Parodie im Mittelalter  

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Parodie im Mittelalter (1922) is a book by Paul Lehmann.

Full text[1]

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LEHMANN, PARODIE IM MITTELALTER


DIE PARODIE IM MITTELALTER


VON

paul4ehmann

PROFESSOR AN DER UNIVERSITÄT MÜNCHEN


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1922

DREI MASKEN VERLAG

MÜNCHEN


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ALLE RECHTE VORBEHALTEN


COPYRIGHT 1922 BY DREI MASKEN VERLAG A..G.

MÜNCHEN


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KARL VOSSLER


ZUM 6. SEPTEMBER 1922




INHALTSÜBERSICHT

Seite Einleitung 9

Ursprung und Anfänge 19

Entfaltung der Parodie vom elften bis fünfzehnten Jahr- hundert

I. Die kritisierende, streitende und triumphierende Parodie . 43 — 135

1. Gegen die römische Kurie und die hohe Geistlichkeit ... 43

2. G^gen Erlöster, Mönche und Mönchsorden 101

3. Gegen die Übrige Christenheit 111

4. Einzelne Persönlichkeiten, Ereignisse und Zustände der mittel- alterlichen Welt in der satirischen Parodie 119

n. Die heitere, erheiternde, unterhaltende Parodie 136 — 246

1. Liebesleben 142

2. Zechen, Schlemmen, Spielen 174

3. Goliarden- und Studentenleben 208

4. Unterhaltende Züge und Stücke verschiedener Art .... 228

Register 247


EINLEITUNG

Die lateinische Literatur des Mittelalters ist voller Entlehnungen und Nachahmungen. Oft bis zum Überdruß klingen uns aus ihr Gedanken, Verse und Sätze, Phrasen, Worte und Wörter der Antike, der Bibel, der Kirchenväter, okzidentaler und orientalischer Schriftstücke verschiedener Zeiten und Gattungen ent- gegen. Bewußt und unbewußt hat man die Autoritäten von Kirche und Schule immer wieder sprechen lassen. Der Erforscher der mittellateinischen Poesie und Prosa hat nicht allein die mühsame Aufgabe, die Zitate, die zahlreichen Nachahmungen und Anklänge auf ihre Quel- len zurückzuführen und taktvoll — wie es leider oft nicht geschehen ist — zu unterscheiden, was wirklich Entlehnung, was unbewußte Herübernahme im ganzen oder einzelnen ist, sondern auch zu beurteilen, das Ur- teil darüber vorzubereiten, ob und .inwieweit das Mittel- alter trotz der gewollten und ungewollten Verkettung mit der Vergangenheitsliteratur sich in den Gefilden der Gedanken, des Wortes aufrecht und frei bewegt hat.

Ist auch die Verachtung des Mittellateins nicht mehr so abgrundtief und allgemein wie im 18. und fast im ganzen 19. Jahrhundert, haben Männer wie L. Traube, W. Meyer, P. von Winterfeld nicht vergebens jahr- zehntelang ihre Kräfte angespannt, ihre Gesundheit ge- opfert, um Verständnis, ja Liebe für das abendländische Schrifttum in der lateinischen Sprache des Mittelalters zu gewinnen, so werden wir Schüler und Nachfolger jener Bahnbrecher doch immer noch manch Lächeln über die bald barbarisch roh, bald epigonenhaft und dekadent scheinende mittellateinische Sprache und Lite- ratur ertragen oder verscheuchen müssen, verscheuchen nicht durch jene Fanfaren und Reklameplakate, die


10 Literarische Nachahmung

heute die Mystik und Gotik, morgen die primitive Er- zählungskunst und Anekdotenfülle modern, anziehend zu machen suchen, verscheuchen vielmehr und Achtung, Beachtung uns erringen durch wissenschaftlich ehr- lichen Bericht, wie es denn eigentlich gewesen ist, In diesem Bericht muß stehen, daß die sprachliche, litera- rische Nachahmung im Mittelalter außergewöhnlich groß gewesen ist, soll aber ebenfalls klar und eindring- lich gesagt werden, daß trotz der Imitation und oftmals durch sie der mittelalterliche Schriftsteller Großes ge- leistet und Schönes gespendet hat, nicht bloß in der temperamentvoll erzählten, parteiisch gefärbten Fran- kengeschichte Gregors von Tours, in Bedas quellreiner Erzählung von den Anfangsschicksalen der englischen Christenheit, in Einharts stilvollem Leben Karls des Großen, in Ekkeharts fesselndem Gesang von Walther und in sonstigen Texten, die vornehmlich für die natio- nale Geschichte und Sage ergiebig sind, nicht bloß in weihevollen Hymnen und Sequenzen, in mächtig empor- ragenden Gebäuden von Theologie und Philosophie, nein. Herrliches, Anmutiges und Ergreifendes z. B. auch in den weltlichen Liebesliedern, Belustigendes in der komischen Literatur, Witziges und Eindrucksvolles in der Satire und so noch Wertvolles in vielem anderen mehr. Kaum einer hält sich frei von Zitieren und Imi- tieren. Die Geschichte aller mittelalterlichen Literatur, insbesondere die des lateinischen Schrift- tums im Abendlande, ist für mehrere Jahrhunderte in hohem Maße eine Geschichte der Aufnahme, Verarbeitung und Nachahmung fremden Gutes.

Die gröbste Form der Imitation und Entlehnung ist der Cento, der ganz und gar aus älteren Versen und Versteilen eine neue Dichtung zusammenstoppelt. Er- freulicherweise hat man sie — ob aus künstlerischem Geschmack und Originalitätswillen oder aus Scheu vor der Arbeit des Aneinanderflickens sei dahingestellt — nicht übermäßig oft für größere Werke gebraucht. Dem


Begriffserklärung und Abgrenzung 1 1

Cento nahe verwandt ist mehr als eines der Beispiele der mittelalterlichen Parodie, die ich im folgenden zu untersuchen beginne. Viele Parodien bringen ganz selten nur ein eigenes Wort, fast alles ist gewaltsam entlehnt, gestohlen. Und doch steht die Parodie hoch über dem Cento. Mißbrauch treiben sie beide: der Centonen- dichter meist für einen guten Zweck, der Parodist nicht selten in boshafter Absicht. Hier wie da zeigt sich oft große Geschicklichkeit. Aber Geist, Witz und Laune offenbart sich nur in der Parodie. /^

Die Parodie, wie ich sie auffasse, ist eine besondere Art literarischer Nachahmung. Damit lehne ich gleich die ältere Auffassung ab, die jede Imitation, jeden Cento eine Parodie nennt. ^) Nach F. W. Genthe^) wären auch christliche Hymnen, die in der Form horazischer Oden einhergehen, parodistisch. Dann müßte ich also bei- spielsweise die Quirinalia des Metellus von Tegernsee mitbehandeln. Umdichtungen weltlicher Lieder zu geist- lichen sind trotz Genthe, trotz F. M. Böhme^) u. a. nicht zu den Parodien zu rechnen. Es ist m. E. zu bedauern, daß selbst F. Vogt in seinem vielbenutzten Überblick über die mittelhochdeutsche Literatur*) von „geistlichen Parodien" redet, und ganz überflüssig, daß Ch. A. Cole^) zwei geistliche Anpassungen des 'Te Deum' an die Ver- ehrung der Jungfrau Maria 'adaptions or parodies* ge- heißen hat.

Das Wort wird nichtssagend, wenn es all und jede Nachahmung besagen kann. Geistliche Anpassungen, umgestaltende Nachahmungen älterer religiöser Dich- tungen sind etwas ungemein Häufiges in der mittelalter- lichen Hymnenpoesie und verdienen hellere Beleuch- tung — bei anderer Gelegenheit. Sehr oft wiederholte man in den Neuschöpfungen nur die Anfangsverse anderer Hymnen, sei es, daß man sich begnügte, den

^) Beachtenswerte Bemerkungen bei C. F. Flögel, Geschichte der komischen Literatur. I. (Liegnitz u. Leipzig 1784) S. 84 ff. und 349 ff.

  • ) Geschichte der macaronischen Poesie, Halle und Leipzig 1829, S. 33.

8) Altdeutsches Liederbuch, Leipzig 1877, S. XLV und 810 ff.

  • ) In H. Pauls Grundriß der germ. Philologie IIi* S. 304 und 310.
  • ) Memorials of Henry thc fifth, king of England, London 1858, p. LVIII.


12 Begriffserklärung und Abgrenzung

Anfang des Ganzen hervorzuheben durch die Eingangs- zeile eines allen vertrauten Gesanges, sei es, daß man Anfang und Schluß aller einzelnen Strophen mit deu Eingangszeilen verschiedener Hymnen schmückte.^) In einigen wenigen Fällen ist diese Mode parodistisch,^) zumeist bleibt die Nachahmung auf religiösem Gebiete. Vollständig imitierte Hymnen, denen man in der Nach- bildung trotz engen formalen Anschlusses an die Muster eine andersartige Bestimmung gab, sind die Kreuzlieder des Venantius Fortunatus Tange, lingua, gloriosi' und 'Vexilla regis prodeunt*. So sang Albert von Beham^) auf die Siege der Parmesen über das Heer Kaiser Fried- richs H. im Jahre 1248: Tange, lingua, gloriam praelii felicis* und 'Vexillum victoriae, Parma, ferens gaudia'. Und als 1312 der Favorit Edwards IL von England, der gefürchtete und verhaßte Peter von Gaveston hingerichtet war, erklang aus den Reihen seiner triumphierenden Gegner:*)

'Vexilla regni prodeunt

fulget cometa comitum' etc. und

Tange, lingua, necem Petri

qui turbavit Angliam* etc.

Dagegen beim Tode Richards von Pembroke^)

Tlange, lingua, detestando praelium Ybernie* etc.

Dieselben alten Hymnen des 6. Jahrhunderts wur- den noch im 15. Jahrhundert von Hussiten und Anti- hussiten variiert.®) Wohl klingt uns aus den englischen Triumphliedern Spott und Hohn entgegen, aber richtige Parodien sind sie alle nicht. Ihre Dichter wollten durch die Nachahmung keineswegs komisch wirken.

^) Aui^erordentlidi viele Bestätigungen obiger Behauptung gibt eine Durdisidit der Analecta hymnica von Blume und Dreves.

  • ) Vgl. unten II Kap. 1 und 2.

3) Vgl. C. Höfler, Albert von Beham» Stuttgart 1847, S. 123 ff. und MG. SS. XVIII 792 f.

  • ) Vgl. Th. Wright, The political songs of England etc., London 1839, p. 258 sqq.

') Vgl. Catalogue of manuscripts in the British Mus^m. New Series. vol. I. The Arundel Mss. (1834) p. 144 sq.

^) R. Peiper in den Forschungen zur deutschen Gesdiidite XVIII (1878) S. 161 ff.


Begriffserklärung und Abgrenzung 13

Ich verstehe hier unter Parodien nur solche literarischen Erzeugnisse, die irgendeinen als bekannt vorausgesetzten Text oder — in zweiter Linie — Anschauungen, Sitten und Gebräuche, Vorgänge und Personen scheinbar wahrheitsgetreu, tatsächlich ver- zerrend, umkehrend mit bewußter, beab- sichtigter und bemerkbarer Komik, sei es im ganzen, sei es im einzelnen, formal nacha.hmen oder anführen.

An Fällen, wo man zweifeln kann, ob die literarischen Entlehnungen, die leichten Wortlautsänderungen, die gewaltsamen Umdeutungen bestimmter Werke, Namen, Wörter parodistisch gedacht sind, fehlt es nicht, da uns manches komisch anmutet, was das Mittelalter ernst ge- meint hat, umgekehrt der mittelalterliche Witz nicht immer leicht verständlich ist. Auf einiges dieser Art komme ich gelegentlich zu sprechen, ebenso wie auf nichtparodistische oder halbparodistische Nachahmun- gen imd Spielereien, die der Parodie nahegestanden haben und ihrer Ausbildung förderlich gewesen sind. Zumeist wird meine Definition eine schnelle Entschei- dung ermöglichen. So muß man jetzt sagen: Bethmann^) durfte des Jacobus de Theramo liber Belial nicht eine Parodie aus dem römischen Prozeß nennen; denn die dort gewählte, parodistisch anmutende Einkleidung sollte durchaus nicht komisch wirken. In meinen Augen mißbraucht W. Meyer ^) den Terminus, wenn er bei der Imitation von Anal. hymn. II no. 139 sagt: „Die Fröh- lichkeit der Weihnachtszeit zeigt sich in der Zeile einer Parodie des daktylischen Zehnsilbers 'Edite corpore vir- gineo*. Dagegen durften H. Schneegans ^) und F. Beh- rendt) das Geldevangelium nicht aus der Reihe der eigentlichen, der „reinen" Parodien ausscheiden, da der Verfasser es ja nicht auf die Verspottung des Evange-

  • ) Ardiiv d. Ges. f. Altere deutsdie Gesdiiditskunde XII 594.
  • ) Ges. Abhandlungen zur mittellat. Rythmik. I (Berlin 1905) S. 228.

') Gesdiichte der grotesken Satire, Strai&burg 1894, S. 76 f.

  • ) Archiv für Reformationsgesdiidite. XIV 51.


14 Begriffserklärung und Abgrenzung

liums abgesehen hätte. Die formale Nachahmung mid die Absicht des komischen Effektes sind da und liegen zutage. Ihr Vorhandensein ist das Wichtigste. Verspot- tung, Beschmutzung des zugrunde gelegten Textes ist gar nicht das hauptsächliche, ist meist gar kein Ziel unserer Parodien. Der mittelalterliche Mensch konnte etwas profanieren und sich damit amüsieren, ohne es zu persifflieren. Die Parodisten spielen mehr leichtfertig als schändlich mit Hohem und Heiligem. Wo sie Hohn anwenden, und sie tun das oft reichlich, gilt es in der Regel nicht dem Literaturwerk, sondern dem Menschen, der Sache, auf die sie die fremde Form angewandt, um- geprägt haben. Der moderne Beurteiler möge auch nicht vergessen, daß die Scherze früher vielfach derber waren als in der neuzeitlichen guten Gesellschaft, derber, ohne darum stets als unpassend und kränkend empfunden zu werden. Gewiß hat auch das Mittelalter in den Parodien vielfach nicht nur ein Oberschäumen hochentwickelter und hochgetriebener Geister und Gemüter geduldet, viel- mehr in den Parodisten wohl manchmal auch einen Ab- schaum der literarisch gebildeten Gesellschaft gesehen. Seit dem 13. Jahrhundert verboten die Synoden wieder- holt, daß Scholaren oder Goliarden in den Kirchen leichtfertige Lieder sangen und Spiele trieben, ja die Altäre und die Namen der heiligen Trinität beim Wür- feln entweihten.^) Anderseits wissen wir nicht, in wel- chem Umfange es parodistische Vorträge und Aus- schweifungen gewesen sind, die man aus den heiligen Räumen zu verbannen sich bemühte; wir sehen auch mehr als einen sehr, sehr weltlichen Text in geistlichen Codices unbeanstandet und wissen, daß namentlich die Prediger, um auf die Hörer packend zu wirken, sich grober Spaße, ja frommer Blasphemien bedienten. „Man hielt vieles für erlaubt und unverfänglich, was unser Gefühl tief verletzt. Darum konnte der fromme Hollen sich erlauben, eine Spielermesse vorzuführen, um die

  • ) Vgl. N. Spiegel, Die Vaganten und ihr Orden, Speyer 1892, S. 58 f.» Histoire litt^raire

de la France. XXII 154 sqq. ; S. Santangelo, Studio sulla poesia goliardica, Palenno 1902.


Begriffserklärung und Abgrenzung 15


Spielwut zu bekämpfen. Die Spieler bilden, führt er aus, eine Satanskirche. Ihre Kardinäle sind die Spiel- dämonen und die Kartenhändler. Ihre Kirchen sind die Wirtshäuser, die voll von Schlemmern und Dirnen sind; die Wirte sind die Pfarrer und die Spieler die Gemeinde. Und Luzifer ruft: Wir müssen sorgen, daß der Zudrang des Volkes hierher reicher werde als zu den Kirchen Christi. Wir wollen die Geräte ordnen: der Altar sind die Spieltische, die an den Seiten frei sein müssen zur Aufstellung der Reliquien der heiligen Spieler. Das Mis- sale sind die Würfel und deren Punkte die Noten. Der Kelch sind die vollen Krüge und die Patene die Gulden. Der Introitus ist die Aufforderung zum Spiel; der Wechselgesang, das Kyrie, der Streit um die Würfe, das Gloria die Gotteslästerungen, das Dominus vobiscum die gegenseitige Verfluchung. Die Epistel beginnt: 'Titivillus^) apostolus, princeps tenebrarum, adebrios. Fratres estote ebrii.* Das Graduale ist das immer schlimmere Ver- sinken in Sünden. Das Evangelium sind die Wehklagen über Verlust, worauf respondiert wird: Troficiat tibi.* Das Offertorium ist das Geld. 'Et sie de ceteris*, schließt der Augustinereremit seine Parallele." 2) Ganz Ähnliches wie bei dem hier zitierten Gottschalk Hollen (f 1481) findet sich um die Mitte des 15. Jahrhunderts bei dem Minoriten Bernardino von Siena. 3) Vermutlich ist der deutsche Prediger von dem italienischen abhängig, hat aber Besonderheiten. Für unsern Zweck genügt einstweilen die Feststellung, daß man sich derartige Bei- spiele auf der Kanzel erlauben durfte, daß der Zweck die Mittel der Parodie heiligte. Wer mein Buch mit wohlwollendem Verständnis liest, wird dafür manche andere, neue Bestätigung finden.

Ehe ich nun einen Oberblick über die lateinische Pa- rodie des Mittelalters gebe und zu ihrer genaueren Be-

^) Ober diesen Teufelsnamen vgl. Joh. Bolte in der Zeitschrift für vergleichende Literatur«  gesdiiditc. N.F. XI (1897) S. 262 ff.

  • ) A. Franz, Die Messe im deutsdien Mittelalter, Freiburg 1902, S. 29.

') F. Novati, La parodia sacra p. 300 sqq. ohne Hollen zu kennen, w&hrend Franz den Sienesen tmerwdhnt U&t.


16 Vorgänger und Vorarbeiten

trachtung und Erforschung auffordere, versäume ich nicht zu bemerken, daß ich Vorgänger, Vorarbei- ter gehabt habe. Viel Material trug W. Wattenbach mit bewundernswertem Forscherfleiß herbei und legte es in verschiedenen Zeitschriften vor; eine Verarbeitung versuchte F. Novati in einer wie es scheint in Deutsch- land nicht genügend bekannten recht anregenden Ab- handlung 'La parodia sacra nelle letterature moderne', i) Die Darstellungen von Th. Wright^)und O. Dele- pierre^) blieben meist an der Oberfläche haften und beschränkten sich auf die allerbekanntesten Texte, ob- wohl Wright in anderen seiner vielen Bücher Parodien und Parodistisches in Fülle veröffentlicht hatte. Der treffliche F. Aug. Eckstein*) weiß in seinem Artikel „Parodie" übers Mittelalter nichts zu sagen. Wertvolle Bemerkungen und Mitteilungen findet man bei O. Hu- batsch,ö) A. Straccali,«) Ph. S. AUen^) und J. J. A. Frantzen,®) während Holm Süßmilch») in diesem Falle versagt und enttäuscht. Eero Ilvonen^^) gibt eine brauchbare, aber unzulängliche Übersicht über die mittellateinischen Parodien, behandelt im Hauptteil fast ausschließlich die alten Gedichte, die Lateinisches ..und Französisches mit komischer Wirkung mischen, also nur einen Nebenzweig der mittelalterlichen Parodie, und subsumiert unter „Parodie" zuviel, da er zu ihr profane Nachahmungen kirchlicher Poesien zählt, wo die Imitation mehr oder weniger nur als Eselsbrücke beschritten ist. Habe ich den einen und anderen Ge- lehrten, aus dessen Schriften ich für meine Forschungen

») In Novatis Studi critici c Icttcrari, Turin 1889, p. 177—310.

') On the history of comic litterature during the middle agest Th. Wr., Essays on archaeological subiects etc. II (London 1861) p. 230 sqq. ; Histoire de la caricature et du grotesque dans la litterature et dans Tart. 2e ^, Paris 1875.

^) La Parodie chez les Grecs, chez les Romains et chez les modernes, London 1870.

  • ) Ersdi u. Gruber, Ällgcm. Encyklopädie 3. Sect. XII (1839) S. 266 ff.

^) Die lat. Vagantenlieder des Mittelalters, Görlitz 1870.

') I goliardi owero i clerici vagantes delle imiversiti medievali, Florenz 1880. (Erwei» terter Aufsatz d.er Rivista Europea. XVI u. XVII.

^) Mediaeval lyricst Modem philology. V (Chicago 1908) 448 sq., 456 sq., VI 134 sqq.

») Neophüologus V (1919/20) p. 66. 73 f.

^) Die lat. Vagantenpoesie des 12. und 13. Jahrhtmderts als Kulturersdieinung. Leipzig 1917.

^) Parodies de thfemes pieux dans la po^sie Franpaise du moyen age, Helsingfors 1914.


Vorbemerkungen 1 7


etwas lernte, im vorhergehenden zu erwähnen unter- lassen, so bitte ich das mit der gebotenen Raumspar- samkeit zu entschuldigen und sich aus meinen sonsti- gen Literaturangaben zu überzeugen, daß ich viel habe lesen müssen. In starkem Maße bin ich von keinem Werke abhängig. Sie haben mir alle nicht genügt und eine neue Untersuchung meinerseits nicht überflüssig gemacht: W. Wattenbach hat seine zahlreichen Funde und die der anderen nie sununiert, F. Novati vieles zu- fällig übersehen, vieles absichtlich beiseite gelassen, die anderen, die ich nannte, bestenfalls einzelne gute Ge- danken ausgesprochen. Behaupte auch ich, nur Stück- werk zu bieten, so ist das keine rhetorische Phrase ge- machter Bescheidenheit Als mir der Plan kam, er- innerte ich mich keiner Arbeit eines anderen über das Thema, und als ich mich besser unterrichtete, sah ich halb mit Schrecken halb mit Freude, daß ich nicht einfach fortsetzen und ergänzen konnte, sondern einen neuen Bau beginnen mußte. Der zu bewältigende Stoff wurde immer größer, je mehr ich mich in Handschrif- ten und Drucken umsah und eingrub. Während ich von Anfang an mich weder der Parodie in der bilden- den noch in der mimischen Kunst ,widmehv. wollte, mußte ich wohl oder übel bald auch darauf verzichten, /ien Texten in germanischen und romanischen Sprachen den gebührenden Platz in meiner Darstellung einzuräumen, verzichtete in Abschätzung meiner Kräfte, meiner Zeit und des mir vom Verlage zur Verfügung gestellten Rau- mes, tat es in der ruhigen Überzeugung, daß die latei- nische Parodie des Mittelalters, auf die ich mich konzentrierte, am schlechtesten bekannt ist und doch die größte Bedeutung für die ganze Entwicklung gehabt hat. Bis zu dem Zeitpunkt zu warten, wo ich Vollständigkeit und einen höheren Grad von Richtig- keit erreicht zu haben behaupten könnte, hielt ich nach fast dreijährigem Forschen für falsch. Die wenigen Ver- treter der lateinischen Philologie des Mittelalters, denen man es bisher nie leicht gemacht, müssen schaffen, so-»

Lehmann / Parodie im Mittelalter 2


18

lange es noch Tag ist. Besserwisser würden an dem Buch selbst nach dreimal so langem Feilen und Füllen etwas auszusetzen haben. Ich schreibe für die, die sich von mir und mit mir im Glauben an die wissenschaft- liche Notwendigkeit der mittelalterfichen Studien be- lehren lassen wollen, schreibe dem hochstrebenden und doch nie hochmütigen Forschungsführer zu Ehren und hoffentlich zur Freude, dessen Namen ich voraus- geschifckt habe, Karl Voßler, dessen Freundschaft mir in schweren Jahren ein Hort und Quell des Trostes, der Hoffnung, der Anregung geworden ist.


URSPRUNG UND ANFÄNGE

Woher kam, wie und wann beginnt die mittelalter- liche Parodie? Auf diese Fragen ist schwer in der Kürze und mit der Zuverlässigkeit, die ich beide er- strebe, zu antworten. Der Ursprung ist problematisch und wird es fürs erste noch bleiben; diese Einsicht darf ich meinem Leser nicht ersparen.

Die griechisch-römische Welt hat dem abendländi- schen Mittelalter zwar den Namen, aber kein zugkräf- tiges Beispiel der Parodie hinterlassen. Es gehörte die Phantasie und Kombinationskühnheit eines Hermann Reich dazu, wollte man bestimmen, inwieweit etwa der Mimus zur Erhaltung der antiken Parodie beigetragen habe. Daß Schauspieler, Jahrmarktskünstler und der- gleichen Leute immer gern persiffliert und parodiert haben, braucht nicht erst bewiesen zu werden. Ohne Reichs gedankliche Sprünge und Flüge alle mitzumachen, die in seinen letzten Jahren sogar Paul von Winterfeld, den schmerzlich Vermißten, in die Irre geführt haben, kann und muß man zugeben, daß vielleicht dank dem Mimus Reste parodistischen Gebrauches ins frühe Mittel- alter hinübergeführt worden sind. Jedoch hängt die überwiegende Mehrheit der erhaltenen mittellateinischen Parodien keineswegs mit dem Mimus des Altertumes zu- sammen. Die einzige Verbindung zwischen Altertum und Mittelalter, die ich mir auf diesem Gebiete vorstellen, aber in den Texten selbst nur tastend und schwankend bei der Cena Cypriani verfolgen kann, haben wohl die Saturnalien hergestellt, die trotz offizieller Bekämpfung durch die kirchlichen Obrigkeiten in der schon christ- lich gewordenen oder gerade christlich werdenden Welt, wiewohl in veränderten Formen, fortlebten.

Das ganze Mittelalter hindurch haben um Weihnach- ten und Neujahr herum namentlich die Schulkinder und


20 Kinder- und Narrenfestc


die niedere Geistlichkeit mit den kirchlichen Riten ihren Scherz getrieben, geistliche Gebräuche parodiert und sakrale Texte, die sie sonst höchstens anhören durften, selbst gesungen und verlesen. Aus den Kinder- und Narrenfesten die parodistische Literatur des lateinischen Mittelalters abzuleiten, wäre bequem, hieße aber meiner Meinung nach zumal für die älteste Entwicklung der komischen Literatur im Mittelalter die Bedeutung jener vergnügten Tage übertreiben und übersehen, daß der Personalwechsel, die Vermummungen und Umzüge die Hauptsache waren, daß die lateinischen Gebete und Gesänge aber häufig nur eine heitere Note erhielten, ohne eigentlich parodistisch umgestaltet zu werden. In fast allen Fällen haben gerade die älteren Texte, die wir im folgenden zu betrachten haben, mit den rituellen Fröhlichkeiten an Tagen wie dem des heiligen Nikolaus gewiß nichts zu tun. Ebenso wie sie gewöhnlich nicht die Repertoirestücke der Komödianten und Gaukler von Beruf gewesen sind, so auch im Anfange selten die von den Klosterbrüdern, den Subdiakonen u, a. vorgetrage- nen Spässe und Frivolitäten der kirchlichen Feste. Viele mittelalterliche Parodien sind überhaupt in der Stu- dierstube entstanden und immer nur gelesen, nicht auf- geführt worden; die Vortragsstücke in der parodisti- schen Literatur verdanken beliebigen Festen, Banketten, Gelagen ihr Dasein, viele sind für die Kneipen verfaßt und höchstens ausnahmsweise und wider Recht und Sitte hier und da in die Kirchen gedrungen. Immerhin ist es wichtig für das Wiederauftauchen der parodisti- schen Machtwerke gewesen, ist es wichtig für unser Verständnis der Parodie, daß es ein mehr oder weniger gern erlaubter Brauch war, ab und an im Kirchenjahr das Oberste zu unterst zu kehren, Weltliches mit geist- lichem zu vermengen.

Ob man nun die Nachwirkung ider Antike auf dem Gebiet der mittelalterlichen Komik für stärker oder für noch schwächer hält als ich es tue, ob man die Parodie- literatur fester mit den kirchlichen Kinder- und Narren*


Anlässe und Anfange 21


festen verkn-upft, der Selbstverständlichkeit hat man sich immer zu erinnern, daß Nachahmen, Nachäffen zu Unterhaltung und Verspottung einfach menschlich sind und die Parodie überall da Boden faßt, wo witzige und kritische Menschen es lernen, ihre Umgebung, ihre Bü- cher, die irdischen Einrichtungen und vieles sonst mit offenen Augen zu beschauen. Das Mittelalter hat häu- figer und zuweilen auch früher als man wohl meint, die Scheuklappen abzustreifen verstanden, mit den Zügehi gespielt, an ihnen gezerrt, sich losgerissen.

Ich lehne es ab, die mittelalterliche Parodie insgesamt und vornehmlich auf den Mimus oder andere künst- lerische Vorbilder und Vertreter des Altertums zurück- zuführen, trage starke Bedenken, sie in ihren Ur- sprüngen fest mit klerikalen Belustigungen zu verbinden. Die Anlässe und Möglichkeiten zur Parodie sind von jeher mannigfaltig gewesen, die Schauplätze bald Kirche oder Straße, bald Wirtshaus und Bühne oder Studier- stube und Schule. Ja: Schule. Wenn ich von den An- fängen und Ansätzen der Parodie im Mittelalter spreche, darf ich die Schule am allerwenigsten vergessen. Be- gegnet uns Menschen des 19./20. Jahrhunderts Parodie und Travestie nicht zuerst in der Schule, wo wir mit kindlicher Scharfäugigkeit die tatsächlichen oder angeb- lichen Mängel, die komischen Eigentümlichkeiten eines Lehrers oder Lehrbuches erkennen und uns an ihrer Karikierung mit Wort und Geste ergötzen? Auch in der mittelalterlichen Schule ist trotz strengster Zucht sicher- lich oft parodiert worden. Nur hat uns die Überliefe- rung nicht eben viel von den Proben jugendlichen Witzes und Übermutes gerettet. Nach der Schule schmeckt aber manches.

Vielleicht ist eine etwa im 7. Jahrhundert entstandene Grammatik eine Schulparodie, freilich nicht eines Schü- lers, Sondern eines sehr gelehrten Mannes. Ich meine den noch immer ^) rätselhaften Virgilius Maro

  • ) Trotz H. Zimmers (t) Aufsatz in den Sitz.»B€r. der Kgl. Preuß. Akademie d. Wiss.

zu Berlin. 1910. S. 1031 ff.


22 Virgilius gramm.{ Joca monadiorum

grammalicus,^) bei dessen Lektüre man sich schon oft gefragt hat: ist er ein Schwindler, der mit Gelehr- samkeit protzt, oder ein gelehrter Narr, der seine Schrif- ten ernst gemeint hat? Möglicherweise war er keines von beiden, sondern ein arger Schalk. Ich stelle zur Diskussion, ob Virgil mit seiner nach altem Muster ein- gerichteten und dennoch so ganz neuartigen Grammatik nicht über die Spitzfindigkeiten, das Prunken mit Er- klärungen und Zitaten, über all die Auswüchse des sprachlichen Unterrichts sich lustig machen wollte, die namentlich am Ende des Altertums in Gallien und anderswo die seltsamsten Blüten trieben. Mich mutet es wie eine Parodie an, wenn er 12 Arten Latein, 4 Wort- geschlechter, 50 Verba ohne Singular unterscheidet, wenn er von Grammatikerfehden über den Inchoativ berichtet, die 15 Tage und Nächte gedauert hätten, yon der zweiwöchigen Disputation über den Vokativ von 'ego* etc. Cato, Terenz, Cicero, Horaz, Properz, Quinti- lian, mindestens drei Lucane und andere bekannte wie unbekannte Schriftsteller werden angeführt, ohne daß die Zitate sich in den erhaltenen Werken finden ließen. Wir gehen nicht näher auf Virgilius Maro grammaticus ein, da er halb noch in der Antike steckt und da er jedenfalls auf die mittelalterliche Nachwelt nicht paro- distisch gewirkt, nein wie ein lauterer Gewährsmann für die Sprache benutzt worden ist. Aber mahnen möchte ich an die Möglichkeit, daß er hauptsächlich spitz- findige, zitatenfrohe Grammatiker parodieren, nicht mit Wissen, an das er glaubte, paradieren wollte.

Im Lehrhaften ans Komische, Parodistische streifend, erscheinen uns die Joca monachorum,^) was man besser durch Mönchsunterhaltungen als durch Kloster- witze übersetzen sollte. Es sind das uralte Gesprächs- büchlein, die dem Abendlande im 6./7. Jahrhundert aus dem griechisch-byzantinischen Osten übermittelt sind,

^) Ausgabe der Werke in der Teubneriana durch J. Huemer, Leipzig 1886. Nachtrage bei Stangl, Virgiliana, München 1891.

•) Möchte die Veröffentlichung, die W. Suchier (Göttingen) 1914 mir in Aussicht gestellt hat, so dag ich einen eigenen Plan fallen lieg, bald erscheinen ! Bisher sind wir auf ver«  streute ungenügende Wiedergaben angewiesen.


Gespradisbücher 23


ZU Anfang des 8. Jahrhunderts iiü Frankenreiche be- reits in verschiedenen lateinischen Fassungen existieren und in der Hauptsache biblische Katechismen zum Ge* brauch für Erholungsstunden vorstellen. Den mo- dernen Menschen muten die Fragen und Antworten oft paradoxer und scherzhafter an, als sie gewollt sind. Aber unbestreitbar belehren sie unterhaltend, unter- halten sie lehrend, ebenso wie die ihnen verwandten Dialoge zwischen dem Kaiser Hadrian und dem klugen Kinde Epitus.^) Unbestreitbar zeigen Fragen wie die fol- genden ein fast parodistisches Spielen mit der Bibel: 'Wer ist gestorben, ohne jemals geboren zu sein? Adam.* 'Welche Menschen waren an den Pforten des Para- dieses, als Adam daraus vertrieben war? Adam und Eva.* Und es liegt ferner auf der Hand, daß die seit dem Frühmittelalter in griechischen, lateinischen, syri- schen, koptischen, slawischen, romanischen, irischen, altenglischen Gewändern auftretenden Joca monacho- rum den Anreiz zu den noch heute beliebten biblischen Scherzfragen: 'Wer war der früheste schlechteste Kauf- mann? Simson. Denn Gott nahm seine Stärke von ihm, und Gott gab sie ihm auch wieder.* 'Quomodo vocaba- tur canis Tobiae? Quippe. Quippe movebat caudam suam* gegeben und beigetragen haben, die mittelalter- lichen Menschen an den parodistischen Gebrauch von Bibelworten zu gewöhnen.

Klarer und stärker als bei den Joca monachorum ist die Parodie in den Gesprächen von Salomo und M a r c o 1 f , wo die Bibel geradezu frech behandelt wird. Leider kennen wir Alter und Urform dieses merkwürdi- gen Erzeugnisses nicht. Ob — was wahrscheinlich zu bejahen ist — und in welcher Weise die schon im Decretum Gelasianum de libris recipiendis et non reci- piendis verbotene 'Scriptura quae appellatur Contra- dictio Salomonis* eine Parodie der Weisheit Salomonis gewesen ist, läßt sich schwer oder gar nicht sagen. Die uns überlieferten lateinischen Dialoge und Anekdoten

>) Vgl. Walter Suchier, L'Enfant sage, Dresden 1910.


24 Spottrhythmen } Abt von Angers

'Salomon et Marcolfus* dürften in den vorliegenden Fas- sungen nachkarolingisch sein und werden, zumal da sie erst seit etwa 1000 sichtbar eine Rolle in der Literatur spielen, in einem späteren Kapitel von uns behandelt werden.

Einen starken parodistischen Schimmer hatten bereits die im 7. Jahrhundert verfaßten Spottrhythmen auf die Bischöfe Importunus von Paris und Chrodebert von Tours. ^) Schimpft und spottet der eine über das schlechte Brotkorn, das ihm der Kollege geliefert hat, und wünscht er ihm in einem Atem Gutes imd Böses, so rächt sich der andere, indem er dem Pa- riser Bischof in ähnlichem Ton Unkeuschheit yorwirft. Die Schmähbriefe sind gewissermaßen Parodien bischöf- licher Korrespondenz, wobei die Schreiber die in den Kanzleien üblichen Formeln und die im geistlichen Ver- kehr gebräuchlichen Formen möglichst wahren, aller- dings satirisch verwenden und verändern. In die früh- karolingische Zeit versetzt uns das Gedicht über den Abt von Angers.^) Mit scheinbarer Ernsthaftigkeit wird sozusagen ein Panegyricus, ein Grabgedicht auf den trinkfesten Abt Adam parodiert.

Zu Angers, hört' ich, soll ein Pfäfflein leben, sein Name der des ersten Menschen ist; das trinke, munkeln sie, vom Saft der Reben so viel, wie nimmer Jud noch Christ.

Man sagt, daß niemals Tag und Stund' erscheine, da Pfaff und Fläschchen nicht zusammen sind, da er nicht trunken schwankt von süßem Weine, als wie das Bäumchen schwankt im Wind.

Nie wird in Ewigkeit sein Leib vergehen, zu gut hat er ihn innen ausgepicht, fürwahr, ein Wunder ist es anzusehen: so balsamiert kein Balsam nicht.

  • ) Herau^eg. von K. Zeumer in den MG. Formulae p. 220 ; freie Qberse^ung bei P.

V. Winterfcld, Deutsche Dichter des lat. Mittelalters, München 1913, S. 136 ff.

  • ) MG. Poctae IV 591.


Cena Cyprianl S25


Ein Weinfaß selber, legt er nicht mit Bechern wie andre Menschenkinder schüchtern los; er ist ein Zecher hoch ob allen Zechern und schlürft aus Kannen extragroß.

Stirbt er, so werden viele Tränen fließen, und nie verwindet Angers seinen Schmerz: Kein zweiter wird so viel hinuntergießen. Sein Ruhm lebt fort in Stein und Erz!

Diese flotte Verdeutschung P. von Winterfelds ^) hat den Refrain fortgelassen, der das Epitaph deutlich zu einem Trinklied macht:

'Eia, eia, eia laudes

eia laudes dicamus Libero.'

Der Kehrreim ist nach meiner Auffassung paro- distisch. Es wird darin die Aufforderung verkehrt, die in christlichen Hymnen nicht selten ist: ^)

'Landes dicamus Domino.*

Tatsächlich also ist Witz, Wort- imd Gedankenspiel, parodierender Zeitvertreib und parodierende Satire selbst der vielfach rohen Zeit des 7. und 8. Jahrhunderts nicht fremd geblieben.

Eine alte christliche Parodie großen Umfanges hat das 9. Jahrhundert geerbt und fröhlich erneuert. Das ist die 'Cena Cypriani*. 'Es war einmal ein König im Osten namens Johel, der zu Ghana in Galilaea ein großes Gastmahl geben wollte.' Die Anfangsworte er- innern gleich an die Hochzeit von Ghana, auf der Jesus Christus Wasser zu Wein verwandelte. Dieser Anklang an die Bibel ist bewußt hervorgerufen, ja er ist nicht der einzige: es tönen noch einige Evangelienstellen hin- ein, wo auch von irgendwelchen Festen berichtet ist. Und derartige Bibelmischungen durchziehen die ganze Prosaschrift. Von überallher sind aus dem Alten wie Neuen Testament Worte und Züge hervorgeholt und

») a. a. O. S. 147.

') Z. B. Analecta hymnica XLIII 10; U. Chevalier, Repertorium hymnol. II 30.


26 • Cena Cypriani


ZU einem wunderlichen Ganzen zusammengeleimt, das durch Entlehnung und Nachahmung wirken will und wirkt. — Alle möglichen Personen strömen zusammen. Jeder wählt sich einen Platz, den die Bibel vorzuschrei- ben schien. Vater Adam plaziert sich in die Mitte, Mutter Eva auf ihr ominöses Feigenblatt, Kain auf seinen Pflug, Abel auf einen Milchkübel, Noah auf die Arche, Ruth die Ährenleserin auf Werg, Susanna in den Garten, Absalon auf die Zweige, an denen er seinen Tod gefunden, Judas Ischarioth auf seinen Geldkasten, Sim- son auf die Palastsäulen usw. Und nun wird ein Fest- mahl gerüstet und gefeiert, das es niemals gegeben hat. Wie die Speisen sind die Getränke jedem nach der Heiligen Schrift angepaßt Jesus erquickt sich an Sekt, da Wein aus getrockneten Trauben 'Passus' hieß und er die 'Passio' erlitt. Mannigfaltig sind die Wirkungen der Schwelgerei. Adam und andere legen sich schlafen, Noah bekommt natürlich einen Rausch, den Apostel Petrus läßt der krähende Hahn nicht lange ruhen. Nach der Tafel bringt Pilatus, der bekanntlich seine Hände in Unschuld wusch, Wasser zum Spülen der Hände. Martha eilt dienend näher, andere spielen, singen und tanzen. David greift zur Zither, Judas und Herodias tanzen, Mambres zeigt Zauberkünste, Judas, der den Herrn mit einem Kuß verriet, teilt Küsse aus, Pharao eilt dem Volke nach und fällt ins Wasser. Schließlich entläßt der König die Gäste, und diese gehen verschie- denen, durch die Bibel vorgeschriebenen Beschäfti- gungen nach. Am anderen Tage müssen alle dem Johel Geschenke bringen: Erzvater Abraham, der Hirt, einen Hammel, Rebekka ein Kamel, Simson einen Löwen, der Jäger Esau einen Hirsch, Jesus Christus ein Lamm, Moses zwei Tafeln usw. Doch nun kommt ein Konflikt: Der König hat bemerkt, daß am vorigen Tage allerlei gestohlen ist. Da werden die Gäste gemartert, bis Agar zur Sühne aller getötet und feierlich beerdigt wird.

Lachen, unbändige Lustigkeit und Derbheit klingt uns aus biblischem Material entgegen, so daß man die Ernst-


Cena Cypriani 27


haftigkeit der bewußten Stellen einmal vergißt Uns mutet das Werk komisch an. Wollte der Verfasser von Anfang an bei seinen Hörern und Lesern Heiter- keitserfolge erzielen? Wie andere vol: ihm behauptete der gelehrte Jesuit H. Brewer noch 1904: Nein; die Cena Cypriani hätte ursprünglich Dinge, Namen, Per- sonen der Bibel dem Gedächtnis einprägen wollen, da- für die seltsame Form gewählt, und er wies des wei- teren — was 1^/2 Jahrhunderte Vor ihm bereits die Ge- brüder Ballerini getan hatten — auf einen Traktat Zenos von Verona hin. Dann suchte Lapötre die Cena als eine groteske Satire des Spaniers Bachiarius auf ein Bankett des Kaisers Julianus Apostata zu Ehren der Göttin Ceres hinzustellen. Geistvoll und anregend der eine wie der andere, dürfte doch keiner von beiden eine vollbefrie- digende Erklärung gefunden haben. Die Annahme des lehrhaften Hauptzweckes war nach K. Streckers und meiner Auffassung ebenso grundfalsch wie die Beziehung auf Julian höchst zweifelhafter Natur. Der Zusammen- hang mit Zeno besteht dagegen in der Tat. Der Vero-r neser Bischof hatte in einer Osterpredigt die Mahnung ergehen lassen, das übliche, oftmals übermäßig fröh- liche Taufmahl nach der Feier von Christi Auferstehung nicht in weltlich ausgelassener Weise zu begehen, da- für sich an der Bibel zu sättigen, und hatte das Bild von der biblischen Kost ausgemalt mit Hilfe von Stel- len des Alten und Neuen Testaments, wo heilige Männer und Frauen mit Essen und Trinken in Verbindung ge- bracht werden. Ein witziger Kopf, mag es nun irgend ein Cyprianus — nicht der bekannte Kirchenvater — oder sonst wer gewesen sein, griff Zenos Worte auf und parodierte sie, nicht etwa um die Heilige Schrift, son- dern höchstens um ihre Verwertung durch Zeno ins Lächerliche zu ziehen. Vielleicht benutzte er nur zur Belustigung ohne satirisch-polemische Hintergedanken die sich ihm aufdrängende Gelegenheit, aus der Bibel eine erheiternde Gastmahlbeschreibung zusammenzu- klittern. Gewiß ist, daß die Entstehungsumstände


28 Ccna Cypriani


und die etwa einst vorhandene satirische Tendenz der parodistischen Cena Cypriani allmählich vergessen wurde, und dann auch das Werk selbst, bis es im 9. Jahrhundert Wieder entdeckt ward. Charakteris li- scherweise haben die karolingischen Gelehrten das Werk weder für töricht gehalten, was moderne Forscher taten, noch für blasphematorisch, «was nicht überraschen würde. Selbst Hrabanus Maurus, der ein dogmentreuer streng- kirchlicher Mann war, hat sich dem humoristischen Reiz des alten Textes nicht entziehen können. Um 855 gab er die Cena verkürzt heraus^) und widmete diese Be- arbeitung mit einem erhaltenen Briefe 2) König Lothar IL Daß er irgend etwas religiös Anstößiges darin gefunden hätte, sagt er nicht. Er unterstreicht das Lehrhafte, Nützliche des Stoffes, ohne den Ausdruck der Hoffnung zu vergessen, daß die Lektüre dem Herrscher 'ad iocun- ditatem* zur Kurzweil dienen möge. Während Hrabans Text bis zum 15. Jahrhundert in einem Dutzend Hand- schriften kopiert wurde, fand die alte Cena eine wenig- stens fünfmal so große Verbreitung, — schwerlich als praktisches Hilfsmittel zur Erwerbung und Befestigung von Bibelkenntnissen, vielmehr der absonderlichen, unterhaltenden Zusammenstellung wegen. Wie der fran- zösische Mönch Herveus in der Mitte des 12. Jahr- hunderts das Gastmahl aufgefaßt hat, kann ich noch nicht sagen, da von seinem handschriftlich erhaltenen Kommentar bisher allzuwenig veröffentlicht ist. Klar ist seit den Untersuchungen von F. Novati (in seiner Parodiestudie), von Lapötre und namentlich seit der gut eingeleiteten und gut fundierten kritischen Ausgabe, die vor einigen Jahren Karl Strecker geliefert hat, ^) daß in der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts ein römischer Diakon Johannes den alten Volltext zu einer aus- gesprochen heiteren Parodie umgedichtet hat. Deutlicher noch als in der Prosavorlage erscheint

  • ) Im Druck vcröffcntlldit durdi H. Hagen in der Zeitschrift für wissensdiaftlidie Theo»

logic XXVII 164 ff. mit Nachtragen von Rönsch S. 344 ff.

  • ) MG. Epp. V 506.

«) MG. Poetae IV 857 sqq.


Cena Cypriani 29


in dieser rhythmischen Cena die Parodie als burleskes Unterhaltungsstück. Prolog und Epilog, so dunkel sie in einzelnem sind, überheben uns hinsichtlich der ko- mischen Absicht und der Wirkung über jeden Zweifel Der Dichter tritt als Bajazzo vor das Publikum:

'Quique cupitis saltantem me Johannem cernere, nunc cantantem auditote, iocantem attendite: satiram ludam perciu'rens divino sub plasmate, quo Codri findatur venter. Vos, amici, plaudite,

Riserat qua Cyprianus post Felicem Mineum, talamiun logiae Septem qui dotavit artibus, sub pampineis vinetis, sub racemis mollibus, vetera novis commiscens scriba prudentissimus.

Hac ludat papa Romanus in albis pascalibus, quando venit coronatus scolae prior cornibus, ut Silenus cum asello derisus cantantibus, quo sacerdotalis lusus designet misterium.

Hanc exhibeat convivis Imperator Karolus, in miraculis gavisus, prodigus in vestibus, quando victor coronatur triumphatis gentibus, ut imperialis locus instruat exercitum.

Video ridere, certet quam scurra Crescentius, ut cachinnis dissolvatur, torqueatur rictibus; sed prius pedens crepabit tussiendo vetulus, quam regat linguam condensis balbus in nominibus.

Ad cenam venite cuncti Cypriani martiris, rhetoris et papae clari Libicae Carthaginis, quam sophista verax lusit divinis miraculis, non satiricis conunentis, non comoedi fabulis/

Während Lapötre glaubte, das Gedicht wäre wirklich 876 in Gegenwart Karls des Kahlen und des Papstes zu


30 Cena{ Theodulf; Sedulius Scottus

Rom beim Schülerfeste rezitiert worden, scheint mir K. Strecker mit Recht betont zu haben, daß davon in den Versen nicht die Rede sei. Der Dichter wünscht nur, daß der Papst es sich vortragen lasse, vergegen- wärtigt sich, wie die Cena bei einer Cena des Kaisers verlesen werden und Karl fast vor Lachen platzen werde, wenn vielleicht ein Mann wie Crescentius sich stotternd abquäle, die vielen fremdartigen Namen her- auszubringen. Der leider unvollständig überlieferte Epi- log scheint von dem großen Beifall zu sprechen, den die alte Cena an Karls des Kahlen Hoftafel gefunden hatte.

Das tolle Spiel, das in der alten Cena mit der Bibel getrieben ward, ist hier wiederholt und durch die Rhythmen außerordentlich belebt. Ganz begreifen läßt es sich allein, wenn man Zeile für Zeile mit den Bibel- stellen -vergleicht. Dringt man erst einmal etwas in das Textverständnis ein, dann merkt man, daß hier ein guter Bibelkenner gewandt und witzig ein unterhaltendes Lite- raturstück aufgefrischt hat, eine trotz aller Kühnheiten, ja Obszönitäten und scheinbaren Blasphemien im Grunde harmlose Parodie. Mehrfach abgeschrieben, ist sie später gelegentlich, z. B. von dem Reimser Azelinus, umgearbeitet worden. Daß man in den folgenden Jahr- hunderten an solchem komischen Mißbrauch der Bibel Gefallen fand, nimmt den Kenner der geistigen Entwick- lung weniger wunder als bei flüchtigem Betrachten die Tatsache, daß schon im 9. Jahrhundert eine derartige Umdichtung entstand. Und man muß sagen: Ohne die Wiederentdeckung der vormittelalterlichen Cena Cypri- ani wäre Johannes Diaconus kaum zu einer großzügi- gen Parodie angeregt und ermächtigt worden. Wohin man sonst blickt, sieht man in der karolingischen Zeit nur schüchterne Ansätze zur Parodie.

Ansätze erblicke ich in der Tierfabeldichtung, wo man zwar einstweilen fast immer beim Erzählenden und Frommallegorischen bleibt, Theodulf von Orleans Aber schon Satirische Töne anschlägt. Ansätze in den ironischen und humoristischen Epitaphien: Sedulius


Mico} Johannes Scottus; Ermenrich 31

J m.

S c o 1 1 u s schließt sein scherzhaft vorgetragenes Gedicht von dem armen Hammel, den die Hunde zerrissen, mit der komisch-ernsten Grabschrift : ^)

'Tu, bone multo, vale, nivei gregis inclite ductor,

heu, quia nee vivum te meus hortus habet.

Forsan, amice, tibi fieret calidumque lavacrum,

non alia causa, iure sed hospitii;

ipse ministrassem de voto pectore limphas

cornigero capiti, calcibus atque tuis.

Te, fateor, cupii; viduam matremque cupisco,

fratres atque tuos semper amabo. Vale.'

Mico von St. Riquier^) schreibt ein Scherzepitaph auf einen Ostiarius, der die . Kirchengewänder und -ge- rate aufbewahrt. Der kühne Ire Johannes Scottus findet den Mut und den Witz, seinem damals noch leben- den Gegner, dem mächtigen Hincmar von Reims, die Verse*)

'Hie iacet Hincmarus cleptes vehementer avarus:

Hoc solum gessit nobile, quod periit' zu widmen.

Echte Parodien antiker Literaturwerke sind von den höfischen, geistlichen Schriftstellern dieser Epoche iiicht oder höchst selten und zaghaft gewagt. Zu einer Ge- lehrten- und Schülerwelt, die trotz der Weltanschau- ungsunterschiede voll scheuer Bewunderung zu den großen Alten als den unübertroffenen Formvorbildern, den unerschöpflichen Stoff quellen aufsah, würden leicht- fertige, humoristische Verwendungen und Verwand- lungen der Klassiker schlecht gepaßt haben. Ermen- rich von Ellwangen liefert keine vollständige Aus- nahme von der Regel, wiewohl er etwas eigenbrötlerisch ist Ich wiederhole, aber unterschreibe nicht .vorbehalt- los, was P. von Winterfeld über Ermenrichs Brief an Grimald gesagt hat:*) „Einmal wenigstens, am Schlüsse,, erhebt sich der trockene Pedant über seine granuna- tischen und philosophischen Tüfteleien zu einer über- mütigtollen Parodie, die wohl geeignet ist, den Leser

») MG. Poetae III 207. «) 1, c. 365. «) 1. c 553. *) Deutsche Didhter S. 407 f.


32 Ermcnrich von Ellwangen

für die trostlos öden Deduktionen zu entschädigen, die er über sich hat ergehen lassen müssen. Dem Vater Homer ist sein Vegetariertum übel bekommen: ein arges Leibgrimmen zwackt ihn und gemahnt ihn an die Ver- gänglichkeit alles Irdischen; so macht er sich auf zu seinem Kollegen Virgil, um ihn zum Erben einzusetzen, damit die Tradition nicht abreiße in der ehrsamen Dichterzunft. Aber unterwegs schon ereilt ihn sein Schicksal: Orcus tritt ihm entgegen, auf seines Drei- zacks Spitze ein Läuslein gespießt, und ruft ihm ent- gegen sein schnödes: 'Bis hierher und nicht weiter!' Dieser possierliche Anblick kuriert den Patienten mit einem Schlage: er bricht in Lachen aus, macht kehrt und schlägt ein Kreuz ob solchem Teufelsspuk; rasch entschlossen wirft er seinen ganzen mythologischen Ballast über Bord, die Ilias, wie sich's gebührt, vor- an, um nur noch von Gallus zu fingen, dem hei- ligen natürlich, und nicht wie Silen in Virgils sechster Ecloge, die Ermenrich hier im ganzen und im ein- zelnen parodiert hat, dem augusteischen Dichter." Eine Vergilparodie anzunehmen, ist mehr als gewagt. Es ist richtig, daß Ermenrich Vergil nachahmt, in- dem er wie in der sechsten Ecloge Sagen- und Dich- tungsstoffe aufzählt, V. 41 f., 61 f., 64, offensichtlich imitiert und am Ende den Dichter von Gallus singen läßt Aber ich bezweifle und bestreite, daß der Schwabe eben durch die Nachahmung eines bestimmten Werkes des verehrten Klassikers den komischen Erfolg erreichen wollte. Dazu ist die Imitation zu sporadisch und ober- flächlich. Was man parodistisch nennen kann, ist nicht durch das Vorbild der Ecloge gegeben, das ist vielmehr die selbständige burleske Behandlung antiker Vorstel- lungen und besonders des Dichterfürsten Homer. Eben- so geht mir v. Winterfeld, den ich wahrlich hoch- schätze, zu weit, wenn er Notkers (?) Schwankdichtung vom Wunschbock als Parodie bezeichnet.^) Eine lustige Geschichte wird gleich einer ernsthaften in getragenem

>) Deutsche Didhter S. 487.


Schwanke des 10. und 11. Jahrhunderts 33

Tone vorgebracht. Das hat jenes Gedieht mit einer Parodie gemein, genügt jedoch schwerlich. Sonst muß- ten wir zahllose Schwanke und Possen zu den Parodien rechnen.

Parodistische ToHe erklingen hier von ferne, er- klingen desgleichen in einigen Poesien der anekdoten- freudigeren Zeit, die auf die karolingische Renaissance folgte.

In der berühmten Cambridger Liederbandschrift haben wir das köstliche Scherzgedicht,^) wie vor dem Erzbischof Her ig er von Mainz (913 — 927) einer er- scheint, der sich brüstet, in Hölle und Himmel gewesen zu sein. Christus beim Mahl, von Johannes dem Täufer als Mundschenk, von Petrus als Koch bedient, will der Schelm gesehen und selbst im Himmel ein Stück Lunge gestohlen und verzehrt haben, wofür ihn Heriger bestraft. Trotz der Züchtigung und Moralpauke am Schluß denke ich nicht mit Ehrismann*) an einen mo- ralistischen Charakter des Gedichtes. Für die Geschichte der Parodie ist mir das Poem bedeutungsvoll, weil die Erzählung von Christi Mahl im Himmel ans heilige Abendmahl und die parodistische Cena Cypriani er- innert, weil sie einen weiteren Beweis dafür gibt, daß man vor lustiger Behandlung des Himmlischen und Heiligen nicht zurückschreckte. Vielleicht liegt in diem Herigerliedchen sogar eine Parodie der sich häufenden ernstgemeinten Visionen vor. Die Ausdrücke Ver- höhnen, Verspottung des Wunders u. dgl. kann ich im Gegensatz zu F. v. d. Leyen^) auf die Geschichte von Heriger und den Schwank vom Schnee- kind nicht anwenden. Im Humor verwandt ist das Fulbert von Chartres (f 1029) zugeschriebene lau- nige Gedicht vom Vater Johann dem Kleinen,*) in derselben Sammlung und einigen anderen Hand-

  • ) The Cambridge songs, edited by Karl Breul, Cambridge 1915, p. 59 u. 85 sq.
  • ) Gesdiichte der deutschen Literatur bis zum Ausgang des Mittelalters. I (Manchen 1918),

S. 360.

') German. «Roman. Monatsschrift. X (1922) S. 132.

  • ) The Cambridge songs p. 60 u. 86 sq. Einen Aufsaß über das Gedicht veröffentliche

ich demnächst im hollandischen Neophilologus.

Lehmann / Parodie im Mittelalter 3


34 Ansätze zur Parodie


Schriften überliefert, das gegen die Obertreibimg mo- nastischer Askese sich wendet und im Zeitalter der Cluniacenser besonderen Anklang gefunden haben mag. Sieht man von der Cena Cypriani ab, wird bis zum 11. Jahrhundert das Parodistische immer nur angedeutet und gestreift Die Vergeistlichung der Literatur war übermächtig gewesen. Das freilich hatte sie nicht zu verhindern vermocht, daß die Kritik sich hervorwagte, und daß man zu Scherzen an ernsten und heiligen Wer- ken, Personen oder Stoffen sich erkühnte und so den Boden befruchtete für die Blüte imd Reife der mittel- alterlichen Parodie.


ENTFALTUNG DER PARODIE VOM ELF. TEN BIS FÜNFZEHNTEN JAHRHUNDERT

Die allgemeinen Kräfte, die den allzeit vorhan- denen, im Mittelalter sich literarisch besonders stark ausprägenden Nachahmungstrieb zur Parodie beflügeln, sind Übermut und Unmut, Lust und Spott, Spiel und Scherz, Sehnsucht nach den Genüssen des Lebens imd jubelndes Erinnern an sie, sind der Ein- blick in die Schwächen der Menschen und (menschlichen Einrichtungen, Entsetzen, Empörung über Fehler, Laster und Verbrechen, ist die triumphierende Schaden- freude. Nun hat es Haß und Liebe, Verachtung wie Bewunderung, jauchzendes Verlangen und Genießen stets im mittelalterlichen Menschen gegeben. Dehnt und füllt sich die lateinische Parodie erst seit dem 11./12. Jahrhundert wieder tüchtig aus, so entspricht das dem, daß in den damals das Abendland durchwühlenden Streitigkeiten zwischen geistlicher und weltlicher Gewalt, zumal im Kampfe gegen und um die Vorherrschaft des päpstlichen Roms, bei der erstarkenden Rivalität zwischen Welt- klerus und Ordensklerus und den Orden untereinander Zwang und Lust zu geistigen Fehden auch in den gelehrten und lernenden Kreisen, die sich in der karolingischen Epoche vorwiegend ruhiger wssenschaftlicher Arbeit gewidmet hatten, außerordent- lich gefördert, daß der Widerspruchsgeist geweckt und angestachelt wurde, daß neben dem Streben und Lechzen nach dem himmlischen Jerusalem, neben den Verzückungen der Mystik, neben der weitabgewandten Grübelei und Askese eine ungebundene Daseins- freude bei (ien Laien und den Geistlichen sich mächtig kimdgab.

3*


36 Vaganten oder Goliarden

Man könnte es wagen und hat es getan, die Entfaltung der Parodie mit den Vaganten oder Goliarden in Verbindung zu bringen. Es ist historisch bezeugt, daß namentlich seit dem 12. Jahrhundert die Universi- täten Frankreichs und ItaUens einen hohen Aufschwung nahmen, und daß Tausende von jungen Leuten aller Nationen zu ihnen hinströmten. Wir wissen von dem Fleiß dieser Jugend, wissen aber auch, daß die Studen- ten, die jungen Clerici, nicht nur arbeiteten, sondern gern das Leben mit vollen Zügen genossen. Wie die Universitätsstädte, waren die Landstraßen voll von Stu- dierenden, die auf die hohen Schulen zogen. Daß es da auf der Wanderung oft derb und lustig zuging, daß mancher die in den Schulen gelernte lateinische Vers- kunst nach seinem Gutdünken ausübte und auf dem Marsche oder bei der Rast am Waldesrande, in den Schenken frohe und freche wie ernste Lieder, die ihm selbst gelungen waren oder die er gehört, gelesen hatte, erschallen ließ, das ist etwas schier Selbstverständliches. Zu der in jedem Menschen steckenden, im Genuß der Natur, im Beschauen und Bewundern fremder Länder und Sitten genährten Weltlust kam oftmals als Antrieb zu poetischen und prosaischen Vorführungen der bittere Zwang, das Nachtquartier, ein Kleidungsstück, die Mahl- zeit, die Reisezehrung und insbesondere einen Schoppen Wein sich irgendwie, doch möglichst angenehm zu ver- dienen. Mehr als einer, dem das Versemachen und De- klamieren leicht wm'de und das Herumziehen wohl- behagte, der verlor auf dem Wege von einer Hochschule zur anderen die Lust am Studium ganz, schlug sich sin- gend und schmarotzernd durch die Welt, mancher joahm ein ruhmloses Ende, zumal es viel weniger freie Stellen und Pfründen als begehrliche Studenten gab. Die Vagi oder Vagantes wurden schließlich eine Landplage, gegen die die Kirche streng einzuschreiten suchte wie gegen ehrlose Leute, gegen gefährliches Gesindel. Das ist ganz begreiflich. Aber es wäre falsch, in allen Vaganten Lumpen und Landstreicher zu sehen. Viele fanden den


Vaganten oder Goliarden 37


richtigen Weg, wurden sehr gescheite und hochachtbare Herren von Rang und Würden. Es wäre falsch, in den Vagantendichtem ausnahmslos verluderte und versoffene Genies zu sehen. Viele Lieder und Traktate sind trotz ihrer Bosheiten, Zoten u. dgl. nicht allzu ernst zu neh- mende, nicht überstreng zu beurteilende Erzeugnisse ausgelassener Augenblicksstimmungen. Und vor allem die sog. Vagantendichtungen sind durchaus nicht nur von vagierenden Klerikern verfaßt, sondern nicht selten bloß in Stil und Laune der fahrenden Schüler gehalten. Wie man sich im biedern Kloster Benediktbeuern nicht scheute, eine Sanmpilung solcher Texte aufzubewahren, die von Lebenslust strotzten, unter fernem Himmel, in welschen und deutschen Kneipen bei Spiel und Wein und Weib gesungen waren, auch Rügelieder enthielt, die mit zündenden Worten den Niedergang Roms malten, so hat gar oft ein braver Klostermann, ein kirchentreuer Pfarrer, ein wohlbestallter Domherr, ein strenger und gelahrter Professor im Zorne oder in froher Stunde zum eigenen Vergnügen, zur Freude und im Auftrage seiner Fürsten, Vorgesetzten und Genossen Poeme verfaßt, die man getrost zur Vagantenpoesie zählen kann. — Der Name Goliarden erfordert weniger, daß man die Begriffs- grenzen erweitert, aber er bedarf mehr der Erklärung. Mau schwankt,^) ob man ihn von 'Gula', von der Gierig- keit, ob von Goliath, dem riesenhaften Philister ableiten soll. Sehr gefördert hat die neueste Untersuchung. Filippo Ermini zeigt in ihr, daß bereits die alten Kirchenväter (Augustin u. a.), dann Beda und andere mittelalterliche Kirchenschriftsteller in Goliath den Geg- ner Christi kat' exochen, den Teufel gesehen und von den 'falsi fratres' als den Söhnen des Teufels gesprochen haben. Die Goliarden sind Satanskerle, die dem Heili- gen, Wahren und Rechten widersprechen und entgegen- arbeiten. So paßt der Ausdruck nicht übel für viele

  • ) Vgi. au6er den Alteren Erörterungen F. Neri, La famiglia di Golia> Atti della Reale

accademia d«Ue scienze di Torino. (Rom 1922) p. 169 sqq. (1914/15) ; V. Crescini, AppuntI SU Tetimologia di goliardot Atti del Reale Istituto Veneto di scienze, lettere ed arti LXXIX (1920); Fil. Ermini, II Golia dei goliardi: I^ cultura I (Rom 1922) p. 169 sqq.


38 Textliche Rahmen i die Bibel

Parodisten, die immer spotteten und opponierten, die aus Scherz oder mit einem gewissen Ernst statt der Kirche Christi die Teufelskirche vertraten. Wer die Goliarden eigentlich waren, sagt der Name nicht Ob man sie so, ob man sie Vaganten nennt, die Satiriker und Polemiker, die Spaßmacher, die Sänger von Lenz und Liebe, von Becherfreuden und Würfelspiel bilden eine Masse verschieden gerichteter, verschieden ge- stimmter Menschen von mannigfacher Herkunft So wird mit der Festlegung auf einen Titel nichts als eine Bequemlichkeit für den Augenblick gewonnen. Be- dienen wir uns bei unserem Streifzuge durch die Paro- dien gelegentlich der einen oder der anderen Bezeich- nung, so bleiben wir uns ihrer Mängel bewußt

Um Ordnung in die Parodien und das Parodistische zu bringen, könnten wir die verschiedenen Texte, die man verwandt und verwandelt hat, zu Ausgangspunkten nehmen. In der Hauptsache hat die Bibel die Form geliefert Voran stehen die Evangelien. Otto von Frei- sing in der Mitte des 12. Jahrhunderts ereifert sich^) darüber, daß die Mohammedaner ein 'Inicium evangelii Mahmet filii Dei prophetae altissimi "Lavamini, mundi estote"' geschrieben hätten. Der letzte Herausgeber A. Hofmeister (1912) hat angemerkt, daß der Beginn aus Isaias I 16 stammt und der Text nicht in der lateini- schen Koranübersetzung Peters von Cluny steht Eine mohammedanische Evangelienperikope mit lateinischer Überschrift und Anfangsworten aus der lateinischen Vulgata ist etwas sehr Auffälliges. Es ist möglich, daß ein der Kirchensprache und der Kirchentexte kundiger Mohammedaner absichtlich ein mohammedanisches Evangelium in lateinischer Sprache zusammengestellt hatte, um die Christen zu ärgern. Oder sollte Otto auf den vielleicht nur scherzhaft gemeinten Versuch eines Christen hereingefallen sein, der zeigen wollte, daß die Lehren Mohammeds zum größten Teile in der Bibel enthalten wären. Auf jeden Fall scheint Mißbrauch der

  • ) Chron. Üb. VII cap. 7.


Textliche Rahmen t Liturgisches 39

Bibel und der gottesdienstlichen Formen vorzuliegen.^) Wie aber dem auch sei, man erzählt, mindestens seit dem 12. Jahrhundert, sehr gern im Stile der Evangelien. Gewöhnlich ist nicht ein bestimmtes Evangelium für die lustigen oder boshaften Geschichten frisiert, sondern der Rahmen irgendeines Kapitels, vornehmlich der Passion Christi, ist angefüllt mit allen möglichen Bibelzitaten, die wenig oder gar nicht im Wortlaut, aber durch die Gruppierung und leichtscheinende Eingriffe im Sinne ganz geändert sind. Außer in den buntscheckigen bibel- parodierenden Passiones werden Sprüche der Psalmen, der Bücher Salomos, der paulinischen Briefe mit Vor- liebe parodistisch gebraucht Die Ausbeutung der Bibel zu Spaß und Spott beschränkt sich nicht auf die eigent- lichen Vollparodien. Es ließe sich mancher interessante Beleg dafür bringen, daß man trotz der großen Autori- tät, über die im Mittelalter die Bibel verfügte, viele biblische Sätze in einer Weise anzuführen liebte, die dem ursprünglichen Zusammenhange und der kirch- lichen Lehre widersprach. Absichtlichen Mißbrauch be- zeugen außer den von uns zu besprechenden parodisti- schen Stücken Walter Map De nugis curialium, Salim- benes Chronik und viele andere. Über die unabsicht- lichen Mißverständnisse hat man seit dem Zeitalter von Humanismus und Reformation herzhaft gelacht. Man denke nur daran, wie die Dunkelmänner briefe den Un- sinn auf sinnvolle Spitzen getrieben haben.

Die Parodie der Bibel erfaßt diese als literarischen Text, erfaßt sie ferner als Einlage und Grundlage des kirchlichen Gottesdienstes. Da ist wohl das Auffälligste und Bezeichnendste, daß man nicht vor Gebeten, Hymnen, Litaneien, ja nicht einmal vor den hei- ligen Handlungen der Messe haltmachte. Marienlieder sind zu wilden Kneipgesängen geworden, die Termino- logie der himmlischen Liebe muß zur Schilderung und Begrüßung der irdischen Geliebten herhalten. Spiel- und Saufmessen sind auf uns gekommen. Der Geistlichkeit

  • ) In der Literatur habe idi keine Erklärung der seltsamen Stelle getroffen.


40 Textliche RafameQt Kirdie und Schule

der ganzen frommen Welt müssen solche Parodien ein Greuel gewesen sein, zumal wenn sie in geistlichen Ge- wändern und auf geweihtem Boden vorgetragen wurden. Anderseits hat der strenggläubige Klerus sich selbst der Meßparodien als Kampfmittel z. B. gegen die Hussiten und zur Abschreckung in Ermahnungen bedient. Pre- digten und geistliche Lesestücke lieferten die Form namentlich für scherzende Stücke, die bis in den Bereich des blühenden Blödsinns gingen.

Von den Kirchenvätern sind ab und an einzelne Sätze parodiert worden. Walter Maps Worte :^) "In tem- pore sum et de tempore loquor," ait Augustinus et adiecit "nescio quid sit tempus. Ego simili possum ad- miracione dicere quod in curia sum et de curia loquor et nescio — Dens seit — quid sit curia* nennt James Hinton ^) eine 'parody on St. Augustine', wie ich glaube, etwas übertreibend, da der humoristische Anstrich der Imitation sehr dünn ist.

Nachahmungen der Ordensregeln spielen in der Tierdichtung und in der Vagantenpoesie eine Rolle. Ebenda werden auch kirchliche Dekrete, päpstliche Bullen parodiert, bald in heiterem Kommerston, bald um über die unselige Macht des Geldes und über die Simonie im besonderen herzuziehen. Desgleichen bieten königliche und überhaupt weltliche Urkunden und Briefe den Stil für Pamphlete gegen Kurie und Kirche, gegen weltliche Machthaber, für Ausgelassenheiten man- cherlei Art. Diese Stücke gehören in die umfangreiche Literatur der fingierten Briefe, von denen ein Teil — nicht alle — humoristisch oder satirisch ist.

Parodien aus dem Schulunterricht und Schul- leben sind mir wider Erwarten selten begegnet. Ob der spätmittelalterliche Novus Cornutus Ottos von Lüneburg den Cornutus Johanns von Garlandia und die ganze Unterrichtsmethode ins Lächerliche ziehen wollte,^) ist bisher noch zweifelhaft, öfter als die Schule

^) De nugis curialium, ed. James p. 1.

') Publications of the modern language association of America XXXII no. 1 (1917) p.94.

■) Vgl. E. Habel, Der deutsche Cornutus. II (Berlin 1909) S. 9.


Textliche Rahmen t Rezepte, Grabschc^ften u.a. 41

im LkAte der Parodie sieht man beliebiges anderes — Mönehjtum, Bauern, Liebe etc. — parodistisch durch Texte und Termini der Schule beleuchtet.

Berühmte Stücke der weltlichen Poesie sind namentlich in den Zech- und Spielliedern verdreht word^i.

Rezepte wurden entweder zu witziger Unterhaltung oder um die Geldgier der römischen Beamten zu geißeln parodiert. Es wird an Rezeptparodien gegen die Ärzte und Apotheker und ihre Methoden nicht gefehlt haben.

Unter den vielen Epitaphien, die uns das Mittel- alter in Büchern hinterlassen hat, befinden sich nicht wenige scherzhafte, nicht wenige ironische und sati- rische, die durch die komische Handhabung der Sprache und Versform echter ernster Grabschriften wirken.

Epitaphien solcher Art sind beliebte parodistische Einlagen der Tierdichtung. Es gibt in dieser noch mehr Parodistisches und Halbparodistisches, Nachahmungen, zumal von Gebeten, Benediktionen, Litaneien, Gesängen u. dgl. Ja, man kann sagen: die Tierdichtungen des Mittelalters sind Parodien der Helden- und Abenteuer- di(!htung,*) sind Parodien auf das ganze menschliche Leben, indem die Tiere wie Menschen sprechen und schreiben, sich kleiden, handeln und behandelt werden. Wir wollen jedoch nicht übers Ziel hinausschießen, müssen unterscheiden zwischen rein parodistischen Einzelheiten, den parodistischen Einlagen, wo Text- liches, Sachliches, Menschliches wirklich komisch ver- zerrt ist, und denjenigen Stücken, die allein durch die Zuweisung an die Tiere parodieähnlich sind, und vor allem, wir müssen uns bescheiden. Wie in der Tier- poesie teils in lehrhafter und satirischer, teils in rein humoristischer, unterhaltender Absicht Worte, Sitten und Gebräuche der weltlichen und geistlichen Stände,

M K. Burdadis Kennzeichnung des Brunellus als einer „satirischen Allegorie, die sich nicht blo6 gegen kirchliche und soziale Zustände richtet, sondern auch die biographischen Romane vom Schlage des Ruodlieb parodiert" (Vom Mittelalter zur Reformation. III i , Berlin 1917, S. 382), ist in ihrem letzten Teile wenig ^ücklich, da gerade der köstliche Ruodlieb überaus geringe oder gar keine Verbreitung im Mittelalter gefunden hat, also kein Beispiel wirksamer biographischer Romane ist.


42 Textliche Rahmen t Ordnungsprinzipien

talsächliche und erdachte, typische und besondere Vor- gänge und Leute mit komischem Effekt wiedergegeben oder geschildert sind, das kann hier nicht durch die sämtlichen Werke der mittellateinischen Literatur Ver- folgt werden; wir hätten denn weit mehr Platz oder schrieben eine Geschichte der bis ins Altertum zurück- reichenden, in die verschiedensten Literaturen Europas und Asiens führenden Tierfabeln, Tierdichtungen, Tier- briefe. Ganz durften diese Vorbemerkungen eines Hin- weises auf das Parodistische der Tierpoesie liicht ent- behren, zumal da in der alten Gewohnheit, kleine und kleinliche Dinge des Alltags der Tiere im Pathos des heroischen Lebens zu berichten und Tiere Wahrheiten, oft bittere, sprechen und zeigen zu lassen, eine — nicht die einzige — Erklärung dafür liegt, daß der mittelalter- liche Schriftsteller tendenziös und zur Unterhaltung zu parodieren wagte, ohne große Furcht vor dem Vor- wurfe der Entwürdigung, Entheiligung verehrter Lite- raturwerke, Menschen, Institutionen und Gewohnheiten.

Die Parodien, die nicht eine bestimmte Literatur- gattung nachahmen oder bestimmten Texten folgen, karikieren verschiedenartig Personen, Verhältnisse, Er- eignisse, Einrichtungen, besonders des kirchlich poli- tischen Lebens. Z. B. werden Konzilien und Pro- vinzialsynoden erfunden und in freier Form, sei es innerhalb der Tierepen, sei es in Texten für sich lustig und spottend dargestellt.

Die Einteilung und Behandlung meines Stoffes nach den Formen (Evangelium, Messe, Hymnus usw.) habe ich verworfen, da sie leicht zu langweiligen Wieder- holungen geführt hätte und die Parodien mit den glei- chen oder verwandten Formen im Inhalt z. T. grund- verschieden sind. So ging es auch nicht an, nach No- valis Vorbilde die Parodia sacra und etwa die Parodia mundana für sich zu erörtern. Nur äußerlich ist die Parodie vielfach geistlich, innerlich geht Kirchliches und Weltliches häufig durcheinander. Ich zog es vor, Tendenz und Inhalt der Parodien 'zu Ord-


Gegen die römische Kurie und die GeistÜdikeit 4^3

nungsprinzipien zu wählen und erst einmal die strei- tende und triumphierende Parodie, bei der die Satire der Hauptzweck, das Komische Mittel zum Zweck ist, von der humoristischen, der heiteren und erheiternden Parodie zu sondern, wobei ich wohl weiß, daß auch sie Satire enthält und daß man bei der Unterscheidung zwischen satirischer und humoristischer Parodie zu- weilen schwanken kann.


I. DIE KRITISIERENDE, STREITENDE

UND TRIUMPHIERENDE PARODIE

1. Gegen die römische Kurie und die hohe Geistlichkeit

Radix Omnium Malonim Avaritia.

Fragt man Kenner nach einer mittellateinischen Paro- die, so wird man in der Antwort gewöhnlich zuerst das aus Schmellers Veröffentlichung der Carmina Burana bekannte 'Evangelium secundum marcas argenti' verneh- men. Ja, das ist ein bezeichnendes, ein besonders ein- flußreiches und ein recht altes Stück. Das Silbermarken- evangelium führt uns mitten hinein in die Streit- und Spottliteratur, die üppig um Rom emporgewuchert ist Wider die Bestechlichkeit der Kurialen, wider die Si- monie, wider die Herrschaft des Geldes ist es gerichtet. Wir wissen nicht, wann und wo das Evangelium ent- standen ist und verschieben die Erörterung der Da- tierungsmöglichkeiten noch etwas. Fest steht schon jetzt, daß man sich parodierender Satiren in der von glühendem Haß und kaltem Hohn erfüllten, die sprach- lichen literarischen Formen außerordentlich meistern- den kirchenpolitischen Publizistik seit dem Investitur- streit mit leidenschaftlicher Erregung und Beweglichkeit zu bedienen gewußt hat.

Als Motto jener Evangelienparodie und anderer Pam- phlete des 11./12. Jahrhunderts könnte man an Stelle des Romakrostichons ein Distichon voransetzen, das uns


44' Die Märtyrer Albinus und Rufilnus


bakt einzeln in Handschriften, bald in Chroniken ein- gefügt, bald in Moralkompendien (so bei dem des Gere- mia da Montagnone, saec. XIV in.) im Mittelalter gar oft begegnet : ^)

Martyris Albini seu martyris ossa Rufini Romae si quis habet, vertere cuncta valet.

Schon zum Jahre 1076 sagt Landulf in seiner Mai- länder Chronik von der Markgräfin Mathilde, Gregor VIT. ihren Parteigängern: 2) 'Haec enim cum totius fere Tus- ciae et usque Romam comitatus sui potestatem sola exerceret, pacto secretissimo cum Oldeprando qui tunc diaconi apicem Romanae ecclesiae regebat necnon qui plurimis Romanis ossibus Albini et Rufini spar- sis, quatenus sine consensu imperatoris in pontificatu Romano eligeretur et consecraretur, operam dedit,* und zum Jahre 1084 von Robert Guiscard: 'Igitur gente coadunata inmensa et Saracenis omnibus quos habere potuit in paucis diebus Romam veterem, Romanis sese ac filios ac uxores minime tuentibus, Rufini et Al- bini reliquiis deficientibus armata manu Ro- bertus intravit/ Sehr bald sind Albinus und Rufinus ständige Figuren, namentlich der antisimonistischen, antikurialen Satire gewesen. Das 'Evangelium de num- mo ubi idem sancti citantur tanquam Romae efficacis- sitmi* kenne ich allerdings nicht,») kann jedoch außer auf die weite Verbreitung des obigen Distichons auf die Verse*)

quidam colunt AI bin um

et diligunt Ruf in um

des Gedichtes 'In huius mundi patria', auf die bisher übersehene Stelle in der 'Hierapigra ad purgandos prae-


  • ) Vgl. neben anderen Stellen) Anzeiger f. Kunde der deutschen Vorzelt XX 101 ; Neues

Archiv XVni518, XXni205t Notices et cxtraits. XXXI 1 q.l22} Sitz..Ber. d. Kaiserl. Akad. d. Wiss. zu Wien. Phüos..hist. Kl. Bd. LIV (1866) 8.314? Haurteu, Notices et extraits II 354; Sigebotos Vitae Paulinae» ed. P. Mitzschke, Gotha 1889, S. 94; MG. SS. X 119 ; XXXII 227 ; Libelli de Ute II 424 u. 702. Die Textvarianten der Verse zu notieren, würde hier zu weit führen.

  • ) MG. SS. VIII 98 u. 100,

») Wattcnbadi und Bethmann in MG. SS. VIII 98 n. 38 geben bedauerlicher Weise ihre Quelle nidit an.

  • ) Carmina Burana p. 15.


Albinus und Rufinus. Garsias 4^5

latos' des Aegidius von Corbeil (1140—1224) lib. III

37 sqq. : ^

quod si Rufinus vultu rutilante peroret assit et Albini presentia, primo rebellis dura, severa, rudis, non exorabilis ante laxatur facies, iacet et tranquilla quiescit,

auf die Verse von Nigelli Speculum stultorum : *)

Praesul enim victus precibus meritisque Rufini Vota censuit esse rata,

und andere Anführungen verweisen.

Selbstverständlich meinte man mit Albinus und Rufi- nus keine echten Blutzeugen des Christentums, deren Gebeine wunderkräftig gewesen wären, sondern das be- sonders im mittelalterlichen Rom allmächtige Gold und Silber.

1099 entsteht der merkwürdige Tractatus Garsiaje Toletani,») worin die Völlerei, die Geldgier, die Käuf- lichkeit der Umgebung Urbans II. an den Pranger ge- stellt wird. Angriffe auf die Kurie wegen ihrer Ver- derbtheit hatte es schon vorher gegeben. Hier kam eine Polemik besonderer Art zum Vorschein. Der spanische Verfasser bereicherte die Hagiographie und Wunder- literatur durch einen Bericht von der Reise des Erz- bischofs Bernhard von Toledo, der angeblich dem Papste Reliquien des Albinus und des Rufinus bringen, in Wahrheit durch Geld die Verleihung der Legatio Aquitaniae erkaufen will.

'Damals, als Papst Urban in Rom Pontifex war, fand Grimoardus, der Erzbischof von Toledo, einige Reliquien der herrlichen Märtyrer Albinus und Rufinus, und ge- wiß, daß sie dem Papste gefallen würden — denn er kannte die Zerknirschung, die Seelenstimmung des Mannes — , machte er sich mit ihnen nach Rom auf.


») C. VielUard, Gülcs de CorbcU, Paris 1909. p. 397.

  • ) cd. Wrlght p. 56.

») her. von E. Sackur In MG. LibcUl de Ute. D 424 sqq. Vgl. dazu C Mirbt» Die Publizistik im Zeitalter Gregors VII., Leipzig 1894, S. 69; Sdhnecgans. Geschidite der

Sotesken Satire, S.69 ff.; G. Meyer von Knonau, Jahrbfidier des Deutschen Reiches unter cinridi IV. und V., Bd. V 85 ff.


46 Das Garsiaspamphlet


Der Toletaner lechzte nämlich nach der aquitanischen Legatschaft, die auf Grund der Verleihung Gregors des Großen und dank der Bestätigung durch Privilegien von alters her dem Metropoliten von Toledo zugefallen war. Deshalb hielt er es für Schwäche, Schmach und Schande, wenn solch gewichtige, fette und runde, solch delikate Person wie er der Würde seiner Vorgänger beraubt wäre. Übrigens, wenn er auch Behagen an vollen Bechern fand — er war nämlich ein starker Weintrinker und sein Bauch mächtig aufgedunsen, wie er ja einen ganzen Salm bei einem Frühstück in sich zu begraben pflegte*, so beginnt die eine Handschrift des 'Tractatus Garsie Tholetane ecclesie canonici de reliquiis precio- sorum martirum Albini atque Rufini, ideoque de nomine eins intitulatur libellus iste et vocatur Garsuinus*. Die andere zeigt schon in den ersten Zeilen gewisse Ab- weichungen und sie schildert den Erzbischof mit größe- rer Ausführlichkeit folgendermaßen: 'Übrigens wenn er auch Gefallen an vollen Bechern fand — er war näm- lich ein starker Weintrinker — , wenn er auch Tag und Nacht schnarchte — denn wachen konnte er nicht — , wenn er auch einen Bauch wie der Papst hatte — er war nämlich mächtig aufgedunsen, wie er ja einen gan- zen Salm bei einem Frühstück in sich zu begraben pflegte — , wenn er auch den Unschuldigen ächtete, den Gerechten verfolgte, den Armen betrog, die Waisen um ihr Erbe prellte, in allen Lügen ein Meister war, so daß er sich schämte, falls er einmal die Wahrheit sagte, wenn er auch in den vorgenannten und anderen Tugen- den sich hervortat, durch die derzeit die feistesten Bischöfe in die Höhe kamen, würde er dennoch nicht Legat der römischen Kirche werden, wenn er nicht die wertvollen Reliquien jener Märtyrer dem römischen Pontifex darbot/ Nun geht die Erzählung in beiden Zweigen der Überlieferung ziemlich gleichmäßig vor: Der Bischof zieht mit seinen Reliquien nach Rom, betet in der Kirche des Apostelfürsten Petrus, klopft an den Pforten des Lateran an und empfängt vom Türhüter


Das Garsiaspamphlet 47


die Antwort: „Wer zum Papst eintreten will, kann es getrost, wenn Albinus ihn geleitet." So kommt Grimo- ard hinein und erblickt das Oberhaupt der Kirche beim Gelage. 'Vier feiste Kardinäle geben dem Papste, der in Purpur eingehüllt auf einem marmornen Sessel thront, aus einem schweren goldenen Pokal, der vom besten Weine übersprudelt, zu trinken. Seine Heiligkeit ist un- geheuer durstig. So trinkt er denn auf die Los-

kaiifung der Seelen, auf die Kranken, auf eine gute Ernte, auf den Frieden, auf die Wanderer, auf die See- fahrer, auf das Heil der römischen Kirche, und wenn auch sein Magen kaum noch etwas zu fassen vermag, so ermahnen ihn die Kardinäle, es doch immer wieder zu versuchen, und erst als es ihm ganz unmöglich ist, da

leeren die Kardinäle selber den Pokal. Gregor

von Pavia sitzt zu den Füßen des Papstes und hält in der Hand ein Buch — den Anticato — , aus dem er eine be- geisterte Lobrede auf die Heiligen Albinus und Rufinus

vorliest — : Die herrlichen Märtyrer Rufinus und

Albinus vermögen alles und jedes. Wer ihre Reliquien besitzt, dem werden alle Sünden vergeben; ist er auch

noch so gottlos, er wird doch unschuldig. Wer

nur etwas auf dem Gewissen hat, wird sofort freige- sprochen, wenn er dem Papst die Reliquien bringt; denn diese Märtyrer sind die mächtigsten Herren der Welt. Keiner kann Widerstand leisten, wo Albinus eingreift; keiner kann widersprechen, wo Albinus bittet; keiner kann etwas verweigern, wo Rufinus befiehlt. Sie sind die Herren der Könige, der Kaiser, der Herzöge, der Fürsten, der Regenten, der Bischöfe, der Kardinäle, Erzbischöfe, Äbte, Dekane, Prioren, Leviten, Priester, Unterdiakone, ja sogar des Papstes. Sie haben die größ- ten Heldentaten vollbracht; sie sind die Herren der ganzen Welt. Ihnen verschließt sich nichts, vielmehr öffnet sich alles vor ihnen; sie haben die Macht, zu bin- den und zu lösen. Und nun wird die Satire persönlich und fällt über den Papst Urban her, den frömmsten Papst, den wärmsten und begeistertsten Anhänger dieser


4^8 Das Garsiaspamphlet


Heiligen, ihn, der in Gold und Purpur lebt, in Reichtum und Ruhmsucht, der nur Sinn hat für gute Weine und

gutes Essen. In beredter Sprache wird def nie

versiegende Durst des Papstes nach Erlangung dieser

Märtyrer geschildert. — Bringt mir her, was ihr

findet, 'de renibus Albini, de visceribus Rufini, de venire, de stomachi, de lumbis, de ungue, de humeris, de pec- tore, de costis, de cervice, de cruribus, de bracchüs, de collo, quid plura? De omnibus membris duorumi jnar- tirum!* Erst dann werde ich erkennen, ob ihr meine Söhne seid, wenn ihr mir kostbare Reliquien gebt Bringt alles, was ihr habt, und behaltet nichts für euch; denn diesen Reliquien verdankt Urbanus alle seine poli- tischen Erfolge. Besser ist es, ihnen zu vertrauen^ als den Menschen; denn sie vermögen die großartigsten und wunderbarsten Dinge zu vollführen, sie, denen das Reich und die Herrlichkeit gehört in aller Ewig- keit. Ein solches Lob der Heiligen Rufinus und Albinus kann natürlich für den Erzbischof von Toledo, der ihre Reliquien bringt, nur ermunternd sein, und so bricht er denn sofort in die Rufe aus: „Heiliger Albinus, bet für uns! Heiliger Rufinus, bet für uns!" Und sogleich ist die ganze Versammlung Feuer und Flamme für den An- kömmling. „Das war ein guter Anfang; das ist ein wahrer Sohn der römischen Kirche; Christus »spricht aus seinem Munde." Und die Kardinäle erheben sich und gehen auf ihn zu, und der Papst steht auf und küßt ihn, und als er die Reliquien, die der Erzbischof ihm bringt, in Empfang genommen hat, und unter großen Zeremonien im römischen Schatze niedergelegt hat, da kennt sich der gute Urbanus nicht mehr vor Freude.

Urbanus berauscht sich immer mehr in seinen

eigenen Worten. Seine Macht ersteigt in seiner Ein- bildungskraft schon ganz gewaltige Höhen. Er erhebt sich über alles, was kanonisch, was himmlisch, was katholisch, was gesetzlich ist. Schon sieht er, wie er die Finsternis in Licht verwandelt, wie er das Schlechte zum Guten kehrt . „Vorbei, vorbei ist der Tag


Das Garsiaspamphlet 49


des Zornes, der Bitterkeit, des Sturmes und der Schmer- zen, als uns zu trauern oblag, als der römische Stuhl Urban verweigert wurde, als der Senat nicht unser war, als wir vor Heinrich flohen, als der Ketzer Guibert glücklich auf dem Petersstuhle saß. Nun gelangten wir durch die Gunst der heiligen Märtyrer Albinus und Ru- finus vom Schiffbruch in den Hafen, von der Ver- bannung ins Vaterland. Und darum, meine Kardinäle, laßt uns diese Tage in Freude und Lust verbringen; denn nun sind wir gesichert, nun sind wir im Hafen 1 Die ganze Welt lächelt uns zu! Drum wollen wir trin- ken, den sinnlichen Lüsten nachgehen, für unser Fleisch

und Blut sorgen. " Der Erzbischof von Toledo,

welcher dem römischen Stuhle soviel Gutes getan, ver- dient belohnt zu werden. Der Papst läßt ihn deshalb zu seiner Rechten sitzen; „denn diejenigen, die seinen Wil- len tun, das sind seine Freunde, die sieht er als Bruder, Schwester und Mutter an." Aber bei solchen platoni- schen Liebesbezeugungen bleibt man am päpstlichen Hofe nicht stehen. Schon das äußere Aussehen des Erz- bischofes verlangt kräftigere Liebesbezeugungen. Ge- nügen doch kaum die Epitheta, um sein feistes Aussehen zu beschreiben. Als Johannes von Cadix ihn sieht — , da erhebt er sich sofort vor Papst und Kardinälen und bricht in den Ruf aus: „Der da verdient wohl drei Po- kale!" Und der Bischof zeigt sich den Kardinälen ge- wachsen. Im Nu hat er die drei Pokale bis auf den Grund ausgeleert und zur größten Verwunderung der Kardinäle, die doch auch ihren Mann zu stehen wis- sen , trinkt er hernach sogar noch einen vierten

Pokal aus. Nach einer solchen Leistung ist alles für ihn gewonnen. Er wird von allen hochgeachtet, und nun darf er auch Legat von Aquitanien werden; denn 'per multas potationes intrandum est in legationem Aqui- taniae'.

Ich habe von Seite 45 an einen Auszug aus; der Para- phrase von Schneegans gegeben. Man kann sie ver- bessern, kann die Satire auch übersetzen. Aber wäre

Lehmann / Parodie im Mittelalter ^


50 D^^s Garsiaspamphlet


die Paraphrase oder die Übertragung noch so gut^ ver- miede sie es überall, die besten Pointen zu töten, alles, was man geben kann, ist nur ein kümmerlicher Ersatz des lateinischen Originals, das ein Meister der Satire geschrieben hat. Der guten Ausgabe E. Sackurs sind recht viele Leser zu wünschen. Was sie dabei beob- achten müssen, ist, daß die große Satire parodistisch ist, insofern sie ironisch von der Übertragung und der Wunderkraft der 'Reliquien* berichtet, parodistisch, in- sofern sehr viele ihrer Sätze komische Verdrehungen der Bibel, liturgischer Formeln u. a. sind, parodistisch, indem sie die Personen und Zeremonien, das Leben der Kurie komisch darstellt. Weder Schneegans noch Sackur haben den Nachahmungscharakter genügend aufgedeckt. Ob ein bestimmter Translationsbericht der Hagiographie zum Muster genommen ist oder nicht, sicher ist mir, daß der Versuch gemacht und gelungen ist, den hagiographischen Erzählungsstil und in der Sententia des Gregor von Pavia eine Heiligenhomilie zu imitieren. Im einzelnen hat der schlaue und gelehrte Parodist sehr viel mehr Schriftstellen um- und ein- geflochten als von Sackur u. a. erkannt sind. Unter Benutzung der Konkordanzen und in gemeinsamer Lek- türe mit Herrn P. Robert von Nostitz - Rieneck, S. J. (Regensburg) habe ich noch viele dem letzten Heraus- geber entgangene Bibelparodien im Garsiastraktat fest- stellen können.

Garsias kann ein Pseudonym, kann der wahre Name des Verfassers sein. Micbt und Sackur glaubten das Werk von einem Spanier aus dem Bekanntenkreise des Erzbischofs von Toledo geschrieben. Wiederum nur eine Vermutung, eine Möglichkeit, keine Gewißheit. In den sachlichen und literarischen Kenntnissen, die der Satiriker verrät, kann ich keine Stützen für jene An-^ nähme sehen. So außerordentlich ist weder die Sach-^ kenntnis noch die Belesenheit, daß wir sie nicht z. B. auch einem deutschen, einem belgischen oder sonst einem Gegner Urbans zutrauen dürften.


Die päpstlichen Türhüter 51


„Eine so witzige Satire konnte natürlich nicht ver- fehlen, großen Eindruck zu machen und Nachahmungen hervorzurufen. Eine solche, wenn auch sehr abgeblaßte und an Grotesken lange nicht so reiche Satire ist das sog. Silbermarkenevangelium." Über den mit diesen Worten von Schneegans behaupteten starken Eindruck weiß man recht wenig. Es sind nur zwei mittelalterliche Handschriften (saec. XII und XIII) bekannt geworden, die freilich dadurch, daß sie verschiedene Textformen repräsentieren, Beschäftigung mit dem Traktat bekun- den. Nachahmungen? Es ist sehr fraglich, ob man das Geldevangelium als Nachahmung anführen darf. Die Tendenz ist ja dieselbe wie bei Garsias: Bloßstellung der Kurie, Schilderung ihrer Habsucht und Üppigkeit. Beide malen mit grellen Farben, beide schildern, wie ein Reicher wegen seiner Geschenke Zutritt und Gehör beim Papste findet, beide berühren sich gelegentlich auch in Einzelheiten der Wortgebung. Auf der anderen Seite fehlt es nicht an Trennendem, und das Gemeinsame findet man bei vielen, die in ähnlicher Stimmung tausendfach und laut in Poesie und Prosa gegen die Kirche und vor- nehmlich gegen die kirchlichen Spitzen gewettert haben.

Die folgenden Seiten werden es hinlänglich belegen, daß Satiren auf das geldgierige Rom vom 11. Jahrhun- dert an etwas Gebräuchliches sind und sich oftmals dieselben Gedanken, nicht selten ähnliche Worte wieder- holen. Und diese Belege wären leicht zu verdoppeln und zu verdreifachen. Vorerst sei nur in Anknüpfung an den Satz des Tractatus Garsiae (p. 426): 'Cum vero cla- maret ad hostium, hoc a ianitore responsum accepit' und 'Si quis ingredi habet ad papam Albino introducente securus adest' durch einige Zitate gezeigt, daß die un- würdige Rolle, die das Silbermarkenevangelium die päpstlichen Türhüter spielen läßt, daß der mit Geld gepflasterte Weg zu Papst und Kardinälen mit Vor- liebe von manchen behandelt ist, ohne daß man deshalb textliche Abhängigkeit des einen vom anderen annehmen dürfte.

4*



Die päpstlichen Türhüter


Der um 1100 lebende Dichter von 'Gens Romanorum subdola' bringt die Verse: ^)

"Non intras, si nil dederis. Uli firmatur ianua qui venit manu vacua," Clamat avarus ianitor. Et porte clause venditor: "Qui vult intrare cameram, non agat mecum perperam, det mihi prius munera, et mox patebit camera. Si das, intrabis protinus, si non das, stabis eminus." Aus derselben Zeit stammen die 'Versus de Romana avaricia*: ^)

'Ecclesiastica Roma negotia cum moderetur, questio partibus omnis ab omnibus hie recitetur. Sola pecunia perficit omnia, nee tibi claudit ianitor ostia, dona sequentia si prius audit/ Wir hören :^) 'Mos est Romanis in causis cottidianis: Si sonat ante fores bona vita, scientia, mores non exauditur. Si nummus, mox aperitur. Audito nummo, quasi viso principe summo, dissiliunt valvae, nihil auditur nisi 'Salve*, Accurrunt turbae, tota fit plausus in urbe, papa simul plaudit, quia nemo libencius audit Nummus procedit, loquitur, pater audit, oboedit, omnia concedit, sine testibus omnia credit, quicquid vult praestat* etc. In dem berühmten Klage- und Anklageliede 'Propter Sion non tacebo' heißt es in Str. 19:*)

'Qui sunt cautes? Janitores, per quos, licet saeviores


') MG. LibeUi de lite III 706.

2) L. c. III 701.

») Vgl. Jakob Werner Im Neuen Archiv XV 409, vgl. audi XXIH 305 f. und Zeitsdir. für deutsches Altertum VI 302.

  • ) Carmina Burana p. 18.


Die pdpstlichcn Türhüter 53


tigribus et beluis, intrat dives auro plenus; pauper autem et egenus pellitur a ianuis/ Ein anderes Gedicht nennt die Tape ianitores, Cer- bero surdiores*; selbst Orpheus würde sie nicht rühren, mit silbernem Hammer müsse man an die Pforten schla- gen.^) Nicht nur, aber doch besonders auf Rom sind die Verse bezogen:*)

'Cum ante divitem pauper ingreditur, eins petitio nulla recipitur, si moram fecerit, foras expellitur et ei ianua post tergum clauditur. Si pauper veniat ad aulam divitum, crudelis Cerberus negat introitum. Si talem crederem Plutonis aditum, nimis accederem tutus ad obitum. Cum videt pauperem venire ianitor et intus residet sacrorum venditor, quasi cur veniat praesagus cognitor. "En", inquit, "optimus venit hie institor". Hoc nequam Cerberus dicit ironice et tracto ianuam obfirmat obice; si pauper aditum temptat vel modice, percusso saucius recedit vertice/ Sprichwörtlich geworden ist: 'Curia Romana non petit ovem sine lana, nam dantes exaudit, non dantibus ostia claudit.* ' Noch das 'Onus ecclesiae' des Chiemseer Bischofs Berthold Pürstinger (f 1543) führt es (cap. 19 § 13) an. 'NuUus quasi pauper hodie ad papam intrare potest; clamat et non auditur, quia non habet quid solvat*, ruft zweihundert Jahre vorher Alvarus Pelagius, De planctu ecclesiae lib. H art. XV aus. Schließlich noch das kurze Zwiegespräch 'Janitor':^) 'Intus quis "Tu quis?" *'Ego

') L. c p. 52.

  • ) The Latin poems commonlr attributed to Walter Mapes, ed. Th. Wright, London

1841, p. 168 sq.

•) Vgl. H. Hagen, Carmina medU aevi. Bern 1877. S. 213; F. Novatl, Carmlna medii aevl, Florenz 1883, S. 46; Joh. Hus, De antidiristo cap. 43.


54 Gcldcvangelium


sum." "Quid queris?" "Ut intrem." "Fers aliquid?" "Nori." "Esto foris!" "Fero." "Quid?" "Satis." "Intra!*"

Auf die Schilderungen in dem großen 'Carmen de statu curiae Romanae* des Meisters Heinrich vom Würz- burger Neumünsterstift und auf Abschnitte der satiri- schen Dichtung eines Petrus kommen wir später zu sprechen. Als sie in der zweiten Hälfte des 13. Jahr- hunderts verfaßt wurden, lag das Geldevangelium bereits vor: die Benediktbeurer Handschrift, jetzt als cod. lat 4660 ein Juwel der Staatsbibliothek zu Mün- chen, ist etwa 50 Jahre älter als das letztgenannte Poem.

Der Benediktbeuern-Münchener Text hat wohl am meisten die Augen der Forscher auf sich gezogen, seit 1803 Freiherr Chr. von Aretin^) 1843 E. Du Meril«) und vor allem seit 1847 J. A. Schmeller in seiner wieder- holt nachgedruckten, aber nie im ganzen überholten Aus- gabe der Carmina Burana ^) ihn veröffentlicht hatten. Doch war die Parodie aus einem Leipziger Codex schon 1697 durch H. von der Hardt,*) 1788 aus einem nun- mehr verschollenen Breslauer Manuskript abgedruckt.^) Die Erstausgabe liegt aber noch viel weiter zurück: 1544 erschienen zu Freiburg i. B. zwei von dem Ita- liener Caelius Secundus Curio zusammengestellte Bänd- chen Pasquillen und darin^) ein 'Evangelium Pasquilli olim Romani iam peregrini*, das nichts anderes als das Geldevangelium ist. Eine Übersetzung ins Deutsche folgte alsbald.) Einen modernen deutschen Text haben wir in Paul von Winterfelds Deutschen Dichtern des lateinischen Mittelalters.®) Den einzigen nennenswerten Versuch einer kritischen Ausgabe der lateinischen Texte verdankt man E. Dümmler. ®) Er hat drei Hand-


  • ) Beitrage zur Geschidite und Literatur usw. I (Mündien 1803) 5. Stück S. 78 f.

^) Poösies populaires latines ant^rieures au douzi^me sitele, Paris 1843, p. 407 sq.

8) no. XXI.

  • ) Magnum concilium Constantiense I. 498 sq.

«) Von Sdilcsien vor und nadi dem Jahr 1740. II (Freiburg 1788) S. 483 ff.

ß) tom. II 302 sqq.

^) Wiederholt bei O. Schade, Satiren und Pasquille aus der Reformationszeit. II (Han* nover 1856) p. 105—107, der lat. Text S. 310 ff.

  • ) S. 224 ff.

•) Neues Archiv. XXUI (1898) S. 206 ff.


Geldevangelium 55


Schriften herangezogen, W. Gundlach^) bei seinem Ab- druck den Breslauer Wortlaut zugrunde gelegt. Von einer genügenden Verarbeitung, ja von der bloßen Dar- bietung des Materials zu erschöpfender Behandlung ist selbst E. Dümmler noch weit entfernt Die Überliefe- rung ist sehr reichhaltig: ich kenne den Text von zehn erhaltenen Handschriften in Besan^on, Leipzig, London, Lübeck, München, Paris, Rom, Schlägt und Wien, weiß von weiteren drei in Ivrea und Venedig und suche noch drei, nämlich die Vorlage des Freiburger Druckes, ein Breslauer und ein Frankfurter 2) Manuskript. Daß im Laufe der Zeit noch andere Textzeugen bekannt werden, ist höchstwahrscheinlich, da die Parodie manchmal ziemlich versteckt in den Handschriften steht. Ob die sehr zu wünschende Vermehrung der Zeugen Klarheit über den zeitlichen und örtlichen Ursprung sowie über den Originaltext bringen wird, halte ich für sehr zwei- felhaft. Bisher hat mir jeder neuauftauchende neue be- achtenswerte Lesarten geliefert, neue Schwierigkeiten geschaffen. Einen durchweg glaubwürdigen Text mit einem Variantenapparat wird auch der größte Text- kritiker nicht aus allen machen können und nicht dür- fen, da es sich um verschiedene Bearbeitungen handelt, von denen zum mindesten mehrere Reiz und Wert haben. In der Sammlung der Carmina Burana steht das kürzeste Geldevangelium, mit dem man sich im Mittel- alter am wenigsten befaßt zu haben scheint. Ich habe versucht, die beliebteste Fassung zu rekonstruieren, und stelle daneben die unveröffentlichte längste, anscheinend deutsche Redaktion einer Lübecker Handschrift.

Das Geldevangelium führt uns zuerst den Nachfolger Petri im Kreise der Kurialen vor. Der Papst beginnt mit Sätzen aus den Evangelien Matth. XXV 31, XXVI 50; Luk. XI 8; Matth. XXV 30: 'Wenn des Menschen Sohn kommt zum Sitze der Majestät, dann soll ihn der Tür- hüter fragen: „Freund, wozu kommst Du?" und wenn

^) Heldenlieder der deutsdien Kaiserzeit. III (Innsbruck 1899) S. 796 ff. ') Von J. C. von Fidiard in seinem Frankfurtisdien Archiv für ältere deutsche Literatur und Geschichte. III (1S15) S. 215 ff. zugrunde gelegt.


56 Geldevangelium


er beharrlich anklopft, aber nichts gibt, dann werft ihn in die äußerste Finsternis, wo Heulen und Zähneklappern sein wird.' Die Kardinäle entstellen mit ihrer Frage: „Herr, was sollen wir tun, daß wir Geld erwerben?" das Wort des Schriftgelehrten bei Lukas: 'Meister, was soll ich tun, auf daß ich das ewige Leben erringe/ Des Papstes Antwort stammt aus demselben 10. Lukas- kapitel, scheut sich nicht zu lehren: „Liebe Gold und Silber von ganzem Herzen und von ganzer Seele und den Reichen wie ich dich selbst", statt mit Christus Gottes- und Nächstenliebe zu predigen.

Da heischt ein armer, von seinem Bischof bedrückter Geistlicher Einlaß. Doch die päpstlichen Türhüter schla- gen ihn, wie Christus von dem Hohenpriester geschlagen ward, und sie verwünschen ihn mit einem Wort aus Markus, wo aber 'quoniam non sapis quae Dei sunt' steht, während der Parodist den Nummus für Deus ein- setzt. Der arme Bittsteller fleht mit Worten Hiobs und wird abgewiesen mit einer Verwünschung des Geldes, die Petrus in der Apostelgeschichte gebraucht hat, und mit einer Drohung aus der Bergpredigt. Der Satz, daß nun der Kleriker fortgeht und alle seine Habe verkauft, ist aus einem Gleichnis des Matthäusevangeliums geholt Die Kurialen verschmähen das so gewonnene Geld mit dem verächtlichen 'Sed haec quid sunt inter tantos,' was Wort für Wort bei Johannes in der Erzählung von der Speisung der 5000 steht. Da zieht der Arme ab und weint draußen bitterlich nach Petri Vorbild, da er Jesus Christus verleugnet hatte.

Nun tritt eine neue Person auf, ein feister simonisti- scher Bischof, der gleich dem Barrabas des Evangelimns Mord und Totschlag auf seinem Gewissen hat und sehr reich ist. Begehrlich begrüßen ihn die Kardinäle: „Ge- lobt sei, der da kommt im Namen von Gold und Silber," statt den biblischen Gruß: 'Benedictus qui venit in no- mine Domini* zu gebrauchen. Nachdem der Bischof seine Schatzkästen geöffnet hat wie die hl. drei Könige vor dem Jesusknäblein, werden reichlich Geschenke an


Geldevangelium 57


die Kurialen verteilt, und doch sind der Camerarius und der Cancellarius enttäuscht Auf sie wird das Wort des Matthäusevangeliums cap. XX angewendet: 'Arbitrati sunt quod plus essent accepturi/

Der Papst aber, so heißt es mit Worten des zweiten Paulusbriefes an die Philipper weiter, war krank bis auf den Tod. Da schickt ihm der Bischof Gold und Silber als Medizin, und sofort wird der Kranke geheilt, als ob Christi Hand ihn berührt hätte. Indem der Autor fort- fährt 'et dedit gloriam auro et argento* offenbart er durch die Verbindung des biblischen 'gloriam dare' mit Gold und Silber wieder, wes Geistes Kind er ist. Kraß erscheint uns, daß er danach mit fast denselben Worten, die bei Matthäus über den Verrat des Judas im Garten Gethsemane stehen, der Papst den Bischof küssen und willkommen heißen läßt Der Ausruf der Kardinäle 'Vere iste homo iustus est* ist dem Haupt- mann an des Herren Kreuz aus dem Munde genommen. Der Papst erwidert mit einem Herrenworte des Jo- hannesevangeliums. — Damit hätte geschlossen wer- den können. Von dem petitionierenden Bischof ist fernerhin keine Rede mehr. Doch nun ergreift der Papst von seinem Thron aus, der mit dem Richtstuhl des Pilatus und Habsucht, das ist Schädelstätte, ver- glichen wird, von neuem das Wort zu lauten Selig- preisungen, die denen der Bergpredigt vollkommen ent- gegengesetzt sind. Die Reichen werden in verschiedenen Tonarten gepriesen. Folgerichtig setzt der Papst ein 'Wehe dem Armen* hinzu. Er wendet auf ihn Matthäus XVni 6 an. Nochmals werden die Kardinäle gewarnt und angewiesen, nur die einzulassen, die mit vollen Händen geben wollen. Die hohen Herren schmunzeln, Markus folgend, in stolzer Demut: ,Meister, das haben wir alles von Jugend an getan.* Da lobt sie der Papst, wie Christus den Hauptmann von Kapernaum lobte, erfrecht sich, aus der Abendmahlserzählung das 'Hoc facite in meam commemorationem* zu nehmen, und schließt mit Joh. XHI 15,


58 Geldevangelium


Die Überschriften sind denen der Evangelienperikopen für das Officium des katholischen Gottesdienstes nach- gebildet. Am nächsten stehen den liturgischen Bezeich- nungen die Titel 'Initium s. evangelii secundum marcas argenti' im Benediktbeurer Codex, 'Inicium s. evangelii secundum marcam auri et argenti* in einer oben nicht mitgezählten, unten in der IL Abteilung zu besprechen- den studentischen Variation des Codex von B6sanfon, und 'Lectio evangelii secundum mar Cham argenti* im Ottobonianus. Auch 'Sequentia cur <: r > entis evangelii secundum marcham argenti* in einer Handschrift Hart- mann Schedels, jetzt in München, und 'Sequencia veri evangelii secundum marcham argen ti* in Ivrea halten die Fiktion eines kirchlichen Lesestückes noch aufrecht. Die Aufschriften Trequentia falsi ewangelii secundtim marcham argenti' in Schlägl, Trequentia falsi ewangelii secundum archam auri et argenti* im Freiburger Druck, 'Sequencia falsi evangelii secundum marcham argenti' in der Benediktbeurer Spielermesse deuten die Parodie bereits kräftig an. Greifbar ist die Ironie in Titeln wie 'Passio domini pape sec. marcam auri et argenti', 'Ju- stitia domini pape sec. marcham argenti* usw. Der Liturgie gemäß wird als Eingangsformel entweder 'In illo tempore* oder dies entstellend 'In illo turbine' ge- braucht Außerdem tauchen in einzelnen Handschriften zu Beginn und am Schluß die Worte 'Dolus vobiscum et cum gemitu tuo', 'Gloria tibi auro*, 'Laus tibi auro' oder ähnlicher Parodierungen gottesdienstlicher Wen- dungen auf. Diese zwar schwachen, aber unbestreit- baren Anklänge an die Liturgie und die Tatsache, daß eine Parodie mit der Überschrift 'Sequentia falsi evan- gelii sec. marcam argenti', die bereits einen wesentlich anderen Inhalt hat als das gewöhnliche Geldevangelium, nämlich die ausgelassene Verherrlichung des Würfel- spiels, im Rahmen einer komplizierten Nachäffung des Offiziums steht; diese Tatsachen legen die Vermutung nahe, daß anfangs eine ganze Geldmesse verfaßt, in der Überlieferung aber die Evangelienperikope allein übrig-


Marcus — marca 59


geblieben sei. Angesichts der handschriftlichen Be- zeugung sind Zweifel gegen die Richtigkeit der Ver- mutung am Platze. Vielleicht aber ist die 'Missa secun- dum simoniacos*, die H. Finke^) vor Jahren allzu kurz erwähnt hat, das gesuchte Stück gewesen, von dem das Geldevangelium nur einen Teil bildete.

Keiner unserer Texte bringt ausschließlich oder vor- zugsweise Stellen des Markusevangeliums. Gleichwohl ist es immer derselbe Evangelist, dessen Name in den Oberschriften verzerrt erscheint. Nun, die Spielerei mit 'Marcus* und 'marca* lag ja so nahe und ist in der satirischen Literatur des 12. und 13. Jahrhunderts immer von neuem gesucht, oftmals in gleiche oder ähnliche Wortumgebung gebracht worden. Anonym stehen nicht selten in mittelalterlichen Codices die Verse: 2) 'Omnipotens Marcus Romanos conterat arcus, adveniente Luca fiunt decreta caduca.*

Ähnliche Verse und dabei auch den Satz 'Marcum vincit marca* hat der Baron de Reiffenberg aus einem Brüsseler Manuskript veröffentlicht. 3) Weiter, die Apo- kalypse des Golias sagt:*)

'Est Leo pontifex summus qui devorat, qui libras sitiens libros impignorat, marcam respiciens Marcum dedecorat, in summis navigans in nummis anchorat'

Ein ebenfalls sehr bekannt gewordenes Gedicht gegen die Verderbtheit der römischen Kurie, das z. B. in den Carmina Burana steht und mit den Worten 'Utar contra vitia carmine rebelli* beginnt, hat als 12. Strophe:^) 'Romam avaritiae vitet manus parca, parcit danti munera, parco non est parca, nummus est pro numine et pro Marco marca, est minus celebris ara quam sit archa.*

^) Bilder vom Konstanzer Konzil, Heidelberg 1903, S. 85.

«) Vgl. z. B. Neues Ardüv XVIII 517, XXUI 205; in der Handschrift Cambrai 536 s. XIII fol. 141 V.

^) Bulletins de Tacad^mie royale des sciences et belles lettres de Bnizelles. IX 1 (1842) p. 148 sq.

  • ) The latin poems attrib. to Walter Mapes p.7; Notices et extraits. XXIX 2 p. 281.

^) ed. Sdimeller p. 20.


60 Marcus — marca


Anderwärts heißt es:^)

'Jamque nummum venerantur hunc adorant, hunc precantur, illi cultus solvitur. Quorum deus est in archa, non in Marco, sed in marca horum deus legitur', woran gelegentlich noch einige andere Hexameter ange- schlossen sind. Aus dem gegen Ende des 12. Jahr- hunderts entstandenen Speculum stultorum des Nigellus Wireker,*) eines englischen Mönches, sind die Verse an- zuführen : 'Praesul amat marcam plus quam distinguere Mar cum, plus et amat lucrum quam facit ipse Lucam.*

Ähnlich sagt ein politisches Gedicht, gleichfalls eng- lischen Ursprungs, im 13. Jahrhundert:*)

'Sic lucrum Lucam superat, Marco marcam praeponderat et librae librum subicit.*

Der englische Zisterzienser, der in seinen 'Distinctiones monasticae et morales' vom Anfang des 13. Jahrhunderts bezeichnende Vertrautheit mit der Poesie seiner Zeit offenbart, zitiert:*)

'Marcus non marca monachi servetur in arca. Non venit a luce lucrum postponere Lucae.*

Eine englisch-lateinische Satire gegen die Habgierigen und Geizigen:^)

'Coram cardinalibus, coram patriarcha libra libros, reos res. Mar cum vincit marca. Tantumque dat gratiae lex non parco parca, quantum quisque sua nummorum servat in arca."

') Anzeiger fOr Kunde der deutschen Vorzeit N. F. XVIII (1871) S. 203.

  • ) ed. Th. Wright p. 106.
  • ) The political songs ed. Th. Wright p. 6 sq.
  • ) Pitra, Splcilegium Solesmense. III 211.

^) L. c. p. 31. Die Ähnliche Strophe *Vis decanus fleri, praesul patriarcha, auri multa tibi Sit et argenti marcha. Tantum habet fidei teste manu parca quantum quisque sua nmn* morum servat in arca* in 'Missus sum in vlneam* (Walter Mapes ed. Wright p. 155) und in *Satis vobis notum est' (M. Flacius 111., Varia doctorum usw. de comipto ecdesiae statu poemata, 1754, p. 103.


Cardinales — carpinales 61


Dazu paßt, daß Alanus des Insulis in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhimderts, die Lektüre des Markus- evangeliums und die Liebe zu einer irdischen Martha kontrastierend, klagt, i) 'Clerici nostri temporis potius sequuntur scholas antichristi quam Christi, potius de- diti gulae quam glossae, potius colligunt libras quam legant libros, libentius intuentur Martham quam Mar- cum, malunt legere in salmone quam in Salomone.^

König Ludwig IX. von Frankreich klagt*) in einem Schreiben an die Kardinäle: 'Marcum desiderans plus quam Marcum, dum salmonem legens despicit Salomo- nem.* Und noch hundert Jahre nach Alanus erklingen in den 'Lamentationes* des Matheolus von Boulogne die Verse : ^)

' intitulantur

libre quam Ubri, marche quam Marchus amantur frustaque salmonis plus quam sermo Salomonis sepeque propter equum damnat clerus tuus aequum.' Aus der Unzahl der Textvarianten ist interessant, daß verschiedentlich in einigen Codices des Geldevangeliums mit dem Titel Cardinales gespielt wird. Bald heißen sie 'carpinales*, bald 'carpidinares'. 'Carpere' ist die Haupttätigkeit der Kardinäle; gierige Raffer sind sie nach der Meinung des Parodisten. Die Verdrehung findet sich seit dem 13. Jahrhundert mehrfach. Fra Salimbene erzählt, daß zwischen 1244 und 1251 der Mi- noritenprovinzial Hugo von Bariola in Lyon vor Papst Innozenz IV. im Konsistorimn die anwesenden Kardi- näle getadelt habe; unter anderem mit den Worten:*) 'melius denominavit vos abbas Joachim de ordine Floris carpinales nominando, quia re vera optime scitis ■ carpere et emungere et exhaurire marsupia plurimorum*; bei Pseudo-Joachim in der Expositio onerum Isaiae findet sich wirklich der Ausdruck 'generalis ecclesiae cardi- nales vel potius ex avaritiae ambitu carpinales*. Lange


^) Migne, Patrol. lat. CCX 180.

2) Hlstoirc litt^alrc de la France XXV 253.

3) Biblioth^ue de TEcole des Hautes«Etudes. fasc. 95 p. 178 v. 2592 sqq. ^) MG. SS. XXXII 228.


62 Varianten des Geldevangeliums

nachher, im Jahre 1408, schimpfte man die Kardinäle Gregors XII. 'carpidanares, carpedanarii, carpidinales, carpitinales', so in dem Satansbrief an Johannes Domi- nici,^) so in dem ein himmlisches Generalkonsistorium schildernden Pamphlet,*) so in den Versen:*)

'loannes Ragusinus, frater Gabriel Gabadeus quatuor inequales inutiles carpitinales Henricus ridens, Tudertinus male videns, consors Laudensis Christi quos iudicat ensis. Sunt ypocrite, fraticelli, sodomite, nequam latrones periurii buzerones/

Einige Handschriften des Geldevangeliums sprechen zu Anfang statt einfach vom 'papa* oder 'papa Romanus' vom 'papa rapax*. So ließe sich wohl noch manches herausheben. Namentlich in der zweiten Hälfte der Pa- rodie zeigt die Überlieferung große Textunterschiede, Folgen und Symptome des Anklangs, die sie jahr- hundertelang stets von neuem gefunden hat.

Zweimal hat man für das Geldevangelium einen ganz anderen Schauplatz als Rom, andere Erlebnisse als die der Bittsteller, Pfründensucher bei der Kurie gewählt. Die 'Sequentia falsi evangelii secundum marcum argenti' des Benediktbeurer Officium lusorum führt uns in den Kreis würfelnder Zecher, nach Paris zu leichtlebigen Studenten in Geldnöten ein anderes Stück. Für mich ist es wahrscheinlich, daß beide Texte Variationen der- selben uns bekannten Parodie sind. Ohne allen Zweifel ist das Geldevangelium der Pariser Universität gegen Ende des Mittelalters von dem antirömischen Geld- evangelium ausgegangen. Man hat sie in einer Hand- schrift vereinigt, hat ihnen denselben Titel gegeben, hat den Wortlaut des neuen Stückes vielfach aus dem des alten übernommen. Ruft der arme Kleriker in Rom aus 'Miseremini, miseremini mei saltem vos, hostiarii domini

') Vgl. z. B. Analecta Franciscana II 230 und hier unten S. 93.

  • ) Vgl. Meu*tene et Durand, Vetcrum Scriptorum amplissima collectio tom. VII (1733>

col. 836 und hier unten S. 95.

') Vgl. G. Leidinger In den Quellen und Erörterungen zur bayer. und deutschen Geschidite. N. F. I (1903) S. 174 f.; M. Denis, Codices mss. theol. bibl. Pal. Vlndob. lat. 1 1407.


k


Entstehungszeit des Geldevangeliums 63

pape, quia manus paupertatis tetigit me', so der Studio-^ sus: 'Miseremini ergo mei saltem vos, amici mei, quia bursa vacua tetigit me'.

Dieses Pariser Evangelium des Codex von B^san^on ist ein wertvolles Zeugnis für die große Wirkung der einen antisimonistischen Parodie. Nach meinem Ein- druck, meiner festen Oberzeugung hat überhaupt das Geldevangelium Schule gemacht und großen Einfluß auf die Entwicklung der streitbaren wie der unterhaltenden Parodie ausgeübt.

Wo das Evangelium secundum marcas auri et argenti zum ersten Male erschollen und gelesen, aus wessen Feder es geflossen ist, hat niemand mit voller Bestimmt- heit zu sagen vermocht. Man hat wohl vor allem an einen romkundigen Franzosen zu denken. Bald nach der Entstehung ist der Text Gemeingut des Abendlandes geworden und geblieben. Franzosen und Deutsche, Eng- länder und Italiener haben es stets gern abgeschrieben*

Der Zeit des Ursprungs können wir nahekommen. Die älteste zurzeit bekannte Handschrift, die Benedikt- beurer in München, ist um 1230 geschrieben und bringt^ wie schon bemerkt, den kürzesten Text. Die anderen^ zumeist viel umfangreicheren Zeugen stammen aus dem 14.— 16. Jahrhundert. Nach Dümmlers Meinung steht die jBenediktbeurer* Fassung dem Original am nächsten^ 0. Hubatsch und W. Gundlach bevorzugen indessen die längere ,Breslauer' Redaktion und halten die Benedikt- beurer für nachträglich zusammengezogen. Mag auch hier und da von dem westdeutschen Sammler der Bene- diktbeurer Anthologie das eine und andere ursprüng- liche Wort fortgelassen oder durch ein anderes ersetzt sein, die Annahme, daß der Benediktbeurer Text im ganzen sekundär sei, ist deswegen nicht zwingend. Gund- lach stützt seine Behauptung so gut wie gar nicht, Hubatsch legt besonders Wert auf folgendes: Ziemlich zu Anfang fehlten im Evangeliiun der Carmina Burana einige Wörter. Da sagt Hubatsch, „das 'et pulsaverit ad hostium' lassen sie ganz weg, obwohl es notwendig ist^


64 Entstehungszeit des Geldevangeliums

da sonst das folgende 'et perseveraverit pulsans' nicht verständlich ist". Meines Erachtens konnte das erste Anklopfen als etwas bei der ganzen Situation ziemlich Selbstverständliches verschwiegen werden. Es steht ja auch nicht in dem Gleichnis Luk. XI, woraus der Paro- dist die Worte 'et si perseveraverit pulsans* genommen, und fehlt in allen Hss., außer der einen verschollenen und offenbar jungen Breslauer, die mehr als einen Zusatz bietet Daß ferner die C. B. des Papstes Unterricht, wie man sich zu Gold und Silber zu verhalten habe, nicht bringen, kann ursprünglich sein. Auch das Plus der Bres- lauer Fassung, das ein Gespräch zwischen dem armen Geistlichen und dem päpstlichen Türhüter vorführt, be- weist nicht, wieHubatsch meinte, daß hier das Breslauer Evangelium das Ursprüngliche erhalten, welches die Be- nediktbeurer Hss. schon fortgelassen habe. Denn dieses Plus hat sonst nur noch der späte, überall stark inter- polierte Lübecker Text. Und das 'saltem*, das in allen Hss., auch der Breslauer, bei dem Weheruf 'Miseremini mei' steht, konnte in den C. B. von Anfang an dem Ostiarius in den Mund gelegt werden, da es auch an der parodierten Bibelstelle zu finden ist. Kurzum: bis- her darf man daran festhalten, daß der Benediktbeurer Text, von kleinen Trübungen und Verwischungen ab- gesehen, im ganzen die Urfassung gut wiederspiegelt. Wann hat man zum ersten Male das Geldevangelium gewagt? Gundlach plädiert für das 12. Jahrhundert mit dem Argument, daß die bereits sekundäre Fassung, die im Harleianus vorliege, gegen Papst Alexander III. (1159 — 1181) gerichtet sei. Denn sie habe am Schluß die Worte: "Herr ist Gold und Silber, dem sei Preis und Ehre an der Kurie zu Rom und Anagni in Ewig- keit, Amen", die am besten auf jenen gern in Anagni residierenden Papst paßten. Ich beziehe die Datierung auf Bonifaz VIII. (1294—1303), der aus Anagni gebürtig war. unter dem die Kurie oft in Anagni gewesen ist. Beachtenswert ist auch, daß die Parodie in dem Har- leianus, der italienischen Ursprungs ist, in Schrift von


Das habgierige Rom 65


etwa 1300 hinter einer Ghibellinischen Chronik steht Einer der vielen Gegner Bonifaz VIII. mag die alte Schmähschrift im Kampfe gegen diesen Papst neu belebt haben. Lehne ich Gundlachs Datierungsgründe und seine Bevorzugung der Breslauer Oberlieferung ab, so schließe ich mich doch aus anderen Überlegungen seiner Ansicht an, daß das Evangelium schon im 12. Jahr- hundert entstanden sei. Wenn wir beobachten, daß in der Benediktbeurer Handschrift, die um 1230 angelegt ist, eine Umgestaltung des Geldevangeliums für eine Spielermesse steht, müssen wir uns vor einem späten zeitlichen Ansatz des Originals hüten. Da nun In- nocenz III., der von 1198—1216 die Geschicke der Kirche lenkte, in den ersten Jahren seiner Regierung die Zahl der Janitores et ostiarii verminderte und bestimmte, daß Kleriker wie Laien leichter Audienz beim Papste erhielten, dürfen wir annehmen, daß gegen Ende des 12. Jahrhunderts das Unwesen der Bestechung unter jenen Kurialbeamten großmächtig war, und können ver- muten, daß unsere Parodie schon in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts entstanden ist Höher hinauf wage ich einstweilen nicht "zu gehen.

Daß die im Garsiastraktat und im Geldevangelium erhobenen Vorwürfe gegen Rom am Ende des 12. Jahr- hunderts zeitgemäß waren, bezeugt z. B. Walter Map in seinem ironiegespickten Buche 'De nugis curialium'.^) Der Satiriker erzählt (p. 33): 'Als Reginald von Bath gewaltsam seine Wahl durchgesetzt hatte, jedoch beim Erzbischof von Canterbury die Konsekration nicht er- reichen konnte und sich bei seinem Vater Jocelin von Salisbury beklagte, da antwortete dieser: „Du dmnmer Kerl, mach' dich doch schleunigst auf, eile ohne Zö- gern noch Bedenken zum Papst, zahl' ihm aus voller jBörse ein gutes Trinkgeld und er wird sich neigen, wo- h]t^^ du willst." Da ging er und bestach, jener aber neigte

sich. Der Papst fiel, der Bischof stieg in die Höhe und

\

') Att^diabe von M. Rh. James In den Anecdota Oxoniensfa. Mediaeval and modern Series. Fat*. XIV (Oxford 1914).


Lehmann / Parodie im Mittelalter


66 I^as habgierige Rom


schrieb sofort Lügen gegen Gott am Anfang aller seiner Briefe. Denn wo er hätte schreiben müssen „Von der Börse Gnaden", sagte er „Von Gottes Gnaden", und was er wollte, tat er.* Bei Map wird (p. 34) von der Herrin Börse und ihrer Macht unter Alexander III. gesagt: 'que cum non sit amor, vincit tamen omnia Rome* (Vergil, Ecl. X69), bei ihm (p. 82); 'nomen Roma ex avaricie sueque diffinicionis formatur principiis; fit enim ex R et et M et A et diffinicio cmn ipsa "Radix Omnium Malorum Avaricia" (1 Tim. VI 10). Der deutsche Chronist Propst Burkhard von Ursberg schreibt gegen 1230 über den Zustand nach der Wahl Philipps von Schwaben und Ottos IV. a. 1198 und über den Mammonismus Roms:^) 'Vix enim rem ausit aliquis episcopatus sive dignitas ecclesiastica vel etiam par- rochialis ecclesia, que non fieret litigiosa et Romam deduceretur ipsa causa, sed non manu vacua', und dünn in gehobener, die Bibel benutzender Sprache: 'Gaude mater nostra Roma, quoniam aperiuntur ka- taracte (vgl. Gen. VII 11) thesaurorum in terra, ut ad te confluant rivi et aggeres nummorum in magna copial Letare super iniquitate* filiorum hominum, quoniam in recompensationem tantorum malorum da- tur tibi precium! Joeundare super adiutrice tua Dis- cordia, quia erupit de puteo infernalis abyssi (vgl. Apoc, IX 1 f.), ut accumulentur tibi multa pecuniarum premia! Habes quod semper sitisti, decanta canticum (vgl. Deut XXXI 19), quia per malitiam hominum, non per tuam religionem orbem vicisti! Ad te trahit homines non ipsorum devotio ant pura conscientia, sed scelerum mul- tiplicium perpetratio et litium decisio precio comparata Dauernden Erfolg hatte Innocenz III. mit seinen B formbestrebungen nicht und konnte ihn in den IciiM . schaftlichen Kämpfen, den blutigen Wehen des K^. J. hunderts nicht haben. Nach wie vor war es iür h., . und niedrige Geistliche eine brennende Fra^/(\ '^i* sich Gehör an der Kurie verschaffen könnte » iy*\ ' i %•


i) Burchiutli Ursperg. chronicon, ed. Holder«Egger, Hannover v • • t.o -.>>$ <•".


Das habgierige Rom 67




vor tönte ihnen aus der Evangelienparodie und aus zahllosen Vers- und Prosasatiren als Antwort: 'Geld, Geld und nochmals Geld' entgegen. In der großen Dich- tung des Würzburger Meisters Heinrich heißt es y, 77 sqq.i)

Fers aliquid?" Ganfredus ait — "Fero" subdidit alter.

Sit licet exiguum, non tarnen ere vaco. Rumor enim loquitur, quod curia sacra requirat munus et absque illo litus aretur ibi," worauf Ganfredus v, 83 sqq, antwortet:

"Frater amice, tibi res hec narrata sinistre est

Falleris et non sie erudiendus eras.

Peccat Romane quisquis sie derogat m^bi" usw.

Und V. 887 (Aprilis) sqq.:«)

"Audivi quod sepe viros intrare volentes

a foribus removent verbera iuncta minis,

quodque sacros postes predura repagula firment,

sitque per angustum transitus ille locum.

Quis mihi consilium vel opem prestabit amicus,

ut sine fuste queat porta patere mihi?

Expediensne putas, si caute munera mecum

illis, qui servant hostia sacra, leram?

Muhere nonne dato vaccas Jove natus abegit?

vivit adhuc idem Bachus ubique senex?"

Und wiederum sucht Ganfredus die Kurie rein zu waschen, als fleckenlos hinzustellen. Aber wer von den Zeitgenossen wird darin eine wirksame Verteidigung ge- sehen haben? Der allgemeinen Stimmung entsprachen vielmehr die Verse,«) in denen um 1280 ein Petrus nach bissigen Schilderimgen der schwelgerischen Prälaten verschiedene Beispiele dafür gab, daß arm und reich sehr unterschiedlich von den Kurialen behandelt jwur- den. Im Anhange seien einige Bezeichnende Stellen mit-


^) VgL die gro6e Abhandlung und Ausgabe von H. v. Grauert in den Abhandl. der KgL Bayer. Akad. d. Wiss. PhÜosi-^oL u. bist. Kl. XXVII 1 u. 2 (München 1912) S. 68.

") a. a. O. S. 100 f.

') Auszugsweise herausgegeben von Gh. V. Landois in der Revue historiciue. L (1892) S. 281 ff.« voflstflndige Abschrift mir freundlich von H. Walther zur Verfügung gestellt, der in seinem Buch Das Streitgedldit in der lat. Literatur des Mittelalters, München 1920, S. 119 f. auf das wenig beachtete Werk hingewiesen hat


68 Das habgierige Rom


geteilt Es ist wohl möglich, daß sowohl Heinrich wie besonders Petrus 1) das Geldevangelium vorgeschwebt hat, als sie das Wort ergriffen. Bitterer, erregter hat neben anderen Guiot von Provins in seiner 'Bible' über Rom gesprochen, geschrien: *)

'Du tötest noch welchen Menschenstrom?

Ihr mordet hin uns alle Zeit.

Im Rückgang ist die Christenheit,

verderbt, zerstampft all' gute Saat,

seitdem die Kardinäle genaht,

die hergekommen allesamt,

von schnöder Habsucht heiß entflammt.

Sie kommen von Simonie erfüllt,

in Sündenleben eingehüllt,

von Glauben und Vernunft entblößt,

von Gottesfurcht ganz losgelöst,

bieten Gott und seine Mutter feil,

verraten des Vaters und unser Heil.

Zertreten, verschlingen alles in Graus.

Zu lang — ha! — bleiben die Zeichen aus,

die unser Herr verkündet,

wenn die Welt sich ihrem Ende naht.

— Wie sie Gold und Silber zusammenraffen

und es jenseits über die Berge schaffen.

Verzweiflung will das Volk erdrücken. Fort schleppt die Habe der Legat, der voll von Lug und von Verrat. Alles verheeren sie; niemand kann seh'n. O, Hof von Rom, kannst du besteh'n so ganz in Missetat und Sünden,

das schlimmer nirgend ist zu finden?

Rom verschlingt uns, saugt uns aus, Rom mordet, plündert Land und Haus. Kloake der Bosheit, das ist Rom, ausspeiend aller Laster Strom, ein Sumpf, der von Gewürmen strotzt.

^) Bereits L«uigiois hat die Verwandtsdiaft empfunden.

  • ) Obersetzung entnommen San Marte, Parcival^Studien. I (Halle 1861) S. 51 ff.


Seligpreisungen des Reichen 69

Gott und der heirgen Schrift ja trotzt jed' ihrer Taten.

Das Geldevangelium ist in dem Chorus der Kläger und Spötter nicht verstummt und überhört, weil es in schlichter Raffiniertheit sich vornehmlich auf ein Thema beschränkte und weil es parodistisch war, Paro- die der stets gehörten Bibel, des wahren Evangeliimis. Der kritische Betrachter der Geschichte, den Politik und Konfession nicht verblendet haben, kann und muß sagen :i) Die Romsatiren haben oft entsetzlich verzeich- net, manchem hat die Unlust, berechtigte Gebühren und Steuern zu zahlen, den Griffel geführt, die Aussaugungen und Erpressungen, die niemand ganz bestreiten wird, sind übertrieben dargestellt und fallen überhaupt nicht immep den Päpsten, sondern häufig ihren Kardinälen, vor allem aber den Unterbeamten zur Last. Auch ich glaube nicht alles, was in den antikurialen Schmähbriefen, Kampfgedichten, Spottversen usw. gesagt ist. Aber — ich schreibe hier keine allgemeine und keine kirchliche Geschichte des Mittelalters und will weder für noch gegen das Papsttum wegen einstiger Auswüchse Stel- lung nehmen. Mich zieht hauptsächlich des Literari- schen wegen die Ausdrucksfülle an, die die Stimmung gegen Rom in der lateinischen Parodie des Mittelalters gefunden hat.

Es ließe sich ein dickes Buch über die Romsatiren schreiben, und das wird einmal geschehen, wenn die mittellateinische Philologie weiter ist. Selbst bei der dieses Mal von uns gewollten Beschränkung auf das Parodistische läßt sich nur ein Teil der auftauchenden Probleme lösen, nur ein Teil des reizvollen Stoffes vor- führen.

Das Geldevangelium enthält laute Seligpreisun- gen des Reichen, dem sich alle Pforten in Rom öffnen. Die Dichter haben sich dieses Motiv nicht an ihren Ohren vorübergehen lassen. In Liedersammlungen

') Vgl. die maßvollen Bemerkungen bei A. Hauck, Kirdiengesdiidite Deutsdilands. V (1920) S. 558 ff ., 630.


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70 Seligpreisungen des Reichen

des 13. Jahrhunderts (in Oxford Bodl. Add. A 44, fol. 128 v und Florenz Laur.-Med. XXIX 1, fol. 424^-425«), die sich mehrfach mit den Carmina Burana decken, stehen die folgenden beiden, wohl zusammengehörenden Strophen: ^)

I. 'Qui seminant in loculis per dandi frequens mutuum redituum

gaudebunt de manipulis. 5 Nummus numquam examinat quos ordinat; non enim servit numini, sed hominL

Nummus claudit et aperit 10 et quod non seminaverit metit in agro Domini.

II. Beati qui fesuriunt

et accessito Symone

pro mammone

quaestum, praebendas rapiunt. 5 Qui dat est potens omnium

per medium.

Et quia mundus eligit

qui porrigit,

cur exclamare dubitem 10 super plenum et divitem:

"Beatus qui intelligit."

Es kommen vornehmlich folgende Bibelstellen in Be- tracht: Für Strophe I Psalm. CXXV5f.: 'Qui seininant in lacrimis in exultatione metent. Euntes ibant et fle- bant, mittentes semina sua. Venientes autem venient cum exultatione, portantes manipulos suos;* Apoc. III 7 'haec dicit sanctus et verus*. "Qui aperit et nemo clau- dit, claudit et nemo aperit," Luk. XIX 21 'metis quod

non seminasti' oder Gal. VIS 'quae seminaverit

homo, haec et metet*. Für Strophe II Matth. V 6, 'Beali qui esuriunt et sitiunt iustitiam*; Psalm. XLlf., 'Beatus

') Aus dem Mediceus herausgegeben in den Analecta hynmica XXI 152. Ober den Bodleianus Kingsford in The En^ish historical review. V (1890) p. 311 sqq.


Seligpreisungen des Reichen ' 71 ^


qui intelligit super egenum et pauperem, in die mala liberabij: eum Dominus/ Die Verdrehung, die bisher niemand aufgedeckt hat, wird noch augenfälliger, wenn man fewei Hymnen betrachtet, die sich in echter Fröm- migkeit an die Heilige Schrift anschließen und ebenfalls im Mediceus stehen:^)

I* 'Qui seminant in lacrimis et azimis

sincerae conscientiae, fermentum culpae veteris 5 permutant et malitiae hi gratiae

se praeparant, qua lateris luto proiecti soliti emeriti 10 maniplos portent gloriae. II* Beati mundo corde

quos peccati tersa sorde Vitium non inquinat, scelus non examinat 5 nee arguat peccata, qui Domini mandata custodiunt et sitiunt Beati qui esuriunt et confidunt in Domino 10 nee cogitant de crastino, beati qui non implicant securis temporalibus, qui talentum multiplicant et verbum Dei predicant 15 omissis secularibus.* Vielleicht haben diese religiösen Lieder dem Paro- disten Anstoß gegeben, sein Machwerk vorzubringen. Es werden z. T. dieselben Bibelworte verwendet, statt der Verse

'Vitium non inquinat scelus non examinat'

») L. c p. 119.


72 Pseudo-Dekrete

wird mit ähnlichem Klange gesagt

'nimunus numquam examinat

quos ordinat*, mid, was nicht übersehen werden darf, die Parodie hat fast dieselbe dichterische Form wie die Hymnen. Na- türlich kannte der Zerrdichter überdies die Bibelstel- len selbst, und er fügte denen der religiösen Gesänge einige aus seinem Wissen hinzu, mit treffendem Witz am Schluß, wo er ausruft:

'Cur exclamare dubitem

super plenum et divitem

"Beatus qui intelligit!*' Die antisimonistische Satire fand noch andere Wege der Parodie. Sie ersann Dekrete, die man vergeblich in den Sammlungen des kanonischen Rechts suchen wird.

'Sua Simon dat decreta:

Quod si bursa sit repleta,

fiet presul vel propheta

Davus, Birria vel Geta.

Non attendit probitatem

neque mores nee etatem.

Simon facit hunc primatem,

hunc priorem, hunc abbatem.

Ad hoc pauper non accedit,

accepturum nil se credit,

nil habebat, nichil dedit,

nee in sancta sede sedit.

Simon facit hos maiores,

hos abbates, hos priores.

Nummos quaerit et non mores,

et nummatis dat honores.

Venter nimis incrassatus

qualiscumque, sed nummatus

apud omnes inflammatus,

quem plus inquinat reatus,

si offerre sit paratus,

fiet presul et prelatus.


Pseudo«Dekrete 73

Ut in sede coUocatur miser, a quo magis datur, tunc superbit, tunc inflatur, nil de Deo meditatur;' beginnt um 1100 ein nordfranzösisches Gedicht^) das in der überliefernden Handschrift der Vatikanischen Bibliothek die Überschrift

'Incipiunt decreta Simonis* führt. Die letzten zwei Drittel sind offen moralisierend und polemisierend, nicht ironisch und parodistisch. In dem vielgelesenen 'Utar contra vitia carmine rebelli*,*) wo mit den heftigsten Worten gegen die Raffgier der römischen Kurie zu Felde gezogen wird, heißt es: 'Romani capitulum habent in decretis, ut petentes audiant manibus repletis. Si das, tibi dabitur, petunt, quando petis. Qua mensura seminas, hac eadem metis/ Das Gedicht mit dem Anfang 'Frigescentis caritatis in terris igniculo* berichtet:^)

'Hoc sancivit mos Romanus, hoc decretum legitur "Non Sit presul vel decanus is a quo nil dabitur.*" Nicht weniger als vier parodistische Dekrete führt ^s die Satire 'Qui potest capere quod loquor capiat' vor:*; 'Decretum ergo do pauper pauperibus, ut, si non affici volunt verberibus, non unquam habeant in ianitoribus ullam fiduciam sine muneribus. Decretum etiam secundum facio: Cum papa sederit in consistorio de quovis divitum tractans negotio, tunc nuUa pauperis detiu* petitio. De cancellaria donatur tertium: Si pauper habeat intus negotium

>) her. TOn H. Boehmer in den MG. LibeUi de Ute III 697 f.

') Gedruckt z. B. Carmina Burana, ed. Schmeller no. XIX ; Aüalecta hymnica IV 252.

') Vgl. Haurteu, Notices et eztraits. VI 14a

  • ) Walter Mapes, ed. Th. Wright p. 169.


74 Pseudo-Dekrete

non eat vacuus ad hostiarium sed si vult ingredi, solvat marsupiiim. Decretum etiam quartum constitui mederi Theutonum volens derisui: Cum intrant ciiriam vel mitras ablui vel Caput faciant immunis exui/ Nach verschiedenen Ratschlägen für die gen Rom ziehenden Geistlichen kommt noch eine von uns zu berücksichtigende Strophe :

'Si plumbum aliquis Romanum emerit non dans pro vendito plus quam valuerit in suis subprior decretis asserit esse falsariiun qui sie evaserit/ Hinter diesen Pseudodekreten steht der Zwiespalt zwi- schen der Theorie und der Praxis. In der Praxis: Zu- sammenströmen der Pfründensucher vor den Schreib- stuben und Palästen der Kurialen, ein Erschleichen und Erkaufen der Audienzen und der Gunst, ein Feilschen um die Geschenke und Gebühren und — Hineinfallen auf teuere, gefälschte Bullen. Auf der anderen Seite die Theorie, die von alters her, mit besonderem Nachdruck seit dem 11. Jahrhundert, im kanonischen Recht die Unentgeltlichkeit, die Unkäuflichkeit der geistlichen Güter, Würden und Amter betonte, freilich auch mit der Erlaubnis freiwilliger Gaben Hintertüren öffnete. Von Innozenz III. weiß man z. B.,^) daß eine seiner ersten Regierungshandlungen war, den Beamten außer den Skriptoren und BuUatoren strengstens die Forde- rung von Vergütungen zu untersagen, daß er für das Schreiben und BulUeren feste Taxen vorschrieb, daß er gegen die Werkstätten, in denen falsche Bullen verfertigt wurden, einschritt, die Zahl der Hostiarii zu vermindern sich bemühte, daß er jedoch die Annahme ungeforderter Geschenke zuließ.

Es muß sich tatsächlich der eine und andere kritische und witzige Kopf im 12. (spätestens im 13.) Jahrhundert erlaubt haben, boshafte Vorschriften zu erdichten, denen

') VgL A. Haudc Xlrdiengesdiidite Deutschlands IV 7U.


Kasusspfelereien 75


der Deckmantel päpstlicher Dekrete leicht übergeworfen war, Reflexe solcher Pseudodekrete leuchten auch in Gedichten auf, die uns das Vagantenleben vorführen und deshalb in einem späteren Abschnitte zu erörtern sind. Da erfahren wir, daß der Satiriker oder einer der Spötter, dem die Dekrete zu -verdanken sind, ein Sub- prior Walter, also ein Mann mit derselben Würde ge- wesen, die in dem soeben angeführten Verse 'in suis sub- prior decretis asserit* erscheint, oder Primas, der fran- zösische Primas der mittellateinischen Poeten Magister Hugo von Orleans (um 1140). Ist wirklich, wie ich glaube, Primas an den Dekretdichtungen beteiligt, dann stehen wir bei den oben wiedergegebenen Strophen vor den Trümmern eines Parodiegebäudes, das wir schon seines genialen Meisters wegen ganz erhalten sehen oder aus den Umbauten und Ruinen wiederherstellen können möchten.

Der Ingrinmi über die Bevorzugung des Reichen bei der Audienzenerteilung, Präbendenverleihung und Recht- sprechung in Rom hat sich seltsamer Wortspielereien, Wortwitze bedient, die z. T. ins Gebiet der Parodie fallen. Es ist hier von derartigen Absonderlichkeiten nicht deshalb von neuem ^) die Rede, weil ich oder unsere Zeit Geschmack an ihnen hätte und haben sollte, son- dern weil sie in der Literatur ein zähes Leben bis zu Abraham a Santa Clara geführt haben und bezeichnend sind für den in Unmut und Übermut oft schülerhaften und schulmeisterlichen Sinn des Mittelalters. Zur Unter- haltung wie zu scharfem Spott und Tadel haben Ter- mini der Grammatik, namentlich die Kasus- bezeichnungen herhalten müssen. Das möge gleich ein meines Wissens zum ersten Male von mir veröffent- lichter Text eines Codex des 14. Jahrhunderts, der in Amiens^) liegt, illustrieren.


') Vgl. oben S. 59 ff. Beispiele mannigfadier Art auch bei Siegfried Jaff6» Die Vaganten und ihre Lieder, Berlin (Wissensdiaftl. Beilage zum Jahresberidit des Lessing-Gymnasiums) 1908, S. 17 f.; C. Vicillard, Gilles de Corbeü p. 136 sq., 433 sq.

  • ) Bibl. publique, Fonds Lescalopier 10 (378), Abschrift durch Dom A. Wilmart, O. S. B..

vermitt^t.


76 Kasusspieiereien


'Sex statuit casus Donatus in arte tenendos. 4 expulsis Roma duobus eget. Accusativus Romam regit atque dativus, atque per hos casus pars gravis ingreditur. Accusativi domus est tua, papa, dativi causa Sit egra, per hos sospes dominus. Accusativo patet aula patetque d a t i v o , sed non lege pari Cesaris urbe sedent. Accusativum vult Roma tenetque dativum, sed plerumque cadit spes violata secus. Accusative tibi fraus, tibi lausque dative. Viribus absque pari contra cta, dative, facis. Accusativo socio testeque dativo. Quodlibet excisum restituetur opus. Ipse vocativus deberet habere secundum urbe locum. Nichil est. Namque dativus pbest. Ergo dativus habet pulso decus omne sodali, per se stare potest et sine teste loquü* Was der Versemacher bezweckte, ist ohne weiteres klar: Romsatire. In der ewigen Stadt herrschen nur zwei Casus, der Accusativus und der Dativus, der An- kläger und der Geldgeber. Prozesse über Prozesse um Ämter, Pfründen, Rechte, Straffälle usw. beschäftigen und nähren die Kurie. Der Kläger (Acc.) betrügt, der Reiche sagt falsch aus, besticht (Dat.) und gewinnt auf diese Weise. — Die doppelsinnige Verwendung der Fachausdrücke geht mindestens bis ins 12. Jahrhundert zurück. Kurz und bündig hat der Dichter des vor oder um 1200 gedichteten 'Utar contra vitia', das die Rügen mit Spaß vorzutragen versteht, 4 Casusnamen in eine Strophe zusammengefaßt (Carmina Burana p. 19): 'Si te forte traxerit Romam vocativus, et si te deponere vult accusativus, qui te restituere possit ablativus, vide quod [ibi] fideliter praesens sit dativus.' Es handelt sich um einen Pfründenstreit an der Kurie. Vocativus ist der Vorlader, Accusativus die klagende Partei, die den Gegner der Pfründe berauben (deponere)


Kasusspielereien 77


will, Ablativus der bestechliche Richter, der den Par- teien das Geld abnimmt^) und den Verdrängten wieder einsetzen (restituere) kann. Daß Dativus der bestechende Angeklagte wäre, ist W. Meyer nicht zu glauben. Es muß an dieser Stelle eine andere Person als der an- geredete Verklagte gemeint sein. Möglicherweise spielt der Dichter nebenbei mit dem in Rom üblichen Namen der Gerichtsbeisitzer und Advokaten,*) die die Be- stechung ermöglichten. Im allgemeinen und in der Hauptsache ist unter den Dativen nicht eine bestimmte Beamtenklasse, sondern es sind die geldleihenden und bestechenden Personen schlechthin zu verstehen. Nimmt man noch hinzu, daß, wie Frantzen ausgeführt hat, die Bezeichnungen bald die handelnden Personen, bald die Handlungen des Vorladens, Klagens, Nehmens, Be- stechens zu bedeuten scheinen, und daß auch der Geni- tivus auftritt, meist = coitor und coitus, gelegentlich = genitale, so wird man die meisten dazu in Frage kommenden Verse und Sätze verstehen. Sagt die Go- liasapokalypse v. 177 ff.:

'Decano praecipit, quod, si presbiteri per genitivos seit dativos fieri, accusans faciat vocatum conteri, ablatis fratribus a porta inferi',

so heißt das nach Frantzen und van Poppel, *) der Dekan solle sich tüchtig dafür bezahlen lassen, daß der Priester, vorgeladen und angeklagt wegen seiner ge- schlechtlichen Sünden (genitivus hier = coitus), frei ausgeht. Das von W. Meyer wiederhergestellte erste Gedicht der Carmina Burana*) schließt mit folgenden Strophen :

  • ) 'ruffer't *kl^er\ 'abnemmer' bei L. Dieffenbadi, Glossarium LatincHiGermanicum

mediae et innmae aetatis, Frankfurt a. M. 1S57. s. v. — Nadidem O. Hubatscht |. Werner, W. Meyer einige Casusparodien besprochen natten, leitete kflrzlidi der Utrediter Ger«  manist J. J. A. A. Frantzen in der Zeitschrift Neophilologus, vgl. Bd. V 69, 180 f., 357 f., VI 88 f., 134 ff., eine neue Diskussion ein. Idi bringe oben mehrere von ihm übersehene Belege.

•) VgL über diese *Dativi* Th. Hirschfeld im Ardiiv für Urkundenforschung IV (1912) S. 460, 467 ff., 473, 493 ff., 515.

>) NeophUoiogus. V 180.

  • ) Nadhriditen der K. Gesellschaft d. Wlssensdiaflen zu Göttingen. Philologisduhlst.

Klasse. 1906, S. 189 ff. Dazu van Poppel u. Frantzen, NeophUoiogus. V 180 f.


78 Kasusspieiereieil


V. "Date, vobis dabitur" talis est auctoritas, sancti pie loquitur impiorum pietas, sed adverse premitur pauperum adversitas, quo vult ducit frena cuius bursa plena. Sancta dat crumena sancta fit amena. |

VI. Hec est causa curie quam daturus perficit, !

defectu pecunie causa Codri^) deficit, tale fedus hodie defedat et inficit, nostros ablativos, qui absorbent vivos; moti per dativos movent genitivos/

Zu Strophe V will ich nur im Vorbeigehen sagen, daß sie mit einem Mißbrauch 2) des Bibel Wortes (Luc. VI 38) 'Date et dabitur vobis* beginnt. In den letzten Versen sind die Ablativi die ungerechten Richter, die sich durch Gaben bestechen lassen und den Sündenlohn dann für geschlechtliche Akte, zur Befriedigung ihrer Lüste ver- wenden.

Matthaeus von Vendöme hat, nach dem Zeugnis des Jeremias de Montagnone, in seiner leider nur unvoll- ständig veröffentlichten Poetik gesagt: ^) 'Aurum Roma sitit, dantes amat Absque dativo accusativo Roma favereneg^.* Matthaeus hat in der 2. Hälfte des 12. Jahr- hunderts geschrieben. Seit dem 12. Jahrhundert werden oftmals diese Sprüche so und ähnUch weitergegeben,*) in denen Dativus das Geschenk selbst ist. In der Vorauer Handschrift 12 saec. XII liest man:*)

'Roma manus rodit, si podere non valet, odit. Dantes exaudit, nil dantibus hostia claudit,

^) Seltsam, da6 Meyer zweifeln konnte, ob mit Codrus der arme Poet bei Juvenal Sat. m 203 gemeint wärel In der satirischen Literatm' des 12./13. Jabrhmiderts kommt Codrus gewaltig oft vor, hat selbst zu sprachlichen Neubildungen wie *codrior*, *codrizare^ Anlaß gegeben.

  • ) Meyer hat das wohl erkannt, jedodi zu sparsam interpungiert. Auch hinter *auc« 

toritas' oder gar hinter ,sanctl' (wenn damit 'sancti evangdii* gemeint ist) müssen GtosefÜßchen stehen. „Gebet so wird Euch gegeben**, lehrt das 'Evangelium*, so sagt sdieinfromm die Frömmigkeit des Gottlosen.

') In der Thfese L. Bourgain, Matthaei Vindoclnensis ars versificatoria, Paris 1879, fehlt nach gütiger Feststelltmg von Dr. F. SdilUmann (Berlin) die Stelle ganz.

  • ) Vgl. Zingerle in den Si^ungsber. der KaiserL Akad. d. Wiss. Philos-ihist Kl. LIV

(Wien 1867) S. 315; W. Wattenbach im Anzeiger f. Kunde d. deutschen Vorzeit N. F. XX (1873) S. 102 t H. Grauert, Magister Heinrich der Poet, München 1912, S. 106 u. 243. 'Proficis in nidhilo, dum veneris absciue dativo' am Sdüufi eines Geldevangeliumtextes» Frankfurtisches Archiv für Altere deutsche Literatur und Geschichte, ni (1815) S. 217.

  • ) Neues Archiv II 401.


Kasusspielereien 79


Accusativus si venerit ante tribunal, aut accuseris aut accusaberis ipse, proficit in neutro, si venerit absque dativo/ Der Minoritenprovinzial Hugo de Bariola schleudert laut Salimbene das Wort den Kardinälen mit einem 'bene quidam trutannus de vobis dixit* ins Gesicht.^) Verwandt, aber dativus gleich Schenker, Bestecher setzend, sind in einem Streitgedicht zwischen Liebe und Geld in den Tegernseer Codex saec. XII München lat. 19488 die Verse des Nummus : *)

'Accusativus si non erit ipse dativus et si me non fert, Romae fore nil sibi confert* Keine Kasusspielerei mehr liegt in dem Distichon einer Basler Spruchsammlung vor:^)

'Palma sacerdotum nil dans, retinet sibi totum, est adiectiva numquam vel raro dativa/ Doch sind wir mit den Kasus längst nicht fertig. Ganz allgemein von den Prälaten wird in dem Gedichte 'Captivata largitas longe relegatur* gesagt:*) 'Fuerunt antiquitus presules dativi omnes pene penitus nunc sunt ablativi.* Dagegen wird in einer anderen Invektive rieder dem Papste zugesetzt

'Papa pavor pauperum est diffinitus, in eo grammatice perturbatur ritus. Nam qui fore debuit gratie dativus f actus est ecclesie rerum ablativus/ Diese Verse stanunen^) aus einem 'Pater fili spiritus sancte septiformis' anhebenden 'Carmen episcopi Bru- nonis*. Ich habe noch nicht ermitteln können, welcher Bruno damit gemeint ist; mit Bischof B. von Würzburg (1034!— 1045) hat es vielleicht, freilich kaum mit Recht, der Prüfeninger Anonymus de viris ill. c. 84 in Ver-

  • ) MG. SS. XXXn 227.
  • ) Vgl. W. Wattenbadi in den Sitz.«Ber. d. Bayer. Akad. d. Wiss. HI (Mflndien

187?) S. 705.

') Vgl. Jakob Werner. Latein. SpiidiwArter und Sinnsprache des Mittelalters, Heldel^ berg 1912, S. 68.

  • ) Mapes ed. Th. Wright p. 151t l Werner, Beitrage S. 133.

^ Vgl. Zingerle in den Wiener Sitz.-Ber. LIV 313.


80 Kasusspielerelen


bindung gebracht. Der M. Flacius lUyrius (1556) zu verdankende Erstdruck 'ex antiquo codice* weist Ab- weichungen^ zumeist fehlerhafte, von der Sterzinger Mis- cellanhandschrift aus, aus der das Gedicht im 19. Jahr- hundert bekanntgemacht ist. Z. B. ist durch die For- mulierung 'Papa pater paupermn' die in 'Papa pavor pauperum' Schrecken der Armen zutage getretene be- wußte Parodierung des Ehrennamens Vater der Armen wieder verlorengegangen. Beispielsweise war dieser Titel dem Markgrafen Erich von Friaul (f 799) in der er- greifenden Totenklage des Paulinus von Aquileja, in der Pfingstsequenz 'Veni, sancte Spiritus et emitte coelitus* von Papst Innozenz III. dem Heiligen Geiste selbst, wei- ter vermutlich auch manchem Papste gegeben.

Über die Anwendung der Kasusterminologie in der Erotik und Kneipliteratur wird unten zu sprechen sein. Es sei vorweg bemerkt, daß mancher ohne satirische Absicht die Ausdrücke der Grammatik in der wunder- lichsten Weise gebraucht, daß man mit den Ketten der Schule gespielt hat aus Freude am Rasseln und Reimen, Anknüpfen und Anspielen. Schon in den Carmina Bu- rana erscheint in einem Gedicht ein Casus ablativus und ein dativus, die nichts mit parodistischem Spott oder Scherz zu tun haben :^)

'Plange regem Anglia nuda patrocinio, fulcimento Gallia, virtus domicilio, probitas praeconio, praeside militia, opum abundantia hoc casu ablativo, duces amicitia, pauperes dativo.* Ein spätmittelalterliches Sommerlied *) nennt den alten Adam 'genitivus morbi nocualis' Urheber der Erbsünde, erwähnt 'dativi necis corporum* Bringer leiblichen To- des, 'accusativi' falsche Ankläger, 'Vocativi' Maria und Karl den Großen Fürsprecher, 'Stygis ablativi* Befreier vom Tod. In den folgenden Strophen treffen wir Kunst- stückchen mit den Namen der Verbalmodi. v. 23

^) ed. Sdimeller p. 48.

') VgL Frantzen im NeophUologus. VI (1921) S. 134 ff.


Macht des Geldes 81


sind Vocativi' nicht Fürsprecher oder Rufer, Vorlader, sondern Berufene, also 'vocati*. 'Nominativus* in der Be- deutung gleich 'nominatus' : namhaft, berühmt hat schon Ducange belegt. Und in der politischen Prophetie, die um 1370 John of Bridlington verfaßte, kommen alle sechs Kasusbezeichnungen hintereinander so vor,^) daß man annehmen muß: der englische Dichter hat, wo es ihm paßte, 'nominativus*, Vocativus* und 'accusativus* für 'nominatus', 'vocatus*, 'accusatus' verwendet Daß

  • dativus' = 'datus, qui datur vel assignatur' ein alter

Ausdruck des Juristenlateins ist für den eigens durch Testament eingesetzten Vormund, im Mittelalter für den Rechtsbeistand und den Gerichtsbeisitzer in Rom, sei zum Schluß dieser Erörterungen verzeichnet, denn der Dichter des 'Utar contra vitia* gehört vielleicht zu den* jenigen, die absichtlich verschiedene Möglichkeiten des Verstehens offen ließen. Damit könnten wir auf Rom und den Mammon zurückkommen, und wir müssen es, merken aber gleich an, daß der Nummus, der so oft im Mittelalter besungen wird, überall herrscht, bei Päpsten, Kardinälen, Kaisern und Königen, Erzbischöfen bis zum Bauern und Bauer nknecbt durch alle Stände hindurch. Der Parodist behandelt den Nummus in der Form eines grammatikalischen Katechismus (vgl. Textanhang), er besingt*) die 'Crux denarii* wie Christi Kreuz und Christus selbst in Hymnen gefeiert wurden. Der Mora- list, der ausruft

'Quicunque vult salvus esse,

ut contempnat, est necesse,

crimen avaricie*^) und so den Anfang des Symbolum Athanasianum nach- ahmt: 'Quicunque vult salvus esse, ante omnia opus est, ut teneat catholicam fidem*, legt dem Avarus parodie- gefüllte Worte in den Mund, um ihn dann zu wider- legen und zu bekämpfen.

^) Political poems and songs relating to English history. ecL Th. Wright I (1859) p. 141 sq.

») VgL 2. B. Walter Mapes ed. Wright p. 223 sqq.

  • ) Von W. Wattenbadi veröffentlichtes Gedfdit aus einer Münchner Handschrift 15. lahr« 

hunderts Berliner Ursprungs, Anzeiger f. Kunde der deutschen Vorzeit N.F. XVm (1871) S. 130 f.

Lehmann / Parodie im Mittelalter ^


82 Macht des Geldes


'Nos oportet gloriari in cruce nummi domini. Dum tu tantis rebus eges qua sunt tibi laus homini' verzerrt die Paulusstelle, Gal. VI 14: 'Mihi autem absit gloriari nisi in cruce Domini nostri Jesu Christi/ Die Antwort des Moralisten:

'Dona gratis, ut sis gratus, felix eris et beatus et te Dens diliget. Nam hylarem donatorem largientem more morem Dens sibi eliget* gebraucht das Wort vom fröhlichen Geber (2. Kor. X 7), das sonst auch zuweilen parodiert wird,^) richtig. Wenn der Geldgierige fortfährt:

'Sperne factum huiusmodi dixit Cato: rem custodi, dilige denarium. Nam qui sua sie consumit, aliena quando sumit, vertitur in odium', so macht er sich die Catonischen Disticha mundgerecht. Bei Cato in der alten Fassung v. 13: rem tuam custodi; III 21:

Utere quaesitis, sed ne videaris abuti:

qui sua consumunt, cum dest, aliena secuntur;

IV 4 Dilige olens nardum, sed p^rce; defuge odorem quem nemo sanctus nee honestus captat habere.*

Die Nachahmung von IV wird durch die Beobachtung gesichert, daß, während 'Dilige olens nardum* eine Kon- jektur von Baehrens ist, sowohl die Handschriften der alten Fassung wie der Cato rhythmicus, wie der Cato interpolatus 'Dilige denarium* haben und Zamckes Cato novus 'Dilige nummum*. Auch 'vertitur in odium' dürfte entlehnt oder angelehnt sein, denn ähnliche Wen-

M \\tl, TtM politic«! sonsF» o£ En^Und» «dL Wright US?»^ |v 39« 'DOlgtt epiaoopiis liilu«m cUtorao."


Macht des Geldes 83


düngen sind in der mittellateinischen Poesie häufig im Anschluß an das 'vertere' und 'convertere in gaudium' der Bibel. Mit der prahlerischen Strophe

'O quam felix, quam amena opulenta fit crumena, et nummorum copia! Ubi nummus ibi census, ubi amor ibi sensus, ibi pax et glorial'

stimmt der Panegyriker des Geldes Töne an, die wir vor allem aus Marienliedern gewöhnt sind. 'O quam felix* ist ein überhaupt beliebter Anfang von Hymnen und Hymnenstrophen. Dem Dichter mögen die weit- verbreiteten Mariensequenzen 'Dies ista celebretur* und 'Ave spes mundi Maria' vorgeschwebt haben. In der einen ^) beginnt die 7. Strophe:

'O quam felix et praeclara mundo grata, Deo cara;*

in der anderen*) die 13.:

'O quam sancta, quam serena, quam benigna, quam amena esse virgo creditur.'

In diesen Zusammenhang gerückt, werden auch die Verse 24 f.

'quo vult duci frena, cuius bursa plena, sancta dat crumena, sancta fit amena*

des ersten Gedichtes der Carmina Burana lichtvoller.^) Es preist da einer das Geld selig, ähnlich wie Maria ge- priesen ward und wird, ähnlich dem Avarus, der die 'crumena*, den Geldsack, feierte. Auf Einwürfe de? Moralisten antwortet der Geizhals dann z. B. noch:

'Opes donant qüodvis donum, nummus solus summum bonum

^) Analecta hymnica. LIV278.

•) L. c. 188.

  • ) In der oben S. 77 zitierten Abhandlung bemerkte W. Meyer zu v. 25 „vieileidit

^sancta et amena*, doch ist der Hiat bedenklidi/' Idh möchte die Lesung 'sancta fit cru«  mena, sancta fit amena* vorschlagen.


84 Das göttliche Geld


et perfecta Caritas. Nam quantitas quantitatum et potestas potestatum sola nummi quantitas',

er macht also in greifbarer Parodie und Blasphemie des Christenglaubens den Nummus zum höchsten Gut, zur vollendeten Liebe, zur größten Menge, zur machtigsten Macht. Das Geld ist Gott

'Vere, Roma, nimis est; eris sitibunda vorax, irreplebilis, inferis secunda. Non et est? Praeposterat lucri spe iocunda, probos censet reprobos et inmundat munda. Dudum terras domuit, domina terrarum, colla premens plebium, tribuum, linguarum Nunc his colla subiicit spe pecuniarum, aeris fit idolatra dux christicolarum. Romae si tu reus es, vis absolvi? prome aes, ut sumas veniam, in os eins vome. Prece sancti Nummuli perorante pro me, si blasphemus fuero, mox placebo Romae. Si te Roma reputat parricidam, moechum, Symonis apostatae cor habeto caecum. Fer argenti lilia, rosas auri tecum: hi di sacrant reprobos, scelus reddunt aequum. Res est et non fabula, rata res, non vana: Forum et venabulum curia Romana, reis vendit veniam, approbans profana, ut in forum venditur lutum sine lana.'

Mit diesen am Ende des 12. Jahrhunderts gedich- teten Versen^) wiederholen wir noch einmal die paro- distischen Schilderungen von Roms Entartung, die na- mentlich in der mittellateinischen Poesie des 11. — 13. Jahrhunderts begegnen. Das Geld regiert die Welt, re- giert Rom.

Andere sagen deutlich, der Teufel und seine Scharen


') her. von Du Möril, Po^sies populaires, Paris 1847, p. 89 sa.


Antidiristgenealogie) Teufelsbriefe 85


beherrschen die Menschheit. Ja, der Papst ist der Sohn des Teufels. Der im 1. Kapitel des Matthaeusevange- liums vorgeführte Stammbaum Christi wird schließlich parodiert zu einer Genealogie des Antichrists:

'Liber generationis antichristi filii diaboli, diabolus genuit papam, papa vero genuit buUam, buUa . vero genuit ceram, deinde cera genuit plumbum, plumbura vero indulgentiam usw. Invidia vero genuit tumultum rusticorum in quo revelatus est filius iniquitatis qui vocatur antichristus.* Dieses Stück kann nachmittelalter- lich sein — der Herausgeber^) hat seine Quelle ver- schwiegen, - und unter dem 'tumultus rusticorum* kann auf den deutschen Bauernkrieg des 16. Jahrhunderts, kann aber ebensogut auf frühere Revolten in England, Frankreich usw. angespielt sein. Gleichviel, Papst und die ganze Kirche, namentlich die Orden, werden schon während des Mittelalters von den Satirikern und Pole- mikern mit der Hölle in Verbindung gesetzt.

„Mit dem Beginn des großen Schismas treten die An- griffe auf die allgemeinen und auf die kirchlichen Zu- stände immer heftiger auf. Eine der heftigsten Invek- tiven ist der sog. Teufelsbrief, der sich durch mehr als zwei Jahrhunderte einer beispiellosen Beliebtheit erfreut hat und allem Anschein nach den hervorragend- sten Platz in der satirischen Literatur des späteren Mittelalters in Anspruch nehmen darf," sagte Ottokar Lorenz.^) Die Höllenbriefe sind parodistische Satiren, die sich der bei päpstlichen und kaiserlichen Schreiben mannigfacher Art vorgeschriebenen Formen bedienen, bekannte autoritative Sätze mißbräuchlich anwenden oder karrikieren, Flugschriften, die unter dem Schutze der Anonymität im Bunde mit der Komik angreifen. Eine erschöpfende Geschichte der Teufelsbriefe würde den Rahmen dieses Buches sprengen. Verhält- nismäßig Weniges muß genügen und wird hoffentlich

  • ) Delepierre, La parodie p. 47. Vgl. die Parodie im Anzeiger fOr Kunde der deutsdien

Vorzeit. N.F. XXI (1874) S, 146.

  • ) Deutschlands Geschichtsqellen im Mittelalter seit der Mitte des 13. Jahrhunderts.

II (Berlin 1887) S. 398.


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den Anlaß zu umfassenderem Zusammensuchen und Untersuchen der im einzelnen schon frühzeitig von den Gelehrten beachteten Literatur^) dieser wie anderer fin- gierter Briefe und Urkunden anregen.

Die Spaltung der römischen Kirche im 14./15. Jahr- hundert hat die Teufelsbriefe zu einer beliebten Gattung gemacht Indessen unterschätzt man ihr Alter, selbst wenn man mit Lorenz sagt: „Die Grundzüge der Invek- tive, vielleicht sogar eine ältere Fassung derselben, waren allerdings schon seit dem 13. Jahrhundert vor- handen." Die frühesten Zeugnisse hat der genannte Historiker bei Vinzenz von Beauvais, Thomas von Chan- timpre und Salimbene gefunden. Die Sache ist aber etwas anders zurechtzulegen als es bisher geschehen ist: Bereits von der Mitte des 12. Jahrhunderts, viel- leicht sogar schon im 11. Jahrhundert hat ein Teufels- brief existiert. Ihn führt um 1142 Wilhelm von Malmes- bury in seinen 'Gesta regum Anglorum* an, als er von einem Geistlichen von Nantes berichtet,*) der in der Zeit Kaiser Heinrichs IV. (1056—1106) aus der Hölle seinem noch lebenden Freunde erschienen sei: 'simul cum dicto manum expandit tetricis notis inscriptam, in quibus Sathanas et omne satellitium gratias omni ecclesiastico coetui de tartaro emittebant, quod, cum ipsi in nuUo suis voluptatibus deessent, tum tantum numerum subditarum animarum paterentur ad inferna descendere praedicationis incuria, quantum nunquam re- troacta viderunt saecula.' Diese Geschichte ist wortwört- lich in das Speculum historiale des französischen Do- minikaners Vinzenz von Beauvais (lib. XXV, cap. 89) übernommen mit der freilich nicht jedem sofort ver- ständlichen Quellenangabe 'Guillerinus' oder 'Guiller- mus*. Vinzenz hat man als Zeugen für die Teufelsbriefe ziemlich oft angeführt und ist doch meines Wissens nie auf seinen 100 Jahre früheren Gewährsmann, den englischen Geschichtsschreiber, gekommen! Die Höllen-

^) Vgl. Köhler, Himmels- und Teufelsbriefe < Die Religion in Geschichte und Gegenwart. III (Tübingen 1912) Sp. 29-35.

  • ) ed. W. Stubbs, London 1889, vol. II 297 ; Migne, Patrol. lat. CLXXIX 1227 sq.


Teufelsbriefe 87


botschaft 'Priiiceps tenebrarum priiicipibus ecclesiarum salutem. Quia quot vobis commissi, tot nobis*, die der englische Prediger Odo von Cheriton (f 1247) in seinen Parabeln ^) bringt, stimmt im Wortlaut mit der in einer Predigt Jakobs von Vitry^) mid in den Me- moiren Fra Salimbenes überlieferten 3) fast ganz überein, was Holder-Egger richtig festgestellt hat. Nur ist sie bei beiden etwas länger: 'Principes tenebrarum prelatis (principibus Jac.) ecclesiarum. Gratias vobis referimus copiosas (fehlt Jac.) quia quot sunt, vobis commissi, tot sunt nobis transmissi' (missi Jac.) und laut Jakob sizilianischen Prälaten, laut Salimbene mit- ten in eine Synode geschickt, während Odo sagte: 'Dy- abolus in specie hominis per quendam laycum misit cuidam archiepiscopo.* Thomas erzählt das Ähnliche wieder etwas anders:*) Ein Geistlicher, der auf einer Sy- node zu predigen hatte, wußte nicht, was er vor den hohen Herren der Versammlung sagen sollte. Da erschien ihm der Teufel und sagte: 'Hab' nur keine Angst, verkünde ihnen dieses "Principes infernalium tenebrarum principes ecclesiae salutant. Laeti omnes gratias eisdem referimus — — — ." Haec eodem anno ab incarnatione Domini MCCXLVIII fuerunt Parisiis coram omni clero et populo solemniter recitata.* Durch die Verlegung des Vorfalls auf eine Synode und die Dankesworte des Höllenfürsten am Beginn stehen sich der Franziskaner Salimbene und der Dominikaner Thomas einigermaßen nahe. Im übri- gen sind so viele Abweichungen vorhanden, daß ein direkter Zusammenhang zwischen (Odo,) Salimbene und Thomas hier wohl nicht besteht. Noch leichtsinniger wäre es, mit Lorenz von einer Übereinstimmung Salim- benes mit Vinzenz (und Thomas) zu sprechen. Die Si- tuationen, in denen die Teufelsbotschaften gebracht wer- den, sind ganz verschiedene. Der Grundton der Botschaft,

^> L. Hervieux, Les fabulistes Latins. IV 289 sq.

  • ) The exempla etc. of Jacques de Vitry, ed. by Th. F. Grane, London 1890, p. 1.

Vgl. auch Goswin Frcnken, Die Exempla des Jakob von Vitry, München 1914, S. 42, wo ab«- nicht alles in Ordnung ist ; femer Hampe im* Neuen Archiv XXIII 643.

») MG. SS. XXXII 419.

  • ) Bonum universale de apibus, lib. I cap. SX) no. 8.


SS Teufelsbriefe


die Freude und der Dank des Teufels, daß die Geistlichen der Erde seine Scharen so vermehrt haben, ist freilich in allen Zeugnissen gleich. Es fragt sich nun, ob den genannten Männern des 12. und 13. Jahrhunderts der Wortlaut eines vollständigen Briefes vorgelegen hat. Mir scheint, mit einem bestimmten Ja geantwortet wer- den zu müssen, und wir haben den Text in dem Beelzebubschreiben, das hinter echten Briefen und der vermutlich fingierten Korrespondenz zwischen Kaiser Friedrich I., Papst Hadrian IV. und Erzbischof Hillin auf dem letzten Blatt eines Windberger Kodex (München lat. 22201) in Schrift vom Ende des 12. Jahr- hunderts überliefert und durch W. Wattenbach veröf- fentlicht ist. ^) Für das Fortleben dieses Schreibens haben wir noch einen anderen, bisher übersehenen Be- weis: Der Verfasser des im 15. Jahrhundert entstan- denen, von Tausenden gelesenen 'Lavacrum conscientiae omnium sacerdotum*, 2) vielleicht der Karthäuser Jakob von Jüterbogk, hat cap. 4 den ganzen Brief in die durch Vinzenz vermittelte, auf Wilhelm von Malmesbury zurück- gehende Anekdote eingeschoben. Da die Anfangsworte bei Odo, Jakob, Thomas und Salimbene unter sich ähn- lich, aber anders als die des Beelzebubschreibens sind, halte ich es für annehmbar, daß vor 1250 bereits ein zweiter Teufelsbrief kursierte. Insofern sind sie beide „harmlos" zu nennen, als sie anscheinend nicht als Kampfschriften in die Welt geschickt sind. Immerhin sind sie nicht einfach Scherzepisteln, sondern Fiktionen mit deutlichen Spitzen gegen die hohe und höchste Geistlichkeit. Es dauerte nicht lange, da war die Sa- tire die Hauptsache geworden.

Dank W. Wattenbach 3) ist eine ziemlich häufig ab- geschriebene Korrespondenz zwischen Teufel und Papst gedruckt, die offensichtlich nicht so sehr

  • ) Anzeiger für Kunde der deutschen Vorzelt. N.F. XXIX (1882) S. 336.
  • ) z. B. Leipzig 1496 erschienen, vgl, Hain 9959.

^) Sitz..Ber. der Kgl. Preu§. Akad. d. Wiss, 1892. I S. 104 ff. Textzeugen — nldit alle Wattenbadi bekannt — Magdeburg Domgymn. Ms. 190 sacc. XV, Oxford Digby 166 saec. XIII ex., Reims 1275 (nicht 1043) saec. XIII ex„ Rom Pal. lat, 692 saec. XV, Wien 11799 (Theol. 110) saec, XVI, u. a.


Teufelsbriefe 89


belustigen wie höhnen und angreifen sollte. Der Fürst der Hölle schickt allen Prälaten und Klerikern Grüße und gibt seiner außerordentlichen Freude darüber Aus- druck, daß sie nach seinem Muster vorgingen. Sie hul- digten und opferten der Venus, nicht minder dem Mammon und dienten so dem Teufel. Schon sei fast die ganze Geistlichkeit gewonnen. Noch verfolgten zwar die sich durch Gelehrsamkeit auszeichnenden Domini- kaner die teuflischen Gemeinden, die Minoriten aber bereiteten ihm viele Freude. Die Zisterzienser jagten Geld und Gut nach und könnten ihren Hunger nach Reichtümern gar nicht sättigen. Die Augustinereremiten, die sich neulich zu einem Orden vereinigt hätten, wären ganz sein. Aus der Einsamkeit strömten sie in die Städte, in Wahrheit Urbaniten, nicht Eremiten. Unge- lehrt und ungebildet, maßten sie sich das Predigtamt an und verwirrten zum Triumphe des Teufels die Gläu- bigen. Nur der Predigerorden gehorche noch nicht recht, er müsse deshalb mit allen Mitteln verfolgt wer- den. Zum Schluß befiehlt der Höllenfürst, sein Mandat überall auf Erden zu verlesen.

Der ganze knapp gehaltene, eindrucksvolle Text ahmt die Form eines königlichen Schreibens nach und paro- diert mehrere Bibelstellen, nicht bloß die zwei, die Wat- tenbach notiert hat Parodistisch ist z. B. gleich der Anfang 'Superhabundamus gaudio, karissimi, in operi- bus vestris*, der 2 Kor. VII 4 'Superabundo gaudio in omni tribulatione nostra' nachgebildet ist Der Diplo- matiker wird Redewendungen aus dem Stil der fürst- lichen Kanzleien in satirischer Verwendung entdecken. In einem langen Schreiben antwortet dem Beelzebub der sich überheblich 'magnus mundi monarcha, cristi- colarum calipha' nennende Papst von seinem Palast in Viterbo aus, den Gaumen mit Malvasierwein be- feuchtet, 'ad perpetuam geste rei memoriam de pleni- tudine potestatis*. Scheinbar ist das eine päpstliche Bulle, scheinbar verwahrt sich der Papst gegen die Sätze Beelzebubs. Tatsächlich unterstreicht und erwei-


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tert er sie aber nur noch, indem er die Vorwürfe der Wollust, Schlemmerei, Trunksucht, Geldgier, Dumm- heit mit größerer Ausführlichkeit vorbringt und ab- sichtlich schwach entkräftet. An Verdrehungen von Bi- belstellen u. dgl. ist kein Mangel.

Der Verfasser war ein Dominikaner der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts. ^) Die römische Kurie und ihr Oberhaupt sind zwar mit Seitenhieben bedacht und dadurch in die Satire hineingezogen, daß die Pseudo- Verteidigung dem Papste in den Mund gelegt ist, in der Hauptsache aber hat der Parodist es auf gewisse Or- den abgesehen.

Auch der zeitlich folgende Teufelsbrief richtet sich nicht gegen Rom selbst, sondern gegen die Mönche. Englische Benediktiner werden von einem Franziskaner an den Pranger gestellt in einem Erlaß, den 'Belial apostatarum prepositus et magister invidie, abbas clau- stri superbie, prior gule, custos et dominus Acherontis' 1305 auf einem höllischen Generalkonzil feierlichst ge- geben haben soll. ^) Belial kennt die zeitgenössische Ur- kundensprache, kennt die Bibel vortrefflich und plün- dert sie weidlich, kennt die Entartung der Benediktiner, die nach weltlicher Macht und irdischen Schätzen stre- ben, Luxus treiben, saufen und fressen, allen möglichen sexuellen und sonstigen Lastern fröhnen. Die Richtig- keit, d. h. die Aufrichtigkeit der Datierung auf 1305 be- streite ich, da in solchen Pamphleten gern das Erdich- tete in eine andere Zeit gerückt wird und da das Be- lialschreiben nach meiner Überzeugung ein Vorbild vom Jahre 1351 hat. Die in den Beispielen gegebene Text- gegenüberstellung wird als neues Faktum zeigen, daß der Belialbrief und der berühmte Teufelsbrief von 1351 so viele und so starke Ähnlichkeiten haben, daß der eine vom andern unabhängig sein muß. Ich halte das Belialstück für das abhängige jüngere Erzeugnis wegen seiner großen Seltenheit und seiner Bezugnahme auf

  • ) Wattenbach vermutete anfangs, da6 die Briefe 1266—68, spater im Neuen Ardilv

XVIII 495, daß sie unter Martin IV. (1281—85) entstanden waren.

  • ) Wattenbadi in den Berliner Sitz..Ber. 1892. I. S. 116-122.


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die speziellen Verhältnisse eines Ordens in einem Lande, wegen der Inkonsequenz, mit der Belial seine Rolle durchführt, bald teuflisch seine Freude über das Gebaren der englischen Benediktiner offenbarend, bald als Sittenprediger auftretend.

Nach den Berichten des Matteo Villani^) und eines Fortsetzers des Matthias von Neuenbürg^) fand man 1351 an der Kurie zu Avignon einen Brief, in dem sich Luzifer, der Fürst der Unterwelt, feierlichst an den Papst Klemens VI. und seine Kardinäle wandte und sie mit lebhaftem Lob anfeuerte, den Teufel bei seinem Kampf gegen Christus zu unterstützen. In einigem wichen die Chronisten voneinander ab; so sagte der Italiener, das Schreiben wäre im Konsistorium beim Prozeß gegen den Mailänder Kardinalerzbischof entdeckt und auf Anord- nung des Papstes in der Sitzung verlesen worden; nach dem anderen wäre es eines Tages an der Tür des Kardi- nals angeheftet gewesen. Die Angaben von Ort und Zeit des Überreichens oder Vorfindens, Avignon 1351, sind glaubwürdig, wenn auch nur ein Teil der Handschriften — nachträglich — dieses Jahr nennt, zuweilen sich andere Datierungen finden ! Strittig dagegen ist und bleibt einst- ^^eilen der Verfasser. Die Zuweisung an den Hessen Heinrich von Langenstein ist heute fast allgemein auf- gegeben, meistens zugunsten von Nikolaus Oresme. Je- doch bedarf es noch gründlicher Untersuchung, bis das Problem gelöst ist. Die Zahl der (noch nicht zusammen- gestellten) Textzeugen ist gewaltig groß. Es sind über 100 Handschriften erhalten. Luzifer nennt sich in der Adresse pompös wie damals die römischen Kaiser deut- scher Nation. 3) Die Unterschrift 'Beelzebub vester spe- cialis amicus* ist wohl nicht ursprünglich. Bestimmte Päpste, Klemens VI. und VII., Urban IV., Gregor XI. u. a., werden selten direkt genannt, in der Regel ist das satirische Lob, das bald mit rhetorischen Floskeln des

  • ) Muratori» SS. rcr, Ital. XIV 137.

•) Boehmer, Fontes. IV 280.

») Mündicn Univ.-Bibl. Ms. 4^ 134 sacc. XV fol. 177V-179R übcrsdirelbt dcn^ Brief fälschlich als 'Bulla Luciferi* und beginnt dcmentsprcdiend 'Lucifcr servus servorum .


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Kanzleistils, bald mit Bibelzitaten prunkt, an alle Kirchenoberen gerichtet. So konnte der Brief zu be- liebigen Zeiten als Streitschrift fungieren. Drucke wur- den bereits zu Beginn des 16. Jahrhunderts in Frank- reich, in Deutschland, in Italien veranstaltet. Flacius hat sogar zwei verschiedene lateinische Fassungen zur Ver- fügung gehabt/) die längere lateinisch und deutsch herausgegeben. Die Erstredaktion von 1351 ist m. E, gleich der kürzeren, am häufigsten abgeschriebenen und gedruckten. ^)

Der sehr bald weithin bekannte Luciferbrief wirkte vorbildlich, als durch das große Schisma die Verwirrung in der abendländischen Kirche wucherte und wuchs^ Peter von Ailli schickte eine Epistola diaboli Le- viathan aus, wieder eine königliche Botschaft aus dem Reiche der Finsternis, worin allen Vasallen Levia- thans, d. L den falschen Prälaten, Unfriede und Erhal- tung des Schismas eindringlich mit vielen frevelhaft verzerrten Stellen aus dem Alten und Neuen Testament gepredigt wird. P. Tschackert^) setzte die satirische Parodie, die z. B. in Codices von Bern, Cambrai, Karls- ruhe, Paris und Wien überliefert ist, um 1381 an. Gegen diese Datierung hat A. Kneer*) Bedenken erhoben.

M Cataiogus testium veritatis, Basel 1556, p. 947 sqq.

') Eine fehlerfreie Bibliographie fehlt. Die beiden Fassungen werden oft durdieinander geworfen, selbst bei A. Potthast, Bibliotheca historica medii aevi I (1895) p. 747. Ob die Erstausgabe wirklich in Paris 1507 erschienen ist, wie man seit dem 16. Jalu-h. behauptet» und wenn, ob sie existiert, ist noch fraglich. Ich kenne kein Exemplar von ihr, auch nicht von der laut M. Flacius 111., Cataiogus testium veritatis, Basel 1556, p. 948 zusammen mit

  • Gulielmus Parisiensis episcopus de beneficiorum coUatione' erschienenen, auch nidit von

der *Epistola de non apostolicis quonmdam moribus\ die Ernst MOnch, Hutteni opera VI (Leipzig 1827) p. 466 erwähnt und wohl bei Joh. Wolf Lect. memor. nachgedruckt ist. Die mir bekannten ältesten Ausgaben der kurzen Redaktion, beide ohne Jahres« und Ortsir angäbe zu Anfang des 16. Jahrhunderts in Deutschland gedruckt, haben die Titel 'Epistola Luciferi ad malos principes ecclesiasticos Parisiis impressa ubi est fons optimortun stu»^ diorum' usw. (München Staatsbibl. 4^ P. lat. 47 u. 12) und 'Epistola Luciferi ad r^entes ecclesiasticos Parisiis primum impressa una ctun tractatu pr(x:essus Sathane infemalis contra genus humanum* (München Univ.«Bibl. 4® Jus can. 2508); einen alten italienischen Druck besdireibt F. Novati in Giomale storico della letteratura Italiana I (1883) p. 243. Eine deutsche Übersetzung von etwa 1520 ist betitelt *Ain grosser preiss so der für^t der hellen genannt Lucifer yetzt den gaistlichen als bapst, bisdioff, cardinel und dergleychen zuweysst und enpeut* (München Staatsbibl. 4° Polem. 2457 u. 8). Femer nenne idi aus der großem Zahl der Ausgaben! Joh. Wolfii Lectionum memorabilitun reconditarum centenarii. I (Lauingen 1600) p. 654 sq. ; Jo. Andreas Schmid, De libris et epistolis coelo et Inferno delatis, Helmstadt 1704, p. 37 sqq.; Chr. G. F. Walchius, Monimenta medii aevL I 5 (Göttingen 1759) p. 247 sqq.; O. Schade, Satiren und Pasquille der Reformationszeit. II (Hannover 1863) p. 80-84; F. Novati im genannten Giomale I 419 sqq.

■) Peter von Ailli, Gotha 1877, S. 52 f., App. V. Vgl. auch N. Valois, La France et le grand schisme d'occident I (Paris 1896) p. 358 sqq.

  • ) Die Entstehung der konziliaren Theorie, Rom 1893, S. 28.


Teufelsbriefe 93


Sicher scheint zu sein, daß Peter 1381/82 die falschen Hirten unter dem Namen Ezechiels geißelte. Diese Sa- tire kann man nicht eine Parodie nennen, da sie sich ganz ernsthaft der Worte des alttestamentlichen Pro- pheten bedient. ^)

Die Invektiven häuften sich mit der Dauer des Schis- mas. Der alte Luciferbrief behielt seine Berechtigung und Beliebtheit Eine Nachahmung erregte 1408 die Gemüter der Christenheit. Als Papst Gregor XIL zö- gerte, klar und deutlich abzudanken und die Unions- verhandlungen ehrlich aufzunehmen, tatkräftig zu führen, da beschuldigten die Zeitgenossen vor allem den Domi- nikaner Giovanni Dominici, der gerade zum Erzbischof von Ragusa ernannt und Kardinal zu werden im Begriffe war. Der bittere Haß ergoß sich in einem Satans- brief, den vielleicht der Notar Pegaletti erdacht und Ende März veröffentlicht hat 'Satanas regnorum Ache- Tontis Imperator, tenebrarum rex et profundissimae ditionis dux, superbiae princeps et aeternus damnatorum omnium cruciator, fidelissimo nostro Johanni Dominici o. praedicatorum, nostrorum operum cultori archiepi- scopo Ragusino salutem et superbiam sempiternam/ Schon diese Intitulatio, Inscriptio und Salutatio sowie die Datierungszeilen: 'Datum in horribilissima civitate nostrae ditionis apud portam infimam centri retro in horrendo nostro palatio infinita multitudine daemonum tunc praesente sub charactere ad perpetuam rei me- moriam aeternarum daemonum furiarum* weisen auf die stilistische Abhängigkeit vom Luziferbrief des Jahres 1351 hin. Der Text der Mandatsparodie selbst bestätigt die Annahme des Zusammenhanges. Man vergleiche etwa die Stellen, wo der Satan vom 'adversarius noster Jesus Christus*, von seinen lieben Töchtern Hoffart, Geldgier, Üppigkeit und besonders von seinem Lieblings- kinde, der Simonie redet Der Inhalt des Briefes ist kurz: Dank für die Unterstützung der Hölle durch Laster und Verbrechen, vor allem bei dem Zwiespalt in

  • ) Tschackert, a. a. O. S. 56 ff.. App. IV.


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der Kirche, Ermunterung, das Schisma ja aufrechtzu- erhalten, Gregor XIL, der 'dilectissimus noster' uiid 'periurus pubUcus' genannt wird, an der Cession zu ver- hindern, Ermunterung für Johann, sein ausschweifendes und bosheitsvolles Leben fortzusetzen, weiterhin Witwen und Waisen zu plündern, den Tafelfreuden sich unge- bunden hinzugeben, Versprechen, dem Kardinal außer irdischen Ehren zum Lohn den heißesten Platz im ewigen Feuer zwischen Arius und Mohammed zu er- teilen. Zwei nichtparodistische Gegenstreitschriften sind bekannt geworden, von denen die eine sich als Brief des Erzengels Michael ausgibt. Den Satansbrief haben Diet- rich von Nieheim in sein 'Nemus unionis' und der Mi- norit Nicolaus Glaßberger in seine Chronik aufgenom- men, Dietrich auch die eine Antwort. Das nach 1450 zusammengestellte 'Magnum chronicon Belgicum* zi- tiert das Satansschreiben 'Epistola blasphemia plena scripta in pergameni pelle hirsuta ab una parte.* Der Chronist oder sein Gewährsmann scheint ein loses, ein- seitig beschriebenes Pergamentblatt nach Urkundenart vor sich gehabt zu haben. Die bis auf unsere Zeit ge- rettete Überlieferung fließt in Büchern, in jenen Ge- schichtswerken und in Codices.^)

Handschriftlich erhalten 2) sind loannis Dominici imo diabolici abusiones cum glossis, eine Gregor als Beelzebub, den Kardinal als Teufelsdiener hin- stellende Gegenschrift gegen die 'Rationes loannis Do- minici', durch die dieser hatte beweisen wollen, Gregor hätte die Union der Kirche gewollt und erstrebe sie noch.

Bei Dietrich von Nieheim (lib. VI cap. 41) und im Concilium Constantiense des Andreas von Regensburg ») sowie für sich in Handschriften von Danzig, Eichstätt, Wien und anderen Orten steht ferner ein parodistisches

^) Ausgaben und die moderne -«rissensdiaftlidie Literatur verzeidinet A. Potthast, Bibliotlieca historica medii aevi, II* 1052.

  • ) Rom Vat. lat. 4192, vgl. Rattinger im Historischen Jahrbuch. V 168.
  • ) Ausgabe von G. Leidinger, München 1903 (Quellen und Erörterungen zur bayer. und

deutschen Geschichte. N.F. I) S. 170 ff, LX sqq.


Qudrkembold ; Plodricius 95


Pamphlet, das am 17. Juni 1408 in Lucca an verschie- denen Stellen angeschlagen war als Antwort auf den tags vorher öffentlich bekanntgegebenen Zitationsbefehl Papst Gregors gegen die Parteigänger der abgefallene» Kardinäle. ^) „Wir von Gottes Gnaden Officiale der römischen Kurie, Hohepriester der Küche, Höflinge des Marstalls und alle Fürsten des Fußvolks" beginnt die an Spott über Gregor und seine Kardinäle reiche Einladung zum Strafgericht Im Hochsommer desselben Jahres erschien, ausdrücklich auf das eben erwähnte Spottschreiben sich beziehend, eine Polemik gegen einen der mächtigsten und bestgehaßten Gregorianer, den deutschen Prokurator und apostoli- schen Cubicularius Rother Balhorn. Der Verfasser nennt sich Quarkemboldus, Vizekanzler der Armen, und ist kein Deutscher, sondern vielleicht der Italiener Pega- letli gewesen. Nach O. Günther^) hat derselbe Mann den Satansbrief, die Epistola delusoria officialium curiae, das Quarkemboldschreiben und noch ein paro- distisches Pamphlet geschrieben, das früher fälschlich^) unter Quarkembolds Namen ging, in der besseren Dan- ziger Überlieferung die Unterschrift 'N. Plodricius scrip- tor* trägt. Die Satire des Plodricius, deren Autor Pegaletti gewesen sein kann, nicht aber der Westfale Dietrich von Nieheim,*) ist ein groteskes Schreiben, das im Namen der kurz vorher aus ^em Leben geschiedenen Kardinäle Johannes Aegidii, weiland Propst von Lüt- tich, und Angelo Acciaiolo, weiland Erzbischof von Flo- renz, durch den Erzengel Michael auf die Erde gebracht ist. Oben im Himmel habe unter Christi Präsidium ein Generalkonsistorium stattgefunden, der Gegenstand der Gerichtsverhandlungen sei das kirchliche Schisma gewesen und Errorius Gregor XII. mit seinen Kardi- nälen usw. verklagt worden. Der Prokurator habe von

M Vgl. Jetzt besonders O. Günther im Neuen Ardiiv. XL (1918) S. 649 und in seinem Budit Die Handschriften der Kirchenbibliothek von St. Marien in Danzig, D. 1921, S. 272 u. 328.

') Neues Ardiiv XL 649 ff., wo Ordnung in die Texte gebradit ist,

^) Seit der Ausgabe von £. Marttoe und U. Durand in der Veterum SS. amplissima collcctio. VII (1733) coL 826-840.

  • ) Tro^ Th, Lhidncr in der Zeitschrift für allgemeine Gesdiichte. II (1885) S. 414.


96 Namensverdrehungen


den Prononotarii Markus und Lukas sein Instrument erbeten, das Richterkollegium, Christus und die Apostel, sich dann zur Beratung zurückgezogen! Das alles wird in ebenso witziger wie boshafter Weise unter Anlehnung an die Gebräuche der Zeit und fortwährenden Angriff en auf die historischen Persönlichkeiten ausgeführt Den Höhepunkt jedoch bildet die folgende Vision der Höllen- strafen für Gregorius und seine Anhänger. Michael dürfte deshalb vom Parodisten zum Überbringer des Schreibens ausersehen sein, weil ein Gegner den Erz- engel auf den Satansbrief hatte antworten lassen. (Vgl. oben S. 94.) Daß der Papst als 'Errorius hypocrita pater patrum haereticorum omnium* erscheint, daß mit seinem Namen und seinen Ehrentiteln grimmiger Spaß getrieben wird, befremdet, wenn man die Schärfe und die wortspielerische Art der kirchenpolitischen Streit- schriften des Mittelalters gefühlt und beobachtet hat, nicht mehr. Die Namensverdrehungen gehen bis ins 11. Jahrhundert zurück, mögen z. T. noch älter sein. Benzo heißt ^) Rudolf von Schwaben, den Gegenkönig Heinrichs IV., 'Merdulfus*, Gottfried von Lothringen 'Cor- nefredus* und 'Grugnefredus*, die Normannen 'NuUi- manni*, schimpft Hildebrand — Gregor VII. Trandellus, FoUeprandus, FoUeprandellus, Stercorentius, Stercutius,* den Lucchesen Anselm — Alexander II. 'Asinander, Asi- nandrellus, Asinelmus*. Andere nennen Klemens III. 'Demens*,*) Urban IL und Urban IIL 'Turbanus'. *) Im 14. und 15. Jahrhundert tauchen dann 'Errorius, Tur- ban us^ Benefictus, Maledictus' besonders häufig auf.

Das Konzil von Pisa hatte die Hoffnungen der Kirchenfreunde nicht erfüllt, nein das Schisma ver- schlimmert. Denn zu den Päpsten Gregor XII. und Benedikt XIII. war ein dritter, Alexander V., hinzu- gekommen. Zwar starb er schon lam 3. Mai 1410, aber er fand einen Nachfolger in Johann XXIII. Und was für

») Vgl. MG. SS. XI an vielen Stellen.

  • ) MG. Libelli de lite. II 330, III 704.

') a. a. O. II 375, 399, 406-411, 413, 415 f., 421; Burcfaardi praepos. Ursperg. dironicoo, edd. Holder-Egger et B. von Simson (1916) p. 59.


Teufelsbriefe 97


einen! Mit ihm stieg die Entwürdigung und der Wirr- warr auf den Gipfel, i) Ohne Zweifel war Johann ein ungewöhnlich lasterhafter Mann. Sittenlose Genußsucht, Grausamkeit, unmäßiger Ehrgeiz und Herrschgier er- scheinen auf seinem Charakterbilde in der grellsten Be- leuchtung. Ein solcher Mensch auf solchem Platz for- derte gerade zur Satire, zur Parodie heraus.

Anscheinend noch ehe Johann im Mai Papst wurde, richtete ein Unbekannter 1410 gegen ihn und seinen Kreis einen Luziferbrief. Ihn hat 1549 Matthias Flacius lUyricus aus einem Codex des Magdeburger Bar- füßerklosters lateinisch,*) 1550 verdeutscht heraus- gegeben. Eine stark erweiterte Fassung des Pamphlets von 1351 bringend, die zumal in Norddeutschland wäh- rend des 15. Jahrhunderts mehrmals abgeschrieben wurde (Handschriften z. B. in Göttingen, Wolfenbüttel und Wien), überbietet und verallgemeinert diese Satire alle früheren Angriffe auf die Klerisei.

'Lucifer / Fürst der finsternis / regierer der tiefen trawrigkeit / keiser des Hellischen Spuls / Hertzog des Schwebelwassers / König des abgrunds / Verwalter des Hellischen fewrs* richtet seine Worte an alle Mit- genossen seines Reiches imd weist im Eingang wie in dem alten Sendschreiben auf die zeitweilige Verringe- rung des Zulaufes zur Hölle hin. 'Als nu die rasende wuetigkeit unsers hertzen solchs vermarckte / besorgten auch / wir moechten durch obgenante stathalter Cristi noch weiter beschweret werden / da wollen noch konten wir solche beschwernis nicht lenger dulden oder leiden/ sondern berufften / solchen unrath und gefahr forthin vorzukommen ein generalconcilium mit unsern ver- wandten und haben also nach derselben rath

an euch / die ihr itziger zeit Verweser der kirche seid / appelliret.' Daß Luzifer von einem allgemeinen Konzil

der Teufelskirche spricht, ist zu beachten. Wir stehen

■ ■■-■■■■ — ■ —

>) Vgl. Blumenthal in der Zeitsdirift fflr Kirdiengesiiichte. XXI (1901) S. 490.

  • ) Da£ Joh. Wolf in seinen Xectiones memorabües* die längere Fassung aboedruöA

hmes behauptet Chr. W. F. Waldi, Monimenta medU aevL lU (Göttingea 1759) p. JbOCXU mit Unrecht, Wolf hat den kurzen Text von 1351.

Lehmann / Parodie im Mittelalter 7


98 Tcufelsbricfc


mit dieser Bearbeitung des alten Stückes mitten in der» Zeit der großen Reformkonzilien. Bemerkenswert ist ferner die ätzende Scharfe des parodistischen Spottes. Einige wenige Stellen seien herausgehoben und im alten deutschen Wortlaut dargeboten:

' O ihr allerliebsten / auserwelten zuckermuendlein / ihr Prelaten und Herrn der Kirche / thut ihr doch nach ewrem hoechsten yermoegen /alles was fuer unsern äugen gefeilig und angenem ist. Darumb wollen wir auch / ewrer uberschwencklichen bosheit halben /das H* den obgemelten unsern widder sachern / den Aposteln und ihren nachfolgern / vorgezogen / und die oebersten in der kirche sein sollet. Denn ihr begert der Kirche vorzustehen / nicht zu ihrem nutz / sondern zu ihrem schaden / und wiewol ihr der Leute heil nicht achtet / so wolt ir doch das sie euch auffs aller eusserst unter- worffen sein sollen / und handelt hierinne als die ehr^ geitzigen hüben. Penn die Wirde darin ihr sitzt /macht euch nicht wirdig / sondern zeigt viel mer an / das ihr diebe / reubör / trunckenbold / und unwirdige lauren

seid. — Vorzeiten wurden die obgemelten unsere

widdersacher / nemlich / die Merterer / Propheten / Aposteln / Conf essorn / Jungfrawen und dergleichen / den Fuersten dieser weit in zeitlichen Sachen unter- wbrffen / und begatb^n sieh in tod fuer die gerechtig- keit / Ihr aber / die ihr euch teglich in bancketirn / JEressen und sauffen weltzet / und one. unterlas ewren hals durchschwemmet / . sagt / 'O quanta patimur pro ecclesia Dei* / O wie große not leiden wir fuer die Kirche / Ja fuer den ewigen Tod. Fr est nur weidlich / saufft./ und lebt nach all ewrem wolgefallen / Denn

ewer verdamnis wird euch schnei überfallen.

Ein" armer der euch nichts bringt / wird nicht allein Yfcracht und nicht gehört /sonder wird widder die. warheit -: mit gewalt untergedruckt und überrumpelt. Denn so er koempt / und -euch seiner gerechtigkeit- und rechts halben zu f us feit / so hoert ihr ihm etwa ein wenig zu. Wenn er aber ihm und seinem rechten-


Tcufclsbricfe 99i


m*mmi^^.M^^J


ZU gut / die rechte und gesetz / herfuer zeucht / sö sagt ihr / Halts Maul du grober filtz / du weist nicht was du Widder die gewonheit und proces unsers Pal^ lasts und Roemischen höfes plauderst So er aber die gewonheiten und proceß ewers hofes anzeucht / Ant- wortet ihr / Troll dich'/ was wiltu machen? wie darffstu so kuen sein / und dich widder die gesetze und Canones auflenen? Also wies ein armer mann an-

greifft /so begegnet ihr ihm allezeit uberzwerch. -. r-:

Wir wollen aber euch Seelsorgern / als / euch Bischof- fen / Ertzdiacon / Dechenden / Priorn / Pfarrherrn / diese unsere meinung auch nicht verhalten. Denn ihr seid die ienigen / die bey uns bleiben inn der not Darumb verordnen wir euch ewre wonung / wie sie euch denn von ewigkeit zugericht und verordnet ist / im gründe der Helle. Denn ihr richtet alle schand und laster an / darin ir uns ein sonderlichen gefallen er- zeigt Ihr seid blinde und Blindenleiter / Ligt des nachts in unf lettiger stinckender hürerey / und geht des morgens auff dem altar umb mit dem son der Jung- frawen. Habt euch gar auff freßen und sauffen ergeben / seid noch nicht halb nuechtern / groeltzt und speiet zuvor ein mal / darnach geht ihr hin Meß zu halten / und kueßet mit ewrem garstigen stinckendfen maul den / fuer welches angesicht ihr nicht werd seid das ihr

stehen sollet. — Wir hetten aber schier eins ver-

geßen /Ihr seid uns vor allen dingen auch darumb sonderlich lieb / das ihr euch inn unehrliche / bos- hafftige und sonderlich in frembde spiel menget / als da sind / bretspiel und wuerffelspiel / darauf ihr so geitzig seid / das ihr ewer ampt gar drueber ligen laßet / fuercht euch auch nicht fuer ewren Decreteh

Demi in den spielen werden zehnerley suende

begangen. Erstlich ist da verlangen nach unehrlicheni gewinst / Sihe da / da hastu unsere Töchter die Be-

gierligkeit Unsere iieunde tochter aber / fraw

Unzucht / vertrawen wir allen inn gemein /denn v^ir wollen das sie one unterscheid bey allen sein, sol / abef

7*


100 Teufelsbriefe


sonderlich bey den geystlichen. So wollen wir nu / alles / was ihr unsern obgemelten toechtern sampt ihren Schwestern und gespielen thun werdet dermaßen von euch annemen und erkennen / gleich als were es uns selbs geschehen / verheißen euch auch widderumb zu dienen zur ewigen verdamnis / das solt ihr euch on allen zweiffei zu uns versehen.

Geben / mitten inn der erde / in unserm finstern Pallast / da keine Ordnung / sondern ewig heulen und zeenklappen wonet Da ist unaussprechliche kelte / unausleschlich fewr / unleidlicher gestanck / der unsterbliche wurm / finsternis die man greifen kan / geissein der Peiniger / Teuffels gesiebte / Eine menge suender unternander vermischt / und ewige verzweife- iung / daneben viel hundert tausent regiment teuffei, sonderlich zu unserm schmerzlichen Richtstul requi- rirt und erfordert / das sie neben unserm hie an- gehengten Siegel zeugen sein sollen / das alles also ge- wislich ergehen sol / wie wir alhie geschrieben «haben. Gehabt euch wol und habt so viel glueck als wir euch wuendschen und ewiglich geben wollen / Amen.

Am ende dieses brieffs stund also geschrieben. Anno Domini 1410 indictione septima den fuenfften tag Aprilis / ist dieser brieff zu Florenz / dem Herrn Joann / des Babsts Joannis dieses namens / Referendario uberant- wort worden diu-ch einen Cortisanen / welcher bald nach uberantwortung dieses brieffs / entrunnen ist*

Unter den vielen Schm,äh- und Spottschriften, die während des Konzils von Konstanz verbreitet worden Skid, haben auch Parodien Platz gefunden. Zumeist treffen wir in den Codices der Konzilsteilnehmer alte Bekannte, so das Geldevangelium und die Teufelsbriefe. Neu und eigenartig ist das kurze Rezept zu einer Radi- kalkur. ^) Diese Anweisung, die Kirche durch Ersäufen der Kardinäle, Erzbischöfe, recht vieler Rönilinge im Rheine zu heilen, möge das Kapitel über die gegen die


])y^' H. V. d. Hardt, Magnum Constantioiae coociliom. I 499 t H. Finke, Toradransen ' ^ 2ur Geschichte des Konstanzer Konzils. I '

d. Gesdildkte des Oberrheins. 1916 S. 269.


ttldQueUen zuiiGMchlchte des Konstanzer Konzils. I (Paderborn 1889) S. 153 und in der


Rezept fOr den Magen des hl. Petrus 101

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Nachfolger Petri, ihre Vertreter, ihre Beamten, gegen die verderbte Geistlichkeit im allgemeinen gerichteten mittellateinischen Parodien beschließen.

'Receptum pro stomacho s. Petri et refor- matione totali eiusdem, datum in concilio Constantiensi.

Recipe XXIV cardinales, centum (oder trecentos) ar- chiepiscopos et prelatos, totidem de qualibet natione et de curialibus quantum habere potes. Immergantur in aqua Rheni et ibidem submersi per triduum maneänt (oder permaneant) eritque (oder et erit) bonimi pro sto- macho s. Petri et totali eius corruptione removenda.*

2. Gegen Klöster, Mönche und Mönchsorden

Moram Oppressor, Nequitiae Amator, Cultor Haeresis, Ueritatis Spoliator.

In Rom sah bis zu den Tagen Martin Luthers das ganze christliche Abendland die größte Macht der Welt. Von Rom kam aller Segen; von Rom kam alles Unheil.'

Das bedeutet natürlich nicht, daß die satirische Parodie einzig und allein Roms Habsucht, Macht- und Geldgier, die Fülle seiner Verbrechen verspotten und züchtigen wollte. Die antikurialen Parodien sind gern als Angriffe auf alle möglichen Kirchenoberen und die Geistlichen überhaupt angelegt worden oder dazu er- weitert. Zuweilen hat man auch die Landesbischöfe für sich beschimpft, so in dem von B. Haur6au^) heraus- gegebenen, jedoch nicht ganz richtig verstandenen Ge- dichte 'Cum ex rapto vivere* über eine Synode zu Reims. Die Versammlung ist erfunden. Synodalberatungen und -beschlüsse im allgemeinen parodierend, erhebt ein un- bekannter Verfasser des 12./13. Jahrhunderts laute Klage über die Bedrückung und Aussaugung durch die Bischöfe des Reimser Erzsprengeis. Von größerer geschicht- licher und literarischer Bedeutung sind aber die wir- kungsvollen Pamphlete, in denen man die Mönche und Mönchsorden schlimm gezeichnet hat. Die Teuf els-

') In seinen Notices et eztraits. VI 328 sq.


102 Teufelsbriefe gegen die MOnche

jjriefe lieferten uns soeben mehrere Beispiele, auf die wir kur:^ zurückkommen müssen.

Da wird in dem Schreiben ^) 'Superabundamus gaudio' Freude uiid Genugtuung deswegen geäußert, weil die Minoriten der Hölle opferten, die Zisterzienser unersätt- lich nach Geld und Gut trachteten, die übrigen Mönche egoistisch nicht für das Allgemeinwohl sorgten und weil sie, vom Wein erhitzt, sich mit des Teufels Geiste an- füllten, wird besondere Befriedigung darüber ausge- drückt, daß die neue Kongregation der Augustiner- eremiten die Städte, die sie fliehen sollten, bevölkerte, ohne Bildung das Predigtamt ausübte und überall Glau- bensverwirrung anstiftete, daß auch die Sarrabaiten, die falschen Mönche, fester Besitz der Unterwelt wären. Einzig und allein die Dominikaner müßten leider noch ausgenommen werden. Zu ihrer Verfolgung wird das Sendschreiben erlassen. In der Antwort des Kalifen, des Papstes, wird die Sündhaftigkeit der Orden weiter aus- gemalt: Die Minoriten schlemmen, fressen und saufen; bei den Zisterziensern tun sich die Konversen durch infernalische Schlechtigkeit hervor. Die Eremiten, die Kanoniker, die Benediktiner werden in Schutz genom- men. Sie bedürften des Reichtums, weil sie der Vor- nehmen Gunst gewinnen, deren Hände „salben" müßten. Selbst Ehebruch und schlimme Gewalttaten bei Trun- kenheit werden beschönigt. Dann werden dem Teufel überliefert die Sarrabaiten, die Sackträger, Karmeliten, Rethabiten, Karthäuser, Vallombrosaner, Serviten, Ne- potuli, Nathinäer, Matturiner, Humiliaten, Sestigerer, scherzhafterweise die Diphthonge und Tribachen, ferner die Altipasser, Penetratoren, Paracliten, Begarden, Stre- garier. Taufer, Hengeler, Joviner, Girovagen, Patarener, Gazarer, Apostel und Antichristen. Auch die Schwert- brüder, die bärtigen Geißler und die Fratres Gaudentes kommen noch an die Reihe. Also neben den bekannten großen Orden eine bunte Schar von Sekten verschiede- ner Zeiten, viele kleine Gemeinschaften, die größtenteils

») Vgl. obcnS. 88 ff. -- .


Teufelsbriefe gegen die Mönche VCß

-im 13. Jahrhundert begründet sind oder damals Auf- sehen machten. Eine unter dem Namen Belials und dem — falschen — Datum 1305 gehende Nachahmung^) des alten Luzif erbrief es, die im ersten Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts entstanden sein wird, wendet sich aus- schließlich gegen die englischen Benediktiner, ihre Hab- gier, ihre Schwelgereien, ihre Vorliebe für das Studium der heidnischen Autoren des Altertums, ihren Kleider- luxus, ihre Schmuckliebe usw. Der 1410 veröffentlichte erweiterte Teufelsbrief*) vergißt nicht, die Bettelmönche satirisch zu behandeln: 'Solche bueberey übet nicht allein ihr Seelsorger / sondern es ubens auch die jeni- gen / die unterm schein der Religion und geistlichen kleidung hergehen / als die man Brueder nennet mit dem namen / aber nicht mit der that / welche ihr Bettelmünche heisset. Denn sie haben mnb Christus willen abgesagt / nicht den weltlichen luesten / sonder der arbeit und unruge. Sagen / sie haben nichts jeigens / sonder alles gemeine / So aber einer zu eim solchen / der da sagt / er habe die zinse und einkommen von der gemeine wegen und teile sie inn die gemeine aus / sagte / Er solte sie inn die gemein teilen / so wuerde er bald antworten / halt still / das ist mein. Item wenn einer begert das sie ihn annemen sollen inn ihren orden / fragen sie flux / Wie viel kanstu geben? und machen

ein geding mit ihm / ehe sie in annemen. O ihr

lieben Bruederlein / ihr solt allezeit die vornempsten in unserm pallast sein / und allezeit fuer unsern äugen •stehen. Denn ihr erzeigt euch one unterlas willig und gehorsam / in allem das unsere Maiestat und wuetige -tyranney gebeut Denn welche ihre eigne Pfarrherrn / der großen laster halben umb gelt nicht wissen zu ab- solviren / etc. die nempt ihr alle miteinander an / Schempt euch gar nichts auff eines andern Wiese zu grasen / schreiet stets / kompt herein / ihr Diebe / Moerder / Strassenreuber / Wucherer / Hurnwirte / Kinderdiebe / Ubeltheter / Ketzer / Rotter / Ehe-

») Vgl. obcQ S. 90 f. •) Vgl. oben S. 97 ff.


104 Monditumsparodie in der Tierdiditung

brecher / Hurnjeger etc. und dergleichen Teuffels ge- sindlein mehr / das ich nicht alles erzelen kan. Also seid ihr unsere liebsten auserwelten / nicht Hirten /

sonder Diebe und Moerder. '

Daß die Parodie der Mönche und ihres Lebens sehr viel älter ist als jene parodistischen Schmähbriefe, wird schon durch die leitende Stellung der Klöster im latei- nischen Schrifttimi des Mittelalters und durch den viel- fach zu beobachtenden Himior der Mönche nahegelegt. Jedoch sind die boshaften Parodien gegen das Mönchtum gewiß lange Zeit selten gewesen, bis die Zahl der riva- lisierenden Orden wuchs, in manchem Kloster Verfalls- erscheinungen zutage traten und in weiteren Kreisen der Christenheit, auch bei Laien, Anstoß erregten.

Frühzeitig wagte sich die Satire des Mönchswesens in den lateinischen Tierschwänken und Tierepen hervor und findet da um 1150 ihren besten künstlerischen Aus- druck im Ysengrimus,^) der Kritik, Spott und Ge- mütlichkeit zu verbinden und dabei die Parodie als Kunstmittel anzuwenden gewußt hat. Es handelt sich um eine allegorisch satirische Behandlung der Klöster, ihrer Insassen und Gebräuche mit dem Ziel, die Scheinheiligkeit plaudernd zu bekämpfen. Ob der Ver- fasser ausschließlich bestimmte Personen und Stätten seiner Zeit oder die, wie er fetwa meinte, entarteten Orden schlechthin treffen wollte, ist nicht immer klar und tut hier nichts zur Sache. An mehreren Stellen des Gedichtes, das im ganzen ja die Gattung der Helden- epen und historisches Leben parodiert, sind monasti- sche Texte komisch nachgeahmt oder gebraucht. Iro- nisch heißt es vom Wolf, daß er die Regel des heiligen Benedikt treu und gehorsam befolgt hätte. I 431 ff. : 'His igitur scriptis in sacrae codice normae. „Hunc, qui pluris eget, sumere plura decet et cum tinnierint veniendi cimbala Signum fratribus, ad mensas coetos adesto celer."

^) Her. von E. Voigt, Halle 1884.


Mönditumsparodie in der Tierdidituiig lOS

Ysengrimus habens sacro super ordine curam vertere nolebat, quod pia secta iubet', während in der Benediktinerregel cap. 34 gesagt ist 'qui plus indiget, humilietur pro infirmitate* und cap. 43 'Ad

mensam autem qui ante versum non occurrerit,

pro id corripiatur* ; 'cimbala tinniere* ist biblisch. Auf cap. 33 'nee quisquam liceat habere quod abbas non dederit aut permiserit; omniaque omnibus sint com- munia, ut scriptum; nee quisquam suum aliquid dicat vel praesumat* usw., nimmt I 441 f.

'Frater ait „communis erit" quo more iubetur claustricola „est nostrum" dicere, quicquid habet* Bezug. I 462 ff. 5 555 ff. parodieren das in cap. 39 vor- geschriebene Maßhalten beim Essen. III 981 geht auf cap. 4 zurück, V 355 auf cap. 6 (Schweigsamkeit der Mönche), V 586 ff. auf cap. 41. V 938 f.:

'Regula vult, ni fallor, habetque infracta reatum, ut superet mediam Bachus adusque gulam' verzerrt lustig cap. 40 'Licet legamus vinum omnino mo- nachorum non esse, quia nostris temporibus id mo- nachis persuaderi non potest, saltim vel hoc consentia- mus, ut non usque ad satietatem bibamus sed parcius*. Daß wir das Parodistische in diesem Werke jetzt nichl weiter aufdecken, hat seinen Grund darin, daß nach meiner Auffassung Parodie und Ironie an den einzelnen Stellen des Ysengrimus, dessen satirische Gesamt- und Sondertendenz ich nicht leugne,^) vorwiegend humori- stisch sind. Offener und allgemeiner sind die Invektiven gegen die Auswüchse, Lächerlichkeiten und Schlechtig- keiten der monastischen Welt im Speculum stulto- rum des Nigellus Wireker.*) Brunellus der Esel zieht, um seinen kümmerlichen Schwanz loszuwerden, nach Salerno, der berühmten Hochschule der Medizin, wird aber geprellt und auf der Rückreise bei Lyon von wütenden Hunden fast seines ganzen Schwanzes beraubt. Dann bezieht er zum Studixun von Theologie und Juris-

1) Vgt L. Willems, £tude sur rVsengrimus, Gent 1895. S. 103 ff. ') Her. von Th. Wrfght in The Anglo-Latln satirical poets and ei>igrammatfsts of the 13. Century« I (London 1822).


'1Ö6 Waher Map gegen die MOndie

prudenz die Universität Paris und lernt gar nichts außer dem einen Worte Paris, vergißt sogar dieses auf der. Heimreise beim Paternostergeplärr eines Pilgers. Nun sucht er sein Glück im Mönchsstande. Das gibt dem -Dichter Gelegenheit, die einzelnen Orden satirisch zu beleuchten. Keiner findet Gnade vor den Augen des Esels. So entschließt er sich, den Orden, deren es man- chem Zeitgenossen schon zu viele gab, einen neuen hinzuzufügen; er macht sich nach Rom auf, wo er die pästliche Bestätigung erlangen will, wird aber wie- der von seinem Herrn eingefangen. Aber auch für den Narrenspiegel gilt, daß seine Parodierungen von Epite- phien, Rezepten, Segenssprüchen, Gebeten usw. Mittel der Unterhaltung sind, nicht Angriffe auf Monastisches.

Ungefähr zur selben Zeit schrieb in England Wal t e r Map sein unvollendet gebliebenes Werk De nugis cm-ia- lium, das seit 1914 in einer guten Neuausgabe von M. R. James vorliegt,^) in seiner Anlage 1917 durch James Hinton scharfsinnig erörtert ist.*) Beißend und ver- gnüglich zugleich erzählt uns Map ausführlich von den damaligen Orden der Christenheit. Der Gegensatz zwi- schen ihren eigentlichen Aufgaben, wie sie in der Bibel und den Mönchsregeln vorgeschrieben sind, und ihrem Wirken in der Praxis führt den Satiriker zur Parodie. Dafür ist besonders charakteristisch die eingeschobene 'Incidencia de monachia*.^) Sehr stark werden die Zisterzienser parodistisch traktiert.

'Sie sagen „Die Erde ist des Herrn" (Ps. XXHI 1), „Wir allein die Kinder des Allerhöchsten" (Luk. VI 35), und keiner außer uns würdig, sie zu besitzen. Nicht sagen sie „Herr, ich bin nicht wert, daß ich dein Sohn heiße" (Luk. XV 21), „ich bin nicht wert, daß du unter mein Dach gehest" (Matth. VIII 8), sie sagen nicht „ich bin nicht wert, daß ich mich vor ihm bücke imd die Riemen seiner Schuhe auflöse" (Mark. I 7), sie sagen


^) Änecdota Oxonieasia. MedUeval and modern series. XIV.

U PubUcations of the Modem Langoage association of America, vol. XXXU, 1 p. 81 sqq.

^) James p. 40 sqq.


Walter Map gegen die MOndie 107

nicht, daß „sie für würdig gehalten sind, um Jesu Na- men willen Schmach zu leiden" (Act ap. V 4), sondern

alles zu besitzen. „Unser Gott ist nicht ihr Gott;

unser Gott ist der Gott Abrahams, Isaaks, der Gott Ja- kobs" (Matth. XXII 32) und kein neuer Gott, ihrer aber ist ein neuer. Unser sagt „Wer nicht alles aufgibt um meinetwillen, der ist mein nicht wert" (Matth. 37 ff.), ihr Gott sagt „Wer nicht alles erwirbt um seiner selbst ^willen, der ist mein nicht wert". Unser sagt „Wer zwei Röcke hat, der gebe dem, der keinen hat" (Luk. III 11), ihr Gott „Wenn du nicht zwei Röcke hast, so nimm sie dir von einem, der sie hat". Unser „Selig der Mann, der sich des Bedürftigen und Armen annimmt" (Ps. XL 1), ihrer „Selig der arm und bedürftig macht". Unser sagt: „Achtet wohl auf, daß euere Herzen nicht beschwert werden mit der Sorge dieser Welt und der Tag schnell über euch komme" (Luk. XXI 34), ihrer sagt: „Achtet wohl auf, daß euere Geldbörsen schwer werden bei den Sorgen dieser Welt und nicht der Man- gel wie ein Landstreicher (Prov. VI 11) euch überfalle". Unser sagt „Niemand kann Gott dienen und dem Mam- mon" (Matth. VI 24), ihrer sagt „Niemand kann Gott dienen ohne Mammon". In diesem Tone geht es fort 'Habent in preceptis, ut loca deserta incolant que scilicet vel invenerint talia vel fecerint; und.e fit ut in quam-» cunque partem vocaveris eos, hominum frequenciam sequantur et eam in brevi in solitudinem redigant.' Die Zisterzienser, die einsame Plätze zur Ansiedlung suchen oder sich bereiten sollen, schaffen gewaltsam Einöden, vertreiben die Pfarrer, da sie nach der Regel keine besonderen Pfarrer haben dürfen usw.

Maps Freund, der originelle Giraldus Cambren- sis (1147—1220) schreibt einmal,^) daß ihn mönchische Gegner zu parodistischen Gebeten zwängen: 'Ob has igitur istius nee monachi tamen, sed verius daemoniaci, alteriusque cuiusdam Cluniacensem cucuUam praefe- rentis — — — quoties litanias repeto, quod quidem

^) Symbolum dectorum epist. Ii Opera. I 213.


108 Vateninser f&r Laienbrfider

solito frequentius propter pravitates huiusmodi iam facere consuevi, etiam hanc inter ceteras devotissime deprecationem ingemino cunctisque fidelibus et amicis praecipue ac familiaribus ingeminandam in fide con- sulo "A monachorum malitia libera nos, Domine*'.

Während die Tierdichtung durch die humoristische Einkleidung Spott und Hohn etwas verdeckt, Satiriker vom Schlage Maps und Giralds die Polemik durch ge- schickte Kontrastierung und Ironisierung meist ver- feinern, allerdings auch verschärfen, gibt es Mönchs- tumsparodien, welche sehr vergröbern. Zechereien, Schmausereien, Luxus und Liebeshändel werden bur- lesk vorgetragen.

Ich habe die Goliassatire 'de quodam abbate*, die 'Passio monachi secundum luxuriam*, das Gedicht in Spottlatein 'Quondam fuit factum festus* und andere Stücke in den zweiten Hauptteil verwiesen^ da sie doch wohl hauptsächlich derb belustigen wollen, aus tollem Übermut, nicht aus Wut und Erbitterung geschrieben sind, das Polemische in ihnei\ höchstens eine Neben- tendenz ist Dagegen geht das noch ungedruckte 'Pater noster pro conversis', das mir P. Dr. Franz Pel- ster, S. J., auf meinen Wunsch aus dem Ottobonianus 1472 saec. XIII französischen Ursprungs abgeschrieben hal^ weit über einen unterhaltenden Scherz hinaus. In den Wortlaut des Vaterunsers sind heftige Schmähungen auf die Laienbrüder eingeschoben, das Vaterunser ist farciert. Damit ist der liturgische Tropus nachgeahmt. Literarisch verdient der krause, mit Willkürreimen aus- gestattete Text deshalb Interesse, weil lateinische Tropie- rungsparodien ungewöhnlich sind. In der Regel ist die Farce in einer romanischen oder germanischen Sprache geschrieben, nur der farcierte Text lateinisch gelassen.

Aggressiv und fern von harmlosem Spott ist die Pre- digt vom Pharisäer und Zöllner, die Wilhelm von Saint-Amour um 1250 hielt. i) „Mit ätzendem Witze

  • ) Vgl. Pfender in Herzog*Haucks Realencyklopfldie fOr protestantiadie Theologie und

Kirdie XXI 3301.


Parodistlsche Gebete und Lektionen 109

und einer für seine Zeit wahrhaft staunenerregenden Schriftkenntnis eröffnete dieser in Rede und Schrift einen ordentlichen Feldzug wider die 'Pappelarden*. — -* — Nicht ganz mit Unrecht hat man ihn als einen Vorgänger von Rabelais imd Pascal bezeichnet." Wil- helms Einfluß wurde es zugeschrieben, daß Papst Inno- zenz IV. in der RuUe 'Etsi animarum' vom 21. November 1254 den Weltklerus gegen zu weitgehende Wünsche der Bettelorden in Schutz nahm.^) Als bald darauf, am 7. Dezember, der Papst starb, sah man das für eine Strafe des Himmels an, wie bereits Thomas von Chan- timprö berichtet,*) und allmählich entstand die Legende, die Mendikanten hätten ihn totgebetet. Die parodisti- schen Gebete: 'Cavete a letaniis praedicatorum, quia mirabilia faciunt* und 'A litaniis praedicatorum libera nos. Domine* wurden in Rom sprichwörtlich.^) Viel Widerspruch erregte das Betteln der Mönche und ihr oft unheiliges Leben.

Eine spätmittelalterliche Satire deutscher Herkunft mit der Überschrift 'Sequuntur mira de fratribus ordi- num mendicantium* beginnt mit den Versen:*) 'Sunt plures gentes communiter accipientes • et paucis dantes, in omni tempore rogantes. Dum sunt intrantes, loca per diversa meantes tunc sunt clamantes: „Deus odit dona negantes, diligit et dantes." Sic sunt per secla meantes.* Die Lasterhaftigkeit, zvmial die , Gefräßigkeit der zu strengster Armut und Enthaltsamkeit verpflichteten Franziskanerobservanten sucht eine von F. Novati*) aus einem Marcianus mitgeteilte Parodie einer Epistellektion 'Neglectio epistolae b. Paulisper culti ho- noris apostolici ad fratres fictae obser-

^) VtfL F. X. Seppelt, Der Kampf der Bettelordea an der UniversiUt Paris in der Mitte des IS. lahrh., Breslau 1936 (Kirchengesdiichtlidie Abhandlungen her. von Max Sdralek, VI) S 100 ff.

  • ) Bonnm universale IIb. H cap. 10 u. 21 1 vgl. audi Salimbene in MG. SS. XXXH 419 sd.
  • ) Vgl. Antonius Sencnsis Lusitanus, Chronicon fntris praedicorum, Paris 1585» p. 78 sa>t

C. E. du Boulay, Historia universitatis Parisiensis. lU (Paris 1666) p. 275 sa- — Vgl. die Ifftanei Giralds 4>ben S 107 fi und Bensos unten S. 190 f.

^ Wattenbach im Anzeiger fOr Kunde der deutsdlien Voraeit. Ni'. XXV (1878) S. 347.

') Lti parodia sacra p. 308 sqq.


110' Mönchskatechismus


vantiae S. Francisci* bloßzustellen, das Machwerk eines Italieners etwa des 15. Jahrhunderts. Polemisch sind die 'Metra de monachis carnalibus , die gegen Ende des Mittelalters in Süddeutschland beliebt waren, vermutlich damals und dort entstanden sind. Ich kenne sie zurzeit aus drei Handschriften und einer Aus- gabe des Mathias Flacius Illyricus^) nach einem Basler Codex, über dessen Verbleib oder Verlust ich nicht unterrichtet bin. Man könnte sie eine umgekehrte Far- cierung nennen: auf je einen satirischen Hexameter folgt als Stütze — 'auctoritates', wie sie nicht selten mittel- lateinische Strophen beschließen — ein Bibel wojrt, das selbstverständlich willkürlich mit verdrehtem Sinn an- geführt ist. 2)

Boshafter noch erörtert schließlich ein spätmittelalter- licher Anonymus Wesen und Tun des Mönches nach allerlei grammatischen Kategorien 'Monachus que pars est?* „Leider ist es unmöglich, dieses Stück mit- zuteilen: moderne Ohren vertragen nicht mehr, woran man im 15. Jahrhundert keinen Anstoß nahm." Unter Wiederholung dieser Worte Wattenbachs 3) die Erstver- öffentlichung*) zu unterlassen, schien mir unangebracht. Ich schreibe nicht für Kinder, die übrigens das Latein gar nicht verstehen würden, oder für sonstige unreife Menschen, schreibe auch nicht in kulturkämpferischer Erregung und um Mißstimmung zu erwecken. Meine katholischen Freunde wissen das.

Wer das ausgehende Mittelalter etwas kennt, dem ist es nichts Neues, daß es tatsächlich viel Fäulnis im Mönchswesen gegeben hat, daß man Grund hatte, das Akrostichon 'Monachus Christi: Miles strenuus' etc. zu parodiereu durch das von uns (S. 101) vorausgeschickte Akrostichon vom 'Monachus diaboli*,^) der berücksichtigt

') De corrupto ecclesiae statu, Nachdrude von 1754 p. 481 sq.

') Wattenbe^di yeröffentlidite ohne Flacius* und der Handschriften Augsburg 2^ 436 und München lat. 4423 Text zu leennen, die Metra aus Codex 152 der Stadtbjlbliotiiek Lübedc, Anzeiger für Kunde der deutschen Vorzeit. N.F. XX (1873) S.74. v

«) Anzeiger f. Kunde der deutschen Vorzeit. N.F. XVIII {l«71) S- 341.

. /) Im Teztanbang.

  • ) Oberliefert z. B. in Danzig Ms. Mar. Q. 12 "und Erfurt Ampi. d. 13 a.


Litanei gegen Gerichtsbeamte t'l(


anderseits mit mir, daß Satiren und Karikaturen zwar

7 • . .

wichtige Stimmungsbilder sind, auf denen man viel Wahres und Reizvolles erblickt, daß sie aber mit ihren scharfen Linien und lebhaften Farben stets übertreiben.

3. Gegen die übrige Christenheit

Kein Stand und Rang ist Im Mittelalter von der Satire verschont geblieben. Der ganzen Christenheit sind von witzigen und bissigen Schriftstellern Spiegel vorgehalten worden, die durch Vergrößerungen, Verkleinerungen und seltsame Beleuchtungen bald Lachen, bald Abscheu hervorriefen und noch erregen können. Als Geschichts- und Sittenspiegel trotz allen Verzeichnungen anziehend, stellen die Satiren für den Erforscher und Genießer der Literatur oft Kunstwerke vor, die wir nicht missen möchten.

Die weltlichen Stände werden in den mittellateini- schen Parodien satirischen Charakters seltener und meist gemäßigter behandelt als der Papst mit seiner Umgebung, als die Kirchenfürsten und die Mönche. Wenn z. B. im Ysengrimus Persönlichkeiten, Sitten und Gebräuche eines Fürstenhofes, das Leben der Gesell- schaft imitiert, ja parodiert werden, so geschieht das- gewöhnlich mehr launig unterhaltend als spöttisch und angreifend. Eine große Litaneienparodie italienischen Ursprungs, aus dem 15. Jahrhundert überlief iert ^) und beginnend: "In nomine infinite miserie et sue foUie mi- serime birvarie", wünscht den Gerichtsbeamten^ den Häschern und Schergen, alles Böse.

Am rohsten sind in Parodien die Bauern verhöhnt. 7 Boshaft beten die Vaganten: 'Allmächtiger Gott, der du Zwietracht zwischen den Klerikern und den Bauern ge- sät hast,^ laß uns von der Bauern Arbeit leben, ihre Frauen und Töchter genießen, an ihrem Verderben uns

^) Straccali, J goUardi p. 91 sq.

  • ) Ober' bauernfeindliche Literatur des Mittelalters vgl. F. Novati, Carmina medil aevl^

Florenz 1883$ i>. 25 ff. t Dom. Merlini, Saggio di rlc6rche sulla satira contro il villano, Tiiriä' 1904 ; L. Bertalot, Humanistisches Studienheft eine» Namberger Sdiolaren ans Pavia* BerUn 1910, S. 82 ff.


112 Bauemkatedif smus


erfreuen/ In den Sauf- und Spielmessen des 12. /13. Jahr- hunderts begegnet uns dieses Schmähgebet zuerst Es kehrt wieder in der spätmittelalterlichen Grammatik- parodie 'Rusticus que pars est?', die im Aufbau den Satiren 'Quid est nummus* und 'Monachus que pars €st* gleicht. Der Wiener Baccalar Georg Prenperger, der in der überliefernden Münchener Handschrift als Verfasser des Katechismus^) genannt wird, geht die grammatikalischen Kategorien durch, fragt und sagt, zu welcher Art von Redeteilen, zu welchem Geschlecht und Numerus, zu welcher Deklination der Bauer gehöre und wie er dekliniert werde usw. Zur Bekräftigung der Ant* Worten werden fast immer Verse angeführt, wobei sich der Abschreiber nicht gescheut hat, das in liturgischen Büchern übliche V *»= versus oder versiculus zu ge- brauchen. Einmal beruft sich der Parödist auf einen 'Magister Pharraphat in prophanica sua circa rubricam in corrupto folio ubi nichil est scriptum*. Was folgt, ist keineswegs, wie man es nach der Zitierweise er- wartet, ein bloßer Scherz, sondern jenes ausgesprochen bauernfeindliche Gebet Von Anfang bis zu Ende wird der Bauer lächerlich gemacht und beschimpft, weidlich, ja widerlich ist unter dem Deckmantel der Grammatik der Landmann dxmim, schmutzig und schlecht ge- scholten. *)

Mag auch ein deutscher Student für die Abfassung oder Überarbeitung des Pamphlets verantwortlich 3ein, die Verachtung und Verhöhnung, die mitleidslose Miß- handlung der Bauern war bei den Bürgern und den Klerikern, namentlich den vagierenden, international. Und so findet sich denn auch die Deklination des Rusticus ähnlich in einem italienischen Manuskripte, dem Marcianus XI 66 zu Venedig:^)


^) Aus München lat. 18 2S7, Vorsatzblatt saec. XV im Anhang wiedergegeben.

  • ) Den Ha6 der Bauern auf ihre Peiniger bezeugt audi die Sdierzpredigt gegen die

Enthaltsamkeit t *Talem invidiam videntur habere rustici er^ prcstHteros et noäles, ut


pütct eK natura, in tractatu rusticorum capitulo *Gracia plenr, unde Bocdus de consola«  ckme phitotfiphie 'Natura* dat uniqiiknip .quod juum Kunde der deutsdlien Vorzeit NTf. Xm (1866) S. 396»

^ Novati» Carmina p. 28.


^ooe phitoyphie^ 'Natura* dat tmimif^je.jjaod juum est et quod appäit* Aasciger £Qr


Bauemdeklination ; Schmahgebet 113



'Singulariter


et pluraliter


Nom.


hie villanus,


hi maledicti.


Gen.:


huius rustiei,


horum tristium.


Dat.:


huie tferfero,


his mendacibus.


Acc. :


hunc furem,


hos nequissmios.


Voc:


o latro,


o pessiiui.


Abi.:


ab hoc depredatore,


ab his infidelibus.*


Ein lateinisch-deutsches Kneiplied ^) 'Prima declinacio ain morgen in taberna* schließt bezeichnet mit dem Wunsche 'Tu autem, Domine, nuUi rustico miserere!*

Das Schmähgebet ist schließlich mit anderen Ver- wünschungen der Bauern einer Gebetsparodie ein- gegliedert, in der die ganze Christenheit satirisch- humoristisch vorgenommen ist. Das Muster dieses gegen die verschiedensten Würden und Stände gerichte- ten Stückes waren die bekannten Fürbitten in der Kar- freitagsliturgie, wo eigene Gebete für die ganze Kirche, den Papst, alle kirchlichen Oberen, den Kaiser, die Ka- techumenen, die Kranken, die auf Reisen befindlichen, die Häretiker und Schismatiker, die Juden und Heiden vorgesehen sind und nach altem Brauch noch heut- zutage mit einigen Änderungen in der katholischen Kirche feierlich gebetet werden. Der Parodist führt das bei jeder einzelnen Kategorie übliche 'Oremus* nur zu Beginn auf und setzt an die Stelle des eigentlichen Gebetstextes Sätze aus der Vulgata, die angeblich auf die einzelnen Personen, Stände usw. passen. Abweichungen vom Karfreitagsgebet bestehen ferner darin, daß für viel mehr Kategorien Fürbitten aufgenommen sind. Zur Aufnahme manchen Stückes haben ohne Zweifel Messen und Gebete außerhalb der Karfreitagsliturgie Anregung gegeben. Noch im heutigen Missale Roma- num findet man gelegentlich zur Verwendung kom- mende 'Orationes pro omni gradu ecclesiae* (vgl. or. 1 der Parodie), 'pro papa, pro imperatore, pro rege, pro praelatis et congregationibus eis commissis, pro se ipso sacerdote (vgl. or. 25), pro devotis amicis, pro

») W. Wattcnbadi im Anzeiger f. Kunde d. d. Vorzeit. XXVI (1879) S. 100. Leiimann / Parodie im Mittelalter ^


114 Sdimähgebet gegen alle Stände

navigantibus*. Der mittelalterliche Gottesdienst hatte außerdem^) Messen 'pro omni gradu ecclesiastico, pro amicis, pro iter agentibus, pro navigantibus, pro semet- ipso*. Für das große Schmähgebet gegen die Bauern

— mir fast aus einem Dutzend Handschriften bekannt

— weiß ich kein bestimmtes Vorbild. Im ganzen und im einzelnen ist aber der Orationsstil mit teuflischer Mei- sterschaft getroffen. Forscher, die größere Sonderkennt- nisse auf dem schwierigen und weitverzweigten Gebiete der alten Liturgie haben als ich, werden vielleicht noch einige andere Entsprechungen zu den beiden Reihen der Gebetsparodien feststellen können. Für die Charak- teristik der Satire wird das oben Gesagte im wesent- lichen genügen. 2)

Ich wage es, die Parodie zu übersetzen und schicke folgendes voraus: Links schließe ich mich dem von A. Bernoulli veröffentlichten 3) Text eines Basler Codex aus der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts an, rechts gebe ich die Entsprechungen bzw. Abweichungen einer aus Westfalen stammenden Münchner Handschrift.*) Zu einem großen Teile stimmen die beiden Zeugen über- ein. Die Reihenfolge ist allerdings anders, und nicht immer finden sich unter denselben Rubriken dieselben Bibelstellen. Ferner hat B einige Gebete, ,die in M, dieser Codex einige, die in B fehlen. B ist im Zitieren der Vulgata weniger sorgfältig als M. Kleine offensichtliche Fehler von B habe ich bei der Obersetzung stillschwei- gend beseitigt. Erwähnenswert ist, daß die Anfangsworte von B 13 iudica illos Dens an den Schluß von 12 ge- hören (vgl. 12*), die Schlußworte von B 13 in M auf die Zisterzienser gemünzt sind (14*). Absichtliche und deshalb stehenzulassende Abweichungen von der Bibel trifft man in B bei 16, 19, 26, 27, in M bei 18*, 17*, 30*, 30*, 33*, 27*, 22*, 36*.

^) M. Gerbert, Monumenta veteris liturgiae Alemannicae. 1 271, 282 sqq., 287 sq., 290, 291 sq. ^) Für Ratschläge danke ich meinem Hörer und Sdiüler Herrn Kaplan Leo Kozelka. ») In der Zeitschrift für Kirchcngeschichte. VII (1885) S^ 141 ff.

  • ) München lat. 1782 9 f. 55R— 56R, etwa 1528 abgeschrieben.


Sdimdhgebet gegen alle Stände


115


B 1. Lasset uns beten lür |eden kirchlichen Grad und zuerst für das Heil der Vaganten.


2. Für unsem Papst t Er liegt im Hinterhalt der Gehöfte, mordet ins«  geheim Unschuldige. (Ps. X 8)

3. Für unsem KOnigt Seine Kinder müssen zu Waisen werden und sein Weib Witwe. (Ps. CVIII 9)

4. Für unsem Bischofi Seiner Lebenstage seien wenige und sein Amt empfange ein anderer. (Ps. CVIII 8)

5. Für unsem Kaiser: Er wollte den Fluch, — so komme er über ihnl Er hatte keinen Gefallen am Segen, — so bleibe er fem von ihm 1 (Ps. CVffl 18)

6. Für Reisend ei Ihre Wege mögen finster sein, wahrend sie der Engel Jahwes verfolgt. (Ps. XXXIV 6)

7. Für Schiffahrendex Mögen sie starr werden wie ein Stein, auf da& sie in die Hölle stürzen wie Blei. (Exod. XV 16 + XV 5 + Ps. LIV 16)

8. Für Streite ndei Schwerter dringen in ihr Herz, und ihr Bogen wird zerbrochen werden. (Ps. XXXVI 15)

9. Für unsem Abti Fett, didc, hochfahrend und angeblasen wurde er uns« (Deut. XXXII 15, etwas variiert.)

10. Für unsem Priort Wenn er gerichtet wird, möge er als schuldig hervorgehen, und sein Gebet werde zur Sünde. ^Ps. CVffl 7)

11. Für die Zisterzienseri Ihre Frucht wirst Du von der Erde hin«  vegtilgen und ihre Nachkommen aus den Menschenkindern. (Ps. XX 11)

12. Für die schwarzen Mönchet Ein offenes Grab ist ihre Kehle, mit ihren Zungen heucheln sie. (Ps. V 11)


M

1*. Lasset uns beten für die Ge«  samtheit der Kirchet Sie sind alle abgewichen und allesamt un«  tüchtig. Da ist keiner, der Gutes tue, auch nicht einer. (Ps. Xffl 3) 2*. Für die Kardinale und den Papst t Gottlosigkeit ist von den Altesten in meinem Volke aus«  gegangen* (Dan. Xffl 5) 4*.


= 6*.


= 3*.


34*. Für Schiffahrendex Mögen sie starr werden wie ein Stein und hinabstürzen in die Tiefe des Meeres wie Blei.


19*. Für unsem Abt» Fett wurde er und schlug aus, dick und feist. (Deut. XXXII 15)

20*.


14*. Für die Zisterzienser: Stets seien sie Gott gegenwärtig, da% er ihr Gedächtnis von der Erde hin» wegtilgc. (Ps. CVffl 15)

12*. t Ridite sie, Gott! (Ps. XV 11)


S*


116


Schmähgebet gegen alle Stände


13. Für die Minoritent Ihr Mund ist voll Fludiens» ihre Zunge ist Unheil und Verderben. (Ps. X 7. Irrtümlich am Anfang der Schluß von 12* tmd am Sdilu^ nodi 14* zugefügt.)


14. Für die Augustiner«  Glühende Kohlen mögen auf sie regnen, und niemand erbarme sidi ihrer. (Ps. CXXXDC 11 + CVffl 12)

15. Für die Predigermönche: Laufe mit ihnen und dir wird nie«  mals wohl sein.

16. Für die Nonnen: Sie opferten ihre Söhne imd Töchter den Priestern und Möndien. (Ps. CV 37 parodiert)

17. Für die Kreuzherren: Sie mögen ausgelöscht werden aus dem Buche der Lebendigen tmd nicht angeschrieben mit den Gerechten. (Ps. LXVffl 29)

18. Für die Karmeliten: Ein ab- trünniges und widerspenstiges Ge» schlecht. (Ps. LXXVD 8) Verflucht seien sie in alle Ewigkeit.

19. Für unsere Pröpste: Herr, gie^e Deinen Grimm über sie aus, und die Glut Deines Zornes erreiche sie. (Ps. LXVm 25)

20. Für die Dekane, Plebane imd Pfarre ktoren: Wollte ich sie zählen, würden ihrer mehr sein als Sandkörner. (Ps. CXXXVffl 18)

21. Für die Kanoniker: Sie sind*s, die sich befleckt haben mit Weibern, lungfräulich sind sie nicht geblieben. (Apoc.XIV4)

22. Für die Vornehmen der Welt: Möge ihre Wohnung wüst werden und in ihren Zelten kein Bewohner sein. (Ps. LXVffl 26)


18*. FürdieMinoriten: Sie haben ihre Zungen wie die Schlangen ge- spitzt, Ottemgift ist unter ihren Lippen. I>eshalb sollen sie hungern wie Hunde tmd mit dem Bettel- sack durch die Stadt ziehen. (Ps. CXXXDC 4 + LVffl 15)

16*. Für die Augustiner: Möge ihr Tisch vor ihnen ztir Schlinge, zur Vergelttuig und ztmi Anstoß werden. (Ps. LXVIH 23)

17*. Für die Predigermönche: Sie liebten Gott mit ihrem Mtmde und im Herzen logen sie ihn an. (Ps. LXXVn 36)

30*. Für die Nonnen: Erbarme Dich meiner, Gott, denn die ganze Nacht mißhandelt tmd plagt mich der Mann. (Ps. LV 1 f. parodiert)


15*. Für die Karmeliten: Seine Kinder mögen überall umher- schweifen und betteln, mögen fort- getrieben werden aus ihren Häusern. (Ps. CVffl 10)


= 10*.


= 5*.


Schmahgebet gegen alle Stande


117


23. Für die Landleutet Er wird die Übeltäter übel umbringen und seinen Weinberg an andere ver* mieten. (Matth. XXI 41)

24. Für die Bauerni Der Tod überfalle sie ; mögen sie bei lebendigem Leibe in die Unterwelt hinabfahren. (Ps. LIV 16)


= 32*.


25. Für uns selbstt Badius macht uns selig, bei ihm vertrinken wir unsere Kleider. (Vielleicht Is. XXXVni 20 parodiert)

26. Für das weibliche Ge- schlecht} Setig der Mann, der sein Verlangen an ihnen stillt, er möge in Ewigkeit nicht gestört werden. (Ps. CXXVI 5)

27. Für unsere Weibert Sie laufen von Stamm zu Stamm und von Volk zu Volk (Ps. CIV 13) und werden in <k>ein Reich kommen. (Luk. XVm 24)

28. Für die Bürgert Lenke sie mit eisernem Stab, zersdimettere sie wie ein Töpferge£a6. (Ps. II 9)

99. Für die Wuc herer i Die zu mir kommen, werde ich alle nicht verstoßen (Joh. VI 37), und er wird immer und ewig herrschen. (Exod. XV 1«)


= 33*. Für die Bauern: Sie mögen ausgelösdit werden aus dem Buche der Lebendigen und nidit aufgesdirie» ben mit den Gerechten. (Ps. LXVra29) Erlösung von unsern Feinden und von der Hand aller, die uns hassen. (Luk. 171). Versus I Wer einen Bauer Hebt, ist ein Mensdienmörder (I Joan. in 15 parodiert) alleluia. Aber wer dessen Frau liebt, steht höher als ein Prophet. (Matth. XI 9 oder Luk. Vn 26 parodiert) alleluia. Lasset uns beten: Gott, der du Unfrieden zwi«  sehen Klerus und Rusticus gesät hast, gestatte uns gnädig, von der Bauern Arbeit zu leben, ihre Frauen zu ge«  nie^n, mit ihren Töditem herrlich und in Freuden zu leben, über ihren Tod zu frohlodcen.


27* Für das weibliche Ge«  schlecht: Ihre Genüsse er* quidcten tmsere Seelen. (Ps. XCm \9 parodiert)

29* Für die Weiber der Va- gierendent Sie zogen von Volk zu Volk, von einem Reiche zu einer anderen Nation. (Ps. CIV 13)

31* Für die Bürger: Bedrüdcung und Betrug weichen nicht von ihrem Markte. (Ps. LIV 12)


1 1 $ Sdimähgebet gegen alle Stande

30. Für die armen Priester: Selig, der auf den Bedürftigen und Armen aditet, am Unglückstage wird sie der Herr retten. (Ps. XL 2)

31. Gebet: Gott, der Du die =33* Menge der Bauern gesät und zwU

sdien uns und ihnen ewige Zwie«  tradit geschaffen hast, la^ uns von ihrer Arbeit gut leben, ihre Frauen und Töchter genießen, an ihrem Tode uns immerdar erfreuen und sie auf Erden quälen. Durdi ihren Herrn, nidit Jesus Christus, sondern ihren betrügerisdien Schöpfer, den Teufel, mit dem sie leben mögen und herr» sdien auf Stroh 1


Zu den mitgeteilten Fürbitten kom» men aus M hinzu:

7* Für unsem Suffragan: Idi bin meinen Brüdern fremd geworden und unbekannt den Söhnen meiner Mutter. (Ps. LXVffl 9)

8* Für unsem Official: An ihren Händen klebt Untat, ihre Redite ist voll dtu'di Bestechung. (Ps. XXV 10)

9* Für die Notare und Schreiber: Idi spradi in meiner Bestürzung: Alle Menschen lügen. (Ps. CXV 11)

11* Für die Mönche: Ein verkehrtes Volk und von allem Rate verlassen (I>eut. XXXII 28), ein abtrünniges und widerspenstiges Geschlecht. (Ps. LXXVn 8, vgl. no. 18 Pro Carmelitis)

13* Für die Prämonstratenser: Ihre Augen sind verfinstert, da^ sie nicht sehen, und ihr Rücken immer gekrünmit. (Ps. LXVffl 24)

21* Für unsem Guardian: Bestelle Gottlose wider ihn, und der Teufel stehe zu seiner Rechten.

(Ps. cvm 6)

22* Für unsern Provincial: Herr, mach ihn gleich wirbelndem Staub, gleidi Stoppeln vor dem Winde. (Ps. LXXXH 14)

25* Für die Ackersleute: Wenn sie nicht satt werden, dann murren sie gewi^. (Ps. LVffl 16)

24* Für die abwesenden Brüder: Siesollen wie das Gras auf den Dädiern werden, das verdorrt, ehe man es auszieht. (Ps. CXXVffl 6)


Spottepitaphien 119


25* Ffir unsem Pastori Er liegt mit den Reichen im Hinterhalt der Gehöfte, da% er Arme und Unschuldige morde. (Ps. X S)

26* Für die Freunde und die Deutschen: Abends und morgens und mittags siad sie betrunken. (Ps. LIV 18 und LXXVD 65)

28* Für unsere Konkubinen* Stelle einen Gesetzgeber für sie auf (Ps. IX 21), sie selbst sind unsere Richter. (Matth. XII 27)

35* Ffir das Geldt Alle Könige werden es an«  beten, alle Völker ihm dienen. (Ps. LXX 11)

36* Für die Apothekers Dradiengeifer ist ihr Wein, damit der Trank recht bitter werde (nach Deut. XXXn 32) ffir alle, die uns Gutes tun. O Herr Jesus Christus, rechne ihnen das nidit als Sünde an ; denn sie wissen nidit, was sie tun. (Nach Act. VII 60 und Luk. XXm 34)

4. Einzelne Persönlichkeiten, Ereignisse und Zustände der mittelalterlichen Welt in der

satirischen Parodie.

Sehen wir von den Angriffen auf die römische Kurie, auf die verschiedenen geistlichen und weltlichen Stände ab und fassen wir bestimmte Personen, Geschehnisse, Verhältnisse ins Auge, so sehen wir auch die kritische, kämpferische und frohlockende Parodie in den mannig- faltigsten Konflikten oft voll Abwechselung gebraucht.

Am ältesten und häufigsten sind die Spottepita- phien auf einzelne Päpste, Bischöfe, Äbte, Könige, Herzöge usw. Sie lassen sich von den ironischen und polemischen Epigrammen der Antike her durch alle Jahrhunderte des Mittelalters bis in die Neuzeit ver- folgen. Den karolingischen Erzeugnissen dieser Art (vgl. oben S. 31) wären z. B. anzureihen die satirische Grab- schrift ^) für Herzog Arnulf den Bösen (f 937), das von Jakob Werner 2) veröffentlichte 'Epitaphium de inpio hospite':

'Quem tegit hie cespes, mundo fuit inpius hospes. Nola "Pater noster", perge, viator, iter,*

  • ) Neues Ardiiv. II 397. «) Beitrage (1905) S. 24.


120 Litanei Benzos von Alba


der bissige Titulus, den Nikolaus von Bibra^) in seinem 1281—1283 verfaßten 'Occultus' Papst Martin IV. ge- widmet hat:

'Hie iacet ante chorum submersor Theutonioorum pastor Martinas, extra qui totus ovinus et lupus introrsus, cui nuUa redemptio prorsus, sed Sit ad inferna detrusus ab arce superna*

und viele andere mehr. Jedoch bitte ich mir die Frei- heit aus, die Scherz- und Spottepitaphien ein andermal in einer besonderen Studie und Ausgabe vorzuführen oder behandeln zu lassen, fürs erste mit dem summa- rischen Hinweis den Lesern genug getan zu haben.

Von den großen Verwicklungen ist es vorzugsweise der Kampf von Kaiser und Papst um die Supre- matie gewesen, der die mittelalterliche Publizistik bis ins 13./14. Jahrhundert hinein beschäftigt hat. Schon Bischof Benzo von Alba hat seine bizarre Streit- schrift für unsern deutschen Kaiser und König Hein- rich IV. mit seltsamen Namensverdrehungen (oben S- 96), gewagten Zerrwendungen heiliger Worte gefüllt, er hat in einem jener eigentümlichen Briefe, durch die er Erzbischof Adalbert von Bremen anhalten wollte, ja treu zum jungen Heinrich zu stehen, einmal ge- schrieben :

'In extremis precibus solemus universaliter dicere *'Ab omni malo libera nos. Domine". Vos autem non exclu- sistis, quia aliter et singulariter et seorsum dicitis

Ab omni bono libera nos. Domine.

Ab arce imperii, libera nos. Domine.

Ab Apulia et Calabria, libera nos. Domine.

A Benevento et Capua, libera nos. Domine.

A Salerno et Malfia, libera nos. Domine.

A Neapoli et Gerentia, libera nos. Domine.

A felice Sicilia, libera nos. Domine.

A Corsica et Sardinia, libera nos. Domine.'

  • ) Vgl. die Ausgabe von Theobald Fisdier (1870), ferner H. v. Grauert, Magister Heinrich

der Poet S. 349.


Ticrbricf} Satire in England 121

Wenn in den Monumenta Germaniae zur stilistischen Erklärung nur an das Vaterunser erinnert wird, führt das irre,^) Die Abweichung von der bekannten letzten Bitte des Paternoster 'Sed libera nos a malo* mahnt an die Parodierung eines anderen Textes zu denken. Tatsächlich hat Benzo die Sterbelitanei der Commen- datio animae* nachgeahmt, wo es noch heute heißt:

'Propitius esto, libera eum. Domine

Propitius esto, libera

Ab ira, libera

A periculo mortis, libera

A poenis inferi, libera

Ab omni malo, libera

A potestate diaboli, libera* usw.

Eine parodistische Satire kaiin man den erfundenen Brief der Tiere Apuliens^) nennen. In schwül- stigem Kanzleistil, unter ironischer Anführung der Bibel, erinnern sie an den zwischen Kaiser Friedrich II. und Papst Innozenz IV. geschlossenen Waffenstillstand, war- nen vor vertrauensseliger Auffassung der Lage und mahnen, zu der großen Beratung wohlgerüstet zu kommen. Die Beratung ist wahrscheinlich das Konzil von Lyon, das 1245 zusammentrat und später im 'Pavo* unter dem Bilde einer Vögelversammlung geschildert wurde. ^)

Weltlicher, nationalpolitischer als in Mitteleuropa war die Satire auf den britischen Inseln. Im Rin- gen um die Befestigung und Gestaltung des anglonorman- nischen Reiches ist seit dem 11./12. Jahrhundert mit dem frühen Erwachen des Staatsgedankens, der frühen und regen Anteilnahme weiter Kreise am öffentlichen Leben, dem angelsächsischen Sinn für Humor und Spott die öffentliche Kritik und Polemik in England schnell ge- reift. Die Geschichte der mittelalterlichen Publizistik

  • ) MG. SS. XI 623 sq.

•) Ich schliefe midi der geistvollen Interpretation bei H. v. Grauert, Magister Heinrich der Poet S 319 ff. an.

  • ) Vgl. die neue Abhandlung von Beatrix Hirsch in den Mitteilungen des österreichischen

Instituts für G^chichtsforschung 1921.


12i2 Arthur von Bretagne


— die ich nicht schreiben will — muß sich besonders oft mit Schriftstücken englischen Ursprungs befassen, und manches der politischen Pamphlete war eine Pa- rodie.

Das fingierte Privileg ^) ' Arturus rex Britannorum uni- versis per Britanniam constitutis caseum bitirumque professis — — Datum corispici per manum capalarii anno C. immortalitatis regis Arturii* ist wohl eine — die Beliebtheit der Arthussage sich nebenbei zunutze machende — Satire zur Verhöhnung des unglück- lichen Prätendenten auf den englischen Thron, Ar- thurs von Bretagne und seiner Anhänger, geschrie- ben, nachdem König Johann Ohneland den jugendlichen Rivalen 1203 insgeheim hatte umbringen lassen.

Als im Mai 1286 Edward I. nach Frankreich zog, den Earl von Pembroke als Regenten zurücklassend, da be- drückten und brandschatzten seine Beamten England so über alle Maßen, daß großes Jammern und Wehklagen sich erhob. 1289 kehrte der König zurück und ging nun scharf gegen die ungetreuen Richter vor. ^) Die Übel- stände und das Strafgericht sind von einem Zeitgenossen in einer Parodie^) beschrieben worden, die in den drei mir bekannten Handschriften 'Narratio de passione iusticiariorum*, 'Passio ministrorum domini Ed- wardi regis Anglie secundum opera sua', 'Passio iusti- ciariorum Anglie c. IUI. Sequencia evangelii secundum Bumbum* betitelt ist, ganz aus Stellen des Alten und Neuen Testaments gebildet wird und mit einem Gedicht schließt.

Effektvoller noch ist die Passio Scotorum per- iuratorum, die wahrscheinlich im Frühjahr 1307 entstanden ist und in einer Schottenchronik der Public library of Reigate Church Surrey steht,*) wahrscheinlich

^) Vgl. Gh. Fierville in den Lettres de rois, reines et autres personnages de cours de France et d'Angleteire. I (Paris 1839) p. 20 sq.

  • ) Vgl. E. Fofi, Judgcs. III (1851) p. 38 sq.; Tout t)ci Hunt and Poole, The political history

of England. III (1905) p. 172 sq. Gedidit über die Käuflichkeit der Richter Edwards, 'Beati qui esuriunt* bei Th. Wright, Political songs, p. 224 sqq.

') Ausgabe bei Tout and Johnstone, State trials of the reign of Edward the flrst. London 1^, p. 95'-99 auf Grund zweier Codices. Neuausgabe im Textanhang.

  • ) Veröffentlidit und erklärt vom Marquess of Bute in den Proceedings of the Society

of antiquaries of Scotland. New Series. VII (Edinburgh 1885) p. 166-192.


Politisdie Leidensgeschichten 123

auch durch Matthaeus von Westminster für sein Ge- schichtswerk benutzt worden ist. Vorausgeht mit der parodistischen Überschrift 'Lectio actuum Scotorum infra librum iudicum* die Parabel von den Bäumen, die sich einen König wählen, aus dem Buch der Richter IX 8—15, dann folgt, 'Omelia* überschrieben mit der litur- gischen Eingangsformel 'In illo tempore', die 'Leidens- geschichte*. Wiederum hat die Bibel aus vielen ihrer Bücher die meisten Sätze für ein politisches Schmähen und Frohlocken liefern müssen. Wir erfahren, wie Robert Bruce zum Könige der Schotten erwählt und gekrönt wird, wie Edward I. 1306 konmit, das Land erobert und seinen Sieg blutig besiegelt Diabolisch wird mit den Worten der Heiligen Schrift gearbeitet, durch Zusätze die Schlagkraft besonders an den Stellen ge- steigert, wo mit gräßlicher Schadenfreude und Wollust die Rache geschildert ist, die der englische König an den führenden Anhängern Roberts genommen hat. Der Schluß der Erzählung fehlt leider.

Die parodistische Passio, durch das Geldevangelium längst dem Abendlande vertraut, ist als Triumphlied an- scheinend um 1300 schriftstellerische Mode geworden, vielleicht dank dem Einfluß der blühenden satirischen Literatur Englands.

Als am 11. Juli 1302 das französische Heer bei Cour- trai dem Fußvolk der flandrischen Städte furchtbar er- legen war, da wurden die Franzosen obendrein in einer Passio Francorum secundum Flemingos ver- höhnt. Ein englischer Chronist, Adam von Usk, ist es gewesen, der ein Jahrhundert später diese Evangelien- parodie im Kloster Eeckhout bei Brügge gefunden und sie durch Aufnahme in seine Chronik der Nachwelt er- halten hat. In der modernen Literatur über die „Sporen- schlacht" wird die frei nach der Bibel zusammengestellte Passio gewöhnlich nicht genannt. Und als 1904 E. M. Thompson das Chronicon Adae de Usk zum zweiten Male in London herausgab, hat er den parodistischen Text zwar lateinisch wiedergegeben (p. 107 — 110),


124 Politische Leidensgesdiiditen

aber aus seiner Übersetzung des Gesamtwerkes fort- gelassen. "The mock chronicle is so offensively pro- fane that it is better left without translation." (Vgl. p. 288 und XXXVII sq.) Auch ich verzichte auf eine Obersetzung. Freilich allein deshalb, weil es mir besser zu sein scheint, den originalen Wortlaut einem weiteren Gelehrtenkreise zugänglich zu machen. Wer sich an der Profanierung der Bibel stößt, kann das Mittelalter nicht verstehen und muß zumal englisch-französischen Schrif- ten des 12. bis 16. Jahrhunderts gegenüber seine Augen verschließen.

1379 beleuchtete ein Pasquill, das sich als Schrei- ben der Habsucht an alle weltlichen und geist- lichen Fürsten der Erde ausgab, die an König Wenzels Hofe in Prag herrschende Korruption, die Parodie eines kaiserlichen Mandats. i) Die Satire bleibt dort verhältnis- mäßig zahm. Doch konnten die Böhmen auch anders. Der Leidensgeschichte der schottischen Verschwörer ähnlich durch eine Brutalität, die selbst den antisemi- tischsten modernen Christen verletzen muß oder müßte, ist die Passio Judaeorum Pragensium secun- dum Johannem rusticum quadratum. Diese Parodie^) erzählt — im wesentlichen offenbar historisch getreu — die maßlose Judenhetze von Ostern 1389, bei der das Prager Ghetto zerstört und die Judenschaft zum größten Teil von den erregten Pöbelmassen nieder- gemacht wurde. Die Veranlassung zu den rohen Aus- schreitungen war eine angebliche Schändung der Hostie durch Judenkinder gewesen. Zum Vorbild hat sich der christliche Pamphletist das Leiden Christi bei den Evangelisten genommen. Wenn K. Burdach 3) von einer Parodie des Johanneischen Passionsberichtes redet, so kann das leicht mißverstanden werden. Es heißt zwar

  • ) Her. von G. Sommerfeldt in den Mitteilungen des Vereins für Geschichte der

Deutschen in Böhmen. XL VII (1909) S. 219 ff.

  • ) Sdion F. M. Pelzel, Lebensgesdiidite des römischen und böhmischen Königs Wenzeslaus.

I (Prag 1788) S 214 ff. hat sie benutzt, herausgeben aber, aus zwei Preiger Handsdiriften, erst V. V. Tomelc in den Sitz.«Ber. der Kgl. Böhmisdien Gesellschaft der Wissenschaften in Rraig. Jahrg. 1877, S. 11 ff. Die Bemerkungen in tsdiechisdier Sprache hat mir im FrQhiahr 1920 Herr Prof. E. Bemeker (München) gütigst übersetzt.

  • ) Sitzungsber. der Prcuß. Akademie der Wiss. zu Berlin. 1920 S. 313 f.


Politisdie Leidensgesdiiditen 125

im Titel 'nach Johannes', und mehrfach sind Johannes- worte übernommen oder nachgeahmt. Jedoch ist nicht die Erzählung eines Evangelisten parodiert, sondern neben Johannes haben auch Matthäus, Markus und Lukas vieles hergegeben, und zwar Matthäus sehr viel mehr als Johannes. Der von Burdach versprochenen Darlegung, daß die Passio Judaeorum Pragensium auf den Piers Plowman zurückweise, sehen wir mit Inter- esse entgegen. Man beachte bereits jetzt, daß mit der lateinischen Passio dem englischen Peter dem Pflüger und dem Ackermann aus Böhmen sich der böhmische Johannes rusticus quadratus anreiht. 'Quadrati* werden die 'Rustici* auch in einem die Eignung der einzelnen Stände für die Liebe behandelnden spätmittelalterlichen Gedichte^) wohl böhmischen Ursprungs Tilia, si vox tua vellem te laudare* genannt, v. 30 ff.:

'Rustici quadrati

semper sunt irati

et eorum corda

et eorum corda

nunquam letabunda.' Der Ausdruck erscheint ferner in der unten zu be- handelnden Lectio Danielis prophetae 'Fratres ex ni- hilo vobis timendum est*.

Eine in der Prager Universitätsbibliothek erhaltene 'Passio raptorum de Slapenicz secundum Barthoss tortorem Brunensem* benutzt die Bibelkenntnis, um in Form einer Perikope die Aus- rottung polnischer Räuber durch die Bürger von Brunn mit Unterstützung des Markgrafen Jobst von Mähren in lebhaftem Tone zu erzählen.*)

Die Jahrzehnte um 1400 sind für Böhmen und Mähren eine Zeit politischer und sozialer, geistiger und religiöser Zerrissenheit und Gärung, eine Zeit der Rüstung und des Kampfes, in der Satire, Parodie, Pamphlet not-

  • ) Vgl. Fcifalik in den Sitz.-Bcr. d. Kaiscrl. Akademie d. Wlss. Phüos.-hist. Kl. XXXVI

(Wien 1861) S. 169.

') Der Text mir aus dem Berliner Exemplar der Sbomik historicky in (1885) p. 245 sqq. von Herrn Dr. F. Sdiillmann kopiert.


126 Antihussitisdie Messe


wendige Hilfen und Ausdrucksmittel waren. Ohne damit alles erklären zu wollen, müssen und dürfen wir an die Feuerwellen erinnern, die von der Universität Ox- ford nach Prag, vom englischen zum böhmischen Gei- stes- und Gemütsleben gingen. Mit den Büchern John Wiclifs wurde der lange vorbereitete, hier und da schwälende und flackernde Brand zu hellem Auflodern gebracht.

Aus der reichen Kampf- und Spottliteratur der Hussitenwirren kommt für unsere Studie eine umfangreiche, raffinierte Meßparodie in Be- tracht. Schon 1413 gedenkt Johann Hus selbst ihrer :^) Torte meminit iste fictor* — Stephan Paletsch, der aus einem Freunde ein heftiger Gegner geworden war — 'missae quam Teutonici blaspheme confixerant. In qua per modmn libri generationis primo ponitur Stanislaus qui genuit Petrum de Znoyma et Petrus de Znoyma genuit Paletz et Paletz genuit Hus. Ecce istius mendacii blasphemi fictor quidamista haerens vestigio dicit, "extra regnum Bohemiae exeant quidamistae et absque dubio eos propriis nominibus designabunt, quia Stanislaus primiun, Petrus Znoyma secundum, Paletz tertium et Hus quartum." Sed dicit fictor, quod iam ipsi tres Sta- nislaus, Petrus et Paletz abierunt retro et per conse- quens debent deleri de illa compilatione blasphema/ Man hatte es demnach mit einer von Deutschen ver- faßten Messe zur Verspottung der böhmischen Anhänger Wiclifs zu tun, die neben anderem den Anfang des Matthäusevangeliums parodierte. Während C. H öfter sie noch vergeblich gesucht hatte, haben Job. Loserth^) und A. Franz^) Texte entdeckt, die uns zeigen, wie die Parodie aussah. Freilich ist die Messe der Deutschen, die Hus zitierte, weder mit der des Wiener Codex bei Loserth vollkommen identisch, obwohl dieser Gelehrte*)

^) Vgl. Historia et monumenta Johannis Hus atque Hieronymi Pragensis etc-, Nürnberg 1558» tom. I fol. CCLV v oder 1715 tom. I 318 sq.

  • ) Hus und Wiclif, Prag und Leipzig 1884, S. 299 ff.

^) Die Messe im deutsdien Mittelalter, Freiburg 1902, S. 759 ff.

  • ) Archiv für österreidiisdie Gesdiidite. LXXV (1889) S. 330.


Antihussitisdie Messe 127


SO verslanden werden könnte, noch mit jener des Hohenfurter Manuskriptes bei Franz, noch mit der des von mir als erstem^) herangezogenen Codex Ottobonia- nus. Alle drei Handschriften bieten Bearbeitungen, die nach dem 6. Juli 1415 entstanden sind, da sie bereits des Feuertodes von Hus gedenken, wahrscheinlich aber noch vor dem 30. Mai 1416, da der erwähnte Hierony- mus von Prag beim Ursprünge der Texte seinem Freunde noch nicht auf den Scheiterhaufen gefolgt war. Die Hohenfurter Fassung braucht nicht jünger zu sein. A. Franz wies sie der Mitte des 15. Jahrhunderts zu, da Rokyzana wiederholt vorkäme. Sah er darin Jo- hann von Rokyzana, konnte man sich die Redaktion schon in den zwanziger Jahren vorgenommen denken; seit 1422 war Johann ein Führer der Hussiten. Meines Erachtens ist aber Simon von R. gemeint, den bereits ein Dekret des Konstanzer Konzils unter den 'princi- pales haeresiarchae ac inductores illius sectae' nennt. 2)

In manchem haben die Bearbeitungen*) — für die am wichtigsten die Wiener und die römische Oberlieferung ist — wohl dieselben oder ähnliche Bestandteile wie das heute verschollene Pamphlet der Deutschen, gegen das Hus sich wandte. Außer der Genealogie der Wiclifiten dürfte die Urfassung bereits in der Prosa '011a mortis ebuliit* und im 'Liber generacionis maledicciionis* die Erwähnung der drei Nationen und die Anspielung auf deren Auswanderung von der Universität Prag im Jalire 1409 enthalten haben. Damit ist die vordere Zeit- grenze für die 1413 bereits vorliegende Meßparodie er- reicht

Halten wir uns an die geretteten Texte, so sehen wir deutlich, daß die Messe eine scharfe und wohlgelungene Verhöhnung der Hussiten ist. Sie „feiert**, nachdem der Introitus gemäß dem 'Commune unius martyris non

') Vor mir erwähnten bereits Montfaucon, Bibliotheca bibliothecanim. 1 17 und Novati, La parodia sacra p. 195 sq. die Handschrift, Novati mi^verstAndlidi als Reginensis. Sie stammt allerdings aus dem Fonds der Reginenses, ist at>er letzt Ottobonianus lat. 2067«  was mein treuer Helfer Herr P. Dr. F. Feister, S. J. feststellte.

') Fontes rerum Austriacarum. 1. Abteil. Bd. VI 241.

') Abdruck im Textanhang.


128 Antihussitisdie Messe


pontificis' angedeutet hat, daß Wiclifs Leiche, im Früh- jahr 1415, ausgegraben und verbrannt worden ist, Jo- hann Hus, der würdig befunden ward seines englischen Meisters Ehre und Andenken bis zum eigenen Feuer- tode zu verteidigen, „feiert" weiterhin Hussens An- hänger, die Tag und Nacht dem Teufel dienen. Der Parodist führt die Verzerrung der heiligen Messe bis ins einzelne genau nach dem kirchlichen Gebrauch, ohne eine bestimmte Messe zu imitieren, vom Anfang bis zum 'Ite, missa est' durch. Nur einem gründlichen Kenner des katholischen Gottesdienstes und der bibli- schen wie der wiclifitisch - hussitischen Lehren und Bücher konnte eine solche Parodie gelingen, wo unter dem falschen Schein der Liturgie in Introitus, Epistel, Graduale, Prosa, Evangelium, Credo und Predigt, im Offertorium, Sanctus und Agnus bis zur Complet und dem feierlichen 'Gehet hin* die hussitischen Gegner be- schimpft, verlacht, verflucht werden. Manches versteht man heute nicht mehr oder nur schwer nach müh- samem Suchen. Z. B. ist als Leitspruch des Sermons ein Wort 'Sequitur patrem sua proles' genommen, das mich lange beschäftigt hat, bis ich es mitten in einer Vorlesung, die ich über lateinische Literatur des Mittel- alters hielt, in der den Gelehrten und Studierenden des 15. Jahrhunderts vertrauten Ecloga Theoduli vor mir sah. Fernerhin stecken in dieser Predigt außer kräftigem Hohn auf Wiclifs Erörterungen der Drei- faltigkeit noch Anspielungen, die mir bisher unklar ge- blieben sind. Doch fühlt man auch so schon überall, daß da mit grandioser Perfidie gearbeitet ist, mag nun die hussitische Genealogie oder das Glaubensbekenntnis an Wiclif, den Fürsten der Unterwelt, Böhmens Patron, und an Hus, seinen eingeborenen Sohn,^) unsern Schur- ken, der empfangen ist aus dem Geiste Luzifers usw., oder sonst etwas vorgetragen werden. Der Verfasser ist sicher ein gutgläubiger deutscher

^) So nannte auch der KarthAuserprior Stephan von Dolein Hus ironisdi. Vgl. Loserth, Hus und Wiclif S. 85.


Passio sacerdotum 129


Katholik gewesen und hat unter den deutschen An- hängern Roms seine Fortsetzer und Leser gehabt. Keiner von ihnen wird in seinem Fanatismus Anstoß daran genommen haben, daß eine solche Parodie er- denken, billigen, vervielfältigen im Grxmde doch die hei- lige Messe entwürdigen heißt. Mit welcher Wut werden die Hussiten diese und andere Pamphlete, z. B. das gegen sie gerichtete deutsche Vaterunser, gelesen haben! Eine berechtigte Wut; denn ihnen waren Wiclif und Hus wirklich Personen nationaler und religiöser Verehrung. Ihren Hus haben die Böhmen frühzeitig als National- heros und heiligen Märtyrer offiziell in ihren Kirchen gefeiert

Im Zeitalter des Hussitentums und der großen Kon- zile sind die satirischen Parodien in lateinischer Sprache noch einmal schneidende Waffen der großen Öffentlich- keit gewesen. Gelehrte haben damals das alte Gegen- evangelium, die Teuf elsbrief e, ^) die antikurialen Spott- gedichte wieder hervorgezerrt, neue Pamphlete verfaßt; Gelehrte haben sie gelesen und angehört. Aber <ier Kreis der Gelehrten war groß; denn Tausende strömten nach Konstanz und Basel hin. Tausende in allen Gebieten des Abendlandes horchten damals gespannt auf den Lärm der geistigen Waffen, die in den Konzilstädten wie in und um Böhmen aufeinanderschlugen.

Was nachher im 15. Jahrhundert entstand, ist von begrenzter Wirkung gewesen oder ist nicht mehr latei- nisch abgefaßt worden, wie ja schon lange zuvor neben den lateinischen Satiren deutsche, tschechische, franzö- sische, englische, italienische usw. aufgetaucht waren.

Eine ziemlich große Verbreitung hat noch die Pas- sio dominorum sacerdotum gefunden. Sie er- schien, als Kurfürst Albrecht Achilles, Markgraf von Ansbach und Bayreuth, 1480/81 seinen Anteil an der vom Reichstag in Nürnberg bewilligten Umwandlung der Stel- lung von Truppen in eine Geldabgabe durch eine Be-

') Audi den Hussiten wurde das alte Sendsdireiben Lucifers zugesdhrieben, so im Codex Bern 434.


Lehmann / Parodie im Mittelalter


130 Passio sacerdotum


Steuerung der Geistlichen seiner Lande aufzubringen versuchte. Der Klerus, auf den schon die Bischöfe von Würzburg imd Bamberg die Last ihrer Quoten abwälzen wollten, wehrte imd sträubte sich lebhaft gegen die „Pfaffensteuer". Aber Albrecht Achilles ging mit Gewalt vor. Und in dieser Zeit der Bedrängung und des Sich- aufbäumens entstand auf selten der Geistlichen die Passio, die hauptsächlich wohl bei den anderen Reichs- ständen Stimmung gegen den Kurfürsten machen sollte.

'Gantz lesterlich, smelig und hässig auf Matthei Pas- sionsbeschreibung bezogen, auf Schutz des teuflischen Mammons wider der obrigkeit gehorsam und christliche lieb für vermeinte pfaffenfreiheit lautend' erzählte sie, wie der Markgraf imd seine Beamten den Steuerverwei- gern zusetzten. Viele historische Einzelheiten werden unter möglichst häufiger Benutzung der Bibel drama- tisch geschildert. Die Leidensgeschichte sehen wir hauptsächlich gegen Schluß parodiert. Gekreuzigt ist die Priesterschaft des Markgrafen; er selbst aber ist ein Sohn des Teufels, ein Vorläufer des Antichristus, ein neuer Pharao, Sanherib, Eglon, Herodes und wie die größten Übeltäter bis zu dem Staufenkaiser Friedrich IL alle heißen. In die Passio werden die Prophezeiungen vom nahen Untergange der Welt gemischt, Methodius und Vinzenz Ferrer als Zeugen angeführt. Man höre, wie es da lautet:

'Und do die pristerschaft war in trübsal vor engsten, ist sie mit durst gepeinigt worden |zu Kulmpach ; dan -der wein was pitter und das pier was antzigig und essigett, das man in fürsetzt, und sie wollten sein nit trincken und haben gesagt, es sein alle ding volbracht und haben gepeet "Vater, vergibs in, dan sie wissen nit was sie thun!" Nun als Volck ist gestanden und hat gewart des ents. Es was geschriben ain uberschrifft zu teutzsch "Der pristerschafft unter der herschafft des marggraven ist widerspennig dem kurfürsten des römischen reichs. Dorumb wirt sie beraubt und vertriben."

Es was nahent in dem sibende altter und es sein fin-


Passio sacerdotum 131


sternis der unwissenhait worden in dem gantzen land des marggraffen. Der schein der sunnen des rechtten glaubens ist finster worden und der fürhanck des tem- pels ist zerissen worden und zertrümmert in der mitten, und die pristerschaft hat geschrien mit lautter stymm "Vatter, in dein hend bephelen wir unnser gutt leib und seel". Do die das gerett haben, sein sie ausgetriben wor- den, imd alles volck das do gegenwertig was bey dem geschieht und sahen die ding die do geschahen, klopften an ir prust und kerent wider haim. Es stunden all ge- poren freund und güner der priester in den andern landen des marggrafen die do gegenwertig warden bey dem specktackel und sahen das geschieht, die schrien mit der stym centurionis und sprachen "Fürwar ain sun des teuffels und ain vorläuffer des anticrist ist der fürst" und legentten aus die figur der schrifft von im und spra- chen "Das ist der ander Pharo der do vervolgtt das volck gotz und mit seinem beer ertrenckt ward in der tyffe des meers. Das ist der ander Sennacherib der do got lestert, des beer hundert und achytz tausend der engel erschlug dorumb er von seinem aygen sun der- schlagen ward. Das ist der ander Eglon der allfayste, der do zyns hat gelegt uff das volck gottes uf die Juden, von Aman mit ainem tegen erstochen. Das ist der ander kirchenprüchel Antiochus der mit der kranckheit ge- plagt ward, das im die därmm ussgingen und die würmm in verzerten. Das ist der ander Nero der do die starcken seul der kirchen die balligen merteerer krönet, der ist unsinig worden, das er sich mit aigener hant hat getött. Das ist der ander Dyocletianus uss finsterm stammen geporen, der grewlichst durchaichtter der kirchen, den der teuffei hat angenommen und ersteckt. Das ist der ander Julianus abtrünnig vom glauben, der von dem haiigen merter Mercurio mit dem schwert durchrant wart. Das ist der ander Leo der tritt, der die pild der heiigen hat geprent die prister hat umbgetriben, dorumb er mit streiten, pestilentz imd anderm Unglück gepeinigt ist worden. Das ist der ander Leo der viert, den die

9*


132 Passio sacerdotum


geittikeit überwant das er ain krön auss der kirchen ham und setzt die uff sein haupt, aber von stund an ist BF mit dem fiber geplagt worden und hat den gaist uff- geben. Das ist der ander Henrich der trit des namens gar ain ungerugs mensch der do peinigt die kirchen, dorumb er auch erpermmlichen todes in gefencknis seines suns das leben hat geendet und tot ist. Das ist der ander Fridrich secundus der angefangen hat die kirchen zu drennen, dorumb er gespannt wurd und in sein widerspenung on die sacrament von sainem aigen sun er steckt wurd."

Nun uff den andern tag nach ostern sein zusammen kummen die größern amptleut des fürsten und haben zu im gesagt "Herr, wir haben bedacht, das die ver- fürer, dieweil sie noch uff iren pfründen saßen, haben gesagt, sie wollen über ettlich tag wider zu iren pfreun- den kummen und die besitzen. Schaff das man das verküm, das sie nit aber herschen über uns und werd, der letzt irsal pöser dan der erst". "Ja", antwurt der fürst, "habt hutt und get hynn und hütt wie ir wist." Und belegten mit hüttern die tür gezaichnet.

Und do es nun spot wurd und war, do kam ain man mit namme Methodius pischoff ain bewertter lerer der kirchen, der umb cristenlichs glaubens willen gekerckert war und durch die engelischen Offenbarung ain puch geschrieben hat von aller quäl der kirchen. Der redt also: 'In den letztten sibentausentten jaren der weit Wirt aussgeen der samen Ismael von dem verlassen wüsten geschlecht und wirt in zukunfft sein on all parmhertzigkait und wirt got der herr geben in iren gewalt alle zeug der völcker — — — .* Es ist auch kummen Vincencius und hat tragen ain mixtur uss den Sprüchen der lerer gesamt die er gemüscht hat in sei- nem püchlein von dem Ende der weit, von der anderen durchechttung der kirchen durch gehaim fürsten die vor sein gewest schirmer der kirchen, ytzund wüster ettlich zeit werend. Aber darnach so wirt die kirch viel zeit in dem allersichersten frid seyn, welchen frid


Passio sacerdotum 133


got der her geb der kirchen seiner spons von ewigket ymer ewiglich gesegent und gelobt. Amen, Ex cancel- laria nemonis.*

Die deutsche Übersetzung/) der obiges Stück ent- nommen ist, hat vielleicht den Heilsbronner Zister- zienser Johann Seyler zum Autor. Sie ist sehr bald nach dem lateinischen Urtext*) angefertigt, der als 'Passio dominorum sacerdotum sub dominio marchionis secundum Mattheum' mit den Worten 'In illo tempore dixit princeps consulibus et ministris suis' beginnt und handschriftlich z. B. in Bamberg, Hannover, Melk und Quedlinburg überliefert ist. Einen zweiten .Wort- laut 'Passio dominorum sacerdotum sub principatu marchionis secundum Mathiam. In illo tempore con- siliariis suis* ist eine, nach meinen bisherigen Ermitte- lungen seltenere Abschwächung des ursprünglichen Wortlautes.®) Die dritte Passio*) ist eine Gegenschrift gegen die beiden ersten und zugunsten des Markgrafen abgefaßt Sie rührt von dem Heilsbronner Mönch Dr. Johann Seyler^) her, scheint zuerst lateinisch kon- zipiert, aber sogleich für den Fürsten ins Deutsche übertragen zu sein, das ist®) 'Die Passion unseres Herrn M&rggraven unter dem Fürsten den Priester Annas und Caiphas secundiun Johannem*. „Sie zeigt nicht weniger Witz und ist mit mehr Scharfsinn als die erstere aus- gestattet, hat aber, scheint es, ihren Eindruck dadurch verfehlt, daß sie den Markgrafen als Christum auftreten läßt, ein Kontrast, der wohl nicht geeignet war, günstig zu wirken." Alle drei nennen sich Erzeugnisse der Kanz- lei „Niemands", einer Person, der wir im zweiten Hauptr teil als einem „Heiligen" begegnen werden. In den Ver-

^) Im Archiv für Geschichte und Altertumskunde von Oberfranken X (1866) S> 36'-53 nidit sehr gut herausgegeben.

') Vgl. Lorenz Kraussold, Dr. Theodorich Morung, der Vorbote der Reformation in Franken. I. Teil (Erlangen 1877) S V und 41^49 nach dem Plassenburger Text in Bamberg ohne Kenntnis der sonstigen Qberliefenmg.

') Kraussold, a. a. Q. S 49-'58 und S. V f.

  • ) Kraussold S 89-96 und S VI, 31 f.

') Studierte in Heidelberg und Wien, starb 1502. Von ihm wurden geschrieben bzw«  erworben die Heilsbronner Handschriften Erlangen 438, 481, 669, 713, 850, 1975 1.

•) Kraussold & 89-96 und VI.


134 Passio sacerdotum


dacht der Urheberschaft des ältesten Pasquills kam bei Albrecht Achilles der Kanonikus von Bamberg, Eich- stätt, Freising und Würzburg, Dr. Dietrich Morung. Ob- wohl er leugnete, wurde er von den Markgräflichen verfolgt und, nachdem er heftig Kritik an den Zustän- den des päpstlichen Hofes und am Ablaßwesen in Deutschland geübt und der Legat Raimund Peraudi seine Auslieferung vom Nürnberger Rat verlangt hatte, 1489 vom Markgrafen Friedrich gefangen genommen und trotz der Vermittlung König Maximilians erst 1498 aus der Haft entlassen. Wieweit er an der alten Streitschrift wirklich Anteil gehabt hat, ließ sich noch nicht ganz sicher feststellen.^) Der markgräflichen Partei war. die Passio nicht zuletzt deshalb unangenehm, weil sie so- fort sogar gedruckt verbreitet wurde, wie der Zeitgenosse Seyler meinte, von Ingolstadt aus. Im 19. Jahrhundert hat man die gedruckte Flugschrift vielfach vergeblich gesucht; so konnte Kraussold sie nicht auftreiben, und selbst in den großen bibliographischen Repertorien von Hain und Copinger fehlt die Inkunabel. Aber sie exi- stiert, z. B. in der Staatsbibliothek zu München, und ist 1906 von Dietrich Reichling beschrieben worden.*) Das dünne, nur sechs Blätter umfassende Heft, ohne Name, Ort und Jahr des Druckers und Druckes, vielleicht von Martin Flach in Straßburg 1482 schnell und fehlerhaft hergestellt, leitet zu einer neuen Zeit der Parodie hin- über, zu einer Zeit, wo Gutenbergs Kunst die Pamphlete von Ort zu Ort flattern ließ.

Ich bescheide mich, beim Ende des Mittelalters halt- zumachen, ohne zu vergessen und zu verschweigen, daß die mittelalterlichen Formen der lateinischen Pa- rodie noch lange nachwirkten. Von den Parodien vor 1522 lasse ich auch die der Renaissance aus unserer Be-

^) Vgl. außer Kraussoids Buch )oh. Sdmeider, Die kirchliche und politische Wirksamkeit des Legaten Raimund Peraudi, Halle 1881, S. 16 ff.; Dr. Theddorldi Monmgs Gefangen* nähme und Freilassung t Ardiiv für Gesdiidite und Altertumskunde von Oberfranken. XVII (1888) S. 5 ff.; WiUy Böhm, Die Pfaffensteuer von 1480/81 in den frankischen Ge* bieten des Markgrafen Albrecht Adiilles. Ein kirchenpolitischer Konflikt, Berlin 1882 (Programm der Sophienschule in Berlin).

') Appendices ad Hainü^Copingeri repertorium bibliographicum. fasc. II (Mündien 1906) p.77.


Rückblick und Ausblick 1 35


trachtung fort; ihre Formen und ihr Geist sind nur zu einem Teile mittelalterlich.

Der Kampf gegen die Kurie hat die Parodien im Mittelalter zu wirksamen Waffen gemacht Jahr- himdertelang hat man sich dieser Schwerter, Pfeile und Nadeln bedient, die alten wieder hervorziehend, neue oft schmiedend und spitzend; Päpste und Kardinäle, der ganze, riesig angewachsene Beamtenhaufen Roms haben sie zu fühlen bekommen und mit ihnen, nach ihnen die hohe und niedere Geistlichkeit, das Ordenswesen, in dem manche ein Unwesen sehen mußten, ja die ge- samte Christenheit bis zu den verachteten Bauern ihinab. Die Verfasser und Abschreiber der satirischen Paro- dien waren zugleich derbe Spaßmacher, und es kam ihnen nicht immer darauf an, bestimmte Personen zu treffen, nicht inmier sie geistig totzuschlagen. So hat mancher mittelalterliche Mensch, der zu den Betroffenen gehörte oder ihnen treu war, die Parodien als lustige Sticheleien hingenommen und mitgelacht. Aber letzten Endes hat die Verspottung doch zermürbend, zersetzend in Kirche und Gesellschaft gewirkt. Die Parodien haben die kirchlichen und sozialen Umwälzungen der Neuzeit vorbereiten helfen.


136 Narrcnlcstc


IL DIE HEITERE, ERHEITERNDE, UNTERHALTENDE PARODIE

Daß hier den bissigen und grimmigen die heiteren Parodien, den satirischen, tendenziösen die hmnoristi- schen, imterhaltenden folgen, bedeutet nicht eine streng zeitliche Anordnung. Ich halte es für müßig, lange dar- über nachzugrübeln, ob man im Mittelalter früher bos- haft als scherzhaft parodiert hat. Es schien mir prak- tisch, nach dem Hinweis auf die Ansätze zu beiden Arten die Betrachtung anzuknüpfen an die der Parodie sich besonders früh in starkem Umfang bedienende anti- kuriale Publizistik, anzuknüpfen an die heute wohl be- kannteste und im Mittelalter einflußreichste lateinische Parodie, an das Geldevangelium und kam so zuerst zum bitteren Spott und bösen Scherz.

Man ist und hat versucht, die humoristische Parodie von den kirchlichen Narrenfesten abzuleiten. Diese mit den antiken Saturnalien zusammenhängenden Belustigungen, die von der mittelalterlichen Schuljugend und niederen Geistlichkeit jahrhundertelang am Ste- phanstag, am Tag der unschuldigen Kindlein, Neujahr, Epiphanie, an Johanni in und bei den Kirchen begangen wurden, später auf die Straßen und in die Kneipen zogen, um schließlich im Studentenulk und Fastnachts- treiben zu münden, wichtig z. B. wegen ihres Einflusses auf das komische Theater, ahmen in der Tat die kirch- lichen Riten, Zeremonien lustig nach. Die Texte möchte ich nicht durchweg parodistisch nennen: viele sind nur fröhlich, sind bloß dadurch komisch, daß sie von Kin- dern oder Geistlichen niederen Grades in Verkleidungen ausgelassen vorgetragen wurden, nicht alle im Wortlaute komisch. Man vergleiche zur Probe die harmlosen Lie- der im 20. Bande der Analecta hymnica S. 217 ff. Je- doch sind die Feste vielfach ausgeartet, besonders das der Subdiaconen (Neujahr, Epiphanie), das zum eigent- lichen Festum stultorum, fatuorum, follorum geworden, in Frankreich ausschweifend gefeiert wurde. Schon im


Eselsprose 137

13. Jahrhundert ging man an die Revision des Officiums und ließ in Sens eigentlich nur einen anstößig zu nennenden Text, die Eselsprose^) übrig:

Orientis partibus adventavit asinus, pulcher et fortissimus. sarcinis aptissimus. Hez, Sir asne, hez! usw.

t. Aus dem Morgenlande kam uns ein Esel lobesam, Esel schön und tapfer sehr, Keine Last ist ihm zu schwer. He, Herr Esel, he!

2. Rüben zog auf Sichems Höh'n auf den Esel stark und schön, durch des Jordans Bette tief er gen Bethlem hurtig lief.

He, Herr Esel, he!

3. Also zierlich tanzt einher Rehlein, Zicklein nimmermehr, also hurtig traben kann

kein Kamel aus Madian. He, Herr Esel, hei

4. Goldbeladen kam J-ah fernher aus Arabia,

fern aus Saba hat beschafft Gold und Weihrauch Eselskraft. He, Herr Esel, he!

5. Während er im Karren keucht und gar schwere Lasten zeucht, mahlt sein starkes Backenbein hartes Futter km-z und klein.

He, Herr Esel, he!

  • ) Anal. hymn. XX 217 f. Gute Qbersidit Aber die Probleme bei G. M. Dreves, Zur

^'csatidite der ftte des fousi Stimmen aus Maria Laadi. XLVII (1894) S. 571-587.


138 Auswüchse der Narrenfeste

6. Gerstenstroh mit Acheln dran. Disteln er verknausen kann, auf der Tenne mit Bedacht drischt von früh er bis zur Nacht.

He, Herr Esel, he!

7. Amen sprich nun. Eselein, wirst wohl satt vom Grase sein. Amen, Amen früh und spät, alles Alte sei verschmäht.

He, Herr Esel, he!

Die Übersetzung, die ich dem Aufsatz von G. M. Dre- ves entnommen habe, zeigt, daß selbst diese parodisti- sche Eselssequenz im Grunde sehr zahm ist. Die sich gegen die sonstigen — ziuneist nicht literarischen — Auswüchse richtenden Reformversuche hatten vor der Mitte des 15. Jahrhunderts wenig Erfolg. „Die Kleriker^) erschienen in der Kirche Ende des 14. Jahrhunderts nicht bloß in Tiermasken, sondern auch als Weiber, Zu- hälter, Gaukler verkleidet. Anstatt mit Weihrauch räu- cherten sie mit Blutwurst oder altem Stiefelleder. Statt der Responsorien sangen sie schmutzige Lieder. Statt der Hostie genossen sie am Altar fette Würste. Auch vergnügten sie sich während der kirchlichen Feier mit Würfelspiel und führten zum Ergötzen der Zuschauer sehr unpassende Reigentänze auf. Fast noch schlimmer waren die Prozessionen, die sich an die kirchliche Feier anschlössen. Junge Leute produzierten sich dabei wohl im Adamskostüm und suchten den Pöbel durch unan- ständige Gebärden und Reden zu amüsieren." Bei diesen Ausschweifungen wurden tatsächlich liturgische For- meln parodiert, zumal bei der Wahl des „Abtes" oder „Bischofs". *) Die Texte sind aber nur selten aufgezeich- net worden und bedienen sich weit mehr der Volks- sprachen als des Lateinischen. Von den erhaltenen mittellateinischen Pai*odien, die ich zu besprechen habe, ist teils nicht nachgewiesen, teils bestimmt nicht richtig

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^) Realencyklopadie für protestantische Theologie und Kirdie. XIII" 653. ') Vgl. in Ducanges Glossarium unter *Abbas Comardorum* und ^Kalendae*.


Der Erzpoet 139

oder nicht anzunehmen, daß sie direkt aus dem Reper- toire der kirchlichen Narrenfeste stammen. Daß die oder jene Messe der Spieler imd Trinker in die Kirchen gedrungen ist, halte ich immerhin nicht für unmöglich. Wahrscheinlicher noch ist der ursprüngliche Zusammen- hang der Scherzpredigten, der Sermons joyeux mit der Parodie des christlichen Gottesdienstes. Nur darf man sich ganz und gar nicht vorstellen, daß jeder solche Ulk zu den Festen gehört Viele Parodien sind Buchscherze geblieben, viele in übermütiger Laune für Kneipe und Straße und weltliche Bühne geschrieben. Und alle über- lieferten, an die man denken könnte, sind jung.

Es empfiehlt sich, daß wir uns einen anderen Führer ins Reich der heiteren Parodie suchen; wir finden ihn in einem genialen Sänger des 12. Jahrhunderts, dessen Namen wir nicht kennen, dessen deutscher Herkunft wir uns aber freuen dürfen, in jenem Dichter, der als Archipoeta unsterblich ist.

Unter den wenigen Gedichten,^) die wir von ihm ken- nen, ist keine Vollparodie, die sich streng vom Anfang bis zum Schluß an den Wortlaut einer anderen literari- schen Schöpfung hält. Vielleicht war seine Eigenheit und Eigenwilligkeit, sein Drang, ursprünglich zu ge- stalten, für ein Nachbeten, Nachsingen, sei es auch nur im Spaß, zu groß. Für Einzelheiten und in freier Form hat er parodistischen Humor gelegentlich gebraucht Sein Gedicht (Manitius no. II):

'Lingua balbus, hebes ingenio viris doctis sermonem facio. Sed quid loquor, qui loqui nescio? necessitas est, non presumptio*

usw.

ist scheinbar eine ernste Predigt, letzten Endes aber eine an christliche Gedanken gebundene, mit Anspielungen

  • ) Letzte, nidit voll befriedigende Ausgabe von M. Manitius, München 1913, als ^ Heft

der Mfindiener Texte herausgeg. von Friedridi Wilhelm. Der Aufsatz von W. Meyer Der Kölner Archipoeta t Nachrioiten der K. Gesellschaft der Wissensdiaften zu Göttingen, GesdiafÜidie MitteUungen, 1914, 2. Heft hat midi enttauscht.


140 Der Erzpoet


auf Bibel und Gottesdienst geschickt arbeitende Mah- nung zu Freigebigkeit und schließt: ,

'Viri digni fama perpetua,

prece vestra complector genua:

ne recedam hinc manu vacua,

fiat pro me coUecta mutua.

Mea vobis patet intencio,

vos gravari sermone sencio.

Unde finem sermonis facio,

quem sie finit brevis oratio/ Es folgt also nun ein Gebet, (das doch halb Parodie ist:

'Prestet vobis creator Eloy

caritatis lechitum olei,

spei vinum, frumentum fidei

et post mortem ad vitam provehi.

Nobis vero mundo fruentibus,

vinum bonum semper bibentibus,

sine vino deficientibus,

nummos multos pro largis smnptibus.

Amen/ Parodistisch sind die beiden Beicht- und Bußgedichte des Erzpoeten (Manitius no. III und VIII). Der bibel- feste Dichter spielt darin den reumütigen Sünder, die christlichen Schuldbekenntnisse werden zu Verteidigun- gen und Anklagen. Ob Ganszyniec ^) eine bestimmte Se- quenz im Auge hatte, als er die Scheinbuße 'Fama tuba dante sonum' eine „köstliche Parodie zur Sequenz nannte, möchte ich bezweifeln. Es ist von ihm wohl im allgemeinen die humoristische Nachahmung des Se- quenzenstiles gemeint. Auch Manitius' Bezeichnung*) des Gedichtes als einer „höchst gelungenen Parodie auf die Schicksale des Jonas" ist nicht gerade glücklich. Man liest erst im 21. Verse, daß sich der Archipoeta mit Jonas vergleicht und hört immer nur Anklänge an dessen Schicksale. Charakteristisch für die parodistisch freche Komik ist, daß er am Schluß, ein Wort Christi


^) Mündiener Museum, her. von Friedrich Wilhelm. IV 117.

  • ) Ausgabe S. 5.


Der Erzpoet 141

aus dem Johännesevangelium (XV 5) auf seinen Herrn und sich anwendend, sich verabschiedet mit der Strophe :

'Pacis auctor, ultor litis,

esto vati tuo mitis

neque credas imperitisl

Genetivis iam sopitis,

sanctior sum heremitis.

Quicquid in me malum scitis,

amputabo, si velitis;

ne nos apprehendat sitis,

ero palmes et tu vitis/ Ähnliche parodistische Plünderung der Bibel begegnet auch sonst bei ihm. Statt auf all die kühn mit heiligen Worten umspringenden Stellen einzugehen, möchte ich an des Erzpoeten berühmte Beichte (Manitius no. IIP 'Estuans intrinsecus ira vehementi in amaritudine loquor meae menti: Factus de materia levis elementi folio sum similis, de quo ludunt venti' erinnern. Denn da enthüllt der Dichter in der Form einer freien Parodierung der echten kirchlichen Beichte seine weltfreudige Lebensauffassung, die ebenso Tau- sende seiner Zeitgenossen und Nachfahren erfüllt hat Besonders am Anfang muß man mehrfach an bestimmte Bibelverse denken. Das hat gewiß in der Absicht des Schalkes gelegen. Was er erstrebt und erreicht hat, ist beim Vortrag der biblische, kirchliche Ton, beim An- hören und Lesen ein lustiges Schmunzeln derer, die mit der Bibel vertraut waren. Man kann von einem Paro- dieren reden, wenn man nicht zuviel in das Wort hineinlegt. Parodistisch ist es jedenfalls, daß er sich für sein letztes Stündchen (Str. 11 u. 12) einen guten Wein und ein Requiem der Engel wünscht, daß er die himmlischen Chöre nach Lukas XVIII 13 'Dens pro- pitius est mihi peccatori' singen läßt: 'Dens sit pro- pitius huic potatorü' Zum richtigen Verständnis gehört, daß man jeweils weiß, was imitiert und zitiert ist. Für die Strophe 23


142 Der Erzpoct


'lam virtutes diligo, viciis irascor, renovatus animo spiritu renascor; quasi modo genitus novo lacte pascor, ne Sit meum amplius vanitatis vas cor' behaupten sowohl Manitius (S. 29) wie Frantzen^) Be- nutzung von Petr. 112 der Vulgata, wo es heißt: 'Si- cut modo geniti infantes'. Jedoch hat der Dichter die Messe vom Weißen Sonntag in Ohr und Feder gehabt Dort sind im Introitus die Petrusworte von alters her variiert: 'quasi modo geniti infantes, alleluia, ratio- nabiles, sine dolo lac concupiscite, alleluia*. Außerdem spielt in die Verse Ev, Joh. III 5 f. hinein. Bei Str. 23 und 24 ist der Reuige schon am Ende. Was vorausgeht imd von ihm behandelt wird, sind drei Vorwürfe, die man ihm- gemacht hatte: sein Liebeln, sein Spielen und Zechen. Wie er sich zu den Anklagen gestellt hat, sollte man lesen. Seine Beichte ist ein Hohes Lied ungebun- denen Lebensgenusses einer Künstlernatur.

1. Liebesleben

Presul discretissime, veniam te precor«  morte bona morior, dulci nccc nccor, meum pectus sauciat puellanim decor, et quas tactu nequeo, saltem corde medior*

Res est arduissima vincere naturam, in aspectu virginis mentem esse puram^ iuvenes non possumus legem sequi duram leviumque corporum non habere curam.

Quis in igne positus igne non uratur? Quis Papie demorans castus habeatur, ubi Venus digito iuvenes venatur, oculis illaqueat, facie predatur?

Si ponas Ypolitum hodie Papie, non erit Ypolitus in sequenti die. Veneris in thalamos ducunt omnes viae^ non est in tot turribus turris Ariciae.

(Ardiipoeta.)

Venantius Fortuna tus, der an der Schwelle vom Alter- tum zum Mittelalter stand, hatte noch antike Form-

>) NeophUologus V 174.


Uebeslyrlk 143

gewandtheit, hatte Empfindsamkeit, Einfühlungsfähig- keit, um Liebestöne wenigstens mitschwingen imd mit- klingen zu lassen. Dann kamen zwei Jahrhunderte dich- terischer Roheit oder Rauheit und ihnen folgt mit der karolingischen Renaissance ein Zeitalter, das ehrlich nach den antiken Formen der Poesie strebt, indes zu- meist nicht über das Gelehrte, Schulmeisterliche und Schülerhafte hinausdringt und in den Dichtungen dem Gefühlsleben eigentlich nur auf religiösem Gebiet frei- eren Lauf läßt. Erst seit dem lO./H. Jahrhundert findet man hie und da die frischen Farben, die hellen Laute irdischer Liebe. Und bald tönt uns aus den sogenannten Cambridger Liedern, aus den Weisen Abaelards und seiner Schüler, aus den Gesängen der Goliarden ein Vielerlei von zartem Sehnen, stürmischem Werben, von dreistem und frechem Liebesgenuß, von jauchzendem Jubel entgegen. Wie ein Wunder mutet uns das Er- wachen der weltlichen Lyrik an. Doch dieses Wunder ist bis zu einem gewissen Grade erklärbar. Eine Er- klärung ist wohl die, daß die himmlische Liebe längst und in stets wachsendem Maße poetischen Ausdruck ge- funden hatte. Die religiöse Hymnen- und Sequenzen- dichtung ist den reifenden Menschen des Mittelalters eine mächtige Lehrmeisterin der erotischen Lyrik ge- worden, für Metrum und Rhythmus, für Melodie und Strophenbau, für sprachliche Wendungen, Vergleiche und Bilder. Umgekehrt sind die geistlichen Ergüsse nicht frei von Weltlichem geblieben. Der religiöse Dich- ter versucht, sich die Sinnenwelt Untertan zu machen und ahmt bald die Sänger der fleischlichen Liebe so nach, daß man oft erstaimt über die Leidenschaftlich- keit des Verlangens, über das sinnliche Schildern, z. B. in den Marienhymnen.

Bei dieser gegenseitigen Beeinflussimg, die für die mittellateinische Literatm* näher erforscht zu werden verdient,^) bei der allgemeinen Freiheit in der Verwer-

^) Vgl. z. B. O. Hubatsdi, VagantenUeder S 28 ff. u* 77 ff . i Allen in Modem PhUologyV. 428 sqq., 454 sqq.


{44 Liebesgebet und Liebesklage

tung fremden schriftstellerischen Gutes ist es oft schwer, ja nicht selten unmöglich festzustellen, ob und wo der Liebesdichter bei der Nachdichtung und Zitierung geist- licher Texte bewußt parodistisch arbeitete, d. h. mit der Imitation eine komische oder doch unterhaltende Wir- kung beabsichtigte. Ruft der Liebende^) aus: 'Nobilis mei miserere precor,

tua facies ensis est quo necor

nam medullitus amat meum te cor.

Subvenü* so ist das dem Ton und den Worten nach ein Liebes- gebet und doch für mich keine Parodie christlichen Flehens. Auch der dann erschallende Refrain

'Amor improbus omnia superaf klingt wohl an Vergil, Georg II 383 'Labor omnia vincit improbus' an, schwerlich aber würde man daraus eine Spottabsicht mit Recht herauslesen, zumal da Ver- mischung mit Aen. X 69 'omnia vincit amor et nos ce- damus amori* vorliegen dürfte, das in mittelalterlichen Gedichten oft zitiert und variiert erscheint*) Die Klage des Liebenden*)

'Vertitur in luctum

Organum amoris

canticum subductum

absinthio doloris* erinnert durch Zeilenbau und die Reimung 'luctum — ductum* stark an Walther von Chatillon.*)

'Versa est in luctum

cythara Waltheri,

non quia se ductum

extra gregem cleri', erinnert im übrigen wie die Waltherstelle an Job XXX 31 'Versa est in luctum cithara mea et Organum in vocem

>) C B. no. 166.

■) Als Kehrreim des Gcdidites Treclusl viam floris* bei W. Meyer» Die Arundelsamm«  lung mittellateinischer Lieder, Berlin 1908 XAbhandl. d. Kgl. Ges. d. Wiss. zu Göttingen, PhUol.-hist. Kl. N. F. XI no: 2), S. 11.

«) C B. no. 156 Str. 6.

  • ) C B. no. LXXXVI ; über die Echtheit dieses Gedichtes F. Novati in der Romania

XVm (1889) p. 283 sqq.


Liebesfreuden { Liebes Jammer 145


flentium*. Folgte der Dichter nur Hiob oder Hiob und Walther, so bediente er sich ihrer doch wie Krücken. Der Hiobvers ist auch sonst während des Mittelalters in vollem Ernste gebraucht und nachgeahmt worden.^)

Beim weiteren Durchlesen der Carmina Burana hat man zwischen dem zu den Liebesfreuden des Frühlings auffordernden Liede (no. 79):

'Congaudentes ludite, choros simul ducite! Juvenes sunt lepidi, senes sunt decrepiti.

Audi bela mia, mille modos Veneris

da hizevaleria* usw.

und der geistlichen Poesie insofern einen Zusammenhang festzustellen, als 'Congaudentes' ein beliebter Hymnen- anfang der Kirche ist und 'choros ducite* auch bei geist- lichen Festen gesungen wird.*) Meines Erachtens hat sich da der Poet tatsächlich mit der Entlehnung eine kecke Wendung zum Weltlichen erlaubt Von Parodie zu reden, wäre allerdings gewagt. Immerhin ist hier dank der Wortwahl der Abstand vom Parodistischen nicht mehr weit, ähnlich wie durch die Feierlichkeit der sonst für religiöse Klagelieder beliebten Achtsilber in jenem Poem, wo ein Schwerenöter seine Liebes- beteuerung mit Jammern und Fluchen über die bösen Lästermäuler einleitet:^

'Lingua mendax et dolosa, lingua procax, venenosa, lingua digna detruncari et in igne concremari.* usw.

  • ) Vgl. Bernhard von Clairvaux, Migne CLXXXII 306 t Suger über den Tod Karls des

Guten von Flandern, Du M6ril, Poesies (1847) p. 270 1 Dolopatfaos des Johannes de Alta Silva ed. A. Hflka, Heidelberg 1913, S 33 Z. 28; Johann von Salesbury, Migne CXCIX 97; Peter von Biois. Migne CCVIl 487; Vita ven. Odaet Acta sanctorum. AprUis tom. II 775; Epitaphium fOr Thomas Aquln.: Archiv fOr Literaturgesdiidite. VII (187B) S 429.

') Vgl. etwa Analecta hymnica. LII 232.

') C a no. 168.

Lehmann / Parodie im Mittelalter 10


146 Quasimodogeniti


Den 'senes decrepiti* wurden in kurz vorher von mir angeführten Versen die 'iuvenes lepidi* gegenübergestellt, in anderen Liedern von Lenz und Liebe sind die zu neuer Sinnenlust Erweckten 'quasi modo geniti* genannt.

'Juvenes nunc transeunt

limites illiciti

senes et decrepiti

modum . . . nesciunt,

teuere lasciviunt

quasi modo geniti' heißt es in 'Frigescente caritatis* der Sammlung von St Omer saec. XII ex,^) in 'Licet eger cum egrotis* der- selben Liederhandschrift der Carmina Burana und noch fünf Codices: ^)

'Senes et decrepiti quasi modo geniti nectaris illiciti hauriunt venenum/ Schon mit 'senes decrepiti* wird vielleicht auf die Bibel oder einen von ihr abhängigen geistlichen Text angespielt; denn 2 Par. XXXVI 17 findet sich der Satz 'interfecit iuvenes, non est misertus adolescentis et vir- ginis et senis nee decrepiti quidem*. Sicher ist 'quasi- modogeniti* parodistisch gebraucht Den Hörern und Lesern jener Liebeslieder konnte und sollte diese Ent- lehnung aus dem Introitus der Messe am Weißen Sonn- tag nicht entgehen, wurde dieser Introitus doch gerade an einem Frühlingssonntage angestimmt Der Gegensatz zwischen der Heiligkeit des Weißen Sonntags in der Kirche, der die Wiedergeburt durch die Taufe feiert, und der Ausgelassenheit der Reigen und Chöre zu Ehren des Wiedererwachens der Liebe draußen in Wald und Flur mußte wirken. Daß auch der Archipoeta sich 'quasimodogenitus* nennt und die modernen Gelehrten')


') Mone im Anzeiger für Kunde der deutschen Vorzeit. VII HO.

') W. Meyer, Die Anindelsammlung S 41. Zur Qberliefenmg vgt meinen im Drude befindlichen, am 6. Mai 1922 in der Bayer. Akademie der Wissenschaften gehaltenen Vor«  trag **Mittellateinische Verse in Distinctiones monasticae et morales vom Anfang des 13. Jahrhunderts**.

') Selbst W. Meyer, Die Anmdeisammlung S. 43, hat offenbar das 'quasi* fOr *sicut* nidit ganz verstanden.


«Sprach* ich mit Menschen« und Engelszungen* 147

^ — I ■ I m

die Beziehung auf die Liturgie nicht recht gesehen haben, ist bereits (oben S. 142) bemerkt. Fraglich ist mir, ob in der Strophe^)

'Amat me fideliter, fidem meam nota de corde totaliter et ex corde tota, sum presentialiter absens in remota. Quisquis amat taliter, volvitur in rota* die Erinnerung an Matth. XXII 37 'Diliges Deum tuum ex toto corde tuo et in tota anima tua et in tota mente tua* noch lebendig war und sein sollte.

Einen der stärksten Beweise, daß die mittellateini- schen Liebeslyriker parodierten oder der Parodie sehr nahe kamen, liefert mir das Gedicht*)

'Si Unguis angelicis loquar et humanis'. Der Poet schildert eine Begegnung zweier Liebenden und beschreibt ganz eindeutig, was das Ende, die Krö- nung des Gespräches der beiden ist: 'Quid plus? CoUo virginis brachia iactavi, mille dedi basia, mille reportavi

atque saepe saepius dicens affirmavi:

Gerte, certe illud est id quod anhelavi!

Quis ignorat amodo cuncta quae secuntur?

Dolor et suspiria procul repelluntur,

paradisi gaudia nobis inducuntur

cunctaeque deliciae simul apponuntur.

Hie amplexus gaudium est centumplicatum,

hie meum et dominae puUulat optatum

hie amantum bravium est a me portatum

hie est meiun igitur nomen exaltatum.*

Wie aber beginnt dieses bald gezierte und zierliche, bald feuerige erotische Lied? Ein bekanntes herrliches Bibelwort des Apostels Paulus 'Spräche ich mit Men- schen- und Engelszungen* (1. Kor. XIII 1) bildet den Ein- gang. Die zweite Strophe hebt an mit den seit Venantius Fortimatus unzählige Male gesungenen, oft in frommem Sinne für neue Dichtungen verwandten Worten des Hymnus auf das Kreuz Christi Tange lingua'. So atmen

  • ) C B. no. 99 p. 178. *) C B. no. 50.

10*


14S Liebeslied und Marienverehning

die ersten Strophen Feierlichkeit und Zurückhaltung der irdischen Gefühle. Dann steigert der Künstler den Ef- fekt, indem er nach der Begegnung den Liebhaber Strophe 6 und 7 in Begeisterung und Anbetung vor der Auserkorenen niederknien und sie so begrüßen läßt, daß der Hörer immer noch zweifeln konnte, ob er nicht die heilige Jungfrau Maria, die süße Gottesmutter, meinte:^)

'Ave formosissima, genima pretiosa,

ave decus virginum, virgo gloriosa, ave mundi luminar, ave mundi rosa!*

Und nun mit neuen Vergleichen die Lösung: 'Blanziflor et Helena, Venus generosa/

Der Morgenstern, der ihm leuchtet, ist ein holdes Mägdelein von Fleisch und Blut, kein hinunlisch Wesen, In heißer Frauenliebe betet er (Strophe 9 und 19 f.) zu Gott und Christus. Ich kann nicht anders, als .planvolles Einführen der kirchlichen Sprache, der religiösen Be- zeichnungen und Bilder aus Bibel und Marienhymnen in die Erotik anzunehmen. Für Zufall, Unbewußtheit, harmlose Imitation sind die parodistisch anmutenden Elemente zu sehr gehäuft, arbeitet der Dichter in allen 33 Strophen zu überlegt. Wie er damit rechnen mußte, daß die Zeitgenossen aus Strophe 19 einen lauten Nach- hall der damals immer und immer wieder gelesenen Pamphiluselegie (v. Iff.) heraushörten, ebenso wurde es von ihm vorausgesehen, beabsichtigt, daß sein Publi- kum an die religiöse Sprache und Literatur erinnert wurde.

Nur parodieähnlich könnte man solche Anlehnungen nennen, weil nicht von Haschen nach einem eigentlich komischen Effekt gesprochen werden darf, die An- lehnungen reizen, die Aufmerksamkeit anregen, aber nicht gerade Lachen hervorrufen sollen.*) Die Komik

  • ) Aus H. Sügmildis Bemerkungen, Die lat. Vagantenpoesie S. 37, sdieint mir hervor« 

zugehen, da6 er übersah, wie der Dichter nicht naiv im berauschenden Gladc der Li^ gedidhtet, sondern aus der Mariologie imd anderem gesdböpft hat

  • ) Audi der Anfang des Gedichtchens (C B. no. 119) von der Schäferin, die ihre Un« 

adiittld opfert, um ein vom Wolf bedrohtes Lamm zu retten 'Luds orto sidere\ ist hier zu erwähnen. Er imitiert die sehr häufigen Eingänge kirdüidier Hymnen *Jam lucis orto sidere* und *Luci8 orto sidere*.


Die moderne Leda 149


der Parodie findet man in den erotischen Possen und Schwänken. Je schwächer die Sentimentalität und Innigkeit, je stärker die Sinnlichkeit hervorgekehrt wird, um so deutlicher und häufiger tritt die Parodie in der Liebesliteratur auf.

Lockere Poeten haben sich nicht gescheut, mit der Antike ihr Spiel zu treiben. Im 12 Jahrhundert erzählt ein schalkhafter Dichter, daß Leda aus den Wolken zu ihm herabgeschwebt wäre, ihn zärtlich begrüßt und ihr erotisches Erlebnis mit Jupiter, von der Geburt des Kastor, des PoUux, der schönen Helena berichtet hätte, wie er der Göttin in die Rede gefallen wäre, um seine Albors über die Helena zu stellen. Von Neugier gequält, hätte Leda mehr über dieses Mädchen erfahren wollen und ihm alles versprochen. So wäre ihm als Preis und Lohn gestattet worden, Ledas Leib in Wonne zu ge- nießen, und er so Jupiter gleich, ja größer, glücklicher als dieser gemacht. W. Meyer, der das vermutlich in England entstandene Gedicht von der „modernen" Leda herausgab und erörterte,^) fragt: „Wollte der Dichter das gepriesene Altertum parodieren? Zu ein- zelnen Menschen des bewunderten Altertums kamen Götter oder Göttinnen herab, wie Venus zuAnchises, und minnten sie. Oh, darin stehen wir ihnen nicht nach — — — ." Ich kann die Frage nicht mit Ja beantworten, weise des Göttinger Meisters Gedanken an eine absicht- liche „Verhöhnung der Mythologie" als zu weitgehend zurück. Den Erotikern des 12./13. Jahrhunderts lagen Angriffe auf die Antike fern. Man braucht nur in den Carmina Burana zu blättern, um zu sehen, wie vertraut sie mit den Gestalten der griechisch-römischen Sagen- welt gewesen sind. Zum höchsten Lob der angebeteten Schönen weiß da einer zu sagen: 2)

'O, si forte Jupiter hanc videat, timeo, ne pariter incaleat et ad fraudes redeat

  • ) Zeitsdirift für deutsches Altertum. L (1<X)6) S. 289 ff. Sperrdruck meinerseits.

') C B. p. 149.


150 Jupiter und Danae; Caecilia


sive Danaes pluens antrum imbre dulci mulceat vel Europes intret taurum vel et haec congaudeat rursus in olore/

Und wenn der andere, wie wir hörten, einen Triumph über Leda erdichtet, so ist das ein parodistisches Spie- len mit den Kenntnissen antiker Göttergeschichten, kein Höhnen oder Spotten. Nicht über die vielen Liebe- leien der Olympier, sondern durch die leichten Er- zählungen und Anspielungen macht man sich lustig. Auch das mit der Geschichte vom Liebesabenteuer Ju- piters mit Danae endende Poem^)

'Primo veris tempore, vere renascente, sole pene penitus taurum attingente'

ist ein Erzeugnis heiteren Übermutes, ein Repertoire- stück der Unterhaltung. Man kann es eine Travestie heißen. Wie in einer Posse, einer Offenbachschen Ope- rette werden die Götter höchst amüsant geschildert.

Mit dem Hinweis auf die Macht der Liebe über die Götter Zeus, Neptun, Pluto, auf die Allmacht der Liebe über die Menschen und Tiere beginnt in einer heute in Florenz liegenden Handschrift ein mittellateinisches Lied.^) „Das in allen Einzelheiten und im ganzen Auf- bau vortreffliche und humorvolle Gedicht — — — ist durch eine plumpe Hand verknittert und verbogen zu dem Text, der in den Carmina Burana*) vorliegt" Die Plumpheit wird aufgewogen durch die von W. Meyer fein beobachtete und beleuchtete Tatsache, daß Str. 9 bis 16 des Benediktbeurer Textes eine offensichtliche Parodie von Str. 1 bis 8 bilden, welche Strophen eine leichte Umarbeitung des Florentiner Wortlautes vor- stellen. Hatte der ursprüngliche Dichter nach den all- gemeinen Gedanken über die Gewalt der Liebe gesagt:

M W. Wattenbadi in der Zeitschrift für deutsches Altertum. XVIII (1875) S 475, vgl auch B. Haurtou in den Notices et extraits. XXIX 2 p. 304 sq.

  • ) W. Meyer in der Festschrift für Pio Rajnat Studi letterari . . a P. R., MÜano 1911,

S. 161 ff.

  • ) no. 61.


Caccilia 151

Auch ich liebe ein Mädchen von unbeschreiblichem Liebreiz, Caecilia. Doch schone und hüte ich ihre Tu- gend; ich hoffe dabei auf dereinstige Freuden und hasse überhaupt alle, die nicht mehr Jungfrauen sind. Also, Geliebte, wollen wir nur zartes und zahmes Liebesspiel treiben, von derber Sinnenlust uns fem halten, — so prahlt der Parodist, Caeciliens Keuschheit besiegt zu haben : ^)

„Als Merkur und Jupiter sich im Zwilling grüßten, Mars zugleich und Venus sich in der Wage küßten, kam Caecilchen auf die Welt — Stier war in der Rüsten.

I

Ganz dieselbe Conjunctur hat sich mir gefunden. So bin ich ihr zugesellt von der Gunst der Stunden und diu^ch meine Sterne schon meinem Stern verbunden.

Könnte sie des Cephalus spröder Blick erreichen, danli, Aurora, dürftest du Paris' Weibe gleichen — alle deine Herrlichkeit müßte hier erbleichen.

Könnte Gott Mercurius meine Holde sehen, dann, Frau Philologia, war's um dich geschehen: Ihr zuliebe würd' er dir flugs den Rücken drehen.


, , *) Es folgt oben die Qbertragtmg von Ludwig Laistner, Golias, Studentenlieder des Mittelalters aus dem Lat., Stuttgart 1879, S. 45'-47.




152 Caccilia


Unsre Liebe bietet uns

beiden voll Genügen

und kein Schleicher soll fortan

sich dazwischen trügen:

So spricht unsre Sternenschrift,

und die kann nicht lügen.

Ei, da mag sie sonst vielleicht

Minnegunst gewähren,

und was ich vorzeiten sang,

scheint sich aufzuklären.

Nein, ihr Herrn, es bleibt dabei,

laßt euch nur belehren.

Lieben ist bekanntlich ein Verbum transitivum ; des Transites Medium heißt man das Passivum: folglich ohne Passion gibt es kein Activum.

Wer das Datum wissen will: zehnter Tag im Maien; da war große Passion und zwar ohne Schreien. Laßt auch dieser Fortsetzung Beifall angedeihen."

In der zweitletzten Strophe

'Est hoc verbum „diligo"

verbum transitivum,

nee est per quod transeat

nisi per passivum:

ergo cum nil patitur

nil valet activum* stößt man wieder einmal auf das so gern^) von den mittelalterlichen Scholaren betriebene Scherzen mitAus-

  • ) Vgl. audi oben S. 75 ff.


Liebesdeklination 1 53


drücken des Unterrichts. Mit der Hoffnung auf die „Deklination" schließt ein Sehnsüchtiger sein Loblied geradezu obszön:^)

'Non in visu defectus auditus nee deiectus eius ridet aspectus. Sed, et istis iocundius: locus sub veste tectus. In hoc declinat melius non obliquus, sed rectus.

t

Ubi si recubarem

per partes declinarem,

casum pro casu darem

nee praesens nee praeteritum

tempus considerarem,

sed ad laboris meritum

magis accelerarem.*

Ein Vagant, der an der Donau ein singendes Mädchen trifft und sich in sie verliebt, beginnt: 'Dum transirem Danubium* und endet :^)

Tam dilecta lectio quo legatur nescio; ex hoc participio declinatur cupio. Sine magisterio scitur haec coniunctio/

Was und wie hier dekliniert und konjugiert ist, ver- steht sich wohl von selbst. Das Liebeslied 'Spoliatüm flore pratum' schließt mit der Bemerkung, daß die Liebe den Armen zurückstößt, dem Freigebigen sich verbindet : ^)

'dum adquisitivo construendi genere se copulat dativo.'


') C B. no. 126 p. 200 sq.

') Mone aus einer Lüttidu trzdt. V (1836) S. 44&

  • ) Die Arundelsammlung S. 31.


,. ') Mone aus einer Lüttidier Hs. 13« Jahrhunderts im Anzeiger fAr Kunde der teutsdien Vorzeit. V (1836) S. 448.


154 Erotische Kasusspielereien

Die grammatikalische Bezeichnung der Fälle kommt mehrfach in der Erotik vor. Genitivus ist bald der Ge- schlechtsteil, bald der Geschlechtsakt und der dem Koitus frönende Mann.^) Fast alle Kasus weiß folgende spät- mittelalterliche Reimerei mit der fleischlichen Liebe in Verbindung zu bringen.

'Vocativos oculos, ablativos loculos gerunt mulieres. Si dativus fueris quandocunque veneris genitivus eris/

So lautet in München lat 641 die 'Doctor(is) Noe declina(cio)'; in einer Wettinger Handschrift vom Jahre 1455 mit Variation der letzten beiden Kurzzeilen:*)

'genitivus fieri potueris, sed queris.'

Bezeichnend fürs Mittelalter ist, daß neben dem Geni- tivus eroticus ein Genitivus mysticus einhergeht, daß die grammatischen Ausdrücke auch in der theologischen Nomenklatur erscheinen.

'Prima declinatio casuum regulatio misit genitivum*

beginnt ein die Menschwerdung Christi behandelnder Leich, den wohl ein junger böhmischer Kleriker er- sonnen hat. 3) Daß der Dichter in allen Versen die uns für das heilige Thema unpassend dünkende Schul- sprache spricht, soll uns hier nicht weiter beschäftigen. Bloß auf den Anfang der zweiten Strophe sei noch auf- merksam gemacht:

») Vgl. W. Meyer, Die Oxforder Gedichte des Primas (1907) S. 146; ders., Das erste Gedldit der Carmina Burana t Nadirlditen der K. Ges. d. Wissenschaften zu Göttingen. PhUol-hist. Kl. 1906 S. 190 ff.; J. J. Frantzen im NeophUologus. V (1920) S. 69, 181, 357; van Poppel ebenda S 180.

  • ) Vgl. W. Wattenbach im Anzeiger für Kunde der deutschen Vorzeit. XVIII 339;

Jak. Werner, Beitrage zur Kunde der lateinischen Literatur des Mittelalters, Aarau 1905, S. 134; Frantzen im NeophUologus. V 357.

') Analecta hymnica. I 83. Vgl. dazu J. Schri)nen im NeophUologus. VI 88 f.


Liebesgrammatik 1 55


'Scribere clericulis

cunctis cristicolis

nobis instat cura.' Man hat übersehen, daß mit diesen Versen der Beginn des von jedem Studierenden und Studierten gelesenen Doctrinale des Alexander de Villa Dei (verfaßt gegen 1200) nachgeahmt ist Und das ist nicht der einzige Fall von poetischer Verwendung des berühmten Lehrbuches. Ein Vagantenlied böhmischen Ursprungs, das 'Littera cleri- corum scolipetarum' betitelt ist, hat den Anfang des Doc- trinale als Einführung:^)

'Scribere clericulis paro doctrinale novellis.* Ein aus demselben Lande stammendes Scholaren- bettellied hebt an:

'Scribere clericulis

verisque Christi famulis

nostrum est intentum* und läßt die übrigen Strophen stets mit Versen sehr bekannter Hymnen anfangen.^)

Wirklich eine erotische Parodie auf die Grammatik ist ein anscheinend sogar für musikalischen Vortrag bestimmtes Gedicht, das im Anhang aus zwei Münche- ner Handschriften saec. XHI und XHI/XIV abgedruckt wird: Allen jungen Klerikern schreibe ich in dieser Lenzeszeit. Verlaßt die gestrengen Herren Doctoren, kommt eiligst her zu mir, Scholaren, und nehmet fröh- lich das Doctrinale, das ich schreibe, auf. Ich führe nicht die Rute, frage nicht mit Schlägen die Redeteile ab. Fort die Schultafeln! Lasset uns erproben, wie man mit jungfräulicher 'Species' spielt, was der ersten und nicht der dritten Deklination angehört! Nun ist es Zeit, zu erkennen, wie des weiblichen Geschlechtes Figur ist, was es heißt zu flektieren mit den Töchtern der Venus, was 'Copula, Coniunctio, Interiectio* be- deutet, wenn sich die Glieder ineinander schlingen. Vom Nachtigallengesang hallen die Wälder wider, in

^ ') Feifalik in den Sitz-Ber. der Kaiserl. Akad. d. Wiss. Philos.«hist. Kl. XXXVI (1861) S. 187.

  • ) Feifalik, a. a. O. S ISS


156 LiebeskonzÜ von Remiremont


Blüten prangen die Wiesen. Gern geben sich die Mäd- chen neuen Umarmungen hin. Welcher Art, lernet das; welcher Form, suchet das und welcher Qualität. Da im Praesens die erste Konjugation lautet 'amo, amas, amat', wollen wir sie eifrig lernen. Schule sei uns der schattige Hain, Buch des Mädchens Angesicht, das uns zur Lektüre ladet Wenn im Plural man zum Tanze schreitet, wenn Lieder ertönen und das Echo erklingt, dann schmiege sich Leib an Leib nun fest, nun voll Bewegung.

'Hie instat disputacio,

vincant promissis precibus

non tandem ludo pari.

Amoris sit relacio,

Sit fervor in amplexibus,

dum demum verno tempori

iam pratis, campis, nemori

potestis coUuctari.*

Die kirchlichen Sitten und Einrichtungen parodiert zwecks scherzhafter Beantwortung der Frage, ob in der Liebe der Kleriker oder der Ritter den Vorzug ver- diene, eine Dichtung aus der Mitte des 12. Jahrhunderts, die ein grelles Licht auf die in der Diözese Toul einge- rissene sittliche Verwilderung wirft: das sog. Liebes- konzil von Remiremon t.i)

'Verls in temporibus sub Aprilis idibus

habuit concilium Romarici moncium

puellaris concio montis in cenobio.

Tale non audivimus nee fuisse credimus

in terrarum spacio a mundi principio, tale nunquam factum est, sed neque futurum est.

In eo concilio de solo negocio

amoris tractatum est, quod in nuUo factum est.*

1) Kritisdie Ausgabe von W. Meyer in den Nadiriditen der K. Ges. d. Wiss. zu Göttingen. Phil.*hist. Kl. 1914. Man beachte audi die von Meyer nidit zitierten auslandiscfaen Arbeiten t E. Langlois, Origines et sources du roman de la rose, Paris 1890, p. 6 sqq. t F. W. Warren in Modem language notes. XXII (1907) p. 137 sqq. \ Gh. Ouimont, Les d^bats dtt derc et du cbevalier, Paris 1911, p. 93 sqq.; E. Faral, Rechcraies sur les sources lat. des contes et romans courtois, Paris 1913, p. 210 sqq. Femer H. Walther, Das Streitgedidht in der lat. Literatur des Mittelalters, Mönchen 1930, S 145 f.


Liebeskonzi! von Remiremont 157

Kein Mann erhält Einlaß, wenigstens kein Laie, nur die Kleriker, die von weither kommen. Auch alten Frauen ist der Zutritt verboten. Sorgsam bewacht Si- bilia, von früh an eine treue und freudige Venusdienerüi, die Pforte. Nachdem sich alle versammelt haben, wer- den feierlich als 'quasi evangelium* die Traecepta Ovidii doctoris egregii* von Eva de Danubrio verlesen. Der Chor der Jungfrauen läßt Liebeslieder folgen. Dann erhebt sich^) die prächtig gekleidete Cardinalis domina, die wohl nicht absichtslos mit sonst namentlich für Maria gebrauchten Beiwörtern 'virgo regia*, 'mundi flos et gloria* genannt wird, und verkündet, daß Amor, der Gott aller, ihr den Auftrag gegeben habe, das Leben der Versammelten zu prüfen und, wo nötig, zu bessern. Als erste Sprecherin ergreift Elisabeth de Oranges das Wort und bekennt, daß sie sich gemäß der Regel (!) keinem Manne verbunden habe, — er sei denn von ihrem Orden, d. h. ein Geistlicher gewesen. Elisabeth de Falcon bricht in ein begeistertes Lob der Kleriker aus imd schilt die verwerfliche Liebe zu den Rittern, von der sie sich nach kurzer schlechter Erfahrung in die Arme des Klerikers zurückgezogen habe, und Agnes schließt sich an. Hertha erklärt:

'Amor, deus omnium, iuventutis gaudium, clericos amplectitiu* et ab eis regitur. Tales ergo diligo, stultos quoque negligo.* Die Kardinälin lobt ihre Ansichten. Doch nun be- ginnen die Freundinnen der Ritter, rühmen die waffen- kundigen Liebhaber, die für ihre Damen ohne Todes- furcht kämpfen. Ein Disput entspinnt sich, bei dem die liebenden Geistlichen von neuem begeistert [gepriesen werden, bis die Kardinal in zum Urteilsspruch auf- fordert. Das Koiizil entscheidet sich für die Kleriker. Die Cardinalis domina bedroht alle mit Strafe, die sich künftig mit Rittern einlassen würden. Es folgt die Con- firmatio von selten des Konzils und eine scherzhafte Exkommunikation mit fürchterlichen Verwünschungen.

  • ) Idi wiederhole z. T. Walthers Inhaltsangabe.


158


Liebeskonzil von Remiremont


'Quicquid vestra probitas firmat et auctoritas,


iiuncietur alias Nostrisque sororibus, faciamus cognitum, Omnia, que diximus non uUo sophismate Sed racionabiliter nisi sie peniteant, Huius banni racio


igitur attendite.


per omnes ecclesias. puellis claustralibus quid Sit eis vetitum. et que confirmavimus, sint sub anathemate. fiat et perhenniter, clericis ut faveant. vestro Sit consilio: Amen ! Amen ! dicite. Excommunicacio :


Vobis iussu Veneris que vos militaribus maneat confusio, labor, infelicitas, timor et tristicia, fex insipiencie, dedecus et tedium furiarum species, Luna, Jovis famula, propter ista crimina Sic sine solamine NuUa dies celebris Ira Jovis celitus Huius mundi gaudia Omnibus horribiles semper sitis clericis Nemo vobis etiam Vestra quoque gaudia Vobis Sit intrinsecus Vivatis cotidie Pudor, ignominia Laboris et tedii sed si quid residuum, nisi spretis laicis Si qua penituerit dando penitentiam Ad confirmacionem


et ubique ceteris, subditis amoribus, terror et contricio, dolor et anxietas, bellum et discordia! cultus inconstancie, longum et obprobrium, luctus et pernicies! Phebus, suus vermula, negent vobis lumina! careatis lumine! trahat vos de tenebris! destruat vos penitus! vobis sint obprobria! et abhominabiles que favetis laicis! ave dicat obviam! wSint sine concordial dolor et extrinsecus! in lacu miseriel vobis sint per omnia! vel pudoris nimii, Sit vobis perpetuum. faveatis clericis! atque satisfecerit, ccnsequetur veniam. omnes dicimus: Amen/


Liebesdekrete} Liebesversammlungen 159


Wenn in dieser ausgelasseneu Dichtung die Liebes- poesie Ovids als Evangelium hingestellt wird, so cha- rakterisiert das gut die Autorität, die jener antike Dichter int 12. Jahrhundert besaß und hat ein Seitenstück z. B. in Versen auf einen eifersüchtigen Priester, die uns durch einen Vorauer Codex überliefert sind:^)

Trespiter Algere tibi consilium dare vellem, si velles nostro cedere consilio. De muliere tua Walpurgi quam tenuisti per longum tempus longa querela tibi


Hoc in decretis pape Nasonis habetur, quod mulier plures possit habere viros. Hoc tu decretum firmum sub pectore serva, ne sis catholica pulsus ab ecclesia/

Also auch in der Erotik Dekretparodien.

Neben das Liebeskonzil von Remiremont sind ferner als Pendants zu halten die Satiren, in denen Priester auf Synoden und in Kapitelsversammlun- gen gegen ein Verbot Konkubinen zu haben auftreten.

Da die ebenso interessante wie schwierige ,Überliefe- rung noch nicht untersucht ist und hier nicht be- sprochen werden kann, halten wir uns an die Texte in Wrights Ausgabe der Mapesgedichte. Es handelt sich um drei Gedichte:*)

1. 'Prisciani regula penitus cassatur*;

2. 'Clerus et presbyteri nuper consedere*;

3. 'Rumor novus Angliae partes pergiravit*.

Sie stimmen verschiedentlich im Wortlaut überein und gehen vielleicht alle auf eine Satire zurück, die erst nach genauer Prüfung der sonstigen Textzeugen und nach sorgfältiger Einzelinterpretation wird klar heraus- geschält werden können. Rhythmus und Sprache passen ins 12./13. Jahrhundert. Den historischen Hintergrund

M Archiv d. Ges. f. altere deutsche Geschichtskunde. X 627.

  • ) L c. p. 171 sqq.


160 Liebes Versammlungen


bildet die Zeit, wo Alexander III. und Innozenz III. den schon von Leo IX. und Gregor VII. geführten Kampf für den Priesterzölibat energisch wiederbelebt hatten. Der Konkubinat hatte sich besonders fest in England eingenistet. Aus England stammt, was die Überlieferwig und die Anfangszeile 'Rumor novus Angliae' usw. zeigen, bestimmt das Gedicht 'De convocatione sacerdotum*. In den ersten sieben Strophen weiß der Satiriker unsere Aufmerksamkeit zu fesseln durch die Erzählung, wie auf das Gerücht von einem Erlaß des Papstes oder seines Legaten mehr als zehntausend Priester von allen Seiten zusanuneneilen und sich auf einer großen Wiese zu einem Konzil vereinigen.

'Posito silentio pax tranquilla datur, surgit quidam veterum primitus et fatur* "Fratres, vobis omnibus legatus minatur, et post minas metuo, quod peius sequatur. Pro nostris uxoribus sumus congregati. . Videatis provide, quod sitis parati, ad mandatum domini papae vel legati respondere graviter ne sitis dampnati."

Und nun bringt einer nach dem anderen vor, daß und warum er an seiner Konkubine festhalten wolle. Der Schluß ist leider nicht vollständig in Wrights Hand- schriften. Schon deshalb ist es von Wert, daß wir in der 'Clerus et presbyteri nuper consedere' beginnenden 'Consultatio sacerdotum* eine ausführliche Variation des- selben Themas haben. Der Schauplatz ist dieses Mal eines Stiftes Kapitelsaal. Nicht weniger als 30 geben ihrer Meinung über den Befehl, die Kebsen^) zu ent- fernen, lebhaften Ausdruck, zuerst der Dekan, dann der im kanonischen Recht erfahrene Doctor capituli, der Kantor, Kellermeister, Scholastikus, Baumeister und alle möglichen Priester. Außer einem zitterigen Greise schimpfen oder spotten sie alle und weigern sich zu gehorchen. Vielerlei Ausreden werden vorgebracht unter


^) Es sind nicht (oder nicht ausschließlich) die Ehefrauen der Geistlichen niederen Grades gemeint.


Liebesversammlungen 161


komischer Berufung auf die Bibel, auf das Recht, die Natur, auf persönliches Belieben. So v. 53 ff.:

'Venit ad presbyteros ordo circularis.

Primus in urbe fuit olim curialis

atque in iure canonum tritus et vocalis.

Huius ergo allegatio erat talis.'

"Credo quod hanc, domini, nostis Clementinam: omnis debet clericus habere concubinam. Hoc dixit qui coronam gerit auro trinam, hanc igitur retinere decet disciplinam."

Was da zitiert und parodiert wird, ist vermutlich Canon 6 der Papst Klemens I. zugeschriebenen, von Dionysius Exiguus übersetzten Canones apostolorum:^) 'Episcopus aut presbyter uxorem propriam nequaquam sab obtentu religionis abiiciat. Si vero reiecerit, ex- communicetur, sed et si perseveraverit, deiiciatur.' Ein anderer Priester beruhigt sich und seine Genossen, v. 86 sqq.:

"Non opus est" dicens "hoc nobis timere.

Qui nos ab uxoribus iubet abstinere,

debet in redditibus plura providere.


n


'Nonus ait* (v. 93 sqq.) "Veterem non dimitto morem. Dedit mihi calidum natura cruorem, oportet me vivere carnis per laborem, nolo propter animam linquere uxorem."

Der philosophisch Geschulte erklärt gewichtig, v. 122 sqq.:

"Omne Quare", ait, "habet suum Quia. Si mihi mea famula toUitur e via, extra volo alere scorta pulcra tria.^*

Den Schluß macht der Prediger, v. 145 sqq. Unmög- lich billige der Schöpfer, daß der Priester aufhören müsse, die Frauen zu lieben, für die der Heiland am Kreuze gestorben sei. Zacharias habe eine Frau und einen Sohn, Johannes den Täufer, Christi Vorläufer, ge-

') Mlgnc, Patrol. lat. CXXX 15. Lehmann / Parodie im Mittelalter 11


1 62 Liebesversammlungen


habt, David noch im hohen Alter der Liebe sich hin- gegeben, Gott den Unfruchtbaren verdammt. Wie der Hund, der einmal Fleisch gestohlen habe, nicht auf- hören könne und sich nicht fürchte, so kümmere sich der an nächtliches Liebesringen gewöhnte Kleriker nicht um die Drohungen und Strafen des Präsul, v. 165 sqq. :

"Coram tota curia papa declaravit sacerdotem, qui hie et haec et hoc declinavit, omnem non generantem excommunicavit, ex sorore filium ipse procreavit.

Quod papa concesserat, quis potest vetare? Cuncta potest solvere solus et ligare, laborare rusticos, milites pugnare iussit, at praecipue clericos amare.

Habebimus clerici duas concubinas, monachi, canonici totidem vel trinas, decani, praelati quatuor vel quinas. Sic tandem leges implebimus divinas.


ce


Worauf die Verse 'Coram tota curia — procreavit* Be- zug nehmen, ist mir noch nicht klar. Es scheint Persi- flage eines bestimmten Dekrets vorzuliegen. Die Zu- w^eisung an Deutschland, die in der Histoire litt6raire de la France^) versucht wird, ist unbegründet. Daß man bei uns das Spottgedicht kannte und kopierte, z. B. auch in einer braunschweigischen Chronik,*) beweist nichts für die Herkunft. Daß man es um 1545 als Mittelstück einer modernen Konzilsparodie drucken ließ,') zeugt für die Dauer seiner Beliebtheit.

Angesichts der nahen Verwandtschaft mit dem sicher englischen Gedichte 'De convocatione sacerdotum' sehe ich einstweilen keinen hinreichenden Grund, von der Annahme englischer Herkunft auch der Consultatio ab-

') XXII 151 SQ.

') Vgl. H. Deiter in der Zeitschrift der Gesellschaft für nledersfldisisdie Kircheagesdiidite. XVIII (1913) S. 231 ff. Von den sonstigen Handsdiriften und Drucken des Gedichtes sagt Deiter gar nichts.

  • ) V^. O. Qemen im Zentralblatt für Bibliothekswesen. XXXIX (1922) S 103 f. Wei&

selbst Qemen nichts von der mittelalterlichen Verbreitung?


Liebesversammiungen 1 63


zugehen. Ober die Entstehungszeit sagt H. Walther :^) „Man hat angenommen, daß sich das Gedicht auf einen Konzilsbeschluß von 1205 beziehe; ich möchte eher glauben, daß es sich um eine bischöfliche Verordnung handele, doch dürfte die Zeit etwa durch jenen Kon- zilsbeschluß gegeben sein." In der Jahreszahl hat Wal- ther denselben störenden Fehler wie E. Du Meril*) und M. Haeßner.^) Bekanntlich ist der 14. Kanon des zwölf- ten ökumenischen Konzils, der von Papst Innozenz III. einberufenen Lateransynode von 1215 gegen die 'Incon- tinentia' der Geistlichen gerichtet. H. Walthers Voraus- setzung einer bischöflichen Verordnung ist begreiflich, da die betrübten 'Clerus et presbyteri* im Kapitel nirgendwo gegen ein Konzil oder direkt gegen den Papst Stellung nehmen, sondern, was Walther deutlicher hätte sagen sollen, von dem Mandat ihres Traeses vel lega- tus* (v. 3, 11) sprechen. Wir nehmen hinzu, daß auch in der Fassung 'Rumor novus Angliae* ein Legat be- kämpft wird. Es kann sich darum handeln, daß em päpstlicher Bevollmächtigter zu dem Beschluß der La- teransynode von 1215 scharfe Ausführungsbestimmungen erlassen hatte. Jedoch habe ich derartige Verfügungen für die englische Kirche jener Jahre nicht zu finden vermocht. Dagegen gibt es aus anderen Zeiten des 13. Jahrhunderts mehrere Erlasse päpstlicher Legaten, w^orin ausdrücklich — was 1215 auf dem ökumenischen Konzil nicht geschah — die Vertreibung der Priester- frauen verlangt wird, so aus den Jah!ren 1200, 1246, 1268. Ich ziehe es vor, die beiden Gedichte mit dem Jahre 1200 in Verbindung zu bringen: Auf dem Landeskonzil von London*) erneuerte 1200 Hubert, Erzbischof von Canterbury (f 1205), das die Abschaffung der Priester- weiber fordernde päpstliche Dekret®) von 1179. Hu-

1) Streitgedicht S 143.

  • ) Poteles populalres latlnes du moyen age, Paris 1847, p. 179*

') Die Goliardendiditung und die Satire im 13. Jahrhundert in England, Leipzig 1906, S 32 ff.

  • ) Vgl. Concilia magnae Britanniae, ed. Wiüdns. I (1737) p. 692« II &
  • ) Vgl. Rogcri de Hoveden chronica, ed. W. Stubbs. IV 134.
  • ) Die engUsdien Chronisten haben nicht versAumt das zu notieren; vgl. beispielsweise

Rogeri de Hoveden diron. II 186; Benedict of Peterborough, Gesta regis Henrici secundi, ed. Stubbs. I 234.

11*


1 64 Konkubinenkapitei


bert war Legat von Innozenz III. Dieser Papst aber ist Zeil seines Lebens ein Verfechter der Sittenreinheit und des Zölibats der Geistlichkeit gewesen. Diesem Papst überreichte um 1200 Giraldus Cambrensis seine 'Gemma ecciesiastica', wo in Dist II cap. 6 gegen die rigorose Handhabung der Zölibatsverpflichtung polemi- siert wird. Dieser Papst kommt in der Satire 'Prisciani regula penitus cassatur*, die sich an mehreren Stellen bald mit dem Schwank vom Priesterkonzil, bald mit dem von der Kapitelsversammlung deckt, in folgenden Versen vor:^)

'Non est Innocentius, immo nocens vere, qui quod Dens docuit, studet abolere; iussit enim Dominus feminas habere, sed hoc noster pontifex iussit prohibere/ Im Codex latinus 215 saec. XV der Staatsbibliothek München begegnete mir f. 60^ nach dem besprochenen Gedichte vom Kapitel der Priester ein bisher anschei- nend nicht gedrucktes und nicht erörtertes Poem^) von 15 Konkubinen, die sich wie vorher die 15 Presbyter in feierlicher Versammlung gegen das Verbot des Zu- sammenwohnens der Geistlichen mit Frauen wehren. 'Alias dum synodum clericis celebraret et tunc cunctis clericis episcopus mandaret, ne quis in hospicio feminam servaret, per quam coram populo sese defamaret, mulieres quindecim illud perceperunt, clericorum lectulis que attenuerunt. Hoc mandatum presulis minus egre ferunt, propter quod capitulum inter se fecerunt* Parodistisch ist vor allem, wie die Fünfzehnte auf- tritt und spricht:

'Surgit quintadecima, omnium magistra, cui multum nota sunt codicum registra, tangens evangelia dextra et sinistra. Dixit "Ego Veneris sancte sum ministra,

  • ) Wright p. 172.

■) Qberllefert auch in München lat. 14634 f. 3 und, wie ich von Dr. L. Bertalot erfuhr, in Göttingen Luncb. 2 f. 221 ; Leipzig Univ. 1369 f. 146 V.


Satire auf die Frauen 165


me Venus edocuit plurimum amores. Quod nuUus nos audiat, reclaudantur fores. Vos capitulariter docebo sorores, nolite metuere tarn varios errores. Oportebit clericos ferre disciplinam, quoniam precipitur legem per divinam, ne ad domum clericus sumat concubinam. NuUus tarnen cogitur odire vicinam".

Das „Konkubinenkapitel" kann schon im 13. Jalir- hundert gedichtet worden sein.

Mit den kirchlichen Beiächlüssen gegen die Priester- ehe haben E. du Meril^) und M. Haeßner*) eine derb- humoristische Satire auf das weibliche Ge- schlecht verknüpft, die in vielen z. T. noch zu untersuchenden Handschriften und Drucken, auch in englischen und französischen Übersetzungen des Mittel- alters auf uns gekommen ist. 3) Du Meril war der Mei- nung gewesen, der Dichter hätte in religiöser Absicht die Bestimmungen des Konzils von 1215 poelisch sanktio- nieren und dem Klerus das Heiraten verleiden wollen. Haeßner glaubte ebenfalls, daß diese Lateransynode den Anlaß gegeben hätte, bezweifelte aber — mit Recht! — die kirchliche Tendenz des Gedichtes. „Wir können uns nicht vorstellen, daß ein Geistlicher, auch wenn er sicli drastischer Beispiele bediente, um auf das Publikum abschreckend zu wirken, zu solch unmoralischen Schil- derungen griff, wie sie unsere Satire enthält, sehr wohl aber, daß den Goliarden die ganze damalige Zölibats- bewegung, sowohl die Ursachen als auch die Wirkun- gen, eine willkommene Zielscheibe war. Es hat

vielmehr den Anschein, als ob die Satire ein Spott- gedicht auf die Bemühungen der Geistlichen gewesen ist, welche es unternahmen, in poetischen wie prosa-


  • ) L c. p. 179

•) a. a. O. S 54 f.

  • ) Viele Codices saec XIII-XV und Drucke saec XVI in. »-XIX sind verzeidmet in der

Bibiioth^ue de TEcoIe des diartes 1886 p. 95 ; bei L. Bertalot, Humanistisches Studienheft eines Nürnberger Sdiolaren, Berlin 1910, S 74 f.; bei M. Esposito in The English Historical Review. XXXII (1917) p. 400. Die meist benutzten Ausgaben sind die von Th. Wright, Poems attrib. to Walter Mapes p. 77 sqq. und E. du M^il, Po^sies populaires (1847) p. 179 sqq.


166 Satire anf die Frauen


ischen Schriften die Ehe als unvereinbar mit dem geist- lichen Beruf hinzustellen."" Diese Vermutungen be- dürfen der Prüfung: Für sie spricht, daß in den Versen Petrus de Corbolio auftritt:

'Petrus de Corbolio uxorem fragilem probat, Laurentius stultam et labilem


Datur potentia P. de Corbolio,

quae notat firmitas et petrae ratio;

Hie prius loquitur de matrimonio

et de nubentium labore vario, Pierre de Corbeil war ein Pariser Lehrer des Papstes Innozenz 111. und 1199 — 1222 Erzbischof von Sens. Es ist möglich, daß dieser Mann, dem große Sittenreinheit nach- gesagt wurde und der bei den Goliarden wegen seiner Reform ^) des Officium festi stultorum nicht sehr beliebt gewesen sein dürfte, sich irgendwie in auffälliger Weise über die Ehe ausgesprochen hat Ob vor oder nach dem Konzil von 1215 und überhaupt im Zusammenhange mit den Bestrebungen des Papstes muß noch dahingestellt bleiben. Gleichwohl halte ich es schon jetzt für falsch, die Satire ein Spottgedicht gegen die schriftliche oder mündliche Bekämpfung der Priesterehe zu nennen. Nir- gendwo in all den Versen ist die Verheiratung der Geist- lichen angegriffen oder empfohlen oder auch nur er- wähnt. Die Ehe und die Ehefrau schlechthin werden in den Staub gezogen. Der Goliarde trägt die gar oft im Mittelalter gegen die Frau erhobenen Anklagen vor, und zwar humoristisch, um Lachen zu erregen, weniger Lachen über Eiferer als das Vergnügen derer, die der Weiber Schwächen kennen, selbst zu heiraten sich scheuen oder die eigene Ehe bereuen und stets die Reize der Frauen anderer zu schätzen wissen. Parodistisch arbeitet er insofern, als er sein lustiges Poltern mit einem frommen Wunsch einleitet:

'Sit Deo gloria, laus, benedictio

Johanni, pariter Petro, Laurentio,

  • ) Vgl. H. Villctard, Office de Pierre de CorbcU. Paris 1907.


Satire auf die Frauen 167


quos misit trinitas in hoc iiaufragio, ne me permitterent uti coniugio*,

sich scheinbar der Argumente des Peter von Corbeil und anderer Streiter für die Moral bedient und seine Warnungen vor der Ehe einkleidet in eine Erscheinung dreier Engel im Tale Mambre. Man soll an die Er- zählung von Genesis XVIII denken, wonach dem Erz- vater Abraham in jenem Tale drei Engel entgegentraten und ihm verkündeten, daß seine Frau, die alte Sara, ihm endlich einen Sohn gebären werde. Die Engel in der Satire reden von der Mangelhaftigkeit der Ehe- frauen. Daß der eine nach dem Erzbischof von Sens Petrus genannt wird, ist schon besprochen. Warum der Zweite Laurentius heißt, ist nicht klar. Wenn Wright, Du M6ril u. a. ihn mit Laurentius von Durham identi- fizieren und glauben, daß der Satiriker auf ein Gedicht dieses Mannes anspiele, das in einem Vossianus erhalten sei, laufen sie nutzlos im Kreise herum; denn die 'Ver- sus Laurentii de dissuasione coniugii* des fraglichen Codex Leiden Voss. Lat. Fol. 31 f. 222^ sind nichts anderes als das Gedicht 'Sit Deo gloria, laus, benedictio* selbst. ^) Von dem Dritten, von Johannes, wird v. 28 gesagt 'os habens aureum*, in v. 123 dagegen 'hie sicut aquila videt subtilia*. Man setzt ihn also einmal mit Johannes Chry- sostomus, das andere Mal mit dem Evangelisten Johannes gleich. Häßners Meinung, die Dichtung müsse nach dem Tode des Petrifs de Corbolio entstanden sein, da der Goliarde einen Lebenden in solcher Weise nicht lächerlich zu machen gewagt haben würde, halte ich für falsch. Ist Petrus selbst etwa der Verfasser? Man hat es behauptet, in neuerer Zeit (1860) Ed. Tricotel in einer mir nicht zugänglichen, von U. Chevalier in der Bio- Bibliographie II 3706 zitierten Studie, bereits früher im Codex latinus 2962 der Nationalbibliothek Paris und in undatierten Inkunabeldrucken. ^) Von einem dieser Drucke

  • ) Vgl. die Besdirelbung durch L. Delisle in den Notlces et extraits. XXXVIII 741 sq.

') Vgl. Nouvclle biographle tmiverselle XI 771. ') Hain 5690 u. 11623.


168 Satirc auf die Frauen


(Hain 11623) habe ich das mir von der Auskunftsstelle der deutschen Bibliotheken nachgewiesene Exemplar der Berliner Staatsbibliothek in der Universitätsbibliothek München benutzen können. Als zweites Stück steht darin das Gedicht 'Sit Deo gloria, laus, benedictio' mit sehr viel mehr Versen als Wright bietet und mit dem Titel 'Remedium contra concubinas et coniuges per mo- dum abbreviationis libri Matheoli a Petro de Corbolio archidiacono Senonensi et eius sociis compilatum*. Die Bezeichnung 'Remedium* = Heilmittel ist natürlich scherzhaft gemeint und ist jung. Als Exzerpt aus einem Buch des Matheolus geht das Poem entweder deshalb, weil Mattioli ein berühmter italienischer Arzt des 15. Jahrhunderts gewesen ist, von dem mehrere Werke frühzeitig gedruckt wurden,^) oder weil kurz vor 1300 ein Matthäus von Boulogne eine erfolgreiche Satire gegen die Frauen verfaßt hatte, die im 15. Jahrhundert als 'Lamentationes Matheoli* wohlbekannt waren.*) Die Ansicht, daß Peter von Corbeil das Gedicht verfaßt hätte, ist einfach aus dem Vorkommen des Namens in den Versen fälschlich erschlossen. Die von A. Molinier^) als wahrscheinlich hingestellte Zuweisung an Walter Map ist ebenso unglaubhaft. Wieviel Wahres in dem ironischen Titel 'Guillelmi Loret XV gaudia matrimonii* steckt, der in dem Mazarincodex 3890 saec. XV aufge- führt wird, entzieht sich bisher meiner Beurteilung.

Ein außerordentlich oft im Mittelalter (abgeschriebenes frauenfeindliches Gedicht etwa des 12. Jahrhunderts be- ginnt gewöhnlich mit den Hexametern

'Arbore sub quadam dictavit clericus Adam, quomodo primus Adam peccavit in arbore quadam' und parodiert so die Dichter, die, wenn sie auf 'Adam'

  • ) Vgl. Hain 10905 f.

') Herausgegeben und erläutert durch A. G. van Hamel, Paris 1892 u. 1906, im 9S u. 96. Fascicule der Bibliothfeque de TEcole de Hautes Etudes.

^) Catologue des manuscrits de la Biblioth^que Mazarlne. III (1890) p. 22a

  • ) Die überliefernden Handsdu'iften hier aufzuführen, würde zuviel Raum beanspruchen.

Abdruck und Besprechung in den Münchener Sitzungsberidhten. III (1873) S. 709 ; Anzeiger, für Kunde der deutschen Vorzeit. XX (1873) S. 255 ff. ; Neues Archiv der Ges. für Ältere dcutche Gesdiichtskunde. VIII 291 » The En^lish historical review. II (1887) p. 525 sq. ; Jak. Werner, Beitrage (1905) S 28 f. ; C Pascal, Letteratura Latina medievale, Catania 1909, p. 106 sq.


Parodierte Liebesdichtung 169

ZU reimen hatten, stets Wendungen wie 'arbore sub (oder 'pro' oder 'de*) quadam* gebrauchten:

'Arbore sub quadam protoplastus corruit Adam

pomi lege data, petulanter ea violata* dichtet 1) Baudry de Bourgueil (f 1130),

'Arbore sub quadam stetit antiquissimus Adam* Hildebert von Le Mans;*)

'Arbore pro quadam protoplastus corruit Adam

quinque per etates condempnans posteritates* beginnt in einem Vorauer Codex saec. XII ein längeres Poem über die Erlösungsgeschichte ;^)

'Arbore de quadam fructum gustaverat Adam* lesen wir in einem Totenrotel für S. Bruno Carthu- siensis.*)

Mehr Spielerei als Parodie ist es, wenn ein die fleisch- liche Liebe bereuender, die Vergänglichkeit der Welt be- tonender Dichter mit Cato beginnt 'Cum animadverle- rem* und das immer von neuem variiert 'Cum animad- vertero*, 'Cum animadverteris' usw.^)

Die Liebespoesie, die kein Bedenken trug, aus geistlichen und sonstigen ernsten Texten zu schöpfen, ja diese gelegentlich zu parodieren, ist selbst nicht dem Schicksal des Parodiertwerdens entgangen. Ein Beispiel muß hier besprochen werden, da das Gedicht, wie es auch interpretiert werden mag, auf dem Gebiet der Liebe geblieben ist. Ich habe das Lied

'Frigus hinc est horridum, tempus adest floridum, veris ab instantia tellus iam fit gravida* der Carmina Burana (no. 55) im Auge. L. Laistner,^) S. Jaffe,^) H. Walther«) halten es für eine Parodie des

') Noticcs et cxtraits. XXXVIII 2 p. 410.

  • ) V^ Migne* Patrol. lat. CLXXI 1224, dazu Haurtou in den Notices et extraits. XXVIII 2

(1878) p. 409 sq.

') Neues Ardüv d. Ges. f. Altere deutsche Gesdilditskunde. II 402.

  • ) Migne, Patrol. lat. CLII 584 sq.

") Analecta hymnlca. XXI 109 aus drei Handschriften des 13. Jahrhunderts.

^) Golias S. 115.

^ Die Vaganten und ihre Lieder, Berlin 1906, S 11.

^) Das Streitgedicht in der lateinischen Literatur des Mittelalters, Mönchen 1920, S. 149.


1 70 Streitgedicht


Streitgedichtes von Phyllis und Flora. „Die Wendung der Flora in Str. 21 'dicis quod prevaleat lilio cicuta* hat vielleicht zu der Parodie der Altercatio Anlaß ge- geben, die in dem äußerst schlecht überlieferten Stück no. 55 der C. B. vorliegt. Dieselbe Streitfrage wird hier von Quendel und Ampfer erörtert; die eine der beiden Blumen ist für den Ritter, die andere für den Kleriker; die erste führt an, daß die Ritter Blumen auf Gewand und Schild führen, die andere sieht keinen Nutzen dar- in, da sie ja doch dabei zugrunde gehen müßten. Der Gang des Dialogs ist nicht recht klar; es sprechen außer den beiden Blumen auch zwei junge Mädchen, die aber nirgends eingeführt sind, Oulmont (p. 50) hält es daher für möglich, daß hier zwei Gedichte in der Überliefe- rung vermengt sind. Sicher scheint mir jedoch nur, daß die Überlieferung lückenhaft ist; denn in der auf uns gekonunenen Gestalt ist kein Zusammenhang darin zu finden." (H. Walther.) Gleich die erste Vermutung halte ich für hinfällig. Sollte der Hörer merken, daß eine ganz bestimmte Strophe eines bestimmten Gedich- tes parodiert wurde, so war es gewagt, ganz andere Blumen zu wählen, Thymian und Ampfer, die keines- wegs solche Gegensätze wie Lilie und Schierling sind. Und in der Parodie ist gar nicht vom 'Praevalere' der einen vor der anderen Blume die Rede. Gewiß, das Hauptthema, der Kampf um die Bevorzugung von Ritter oder Kleriker, ist dasselbe, und auch im einzelnen kann man, wenn man will, Anklänge finden. Aber diese weni- gen Anklänge sind schwach und könnten ohne Annahme einer Parodie aus rein äußerlicher Beeinflussung des kleineren Gedichts durch das größere erklärt werden, und der Liebeswettstreit zwischen Ritter und Kleriker ist im 12./13. Jahrhundert etwas ganz Gewöhnliches. Gh. Oulmont^) betrachtet, ohne von einer Parodie zu reden, Thymus und Lapathium als Streitrichter. Sie sind, das glaube auch ich, an die Stelle von Usus und Natura getreten, die in der Altercatio Phyllidis et Florae

^) Les d6bats du clerc et du dievalier, Paris 1911, p. 48 sqq.


Leidensgeschichte des ehebrecherischen Mönches 171

als Judices vorgeführt sind. Die beiden sind sich in den erhaltenen Versen vollkommen einig. Der eigentliche Streit steht in unserem Texte nicht. Man nimmt ge- wöhnlich an, daß die Oberlieferung starke Lücken habe. Meiner Meinung nach fehlt nichts oder wenig. Denn von Anfang an zeigt der Dichter Streben nach großer Kürze. Von einigen Einzelheiten abgesehen, ist nun der Gang des Dialogs klar. Der Dichter sagt: Jetzt ist Frühling. Alles grünt und blüht, die Vögel singen, — die Zeit der Liebe ist wieder da. Nun hört mich an, ihr Mädchen! Des Ritters Liebe ist nicht die rechte. Die Blumen da rings umher auf den Wiesen, sie können euch belehren. Thymian und Sauerampfer haben ihr Gutachten zugunsten des Klerikers abgegeben, Amor für ihn entschieden. Was die Blumen für den jungen Geist- lichen und gegen den Ritter einnimmt, ist, daß dieser Blumen gemalt, gestickt, irgendwie nachgebildet, auf dem Zeuge trägt, sie selbst aber vergehen läßt, der Geistliche dagegen die Früchte, den Samen des Geruches wegen zwischen die Kleidungsstücke streut, in Büchsen aufbe- wahrt. — Da merkt man gleich, wie das bis Str. 4 ganz ernsthafte Frühlings- und Liebesgedicht auf einen bur- lesken Ton sinkt. Man kann kaum von einer Parodie der Altercatio Phyllidis et Florae, vielleicht jedoch der Lie- beswettstreite überhaupt reden.

In der Prosa führt die Parodie zur Facetie, zur ero- tischen Novelle.

Häufig kommt seit dem 13. Jahrhundert eine Ge- schichte vom ehebrecherischen Mönche vor, der in sündiger Liebe zu einer Frau entbrennt, sich mit ihr verabredet und nächtlich bei ihr liegt, als der betrogene Mann zurückkehrt Der Mönch versteckt sich in einem Korbe, wird schließlich durch seine Tonsur verraten und nun verhöhnt und mit Verstümmelung der Genitalien grausam bestraft. Die Anekdote wäre nicht sonderlich interessant und würde wenig komisch wirken, wenn sie nicht in geborgte literarische Sätze gekleidet, wenn sie nicht wie ein geistliches Stück dar-


172 Leidensgeschichte des ehebrecherischen Mönches

geboten wäre. Die wohl älteste — bisher ungedruckte*) — Form, die ich aus Codices von B^sangon, Cambridge, Oxford und Rom kenne, gibt sich als eine Predigt, als ein erbaulicher Vortrag über das Leben und Wesen eines Mönches. Die Einleitungsphrasen 'Fratres illu- strissimi, parumper disserere cupiens ad reverentiam vestram subsistere dignum duxi et ideo loqui pro- hibeor, eins tamen innumeris animatus excessibus avito incedendi affectu totus aestuo et ideo tacere non possum, verumptamen tantae professionis pre- rogativam convitiis vel insultationibus exacerbare turpe est et ideo loqui prohibeor* erinnern stark an Wal- ter Maps Dissuasio Valerii ad Rufinum philosophum ne uxorem ducat, die mit den Worten 'Loqui prohibeor et tacere non possum' beginnt und diese Sätze oft wieder- holt. ^ Auch Peter von Blois fängt einen Brief an den König von England mit 'Loqui vereor et tacere non expedit' an. ^) Obwohl ich die Möglichkeit zugeben muß, daß eine rhetorische Wendung mir unbekannten Ur- sprungs zugrunde liegt, halte ich es doch für das Wahr- scheinlichste, daß die erotische Parodie, die in England oder Frankreich entstanden ist, die Phrase aus der sehr beliebten Dissuasio Valerii ad Rufinum genommen hat. Nach der Einleitung schildert unser Text den Mönch und sein schlimm verlaufenes Liebesabenteuer mit Wor- ten der Bibel! Ziehe ich im allgemeinen die Oxforder HLudschrift vor, so sind doch auch die anderen Text- zeugen von großem Interesse, zum Beispiel deshalb, weil si3 nicht selten an bestimmten Stellen mit der jüngeren Redaktion übereinstimmen. Es erscheint nämlich in der Überlieferung des 15. Jahrhunderts dieselbe Anekdote als 'Passio cuiusdam (nigri) monachi (secundum luxu- riam' oder 'sec. Fabianum*) in Codices von Graz, Leipzig, Lübeck, Mailand, Paris und Prag. Da jeder Textzeuge von dem anderen mehr oder weniger abweicht, ist es

M Vgl. Textanhang.

«) Vgl. De nugis curiallum, ed. M. R. James p. 143 Z. 2, 5; 144 Z, 2 f., 4 f., 7, 10. 15, 20« 145 Z. 2, 5, 9.

3) Migne, Patrol. lat. CCVII 298.


Leidensgeschichte des ehebrecherischen Mönches 173

wiederum schwer, ja wohl unmöglich, einen Normaltext zu rekonstruieren. Die Überschrift soll natürlich an die Passio Domini nostri Jesu Christi, die Anfangsformel 'In illo tempore' an die Evangelienperikopen des christlich-katholischen Gottesdienstes erinnern. Der Er- zähler geht gleich medias in res, ist auch bei Beschrei- bung der Buhlerin wortkarger, bietet indessen im Grunde das gleiche. Die Bibelzentonen sind fast immer dieselben wie in der älteren Redaktion. Ob es sich um Psalmensprüche oder um Jesusworte, um was sonst handelt, ist dem Parodisten ganz einerlei, wenn er aus ihnen den Text seiner Novelle, die Gespräche seiner Personen zusammenstellen und recht starke Kontraste erzielen kann zwischen der Heiligkeit des Ursprungs und der Profanität der Verwendung. Ihrerseits hallt die Geschichte vom ehebrecherischen Mönch nach in der Unsinnspredigt vom Nichts.^) Man vergleiche z. B. den Satz 'Erat autem puella pulchra facie decoraque aspectu, supra quam nuUus hominum sedit nisi 144000 ex omni natione quae sub coelo est. Et osculatus est eam et dixit „Quid adhuc egemus testibus?" Im Ox- forder und römischen Text der erotischen Predigt steht die Zahl der Liebhaber der Frau noch nicht, wohl aber in der Handschrift von Besan^on und in allen Manu- skripten der Passio. So hat die Lübecker Fassung 'vidit unam pulchram circa ignem sedentera que garru- labat se esse virginem, supra quam nullus hominum solus sedebat, sed 144000 hominum qui empti sunt pre- cio magno, et in die omnium sanctorum 12000 signati et in die palmarum turba multa et in die ascensionis omnes gentes et in actibus apostolorum ex omni gene- racione quae sub celo est, et in 3. declinacione Donati 78 vel paulo plus et in medio eiusdem relique pene omnes et in fine psalterii '^Quicumque wlt", et post hec venit turba magna quam nemo diminuare poterat* Daß der Ehemann den nackend in einem Korbe Ertappten fragt: 'Freund, warum bist du hierher gekommen?' findet sich

  • ) Vgl. unten S. 244 f.


1 74 Trinklieder


Überall, der Zusatz 'ohne hochzeitliches Gewand* nur in der Passio. Und so sind dem erotischen Schwank in den verschiedenen Abschriften verschiedene Nuancen gegeben. Zotig, derb, voll Grausamkeit und dabei durch die Parodie fast immer witzig, gehört die Geschichte zu den besten Vorläufern der Novellen und Fazetien Boc- caccios, Poggios u. a.


2. Zechen, Schlemmen und Spielen

Secundo redarguor etiam de iudo, sed cum ludus corpore me dimittat nudo, frigidus exterius, mentis estu sudo, tunc versus et carmina meliora sudo.

Tertio capitulo memoro tabemamt illam nulio tempore sprevi neque spemam, donec sanctos angeios venientes cemam, cantantes pro mortuis 'Requiem etemam^

Meum est propositum in taberna mori, ut sint vina proxima morientis ori. Tunc cantabunt ietius angelorum chorit

  • Sit I>eus propitius huic potatori*.

Poculis accenditur animi iucema, cor inbutum nectare volat ad superna. Mihi sapit dulcius vinum de taberna, quam quod aqua mfscuit presulis pincema.

(Ardiipoeta.)

Viele Parodien des Mittelalters sind in der Studier- stube erdacht und haben zumeist in den Büchern der Gelehrten gelebt. Zu denen, die aus frischem Genießen hinaus in andere, weitere Kreise gedrungen sind, ge- hören hauptsächlich diejenigen, die von Zechen, Schlem- men und Spielen sowie von den Freuden und Leiden des Bummel- und Vagantenlebens singen und sagen.

Manches mittelalterliche Trinklied ist Parodie oder zum Teil parodistisch. Statt der berühmten ins 11. Jahr- hundert zurückreichenden Mariensequenz ^)

') Analecta hymnlca. LIV no. 218.


Trinklieder 1 75


'(1) Verbum bonum et suave personemus illud Ave, per quod Christi fit conclave virgo, mater, filia.

(2) Per quod Ave salutata mox concepit fecundata virgo, David stirpe nata, inter spinas lilia.


(3) Ave veri Salomonis mater, vellus Gedeonis, cuius magi tribus donis laudant Puerperium.


(6) Supplicamus: nos emenda, emendatos nos commenda tuo nato ad habenda sempiterna gaudia',

erscholl aus der Kneipe der Kantus^)

« 

'Vimun bonum et suave, bonis bonum, pravis prave, cunctis dulcis sapor, ave, mundana laetitia.

Ave, felix creatura, quam produxit vitis pura, omnis mensa fit secura in tua praesentia'

usw. den Wein statt der Gottesmutter Maria preisend bis zur Schlußstrophe, die gleich dem Anfang besonders deutlich parodistisch ist:

'Supplicamus: hie abunda, per te mensa fit fecunda,

^) Texte z. B. bei Mone im Anzeiger für Kunde des tcutsdien Mittelalters. 11 (1833) S. 189 ff.; bei Daniel im Thesaurus hymnologicus. I (1841) S. 282; bei E. du M^Ü, Po^sies populaires (1847) p. 204 sq.; bei Straccali, J goliardi, Florenz 1880, p. 90; bei Bergman Ur medeltiden poesie, Stockholm 1889, p. 184 sqq.


176 Trinklieder


et nos cum voce iocunda

deducamus gaudia/ Die Varianten und Variationen sind zu zahlreich, als daß sie hier alle erörtert werden könnten. Eine weit- verbreitete Fassung^) beginnt mit der 3. Strophe der offenbar älteren 'Vinum bonum et suave'-Form:

'Ave, color vini clari,

ave, sapor sine pari,

tua nos letificari,

dignetur potentia' und schließt:

'Ergo vinum collaudemus,

potatores exaltemus,

non potantes confundemus

per eterna secula' oder

'ad inferna palatia' oder

'in aeterna supplicia'. Überall klingt die Sprache der kirchlichen Lieder durch. Bezeichnenderweise steht der Text z. B. in Mün- chen lat. 23108 als Anhängsel zu einem Psalterium deut- schen UrsprungS5 ^Iso zu einer echt liturgischen Hand- schrift und fügt außer einem verstümmelten 'Vivat < in eternum > qui dat nobis < vinum > Folernum'

noch das Gebet ^) an: 'Dens, qui nos potestate vini et fortitudine ipsius hodierna die multorum capita dolere fecisti, concede, ut quorum cenali potacione capita ledan- tiu' matitudinali reiteracione recurentur per eundem Ci- phum et Bachum, qui nos dignetur perducere ad eun- dem ebrietatem. Amen.*

Dieselbe Parodie der Mariensequenz liegt den Liedern zugrunde, die uns Abt, Prior und Konvent beim Zechen vorführen.

'Vinum bonum et suave

bibit abbas cum priore,

  • ) Vgl. Monc im Anzeiger für Kunde des teutsdicn Mittelalters. II (1833) S. 190 f.;

Th. Wright, Early mysterics etc, London 1838, p. 120; Du M6ril, Po^sies populaires (1847) p. 204 ; Straccali, J goliardi, p. 90.

) Ahnlidi Karlsruhe St. Blasien 77 f. 302 «.


Trinklieder 1 77


sed conventus bibit male,

Virgo mater aspice'

usw.

notiert^) der Medizinstudierende Johann Fink saea XV

in seinem Vorlesungsheft Wolfenbüttel Cod. Heimst 886 f.

164»;

'Vinum bonum con sapore

bibit abbas cum priore,

aqua datur fratribus'

usw.

steht in Hamburg») Ms. theol. 1478 in 4<> f. 16 R;

'Boniun vinum cum sapore bibat abas cum priore, conventus autem de peiore'

zitiert*) eine italienische Handschrift saec. XV in Bres- lau als 'Proverbium d. f. s. Pontiani';

'Viniun bonum cum sapore

bibit abbas cum priore

et conventus cum priore,

semper solent bibere* usw. in Aarau Wb. 59 q. aus Wettingen. In dieser Wettinger Überlieferung*) ist der Schluß wieder ganz pseudo- liturgisch :

'non bibentes

confundentes alterna tristitia.

Audi, nos. Nam rustici, qui sunt semper contra nos. Da eis aquam bibere, da nobis vinum bonum consumere.

Versus: Rustici sunt laeti,

quando sunt repleti. Resp.: Et sunt inflati,

quando sunt inebriati.

^) Vgl. E. HenricU Spradimisdiung In alterer Diditung Deutsdüands, Berlin 1913, S 90. Vgl. über Fink meinen Au^tz Lebensnadiriditen eines süddeutschen Arztes vom Ende des Xuttelalterst Historisdies Jahrbudi. XXXVII (1916) S. 394-396.

  • ) Henrici, a. a. O.
  • ) Vgl. K. Ziegler, Catzdogus codicum latinorum classicorum in bibl. urbica Wratislaviensi

p. 4S

  • ) Vgl. Jak. Werner, Beitrage (1906) S 211 f.

Lehmann / Parodie im Mittelalter 12


178 Trinklieder


Deus, qui multitudinem rusticorum congregasti et ma- gnam discordiam inter eos et nos seminasti, da, que- sumus, ut laboribus eorum fruamur et ab uxoribus eorum diligamur. Per omnia pocula poculorum. Amen.'

Auch das Weinlied^) des Schulmeisters Morandus von Padua aus dem 13. Jahrhundert

'Vinum dulce, gloriosum pingue facit et camosum atque pectus aperit'

wird durch 'Vinum bonum et suave' angeregt und be- einflußt sein. Ob es luunittelbar einen bestimmten Hym- nus parodiert, ist noch nicht erwiesen. Die Schluß- strophe

'Alba limpha maledicta

Sit a nobis interdicta, quia splenem provocat'

lehnt sich an Marienlieder an, die mit 'Ave virgo bene- dicta' anfangen.*)

Auf das Poem des Morandus geht z. T. das Ende

'Alba limpha maledicta

Sit nobis interdicta,

ut durat ista regula

per infinita secula. Stramen!*

des folgenden Kneipgesanges ^) zurück.

Jam lucis orto sidere statim oportet bibere. Ergo beati eritis, si bene potaveritis.


Si non bene biberitis, salvi esse non poteritis. Bibamus ergo egregie, ut rebibamus optime;


^) Bester Text in O. Holder-Eggers Salimbeneausgabe, MG. SS. XXXII 219.

  • ) Vgl. U. Chevalier, Repertorium hymnologicum» I 128 ) IV 52.
  • ) Aus einem Codex saec XIV der Bibliotheca Guamacci di Volterra. herausgeg. von

L Suttina in den Stndi medievali. 11 563 sqq.* aus derselben Handschrift Funaloli in den Studi Itaiiani di fUologia classica. XVIH (1910) p. 154.


Trinklieder 179


ut in solemni requie possimus esse hodie, bibere et rebibere et rebibendo bibere.

Omnis ergo noster f rat er bibat semel, bis, ter, quater, bibat primo et secundo, donec nichil sit in^fundo.

Vinum limphatum conturbat viscera fratrum: qui aquam ponit in Falerno, sit sepultus in inferno.

Alba limpha maledicta sit nobis interdicta, ut dural ista regula per infinita secula. S t r a m e n.

Von der gern in der Hymnodie gebrauchten Am- brosianischen Zeile 'lam lucis orto sidere' an bis zum 'Stramen' statt 'Amen* ist das Lied voll parodistischer Einzelheiten. Die auffälligsten Stellen habe ich durch Sperrdruck hervorheben lassen. Das Gedicht scheint in Italien entstanden zu sein und dort besonderen Anklang gefunden zu haben. G. Mazzoni hat die verschiedentlich bedeutend abweichende Fassung eines Codex saec. XIV ex. von Cörtona publiziert,^) L. Bertalot mich auf einen Textzeugen in Bergamo privatim aufmerksam gemacht. Aus einem Venetianus saec. XVI druckte bereits 1883 F. Novati folgende Verse ab:*)

lam lucis orto sidere statim oportet bibere. Bibamus nunc egregie et rebibamus hodie.

') Atti e memorie della r. accademia di scienxe, lettere ed arti in Padova. N.S IX (Padua 1893) p. 49.

  • ) Cannlna medii aevi, Florenz 1883, p. 66 sq., wiederholt durdi B. Haurtou im Journal

des savants 1884 p. 405.

12*


180 Trinklieder


Quicumque vult esse frater, bibat semel, bis, ter, quater, bibat semel et secundo, donec nihil sit in fundo.

Bibat ille, bibat illa, bibat servus et ancilla, bibat hera, bibat herus, ad bibendum nemo serus.

Potatoribus pro cunctis, pro captivis et defunctis, pro imperatore et papa bibo vinum sine aqua.

Hec est fides potatica, sociormn spes unica, qui bene non potaverit, salvus esse non poterit

Longissima potatio

Sit nobis salutatio.

Et dm-et ista ratio

per infinita secula. Amen.' Die zweite Strophe ist oft selbständig geworden. So hat 1469 ein Bayer — in München lat 5942 f. 92 v — die Verse aufgezeichnet :0

'Quicumque vult esse frater,

bibat semel, bis, ter, quater,

bibat semel et secundo,

donec nichil sit in fimdo.

Nunc pro rege et < pro > papa

bibo vinum sine aqua.

Hec est fides apotheca,

sociormn spes imica.

Qui bene non potaverit,

salvus esse non poterit'

<) Verwandtes bei Du M^l, Po^es populaires (1847) p. 202 und — nadi Bertalot — bei Joh. Pebus de Memel, Lustige GeseUsdiaft (169^ no. 768.


Trinklieder 181


In München lat 10751 westfälischen Ursprungs steht die 'Exhortatio ad potandum perutilis' direkt vor der Saufmesse. Die 'Fides' wird da, wie oben S. 180, klar 'po- tatica' genannt: Um ein bacchantisches Glaubensbekennt- nis handelt es sich. Es ist kein Zufall, daß der Beginn an das Athanasianische Symbol 'Quicumque' anklingt Die komische Aufzählung der Trinker ist ein alter Scherz der Goliardenpoesie. Man trifft ihn bereits in einen Kneipgesang der Carmina Burana (no. 175) eingefügt :^)

'In tabema quando sumus, non curamus quid sit liumus, sed ad ludum properamus, cui semper insudamus. Quid agatur in tabema, ubi nummus est pincerna, hoc est opus, ut quaeratur, si quid loquar, audiatur.

Quidam ludunt, quidam bibunt, quidam indiscrete vivunt Sed in ludo qui morantur, ex bis quidam denudantur, quidam ibi vestiuntur, quidam saccis induuntur. Ibi nuUus timet mortem, sed pro Bacho mittunt sortem»

Primo pro nmnmata vini. Ex hac bibunt libertini. Semel bibunt pro captivis, post haec bibunt ter pro vivis, quater pro Christianis cunctis, quinquies pro fidelibus defunctis, sexies pro sororibus vanis, septies pro militibus silvanis.

') Am einer böhmiachea Handschrift veröffentlichte Feifallk in den Wiener Sitzungs«  beriditen XXXVI (1861) S 170/1 das Gedicht in einer vielfach abweidienden Fassung.


182 Trinklieder


Octies pro fratribus perversis, novies pro monachis dispersis, decies pro navigantibus, undecies pro discordantibus, duodecies pro paenitentibus, tredecies pro iter agentibus. Tarn pro papa quam pro rege bibunt omnes sine lege.

Bibit hera, bibit herus, bibit miles, bibit clerus, bibit ille, bibit illa, bibit servus cum ancilla, bibit velox, bibit piger, bibit albus, bibit niger, bibit constans, bibit vagus, bibit rudis, bibit magus,

bibit pauper et aegrotus, bibit exul et ignotus, bibit puer, bibit canus, bibit praesul et decanus, bibit soror, bibit frater, bibit anus, bibit mater^ bibit ista, bibit ille, bibunt centum, bibunt mille.

Parum centum sex nummatae durant, ubi inmoderate bibunt omnes sine meta, quamvis bibant mente laeta. Sic nos rodunt omnes gentes, et sie erimus egentes. Qui nos rodunt, confundantur et cum iustis non scribantur/

Ludwig Laistner^) hat dieses „Kneipleben" folgender- maßen frei übersetzt:


') GoliaB & 7 ff.


Trinklieder 183


So wir sitzen in den Schenken, darf uns Erdennot nicht kränken; nein, da gilt es Kurzweil treiben, also war's und soll es bleiben. Was getrieben in der Welt wird, wo geschenkt für bares Geld wird, das ist eine nöt'ge Frage, drum vernehmet, was ich sage.

Hier ein Spiel, ein Suff daneben, dort ein wahres Heidenleben. Wo des Spieles wird gepflogen, sieht sich mancher ausgezogen, klopft ein andrer stolz die Tasche, sitzt der Dritt' in Sack und Asche. — Wer wird um den Tod sich scheren? Losung ist: zu Bacchus Ehren!

Lostrunk eins: wenn trifft die Zeche? Dann so fort in Frisch' und Freche: allen, so in Banden schweben! Drittens: wer da lebt soll leben! Viertens: jeder Christ hienieden! Fünftens: wer im Herrn verschieden! Sechstens: jede flotte Musche! Siebentens: die Herrn vom Busche!

Achtens: der Dummen-Brüder-Orden! Neuntens: wer fahrnder Mönch ist worden! Zehntens: wer zu Schiff gegangen! Elftens: wer Händel angefangen! Zwölftens: wer im Bußgewand ist! Schließlich: wer da über Land ist! Außer der Reih für Papst und Kaiser trinken und schrei'n sich alle heiser.

Trinkt der Sie- und trinkt der Erstand, trinkt der Wehr- und trinkt der Lehrstand,


184 Trinklieder


trinket dieser, trinket jene, trinkt der Knecht und seine Schöne, trinkt der Flinke, der Verhockte, trinkt der Blond- und Schwarzgelockte, trinkt der Stät' und Wetterwendge, trinkt der Tor und der Verständge.

Trinkt der arme Mann im Spittel, trinkt der Fremd' im Elendskittel, trinkt die Jugend, trinkt das Alter, trinkt Dekan und Vorbestallter, trinkt das Mägdlein, trinkt der Knabe, trinkt die Mutter, die Ahn' am Stabe, trinkt so Weib, als Männlein, bede, trinken tausend, all und jede.

Wie soll da das Geldlein reichen. Wenn in Zügen sondergleichen alles ohne Maß und Ziel trinkt, ob auch schon mit Hochgefühl trinkt? Da will uns die Welt bekritteln : Ei das hilft uns nicht zu Mitteln. Jeder Krittler soll verflucht sein, nie im Himmelsbuch gebucht sein!'

Parodistisch sind die Schlußworte 'et cum iustis non scribantur', die den Psalmen (LXVIII 29) entnommen sind, parodistisch — was die deutsche Übersetzung nicht recht zutage treten läßt — in der dritten und vierten Strophe die Fürbitten, die kirchliche Gebräuche nach- äffen. Die Verse

'bibit ista, bibit ille,

bibunt centum, bibunt mille' machte sich auch der Florentiner Buoncampagni bei der Verspottung des religiösen Schwärmers Johann von Vincenza nutzbar.^) 'Hie (seil. Buonc.) cum more Flo- rentinormn trufator maximus ^sset, quendam rithmum


») Salimbene zum Jahre 1233. MG. SS XXXU 77 sq.


TrinkUeder 185


fecit in derisionem fratris Johannis de Vincentia, cuius nee prindpium reminiscor nee finis, quia multa tem- pora sunt, quod non legi ipsum, et, quando legi, non bene commendavi memorie, quia nee multum curabam. Erant autem ibi verba ista, prout memorie occurrunt:

"Et Johannes iohannizat, et saltando choreizat Modo salta, modo salta, qui celorum petis alta! Saltat iste, saltat ille, resaltant cohortes mille, saltat Chorus dominarum, saltat dux Venetiarum."

Die Steigerung der Freuden des Trinkens schildert das Gedicht^)

'Ad primum morsum nisi potavero, mortuus sum* bis zu den Versen

'Quando bibo decies, est mihi magna quies. Det Dens huic requiem, qui bibit ante diem. Amen/

Diese z. B. im Sanblasianus 77 zu Karlsruhe mit dem vorhergehenden Stück verbundenen, auch in Amiens 357 saec. XIV f. 148^^ und sonst erhaltenen 'Versus de ebrietate'

'Discite, discatis,

quis Sit modus ebrietatis.

Hie canit, hie plorat,

hie scandalizat, hie orat'

usw. sind nicht parodistisch. Dagegen schließt die 'Alter- catio vini et cerevisie' 'Ludens ludis miscebo seria' ganz bewußt hymnusähnlich:*)


') F. Novatl, Carmina medU aevi p. 67 sq. ; Variationen in München lat. 14796 f. 213 R «aec. XV und Karlsruhe St. Blasien 77 f. 302 R, für L. Bertalot von A. Holder kopiert.

") A. Bömer in der Zeitschrift f. deutsches Altertum. XLIX (1907) S. 202.


186 TrinkgdMste

'Bachus vero vincit flagrantia thus, aroma, rbsam et lilia. Bacho demus laudes cum gloria, decantemus omnes: Alleluja.'

Gebetsparodien sind die Bacchusanrufungen. So die Verse ^) Reinhers, eines Kanzlers der Landgrafen von Thüringen

'Bache veni, Dens alme veni! Quid carcere tardas? Linque ciphum, perfunde cibum, illabere venis et duplex operare bonum. Nam coUuis escas cordaque mesticie discussa nube serenas/

So femer das Lied der Benediktbeurer Sammlung^) mit dem Anfang

'Bache, bene venies

gratus et optatus,

per quem noster animus

fit letificatus' und dem Schluß

'Bache, Dens inclite,

omnes hie astantes

laeti sumus munera

tua praelibantes.

Omnes tibi canimus

maxima praeconia,

te laudantes merito

tempora per omnia/

Und ist es nicht eine parodistische Übertragung der Allmacht Gottvaters, der Wunderkraft Jesu Christi auf den Gott des Weines, wenn es in den Benediktbeurer Liedern^) ertönt: 'Tu das, Bache, loqui, tu comprimis ora loquacis,

ditas, deditas, tristia laeta facis. Concilias hostes, tu rumpis foedera pacis,

et qui nulla sciunt, omnia scire facis.

  • ) W. Wattenbadi aus MCkndien lat. 4394 saec XV im Anzeiger f. Kunde d. deutsdien

Vorzeit. 1879 S 100.

  • ) C. B. no. 178. Ober Ovidianisdies darin vgl. Hermann Unger, De CMdiana in cor*

minibus Buranis quae dicuntur imitatione, Berliner Diss. 1914* S 23.

  • ) C B. no. 178a.


Trinklieder 187


Multis clausa seris, tibi panditur archa tenacis,

tu das, ut detur, nil dare posse facis. Das caeco visum, das claudo crura salacis.

crederis esse Deus, haec quia cuncta facis. Ergo bibamus' usw.?

Das Trinklied^) 'Denudata veritate* preist den Wein als Gott Ein ausgelassener Poet erkühnt sich, zu sagend

'Cum ergo salutamus vinum, tunc cantamus: "Te Deum laudamus"', wie es auch in einer Variation*) der Beichte des Ex- poeten heißt

'Vinum super omnia bonum diligamus. Nam purgantur viscera, dum vinum potamus. Cum nobis sint copia, vinum dum clamamus: "Qui vivis in gloria, te Deum laudamus. Die Mischung von Frechheit und Frische in der ur- sprünglichen Beichte selbst versteigt sich nur zu dem Wunsche, daß der Tod den Zecher beim Kneipen ereile und die Engel ihm ein Requiem sängen und Fürbitte für ihn einlegten.*)

Mit scheinbarem Ernst beginnt ein anderer Dichter seine Aufforderung zum Pokulieren mit einem Zitat der moralischen Disticha Catonis*)

'"Ciun animadverterem," dicit Cato.* Der Schluß parodiert die Doxologie eines Hymnus 'Conventus iste nobilis laetetur bis conviviis et mera mente gaudeat et dignas laudes referat


') MG. SS. XXXU 430 sqq.

') C B. no. 182.

') Poems attrib. to Walter Mapes, ed Wright p. XLV.

^ Vgl. die dem Kapitel von uns vorausgeschickten Verse.

•) C B. no. 195.


188 Quondam fuit factus festus

summo patris filio et hospiti largissimo tali dicto nomine, ut longo vivat tempore/

Die berühmte Weinparodie 'Vinmn bonum et suave* gab spätestens zu Anfang des 14. Jahrhunderts in Eng- land die Strophenform, den durchlaufenden Reim der Siebensilber imd vermutlich die Melodie auch der langen launigen Burleske vom Abt und Prior und den Mönchen, die beim Kneipen in Zank geraten:

'Quondam fuit factus festus et vocatus ad comestus abbas prior de Leycestris cum tota familia/

Eine Parodie ist dieses Gedicht, über das «uns W. Meyer — ohne die reiche Überlieferung ganz zu kenne^n — eine scharfsinnige Abhandlung geschenkt hat, eigentlich nicht, sondern eine derb-humoristische Erzählung mit parodistischem Einschlag. Parodistisch könnte man z. B. nennen die Verwendung des Pauluswortes 1. Kor. X 12 'Qui se existimat stare, videat ne cadat* in Str. 2

'Qui stat, vide ne cadatis. Multum enim de prelatis sunt deorsum descendatis propter avaricia;' in Str. 14 das Gebet

'Rogo, deus maiestatis, qui nos fecit et creatis, ut hoc vinum, quod bibatis, possit vos strangulia.*

Ist auch die Sprache, die absichtlich in der lustigsten Weise gegen die Regeln der Grammatik verstößt, Paro- die? Insofern ja, als der Dichter des Spasses halber das korrekte Latein verzerrt, nein, insofern er schwerlich durch Vergröbern und Häufen von Sprachschnitzern sich über miserables Mönchslatein lustig machen will. Es gibt noch mehr Proben von solchem Spott- und


Scherzlatein} Schweigerabt 189

Scherzlatein aus dem Mittelalter. Zur Verhöhnung kleri- kaler Unbildung oder als Waffe gegen Übereleganz und Maniriertheit ist das Scherzlatein aber erst seit den Tagen der Renaissance und des Humanismus ausgebil- det, angewandt worden, z. B. im 'Codrus* des Johannes Kerckmeister zu Münster i. W. (1485), wo ich das früheste — meist übersehene — Beispiel^) für die Be- nennung schlechten Laieins nach der Küche feststelle, in Schülergesprächen, dann mit Meisterschaft bei Fo- lengo, in den Dunkelmännerbriefen, bei Rabelais u. a. Heute macht die Burleske 'Quondam fuit factus festus* den Eindruck eines Ulkes. Daß anfänglich mit diesem eine satirische Absicht wenigstens nebenbei verbunden gewesen wäre, möchte ich nicht verneinen, ebenso wie die von Thomas Wright veröffentlichte *) Prosaerzählung 'Magister Golyas de quodam abbate. Circa horam diei secundam vel tertiam* einen bestimmten Abt aufs Korn genommen haben dürfte. Dieser Schwank schildert gro- tesk den Tageslauf eines Abtes, vor allem sein maßloses Saufen und Fressen. Des Prälaten Gedanken drehen sich dariun, wie er seinen Bauch füllen kann. 'Plus me- ditatur de eo quam de Deo, plus de salsamentis quam de sacramentis, plus de salmone quam de Salomone.' Das sind die Meditationen, von denen Filippo Ermini*) in einer Weise spricht, daß man denken könnte, ein Pa- rodist hätte einem Traktat De sacramentis et de Salo- mone förmlich längere Meditationen De salsamentis et de salmone entgegengesetzt. Es handelt sich bloß um eine der vielen scherzhaften Antithesen des Goliasulkes, wobei das sehr beliebte*) Wortspiel Salomo — salmo gebraucht wird. Der Spötter fährt fort: 'Der Bauch ist

^) Ardiiv für Literaturgesdiichte XI (1882) S. 340.

  • ) The poems attributed to Walter Mapes p. XL sqq.

') La cultura. I (1922) p. 123.

  • ) Vgl. Petrus de Riga, Historia de Susanna, Migne CLXXI 1291 ; Alanus de Insula,

Summa de arte praedicatoria cap. 36, Migne. CCX 180 t Godefridus de Thenis, Omne punctum V. 320 sqq., ed Fr. Jacob, Lübeck 1838, p. 54 t das Gedicht *Simt qui rectum non attendunt', Anzeiger f. Kunde d. deutschen Vorzeit. N.F. XVIU (1871) S. 232 t der Domini. kaner Johannes von Paris, genannt Pungens asinum, saec. XUI in einer Predigt, vgl. Histoire litt^aire de la France. XXV 2^(die Bekanntschaft nüt dieser Stelle verdanke idtk der Güte des Herrn Prof. M. Grabmann) t König Ludwig IX. von Frankreidi in cdnem Sdireiben an die Kardinäle, 1. c


190 Vom Sdiwelgerabt


sein Gott, sein Ruhm liegt auf seinem Gaumen, und so erfüllt er, was da geschrieben steht „Suchet zuerst das Reich Gottes". Wie da Matthäus VI 33 ironisch-paro- distisch angeführt ist, so im weiteren Verlaufe noch manches andere Wort, z. B. 'O quam bonus pastor et quam digne electus, qui non solum non ponit animam pro ovibus, sed cui parum est, quod totus grex moriatür, ut ipse solus vivat abunde' nach dem 10. Kapitel des Johannesevangeliiuns. Gemäß Deuteron. XXXII 14, einer gern zitierten Stelle, ist der Abbas 'pinguis et rotundus, incrassatus et dilatatus', er kann mit dem Apostel aus- rufen 'quis infirmatur, et ego non firmor, quis scanda- lizatur, et ego non gratulor' (2 Kor. XI 29) usw. Den breitesten Raum nimmt ein, wie sich der Abt üppig kleidet, — 'sed de hiis alias expressimus in posterioribus analectis videlicet iuvencularum nostrarum in libro quarto de lenocinio* (p. XLI), ein fiktiver Hinweis, — wie er sich wollüstig Bacchus und Venus widmet und das alles unter steter Umgehung der Ordensregeln und Mönchsgewohnheiten, 1) z. B. 'abstinetne ab omni carne? Non, sed a quadrupedibus tantum. Comeditne volatilia pennata? Non, sed si fuerint deplumata et cocta, tunc vescitur ipsis, quia oriuntur ab aquis, sicut et pisces, quibus uti est illis satis licitum. Sumunt etiam sui erro- ris defensionem ab auctoritate b. Ambrosii qui ait „Ma- gne Dens, potenter qui ex aquis ortum genus partim remittis gurgiti partim levas in aera". Remittis itaque, domine abbas, gutturi tui ea quae sursum levantur in aera sicut et ea quae remittuntur gurgiti, utra- que enim ex aquis orta sunt; remittis, inquam, gur- giti tuo pavones, cignos, grues et anseres, gallinas et gallinaceos, id est gallos castratos. Gallos autem veros non comedit. Quare? Quia caro ipsius durior est et minus saporifera palato. Est ratio et altera: Si gallos comederet simul cum gallinis, tunc tota eorum destrue- retur propago, quod optaret serius quam calefieri ad caminiun ignis. Est et tertia que versimilior videtur,

M Nähere Untersuchung und Vergleichtmg würde sich lohnen.


Vom Schweigerabt 191


videlicet: quod ideo gallos non comedit, quia plus va- lenl galllnacii qui fiunt de gallis, cum fuerint castrati. Non enim eorum reformidat propaginis defectum, idum gulae placeat et castiget ingluviem. Corvos vero iurat se nuUo modo velle comedere, quia cum missus esset de archa Noe invento cadavere noluit reverti, sicque probat, quod nequam sit et utilis' (p. XLII) usw. 'Praeter praedicta ova comedit saepissime, quia regularia sunt et conservatoria sanitatis; cibus enim comfortabilis est et digestibilis et teste Ovidii aliquid habet in se petu- lantiae, quod in hiis plus placet. ßed quia rigore regulae coarctatur, ne quinarium numeriun excedat, comedit

V dura, V moUia, V frixa, V lixa, V cumino dealbatä,

V pipere denigrata, V in artocreis, V in artocaseis, V puJmentata, V sorbilia, V in brachiolis conflata; quae licet per computationem sint LV, divisim tamen sumpta non sunt nisi V* (p. XLIII) usw. Außer den Speisen, bei denen das 'moretum Virgilii* nicht fehlt, trinkt der Abt die köstlichsten Weine in unendlichen Mengen, und zwar die liturgischen Fürbitten parodierend 'bibit semel, sed multum pro pace et stabilitate ecclesiae, bis pro praelatis, ter pro sibi subditis, quater pro captivis, quin- quies pro infirmis, sexies pro aeris serenitate, septies pro maris tranquillitate, novies pro peregrinantibus, de- cies pro domi sedentibus, undecies ut parum comedant monachi, duodecies ut multum comedat ipse, tredecies pro universis Christianis, quaterdecies pro rebus huma- nis, quinquies et decies, ut Dominus Dens rorem mittat super montem Gelboe, quo messes albeant, vineae flo- reant et germinent mala punica et sie numero impari numeriun potationum concludit iuxta illud "Numero Dens impari gaudet" (p. XLIII) usw. Ähnlich ließ der Garsiastraktat ^) den Erzbischof von Toledo 'Grimoardus* vor den Kardinälen trinken für das Heil der Welt, für die Erlösimg der Seelen, für die Kranken, für die Erd- früchte, für den Frieden, und überhaupt hat das Zechen in dieser Satire des 11. Jahrhunderts ähnliche Züge

') Vgl. oben S 47.


192 Schwelgen in der Goliasapokalypse

wie das Saufen des Abtes in dem jüngeren Goliasr schwank, ohne daß Abhängigkeit bestehen dürfte: Als der Abt stets von neuem trinkt, ruft der Goliarde aus 'Hae sunt passiones quas patitur pro Christo* (p. XLIII), in der antikurialen Parodie des Garsias^) ermuntert Papst Urban die saufenden Kardinäle 'Vere beati, quLi multas potationes passi estis propter iustitiam\ Andere Seligpreisungen folgen:*) 'Bibite, bibite, beati cardinales mei, vere beati, intelligitis enim super Albinum et Rufi-

num. Beati qui bene potant, qui sapiunt vina.

Non est Romanae auctoritatis sobrium esse/ Als gegen Schluß Gregor zum Papste sagt 'Domine, ecce unus Potator hie*, antwortet dieser*) 'Deo gracias! Scriptum est enim "Domus mea domus potacionis vocabitur**.* Häufiger als Papst und Kardinäle werden in der Poesie Abt und Mönche beim Schwelgen geschildert

'Abbatum video mores et opera, quorum est quisque dux gregis ad pifera; in claustro mobilis, fixus in camera et in capitulo tanquam effimera.

345 Hü mundi gaudia sprevere penitus, quod probat passio silentis spiritus, cordis contritio, aquarum exitus, tonsurae vilitas et turpis habitus.

Sed cum sit habitus illorum turpior, 350 in ipsis habitat Venus securior, si male convenit tonsura celsior, pronus ad calicem frons est liberior.

m

Si flentes cor habent contritum solito, arrident calici semper apposito, 355 si linguam spiritu refrenant tacito, multa convitia loquuntur digito.

^) MG. LibeUl de Ute« H 431.

  • ) L. c. 432 Z. 16 u. 434 Z. 6 f.

1 L. c. 434 Z. 30 aq.


Schwelgen in der Goliasapokalypse 193

Quibus prandentibus voto praecipiti fauces celerrimae, dentes solliciti, sepulcrum patens est guttur, par gurgiti 360 spumoso stomachus et rastris digiti.

Dum coenas celebrat abbas cum fratribus, torquentur calices a propinantibus vinumque geminis extoUit manibus f et sie grandissonis exclamat vocibus:

365 "O quam glorifica lucerna Domini calix inebrians in manu strenui! he! o Bache! dux sis nostro conventui stirpis Daviticae prole nos prolui!"

Resumens poculum tractum a Cerere 370 clamat: "Himc calicem in suo genere quem bibiturus sum, potestis bibere?" Respondent: "Possumus! ha! hü fac propere!

Sed ne potandi sit illa conditio, qui tenet, teneat, donec de medio 375 fiat, hinc esset lis et contradictio ; ad plenum bibitur sine litigio.

Tunc legem statuunt pactumque mutuum, ne Sit in calice quicquam residuum. Sic sine requie ventris et manuum 380 vas plenum vacuant et replent vacuum/

So die Goliasapokalypse!^) Verwandt ist die Schilde- rung eines lasterhaften Prälaten in dem Liede 'De grege pontificum' der Arundelsammlung : *)

'Cum apponi faciat sibi quod sufficiat tribus Epicuris, cuncta passim demetit, 35 nisi quod plus appetit ea, que sunt pluris.

  • ) Poems attrib. to Walter Mapes, ed. Th. Wright p. 16 sqq.
  • ) W. Meyer, Die Arundelsammlung mlttellat. Lieder S. 43 ff.

Lehmann / Parodie im Mittelalter 13


194 Vom lasterhaften Prälaten

Invitatur precio venter in convivio, Venus in cubili. 40 Et hoc empto carius delectatur amplius quam hac merce vili.

Postquam mundet bibulus, tunc deducet oculus 45 exitus aquarum.

Extunc nee discrecio sexus nee excepcio .fiet personarum.

55 Totus est venerius

nee eursum alterius

sequitur planete.

Totus est libidinis;

hinc tota lex hominis 60 pendet et prophete.

Si denominacio fiat ab officio, quod Sit omni mane, deputare poteris 65 Septem dies Veneris omni septimane.

Cui si forte predices, quod debent pontifices esse luxu puri, 70 id habens pro frivolo mavult cum apostolo nubere quam uri.


Sed si dicas "contine dicet: "In volumine


((


Das Wirtshaus am Markt 195

Pauli continetur non, ut quis contineat, sed ut suam habeat cum qua fornicetur.'


i< I


Wie in jenen Versen der Goliasapokalypse v. 347, 359, 366 u. a. biblische Worte (Ps. CXVIII 136, V 11, XXII 5, LXXIV 9) verarbeitet sind, so auch in diesem Gedicht, v. 44 wiederum Ps. CXVIII 136 'exitus aquarum deduxerunt oculi mei*, 59 f. Matth. XXII 40 'in bis du- obus mandatis universa lex pendet et prophetae*, 72 1 Kor. VII 9 'melius est enim nubere quam uri*, 74 sqq. 1 Kor. VII 2 'propter fornicationem autem unusquis- que suam uxorem habeat*.

Daß in Weinlaune auch profane Dichtungen zur Er- zielung drastisch-komischer Wirkungen ihre Parodie erhielten, hat L. Ehrenthal in einer vorzüglichen Ab- handlung betont*) und durch eine sehr interessante Ver- gleichung nachzuweisen versucht. Schon 1882 hatte W. Meyer 2) vermutet, das Kneiplied der Carmina Burana no. 176 'Dum domus lapidea" wäre „die scherzhafte Nachbildung eines Gedichtes von feinen Formen", er- kannte aber das Vorbild nicht, bis Ehrenthal es in der- selben Benediktbeurer Anthologie als no. 37 entdeckte.


C. B. no. 37.

  • E)um Dlanae vitrea

sero lampas oritur, et a fratris rosea luce dum succenditur, dulcis aura zephyri, Spirant oinnes aetheri nubes tollit,

sie emollit

vi diordarum pectora

et inmutat

cor, quod nutat

ad amoris pignora.


C. B. no. 176.

  • Dum domus lapidea

foro Sita cernitur, et a fratris rosea Visus dum allicitur "dulcis", ferunt socii, "locus hie hospitii. Badius tollat,

Venus molliat vi bursarum pectora et inmutet et computet vestes in pignora".


^) Studien zu den Liedern der Vaganten, Bromt>erg 1891*

  • ) Vgl. Ges. Abhandlungen zur mittellat. Rythmik. I 249.

13*


196


Das Wirtshaus am Markt


Laetum iubar hesperi gratiorem dat humorem roris soporiferi mortalium generi.

O quam felix est antidotum soporis, quod curarum tempestates sedat et doloris. Dum surrepit clausis aculorum poris, ipsum gaudio aequiparat, dtdcedine amoris^ usw.


Molles cibos edere

impioguari,

dilatari

studeamus ex adipe

alacriter blbere.

Heu quam felix est iam vita potatoris, qui curarum tempestatem sedat et maeroris, dum flavescit vinum in vitro subrubei colorisS usv.


Hier der Mondschein über den Bäumen, der zur Liebe lockt, dort das steinerne Wirtshaus am Markte, das zum Kneipen einladet. Hier feinfühlige Verquickung von Na- turstimmung imd Liebesgefühlen, dort ein immer wilder werdender Zechgesang. Die ersten drei oder vier Stro- phen zeigen deutlich Zusammenhang, von Strophe 5 ab gehen die Lieder auch im Versmaß weiter und weiter voneinander fort. Mir zweifellos, hat ein fröhlicher Kum- pan seinen Kantus vom Wirtshaus nach der Melodie des Liebesliedes gesungen und namentlich im Anfang sich stark in Worten und Reimen angelehnt. War den Hörern und Lesern des Kneipliedes das Gedicht 'Dum Dianae vitrea* wohlvertraut, war es vielleicht unmit- telbar vorher gesungen worden, dann war ein Lach- erfolg der Imitation unvermeidlich, dann kann und muß man von Parodie reden. Diese Aufeinanderfolge, die bewußte Kontra stier ung kann man jedoch nur vermu- ten. Es gibt Fälle genug, wo im Mittelalter ein Lied sich in Ton und Wort streng nach einem anderen gerichtet hat, ohne daß an parodistische Variation zu denken wäre. Ganz ähnlich wie zwischen 'Dum Dianae vitrea' und 'Dum domus lapidea' ist das Verhältnis zweier an- derer Stücke der Carmina Burana. W. Meyer i) sieht in dem Gedicht 'Si quis Deciorum' (no. 174) eine Parodie


') Ges. Abhandlungen. I 249 f* und 330.


Kneipen und Spielen


197


des Leiches 'Si quem Pieridum* (no. 36). Wiederum singt die Vorlage von der Liebe, die Umdichtung von den Freuden des Zechers und vor allem des Spielers. Hält man die Texte nebeneinander, erkennt man die Korre- spondenz der beiden Gedichte ohne weiteres.


C. B. no. 36.

1.

  • Si quem Pieridum

ditavit concio, nulli Teieridum aptetur otio; par Phoebi cytharae sum in vemo nectare.

2.

Cui prae cunctis virginum obedio, vita me potest alere vel mortis taedio, sed decus hoc intimum mavult potissimum.

3.

Terminum vidit bnimae desolatio, gaudent funditus in florum exordio qul nonmt Cypridem plaüdentes eidem.

4.

Nunquam tanti cordis fiiit prius Jupiter, de spe Vcnerea opinor iugiter. Me vita fertilis alit et spes habilis.

7.

Ne miretur ducis tantae quis sublimitatem quae me sibi vi praestante doctum reddit plus quam ante stillans largitatem.


C. B. no. 174.

1.

  • Si quis Deciorum

dives officio gaudes in vagorum esse consortio, vina nunquam spemas, diligas tabemas.

2.

Badii qui est Spiritus Infusio gentes allicit bibendi studio curarumque taedium solvit et dat gaudium.

3.

Terminum nullum teneat nostra concio, bibat funditus confisa Decio; nam ferre scimus eum forttmae clypeum.

4.

Circa frequens Studium sis sedula, apta digitos gens eris aemula ad fraudem Decii sub spe stipendii.

7.

Ne miretur homo talis, quem tus es nudavit; nam sors item cogit talis dare penam factis malis Jovemque beavit.


Iv8 Kneipen und Spielen


22. Huic me corde flagrante nosco intricatum, cuius nutu me versante et ad vottun conspirante me fero beatum/


17. Corde si quis tam devoto ludum imitatur, huius rei testis Otto, colum cuius regit Clotho, quod saepe nudatur.*

Alle 23 Strophen der Parodie haben durch Strophen- bildung, Zeilenbau, oft durch Reimsilben und Wort- beginn ihre auffälligen Entsprechungen oder Ähnlich- keiten mit dem Vorbilde. In der Mitte hat dieses mit Str. 14 — 16, am Schluß mit 29 — 31 Überschüsse. Man könnte in diesem wie im vorigen Falle von einer bur- lesken Imitation reden, aber man darf wohl auch bei der Bezeichnung Parodie bleiben. Ausgesprochen paro- distisch ist Str. 22 von 'Si quis Deciorum':

'Tunc rorant scyphi desuper et canna pluit mustum, et qui potaverit nuper bibat plus quam sit iustum.* Die Verse bilden eine Scherzwendung des Gottes- wortes aus Isaias XLV 8: 'Rorate, caeli, desuper, et hubes pluant iustum.* Dieselben parodistischen Verse erscheinen in der noch zu besprechenden humoristi- schen Lectio^) Danielis prophetae 'Fratres, ex nihilo vobis timendum est* und als Antiphon einer Saufmesse. Jenes Gedicht 'Dum domus lapidea*, das zuerst ein zar- tes Liebeslied nachahmt, hat übrigens einen ganz wüsten Ausgang: Betrunken verlassen die Zecher das Wirts- haus und fallen in die Gosse.

'Ex domo strepunt gressu inaequali

nasturtio procumbunt plateali,

fratres nudi carent penula,

ad terram proni flectunt genua

In luto strati dicunt "Orate".

Per posteriora dorsi vox auditur "Levate",

exauditae iam vestrae sunt orationes,

quia respexit Bachus vestras con-

punctiones.

  • ) Anzeiger f. Kunde der dcutsdien Vorzeit. NF. XV (1868) S. 9-


Sau£i und Spielmessen 199


Omnes dicunt "Surgite, eamus, venter exposcit, ut paululum edamus*" usw.

Nach dem Muster der Fastenzeit, wo der Priester auffordert 'Oremus* und der Diakonus 'Flectamus ge- nua*, der Subdiakonus 'Levate', läßt der Parodist die Bezechten die Knie in den Straßendreck beugen und beten, läßt den Hintern das 'Levate* sprechen. Auch die Worte 'Euere Bitten sind erhört' usw. klingen an die Bibel an, das 'Surgite, eamus' wohl an Joh. XIV 31.

Man sieht: Die mittellateinischen Dichter kommen, wie weltlich sie sich auch gebärden, vom Geistlichen, Kirchlichen nicht recht los. Manchmal verraten nur leise Anspielungen, gelegentliche Entlehnungen, daß es zumeist Kleriker gewesen sind, die gedichtet, Kleriker, die zugehört haben. Oft aber kann man den „kirch- lichen" Charakter des unkirchlichen Schrifttums der Sinnenfreude geradezu mit den Händen greifen.

Die Superlative der Kneipliteratur sind Parodien der heiligen Messe, der Evangelienlesungen, der Litaneien, der Predigten u. dgl.

Mittelalterliche Sauf- und Spielmessen liegen in verschiedenen Handschriften vor. Bereits die Benedikt- beurer Sammlung aus dem ersten Drittel des 13. Jahr- hunderts bringt (C. B. no. 189) ein 'Officium lusorum'. Die übrigen Handschriften führen ins 15. und 16. Jahr- hundert: eine 'Missa de potatoribus* in London Har- leian Ms. 913, 'Missa Gulonis* in London Harleian Ms. 2851, eine titellose Meßparodie in dem Hohenfurter Kodex Rom Pal. lat. 719 und eine 'Potatorum missa* in Ms. 71 des Domgymnasiums zu Halberstadt. Dazu kommen Teile und Bruchstücke aus Wettingen in der Kantonalbiblio- thek zu Aarau, aus St. Gallen in Zürich C. 101 — in Gall Kemlis Katalog 'Officium Ribaldorum cum suis requisitis' genannt i) — , aus Prag, ferner aus Westfalen in München lat. 10751 (saec. XVI gesammelt).

  • ) Mittdalterlidie Bibliothekskataloge Deutsdilands und der Sdiweix. I 125 Z. 10.


200 Sauf* und Spielmessen


Während das Benediktbeurer Offizium und die Lon- doner Texte aus romanischem Gebiete stammen, sind die übrigen deutscher, deutschböhmischer, deutsch- schweizerischer Herkunft. Die Urbilder aller werden wohl in Frankreich entstanden sein, das in seinen Uni- versitäten seit dem 12./13. Jahrhundert den fruchtbar- sten Nährboden für solche Spaße gebildet hat. Wenn der St. Galler Mönch Gall Kemli, ein viel mnhergewor- fenes Menschenkind, bemerkt^) 'Istud officium fuit quondam cpnpositum a quodam magistro magno in stu- dio Parisiensi*, gibt er damit eine vermutlich rich- tige Tradition wieder. Fraglich ist die Tragweite seiner weiteren Behauptung 'cuius scolares et studentes taber- nam et ludos frequentantes, qui nullo modo poterant corrigi per lecturam optimorum librorum et ipsis con- vocatis legit eis ad presentiam hoc officium. Unde multi eorum correxerunt vitam suam et ad bonum statum pervenerunt*. Das Verlesen von Parodien zur Abschrek- kung entspricht dem Verfahren der spätmittelalterlichen Lehrer und Prediger. Es sei hier nochmals an die Ausführungen von Gottschalk Hollen und Bernardinus von Siena erinnert. Das aber kann ich mir nicht recht vorstellen, daß die Zuhörer gerade durch die Parodien von Reue ergriffen worden wären. Und entstanden sind die Verhunzungen der Messe gewißlich in übermütiger Stimmung für tolle Ulke, Saufereien u. dgl. Toll sind diese Parodien, nicht nur insofern als sie Heiliges ent- würdigen, toll auch, weil sie in ganz krassem Maße in das Jauchzen über die Genüsse des Zechens Spott und Schadenfreude über die Sitten und Schicksale der Spie- ler und Trinker mischen.

Wer sie heutzutage einigermaßen verstehen will, muß über ein gutes Maß liturgischer Kenntnisse verfügen. Mir ward das Verständnis weniger durch die früheren Herausgeber erleichtert als durch hilfsbereite theolo- gische Kollegen und Hörer, namentlich durch meinen

M Vgl. Jak. Werner, Beitrage zur Kunde der lat. Literatur des Mittelalters, Aarau 1905. S 211.


Sauf* und Spielmessen 201


Schüler Herrn Kaplan Leo Kozelka, den ich oftmals um Rat fragen durfte, wenn ich mich allein nicht mehr oder nicht schnell genug in Missale und Brevier zu- rechtfand. Die Mühen waren auch deshalb groß, weil die Parodisten keineswegs etwa ein einzelnes bestimm- tes Formular nachahmten, sondern sich die Muster aus verschiedenen Messen, Brevierteilen usw. zusammen- gestellt haben und gelegentlich sich begnügten, den li- turgischen Ton zu treffen, ohne den Wortlaut der Vor- lage deutlich durchschimmern zu lassen, groß auch, weil die Meßparodien unter sich variieren und die Mis- salia und Breviaria heute in vielem nicht mit den mit- telalterlichen übereinstimmen.

Wir durchgehen besonders die größeren Texte der Harleiani, des Palatinus, Halberstadiensis und Buranus.

Am ausführlichsten hat das Meßformular der Pala- tinus, ihm sehr nahe verwandt ist der etwas kürzere Halberstadiensis, etwas weiter stehen die Harleiani ab, am weitesten der Benediktbeurer Text. Dieser ist mehr Spielermesse, jene mehr Trinkermessen. Jedoch fehlt weder Decius, der Gott des Würfeins, hier noch Bac- chus dort.

In den englischen Handschriften beginnt die Messe mit einer Parodie des Stufengebetes als Einleitung zur heiligen Handlung am Altar des Bacchus, der des Men- schen Herz erfreut:


  • V. Introibo ad altare Badii

R. Ad eum qui letificat cor hominis.*


Ant. Introibo ad altare I>ei. Resp. Ad Deum qui laetificat iuven^ tutem meam.*

Dann kommt sowohl in den Harleiani wie den Co- dices Halberstadiensis und Palatinus ein bacchantisches Schuldbekenntnis nebst Absolution, dem Confiteor und der Absolutio innerhalb des Stufengebets genau nach- gebildet. Das darauffolgende Gebet 'Nimm, o Bacchus, uns alle Kleider, und laß uns nackt in die Kneipe ziehen* steht allein in den* englischen Handschriften, entspricht aber vollauf dem 'Aufer a nobis* usw., das der Priester betet, wenn er nach dem Stufengebet zum


202 Sauf* und Spielmessen


Altar hinaufgeht. Der Introitus imitiert in allen vier Textzeugen, auch in dem hier beginnenden 'Officium lusorum* des Buranus das 'Gaudeamus in Domino* usw. z. B. des Allerheiligenfestes und fordert nicht etwa zur Freude in Gott, sondern zur Trauer über das Un- glück beim Spiel auf. In den dazu gehörigen Versikeln und in der Oratio gehen die Fassung Palatinus und Halberstadiensis, der Buranus und die Harleiani aus- einander. So haben diese zuerst eine Parodie von Ps. LXXXIII5 und 12, Palatinus und Halberstad. nur von LXXXIII 5, der Buranus von Ps. XXXIII 2. Die Oration der englischen Überlieferung fleht um Ausbeutung der Bauern, um Genießen der Bauernweiber durch die Kleri- ker. Die übrigen Zeugen bringen Spielergebete. Wie hier sind in einem fort die liturgischen Formeln .verdreht, heilige und ehrerbietige Worte durch freche Zurufe vom Kneip- und Würfeltisch verdreht: 'Potemus* statt 'Ore- mus*, 'Dolus vobiscum — Et cum gemitu tuo* statt 'Do- minus vobiscum' — Et cum spiritu tuo' 'Peit doleum nostrum avumque Bachum qui tecum bibit et cartat per omnia pocula poculorum Stramen* statt 'Per Dominum nostrum Jesum Christum qui tecum vivit et regnat per omnia saecula saeculorum. Amen', 'Gloria potori et filio Londri* statt 'Gloria patri et filio' usw. Die nach Act. ap. IV 32 u. VI 8 sqq. gebildete und verschieden betitelte Epistel führt überall eine Spielerszene im Wirtshaus vor. Beim Graduale haben alle vollständi- gen Handschriften zuerst das Wort 'Wirf deine Ge- danken auf den Würfelgott, und er vdrd dich täu- schen', wodurch die im Graduale z. B. am dritten Sonn- tag nach Pfingsten gebräuchliche Stelle Ps. LIV 23 pa- rodiert wird. Im weiteren Wortlaut finden sich meh- rere Unterschiede: Palatinus und Halberstadiensis fah- ren mit einer Verzerrung von Ps. CXVII 23 fort, der Buranus vermengt und parodiert die nach Ps. LIV 17 ff. und CXIXlf. gebildeten Gradualversikel des zweiten und dritten Sonntags nach Pfingsten, der eine Har- leianus fügt an die Parodie von Ps. LIV 23 direkt die


Sau£i und Spielmessen 203


von CXIXl, der andere entstellt die letzte Psalmstelle stärker und fährt fort mit 'Rorate ciphi desuper et nubes pluant mustum, aperiatur terra et germinet po- tatorem*, einer feuchtfröhlichen Spottwendung von Js. XLV85 welche Worte als Introitus in der Adventszeit üblich waren und sind. Statt des AUeluia wird in drei Codices Allecia, d. i. Heringe, gesungen. Palatinus, Hal- berstadiensis und das Fragment in München lat. 17501 lassen die Weinsequenz 'Vinum bonum et suave' in ver- schiedenen Fassungen folgen, das Benediktbeurer Offi- zium eine Spielersequenz, die sich die schöne Oster- sequenz Wipos 'Victimae paschali' frech zum Muster genommen hat. Die Evangelienperikope parodiert im Palatinus, Halberstadiensis und den Harleiani die Lu- kaserzähluug von der Hirten Anbetung des Jesukind- leins in Bethlehem durch eine Geschichte von Trin- kern, die zum vollen Faß ziehen, sich besaufen, ihre Kleider versetzen müssen, Bacchus preisen, Decius ver- wünschen. Im Buranus ist die Erscheinung des auf- erstandenen Christus im Kreise seiner Jünger, der Un- glaube des Thomas (Joh. XX 19 ff.) und das Gleichnis vom Sämann (Matth. XIII 8 f.) zugrunde gelegt.^) De- cius selbst erscheint in der Mitte der Spieler. Der dabei abwesende Primas glaubt das nachher nicht. Schließ- lich würfeln sie, der eine wird ausgebeutelt und ver- liert sogar seine Kleidung. Das Offertorimn ist in der Benediktbeurer Parodie dem Spielgott nach Ps. XVII 28, sonst Bacchus gewidmet. Das Bacchusoffertorium fällt dem Aufbau nach in drei Codices aus dem gewöhn- lichen Stil des Offertoriums heraus, parodiert die O- Antiphonen der Adventszeit. Der eine Harleianus scheint Eccli. X 19 zu parodieren. Während sie im Buranus und den Harleiani fehlt, folgt im Halberstadiensis und Palati- nus eine Bacchuspräfation, die sich am Schluß nach der Dreifaltigkeitspräfation richtet. Das 'Sanctus* wird im Palatinus am ausführlichsten imd stilgerechtesten, im Halberstadiensis nur durch dreimaliges 'Bachus* paro-

^) Am Schluß wohl nodi Imitation von Joli. XII 36.


204 Sau£> und Spielmessen


diert. In dem einen Harleianus heißt es ausdrücklich: 'Sanctus' und 'Agnus* werden nicht gesungen, sondern bloß der Friedenskuß mit Schwertern und Knüppeln gegeben. Das Benediktbeurer Officium bietet hier nichts, vielmehr nach dem Offertorium direkt — wohl anstelle der Sekret — eine Oration gegen die Habgierigen und Geizigen, die an das 'Effunde iram tuam* von Ps. LXXVIII6 anknüpft Der 'Canon missae* fehlt überall! Der Halberstädter Text läßt auch Paternoster, Commu- nio, Postcommunio fort. Im Palatinus und den Harlei- ani wird das Paternoster zu einem Vaterunser des Wein- gottes. Das Agnus Dei parodiert der Palatinus durch ein: 'O Wirt des Bacchus, der du die Nüchternheit der Welt beseitigst, gib uns zu trinken* usw. Die Communio desselben Codex: 'Kommt her zu mir, ihr Bacchuskinder, und nehmet den Wein, der für euch bereitet ist seit der Schöpfung des Weinstockes*, hat die z. B. als Introitus gebrauchten Worte Matth. XXV 34 zum Vorbild. Die Communio des Buranus parodierte die des 3., 4., 5., 6. Sonntags nach Epiphanie Luk. IV 22, und schloß damit das Officium. Als Postcommunio steht im Pala- tinus das bekannte bauernfeindliche Gebet, das übrigens im Buranus vor der Epistel nachgetragen ist, im Harlei- anus dagegen eine Verwünschung der Würfelspieler. Das 'Itc, missa est* parodiert sowohl der Palatinus durch 'Ite, polus tempus est*, der Harleianus durch 'Ite, bursa vacua*. Palatinus und Halberstadiensis schließen die Bitte an: 'O herrlicher Wein, wie süß bist du zu trinken; du machst aus einem Laien einen Logiker, aus einem Bauern einen Esel, aus einem Mönche einen Abt. Komm, mach uns trunken und zögere nicht*, womit wieder an die große Antiphon erinnert wird.

Das St. Galler-Züricher Fragment bringt leider nur einen F'etzen vom Schluß und zeigt doch, daß dieses Officium Ribaldorum mit keinem anderen Textzeugen vollständig übereinstimmte. München lat. 10751 enthält ausgewählte Stücke aus einem parodistischen Meßformular: die Er- mahnung zum Trinken 'Quicumque vult esse bo^lus


Bacdiantisdie Perikopen 205


frater, bibat semel, bis, ter, quater*, Gebete vor der Epi- stel, die Weinsequenz, ein Trinker- Vaterunser und einen bauernfeindlichen Dank.

Ein von Feifalik veröffentlichtes böhmisches Stück ist ein parodistisch-liturgisches Potpourri, das von Spie- lern und Zechern handelt Es beginnt bei dem paro- dierten Invitatorium der Matutin in Verbindung mit Ps. XCIV; statt der erwarteten Doxologie 'Gloria patri* folgen eine Parodie der Worte 'Requiem aeternam dona eis. Domine, et lux perpetua luceat eis', mit denen die Psalmen das Totenoffizium schließen, Parodie von Ps. LXXXI V 8, schließlich zwei Bacchuskollekten. Alis Er- gänzung des Officium lusorum kann man vom Schluß der Carmina Burana no. 196 'Ego sum abbas Cucaniensis et consilium meum est cum bibulis et in secta Decii voluntas mea est et qui mane me quaesierit in tabenia, post vesperam nudus egredietur et sie denudatus veste clamabit' usw. hinzunehmen. Das ist gleichsam eine Antiphon zur Spielermesse. Benutzt sind die Bibelstellen Prov. VIII 12 'Ego sapientia*, 14 'meum est consilium', 17 'qui mane vigilant ad me, invenient me*.

Auf die Wiedergabe bacchantischer Evangelienperi- kopen haben sich die Schreiber zweier englischer Hand- schriften beschränkt Unter der Oberschrift 'Sequencia leti evangelii secundum luc<r> um' und nach der Ein- leitungsformel 'In illo tempore' wird in Cambridge Cor- pus Christi College Ms. 343 saec. XIV f. 72R vom 'Phari- saeus Lucius voragine princeps potatorum' berichtet und von den Lehren, die er, Christi Worte parodierend, seinen Jüngern gegeben : Sei nicht gerecht und töte nicht, sondern ehebreche, begehre nicht der Habe deines Nächsten, sondern seiner Frau. Verflucht sei der Baum, der keine Frucht trägt Was ich einem unter euch sage, das sage ich allen. Jeder habe seine Geliebte. Und wiederum: Esset tüchtig und trinket viel usw. Das kurze, unten zum ersten Male veröffentlichte Stück schließt mit ei- nem 'Ich glaube an Gott Bacchus, den Vater der AUes- säufer*. Die andere Perikope, die schon Wright und


206 Scherzreden

Halliwell^) bekanntgaben, beginnt 'Initium fallacis evan- gelii secundum Lupum. Fraus tibi, Bache! In illo tem- pore cum natus esset Bachus in Waltona' scheint ein Oxforder Studentenscherz etwa aus der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts zu sein und meldet, wie von allen Enden der Welt die großen Trinker gleich den drei Weisen aus dem Morgenlande den neugeborenen Bac- chus suchten. 'Ubi est qui natus est rex ribaldorum, dux potatorum, harlotorum, glotinorum, villanorum? Et vidimus Signum eins in Oriente et in omnibus partibus villae Oxoniae' usw. Zum Schluß, als sie die Geschenke dargebracht haben, sind sie alle betrunken, einer von ihnen fällt in den Schmutz, so daß ihm der Wein aus Mund und Nase hinausläuft.

Im Codex Oxford Bodl. Add. Ms. A. 44 saea XIII hat sich ein Spaßvogel an eine 'Collacio iocosa de dili- gendo Lieo* herangewagt, wo im Predigtstil unter ge- schickter Benutzung und Verzerrung der verschieden- sten Bibelstellen als erstes und hauptsächliches Gebot der Satz 'Liebe den Herrn Lieus mit deinem ganzen Munde und deinem ganzen Bauche und allen Eingewei- den* eingeprägt und begründet wird bis zu einer Ge- betsparodie für den weinmächtigen Lieus: 'der du uns, deinen Dienern, durch deines Weines Kraft Vergessen schenkst usw., der du lebst und regierst per omnia pocula poculorum*.

Das Lob des Rebensaftes, des Trinkens und Schlem- mens durchzieht ferner die Scherzreden, die ernste Predigten ins Burleske ziehen und bald nur zum Lesen bestimmt waren, bald wie die Monologe der Mirakel- spiele Vorträge und Aufführungen eröffneten. Die hei- lige Traube, der heilige Hering, Schinken, Bacchus und Becher werden komisch gepriesen. Schon 1313 schuf Geoffroy de Paris 'Le martyre de Saint Baccus*. Aus der Mitte des 15. Jahrhunderts haben wir einen Sermon, der mit den Worten "Si vivere sanus tu vis". Hec verba scribuntur in Cathone ultimo capitulo' beginnt.

') Reliquiae anticjuae. II 58.


Lustige Urkunden 207


Um 1460 schreibt Jehan de Molinet in Valenciennes einen 'Sermon de Billouart "Introivit in tabernaculo, lacrimante recessit oculo". Süddeutschen Ursprungs — Augsburg, 15. Jahrh. — ist eine predigtartige lateinische Ermahnungsrede^) nicht zu fasten, sondern tüchtig zu essen und zu trinken, ein Ulk, der sich auf die Bibel, auf Aristoteles, Boethius und andere Autoritäten stützt 1 Und noch um 1543 hebt in Lyon ein 'Sermon joyeux et de grande value ä tous les foulx qui sont dessoubz la nue' an. 'In nomine Bachi et Ciphi atque S. Doli. Amen. " Ve qui sapientes estis in oculis vestris. " Hec verba Esaye originaliter quinto capitulo scribuntur et recita- tive ad nostre coUacionis fondamentaliter exordium as- sumentur.' Andere — nicht alle — Beispiele erwähne ich im letzten Kapitel. In den eben zitierten Stücken mit Ausnahme der Augsburger 'Predigt* wird das meiste in den Vulgärsprachen vorgetragen, nur eingeleitet und durchsetzt von lateinischen Zitaten imd Zitatenparodien. Wollten wir die nichtlateinischen Texte des späten Mittelalters einbeziehen, wäre viel zu nennen, Predigten wie Kneiplieder, ganz französische, italienische, eng- lische, deutsche und vor allem Mischpoesie. Ich lasse da bewußt eine Lücke, die andere ausfüllen mögen.

Aus dem Kreise der frohen Zecher und Schlemmer sind schließlich auch Urkundenparodien hervor- gegangen, so das unveröffentlicht in Paris liegende, mir aus einer Abschrift bekannte Schreiben saec. XV 'Nos Gorgias ingurgitantium, abbas bachantium, antistes to- ciusque plage australis montis Pernasi et Caucasi sum- mus pontifex omnibus ac singulis religiosis, conventu- alibus nee non conversis nostris salutem et sinistre cubiti amplissimam benedictionem. Quemadmodum de- siderat cervus montes aquarum sie semper sitivit pulmo meus vos, filii mei omnes, apostolicum fontem usw., Befehl und Empfehlung zu trinken und zu schmausen und zu lieben unter Hinweis auf die Heilige

^) W. Wattenbadi im Anzeiger f. Kunde d. deutschen Vorzeit. N.F. XDI (1866) S. 393 ff.


208


Sauferdiplom s Goliaidenleben


Schrift/) SO das Aufnahmediplom in den Säuferorden für Andreas Tobler aus München.*)


3. Goliarden- und Studentenleben.


Ecce homo

sine domo,

sine renim pondere

huc accedit,

quia credit

aliquid accipere.

Bone pater, cuius mater sancta est ecclesia, vide natum spoliatum talorum discordia

Est cum talus mihi malus, perdo meam gratiam, quando bonus siun patronus vocatus ad gloriam.

Tunc est hospes

mihi sospes,

tunc me lubet bibere,

non obaudit,

sed exaudit

quidquid volo dicere.


Tunc unitus est amicus mihi pro pecunia, tunc rivalis est sodalis mihi data gratia.

Sed cum nudum me per ludum mei vident socii, vado plorans et laborans vacuus consilii.

Pauper ego multa lego quaerens necessaria, omne canim simio parum, tanta est malitia« 

O persona, mihi dona, mihi fer solatium, solo nummo I>eo summo reparante pretium.


Camisia

deturl Pia

virgo solvet pretitun.

Dieses 'Dictum Goliardi*, das B. Haur^au aus einer Pariser Handschrift herausgegeben hat,^) streift mehr- fach die Parodie. Nicht der dornengekrönte, zum Spott in einen Purpurmantel gekleidete Schmerzens- mann, den Pilatus laut Joh. XIX 5 den Juden mit dem

') Auszug in der Histoire littöraire de la France. XXII 156.

  • ) Handadirifüich in Fulda. C 11 saec. XV; vgl. Steinmeyer, Althodideutsdie Glossen.

IV 437 f.

^ In seinen Notices et extraits. VI 318.


Geldevangelium Pariser Studenten 209

Ausruf 'Ecce homo* vorstellte, nicht Jesus Christus ist es, der in den Versen klagt, sondern ein Goliarde bettelt bei einem geistlichen Herrn. Für ihn ist allein das Geld Grott, der höchste Gott, aber er ist leider ohne Mo- neten, hat alles beim Spiel verloren. Ein Hemd, ein Gewand ist es, um das er bittet Und leichtsinnig fügt er hinzu: die Jimgfrau Maria möge zahlen.

Die Schilderung der materiellen Nöte und Wünsche nimmt einen breiten Raum in den lateini- schen Gedichten und Briefen des Mittelalters ein. Die Poeten, mögen sie nun fahrende Schüler oder Begleiter geistlicher und weltlicher Großer gewesen sein, haben sich nicht gescheut, Klassiker und biblische Bücher zu zitieren, kirchliche Hymnen und heilige Texte verschie- dener Art zu imitieren, wenn es sich um Geld, um Essen und Trinken, um Kleider usw. handelte.

Es ist bereits oben betont, wie lebhaft im mittellateini- schen Schrifttum die Macht des Geldes die Literaten be- schäftigt hat. Hier sei wenigstens das Pariser Geld- evangelium schnell besprochen, das aus einem Codex von B^san^on im Anhang mitgeteilt wird.

Es ist eine freie Nachahmung des um mehrere Jahr- hunderte älteren Geldevangeliums. War dieses gegen den Manmionismus der Kurie gerichtet, so benutzt in jenem Stück ein Pariser Student namens Johannes die Form der Evangelienperikope und eine Fülle mehr oder weniger mißhandelter Sätze des Alten imd Neuen Testa- ments, um seinem Bruder, dem Erzpriester B., seine Geldverlegenheiten zu schildern. Gen Himmel die Augen erhebend, spricht er — nach dem Vorbild der sich beim Herrn darüber beklagenden Martha, daß ihre Schwester sie allein dienen ließe (Luk. X 40) — :

  • Herr, warum bekümmert es dich nicht, daß mein

Bruder mich in Paris ohne Geld studieren läßt? Sag' ihm doch, daß er mir helfe.* Und Jesus antwortete ihm und sprach: 'Nun aber sind die Denare für die Pariser Studenten notwendig* (vgl. Luk. X 41). Und Simon Pe- trus sagte: 'Wäre der Bruder des Johannes ein Prophet,

Lehmann / Parodie im Mittelalter 14


210 Pariser Geldevangelium


dann wüßte er wahrlich, welche Not die Pariser Scor laren bedrängt* (vgl. Luk. VII 39). — In diesem Stile geht es mit einzelnen biblischen Phrasen mid mit gan- zen Bibelworten, die willkürlich angewandt mid nach Belieben umgestaltet sind, weiter. Zwei Landsleute des Studenten namens Johannes und Philippus, die ihm Geld gepumpt haben, konunen, dieses wieder einzu- treiben, finden aber die Tür seiner Bude verschlossen wie Maria Magdalena und Maria Jakobi einen großen Stein vor Christi Grab. Auf den Ruf 'Rabbi, öffne uns' antwortete er von drinnen: 'Wahrlich, wahrlich, ich sage euch, wohin meine Moneten gekommen sind, weiß ich nicht 1* Schließlich öffnet er, das MatthäusevangeUum (XI 7 f.) parodierend, mit dem Ausruf 'Was seid ihr in die Wüste ausgezogen einen Menschen in weichen Klei- dern zu sehen? Schauet her, Leute in weichen Kleidern sind hier nicht' Und da sahen sie — ähnlich wie die Frauen in Christi Grab den Engel in Jünglingsgeslalt (Mark. XVI 5 f.) — einen Menschen in seiner Kanuner sitzend, mit dünnem Rocke bekleidet, und sie erschraken. Er aber sagte zu ihnen: 'Fürchtet euch nicht, ihr suchet einen Üppigen und Reichen. Er ist fort und nicht hier. Hier ist kein Ort, wo Geld verborgen ist Gehet hin und meldet euern Genossen und Philippus, daß er euch ziun Hause der Juden vorausgegangen sei. Dort werden sie mich sehen, wie ich ihnen gesagt habe.' Und sitzend unterwies er sie und sprach: 'Selig sind die Barmherzi- gen; denn sie werden Barmherzigkeit erlangen (Matth. V 7). Und selig, die nicht ihre Schuldner erbittern und belästigen. Die Schulden werden schnell bezahlt wer- den. Erbarmet euch meiner, erbarmt euch wenigstens ihr, meine Freunde; denn die leere Börse hat mich be- rührt (vgl. Job XIX 21). Sehet doch, auf meiner Haut ist nur noch ein Rock, und auf meinen Beinen sind nur zwei Tücher geblieben (vgl. Job XIX 20). Betrübt euch und erschreckt deswegen nicht Täglich wandele und gehe ich zu euch; was ich schulde, erkenne ich wieder, und meine Schuld ist immer wider mich. Doch ich


Pariser Geldevangelium 211

' - •■ - - *

weiß, daß mein Bote lebt (vgl.: Ich weiß, daß mein Er- löser lebt) und in kurzer Frist zurückkehrt. Dann werde ich mich wieder kleiden und jedem von euch, was sein ist, zurückgeben. Gehet also hin und meldet euern Brü- dern, was ihr gehört und gesehen habt' (vgl. Matth. XXVIII 10). Auf die Spitze wird die Parodie gegen Schluß getrieben, als Geld .eintrifft und Philippus und Johannes Bezahlung fordern. Die Speisung der 5000 und die Szene von Gethsemane werden komisch vermengt: 'Als Johannes sah, daß sie unablässig ihr Geld verlangten, da begann er traurig zu werden. Es war aber viel Stroh in Johannes' Kammer. Und er sagt seinen Ge- nc»ssen: 'Lasset meine Gläubiger sich legen', und sie legten sich, etwa 5000 Mann. Und als sie sich nieder- gelassen hatten, begannen sie um das Geld zu streiten. Johannes sagte ihnen: 'Bleibt ihr. Ich will gehen und beten.* Und drei von seinen Jüngern beiseite nehmend, sagte er: 'Meine Seele ist traurig bis zur Erschöpfung meiner Börse.' Niederkniend betete er und sprach: 'Vater, Vater, wenn es sein kann, mögen diese Gläu- biger an mir vorübergehen. Der Finger ist zum Zählen willig, aber die Börse ist schwach.* Dann wandte er sich zu seinen Groschen und sagte: 'Geht nun aus mei- nem Kasten und zieht fort. Denn es kommt die Stunde, wo ich euch in die Hände meiner Gläubiger geben muß.* Und er warf das Geld .hin und sagte: 'Nehmet alle davon!* Da entstand Streit unter ihnen, wer zuerst sein Geld bekommen sollte. — Und nun aus der Passion der Streit um die Kleider Christi: sie breiteten den Rock des Johannes über seinen Kasten aus und losten, auf daß erfüllt werde, was geschrieben steht: "Über meinen Rock haben sie Lose geworfen.** Als sie fertig waren, sagte er zu seinen Freunden: 'Sammelt die Reste, auf daß sie nicht umkommen!* Und sie füllten zwölf Beutel, und so blieben leere übrig. Da sprach er zu seinen Gläubigern: 'Habt Geduld mit mir, und ich will euch alles zurückgeben. Viel Geld ist bestellt, aber nur wenig geschickt* (vgl. Matth. XX 6).


212 Gegen die Geizigen


Was die Goliarden besonders verstimmte, war der Geiz der Satten und Simonisten.

  • Artifex qui condidit hominem ex luto

et linivit oculos ceci sacro sputo,

salvet vestras animas crimine soluto.

Fax vobis omnibus] Ego vos saluto.

O praelati nobiles vir! litterati,

summi regis legati, o presbyteri beati,

genus praeelectum, me omnibus abiectum

consulens despectum virtutis vestrae per effectum.

Pauperie mea conteste patet manifeste,

quod eo sine veste satis inhonestej

si me vultis audire, contestor me seine, viros probitatis mirae.

Qui virtutes faciunt nobiles appello,

qui autem me despiciant avaros evelio

de libro viventium ad inferos repello,

ut ibi permaneant Plutonis in cancello'

singt ein Dichter. Sein Zorn war ehrlich, aber darum war J. A. Schmeller doch nicht berechtigt, das Lied unter die 'Seria' der Carmina Burana (no. CXCVII) zu reihen. Wie schon Laistner erkannt hat,^) ist es ein 'humoristisches Bettellied, das nach der Kneipe schmeckt.

Mit dem etwa in der zweiten Hälfte des 12. Jahr- hunderts entstandenen Gedichte*) 'Raptor mei pilei morte moriatur' kommen wir auf die Kleider sorgen der mittelalterlichen Poeten. Denn die Überschrift, die Matthias Flacius lUyricus und Thomas Wright haben 'Golias in raptorem suae bursae' ist offensichtlich falsch. Der Dichter verwünscht, wie die ersten beiden Strophen deutlich genug sagen, einen Bösewicht, der ihm seine Kappe, seinen Hut gemaust hatte. Parodi- stisch sind die Verse durch den gemacht feierlichen Ton der Verfluchung. Schwer schreiten die Rhythmen

») Golias. Stuttgart 1879. S 101.

  • ) The Latin poems attrit>. to Walter Mapes. ed. Wright. p. 7S Beste Ausgabe von

B. Haur^au in den Notices et extraits. XXIX 2 p. 272 sq. Deutsche Obersetzung yoo L. Laistner. a. a. Q. S. 68 f.


Kleidersorgen 213


einher und wünschen dem Langfinger das Schlimmste

auf den Hals.

'Excommunicatus sit in agro et tecto nuUus eum vldeat Imnine directo!* usw.

Wie eine kirchliche Exkommunikation läuft das Ganze aus:

'Hoc si quis audierit excommunicamen et non observaverit praesulis examen, nisi resipuerit corrigens peccamen, anathema fuerit! Fiat! Fiat! Amen.* Darin mit Haureau 'une plaisante satire contre Tabus des excommunications* zu sehen, geht m. E. nicht an. Der Autor parodiert schwerlich die Exkommunika- tionen, um sie zu verspotten, sondern um seinem Go- liardenärger über den Dieb Ausdruck zu geben.

Gegen die Geizhälse, die getragene Kleider immer wieder ändern lassen, statt sie bedürftigen Dichtern zu schenken, ist das Gedicht 'De vestium transforma- tione' gerichtet, das Th. Wright unter die 'Political songs of England' versetzte, und das seitdem als Satire gegen die Schneider betrachtet wurde, bis W. Meyer i) und gleichzeitig A. Boemer*) die Sache richtigstellten, Boe- mer statt der 15 Strophen des Wrightschen Textes 39 edierte. Den Anfang

'In nova fert animus mutatas dicere formas Corpora; di ceptis, nam vos mutastis et illas aspirate meis! Ego dixi: dii estis, quae dicenda sunt in festis' kann man einen parodistischen Mißbrauch der ersten Worte von Ovids Metamorphosen nennen. Außerdem parodiert der Dichter die Rechtssätze der Kirche, z. B. indem er sagt, daß der alte zurechtgestutzte und gewa- schene Mantel mit einem neuen Pelz sich verheirate und, da der alte Pelz noch am Leben sei, sich des Ver- brechens der Bigamie schuldig mache, und indem

') Nadiriditen der K. Ges. d. Wissensdiaftea zu Göttingen. Phüol.-hist. Kl. 1907 S 87. ") Zeitschrift für deutsdies Altertum. XLIX 178 ff.


214 Pseudodekret


er die Kleiderumwandlungen mit dem Eingehen der wunderbarsten Verwandtschaftsverhältnisse vergleiclit. Ohne alle Bedenken würden Kleiderehen gebrochen. Die Mäntel sollten doch zu ihren ersten Frauen zurück- kehren :

'De mantellis mandatum do

ad incestas qui secundo

transierunt nuptias:

revertantur ad uxores,

aut mandati transgressores

non intrent per ecclesias.

Je iuge par droit et par voir,

k'eglise ne doit recivoir,

qui vi vis uxoribus

criminale comiserunt,

dum secundis adheserunt

relictis prioribus* usw.

Er schließt mit einem komisch-pathetischen:

'Do decretum ad extrema, quod Sit dives anathema, qui has vestes induit; quasi satus sit per Sathan, Sit illius pars cum Dathan, quem tellus absorbuit*

Darf man vom Anfang dieses Gedichtes sagen, er stehe zum mindesten der Parodie nahe, wie der Ver- fasser überhaupt humorvoll parodiert, so ist doch nicht jede Nachahmung des berühmten 'In nova fert animus' für mich parodistisch. Es gibt deren im Mittelalter gar nicht wenige. 'In nova fert animus* beginnt der Prolog^) einer — von den BoUandisten in ihrer Biblio- theca hagiographica Latina, auch im Supplement nicht verzeichneten — metrischen Vita S. Oswaldi regis. Pe- ter von Blois sagt^) in Str. 9 seines Gedichtes 'Contra clericos voluptati deditos':

') Vgl. H. Sdienkl, Bibliotheca patrum Latinorum Britannica, Wien 1891—1906, S. 93 nadb Bodl. 40 saec. Xm.

  • ) Migne, Patrol. lat. CCVU 1131 u. The English Historical Review. Va (19X)) p. 336.


In nova fert animus 215


'In nova fert animus ructare querimoniam/ ein anderer, vielleicht Philippe de Grtve (f 1236) i^)

'In nova fert animus

via gressus dirigere,

non pudet, quia lusimus,

sed ludum non incidere,

si temere

de cetero

distulero* usw.; ein anderer religiöser Dichter*) saec. XIII in.:

'In novas fert animus

forma s versum hominem

dicere, quem novimus

factum ad ymaginem

Dei, quem creatio

prima sine vitio

fecit vas egregium* usw.; Mathaeolus von Boulogne am Ende des 13. Jahrhun- derts in seinen Lamentationes*) v. 13 sq.

'In nova flens animus mutatam dicere formam cepit, sed minimus plebis. ego nescio normam hinc fandi' usw. Dagegen ist wie die zuerst genannte Satire parodi- stisch bzw. halbparodistisch die Strophe

'Forma cum in varias

formas sint mutata

vestimenta divitum

vice variata,

in nova fert animus

dicere mutata

vetera, vel potius

sint inveterata*, die man in einem Gedichte der Carmina Burana (no, CXCIV) antrifft. Schmeller hat da zwei Gedichte zu einem gemacht. Das erste beginnt

]) Analecta hymnica. XX 32.

1 Laur.<Med. XXIX 1 f. 323 V, vgl. Analecta hymnica XX 1^

^ Ed. A-»G. van Hamel, Bibliothfeque de TEcole des Hautes«£tudes fasc. 96, p* 3.


216 Pseudodekrete und Exkommunikation


'Sepe de miseria meae paupertatis conqueror in carmine viris literatis';

das zweite mit Str. 5:

'NuUus ita parcus est, qui non ad natale emat cappam, pallium, pelles vel quid tale/

Die Trennung nehme ich nach W. Meyer i) vor. 'Nul- lus ita parcus est' beklagt sich über die Kleideranderun- gen der Knausrigen und schließt:

'Hoc Galtherus subprior iubet in decretis, ne mantellos veteres vos refarinetis, renovari prohibens calce vel in cretis. Hoc decretum vacat iam, sicut vos videtis.

Excommunicamus hos

et recappatores

et capparum veterum

repalliatores

et omnes huiusmodi

reciprocatores.

Omnes anathema sint,

donec mutent mores!*

Hier ist eine halb ernste, halb scherzende Exkom- mimikation, hier ist ferner ein direkter Hinweis auf das 'In nova fert animus' beginnende Gedicht 'De ve- stium transformatione*. Denn dort heißt es in der Strophe 37 der Boemerschen Ausgabe:

») A.a. O..S.67.


Vagantenorden 217


'Cum hoc Hat per incestum nichil magis inhonestum quam vestis adultera. Semper nova constat esse, ergo numquam est necesse renovari vetera/

Boemer(^ hat den Hinweis nicht erkannt, W. Meyer vielleicht Meyer sagt, in 'NuUus ita parcus est* werde mit Str. 14 das Gedicht von den Kleidermetamorphosen angekündigt, und zwar laute in einer — von ihm selt- samerweise nicht namhaft gemachten Handschrift — die fragliche Stelle statt *Hoc Galtherus* usw. aus- drücklich :

Trimas in Remensibus

iusserat decretis,

ne mantellos veteres

vos renovaretis.'

Danach sei und ist meiner Ansicht nach der berühmte Hugo Primas der Verfasser der Kleidersatire 'In nova fert animus*. Die Lesart 'Hoc Galtherus subprior iubet in decretis* ist trotzdem durchaus nicht belanglos; denn Dekrete eines Subpriors erscheinen auch sonst.*) Viel- leicht war er ein Nachahmer des Primas.

Goliardendekrete sind verfaßt worden. Hat es etwa sogar einen förmlichen Orden der Goliarden, der Vaganten gegeben? Scheinbar ja!

Der englische Goliarde Richard hat eine rhythmische Empfehlung für Willelmus de Conflatis an die fran- zösischen Goliarden geschrieben^) und darin am Ende gesagt:

'Nimc, fratres karissimi, scribere studete,

ordo vester qualis est modusque dietae;

si fas est comedere coctas in lebete

carnas vel pisciculos fugatos ad rete,

^) Er sah wohl den Zusammenhang der Kleidergedidite, hielt aber das Stfldk der C B* p. 74 sqq. fOr Alter als *De vestium transformatione*.

') Vgl. oben S. 74 f. u. S. Jaff«, Die Vaganten S. 26.

^ The Latin poems attrib. to Walter Mapes p. 69 sq.


218 Vagantenorden


de Lyaeo bibere vel de unda Thetae, utrum frui liceat Rosa vel Agnete, cum formosa domina ludere secrete. Continenter vivere nullatenus iubete! qualiter me debeam gerere docete, ne magis in ordine vivam indiscrete. Donec ad vos veniam, sum sine quiete. Quid vobis dicam amplius? In Domino valete! Summa solus omnium, filius Mariae, pascat, potet, vestiat pueros Golyae et conservet socios sanctae confratriae ad dies usque Ultimos Enoch et Helyae! Amen.*

Ein tüchtiger deutscher Gelehrter, Nikolaus Spiegel/) hat tatsächlich gemeint, daß geradezu ein festorgani- sierter Vagantenorden bestanden hätte, „eine Parodie auf die gleichzeitig entstandenen sog. Mendikanten- orden". Mit der Mehrzahl der Forscher lehne ich diese Hypothese ab.

Die Goliarden vergleichen sich bloß mit den geist- lichen Orden, die seit dem 12. und 13. Jahrhundert so gewaltig an Zahl und Einfluß zunahmen. Wohl taten sich die Vaganten häufig zusammen und hatten ihren Komment. Aber sie flatterten gewöhnlich nach wenigen Monaten oder Wochen oder gar Tagen wieder ausein- ander, waren viel zu unbeständig und eigensinnig, um sich für die Dauer zu organisieren und an Statuten festzuhalten. Ihr Ziel war ein freies Leben, ein freches Genießen der Daseinswonnen, die der Goliarde Richard nicht übel in seinem poetischen Schreiben aufgezählt und dann nochmals in den letzten Zeilen mit gemachter Frömmigkeit sich keck von Jesus Christus gewünscht hat

Daß der Vagantenorden ein Witz ist, der in verschie- dener Weise heute hier, morgen da wiederholt wurde, zeigt z. B. das humoristische Exemptionsprivileg, das fahrende Schüler angeblich imd vielleicht tatsächlich

') Die Vaganten und ihr Orden, Speyer 1892 (Progr. zum Jahresber. des Kgl- Human. Gymn. Speyer für 1891/92).


Exemptionsprivileg 219


im Jahre 1209 für das Chorherrenstift St. Polten aus- stellten,^) wohl als Dank für Bewirtung und Beschenkung, 'In nomine summae et individuae vanitatis. Surianus, diutina fatuormn favente dementia per Austriam, Stiriam, Bawariam et Moraviam praesul et archiprimas vagorum scholarivun omnibus eiusdem sectae professo- ribus sociis et successoribus universis fame, siti, frigore, nuditate perpetuo laborare/ Surianus meldet seinen Ge- nossen „wie ihm zufolge der ihm beiwohnenden Faul- heit und Torheit noch nicht seines Vorsatzes gereue, sich vom Tische anderer zu nähren, wie er vielmehr fest in demselben beharre und ein unstetes Leben gleich den Schwalben in der Luft führe, umhergetrieben wie ein Blatt, das vom Winde ergriffen ist oder wie die Flamien im Rohrgebüsch; er berichtet ferner, wie er nach der harten Regel seines unordentlichen Ordens oft Spott und Stöße erdulden müsse, wie sie nicht Sar- mentus und der gemeine Galba am schlimmen Tische des Cäsar ertragen hätten, wie er darbend, geängstigt und gequält, reich nur an Hunger, dahinschwindend vor Mangel an Speise und Trank, vor Kälte bebend und erstarrt, mit offenem Munde, in erbärmlichem Aufzuge, nur ein Hemdchen auf nacktem Leibe und den einen Fuß unbeschuht, in den Häusern der Laien keine Auf- nahme fände und oft auch von der Pforte der Geist- lichen verstoßen würde, da ihn niemand als seines- gleichen anerkennen wolle, gleich den Fledermäusen, die weder bei den vierfüßigen Tieren noch bei den Vögeln ihre Stelle fänden, und wie er deshalb genötigt sei, immerdar, gleich als sei er in der Bittwoche ge- boren, um ein Almosen zu betteln. Deshalb, fährt er mit wundersamer Ironie fort, sei es denn auch billig, daß er den gerechten Bitten derer, die ihn angingen, in Gnaden Gehör schenke, und so tue er durch gegen- wärtige Urkunde kund und zu wissen, daß er auf Bit-

  • ) Vgl. Ardhiv für Kunde österreldiisdier Gesdiiditsquellen. VI 316 £f.| W. Glesebredit

in der Allgem. Monatssdirift für Wissenschaft und Literatur, Jahrg. 1853 S 35 f.; Pangerl im Anzeiger für Kunde der deutschen Vorzelt. N.F. XV (1868) S 198 f., Wattenbadi ebenda S. 288.


220 Ordensregeln

teil des ehrwürdigen Bruders Sighard, des Archi- diakonus der Kirche des heiligen Hippolythus in Öster- reich, der vielen Verdienste eingedenk, welche diese Kirche fast von der Wiege an ihm geleistet, sie mit allen ihren Beamten von jeder Besteuerung und Be- drückung, die sie bis dahin von ihm am Feste des Heiligen, der Kirchweih oder vielmehr im ganzen Kreis- lauf des Jahres erlitten habe, aus reiner Gnade und mit der Zustimmung der Domherren seiner Genossen- schaft fortan völlig freispräche und jeden Übertreter dieses seines Gebots auf immerdar vom Weinhaus aus- schließe; kein Mitglied seines unordentlichen Ordens sollt bei seinem höchsten Narrenzorn sich jemals un- terfangen, diesen Gnadenbrief anzutasten oder gegen denselben freventlich zu handeln. Die Urkunde ist aus- gestellt im Jahre 1209 im elften Jahre Papst Inno- zenz' III. unter der Regierung Kaiser Heinrichs und der herzoglichen Gewalt Leopolds, im letzten Jahre, fügt der Archiprimas hinzu, unsers Pontifikats. Ge- geben unter freiem Himmel durch den Geist, unsern Protonotarius, unter Anhängung unseres eigenen Sie- gels und des Siegels unsrer Genossenschaft und von glaubwürdigen Zeugen unterzeichnet. " (Giesebrecht. ) Die oben (S. 207) erwähnte Gorgiasurkunde französi- schen Ursprungs, das Aufnahmediplom in den Mün- chener Säuferorden und ähnliche Stücke sind ebenso- wenig ernsthaft, ebensowenig Zeugnisse für einen Orden.

Der Übermut ist so weit gegangen, daß man, zum Ge- brauch in den Universitätsstädten und auf der Wan- derschaft, Ordensregeln frei parodierte. Schon das St Pöltener Exemtionsprivileg nimmt Bezug auf „Re- geln". Kurz und bündig sagt ein Student^)

'Regula bursalis est omni tempore talis: Si sint presentes plures quam deficientes, nunquam presentes debeant exspectare absentes. Absentes careant, presentes omnia toUant*

M Vgl. Feifalik in den Sitz..Ber. d. Kaiscri. Akad. d. Wiss. XXXVI (1861) S 17&


Regel des hl. Liederlich) Bundeslied 221

Sehr viel weniger harmlos sind die Regeln des hei- ligen Liederlich und das Bundeslied.

Die Regula b. Liberum hat Matthias Flacius lUyricus 1556 veröffentlicht.^) Statt Augustin ist Libertin, der heilige Liederlich, zum Schutzpatron gewählt. In sei- nem Orden zecht der Abt, tanzt die Äbtissin, ist der Propst ein großes Tier und säuft, geizt der Kustos, gehen die Chorherren in üppigen Kleidern imd Schuh- werk einher, ruft der Kämmerer unaufhörlich 'Schenk ein!*, bringt der Koch köstliche Speisen auf den Tisch. Dieses Ordensleben hat seinesgleichen nicht Der Or- den nimmt alle auf, Prämonstratenser, Zisterzienser, Dominikaner und Franziskaner, Diebe und Räuber, jung und alt. Der Orden verbietet die Matutinen. Wer früh aufsteht, ist ein Esel. Das erste Wort, der erste Wunsch, die erste Lesung am Morgen ist ein guter Trimk, dem folgt als Responsorium ein Spiel. Da wird gewürfelt und nicht Gott gepriesen.

V. 22 imd 24 f. decken sich mit Str. 4 v. 5 und 8 v. 11, 7 f. des im Benediktbeurer Kodex stehenden Ge- dichtes (no. 193)

'Cum in orbem Universum decantatur ite.*

Das ist das sog. Bundeslied des Vaganten- ordens.*) Es beginnt mit einer prahlerischen Anprei- sung der Vagantensekte. Seit W. Giesebrecht sieht man vielfach in den Anfangszeilen eine Anspielung auf die Kreuzzüge. 'Wir erkennen aus diesem Gedicht zuerst leicht die Zeit, in welcher das Vagantentreiben sich ausbildete. Es war in den letzten Jahren des elften Jahrhunderts, als jener Ruf „Macht euch auf die Wan-

') In den *Varia doctorum piorumque vironim de comipto ecclesiae statu poemata* (Nachdruck von 1754 p. 496 sq.).

  • ) Text außer in Sdimellers Carmina Burana bei J. Grimm« Gedidite des Mittelalters

auf König Friedrich L den Staufer, Berlin 1844 (Abhandl. der Kgl. Akademie der Wlss. zu Berlin aus dem Jahre 1843 S 233 f.« nur Teilabdrudc) t bei L. Uhland, Alte hoch« und nieder«  deutsche VolksUeder, Stuttgart und Tübingen 1844/45, & 999-961, nadi einer Abschrift von Franz Pfeiffer t im Allg. deutschen Kommersbucli p. 178« bx (G. Groebers) Carmina cleri«  corum, Heflbronn 1876, p. 5 sqci.t in (R. Peipers) Gaudeamus, Leipzig 1877r p- 3 sqq. Deutsciie Ubersetzimg bei W. Giesebrecht in der AUgem. Monatsschrift fOr Wissenschaft und Literatur, Jahrgang 1853, S. 12 f.; bei L. Laistner, Golias, Stuttgart 1879, S 1 ff. Erör- terungen außerdem bei J. Schreiber, Vagantenstrophe & 80 ff. ; bei Frantzen Im Neophllo«  logus. V66^


522 Bundcslicd der Vaganten


derung!" in der abendländischen Christenheit laut wurde und die Gemüter der Menschen wie eine göttliche Kraft

mit unwiderstehlicher Gewalt fortriß — . Dieser

Ruf war es also auch, der die Vaganten erweckte, deren früheste Lieder daher nicht* über die Mitte des zwölften Jahrhunderts hinausreichen.* Selbst noch 1917 sagt Holm Süßmilch :^) 'Der ungeheuere Wandertrieb des Kreuzzugzeitalters setzt auch die Scharen der Vagan- ten in Bewegung. Jetzt, wo über den ganzen Erdkreis der Ruf „Ite" ertönt, machen sich auch Priester und Mönche auf* usw. Süßmilch drückt sich noch verhält- nismäßig vorsichtig aus, aber die Beziehung zum min- desten des fraglichen Gedichtes auf die Kreuzzugsbewe- gung ist bedenklich und jedenfalls seine Übersetzung falsch. Ich übersetze nicht: 'Jetzt, wo der Ruf ertönt', sondern: 'Wenn der Ruf ertönt, "Gehet hin in alle Welt" usw. Der Anfang ist einfach eine parodistijsche Anwendung des Christuswortes, das bei Mark. XVI 15 auf- gezeichnet steht: 'Euntes in mundum Universum prae- dicate evangelium creaturae*, eines Wortes des Evan- gelimns von Christi Himmelfahrt, und z. B. für Mitt- woch nach Pfingsten umgegossen ist in die Respon- sion 'Ite in Universum orbem et praedicate evange- liiun, alleluia*. Mit den Kreuzzügen hat das hier kaum etwas zu tun, eher schon mit der Frühlingszeit, in der die Vaganten natürlich gern auf die Wanderschaft gin-- gen. Die erste Strophe schließt mit der Behauptung,^ das Vagantenleben bedeute das Heil des Lebens. Str. 2,. die als Vorbedingung der Aufnahme und als Haupt- grundsatz der Sekte Haß gegen geizige Pfaffen predigt,^ parodiert gleich am Beginn 1 Thess. V 21 'Omnia autem probate, quod bonum est tenete*. Str. 5, vielleicht vor 3 zu setzen, ruft di^ einzelnen deutschen Stämme auf,^ die neuen Dekretalien — wieder eine Parodie — zu hören: Ein Pereat den Knauserigen. Nachdem der Or- den als milde und aufnahmebereit gepriesen ist, wird

M Die lateinisdie Vagantenpoesie des 12. und 13. Jahrhunderts als Kulturersdieinunfl S. 16. Gute Berichtigungen und Ergänzungen gibt Frantzen im NeophUologus. V (1919> o« 55 II.


Bundesiied und Verwandtes 223

in Str. 3, 4, 6, 10 aufgezählt, wer in den Orden kann. Die Strophen 7, 8, 9, 11—14 geben die Satzungen, die selbstverständhch im Gegensatz zxrni geistlichen Leben der echten Orden ein Bummlerleben vorschreiben. Der Schluß ist bibelparodistisch :

'Ad quos preveneritiSj dicatis eis, quare singulorum cupitis mores exprobrare: "reprobare reprobos et probos probare et probos ab improbis veni segregare".

Der Vagant maßt sich die Richterrolle an. Dabei wird der Dichter nicht unmittelbar Matth. XXV 31 ff. 'Cum autem venerit filius hominis in maiestate sua et omnes angeli cmn eo, tunc sedebit super sedem ma- iestatis suae. Et congregabuntur ante eum omnes gentes, et separabit eos ab invicem, sicut pastor segregat oves ab haedis et statuet oves quidem a dextris suis, hae- dos autem a sinistris* im Auge gehabt haben, sondern Verse, die einerseits dem Wortlaut des Evangeliums^ andrerseits der Strophe des Bundesliedes nahestehen. Schon W. Giesebrecht ^) und O. Hubatsch^) machten auf den Anfang eines durch Wright^) bekanntgewordenen Rügeliedes gegen die geistlichen und weltlichen Stände aufmerksam :

'A la feste sui venue et ostendam, quare singulorum singulos mores explicare, reprobare reprobos et probos probare et haedos ab ovibus veni segregare.*

Ob das Bundeslied deutscher Herkunft sich gerade an die französisch beginnende Fassung anlehnt,*) ist freilich nicht glaubhaft. Man tut besser, eine mit Stro- phen der Beichte 'Estuans intrinsecus ira vehementi* anfangende 'Invectio contra prelatos' der Herdringer Sammlung heranzuziehen, wo es in Str. 3 heißt :^)

  • ) A. a. O. S 14.
  • ) Die lat. Vagantenlieder S. 40.

') Reliquiae antiquae. II 43.

  • ) Jakob Sdireiber, Die Veigantenstrophe der mittellateinisdien Dichtung, Straßburg 1894-

S. 81, behauptete es, kannte aber den Herdringer Text nodi nicht

'^) Am Bömer in der Zeitschrift für deutsches Altertum. XLIX (1906) S. 190.


224 Bundesiied und Verwandtes

'Ad hoc festum venio et ostendam, quare singulorum singulis mores explicare, reprobare reprobos et probos probare et edos ab ovibus veni segregare.* So wie der Text in der C. B. steht, ist er weniger abwechslungsreich in den Worten als die Rügen. Der Nachahmer hat den Wortlaut nicht gerade gut geän- dert Aber in der Verwendung des Gedankens ist er geschickt. Man kann und muß m. E., was Schreiber nicht getan hat, von einer Parodie reden. Statt der leidlich ernsten Strafrede schimpft das Bundeslied offen humoristisch. Die elfte Strophe, die gegen Klei- derluxus eifert mit den Worten:

'Ordo noster prohibet uti dupla veste. Tunix^am qui recipit, ut vadat vix honeste,

Pallium mox reicit, Decio conteste,

cingulum huic detrahit ludus manifeste*, hängt sicherlich mit der dritten Strophe des auch in der C. B. stehenden und oben mitgeteilten Bettelliedes 'Artifex qui condidit' zusammen. L. Laistner meint, ^) der Dichter dieses Stückes habe frech parodierend die Reime 'conteste, manifeste, veste, honeste* aus dem Bun- deslied entlehnt. Ich halte das Umgekehrte für wahr- scheinlicher: Der Poet des 'Cum in orbem Universum', der auch sonst Gedanken und Worte anderer ohne Be- denken übernommen hat, fand das Bettellied vor und parodierte die weinerlicKe Bitte um ein Kleidungsstück zu den Sätzen um: der Vagant soll keine Kleiderüppig- keit zeigen. Wer zwei Gewänder hat, wird sie beim Spiel verlieren.

Das ist freilich über dieser Feststellung nicht zu ver- gessen, daß das Bundeslied gewirkt und auch außerhalb der Carmina Burana weitergeklungen hat, nicht bloß in der Regula Libertini, sondern auch in dem durch eine böhmische Handschrift des 15. Jahrhunderts über- lieferten Kneipliede : ^)

^) Golias S. 101.

_ «) Veröffentlicht von Feifalik in den Sitz.-Ber. der Kalserl. Akad. d. Wiss. XXXVI (Wien 1861) S 176 f.


Kneiplied 225

'Plenitudo temporis, venite, exultemus, licet ramos nemoris calvari videmus, quamvis promptuaria tanta non habemus; venite ergo, socii, fortiter bibemus!

De vagorum ordine dicam vobis iura, quorum ordo nobilis, dulcis est natura, quos amplius delectat tritici mensura vel quos benefaciat pingwis assatura.

Igitur ad poculum mane transeamus

et usque in crepusculum fortiter bibamus,

donec in parietibus lucem videamus

et prostratis manibus Stratum capiamus.

Audivi sero bibulum valde conquerentem, ut leonis catulum valde rugientem: quid est hoc, quod video neminem bibentem vinum, quod facit hominem omnia scientem?

Si tu nummis careas, hoc est veniale; pone si quid habeas, in memoriale tunicam vel iopulam, si quid habes tale, pincerna totum capiet, tandem femorale.

Si tu nummis careas, iubeas taxillum

fortiter in tabula gerere vexillum;

si tunc sors supervenerit, quod tu vincas illum,

letus et intrepidus curras ad ducillum.

Porto nostri hospitis nitet margaritis et apertis hostiis clamat: Unde sitis? Hie non est ieiunium, fames neque sitis, ymmo totum gaudium, quare non venistis?

Noster ordo prohibet matutinas ire (lies: plane), sunt quedam fantasmata que insurgunt mane, unde nobis veniunt visiones vane. Si quis tunc surrexerit, non est mentis sane.

Ldimann / Parodie im Mittelalter 15


226 Bundcslicd der. Vaganten


Nostra docet regula valde manifeste nuUum inter socios uti dupla veste, tunica vel iopula non inceste, in sola camisia, sie sedes honeste.

Nostrum est propositum in thaberna mori, ubi potus non deest sicienti ori, ubi sonant cithare et resonant chori decantantes dulcia mihi polatori.

Vel aliter:

Nostrum est propositum in thaberna mori, ubi sonant cithare et resonant chori, ubi potus non deest sicienti ori. Dens Sit propicius mihi potatori!

Omnibus postpositis diligo thabernam, quam in nuUo tempore sprevi neque spernam, donec sanctos angelos venientes cernam, cantantes pro bibulo requiem eternam.*

V. 5 — 8 stammen aus Str. 2 des Bundesliedes, v. 29 bis 32 aus Str. 8, v. 33—36 aus Str. 9. Die Schlußverse sind der Beichte des Erzpoeten entnommen.

W. Giesebrecht hat das Bundeslied durch nach- stehende Übersetzung den Lesern näherzubringen ver- sucht:

„Machteuchauf die Wanderung!" tönt's auf allen Stegen, und die Bibel sieht man flugs auf die Seite legen Priester, Mönch und Diakon, und auf allen Wegen ziehn sie unsrer Sekte nach, ihrem Heil entgegen.

„Prüfet alles!" Dies Gebot wird bei uns gelehret. Prüft dann unsern Lebenslauf, niemand sei's gewehret, doch den falschen Priester haßt, so der Lieb entbehret und auch nicht mit offner Hand milde Gunst gewähret.


Bundeslied der Vciganten 227

Wir nur hegen dieser Zeit christliches Erbarmen, denn wir nehmen groß und klein auf mit offnen Armen, wer da reich an Geld und Gut, wie die hilflos Armen, den erstarrt an Klostertür man nicht ließ erwarmen.

Uns willkommen ist der Mönch, stattlich tonsurieret, und der Priester, der sein Weib uns am Arm zuführet. Pfründner und Kanoniker, und wer magistrieret, doch ein Schüler allermeist, den sein Wämslein zieret.

Stille Leute, wilde Art folgen unsern Bahnen, deutsche Männer, böhmisch Volk, Slawen und Romanen, wie der Herr sie wachsen ließ: Zwerge und Titanen, die hoch fahren und die still sich nichts Großes ahnen.

Ihr Markgrafen und ihr Herrn, die zu frohen Mahlen Sachsen, Baiern, Ostreich uns sandte allzumalen, merket, denn ich melde euch neue Dekretalen: „Jeder Knauser ist verdammt und die kärglich zahlen."

Orden ohne Skrupel man unsre Sekte nennet, ob auch so verschieden Volk hier zusammenrennet, doch da beiderlei Geschlecht keine Scheidung trennet, was Geschlechts der Orden sei niemand recht erkennet.

Des Vagantenordens Recht will ich auch verraten, der ein herrlich Leben führt, wo man wohl beraten, wo mehr als ein Scheffel Korn gilt ein fetter Braten; höret die Gesetze denn und des Ordens Taten.

Unser Orden untersagt streng die Metten halten, denn am Morgen gehen lun arge Spukgestalten, und den Sinn berücken dann höllische Gewalten, darum muß ein kluger Mann früh im Bett sich halten.

Da uns also untersagt streng das Mettesingen, ziehn wir flugs zum kühlen Platz, wenn vom Bett wir

springen,

15*


228 Unterhaltendes


Hähnchen lassen wir dorthin und ein Weinfaß bringen, droht der Würfel Unheil nicht, voll von guten Dingen.

Unser Orden untersagt Doppelkleider tragen, wer, ein Wams am Leib, sich kann vor die Leute wagen, dann bringt bald das Würfelspiel um den Mantelkragen, und des Gürtels selbst wird er öffentlich entsagen.

Und wie man es droben hält, geht es drunten eben, wer ein Hemde hat, der braucht Hosen nicht daneben, und wer Stiefel trägt, der kann seine Schuhe geben: Jeder Übertreter soll unterm Bannfluch leben!

Keiner greife ohne Trunk früh zum Wander stabe, hat er nichts, so scheid' er nicht ohne milde Gabe, solcher Dreier bringt gar oft schnell zu reicher Habe, wenn zu guter Stunde sich setzt zum Spiel der Knabe.

Keiner ziehe seines Wegs gegen Sturm und Regen, und wer darbt, soll nicht die Stirn drob in Falten legen sondern wie ein kluger Mann still die Hoffnung hegen, folgt nach schwerem Leid doch meist reicher Glückes- segen.

Saget jedem Menschenkind, das euch aufgenommen, weshalb zu erforschen ihr jedes Tun entglommen, „Allen Sündern, sprecht, zum Schimpf, doch zum Lob

der Frommen, und zu scheiden Gut und Bös bin zur Well ich kommen".


4. Unterhaltende Züge und Stücke verschiedener Art.

Während im Anfange die unterhaltenden Züge, Stücke und Gattungen in der mittellateinischen Literatur dürftig waren, bildeten sie sich in nachkarolingischer Zeit stark und mannigfaltig aus. Vieles was davon als parodistisch anzusprechen ist, haben wir schon gestreift, da Bissiges und Launiges nicht immer leicht zu trennen sind. So


Ticrdiditung 229


bei der Tierdichtung. Sie mischt Scherz und Ernst. Zuerst wiegt das Belehrende und das Unterhaltende vor. Z. B. das Gedicht des Sedulius Scottus (um 850) über den Widder, der von Hunden zerrissen wird, mündet nach frischer Erzählung in eine christliche Deutung aus und hängt dann ein humoristisches Epi- taph an, das den irischen Appetit des Dichters auf einen leckeren Hammelbraten offen bekundet.^)

Die im 10. Jahrhundert entstandene Ecbasis cap- tivi ist eine Art behaglicher Allegorie ohne starke satirische Würze. Zu den Parodien im engeren Sinne ist diese Dichtung nicht zu nehmen, wiewohl sie Tiere ein breit geschildertes Klosterleben führen, Tiere höfi- sche Dienste verrichten läßt, weltliche und geistliche Texte ironisch verwendet und wieder ein Scherzepitaph, auf den Wolf v. 1166—1170, bringt. Es würde überhaupt viel zu weit führen, wenn ich alle die lateinischen Tier- dichtungen des Mittelalters hier behandeln wollte. Ich hebe nur einige Beispiele und Arten, die für die Parodie von Interesse sind, heraus.

Der Ysengrimus (12. Jahrh.) hat ohne Zweifel kräftige Kampftöne. Jedoch hüte man sich, mit L. Wil- lems^) das Satirische zu überschätzen. Vor allem möchte ich bemerken, daß für uns im Ysengrimus und anderen verwandten Stücken der Reiz der zumal durch die Verquickung von Menschen- und Tierleben komi- schen Schilderung so groß ist, daß man heutzutage die zugrunde liegende lehrhafte oder kritisch-polemische Tendenz nur zum Teil mühelos begreift und das Ganze wie einzelnes als Unterhaltungsliteratur genießt, so groß, daß wohl auch schon für das Mittelalter sehr bald bei der Lektüre das Satirische, zum wenigsten die ursprüng- lichen satirischen Sonderabsichten hinter dem rein Humoristischen zurücktraten.

Wenn im Ysengrimus P. Bovo, statt an den Sonntagen jedesmal ein besonderes Prozessionslied zu singen, aus

^) MG. Poetac. III 207. Vgl. oben S. 31. ') £tude siir rYsengrimus, Gent 1895.


230 Ysengrimus


Faulheit an jedem Sonntage, selbst im Februar, das Osterprocessionale wählt, und wenn bei dieser Gelegen- heit der Hymnus 'Salve festa dies, toto venerabilis aevo, qua Dens infernum vicit et astra tenet* parodiert wird, so ist das in erster Linie vergnüglich:

1735 'Emergente die Reinardus, ut arte ferocem eliciat turbam, proxima rura subit, iamque sacerdotis stantis secus atria gallum ecclesiam populo circueunte rapit, intenditque fugae; non laudat facta sacerdos, nee laudanda putat nee patienda ioco. Salve, festa dies" cantabat, ut usque solebat in primis feriis et "kyri" vulgus "ole"; "salve, festa dies" animo defecit et ori et dolor ingeminat "vae tibi, maesta dies, vae tibi, maesta dies toto misera-

bilis aevo, qua laetus spolio raptor ad antra

redit". Cum michi festa dies vel maximus hospes

adesset, abstinui gallo, quem tulit ille Satan; sie praesul doleat, qui me suspendere cantu debuit! en galli missa ruina fuit, non me missa iuvat sed vulpem altaria iuro: malueram missas ter tacuisse novem.*


Mehr der Unterhaltung als beißendem Spott dient die Schilderung der Pfarrersköchin, die, das Latein der Messe, mißverstehend, Excelsis, Osanna, AUeluia, Cele- brant als Heilige anruft (II 61 ff.) und 'Pater nuster*, 'Credinde', 'Dei paces*, 'miserele', 'oratrus fratrus', 'paz vobas*, 'Deu gracis' statt 'Pater noster*, 'Credo in Peum\ 'Da pacem*, 'Miserere nobis', 'Orate fralres', 'Pax vobis', 'Deo gracias' gebraucht (II 97 ff.). Ähnlich verballhornt der Pastor Ysengrimus (V 547 ff.) das 'Dominus vobis- cum* zu 'Cominus ovis kum*, und er betont das 'Amen' so, daß 'agne' verstanden wird. An spaßigen Anspielun-


Speculum stultorum 231


gen auf bekannte Gebräuche und Wörter von Kirche und Welt ist das Werk von Anfang bis zu Ende voll. So führt I 1001 ff. den Wolf als messezelebrierenden Prie- ster der Schafe vor, IV den Wolf auf einer Wallfahrt, V im Kloster, III die Tiere auf einem Hoftag, die V 1045 ff. erzählte Züchtigung wird zuerst wie eine bischöfliche Konsekration dargestellt, VII parodiert die Messe vom Introitus bis zum AUeluia des Graduale, VII 417 — 412 lesen wir ein Spottepitaph auf Ysengrimus:

'Unum pontificem satis unum claudere marmor sueverat, ex merito quisque notandus erit. Undecies senis iacet Ysengrimus in urnis. Virtutum turbam multa sepulcra notant. Nono Idus Junias exortu veris is inter Cluniacum et sancli festa Johannis obit*

Noch stärker als im Ysengrimus ist der unterhaltende Charakter der Parodie in dem um ein halbes Jahrhun- dert jüngeren Speculum stultorum des Nigellus Wireker. Da haben wir unter anderem die natürlich nicht ernst gemeinte Grabschrift für eine Kuh (ed. Wright p. 31):

'Epitaphium Bicornis.

Quae dum stulta fuit, doctos docuisse probalur, liaec postquam sapuit, vermibus esca datur';

ein Gebet (p. 36 sq.):

'Omnipotens Dominus meritis sanctisque Juliani det nobis veniam hospitiumque bonum*

usw.; ein Jubellied (p. 48 sq.):

'Canlemus, socii, feslum celebremus, aselli, vocibus et volis Organa nostra sonent*

usw.; ein Selbstgespräch des Esels Burnellus (p. 50 sqq.); Gut- achten und Urleile vom Hahn (p. 61 sq.), vom Raben (p. 112 sq.); da haben wir auch ein spaßiges Rezept Galens für den nach einem langen Schwänze verlan- genden Esel (p. 33):


232 Specuium stultonim


'Haec sunt quae referes variis signata sigillis, ne pereant obiicit cura laborque tuus:

marmoris arvinam, furni septemplicis umbram,

quod peperit mulo mula subacta suo; anseris et milvi modicum de lacte recenti, de lucis cursu deque timore lupi

de canis et leporis septenni foedere drachmam;

oscula quae niso misit alauda suo; pavonis propria libram de voce sonora,

ante tarnen cauda quam sit adepta sibi; de non contexta rubra sine flamme mappa,

nam risus asini tu dabis ipse tibi; allecis vel apum croceo de spermate libram,

de ciroli iecore, sanguine sive pede; natalis Domini modicum de nocte salubri;

quae nimis est longa iure valebit ad hoc. In redditu de monte Jovis de vertice siunmo

accipies libras quatuor asse minus. Alpibus in mediis sancti de nocte Johannis

de nive quae cecidit, tu simul indeferas; Serpentisque rubrae nee non de cauda colubrae.

Utile est valde nee tamen illud eme. Haec bene coUecta pariterqüe recentia quaeque

impones humeris sarcinulisque tuis.*

Ironisch und parodislisch ist auch der Segensspruch, den der große Arzt dem Esel mit auf den Weg nach Salerno gibt (p. 34 sq.):

"Omnipotens odia tibi mille det, et tua cauda

obtineat per se millia dena sibi! Sit tibi potus aqua! Sit magnus Carduus esca,

Marmora stramenta, tegmina ros et aqua! Grando, nives, pluviae tecum comitentur ubique,

protegat et noctu cana pruina, gelu!

Saepius exosus veniat post terga molossus!" Oscula dando tamen dixit asellus. Amen.*


Die Beziehungen dieses Narrenspiegels, der nach der Hauptperson oft 'Brunellus* oder 'Burnellus* heißt, zu


Odo$ Eselstestament 233


einer anderen 'Brunellus* genannten Dichtung sind nicht erwiesen.^) Sie beginnt mit dem Distichon

'Instabat festiva dies, animalia bruta conveniunt culpas depositura suas*

und bringt eine Beichte von Wolf, Fuchs und Esel. Die Parabeln des Engländers Odo von Cheritou^) saec. XII ex. dienen der Belehrung, aber sie suchen das didaktische Ziel zu erreichen durch unterhaltende Erzählung von Tierfabeln und parodieren dabei kirch- liche Versammlungen, Messen, Totenfeiern, Königs- wahlen u. a. Rein scherzhaft endlich ist ein Gedicht vom Esel, das vom 13.— 16. Jahrhundert in Deutsch- land, Böhmen und Italien viel Anklang gefunden hat. Die kürzeste Fassung ist durch P. von Winterfeld ^) hübsch verdeutscht worden. In ihr klagt der Bauer um seinen toten Esel, läßt für ihn die Kirchenglocke läuten, eine Seelenmesse feiern usw.

  • 0 tu, bone presbyter,

fac sibi pulsare ter, cantare solempniter.

Ad ecclesiam ibimus, requiem cantabimus, asinum servabimus.

Caro datur vermibus cutisque sutoribus, anima demonibus.

O vos cuncti Bavari, sumite caudam asini, cum ea suspendimini !


t(


schließt der Text*) Für ursprünglicher halte ich mit

') Vgl. Erast Voigt, Kleinere lateinische Denkmaler der Tiersage aus dem 12. bis 14. Jahr«  hundert, Strasburg 1878, S. 23 ff., 81 ff. und Patetta in Atti della R. Accademia delle scienze di Torino. Uli (1917/18) i>. 641 sqq.

") Voigt, a.a.O. S 113 ff.

") Deutsche Dichter des lat. Mittelalters S. 228.

  • ) F. Novati, Carmina medii aevii, Florenz 1883, p. 73.


234


Eselstestament


Novati die längere Redaktion.^) Fehlt in ihr die Pa- rodie des Requiems und der Messe, so hat sie dafür die Auferstehung des Herrn Esels und sein TestamenL


  • Testamentum domini

Rusticus dum asinum

suum videt mortutUD, "^30

flevit eius obitumt

Ohe, ohe, morieris asine?

5 Si te scivissem, asine, moriturum frigore, te induissem syndone. 35

Ohe]

Exclamavit rustica 10 voce satis querula, obstante viciniat Ohe 1 40

Ululavit rusticus magnisque clamoribust 15 trahens crines manibust Ohel

Surge tanto tempore, 45

quod tu possis bibere et testamentum condere. 20 Ohel

Mox consuiigens asinus

testamentum protinus condidit oratenust

Ohel 25 "Crucem do papalibus, aures cardinalibus caudamque minoribus." 55

Oh>l


50


asini.

„Caput meum iudicantibus, vocem meam cantantibus linguamque predicantibus." Ohel

"Dorsum meum portantibus, carnes meas ieiunantibus, pedes autem ambulantibus/* Ohel

  • Tellem meam sutoribus,

crines sellatoribus, oisa quoque canibus." Ohel

"Viscera vulturibus priapumque viduis una cum testiculis/* Ohel

His legatis omnibus, que habebat, asinus obdormivit cum fratribus. Ohel

Abbas tunc et clerici prebent panem tritfci cum vellet ipse mori Ohel

Rusticus et famuli portant corpus asini ad pasturamque lupi Ohel*


Der Witz des Tiervermächtnisses ist uralt; nach Zeug- nissen des Hieronymus ergötzten sich schon im 4. Jahr- hundert die Schüler an einem Testamentum porcelli.^)

») Novati S. 79 ff. In einer Wolfcnbüttler Handschrift lautet (nach Emil Henrici, Sprach* misdiung S 18) das Testament i

'Caput do papalibus,

aures cardinalibus,

vocem cantoribus,

merdem stercorantibus,

ossa lustralibus,

cutem Sdiarhansibus,

dai& eine pauchen daraus madien t

  • ) Vgl. Maiu-icii Hauptii opuscula. II (Leipzig 1876) S. 175-183.


Ulkrezepte; Salomo und Marcolf 235

Dieses ist noch im Mittelalter abgeschrieben worden und hat die Anregung zum Testamentum asini gegeben. Die Legate des Schweines 'de meis visceribus dabo donabo sutoribus setas, rixatoribus capitinas, surdis auriculas, causidicis et verbosis linguam, botulariis in- testina, esicariis femora, mulieribus lumbulos, pueris vesicam, puellis caudam' usw. sind die Vorbilder zu den in V. 25—43 versifizierten Versprechungen des Herrn Esels.

Ulkige Rezepte in lateinischer Sprache hat es im Mittelalter gewiß noch manches außer dem einen im Speculum stultorum gegeben. Ich kenne allerdings zur Zeit nur wenige. Parodistisch ist ein bis ins 12. oder 13. Jahrhundert zurückgehendes Gedicht, das mit tönen- den Worten ein neues Mittel gegen Kahlköpfigkeit an- preist, ^) parodistisch auch das später zu erwähnende Rezept in einem Druck der Nemo-Predigt. In den Ver- sen 'Anser sumatur veteranus qui videatur' usw. über die Herstellung von Gänsefett^) erblicke ich einen of- fenen Scherz, nicht eigentlich eine Parodie.

An Alter übertrifft die bisher in diesem Kapitel be- handelten Stücke die Parodierung König Salomos und seiner Weisheitssprüche. Schon d^^^^e- cretum Gelasianum de libris recipiendis' verjn^fet eine 'Scriptura quae appellatur Salomonis Intefdictio' oder 'Contradictio'. Der älteste bekannte Zeuge dafür, daß ein Marcolf als Sprecher gegen den Weisen des Alten Testaments vorgeführt wird, ist der St. Galler Mönch Notker Labeo (f 1022). In der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts vermutete Wilhelm von Tyrus Iden- tität des Abdimus von Tyrus mit Marcolfus, von dem fabulöse Volkserzählungen berichteten, wie er Salomos Rätsel gelöst und dem König mit Rätselaufgaben geant- wortet hätte. „Ein halbes Jahrhundert später bemerkte der schwäbische Dichter Freidank 'Salomon Weisheit

  • ) Vgl. Textanhang.
  • ) Oberliefert in St. Omcr 115 sacc XIII, vgl. Archiv d. Ges. f. altere deutsche Ge.

Schichtskunde. VIII 409, und Wien 4774 saec. XVI, vgl. St. Endlicher, Catalogus codicum philologicorum Latinorum bibl. Pal. Vindobonensis, Wien 1S36, p. 188.


236 Salomo und Marcolf


lehrte, Marcolt diese verkehrte. Die Sitte haben heute leider genügend Leute.' Aber welches die Sprüche waren, ob zunächst wirkliche Fragen und Antworten gewechselt wurden, ob diese ernsten oder burlesken Inhalts waren, darüber läßt sich nichts sagen." Diese Behauptung W. Benarys^) trifft glücklicherweise nicht zu. Denn Guido von Bazoches (f 1203) vermerkt — was außer Benary auch Cosquin und andere Forscher über- sehen haben — in seiner Apologie:^) 'Hiis liquet exemp- lis in moribus instituendis natura quid iuris habeat, nutritura quid possit, nee tantum in rationali, sed in ratione carente vim habet eandem et dominium ani- mali, quod memoriali precipue declaratur illo de mul- tis, que de sapientissimo Salomone celebrantur ore multorum, et quodam cum eo sofistice confligente. Nam cum Salomon nutriture preferre naturam intenderet et ille contenderet econverso nature preferens nutrituram, promisit, quod verba regis rebus obtunderet et osten- deret, quod proponebat magis opere quam sermone. Dicebat enim habere se domi murilegum ad vocem iu- bentis et honorem bibentis erecto corpore super pedes extremos lumen elevare prioribus institutum; propter quod invitatus a rege venit ad cenam, sedit ad mensam, animal suum collocavit, aptavit, ut super pedes in- feriores et lumen superioribus elevaret Ad hoc provida regis sollercia preparaverat in absconso murem vivum et educto de latibulo vestimenti fugiendi copiam dedit. Quo viso murilegus abrenuntians legibus preceptoris et in naturalia iura concedens, abiecto ministerio fugien- tem assequi preparavit.' Die Anekdote von der kerzen- tragenden Katze erscheint im zweiten Teile ^) des zur Zeit aus Handschriften des 14. und 15. Jahrhunderts bekannten mittellateinischen 'Salomon et Marcolfus

') Salomon et Marcolfus, Heidelberg 1914 (Sammlung mittellat. Texte, her. von A. Hilka, Heft 8). S. VII f.

') W. Wattenbach in den Sitz.«Berichten der Kgl. Preu^ Akademie d. Wiss. zu Berlin. 1893. S. 405 f.

^) Benary S. 30 f . Warum hat der in München arbeitende Benary f&r seine Ausgabe nicht München lat. 5354 fol. 282 sqq. benutzt? Fol. 286^ stehen die p. XVIII gedruckten Verse *Sum Marcolfus sycophanta .


Salomo und Marcoif 23i?!


wieder. Da der Pariser Kodex der Apologie ausdrück- lich zu obigem Bericht die originale Randbemerkung 'De Salomone rege et Abdemone Tyrio qui Marculphus vulgariter appellatur* hat, ist zu behaupten, daß die Er- zählungen von Salomoh et Marcoif us bereits gegen 1200 mindestens zum Teil denselben Inhalt wie um 1400 gehabt haben, wenn auch Form und Umfang im Laufe der Zeit verändert sein mögen. Ohne eine genauere Datierung und Lokalisierung des überlieferten Unter- haltungsbuches wagen zu können, möchte ich einstweilen soviel sagen: Die zwei Teile, aus denen der Text jetzt besteht, werden verschieden alt sein. Als Notker Labeo (952 — 1022) auf Marcolfs Streit gegen die Proverbia Sa- lomonis anspielte, kannte er wohl nur ein Wortgefecht zwischen Salomo und Marcoif, wie es nunmehr an er- ster Stelle des Ganzen steht; als Wilhelm von Tyrus und Guido von Bazoches ihr Zeugnis abgaben, bestand schon ein Komplex von Anekdoten über Salomon und Marcoif, gleich oder ähnlich dem zweiten Teil. Zeugt Guido für das frühe Vorhandensein der Katzenerzählung und ihrer Beziehung auf Salomon und Marcoif, so ist Wilhelm zu entnehmen, daß es sich damals schon nicht mehr um einzelne, sondern um vereinigte Ge- schichten handelte: 'Marcoif um de quo dici-

tur, quod Salomonis solvebat aenigmata et ei responde- bat, aequipoUenter ei iterum solvenda proponens.'

Parodistisch sind beide Teile. Gleich der Prolog be- ginnt mit einigen von Benary nicht notierten Anklängen an die Bibel: 'Cum staret rex Salomon super solium David patris sui, plenus sapiencia et diviciis, vidit quen- dam hominem Marcolfum nomine a parte orientis veni- entem, valde turpissimum et deformem, sed eloquen- tissimum.'^) Vgl. damit 3 Reg. II 12 'Salomon autem sedit super thronum David patris sui'; ib. 24 'coUocavit me super solium David patris mei*; 3 Reg. X23 'magni- ficatus est ergo rex Salomon super omnes reges terrae, divitiis et sapientia'; 3 Reg. VII 13 f. 'misit Sa-

1) A. a. O. S. 1.


238 Salomo und Maicolf


lomon et tulit Hiram de Tyro filium mulieris viduae plenum sapientia et intelligentia*. Daß zu Be- ginn des Dialogs^) der Stammbaum Salomos nach Matth. I gegeben ist merkt Benary an. Für uns ist wichtig, daß diese bibUsche Genealogie durch einen er- fundenen Stammbaum Marcolfs und seiner Frau paro- diert wird.*) In der nun folgenden Rede und Gegen- rede des Königs und Marcolfs bedient sich Salomo naturgemäß fast durchweg der biblischen Weisheit: aus den Prov. sind Sap., Eccli., Gant, Eccl., Job, ja auch neutestamentliche Bücher herangezogen. Benarys Feststellungen genügen nicht. ^) Zur parodistischen Li- teratur gehört das Zwiegespräch deshalb vor allem, weil Marcolf jedem Worte Salomos irdische, grobsinnliche Erfahrungen, derbe Witze entgegenstellt, oft dem Wort- laut der Bibel nahebleibend, den Lehrinhalt der Salo- monischen Sätze aber immer paralysierend. So:

'Mulierem fortem quis inveniet?' 'Quis cattum super lac fidelem reperiet?' 'NuUus.*

'Et mulierem raro.'

'Subtrahe pedem tuum a muliere litigiosa!* 'Subtrahe nasum tuum a culo iussoso!* 'Qui seminat iniquitatem, metet mala.* 'Qui seminat paleas, metet miseriam.* 'Landet te alienus et non os tuum!* 'Si me ipsum vitupero, nuUi umquam placebo.* 'Inter bonos et malos repletur domus.' 'Inter podiscos et merdam repletur latrina.' 'Eice derisorem, et exibit cum eo iurgium ces- sabuntque cause et contumelie.' M.: 'Eice inflacionem de venire, et exibit cum ea merda cessabuntque torciones et iusse."

») A. a. O. S. 3 t.

2) A. a. O. S. 4 f.

3) Für 5a vgl. 3 Reg. III; 6a 3 Reg. III 12 f.; 15a Prov. XXI 9 und XXV 24; 86a Prov. XXVII 4; 94a 1 Cor. XV 32; 116a Matth. XII 34 oder Luk. VI 45; 119a 1 Reg. IX 20; 127 a Eccli. XXX 12; 137 2 Cor. X 6. Bei weiteren Nachforschungen sind wohl noch mehr Ergänzungen zu finden.


13


S.:



M.



S.:



M.


15


S.:



M.


17


S.:



M.


20


S.:



M.


2G


S.:



M.


46


S.:


Salomo und Marcolf 239


79 S. : Tro amore Dei dileccio omnibus exhibenda est/ M. : 'Si amas illum qui te non amat, perdis dilec- cionem tuam/ 128 S. : 'Celum quando nubilat, pluviam facere vult*

M. : 'Canis quando crupitat, cacare vult/ 140 S. :• 'Omnia tempora tempus habent*

M. : "Diem hodie et diem cras" dicit bos qui leporem sequitur.'

Das sind Beispiele und längst nicht die schlimmsten der Zoten und Derbheiten. Der Schluß des ersten Teiles führt aus 3 Reg. IV und XII 'Banaias, f ilius Joiade, et Zabud, amicus regis, et Adoniram, filius Abda, qui erat super tributa* vor. Wenn diese zu Marcolf sagen: "Ergone tu eris tercius in regno domini nostri?" so muß — Benary schweigt — auf Daniel V 16 'tertius in regno meo princeps eris* verwiesen werden. Die Fort- setzung der Diener Salomos: "Ante eruantur tui pes- simi oculi de tuo pessimo capite. Melius decet te iacere cum ursabus domini nostri quam sublimari aliquo ho- nore" erinnert mich stark an den bekannten Satz der Bergpredigt Matth. V 29: 'Quodsi oculus tuus dexter scandalizat te, erue eum et proice abs te; expedil enim tibi, ut pereat unum membrorum tuorum, quam totum corpus tuum mittatur in gehennam.' Auch der Schluß (S. 2l8— 223) ist biblisch, vgl. 3 Reg. IV 8—19.

Im zweiten Teil ist die Darstellung freier, selbständi- ger, jedoch auch da wird immer Salomo durch Mar- colf parodiert. Besonders bezeichnend ist die burleske Behandlung der Geschichte von Salomo und den sich um ihr Kind streitenden Müttern sowie die Verdrehung der Salomonischen Urteile über Frauen im allgemeinen. Salomo wird geradezu eine Schwankfigur als Frauen- jäger. Die Bibel ist textlich parodiert, indem Marcolf den König dazu bringt, erst gut, dann schlecht von den Frauen zu sprechen, wie wenn er wirklich in seiner Meinung geschwankt hätte. Tatsächlich aber hat Sa- lomo in der Bibel bei den verschiedenartigen Aus- sprüchen genau geschieden zwischen den guten und


240 Der heilige Niemand


den schlechten Frauen. Der Herausgeber Benary hätte m. E. auch hier zeigen müssen, daß und wie bei diesen Anekdoten immer wieder Bibelworte gebraucht, miß- braucht werden. Grandios wird die possenhafte Paro- die abgeschlossen durch die Suche der Salomonischen Diener und Marcolfs nach dem Baum, an dem dieser zur Strafe aufgehängt werden soll. Sie durchschreiten das Tal Josaphat, die Abhänge des Ölberges usw. bis nach Jericho und finden den Baum nicht. Die Wander- schaft geht weiter durch den Jordan und ganz Arabien, umsonst. Der Weg führt auf den Berg Garmel, den Libanon und zu vielen anderen aus der Bibel (nicht bloß aus Jos. XII ff., wie Benary meint) bekannten Stätten. Da sie keinen Baum finden, den Marcolf wählt, lassen sie ihn schließlich laufen. So entrinnt der freche Schelm den Händen König Salomos.

Das Buch der Bücher hat noch oft für Narreteien und Spaße herhalten müssen.

Um 1290 verfaßte ein gewisser Radulfus, wohl ein Franzose, einen Sermo oder eine Historia de Ne- mine, den recht kennenzulernen die Welt jetzt erst das Glück hätte. Nemo wäre wesensgleich mit dem Sohne in der Trinität und hätte ganz außerordentliche Eigen- schaften und Fähigkeiten. Radulf hatte von ihm da- durch erfahren, daß er in einer großen Reihe von Stel- len namentlich der Bibel und Liturgie, außerdem bei Cicero, Horaz, Maximian, in den Disticha Catonis, bei Piscian und Augustin u. a. das Wörtchen 'nemo* keines- wegs als Negation, sondern als einen Personennamen ansah. Diese 'Auctoritates' hatte er sich angeblich von geistlichen Personen gekauft und war so imstande, einen Traktat über Niemand zu verfassen und dem Kardinal- diakon Benedikt Gaietani zu widmen. Ja, er hatte sol- chen Erfolg, daß ein gewisser Peter von Limoges u. a. sich dem Nemo-Kult anschlössen, daß förmlich eine 'Secta Neminiana' entstand. Da veröffentlichte Stepha- nus de S» Georgio eine Gegenschrift in der Absicht, durch sie die Verdammung und Verbrennung der Ne-


Dier heilige Niemand 241


minianer auf der Provinzialsynode von Paris zu er- reichen. Er gab sich die größte Mühe, die einzelnen Nemostellen Radulfs durch Glossierung zu Widerlegen und zweitens durch andere Stellen zu beweisen, daß der Nemo ein ganz verworfenes Subjekt wäre. Ra- dulfs Sermo kennen wir aus der erhaltenen Gegenschrift Stephans und aus mehreren Ispäteren Bearbeitungen der Nemogeschichte. Diese, die in vielen bisher nur zum Teil herangezogenen Handschriften saec. XIV— XVI von mindestens vier Fassungen vorliegen, sind nun aber keineswegs mehr ernst gemeint. G. H. Pertz, W. Watten- bäch, J. Bolte u. a. behaupteten, man hätte es mit Pa- rodien von Heiligenlegenden zu tun, verfaßt, um der Ver- breitung der hagiographischen Literatur Abbruch zu tun. In H. Denifle dem Streitbaren fanden sie einen Wider- sacher,^) der neue Aufschlüsse brachte durch die Ent- deckung der Schrift Stephans gegen Radulf und, ohne die Unterhaltungstendenz der jüngeren Redaktionen zu leug- nen, auf die ernste Absicht des Urtextes hinwies. Ich zweifle, ob Denifle in allem recht gehabt hat: Trotz- dem Stephau den Sermon Radulfs ernst nahm, kann dieser eine übermütige Parodie gewesen sein, auf die Stephan in seinem Eifer hineingefallen ist. Darin stimme ich dem gelehrten Dominikaner unbedingt zu, daß die Nemospielereien niemals bestimmt waren, Hei- ligenverehrung und Heiligen legenden zu verhöhnen und zu bekämpfen. War irgendwie Spott beabsichtigt, dann wohl nur darüber, daß gewisse Exegeten oft alles, was sie wollten, aus der Heiligen Schrift und anderen Wer- ken herauslasen. Der Hauptgrund, warum man seit dem 14. Jahrhundert die Nemotexte so häufig abschrieb, um- modelte, ergänzte, übersetzte, war der, daß man in ihnen humoristische Parodien sah, scherzhafte Einkleidung und Zusammenfassung parodistischer Interpretationen in das Gewand einer Legende, in die äußeren Formen einer Predigt zur Verehrung eines Schutzpatrons. Seit- dem der Apostel Paulus den Hebräerbrief begonnen

  • ) Archiv fOr Literatur« und Kirchengesdiichte des Mittelalters. IV (1888) S. 330 ff.

Lehmann / Parodie im Mittelalter t6


242 Der heilige Ntemand


hatte mit den Worten, die in der Vulgata lauteten 'Mul- tifariam multisque modis olim Dens loquens patribus in prophetis: novissimis diebus istis locutus est nobis in filio, quem constituit heredem universorum, per quem feeit et saecula', fingen nicht selten Sermone, Briefe, Heiligenleben so oder so ähnlich an, was man z. B. aus den Initienverzeichnissen von Vattasso und Little sehen kann. Es war also schlau von dem Paro- disten, seinen Text einzuleiten durch die Worte 'Multi- farie multisque modis, charissimi, loquebatur olim Deus per prophetas, qui velut in enigmate et quasi sub nebulosa voce unigenitum Dei filium pro redimendis laborantibus in tenebris et in umbra mortis sedentibus preconizarunt venturum; novissimis autem diebus per suam sacram scripturam palam alloquitur et beatlssi- mum Neminem, ut sibi comparem ante secula genitum' usw. Auch die Worte 'Vir quidam erat, in Oriente nomine Nemo* der Fassung *C bildeten einen guten Ein- gang, da sie gleich an das Buch Hiob denken ließen. In dieser Lobrede, die auch als 'Sermo pauperis Henrici de S. Nemine cum preservativo regimiüe eiusdem ab epidimia*, also mit einem Scherzrezept, und mit einer 'Figura Neminis, quia nemo in ea depictus*, einem leeren Viereck, um 1500 gedruckt worden ist,^) wird Nemo nicht mehr als Quasi-Gott, sondern als heiliger Mensch aiKgefaßt. Die Belegstellen sind zumeist dieselben, nur haben sie z. T. eine andere Reihenfolge erhalten. Stil- gerecht schließt Denifles Fassung a mit den Sätzen*) 'Estote igitur viri fortes in agone velud doctor noster Nemo et robusti. Et certamen illius qui nullis falsis IMTobacionibus nee scripturis subsistit, non recusetis sub- ire. Rerservemus etiam in nostri pectoris scrinio ad laudem et gloriam patroni nostri beatissimi Neminis et suorum tot et tantas autoritates, tam divinas cano- nicasve quam civiles, cum infinitis sanctorum sanc- tionibus patrum philosophicis insuper et naturalibus

  • ) Vgl. J. Bolte in der Alemannia« her. von A. Birlinger« XVI (1888) S. 199 ff.
  • ) Anzeiger für Kunde der deutschen Vorzeit. 1866 S. 367.


Der heilige Niemand |243


argumentis. Infinitis autem virtutibus posset et laudibus

sanctissimus Nemo ist© preconizari . Ad euius

beatitudinem et gloriam qui sine fine bibit et restat nos vosque pervenire concedat per omnia pocula poculorum/ So und ähnlich ist der spaßhafte Charakter ange- deutet Wenn man, wie es tatsächlich sehr bald im Mittelalter geschah, die närrische Ketzerei vergaß, die den ersten Nemotext ins Leben gerufen haben soll, konnte man bei bescheidenen Ansprüchen sein Ver- gnügen an der Lektüre dieser Klitterungen finden und hat es gefunden. Die eine Willkür, daß man 'nemo' als Namen oder Bezeichnung einer bestimmten Persön- lichkeit auffaßte, ermöglichte die tollsten Feststellun- gen. Von Nemo dem Göttlichen, von dem in Ps. CXXXVII gesagt werde "Dies formabuntur et Nemo in eis", im Johannesevangelium "Nemo ascendit cae- lum" — "Nemo Deum vidit", bei Matthäus "Nemo no- vit patrem Nemo novit filium". "Virtuosus et

potentissimus Nemo tanta audacia et securitate claruit et illuxit ita, quod, dum Judaei maledicti Jesum capere venientes non essent ausi invadere, solus iste Nemo audacissimus qui cum eis aderat cepit eum, ut dicitur Joh. septimo et octavo "Nemo misit in eum manus". Von demselben Heiligen hören wir "Nemo potest du- obus dominis servire". Er ist ein großer Kriegsmann, ein Prophet, ein Wesen frei von Sünde, ein Seliger, ein Gelehrter in allen möglichen Künsten: "Nemo tene-

tur propriis stipendiis exercere — . Nemo est

acceptus propheta in patria . Nemo sine cri-

mine vivit — . Nemo ex omni parte beatus" .

'De eo eciam lucide testatur Priscianus, quod ei fuit consimilis in grammatica et socius, cum dicit in maiore volumine*: "Neminem inveni michi socius." 'Fuit eciam astronomus sicut legitur*: "Nemo observat lunam" usw. Ewiges Leben ist ihm beschieden. Denn "Nemo est qui semper vivat". Er darf Bigamie treiben: "Nemini permittitur binas habere uxores." Gemäß der Bene- diktinerregel darf er ungescheut nach dem Abendgebet


244 Dief Panhwirtrtikr Invicem

reden: '*Post completorium nemo ioquatur." Ja: Nemo poterit se simflem Deo fingare; Nemo vindt Demn; ipse soiiis factiis est Dens et Nemo emn corrigere po* tesf Auf die Terschiedenen lateinischen Rezensionen, auf die Obersetzungen ins Deutsche, Niederlandische, Französische und andere Sprachen einzugehen, möchte ich verzichten. Aber ich säge nicht mit H.Denifle(S. 338): „Es ist auch wahrhaftig nicht der Miihe wert; man hat sich ohnehin schon zu viel mit diesen Spielereien ab- gegeben. Der Literaturhistoriker hat sich nicht stets nur mit tiefsinnigen Werken zu beschäftigen. Die Nemo- geschichten haben dem Geschmacke von Tausenden ent- sprochen und weitergelebt, als viele originellere, ern- stere Schriften längst vergessen waren.

Häufig überliefert, haben die Nemolegenden und Nemopredigten andere geistesverwandte nach sich ge- zogen. So erfahren wir durch einen Sermon, den W. Wat- tenbach^) aus der Liesbomer Handschrift München lat. 10751 saec. XVI abdruckte, ich außerdem aus den hundert Jahre älteren Codices, Besan^on 592 (dank Dr. J. Wer- ner, Zürich) und Köhi Hist Archiv G. B. 8^ 61 (dank Dr. L. Bertalot und Dr. J. Theele) kenne, von einem Paulusschüler Invicem, der von dem Apostelfürsten ausgeschickt und angelegentlich empfohlen ward, aber Gegner fand, so daß Paulus selbst kommen mußte und schließlich nach einem Verhör von neuem befahl, seinen Jünger zu lieben und zu ehren. Wirklich existiert hat dieser Invicem ebensowenig wie Nemo und ist niemals verehrt, sondern nur des Ulkes halber aus allerlei Bibel- steilen, wo das Wörtchen 'invicem* = gegenseitig vor- kommt, erschlossen worden. Mitten ins Reich des blühenden Blödsinns führt die parodistische Anwendiung und Auslegung mit den beiden Predigten über das Nichts, die 2) 'Lectio Danielis prophetae. Fratres, ex nihilo vobis timendum est' und der^) 'Sermo plurimum

») Anzeiger für Kunde der deutschen Vorzeit. N.F. XV (1868> S. 39 ff.

•) Wattenbach, a. a. O. S. 9 ff.

•) Derielbe, a. a. O. XIV (1867) S. 344 ff.


Predigten Aber das Nichts 245

utilis ex diversis coUectus de nihil. Fratres ex nihilo nihil fit*. Auch der verschollene 'Sermo lusorius* des englischen Augustiners Peters PateshuU, eines Wikle* fiten, der auch in Böhmen gewirkt haben soll, wird in dieselbe oder eine verwandte Kategorie gehören;^) diese von J. Bale einmal 'Risus natalicii' genannte Predigt begann mit den Worten 'De nihilo nihil est et nihil semper erit*. Alle knüpfen sie also an den gern er* örterten Grundsatz an, den Epikür an die Spitze der Physik gestellt hatte: ov&sv ytrszai ix rov /lltj ovrog. Daß der Satz namentlich seit dem 13. Jahrhundert gern und lebhaft diskutiert wurde, kann man z. B. aus den Werken Thomas von Aquins sehen und aus dem Ku- riengedichte Heinrichs von Neumünster, wo v. 841 als Streitfrage der Nachtischgespräche im Palast des Pap- stes aufgeführt wird:*) 'Cum nihil ex nihilo, sed sit res omnis ab ente.*

Die Texte, die wir zu besprechen haben, sind ge- wissermaßen Parodien auf die scholastischen Erörte- rungen. Die Verfasser haben sich nicht mehr die Mühe gegeben, die einzelnen Sätze fest miteinander zu ver- binden, vom Nichts kommen sie auf alles zu sprechen, namentlich auf die sinnlichen Freuden des Daseins, und sie wirbeln dabei die verschiedenartigsten Bibelstellen u. a. wild durcheinander. Heilige Sätze werden mut- willig verändert und überdies Quellen zitiert, die es niemals gegeben hat. Die Danielslesung leistet sich z. B. die Worte: 'Scriptum est enim "Si esurit inimicus tuus, appone ei ferrum et lapides. Si sitit, silices da ei bibere. Lapides enim et sal est vita hominis. In his

quoque duobus tota lex pendet et prophetae."

Unde dicit Vergilius in canticis canticorum. "Si videris fratrem tuum necesse habere, erue ei ocu- lum et proice abste. Et si perseveraverit pulsans, erue ei et alterum."

^) Vgl. )o. Baleus« Scriptorum illustrium maioris Brytanniae etc. catalogus, Basel 1557, p. 509 sq.; derselbe, Index Britanniae scriptorum ed. R. L Poole, p. 322; Dictionary of National Biography. XLIV 29.

  • ) Vgl. H. V. Grauerts Abhandlung und Ausgabe S. 96, 125 ff.


246 Fortleben der Parodie


Der Sermo de Nihil bringt für ungefähr dasselbe andere Gewährsmänner. 'Unde Galienus in canonica sua super Lueam seribens ait "Si esurit inimicus tuus erue ei oculum, et si perseveraverit pulsans erue ei et alterum. Qui enim ista feeerit, legem adimplevit" Cui Rabanus concordans extra de largitate cap. Nihil quic- quam ulli dederis "Si sitit inimicus tuus, appone ei ligna et lapides inquiens: Die, ut lapides isti panes fiant Si infirmatur inimicus tuus, appone ei lapides et sal, so hefft he de gerichte all. In his duobus mandatis universa lex pendet et prophetae." Unde dicit Alexan- der in canticis canticorum "Si vis perfectus psse, vade et fac tu similiter". Diese paar Proben können zugleich zeigen, daß die beiden Texte eng zusammen- hangen« Der Sermo, der auch die Geschichte von Salo- mon und Marcolf kennt, steigert den Unsinn der Lectio zumeist noch. So mag diese ein älteres Stadium der- selben Scherzpredigt vorstellen. Einer Neuausgabe und längeren Besprechung würdige ich die beiden Texte einstweilen nicht. Anderseits wäre es falsch, sie hoch- mütig ganz unbeachtet zu lassen. Die Stücke sind weder vdtzlos noch wirkungslos, sind kulturhistorisch und literarhistorisch wichtig. Man muß sie hinzurechnen zu den alten Predigtparodien, den scherzhaften und den boshaften Messen, zur Goliassatire vom Schwelgerabte, zur CoUatio iocosa de diligendo Lieo, zu der pastoralen Beichte und Verteidigung des Erzpoeten u. a. Der literar- geschichtliche Wert beruht vor allem darin, daß sie und ähnliche Stücke lange in der komischen Literatur An- klang und Nachhall fanden, auch noch als bereits die neuen germanisch-romanischen Sprachen gesiegt hatten. Haben sich die humoristischen Parodien in lateinischer Sprache gegen Ende des Mittelalters nicht mehr zu großen Leistungen erhoben, leben sie nur bescheiden in den Fastiiachtsscherzen und Studentenulken weiter, ihre Wirkung ist noch zu spüren bis Abraham a Santa Clara und über ihn hinaus.


REGISTER


Äbschrecküngsverfahren mittelalter- licher Prediger 14 f., 200

Abt vgl. Angers, Fürbitten und Schwelgerabt

Adam 1681

— von Usk 123 f.

'Ad primum morsam' 185

Aegidius von Corbeil 45

  • A la feste sui venue' 223

Alanus de Insulis 61, 189

Albinus et Rufinus, Pseudo-Heilige 44ff.

Alexander de Villa Dei, Doctrinale parodiert 155

'Alias dum synodum clericis cele- braret* 164

Alleeia — Alleluia 203

Allen, Ph. 8. 16, 143

Alvarus Pelagius 53

Andreas von Regensburg 94

Angers, Abt von 24 f.

Apotheker vgl. Fürbitten

'Arbore sub quadam' 168 f.

Arehipoeta 139 ff., 174

Archiprimas, vgl. Surianus

Aretin, Chr. von 54

Arthur von Bretagne, Satire auf 122

'Artifex qui condidit* 212

Arundelsammlung oft

Asinander, Asinandrellus, Asinel- mus = Anselmus (Alexander n.) 96

Augustinparodie 40

'Ave, color vini clari* 176

Azelinus von Reims 30

Bacchus 190, 193, 201, 203 ff., 207

'Bache, bene venies* 186

Bachiarius 27

Bale, J. 245

Balhom, Rother 95

Ballerini 27

Baudry von Bourgueil 169

Bauernfeindliches 111 ff., 117 f., 177,

204 f. Beelzebubschreiben 88 f., 91 Behrend, F. 13 Beichte, parodist. 140 ff., 187, 201,

233


Belialschreiben 90

Benary, W. 236 f.

Benefictus — Benedictus 96

Benzo von Alba 96, 120 f.

Bemardino von Siena 15

Bemeker, E. 124

Bernhard von Clairvaux 145

Bertalot, L. 179 f., 185, 244

Bettellieder 212 ff., 224

Bibelparodien 38 f. u. oft

Bischof, vgl. Fürbitten

Boehme, F. M. 11

Boemer, A. 213 u. ö.

Bolte, J. 241 f.

Bonifaz VIII., Papst 64

Brewer, H. 27

Brief- und TJrkundenparodien 85 ff.

Brunellus 233

Bruno, Bischof 79

Bruno, S., Carthus. 169

Bürger vgl. Fürbitten

Bundeslied der Vaganten 221 ff,

Buoncompagni 184

Burdach, K. 41, 124 f.

Burkhard von TJrsberg 66, 96

Caecilia 151 f.

Caelius Secundus Curio 54

Cambridger Lieder 33 f.

Carmina Burana oft

carpinales u. dgl. — cardinales 61 f.

Cato 82, 207

Cena Cypriani 19, 25—30, 33

Cento 10 f.

Chrodebert von Tours 24

Ciphus, Pseudo-Gott 207

Clemen, O. 163

Clemens I., can. 6 parod. 161

'Clerus et presbyteri nuper consedere*

159 ff. Codrus, codrior, codrizare 78 — des Joh. Kerckmeister 189 Cole, Ch. A. 11 'Congaudentes ludite' 145 Comefredus — Godefredus 96 Cosquin 236

'Cum animadverterem* 187 'Cum in orbem Universum' 221 ff.


248


Register


Danae und Jupiter 150

Decius vgl. Spielerlieder und Spieler- messen

Deiter, H. 162

Deklination, Bauern- 112 f.; Liebes- 153 f.

Dekretparodien 40, 72 ff., 159, 216 f., 222

Delepierre, 0. 16

Demens — Clemens 96

Denifle, H. 241 f., 244

  • Denudata veritate* 187

Deutsche, vgl. Fürbitten

Dichtung, weltliche und geistliche, in ihren Wechselbeziehungen 11, 143 f.

Dietrich von Nieheim 94 f.

Distinctiones monasticae et morales 60

Dolus, Pseudo-Heiliger 207

Doxologie, parodiert 187

E. du M6ril 54 u. oft

£. Dümmler 54 f., 63 u. a.

'Dum Dianae vitrea* 195 f.

  • Dum domus lapidea' 195 f., 198 f.

'Dum transirem Danubium' 153

Ecbasis captivi 229

  • Ecce homo sine domo* 208

Eckstein, F. A. 16

Ehebrecherischen Mönch, Geschichte vom 171 ff.

Ehrenthal, L. 195

Ehrismann, G. 33

Epistellektion, parodiert 109 f., 128, 202

Epitaphien zu Scherz und Spott 25, 31, 41, 119 f., 229, 231, 235

Ermenrich von Ellwangen 31

Ermini, F. 37, 189

Errorius — Gregorius 95 f.

Eselsprose 137 f.

Eselstestament 233 f.

Evangelium des Geldes 44, 54 f.; Mahmet38; Ovids 157. Vgl. femer Passiones und Sauf- und Spiel- messen

Exemptionsprivileg, humoristisches 218 ff.

Exkommunikationen, parodistische 1571, 213, 214, 216

Ezechielschreiben 93

Feifalik 155, 205, 224 u. a. Feste der Schulkinder, der Geist- lichen, der Laien 19 f., 136 ff., 166 Fichard, J. C. von 55


Fmk, Joh. 177

Finke, H. 59

Flacius, M. Dlyricus 80, 97 u. ö.

Flögel, 0. F. 11

Folle{)randüs, FoUeprandellüs — Hil- debrandus (Gregor VII.) 96

Fortunatus, Ven. 142 f.

Frantzen, J. J. A. 16, 77, 142, 154, 221, 222

Franz, A. 15 u. a.

'Frigescentis caritatis* 73, 146

'Frigus hinc est horridum 169 f.

Frauen, Satiren auf die 107, 165 ff.

Fürbitten, parodistische 47, 113, 184, 191

für: Abt 115; Apotheker 119;

Bauern 117, 118; Bischof 115; Bürger 117; Deutsche 119; Frauen 117; Fremde 119; Geld 119 ; Guar- dian 118; Kaiser 115; Kanoniker 116; Kardinäle 115; Kirche 115; König 115; Konkubinen 119; Mön- che 115 ff. ; Nonnen 116; Notare 118; Official 118; Papst 115; Pa- stor 119; Pfarrer 116; Priester, arme 118; Prior 115; Pröpste 116 Provincial IIS; B>eisende 115 Schiffahrendell5; Schreiber 118 Streitende 115; Suffragan 118 Vaganten 115; Vornehme 116 Wucherer 117

Ganszyniec 140 Garsiastraktat 45—51, 191 f. Gebetsparodien 39, 108, 109, Ulf.,

113 ff., 140, 144, 177, 201 ff. Geizhälse, gegen die 81 f., 213, 222 Geld, Macht des 72, 81 ff. — Vgl.

auch Fürbitten Geldevangelium 13, 51, 54—65, 67,

69, 123, 129, 209 ff. Genealogie des Antichrists 85; der

Hussiten 126, 128 Generalkonsistorien, parodistische

62, 95 'Gens Bomanorum subdola' 52 Genthe, F. W. 11 Gerichtsbeamte, parodiert 111 Gesprächsbücher 22 ff. Giesebrecht, W. 219 f., 221, 223, 226 ff. Giraldus Cambrensis 107 f., 164 Glaubenssymbole, parodiert 81, 180,

181 Godefridus de Thenis 189 Goliarden 14, 36 ff., 166, 208 ff., 217f. Goliafi 37, 189 Goliasapokalypse 59, 192 f., 195


Register


249


GorgiasuFkunde 207 f. Grabmann, M. 189 Grammatikalische Spielereien 75 ff.,

110, 112 f., 152 «f. Grauert, H. von 67 u. ö. GmgnefreduB — Godefredus % Guardian vgl. Fürbitten Guido von Bazoches 236 f. Guiot von Provins 68 Gundlach, W. 55, 63 ff.

Habsuchtsschreiben 124

Haeßner, M. 163 ff.

Handschriften: Aarau 177, 199; Amiens 75; Augsburg 110; Bam- berg 133; Basel 114; Bergamo 179; Bern 92, 129 ; B68an<?on 55, 58, 63, 172 f., 244; Breslau 54, 55, 177; Cambrai 59, 92; Cambridge 172, 205 ; Danzig 94 f., 110 ; Eichstätt 94 ; Erfurt 110; Erlangen 133; Florenz 70, 150, 215 ; Frankfurt 55 ; Fulda 208; Göttingen 97; Graz 172; Hal- berstadt 199 ff. ; Hamburg 177 ; Hannover 133; Hohenfurt 127, 199 ff. ; Ivrea 55; Karlsruhe 92, 176, 185 ; Köln 244 ; Leiden 167 ; Leipzig 54 f., 172 ; London 55, 199 ff. ; Lü- beck 55, 110 ; Lüttich 153 ; Magde- burg 88, 97; Mailand 172; Melk 133; München 54, 55, 58, 79, 81, 88, 91, 110, 112, 154, 155, 164, 176, 180, 181, 185, 199, 203, 204, 236, 244; Oxford 70, 88, 172 f., 206, 214; Paris 55, 92, 167, 168, 172, 208, 237; Prag 124, 172, 199; Quedlin- burg 133 ; Reims 88 ; Rom 55, 58, 73, 88, 94, 108, 127, 172 f., 199 ff.; Saint-Omer 146, 235 ; Schlägel 55 ; Venedig 55, 112, 179; Volterra 178; Voran 78, 159, 169; Wien 55, 88, 92, 94, 97, 126 f., 235 ; Wolfen- büttel 97, 177, 234; Zürich 199, 204

Hardt, H. von der 54 f., 100

Haur^au, B. oft

Heilige, Pseudo- 206. Vgl. auch Ciphus, Dolus, Tnvicem, Nemo, Nummus, Paulisper

Heiligenlegenden, parodiert 241 ff.

Heinrich von Neumünster 54, 67 f., 245

Heriger von Mainz 33

Herveus 28

Hildebert von Le Maus 169

Höfler, 0. 126 f.

Holder-Egger, O. 87

Hollen, Gottschalk 14 f.


Hrabanus Maurus 28 Hubatsch, O. 16, 63 u. oft Hugo von Bariola 61, 79 Hugo Primas von Orleans 75, 217 Huß, Job. 126 Hussiten 12, 126 ff. Hymnen und Hymnenparodien 11 f., 39, 83, 147 f., 177 ff., 203, 230

Jaff^, S. 169 u. ö. Jakob von Jüterbogk 88

— von Vitry 87 f. James, M. R. 106 u. ö. 'Jam lucis orto sidere' 178 f. Jeremias de Montagnone 44, 78 Ilvonen, Eero 16 Importunus von Paris 24

'Li nova fert animus' 215 Linocenz HI., Papst 65 f., 74, 164 'Li tabema quando sumus' 181 Livicem, Pseudo-Heiliger 244 Joachim de ordine Floris 61 Joca monachorum 22 Johannes de Alta Silva 145

— Chrysostomus 167

— Diaconus 28 ff.

— Dominici 62, 93 f.

— der Kleine 33

— von Paris 189

— von Salesbury 145

— Scottus 31

Kaiser vgl. Fürbitten

Kanoniker vgl. Fürbitten

Kapitelsversammlungen, parodiert 159 ff.

Kardinäle vgl. carpinales, Fürbitten u. Romsatiren

Kasusspielereien 75 ff., 153 ff.

Katechismus, Bauern- 112; Mönchs- 110; Nummus- 81

Katze, Anekdote von der kerzen- tragenden 236 f.

Kemli, Gall 199 f.

Klagelieder, parodiert 144 f.

Kleidersorgen 212 ff.

König vgl. Fürbitten

Konkubinen 119, 159 ff.

— -Kapitel 164 f. Konzilsparodien 42, 97 f., 101, 156,

159, 162, 233 Kozelka, L. 114

Kreuzzüge u. Vagantentum 221 f. Küchenlatein vgl. Latein

Laien, in der Parodie 111 ff. Laistner, L. 169 u. ö.


250


Register


Lapötre 27 ff.

Latein, Küchen- 189; Scherz- n.

Spott- 188 f., 230 Laurentias von Dnrham 167 Leda, Die moderne 149 Leviathanschreiben 92 Leyen, F. von der 33 Liebesliteratur 142 ff. Lieuis 206

'Lingua mendax et doloea' 145 Litaneiparodien 108, 109, 111, 120 f. Lorenz, Ottokar 85 f. Loret, Guil. 168 Loserth, J. 126 Lucifer 91 f., 97 ff., 128 Lucius Pharisaeus 205 Ludwig IX., König von Frankreich 189

Mahmet vgl. Evangelium Maledictns — Benedictus 96 Manitius, M. 139 ff. Map, Walter 39, 65 f., 106 f., 172 Marca — Marcus 59 ff. Mariensequenz, parodiert 175 Mariologie u. Erotik 148 Matthaeus (Matheolus) von Boulogne 168, 215

— von Vendöme 78

— von Westminster 123 Mattioli, ital. Arzt 168 Mazzoni, G. 179 Merdulfus — Budolfus 96 Meßparodien 39, 59, 126 ff., 199 ff.,

231, 235 Meyer, Wilhelm 9, 13 u. oft Michael, Erzengel 94, 95 f. Mico von St. Biquier 31 Mimus 19 Missa Gulonis 199 ; potatorum u. de

pot-atoribus 199 ; sec. simoniacos 59 Mittellat. Sprache u. Literatur 9 ff. Mönche vgl. Fürbitten Mönchsparodien u. -satiren 89, 90 f.,

101 f. Morandus von Padua 178 Morung, Dietrich 134 Mythologie u. Parodie 149 f.

Nachahmungscharakter der mittel- alterl. Literatur 9 ff.

Namensverdrehungen 96

Narrenfeste 136 ff., 166

Nemo, Pseudo-Heiliger 235, 240 ff.

Nichts, Unterhaltungen u. Unsinns- predigten vom 173, 198, 244

Nigellus Wireker 41, 45, 60, 105 f., 231 f.


Nikolaus von Bibra 120

— Oresme 91

'Nobilis mei miserere precor' 144 Nonnen vgl. Fürbitten Nostitz-Bieneck, B. von 50 Notare vgl. Fürbitten Notker Balbnlus 32

— Labeo 237 Novati, F. 15 ff. u. oft NuUimani — Normanni 96 Nummus vgl. Geld, Geldevangelium

Odo von Cheriton 87, 233 Official vgl. Fürbitten Offizium vgl. Meßparodien u. dgl. Ordensregeln, parodiert 40, 104 f.,

190 f., 220 f. Otto von Freising 38

— von Lüneburg 40

Ovid als Evangelist 157; als dekre- tierender Papst 159

— Metamorphosenanfang, parodiert u. imitiert 213 ff.

Oulmont, Ch. 170

Oxforder Studentenleben 206

Pamphiluskomödie, Anfang imi- tiert 148

Tange, lingua, necem Petri* 12

'Papa pavor pauperum* 79

Päpste vgl. Fürbitten u. Bomsatiren

Passio Francorum sec. Flemingos 123 f.; Judaeorum Pragensium 124f ., iustitiariorum 122; cuiusdam mo- nachi 172 ff.; raptorum de Slape- nicz 125; domini pape sec. mar- cam auri et argenti 58 ; sacerdotum 129 ff.; Scotorum periuratorum 122 f.

Pastor vgl. Fürbitten

Paulisper, Pseudo-Heiliger 109 f.

Pavo 121

Pegaletti 93

Pelster, F. 108, 127

Pertz, G. H. 241

Peter von Ailli 92 f.

— von Blois 145, 172, 214 f.

— von Corbeil 166 f.

— von Limoges 240

— Patheshull 245

— de Biga 189 Pfaffensteuer 130 Pfarrer vgl. Fürbitten Pharraphat 112 Philipp von Greve 215 Phyllis u. Flora 170 Piers Plowman 125


Register


251


Tlange lingua, detestando 12 'Plenitudo temporis, venite, exulte-

muB* 225 Plodricius 95 f. Poppel, van 77

Prandellus -— Hildebrandus 96 Predigten, scherzhafte, parodistische

40, 112, 139, 206 f., 241 ff. Prenperger, G. 112 Primas 203. Vgl. auch Archiprimas,

Hugo u. Surianus Priester, arme vgl. Fürbitten 'Primo veris tempore' 150 Prior vgl Fürbitten 'Prisciani regula penitus cassatur'

159 ff. Pröpste vgl. Fürbitten 'Propter Sion non tacebo* 52 Provincial vgl. Fürbitten Pürstinger, Berthold, Bischof von

Ohiemsee 53

Quadrati 124 f. Quarkemboldus 95 Quasimodogeniti 142, 146 f. 'Quicunque vult esse frater* 180 'Qui potest capere* 73 'Qui seminant in lacrimis' 71 'Qui seminant in loculis' 70 'Quondam fuit factus festus' 188

Radulftts 240 f. Regula bursalis' 220 Regula b. Libertini 221 Reisende vgl. Fürbitten Remiremont, Liebeskonzil von 156 Rezepte zu Scherz und Spott 41, 100 f.,

168, 231 f., 242 Ribaldi 199, 204, 206 Richard, Goliarde 217 Rokyzana, Simon von 127 Romsatiren 43 ff. 'Rumor novus Angliae' 159 ff. Ruodlieb 41 'Rusticus dum asinum' 234

Sackur, E. 50

Salimbene 39, 61, 86 f., 184

salmo — Salomo 189

Salomo et Marcolfus 23 f., 235 ff., 246

salsamenta — sacramenta 189

Satansbrief 92

Satire in England 121 ff.

Sauf- u. Spielmessen 199 ff.

Säuferorden 208

Scherzpredigten vgl. Predigten

Schiffahrende vgl. Fürbitten


Schillmann, F. 125

Schmeller, J. A. 54 u. 6.

Schneegans, H. 13, 45, 49 f.

Schneekind 33

Schreiber vgl. Fürbitten

Schreiber, J. 224

Schrijnen, J. 154

Schulparodien 40

Schwelgerabt 189«.

'Scribere clericulis* 155

Sedulius Scottus 30 f., 229

Seligpreisungen, parodistische 69 ff., 192, 210

Sermons joyeux 139

Seyler, Joh. 133

'Sex statuit casus' 76

'Si Unguis angelicis' 147

'Si quem Pieridum* 196 ff.

Si quis Deciorum' 196 ff.

Sit Deo gloria, laus, benedictio 166 ff.

Spiegel, N. 218

Spielerlieder 197 ff.

Spielermessen 14 f., 62, 199 ff.

Spottrhythmen 24

Stephanns de S. Georgio 240 f.

Stercorentius, Stercutius (für Gre- gor VII.) 96

Straccali, A. 16 u. ö.

Stramen — Amen oft

Strecker, K. 27 f., 30

Streitende vgl. Fürbitten

Streitgedichte 156 ff., 169 ff.

Studentenleben 206, 208 ff.

'Sua Simon dat decreta' 72

Suchier, Walter 22 f.

Süßmilch, H. 16, 148, 222

Suffragan vgl. Fürbitten

Suger 145

Surianus 219

Testamentum asini 234

— porcelli 234 f.

Teufelsbriefe 62, 85 ff., 101 f., 129 Theele, J. 244

Theoduli ecloga 128 Theodulf von Orleans 30 Thomas von Aquin 145, 245

— von Chantimpr^ 86 f. Thompson, E. M. 123 f. Tierbrief 121

Tierdichtungen 30 f., 41 f., 104 ff.,

229 ff. Titivillus 15

Tobler, Andr. aus München 208 Totenfeiern, parodiert 233 Traube, L. 9 Tricotel, E. 167


252


Register


Tropus der Liturgie, nachgeahmt 108 Trinken 139, 141, vgl. auch Sauf-

messen Trinklieder 25, 39, 41, 174 ff. Tu das, Bache, loqui' 186 Türhüter, päpstliche 51 ff. Turbanus — Urbanus 96

Unterhaltungsliteratur 229 TJrkundenparodien 40, 85 ff., 207 f. TTtar contra vitia' 59, 73

Vaganten 36 ff., 111, 115, 155

Vagantenorden 217 ff.

Vat^uj^ser, parodiert 108, 204, 205

'Verbum bonum et suave' 175

Vergil, imitiert 144

— parodiert 32

'Versa est in luctum* 144 f.

'Vexilla regni prodeunt* 12

Vincenz von Beauvais 86 f.

'Vinum bonum et suave' u. ähnl.

175 ff. 'Vinum dulce gloriosum' 178 Virgilius Maro grammaticus 21 f. Visionen 33, 96


Vita ven. Odae 145

— s. Oswaldi regis metrica 214 Vogt, F. 11

Vornehme vgl. Fürbitten

Wahlen, parodiert 233 Walter von Ohatillon 144

— subprior 216 f.

Walther, H. 67, 163, 169 u. ö. Wattenbach, W. 16 f. und oft Werner, Jak. oft Wiclif, J. 126, 128 Wilhehn de Conflatis 217

— von Malmesbury 86

— von Saint- Amour 108 f.

— von Tyrus 235, 237 Wilmart, A. 75

Wmterf eld, P. von 9, 31 f u. ö. Wortspielereien 59 ff. Wright, Th. 16 u. ö. Wucherer vgl. Fürbitten

Ysengrimus 104 f., 229 f.

Zeno von Verona 27

Zitate, fingierte 112, 190, 245 f.


Als Anhang zu dem vorliegenden Werke ersdieintt

BEISPIELE ZUR

LATEINISCHEN PARODIE

DES MITTELALTERS


Inhaltsverzeichnis:

1. Greldevangelium.

2. Aus der Satire des Franziskaners Petrus.

3. Nummuskatechismus.

4. Mönchskatechismus.

5. Bettelmönche.

6. Grereimtes Vaterunser für die Laienbrüder.

7. Bauemkatechismus.

8. Leidensgeschichte der Richter Edwards I.

9. Leidensgeschichte der Franzosen bei Courtrai.

10. Leidensgeschichte der schottischen Eidbrecher.

11. Leidensgeschichte der Prager Juden.

12. Antihussitische Messen.

13. Erotischer Grammatikbetrieb.

14. Die Geschichte vom ehebrecherischen Mönch.

15. De diligend Lieo.

16. Verschiedene Sauf- und Spielmessen.

17. Spielermesse des Benediktbeurer Codet.

18. Bacchantische Evangelienperikope.

19. Geldevangelium Pariser Studenten.

20. Rezept gegen die Kahlköpfigkeit.


In den

Vcröffcntlidiungcn

der Bayerischen Akademie

der Wissenschaften - Verlag der

Bayerischen Akademie der Wissenschaften,

in Kommission des G. Franz'schen Verlags (J. Roth) --

erschienen von Prof, Dr, Paul Lehmann folgende Schriften:


I. Aufgaben und Anregungen der lateinischen Philologie des Mittelalters, n. Wert und Editheit einer Beda abgesprociienen Schrift. III. Neue Brudistüdce aus »Weingartener* Itala«Handsdiriften. IV. Mittelalterlidie Handsdiriften des K. B. Nationalmuseums zu München. V. Ein Bücherverzeichnis der Dombibliothek von Chur aus d. Jahre 1457. VI. Haushaltungsaufzeichnungen eines Münchener Arztes aus d. XV. Jahrh. Vn. Hollandische Reisefrüchte I-ffl. VIII. Corveyer Studien.


GOTTFRIED SALOMON

DAS MITTELALTER ALS IDEAL IN DER ROMANTIK


Wesen und geistesgeschichtliche Bedeutung der Romantik stehen heute in einem Mittelpunkt der wissenschaftlichen Forschimg. Den Arbeiten von EUku6 und Nadler sdilieM sidi hier weiterfahrend Salomon an mit seinem , Mittelalter als Ideal in der Romantik". Salomon legt die Ge» sdiichte dieser Idealbildung nach vorwärts und rückwärts dar in ihren Wurzeln imd Ausläufern, er greift bis in die Renaissance zurüdc und ftihrt herab bis zum Sozialismus und Positivismus. Dabei wird die Ro«  mantlk nicht einseitig literarisch gefaxt, sondern sie ist for Salomon eine universaUgeistesgesdiiditlidie Erscheinung, die sich in Kunst, Literatur, Recht, Politik, Wirtschaft usw. auswirkt, auf all diesen Gebieten wird die Idealbildung aufigezeigt. Salomon gibt mehr als der Titel erwarten lA^t, von sein2r Einstellung aus ist das Büchlein eine anregende, lebendig geschriebene Übersicht über die Romantik und ihre Stellung in der

Deutschen Geistesgeschichte.


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Man ist vielfach geneigt, nationalpolitisches Denken und Handeln für eine Frucht des neunzehnten Jahrhunderts zu halten. Da wird ]oachimsens Buch auf vi^le wie eine Entdeckung wirken. Hier sehen wir, da^ es be«  reits im Mittelalter einen deutschen Staatsgedanken gibt, der sich schon frühe deutlich ausspricht und seit dem Investiturstreite sich mehr und mehr konsolidiert. Nur eine an westlicher Entwicklung orientierte Staats«  Wissenschaft konnte das übersehen. Wie sich dann das Staatsdenken theoretisch und praktisch durch die Jahrhunderte hin entwickelt über die Reformation zum Zeitalter des Absolutismus, wie sich unter Friedrich dem Großen die Problemstellungen des neunzehnten Jahrhunderts an» bahnen, zeigt die großangelegte gehaltvolle Einleitimg des Herausgebers. Eine Obersicht der Texte, die sämtlich in deutscher Obersetzung geboten werden, mag ein Bild von dem Reichtume des Dargebotenen geben.

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