anmerkungen zur Methode

Kaum einer Kunst nähert sich der Europäer dermaßen mißtrauisch, wie der afrikanischen. Zunächst ist er hier geneigt, überhaupt die Tatsache „Kunst" zu leugnen und drückt den Abstand, der zwischen diesen Gebüden und der kontinentalen Einstellung sich auftut, durch eine Verachtung aus, die sich geradezu eine verneinende Terminologie schuf. Dieser Abstand und die Vorurteile, die hieraus folgen, erschweren jegliche ästhetische Ein- schätzung, ja verhindern sie gänzlich; denn eine solche setzt zunächst ein Angenähert-sein voraus. Der Neger jedoch gilt von Beginn an als der inferiore Teil, der rücksichtslos zu bearbeiten ist, und das von ihm Ge- botene wird a priori als ein Manko verurteüt. Leichtfertig deutete man recht vage Evolutionshypothesen auf ihn zurecht; er mußte dem einen sich ausliefern, um einen Fehlbegriff von Primitivität abzugeben, andere wiederum putzten an dem hilflosen Objekt so überzeugend falsche Phrasen auf, wie Völker ewiger Urzeit und so fort. Man hoffte im Neger so etwas von Beginn zu fassen, einen Zustand, der aus dem Anfangen nie heraus- gelange. Nicht zum wenigsten beruhen viele Meinungen über den afri- kanischen Menschen auf solchen Vorurteilen, die zugunsten einer bequemen Theorie hergerichtet wurden. Der Europäer beansprucht in seinen Urteilen über die Neger eine Voraussetzung, nämlich die einer unbedingten, ge- radezu phantastischen Überlegenheit.

De facto entspricht unsere Nichtachtung des Negers lediglich einem Nichtwissen über ihn, das ihn nur zu Unrecht belastet.

Vielleicht ergibt sich aus den Bildtafeln folgendes: der Neger ist kein nicht entwickelter Mensch ; es ging eine bedeutsame afrikanische Kultur zu Grunde; der heutige Neger entspricht einem möglichen „antiken" viel- leicht wie der Fellache dem alten Ägypter.

Einige Probleme der neueren Kunst veranlaß ten ein weniger leichtfertiges Eindringen in die Kunst afrikanischer Völker; -wie immer verursachte auch hier ein aktuelles Kunstgeschehen, daß man eine entsprechende Ge-


ANMEEKUNGEN ZÜE METHODE


schichte bilde: in ihrer Mitte erhob sich die Kunst der afrikanischen Völker. Was vorher sinnlos erschien, gewann in den jüngsten Bestrebungen des bildenden Künstlers Bedeutung; man erriet, daß kaum irgendwo bestimmte Eaumprobleme und eine besondere Weise des Kunstschaffens in dieser Eeinheit gebildet waren, wie bei den Negern. Es ergab sich; das bisher gefällte Urteil über den 'Neger und seine Kunst bezeichnete eher den Eichtenden als das Objekt. Der neuen Beziehung entsprach alsbald eine neue Leidenschaft ; man sammelte Negerkunst als Kunst ; passioniert, das ist: in berechtigter Aktivität bildete man aus den alten Materialien ein neu gedeutetes Objekt.

Die kurze Darstellung afrikanischer Kunst wird sich den Erfahrnissen neuerer Kunst nicht entziehen dürfen, zumal das geschichtlich Wirkende stets Folge der. unmittelbaren Gegenwart ist. Jedoch sollen diese Be- ziehungen erst später entwickelt werden, um auf einem Gegenstand zu verharren und nicht durch Vergleiche zu stören.

Die Kenntnisse von afrikanischer Kunst sind im ganzen gering und unbestimmt; außer einigen Beninarbeiten ist nichts datiert; mehrere Typen von Kunstwerken werden nach den Fundorten bestimmt, jedoch glaube ich hieraus keinen Nutzen ziehen zu dürfen. Die Völkerschaften wanderten und schoben sich in Afrika; außerdem muß man annehmen, daß auch hier, wie anderswo, die Stämme um die Fetische kämpften und der siegreiche Stamm die Götter des Unterlegenen sich zueignete, um ihrer Kräfte und ihres Schutzes teilhaftig zu werden. Gänzlich verschiedene Stüe rühren oft aus einer Gegend her; mehrere Erklärungsweisen können hier auf- treten, ohne daß man entscheiden dürfte, welche berechtigt wäre; man kann in diesem Fall annehmen, es handle sich um frühere und spätere Kunst, oder zwei Stile bestanden gleichzeitig nebeneinander, oder eine Kunst- art sei importiert. In jedem Falle, weder die geschichtlichen noch geo- graphischen Kenntnisse erlauben vorläufig auch nicht die bescheidenste Kunstbestimmung. Der Einwand liegt nahe, man möge aus einem stü- kritischen Aufbau eine geschichtliche Eeihe erzwingen und vom Einfachen zum Zusammengesetzten vordringen. Man begebe sich der Einbüdung, Einfaches und Erstes seien möglich identisch; gar zu gern erschleicht man, daß die Voraussetzung und die Methode des Denkens auch Beginn

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ANMEEKÜNGEN ZUE METHODE


und Art des Geschehens sei, während jedes Anfangen, worunter ich allerdings ein individuelles und relatives Beginnen verstehe — denn anderes ist nie tatsächlich festzustellen — höchst zusammengesetzt ist, da der Mensch noch im einzelnen viel, ja zu vieles ausdrücken möchte.

Drum erscheint der Versuch, etwas über afrikanische Plastik auszusagen, als ziemlich hoffnungslos. Zumal, da eine Majorität noch den Beweis fordert, daß jene überhaupt Kunst sei. So muß man fürchten, auf die Beschreibung äußerer Tatsachen verwiesen zu bleiben, die niemals anderes ergibt, wie, ein Lendenschurz sei eben ein Lendenschurz, die an keiner Stelle zu einem allgemeinen Schluß übergeht, welchem Gesamtgebiet denn all diese Lendenschürze und wulstigen Lippen angehören. (Kunst als ein Mittel zu anthropologischen oder ethnographischen Einsichten an- zusehen, erscheint mir dubios, da die künstlerische Darstellung kaum etwas über die Tatsachen aussagt, woran eine solche wissenschaftliche Kenntnis gebunden ist.)

Trotzdem, man wird von der Tatsache und nicht einem unter- schobenen Surrogat ausgehen. Ich glaube, sicherer als alle mögliche Kenntnis ethnographischer usw. Art gilt die Tatsache : die afrikanischen Skulpturen! Man wird das Gegenständliche, respektive die Gegenstände der Umgebungsassoziationen ausschalten und diese Bildungen als Gebilde analysieren. Man wird versuchen, ob sich aus dem Formalen der Skulp- turen die Gesamtvorstellung einer Form ergibt, die denen über Kunst- formen homogen ist. Eines jedoch wird unbedingt zu befolgen, eines zu vermeiden sein: man halte sich an die Anschauung und schreite inner- halb ihrer spezifischen Gesetze fort; nirgendwo aber unterschiebe man der Anschauung oder dem aufgespürten Schöpferischen die Struktur der eigenen Überlegung: man unterlasse das Interpolieren bequemer Evo- lutionen und stelle den Denkvorgang nicht dem schöpferischen Kunst- geschehen gleich; man begebe sich des Vorurteils, seelische Vorgänge könnten einfach mit umgekehrten Vorzeichen versehen werden, und Kunstnachdenken kontrastiere einfach dem Kunstschaffen; vielmehr ist jenes ein generell verschiedener Vorgang, der gerade die Form und ihre Welt überschreitet, um das Kunstwerk dem allgemeinen Geschehen einzuordnen.


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ANMEEKUNGEN ZUE METHODE


Das Besclireiben der Skulpturen als formaler Gebilde leistet jedoch erheblich mehr als ein Gegenständliches ; die gegenständliche Aufzählung überschreitet das gegebene Gebilde, indem dies nicht als Gebilde, sondern als Führer zu irgendeiner Praxis, die nicht in seiner Ebene liegt, umge- braucht wird. Die Analyse der Formen hingegen verbleibt in dem un- mittelbar Gegebenen; denn nur irgendwelche Formen sind vorauszusetzen; jedoch dienen diese eher einem Erfassen als einzelne Dinge, da sie als Formen zugleich über Sehweisen und Gesetze der Anschauung aussagen, also gerade zu einer Erkenntnis hinzwingen, die in der Sphäre des Ge- gebenen verharrt.

Wird eine formale Analyse möglich, die sich auf bestimmte eigentüm- liche Einheiten des Eaumschaffens und Schauens bezieht und sie umkreist, so ist implizite erwiesen, daß die gegebenen Gebilde Kunst sind. Vielleicht mag man einwenden, eine Neigung zum Generalisieren und ein vorge- setzter Wille diktierten insgeheim einen solchen Schluß. Dies ist falsch; denn die Einzelform umschließt die gültigen Elemente der Anschauung, ja stellt sie dar, da diese nur als Form vorgestellt werden können. Der Einzelfall hingegen berührt das Eigentümliche des Begriffes nicht, viel- mehr verhalten sich beide dualistisch zueinander. Gerade die wesentliche Übereinstimmung der allgemeinen Anschauung und der Eealisierung machen eben das Kunstwerk aus. Weiter bedenke man: das Kunst- schaffen ist ebenso „willkürlich" wie die notwendige Neigung, die ein- zelnen Formen der Anschauung zu Gesetzen zu verknüpfen; denn in beiden Fällen wurde ein Organisieren angestrebt und erreicht.


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Das Malerische

Der üblichen Verständnislosigkeit des Europäers für afrikanische Kunst entspricht die stilistische Kraft derselben: stellt sie doch einen be- deutenden Fall plastischen Sehens dar.

Man darf behaupten, daß die Plastik des Kontinentalen von malerischen Surrogaten stark durchkreuzt ist. Im Hüdebrandschen „Problem der Form" besitzen wir den idealen Ausgleich des Malerischen und Plastischen ; eine so auffallende Kunst wie die französische Plastik scheint bis Eodin gerade um die Auflösung des Plastischen sich zu bemühen. Selbst die Frontalität, worin man eine strenge „primitive" Formklärung zu sehen pflegt, muß als malerisches Erfassen des Kubischen bezeichnet werden; denn hier wird das Dreidimensionale in einige Ebenen auf summiert, die das Kubische unterdrücken ; betont man doch die dem Beschauer nächsten Teüe und ordnet man sie zu Flächen, während man die zurückliegenden TeUe als beiläufige Modulation der Vorderfläche ansieht, die dynamisch geschwächt wird. Man betont die gegenständlich vorn plazierten Motive. In anderen Fällen ersetzte man das Kubische durch ein gegenständliches Bewegungsäquivalent oder eskamotierte durch eine gezeichnete oder modellierte Formbewegung das Entscheidende, den unmittelbaren Aus- druck der dritten Dimension. Selbst perspektivische Versuche beein- trächtigten das plastische Sehen. So versteht man leicht, daß seit der Eenaissance die nötigen, bestimmten Grenzen zwischen Freiplastik und Eelief immer tiefer versanken, und die malerische Erregung, ein nur materiell Kubisches (Masse) umspielend, jeglichen dreidimensionalen Formbau überwuchs. Unschwer ergab sich hieraus, daß Maler und nicht Plastiker entscheidende Fragen über das Dreidimensionale anhoben.

Es erhellt ohne Weiteres, daß unsere Kunst bei solchen formalen Ten- denzen eine gänzliche Vermischung des Malerischen und Plastischen passieren mußte (Barock) und solch Verfahren nur mit einer völligen N^iederlage der Plastik enden konnte, die, um wenigstens den Erregungs-

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DAS MALEEISCHE


zustand des Yerfertigers zu bewahren und auf den Beschauer zu über- tragen, gänzlich impressionistisch und malerisch sein mußte. Das Drei- dimensionale war wegempfunden; die persönliche Handschrift überwog. Diese Formgeschichte war nötig einem seelischen Geschehen verpflichtet. Kunstkonventionen erschienen gleich Paradoxe; Übereinkunft war ein möglichst gesteigerter Schöpfer und demgemäß ein möglichst angeregter Beschauer; die Dynamik der individuellen Prozesse überwog; sie galten, und bei ihnen verharrte man mit besonderem Ji^achdruck. Die Entscheidung war in Vor- und Nachspiele gelegt, das Werk zerrann immer mehr zu einem Leiter psychologischer Erregung; das individuell Fließende, Verursacher und Bewirktes wurden fixiert. Diese Plastik waren eher Bekenntnisse einer Genetik als objektivierte Formen, eher blitzartige Berührung zweier Individuen; der Dramatik des Urteils über Kunstwerke legte man öfters eine größere Wichtigkeit bei als diesen selbst. Nötig mußte jeder prägnante Kanon der Form und des Schauens gelöst werden.

Ein immer stärkeres Entfalten der Plastizität wurde erstrebt, ein spältigeres Vervielfältigen der Mittel. Gegen die tatsächliche Unplastizität vermochte auch die realistisch geputzte Sage vom ,, ab getasteten" Modell nichts, vielmehr bestätigte gerade sie den Mangel einer gründlichen und einheitlichen Eaumkonzeption.

Ein solches Verhalten zerstört die Distanz zu den Dingen und wertet nur den funktionellen Sinn, der in ihnen dem Individuum aufbewahrt ist. Diese Art Kunst bedeutet die potentielle Ansammlung eines mög- lichst großen funktionellen Effektes.

Ja wir sahen, daß dies potentielle Moment, der Zuschauer, in einigen neueren Versuchen virtuell und sichtlich gemacht wurde. Wenige Stile, die in Europa auftraten, schieden sich hiervon, insbesondere der romanisch- byzantinische : jedoch seine orientalische Herkunft ist erwiesen und gleich bekannt ist die ziemlich rasche Umwandlung zur Bewegtheit (Gothik).

Der Zuschauer wurde in die Plastik verwebt, er wurde ihre nicht mehr trennbare Funktion (z. B. perspektivische Plastik); er verband sich in dem überwiegend psychologischen Umwerten der Person des Verfertigers, wenn er dieser urteüend nicht widersprach. Die Plastik


DAS MALERISCHE


war Konversationsstoff zweier Menschen. Einen derart gerichteten Plastiker mußte vor allem interessieren, die Wirkung und den Beschauer voraus zu bestimmen; um die Wirkung vorweg zu nehmen und zu er- proben, lag ihm nahe, sich selbst in den Betrachter zu verwandeln (futuristische Plastik) und die Skulpturen müssen als Umschreibung des Effektes angesehen werden. Das seelisch-zeitliche Moment überwog vollständig die räumliche Bestimmtheit. Um das, wenn auch öfters un- bewußte Ziel der Mühe zu erreichen, stellte man die Identität zwischen dem Beschauer und dem Verfertiger her; denn nur so war ein uneinge- schränktes Wirken möglich.

Es bezeichnet diesen Sachverhalt, daß man die Wirkung auf den Be- schauer zumeist als Umkehren des schöpferischen Vorgangs, wenn sie auch als wenig intensiv charakterisiert wird, ansieht. Der Plastiker unterwarf sich der Majorität der seelischen Vorgänge und verwandelte sich selbst zum Beschauer. Stets nahm er bei der Arbeit einen Abstand, der dem künftigen Beschauer entsprach und modellierte die Wirkung; er verlegte das Schwergewicht in die Sehtätigkeit jenes und modellierte in Touches, damit erst der Beschauer die eigentliche Form bilde. Die Eaumkonstruktion wurde einem sekundären, ja fremden Mittel, nämlich der materiellen Bewegung geopfert ; die Voraussetzung aller Plastik, der kubische Eaum, war vergessen.

Vor wenigen Jahren erlebten wir in Frankreich die neubestimmende Krisis. Durch eine ungeheuere Anstrengung des Bewußtseins erkannte man die unsachliche Fraglichkeit des Verfahrens. Einige Maler verfügten über genügende Kraft vom mechanisch weiterrutschenden Handwerk abzusehen; losgelöst von den üblichen Mitteln untersuchten sie die Elemente der Eaumanschauung, was denn diese erzeuge und bestimme. Die Ergebnisse dieser wichtigen Mühe sind hinreichend bekannt. Zugleich entdeckte man notwendig die Negerjjlastik und erkannte, daß sie isoliert die reinen plastischen Formen gezüchtet hat.

Üblicherweise bezeichnet man die Bemühungen dieser Maler als Ab- straktion, wiewohl sich nicht leugnen läßt, daß nur mit einer ungeheueren Kritik der verirrten Umschreibungen man sich einer unmittelbaren Raumauffassung nähern konnte. Dies jedoch ist wesentlich und scheidet

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DAS MALEBISCHE


die i«regerplastik kräftig von solcher Kunst, die an ihr sich orientierte und ihr Bewußtsein gewann; was hier als Abstraktion erscheint, ist dort unmittelbar gegebene Natur. Die Negerplastik wird sich im formalen Sinn als stärkster Eealismus erweisen.

Der heutige Künstler agiert nicht nur für die reine Form, er spürt diese noch als Opposition seiner Vorgeschichte und verwebt seinem Streben das allzu Eeaktive; seine nötige Kritik verstärkt das Analytische.


XII


Religion und afrikanische Kunst

Die Kunst des :^regers ist vor allem religiös bestimmt. Die Bildwerke werden verehrt, wie bei irgendeinem antiken Volke. Der Verfertiger arbeitet sein Werk als die Gottheit oder ihr Bewahrer, das heißt, er besitzt von Beginn an Distanz zum Werk, das der Gott ist oder ihn festhält. Seine Arbeit ist entfernte Adoration und somit das Werk a priori etwas Selbständiges, mächtiger als der Verfertiger ; zumal dieser seine gesamte Intensität in das Werk hineinarbeitet und somit als der Schwächere diesem sich opfert. Seine Arbeit muß als religiöser Dienst bezeichnet werden. Das Werk als Gottheit ist frei und losgelöst von jeglichem; Arbeiter wie Adorant stehen zu ihm in unmeßbarem Ab- stand. Jenes wird sich nie dem menschlichen Geschehen vermischen und wenn, so als der Mächtige und wiederum Distanzierte. Die Trans- zendenz des Werkes ist im Eeligiösen bedingt und vorausgesetzt. Es wird in Adoration, in einem Grauen vor dem Gott geschaffen und das gleiche ist seine Wirkung. Verfertiger und Anbeter sind a priori seelisch, das ist wesentlich identisch; der Effekt liegt nicht im Kunstwerk, sondern in seinem vorausgesetzten, unbestrittenen Gottsein. Der Künstler wird sich nicht vermessen, neben dem Gott wetteifernd eine Wirkung anzustreben; diese ist sicher gegeben und vorausbestimmt. Das Kunst- werk als Mühe um einen Effekt ist hier sinnlos, zumal die Idole oft im Dunkeln adoriert werden.

Der Künstler erarbeitet ein Werk, das selbständig, transzendent und unverwoben bleibt. Dieser Transzendenz entspricht eine räumliche An- schauung, die jede Funktion des Beschauers ausschließt; ein vollständig erschöpfter, totaler und unfragmentarischer Raum muß gegeben und verbürgt sein. Abgeschlossenheit des Raumes bedeutet hier nicht Ab- straktion, sondern ist unmittelbare Empfindung. Die Geschlossenheit ist nur garantiert, wenn das Kubische völlig geleistet ist, dem nichts hinzugefügt werden kann. Die Aktivität des Beschauers kommt nicht

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RELIGION UND AFRIKANISCHE KUNST


in Frage. (Handelt es sich um religiöse Malerei, so wird diese gänzlich auf die Bildfläche sich beschränken, damit ein Gleiches erreicht werde. Einer solchen Malerei ist also nicht vom Dekorativen oder Ornamentalen her beizukommen; dies sind sekundäre Folgen.)

Ich sagte, das Dreidimensionale muß vollkommen und ungemindert geleistet sein, die Anschauung ist religiös vorausbestimmt und wird vom religiösen Kanon gefestigt. Mit dieser Bestimmung des Schauens ist ein Stil geleistet, der keiner Willkür des einzelnen unterliegt, sondern kanonisch bestimmt ist und nur durch religiöse Umwälzungen verändert werden kann. Der Beschauer adoriert die Bilder oft im Dunkeln, ist betend ganz vom Gott beansprucht und diesem völlig hingegeben, so daß er kaum auf die Art des Kunstwerks einwirken, ja achten wird. Die Situation bleibt die gleiche, wenn ein König oder Häuptling dar- gestellt wird; ja auch im Bildwerk des gemeinen Mannes wird ein Gött- liches angeschaut, ja verehrt; auch hier bestimmt dieses das Werk. In einer solchen Kunst finden individuelles Modell und Porträt keinen Platz, höchstens als profane Nebenkunst, die sich der religiösen Kunst- übung kaum entziehen kann oder als unwesentlicheres Gebiet, wenig geachtet, kontrastiert. Das Werk wird als Typus der adorierten Ge- walt aufgerichtet.

Es bezeichnet die Negerplastiken, daß sie eine starke Verselbständigung der Teile aufweisen ; auch dies ist religiös bedingt. Jene sind nicht vom Beschauer, sondern von sich aus orientiert; die Teile werden von der engen Masse aus empfunden, nicht in abschwächender Entfernung; somit werden sie und ihre Grenzen verstärkt sein.

Weiter fällt auf: die meisten dieser Arbeiten entbehren des Sockels und ähnlicher Aufstellungszutaten, was verwundern könnte, da die Statuen in unserem Sinn äußerst dekorativ sind. Jedoch wird der Gott nie anders vorgestellt denn als selbständiges Wiesen, keiner Hilfe be- dürftig. Fromme, verehrende Hände mangeln ihm nicht, wenn er vom Adoranten einherge tragen wird.

Eine solche Kunst wird selten das Metaphysische verdinglichen, da es als selbstverständlich vorausgesetzt ist. Es wird sich gänzlich in der vollständigen Form dartun müssen und in ihr erstaunlich intensiv sich

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EELIGION UND AFRIKANISCHE KUNST


konzentrieren; das heißt, die Form wird zur äußersten Geschlossenheit durchgebildet. Ein kräftiger Realismus des Formalen wird auftreten; denn nur so werden die Kräfte tätig, die nicht auf abstraktem oder reaktiv polemischem Wege zur Form gelangen, sondern unmittelbar Form sind. (Das Metaphysische der heutigen Künstler verrät noch immer die vorhergegangene Kritik des Malerischen und ist in die Dar- stellung als gegenständliche und formale Essenz einbezogen, wodurch die Unbedingtheit von Religion und Kunst, ihre streng abgegrenzte Korrelativität zu einem zerstörenden Vermischen verwirrt wurde.) Im formalen Realismus, worunter nicht ein nachahmender Naturalismus verstanden wird, ist die Transzendenz gegeben; denn Nachahmung ist ausgeschlossen; w^en dürfte ein Gott nachahmen, wem sich unterwerfen. Ein folgerichtiger Realismus der transzendenten Form ergibt sich. Das Kunstwerk wird nicht als wülkürliche und künstliche Schöpfung ange- sehen werden, vielmehr als mythische Realität, die an Kraft die natürliche übertrifft. Das Kunstwerk ist real durch seine geschlossene Form; da es selbständig und überaus mächtig ist, wird das Distanzgef iihl eine un- geheuer intensive Kunst erzwingen.

Während das europäische Kunstwerk der gefühlsmäßigen, sogar formalen Deutung unterliegt, insofern der Beschauer zur aktiven optischen Funktion aufgerufen wird, ist das Negerkunstwerk aus mehr als formalen Gründen, nämlich auch religiösen, eindeutig bestimmt. Es bedeutet nichts, es sym- bolisiert nicht ; es ist der Gott, der seine abgeschlossen mythische Realität bewahrt, worein er den Adoranten einbezieht und auch ihn zu einem Mythischen verwandelt imd seine menschliche Existenz aufhebt.

Formale und religiöse Geschlossenheit entsprechen sich ; ebenso formaler und religiöser Realismus. Das europäische Kunstwerk wurde geradezu die Metapher der Wirkung, die den Beschauer zu lässiger Freiheit heraus- fordert. Das religiöse Negerkunstwerk ist kategorisch und besitzt ein prägnantes Sein, das jede Einschränkung ausschließt.

Um ein abgegrenztes Dasein des Kunstwerks herauszubilden, muß jede zeitliche Funktion ausgeschaltet werden; das heißt ein Umgehen des Kunstwerks, ein Betasten muß verhütet werden. Der Gott besitzt keine Genetik; diese widerspricht seiner gültigen Existenz. Es mußte also eine

XV


eeligio:n' und afeikanische kunst


Darstellung gefunden werden, die ohne Module, das eine unfromme, per- sönlich beeinträchtigende Hand verrät, sofort in festem Material sich ausdrückt. Die Eaumanschauung, die ein solches Kunstwerk aufweist, muß gänzlich den kubischen Eaum absorbieren und ihn vereinheitlicht ausdrücken; Perspektive oder die übliche Frontalität sind hier verboten, sie wären unfromm. Das Kunstwerk muß die gesamte Eaumgleichung geben; denn nur, wenn es jede zeitliche Interpretation, die auf Bewegungs- vorstellungen beruht, ausschließt, ist es zeitlos. Es absorbiert die Zeit, indem es, was wir als Bewegung erleben, in seiner Form integriert.


XVI


Kubische Raumanschauung

Es bezeichnet jedes begriffliche Auseinandersetzen, und sei es noch so sehr der Anschauung verhaftet, daß es sich verselbständigt und um seiner spezifischen Struktur willen nicht alle Divergenzen des Kunstgeschehens ausdrückt.

Zunächst ist die formale Beschaffenheit der Anschauung, die afrika- nischer Plastik zugrunde liegt, zu untersuchen. Wir können nun gänzlich von dem metaphysischen Korrelat absehen, da wir es als selbstverständ- lichen Mitfaktor auszeichneten und wissen, daß gerade aus dem Eeligiösen eine abgelöste Form gefolgert werden muß.

Somit ist die Aufgabe einer formalen Klärung der Anschauung, die in dieser Kunst sich äußert, gestellt. Den Fehler, die Kunst der Neger an einem unbewußten Erinnern irgendwelcher europäischer Kunstform zu schänden zu machen, werden wir vermeiden, da die afrikanische Kunst aus formalen Gründen als umrissener Bezirk vor uns steht.

Die Negerplastik stellt eine klare Fixierung des unvermischten plastischen Sehens dar. Dem Naiven erscheint die Büdhauerei, deren Aufgabe es ist, das Dreidimensionale zu geben, als das schlechthin Selbstverständliche, da sie mit einer Masse arbeitet, die als solche nach drei Dimensionen bestimmt ist. Diese Aufgabe stellt sich als schwierig, ja zunächst als fast unlösbar dar, wenn bedacht wird, daß nicht ein irgendwie Eäumliches, vielmehr das Dreidimensionale als Form ausgeprägt werden soll. Eine fast unbeschreibbare Erregung bemächtigt sich des Überlegenden; dieses Dreidimensionale, das nicht in einem Blick gefaßt wird, soll ja nicht als vage optische Suggestion, vielmehr als geschlossener, tatsächlicher Ausdruck gebüdet werden. Europäische Lösungen, die, geprüft an afrikanischer Plastik, eher zu Auswegen sich verzeichnen, sind den Augen geläufig, überzeugen mechanisch und durch Gewohnheit. Frontalität, vielfältige Ansicht, übergehendes Modell und plastische Silhouette heißen vor allem die üblichen Mittel.


XVII


KUBISCHE EAUMANSCHAUUNG


Die Front alität betrügt fast den Beschauer um das Kubische und steigert sämtliche Kraft auf eine Seite. Die gegenständlich vorderen Teile ordnet sie nach einem Blickpunkt und verleiht ihnen eine gewisse Plastizität. Die einfachste naturalistische Ansicht wird ausgewählt, die dem Beschauer zunächst liegende Seite, die ihn gewohnheitsmäßig am ehesten gegen- ständlich und psychologisch orientiert. Die anderen, untergeordneten Ansichten suggerieren rythmisch unterbrochen die Empfindung, welche den Bewegungsvorstellungen des Dreidimensionalen entspricht. Aus den abrupten, vor allem durch den Gegenstand verknüpften Bewegungen er- gibt sich ein Vorstellen räumlicher Zusammengehörigkeit, das formal nicht gerechtfertigt ist.

Gleiches widerfährt ihm an der Silhouette, die durch perspektivische Truks womöglich unterstützt, das Kubische ahnen läßt. Genauer gesehen ist sie der Zeichnung entlehnt, die nie ein plastisches Element ist.

In all diesen Fällen findet man ein malerisches oder zeichnerisches Verfahren; die Tiefe wird suggeriert, jedoch selten unmittelbar als Form gebildet. Diese Verfahren sind auf dem Vorurteil gegründet, das Kubische werde mehr oder minder durch die materielle Masse verbürgt, eine sie umschreibende innere Erregung, oder eine einseitige Formanweisung ge- nügten, damit das Kubische als Form da sei. Diese Methoden wollen das Plastische eher suggerieren und bedeuten, als daß sie zur Konsequenz gelangten. Jedoch auf solche Weise ist dies kaum möglich, da hier das Kubische als Masse und nicht unmittelbar als Form vorgestellt wird. Masse jedoch ist der Form nicht identisch ; denn jene kann nicht in Einem tatsächlich wahrgenommen werden ; immer sind in diese Verfahren psycho - logische Bewegungsakte geknüpft, welche die Form zu einem Genetischen auflösen und ganz vernichten. So beginnt das Schwierige, die dritte Dimension in einem einzigen, optischen Vorstellungsakt zu fixieren und als Totalität zu schauen; daß es in einer Integration gefaßt sei. Was aber am Kubischen ist Form.

Klar ist, diese muß auf einmal gefaßt werden, jedoch nicht als gegen- ständliche Suggestion; was Bewegungsakt ist, muß zur Unbedingtheit fixiert werden. Die dreidimensional situierten Teile müssen gleichzeitig dargestellt werden, das heißt, der zerstreute Eaum muß in ein Blickfeld

XVIII


KUBISCHE EAUMANSCHAUUNG


integriert werden. Das Dreidimensionale darf weder gedeutet noch sclilechthin als Masse gegeben werden, vielmehr muß es als bestimmtes Dasein konzentriert sein, indem das, was die Anschauung des Dreidimen- sionalen erzeugt, und üblich und naturalistisch als Bewegung empfunden wird, als formal fixierter Ausdruck gebildet ist.

Jeder dreidimensionale Punkt an einer Masse ist unendlich deutbar; schon dies scheint einer eindeutigen Bestimmung unlösbare Schwierig- keiten entgegen zu halten und läßt jegliche Totalität als unmöglich er- scheinen; selbst die Kontinuität seiner Beziehungen erschwert nur das Erhoffen einer bestimmten Lösung, so sehr man sich auch schmeicheln mag, in der allmählichen, langsam geleiteten Funktion dem Betrachter einen einheitlich bestimmten Eindruck zu suggerieren ; keine rhythmische Anord- nung, keine zeichnerische Beziehung, kein noch so reiches Vervielfältigen der Bewegung vermögen uns zu betrügen, daß das Kubische hier nicht unmittelbar und in Einem zur Form gesammelt sei.

Der Neger scheint diesem Problem eine reine und gültige Lösung ver- liehen zu haben. Er fand, uns zunächst eia Paradox, eine formale Dimension.

Die Vorstellung des Kubischen als Form — nur hiermit hat es die Plastik zu schaffen und mit keiner materiellen Masse — ergibt unmittelbar, daß zunächst bestimmt werden muß, was jene ausmacht; dies sind die nicht zugleich sehbaren Teile ; sie müssen mit den sichtbaren in eine totale Form gesammelt werden, die in einem Sehakt den Beschauer bestimmt und einer fixierten dreidimensionalen Anschauung entspricht, damit das sonst irrational Kubische als sichtlich Geformtes sich erweise. Der optische Naturalismus abendländischer Kunst ist nicht Nachahmen der Außennatur; die Natur, die hier passiv nachgeahmt wird, ist der Standpunkt des Be- schauers. So versteht man das Genetische, ungemein Eelative, das unserer meisten Kunst anhaftet. Diese paßte sich dem Beschauer an (Frontalität, Fernbild) und immer mehr wurde das Erzeugen der optischen Endform einem aktiv beteiligten Betrachter anvertraut.

Form ist eine Gleichung, wie unsere Vorstellung ; diese Gleichung gut künstlerisch, wenn sie ohne Beziehung auf Fremdes und unbedingt auf- gefaßt wird. Denn Form heißt jene vollkommene Identität von An- schauung und einzelner Verwirklichung, die ihrer Struktur nach sich

XIX


KUBISCHE EAUMANSCHAUUNG


decken und niclit sicli verhalten wie Begriff und Einzelfall. Die An- schauung umfaßt wohl mehrere Fälle des VerwirkUchens, besitzt jedoch keine höhere Qualitätsrealität als diese. So erhellt sich, daß Kunst einen besonderen Fall bedingungsloser Intensität darstellt und in ihr die Qualität unvermindert erzeugt werden muß.

Aufgabe der Plastik ist es, eine Gleichung zu bilden, worin die natura- listischen Bewegungsempfindungen und somit die Masse gänzlich absorbiert sind, und ihre sukzessive Verschiedenheit in eine formale Ordnung um- gesetzt ist. Dies Äquivalent muß total sein, damit das Kunstwerk nicht mehr als Gleichung anders gerichteter menschlicher Tendenzen empfunden wird, vielmehr als ein bedingungsloses, geschlossenes Selbständiges.

Die Dimensionen des üblichen Baums sind dreifach gezählt, wobei die dritte, eine Dimension der Bewegung, nur gezählt, aber nicht auf ihre Art geprüft wurde. Da das Kunstwerk das schlechthin Geartete herausbildet, erfährt diese letzte Dimension eine Zweiteilung. Unter Be- wegung stellt man ein Kontinuum vor, das den Eaum wandelnd um- schließt. Da bildende Kunst fixiert, wird dies Einheitliche geteilt, näm- lich nach entgegengesetzten Eichtungen aufgefaßt und enthält so zwei gänzlich verschiedene Eichtungen, die in dem unendlichen Eaum des Mathematikers z. B. ziemlich belanglos bleiben. Tiefenrichtung und Ten- denz nach vorne sind in der Plastik gänzlich gesonderte Arten der Eaum- erzeugung; sie sind nicht linear unterschieden, vielmehr erstklassige Form- unterschiede, wenn sie nicht impressionistisch, das ist unter dem Einfluß wiederum naturalistischer Bewegungs Vorstellungen, verschmolzen werden. Aus dieser Erkenntnis geht hervor, daß Plastik im gewissen Sinn dis- kontinuierlich ist, zumal die Kontraste als gründliches Mittel nicht ent- behrt werden können, um den Eaum gänzlich zu schaffen. Das Kubische soll nicht als sekundäres suggerierendes Modell verschleiert und somit nicht als materialisierte Beziehung eingeführt werden, vielmehr als das eigentliche hervorgerückt sein.

Der Betrachter einer Skulptur glaubt leicht, sein Eindruck setze sich aus einem Sehen und andererseits einem Vorstellen der tiefergelegenen Teile zusammen; eine solche Wirkung hätte um ihrer Zweideutigkeit willen nichts mit Kunst zu schaffen.

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KUBISCHE EAÜMANSCHATJUNG


Wir betonten, Plastik ist keine Angelegenheit der naturalistischen Masse, sondern lediglich der formalen Klärung. Also geht es darum, die nicht sichtbaren Teile in ihrer formalen Funktion, als Form, das Kubische, den Tiefenquotienten, wie ich es nennen möchte, an den sichtbaren als Form darzustellen; allerdings nur als Form, ohne das Gegenständliche, die Masse zu vermischen. Die Teile dürfen also nicht materiell und malerisch dargestellt werden, vielmehr so, daß die Form, wodurch sie plastisch werden und die naturalistisch in dem Bewegungsakt gegeben ist, in eines fixiert und simultan sichtbar werde. Das heißt, jeder Teil muß plastisch verselbständigt und so deformiert sein, daß er die Tiefe absorbiert, indem die Vorstellung, wie er von der entgegengesetzten Seite erschiene, in die frontale, jedoch dreidimensional funktionelle, herein- gearbeitet ist. Also jeder Teil ist ein Ergebnis der formalen Vorstellung, die den Eaum als Totalität und vollständige Identität des Einzeloptischen und der Anschauung schafft, und den surrogierenden Ausweg verwirft, der den Eaum zur Masse schwächt. Eine solche Plastik wird stark nach einer Seite zentriert, da diese das Kubische als Totales, als Eesultante nun unverstellt gibt, während die Frontalität nur die Vorderfläche sum- miert. Diese Integration des Plastischen muß Funktionszentren erzeugen, wonach sie geordnet ist; aus diesen kubischen „Points centrales" ergibt sich ohne weiteres eine nötige, starke Aufteilung, die man als kräftige Verselbständigung der Teile bezeichnen darf. Dies ist begreiflich; denn gerade die naturalistische Masse spielt keine EoUe, die berühmte kompakte undurchbrochene Masse früher Kunstwerke ist belanglos ; außerdem wird hier die Gestalt nicht als Effekt, sondern in ihrem unmittelbaren Eaumsein gefaßt. Der Körper des Gottes entzieht sich als Dominierendes der ver- bindenden Hände des Arbeiters ; der Körper ist funktionell von sich aus erfaßt. Häufig tadelt man an den Negerskulpturen die sogenannten Proportionsfehler ; man begreife, die optische Diskontinuität des Eaums wird in Formklärung übersetzt, in eine Ordnung, der, da es um Plastizität geht, nach ihrem plastischen Ausdruck verschieden gewerteten Teile. Ihre Größe ist eben nicht das entscheidende, vielmehr der ihnen zugebilligte kubische Ausdruck, den sie rücksichtslos darstellen sollen. Allerdings eines verschmäht der Neger, wozu den Europäer sein Kompromiß ver-

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KUBISCHE EAUMANSCHAUUNG


führt, das zu einem Elementaren interpolierte Modöle; denn eines bedarf eben dieses rein plastische Verfahren, der entschiedenen Aufteilungen. Die Seiten sind gleichsam untergeordnete Funktionen, da die Form kon- zentriert und intensiv ausgelöst werden muß, um Form zu sein; denn das Kubische ist eben unabhängig von der Masse als Eesultante und Ausdruck dargestellt. Und nur dies ist statthaft; denn Kunst als ein Qualitatives ist eine Frage der Intensität; das Kubische muß in der Unter- ordnung der Ansichten als tektonisierte Intensität sich darstellen. Hierbei ist der Begriff des Monumentalen zu berühren. Diese Auffassung gehört wohl Zeiten an, die jeder Anschauung ermangelnd, ihre Arbeiten ellen- mäßig ausmaßen. Da Kunst es mit Intensivem zu schaffen hat, fällt Monumentalität als Größe weg. Noch anderes ist hier fortzuräumen. Diesen plastischen Ordnungen wird man mit linearen Interpolierungen nie sich nähern dürfen; hierin zeigt sich ein von begrifflichen Erinne- rungen geschwächtes Sehen, sonst nichts. Man wird aber den unver- bogenen Eealismus des Negers verstehen, wenn man schauend sehen lernt, wie der eingegrenzte Eaum des Kunstwerks unmittelbar fixiert werden kann. Die Tiefenfunktion drückt sich eben nicht durch Maße aus, sondern durch die Eichtungsresultante der verschweißten, und nicht gegenständlich addierten, Eaumkontraste, die in der Bewegungsvorstellung der Masse nie einheitlich angeschaut werden kann; denn das Kubische ruht nicht in den einzelnen, verschieden gelegenen Teilen, vielmehr in ihrer, immer in Einem aufgefaßten, kubischen Eesultante, die nichts mit Masse oder geometrischer Linie zu schaffen hat. Diese stellt das kubische Sein als ungenetisches, unbedingtes Ergebnis dar, da die Bewegung ab- sorbiert ist.

Nachdem die plastische Konzentration untersucht wurde, sind die Folgen leicht erklärbar. Oft wendete man gegen die Negerplastiken eine Unproportioniertheit ein, andere wiederum wollten von ihnen die anato- mische Struktur der verschied'enen Stämme ablesen. Beides erledigt sich ; denn das Organische hat keinen besonderen Sinn in der Kunst, da es lediglich die reale Bewegungsmöglichkeit anzeigt. Indem man das Kunst- nachdenken dem Kunstschaffen, wenn auch in zeitlicher Umkehrung gleichsetzte, konstruierte man mit abrupten Begriffen, als ginge Kunst

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KÜBISCHE EAUMANSCHAUHN-G


irgendwie vom Modell aus und abstrahiere davon. Es leuchtet füglich ein, daß die Voraussetzung eines solchen Verfahrens bereits Kunst wäre; niemals wird man bei einer Untersuchung die Ebene seines Gegenstandes verlassen dürfen, sonst redet man von Vielem, aber nicht von dem vor- gesetzten Gegenstand. Abstrakt wie organisch sind kunstfremde (ent- weder begriffliche oder naturalistische) Kriterien und somit gänzlich exterritorial. So möge man auch von vitalistischen oder mechanischen Erklärungen absehen, was Kunstformen anlangt. Breite Füße z. B. sind nicht breit weil sie tragen, sondern der BUck nach unten sich zu- weilen dehnt oder ein kontrastierendes Equilibre zum Becken gesucht wird. Da die Form weder an das organische noch an die Masse gebunden ist (das sogenannte Organische bedarf hie und da des Sockels als geo- metrischen und kompakten Kontrastes), entbehren die meisten Neger- plastiken des Sockels; ist er einmal vorhanden, wird er plastisch akzen- tuiert durch Spitzen und sofort.

Jedoch zurück zur Frage der Proportionen. Diese sind davon abhängig, wie sehr vom entscheidenden Tiefenquotienten aus, worunter ich die plastische Eesultante verstehe. Tiefe ausgedrückt werden soll. Die Be- ziehungen der Teüe untereinander hängen lediglich von dem Grad ihrer kubischen Funktion ab. Wichtige Teüe verlangen eine entsprechende kubische Eesultante. So verstehe man auch die sogenannten gewundenen Gelenke oder Gliedmaßen der Negerplastiken; diese gerollte Windung stellt sichtbar dar und konzentriert, was eben das Kubische zweier sonst abrupten Eichtungskontraste ausmacht ; sonst nur geahnte zurückgelegene Partien werden aktiv und in einem gesammelten einheitlichen Ausdruck funktionell, somit Form und unbedingt notwendig zur Darstellung des unmittelbar Kubischen. Diesen integrierten Formen müssen die anderen Seiten in seltener Vereinheitlichung untergeordnet werden, jedoch sie blieben nicht unverarbeitetes, suggestives Material; sie wurden formal aktiv. Andererseits wird die Tiefe als Totalität sichtlich. Diese Form, die mit einheitlicher Anschauung identisch ist, drückt sich in Konstanten und Kontrasten aus. Diese aber sind nicht mehr unendlich deutbar, sondern die zweifache Tiefenrichtung, die Bewegung nach vorn und nach hinten, ist in einem kubischen Ausdruck gebunden. Jeder kubische

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KUBISCHE RAUMAIirSCHAUimG


Punkt kann nacli zwei Eichtungen gedeutet werden; hier ist er in die kubische Besultante einbezogen und befestigt, und enthält darum in sich und nicht als interpolierte Beziehung beide Tiefenkontraste.

Es mag bei der IsTegerplastik, wie bei mancher sogenannten primitiven Kunst auffallen, daß einige Statuen ungemein lang und schlank sind; zugleich sind die kubischen Eesultanten nicht allzu betont. Vielleicht äußert sich hier ein unbändiger Wille in der schlanken Form, das Kubische geradezu nackt zu umfassen. Diesen dünnen komprimierten, einfachen Formen glaubt man vermöge des umgebenden Eaums nichts anzuhaben.

Zur Gruppe will ich nur weniges hinzufügen. Sie bestätigt sichtlich die vorgetragene Meinung, daß das Kubische nicht durch die Masse sondern die Form ausgedrückt wird; denn sonst wäre jene wie jede durchbrochene Plastik ein Paradox und Unding. Die Gruppe stellt den extremen Fall dessen dar, was ich als plastische Fernwirkung bezeichnen möchte ; zwei Teüe einer Gruppe verhalten sich genauer betrachtet nicht anders als zwei entfernte Teile einer Figur. Ihre Zusammengehörigkeit spricht sich in einer Unterordnung unter eine plastische Integration aus, vorausgesetzt, es ist nicht einfach eine kontrastierende oder addierende Wiederholung des Formthemas gegeben. Die kontrastierende hat den Eeiz, die Eichtungswerte umzukehren, und somit auch den Sinn der plastischen Orientierung. Die lül^ebeneinanderreihung hingegen zeigt in einem Blickfeld die Variation eines plastischen Systems. Beide werden total erfaßt, da ein einheitliches System vorliegt.


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Maske und Verwandtes

Ein Volk, dem Kunst, Eeligiöses nnd Sitte unmittelbar wirksam sind, wird, beherrscht und umzirkt von den Gewalten, jene an sich sichtbar machen. Tätowieren heißt seinen Körper zum Mittel und Ziel einer An- schauung machen. Der Neger opfert seinen Körper und steigert ihn; sein Leib ist dem Allgemeinen sichtbar hingegeben und dies erwirbt an ihm greifbare Form. Es bezeichnet eine despotische, bedingungslos herr- schende Eeligion und Menschlichkeit, wenn Mann und Frau den indivi- duellen Leib durch Tätowierung zu einem allgemeinen machen; allerdings auch eine gesteigerte Kraft der Erotik. Welch Bewußtsein heißt es, den eigenen Körper als unvollendetes Werk zu begreifen, den unmittelbar man verändert. Über den naturalistischen Leib hinweg verstärkt der Tätoweur die von der Natur skizzierte Form und die Körperzeichnung erreicht ihre Höhe, wenn die Naturform negiert wird und eine imaginierte sie übertrifft. In diesem Fall bedeutet der Körper höchstens die Lein- wand und den Thon; ja er gerät zu einem Hindernis, das die stärkste Formgebung provozieren muß. Sich tätowieren setzt ein unmittelbares Bewußtsein seiner selbst voraus und demgemäß ein mindest so starkes der objektiv geübten Form. Auch hier finden wir, was ich als Distanz - gefühl, eine ungeheuere Begabung objektiv zu schaffen, bezeichnete.

Die Tätowierung ist nur ein Teil des sichobjektivierenden Tuns, den gesamten Körper zu beeinflussen, ihn bewußt zu produzieren, und dies nicht allein im unmittelbaren Bewegungsausdruck z.B. dem Tanz oder dem fixierten wie der Frisur. Der Neger bestimmt seinen Typ so stark, daß er ihn verändert. Überall greift er ein, um den Ausdruck unver- fälschlich zu signieren. Begreiflicherweise verwandelt sich der Mensch, der sich als Katze, Fluß und Wetter fühlt ; er ist dies und vollzieht die Folgerungen an dem zu eindeutigen Körper.

An der Maske versteht der psychologisierende und zugleich theatralische Europäer dies Gefühl am ehesten. Der Mensch verwandelt sich immer

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MASKE UI^^D VERWANDTES


etwas, jedoch bleibt er bemüht, eine gewisse Kontimiität, die Identität zu wahren. Gerade der Europäer bildete dies Gefühl zu einem fast hypertrof en Kult ; der Neger, der weniger vom subjektiven Ich befangen ist und die objektiven Gewalten ehrt, muß, soll er sich neben ihnen be- haupten, sich in sie verwandeln, gerade, wenn er sie am gesteigertsten feiert. Mit der Verwandlung stellt er das Gleichgewicht zur vernichtenden Adoration auf; er betet dem Gott, er tanzt dem Stamm ekstatisch und er selbst verwandelt sich durch die Maske in den Stamm und den Gott ; diese Verwandlung gibt ihm das mächtigste Begreifen des Objektiven; er inkarniert dies in sich und er selbst ist dies Objektive, worin alles einzelne zernichtet.

Darum : die Maske hat nur Sinn, wenn sie unmenschlich, unpersönlich ist; das heißt konstruktiv, frei von der Erfahrung des Individuums; möglich, daß er die Maske als Gottheit ehrt, wenn er sie nicht trägt.

Die Maske möchte ich die fixierte Ekstase nennen, vielleicht auch das immer bereite Mittel, ungeheuer zur Ekstase zu stünuKeren, indem das Gesicht der adorierten Gewalt oder des Tiers fixiert da ist.

Es mag etwas überraschen, daß oft gerade religiös orientierte Künste sich an die Gestalt des Menschen klammern. Dies erscheint mir nahe- zuliegen, da die mythische Existenz unabhängig von der Gestalt bereits Übereinkunft ist. Der Gott ist schon erfunden und unvernichtbar seiend, wie er sich auch weise. Diesem formal so entschiedenen Kunstgefühl widerspräche es fast, an dinglichen Inhalten sich zu erschöpfen und nicht alle Kräfte der Form — dem Dasein des Gottes — adorierend zu widmen. Denn nur die Kunstform entspricht dem Sein der Götter. Vielleicht will der Adorant den Gott an den Menschen ketten, wenn er ihn als solchen darstellt, und ihn so in seiner Frömmigkeit verzaubert; denn keiner ist so Egoist, wie der Beter, der zwar alles dem Gott gibt, aber ihn ungewußt zum Menschen macht.

Hier ist auch der eigentümlich starre Ausdruck, der auf den Gesichtern geformt ist, zu erläutern. Diese Starrheit heißt nichts anderes als letzte Intensität des Ausdrucks, befreit von jedem psychologischen Entstehen ; zugleich ermöglicht sie vor allem eine geklärte Struktur.

Ich gab eine Folge von Masken, die vom Tektonischen zu einem unge-

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MASKE UND VEEWANDTES


mein Menschlichen niedersteigen, damit die verschiedenartige Eeihe der seelischen Fähigkeit dieses Volkes belichtet werde.

Hie .und da erscheint es fast unlösbar, welchen Ausdruckstypus das Kegerkunstwerk darstelle, ob den Erschrockenen oder den Erschreckenden. Hier halten wir einen schönen Beweis für die zweideutige Gleichgültigkeit des psychologischen Ausdrucks. Schon erfahrungsgemäß decken sich die physiognomischen Ausdrucksweisen entgegengesetzter Empfindungen.

Die Tiermasken erschüttern mich, wenn der Neger das Gesicht des Tiers annimmt, das er sonst tötet. Auch im getöteten Tier ist der Gott, und vielleicht klingt die Empfindung eines Selbstopfers mit, wenn er im Aufsetzen der Tiermaske die getötete Kreatur bezahlt und in ihr sich dem Gott nähert; in ihr die Gewalt sieht, die größer als er ist: seinen Stamm. Vielleicht, daß er der Eache für das getötete Tier entgeht, wenn er sich darein verwandelt.

Zwischen Menschen- und Tiermaske stellt sich jene, die das Sichver- wandeln festhält. Hier berühren wir Mischformen, die trotz des phan- tastischen oder grotesken Inhalts, das klassisch afrikanische Equilibre auf- weisen. Es ist das Eeligiöse, dem in seinem Überdrang die sichtbare Welt nicht mehr genügt, das eine Zwischenwelt erzeugt; und in der Groteske erhebt sich drohend das Mißverhältnis zwischen den Göttern und dem Geschöpf.

Kurz verweile ich bei stilistischen Erläuterungen der Negermaske. Wir sahen, wie der Afrikaner die plastischen Kräfte in sichtbaren Eesultanten kondensiert. Noch in den Masken redet die Gew alt des kubischen Schauens das die Flächen aufeinanderstoßen macht, die den ganzen Sinn des Vor- dergesichts in wenigen plastischen Formen auf sanamelt und die geringen dreidimensionalen Eichtungsfaktoren in ihren Eesultanten ausbildet.



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