On Netherlandish Genre Painting  

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Jacob Burckhardt's influential lectures "On Netherlandish Genre Painting" ("Uber die niederlandische Genre malerei") were delivered in 1874

Full text

ÜBER DIE NIEDERLANDISCHE GENRE.

MALEREI

24. NOVEMBER, 1. UND 8. DEZEMBER 1874. VORBEMERKUNG.

Indem wir uns anschicken, von der niederländischen Genremalerei zu reden, läge es scheinbar nahe, zuerst zu erörtern, was Genre» maierei überhaupt sei. Wir würden auf eine Anzahl von Defini» tionen jjcraten, welche mehr oder weniger treffend wären, und schließlich nach einigem Zeitverlust mit keiner von allen zufrieden sein, weil das Phänomen, das im ganzen seit hundert Jahren zu diesem zu* fälligen Namen gelangt ist, je nach Zeiten, Völkern und Schulen ein sehr verschiedenes ist. (1) Der zu Grunde liegende Wille ist ein gar zu verschic* dener, und der ägyptische Wandmaler des dritten Jahrtausends v. Chr., welcher in den Grüften von Bcni Hassan das Ackern und Ernten, das Bauen und Arbeiten seines Volkes dargestellt hat, wollte und mußte etwas anderes als David Teniers, wenn er seine Leute auf dem Felde arbeiten läßt. So reicht man schon mit der Abgrenzung nach Gegen«  ständen nicht aus, wenn die Auffassung und Absicht weit auseinander«  liegenden Welten angehören.

Abgesehen davon, daß die Größe und Wichtigkeit der Sache eine geschichtliche Einleitung, eine Beleuchtung durch frühere ähnliche Er«  scheinungen rechtfertigt, wird vielleicht auch für Verdeutlichung des Begriffes „Genre" am besten zu sorgen sein, wenn wir zusehen, was in den verschiedenen Epochen und Weiheländern der Kunst im Genre, ohne daß das Wort existiert hätte, ist geleistet worden, bevor die Nieder«  länder die Aufgabe in ihrem vollen Reichtum ergriffen und der höchsten Vollendung entgegen führten.

Ferner ist nie zu vergessen, daß die Kunst selbst, als aktive Kraft, von unsern Definitionen ohnehin keine Notiz nimmt und den Beschauer überraschen kann mit stets neuen Uebergängen und Wandlungen, welche die genaue Trennung nach Gattungen unmöglich machen.

Als göttliche Macht tritt sie in diesen scheinbar untergeordneten Aufgaben nahezu in eine ebenso starke Berührung mit unserm Innern Leben, als wenn sie die großen idealen Aufgaben löst; die Berührung er» folgt nur in anderer Weise. Die niederländische Genremalerei gehört auf unentbehrliche Weise mit zu dem großen Regenbogen, der unser Erdenleben umzieht, zu dem großen Lichthorizont der Kunst, von welchem wir nie genau wissen, ob er mehr zu unserm Intellekt oder zu unserer Seele reden will.

Unter allen Umständen ist das, was um seiner selber willen und nicht aus einem außerhalb der Kunst liegenden Grunde dargestellt wird, der höchsten Beachtung wert.


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Die Malerei in den verschiedenen Weltaltern, da sie eine sehr hohe Entwicklung erreichte, geht über ihre zwei offiziellen Obliegenheiten, Verherrlichung der Religion und der Macht, mit der Zeit hinaus. Ihre Phantasie ist durch jene beiden mächtigen Schwingungen in eine Be* wegung geraten, welche selbständig weiter und weiter bebt. Und ebenso die Phantasie des Volkes, dem die betreffende Malerei entspricht. Diese beginnt das Leben um des Lebens willen, die Schönheit um der Schönheit willen darzustellen.

Nicht nur verbreitet sich der künstlerische Schmuck allmählich über das ganze Dasein je nach den Mitteln (2), sondern die Kunst wendet einen Teil ihrer höchsten Kräfte und der Besteller große Mittel auf Auf» gaben, welche nur um ihrer Schönheit und Lebendigkeit willen gewählt werden. Themata dieser Art treten schon bei den griechischen Tafel» malern auf: Der Krugträger, der Ringer in der Propyläenhalle zu Athen, die Centaurenfamilie des Zeuxis, der Hoplit des Theon und so weiter; ferner die Szenen aus dem Leben auf den griechischen Vasen, die Genreszenen aus Pompeji: Das leise Gespräch Weniger, das Meditieren, die Toilette, Spiele, Theaterproben und anderes mehr. In der Diadochen»Zeit malte Peiräikos unter anderm Barbier» und Schusterbuden, Eselein, Eßwerk und dergleichen, und Kalates schuf Komödienszenen.

Freilich bot den Alten ihr Mythus, ganz abgesehen von dessen Verherrlichung an und in den Tempeln, einen so unerschöpflichen Schatz von a priori schön geschauten Szenen dar, daß das Genrebild daneben immer noch sehr zurücktrat.

Namentlich dekorativ waren die einzelnen Gestalten des Mythus: Götter, Genien, Wundergeschöpfe von Erde und Flut und anderes in beständiger schönster und leichtester Anwendung. Und da diese Bilder» weit keine religiösen Ansprüche machte, so paßte sie überall hin; sie war eben so profan als heilig. Sie war die stärkste Konkurrenz für das in der Entwicklung begriffene Genrebild. Es ist viel, daß letzteres über» haupt vorkommt.

Im Mittelalter gewinnt das Genre nirgends das Bewußtsein einer eigenen Kunstgattung; der kirchliche oder politische oder moralisch» allegorische Inhalt, überhaupt der Sachinhalt übertönt alles, und wo die Kunst etwa Muße zu freiem Spiel übrig behält, ergeht sie sich allenfalls in scherzhaften Arabesken, welche doch nur einen Zierrat, Fries, Ein» fassung und anderes von etwas Größerm bilden, so die romanischen Friese und Kapitale, die Initialen.

Bei den Italienern kann seit dem XV. Jahrhundert das als Genre gelten, was nicht kirchliche oder religiöse Malerei ist, nicht an ein be«  stimmtes Historisches gebunden ist, vom Schlachtbild, Ceremonie und ähnlichem herab bis zum einzelnen Porträt; was ferner nicht an ein bestimmtes Poetisches gebunden ist wie die Mythologie, Allegorie und Verwandtes.

Das was nun übrig bleibt sind die Pastoralen von Giorgione, eben» so dessen Novellenbilder und ähnliches, Konzerte, Halbfigurenbilder oder Kniefigurenbilder, einzelne Halbfiguren, die nicht um des be*

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stimmten Porträtes willen entstanden sind, sondern wegen ihrer Schön» heit, ihres Charakters und schließlich Farben* und Lichtproblems.

Aber das sind alles deutlich Nebenarbeiten einer an das Große und Bedeutende, an das Monumentale gewöhnten Kunst, die auch in Altar«  bildern sich nicht an miniaturmäßige Schmalflügel und entsprechendes hat ergeben müssen.

Dazu kommt die Vorliebe für die freie Luft und der nur wenig enU wickelte Sinn für die Gemütlichkeit des Engen und Beschlossenen; kommt weiter die Vorliebe für das Bewegte und Nackte (ignudi), für die Entwicklung des ganzen Leibes in seiner Fülle und Kraft, schließlich der Wunsch des Schönen als solchen.

Auch jetzt noch nimmt die wiederbelebte antike Mythologie, wie die Bacchanale, einen beträchtlichen Teil dieses WoUens und Vermögens in Anspruch, oder gibt wenigstens mit ihren Gestalten den Vorwand her, wenn die Kunst sich frei als solche regen will. Und ebenso wird auch viel Heiliges wesentlich um der Schönheit willen gemalt.

Bisweilen tritt hier das Genre auf im Gewände einer idealen Ur» weit, so Rafaels Incendio del borgo als Genrebild höchsten Stiles, ebenso sein Pestbild (Kupferstich) und Michelangelos Bersaglio de' Dei, ein Stück aus seiner Traumwelt. Ja schon die oft so reichen und prächtigen Puttenbilder der goldenen Zeit sind im Grunde dahin zu rechnen, so das des Tizian zu Madrid.

In allem, was zur Zeit der eigentlichen Renaissance nicht der Reli«  gion oder der Macht wegen gemalt wird, überwiegt durchaus das Streben nach der schönen oder heroischen Erscheinung.

Dieselbe ideale Welt, welche in der monumentalen, allegorischen und religiösen Malerei lebt, tönt auch in diesen Nebenarbeiten weiter; hier schafft dieselbe Palette, dasselbe künstlerische Wollen; weder Inhalt noch Form gestatten hier, ein besonderes „Genre" daraus zu konstituieren.

Das spätere italienische Genrebild seit den Caracci und Caravaggio, das endlich den absichtlichen Realismus bringt, ist teilweise auf nieder» ländische Einwirkung hin entstanden und ist zunächst sehr bedingt von dem großen Maßstab und der bravourmäßigen Wirkungsweise der ganzen religiösen und offiziellen Malerei, auch von der Gewöhnung an das Fresco. Es fehlt daher das Miniaturmäßige und Illusionäre; denn Realismus ist noch nicht Illusion.

Dabei ist es unnütz, zu wünschen, daß die Italiener mehr Kräfte auf das Genre, als auf ihre mythologischen und allegorischen Malereien ge* wandt haben möchten; der schöne Müssiggang der Kunst kommt hier ein für alle mal nicht dem Genre zu Gute, sondern dem Pathetischen und dem Süßen, wenigstens vorwiegend.

Es fehlt auch die Vorliebe für Mitdarstellung des Raumes und seiner Mitwirkung in Luft und Licht. Oft findet sich nur, besonders bei allen, die sich von Caravaggio ableiteten, ein bloßer dunkler Grund und dabei ein scharfes reflexloses Licht. Als Vorwürfe sind beliebt die Konzerte, die Spieler, die Wahrsager, die meist etwa lebensgroß und als Kniestücke behandelt werden. In den Motiven herrscht das Unheimliche vor.

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Bisweilen wird auch eine bequeme Verteilung des Genremäßigen in freier Landschaft, welche nahezu das Ueberwiegende wird, erstrebt, so bei den Bassano, bei denen das Genre gerne zum Tierbild wird, bei Annibale Caracci, den die Jagd und der Fischfang (3) interessieren. Eine Gruppe für sich bilden die naturalistischen Maler von Halbfiguren und Einzelfiguren; Salvator Rosa und Ribera (4). Von den Niederländern gehört Honthorst (5) mit seinen meisten Arbeiten hieher, von den Fran# zosen Valentin (6), Le Nain (7), und S. Bourdon. Jacques Callot ist zu ver» schiedenen Schulen zu zählen; seine Tradition ist aber wesentlich nieder* ländisch. Unter Louis XIV. wird dann freilich die ganze französische Kunst pathetisch.

Die Spanier kennen und wollen vollends nur Licht, Luft, Bewegung, Charakter. Bezeichnend hiefür ist die Art, wie etwa Velasquez eine Gruppe von Hofleuten ohne Porträtabsicht hinwirft. Es wären weiter zu nennen die Trinker und die Spinnerinnen von Velasquez, und Murillo mit seinen Betteljungen (8), den zwei Würfelspielern (9) und den vier Münchner Bildern (10). Dabei kann Murillo noch im vollen hellen Tages* licht lebendig und schön sein, aber Rembrandt nicht.

Auch in dieser Epoche noch sind diese Genremalereien der romanischen Völker ganz deutlich Nebenarbeiten einer sonst sehr ans Große gewöhnten Kunst, welche noch Farben auf ihrer Palette und Humor übrig hat für Gestalten und Szenen, welche durch eigentümliches Leben der Darstellung würdig scheinen.

Abgesehen von der florentinischen Gruppe, Manfreddi und anderen, sind die sämtlichen betreffenden Maler berühmter für ihre religiösen, monumentalen und mythologisch*allegorischen Malereien oder doch mindestens gleich berühmt in einer wie in der andern Gattung: Valentin, Ribera, Luca Giordano, Dom. Feti (11).

Diesem allem gegenüber steht die große kunstgeschichtHche und kulturgeschichtliche Erscheinung der niederländischen Genremalerei des XVII. Jahrhunderts. Sie wird in Belgien eine wichtige Gattung, in Holland neben der Porträtkunst die Hauptgattung.

Ihr Auftreten ist völlig naiv. Keine Bewegung in der Literatur oder ähnliches kündigt sie an; die ganze offizielle Aesthetik ist in den Gestalten und Formen des sogenannten Klassizismus befangen; die Malerei des großartigen Stiles geht wesentlich auf den Pfaden der Italiener des XVI. Jahrhunderts weiter.

Ganz aus ihrem eigenen Innern, unterstützt bloß vom Entgegen* kommen der reichen Leute ihrer Nation, schaffen daher die großen Niederländer ihre Gattung als eine neue und finden deren ewige Gesetze auf alle Zeiten, mit untrüglicher Sicherheit, völlig rein, unbeirrt von allem, was anderswo vorgeht.

Was sie hervorbringen ist ein Bild, aber ein sehr freies und selbst* gewähltes, ihres Volkstums, das ebenso hoch über einer bloßen Photo* graphie steht als ihre Landschaften über dem bloßen photographischen Abbild der wirklichen niederländischen Landschaftsanblicke. Zugleich ist die Malerei sehr die Herrin und das Volk nur das Substrat.

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Volksleben und Natur haben sich mit unsterblichen Künstlcrscelen durchdrungen und diese mit jenen; schon das bloße psychologische Problem ist von höchster Art, ganz abgesehen von der ergreifenden Wirkung der Werke selbst.

Es ist eine Intimität zwischen dem Künstler und seiner Schöpfung, wie sie so nicht wieder vorkommt; eine Ueberzeugung, wie sie den Malern der idealistischen Gattung damals nur selten eigen ist, durch«  dringt hier alles; man hat überall das Gefühl: sie konnten nicht anders.

Diese Werke besitzen eine hohe zwingende Kraft; die besten dar» unter sind unerschöpflich, wobei der innere Sinn bald inne wird, daß er durch ganz andere Bande gefesselt ist als durch das blofie Interesse für den Gegenstand, etwa für das niederländische Volksleben als solches und dergleichen. Der Grund der Teilnahme sitzt viel tiefer.

Die Praecedentien der niederländischen Genremalerei sind seit Anfang des XV. Jahrhunderts kenntlich, erklären zwar nicht, was das XVII. Jahrhundert leistete; dennoch war es von Wert, daß die nieder* ländische Nation an eine malerische Auffassung des Daseins gewöhnt war, welche später die äußere Hülle und Form des Genrebildes abgeben konnte. Als solche Praecedentien sind zu betrachten einmal die Zu* gehörigkeit der Niederlande zu Burgund und der damit gegebene Luxus; hier konnte eine Miniatorenschule gedeihen wie sonst nirgends, und an diese Gewöhnung scheint sich dann die neue Art der Tafelmalerei der Brüder van Eyck und der von ihnen ausgehenden flandrischen Schule angeschlossen zu haben: das Andachtsbild, und zwar unter dem Er«  haltenen ebensowohl das große, vieltaflige kirchliche Altarwerk, als besonders das kleine für die Privatandacht, der tragbare Altar, das Madonnenbild; ferner das Porträt, beginnend von den Außenflügeln der Altäre; und endlich auch schon einzelne Genrebilder.

Das Gemeinsame in all dem ist, daß in hohem Grade der Schein des wirklichen Lebens erweckt wird, allein nicht bloß durch illusionäres Streben in den Aeußerlichkeiten mit Hilfe miniaturartiger Feinheit und tiefklarer leuchtender Färbung, sondern durch Darstellung des Cha? rakters der Dinge und besonders der Menschen bis in seine Tiefen.

Eine Uebersicht des Aeußersten, was sie in der Wirklichkeit und in der Individualisierung leisten, geben außer den van Eyck (12) die Namen Rogier van der Weyden, Hugo van der Goes, Pieter Christophsen, Gerhard van Harlem, Dirk Stuerbout, Justus von Gent, Jan Memling und andere.

Sie unterscheiden sich wenig voneinander, besitzen wenig Anord«  nung, wenig Talent in der Erzählung von Vorgängen und haben einen un* genügenden Begriff der Leiblichkeit; die Komposition ist lose und zerstreut. Es ist eine Kunst, welche viel weniger das Bewegte als das bloß Zuständliche liebt.

Der stärkste Beweis von der Unfähigkeit der Flandrer im deutlichen Erzählen von Hergängen und in der Verteilung derselben im Raum liegt in der Inferiorität fast aller ihrer damaligen Tapetenkompositionen, welche doch unmöglich alle von geringen Künstlern jener Zeit vorgezeichnet sein können; hier fallen überdies die Vorteile der flandrischen Tafelmalerei weg.

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Während diese alten Flandrer unfähig sind, einen bewegten Vor* gang zu entwickeln, Jan van Eyck immer ausgenommen, ihre Gestalten sich örtlich richtig und anatomisch wahr bewegen zu lassen, geben sie allen Köpfen ihrer heiligen Vorgänge ein völlig individuelles Leben, auch den Schein der Wirklichkeit durch vollkommene Modellierung, und zwar oft ohne besondere Auswahl, weder in Beziehung auf Schönheit noch auf geistige Bedeutung, so daß ein eigentümliches Mißverhältnis entsteht zwischen der heiligen Handlung und der Persönlichkeit der einzelnen An* wesenden; unerbittlich ist die Wahrheit der Köpfe, bis in alle Zufällig* keiten, Warzen und Runzeln hinein.

Die Darstellung des Stofflichen erstrebt das Illusionäre. Die Gewandung unterscheidet alle Stoffe mit der größten Genauigkeit: Linnen, Seide, Sammet, Brokat, Pelze jeder Art. Der Schmuck wird in seiner ganzen leuchtenden Pracht wiedergegeben, ebenso die Waffen und ihr Metallglanz. Die Geräte, das geschnitzte Holz mit seinen Adern und Astlöchern, die Teppiche mit ihren orientalischen Dessins, die Hand» tücher mit ihren Kastenfalten und ihren eingewirkten Zierstreifen, sie alle wollen die Wirklichkeit vortäuschen.

Die Räumlichkeit der Interieurs verfolgt dieselbe Absicht, von der romanischen Kirche, von der gotischen Prachtkathedrale mit der Schräg* innensicht bis zur einfachen, doch immer zierlichen Stube, die schon perspektivisch in hohem Grade richtig, wenn auch etwas rasch an» steigend, gezeichnet ist; sogar die Anfänge der Luftperspektive melden sich; die Wandgetäfel, das Gemauerte, der gemeißelte Stein sogar mit einzelnen abgesplitterten Ecken, das Glas der Fenster, die Pracht* aussiebten in die Ferne, die Alpen auf dem van Eyck im Louvre, sie alle beweisen jene Absicht.

Die Flandrer strebten einstweilen nach voller Wirklichkeit, darum auch das Unerbittliche in ihren Porträts. Es läßt sich dabei fragen, ob sie und ihre Abnehmer schon die Rückwirkung besonders der wirklich dargestellten Räumlichkeit auf die Stimmung empfanden.

So war in Flandern schon für das künftige Genrebild der Nieder» lande viele Vorarbeit bereits gemacht und der Sinn der Nation vor» bereitet. Auch Holland im XV. Jahrhundert machte diesen Stil mit, und mehrere der angesehensten Maler der flandrischen Schule waren ja Holländer.

Es folgte das XVI. Jahrhundert mit seinen zwei großen Krisen für die niederländische Malerei: die Einwirkung der italienischen Kunst, welche den niederländischen Stil halbierte und den Manierismus zur Folge hatte, und die Einwirkung des Protestantismus.

Vielleicht war doch ein gewisser Stillstand der kirchlichen Malerei schon zu der Zeit eingetreten, da das Land noch ganz katholisch blieb; entscheidend wirkten schließlich die Religionskriege und die endliche Trennung des Landes in zwei Hälften.

Aber die Kunst war voller Lebenskraft und stieß auf ein ganz entschiedenes Bedürfnis der Nation, zumal der Reichen und Gebildeten, jetzt auch abgesehen von kirchlichen oder offiziellen Beziehungen. Die Porträtmalerei besonders hielt das ganze XVI. Jahrhundert hindurch gar

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nie stille. Selbst wenn man noch einen religiösen oder moralischen, alle«  gorischen Inhalt darstellte, so war doch derselbe häufig nur der Vor» wand, um die Schönheit, den Charakter oder die Fülle des äußern Lebens, auch wohl nur die Landschaft, walten zu lassen.

Schorcels heilige Magdalena (13) ist um der reichen Lieblichkeit willen gemalt: Quentin Messys heiliger Hieronymus, in seiner Stube medi«  tierend und schreibend, ist das Bild des tiefen Nachdenkens eines Greises in der Zurückgezogenheit; die Herodias des Jan van Assen (14) verwirklicht ein psychologisches Problem: der Kopf des Johannes des Täufers, auf der Schüssel vorwärts liegend, hat noch die Augen offen und schaut deutlich zu dem herzlosen Gesicht der Buhlerin hinauf; das Wunder des heiligen Benedikt von Jan Mostaert (15), wo das zerbrochene Sieb wieder ganz gemacht wird, ist wesentlich aufzufassen als frühstes ganz vollständiges Kücheninterieur von optischem Reiz, wobei an die spätem Küchenbilder mit einem heiligen Ereignis in einer entfernten Halle des Hintergrundes zu erinnern wäre.

Und auch das eigentliche Genrebild wird nun schon hie und da in den Niederlanden mit Vorliebe behandelt; es ist da an die Comptoir» bilder des Quentin Messys und seiner Schule (16) zu denken.

Dies alles geschieht, während die deutsche Malerei um 1530 mit Ausnahme des Porträts zu sterben beginnt und jedenfalls weit entfernt ist, Probleme wie diese zu lösen. Und doch war im reichen deutschen Bürgerstand Kunsteifer; hiefür ist Zeugnis die Renaissance der deutschen Städte und ihre Originalität vom Rathaus und Patrizierhaus bis zum Schrank und zum Gefäß aus edlem Metall. Unsichtbare Gründe ver«  hinderten es, daß dieser Eifer nicht auch einer malerischen Darstellung des Lebens um seiner selbst willen zu Gute kam. An Ansätzen dazu fehlt es nicht, und illustrierte Holzschnittwerke dieser Art sind nicht wenige vorhanden.

Vollends ist die ungemeine relative Dürftigkeit der Malerei in dem ganzen großen Frankreich des XVL Jahrhunderts auffallend.

Die Niederländer sind damals das einzige Malervolk, welches nörd* lieh von den Alpen als solches aushält. Keine außeritalische Schule hat auch nur von Ferne in der zweiten Hälfte des XVL Jahrhunderts ein Depositum aufzuweisen wie nur allein das Museum von Antwerpen.

Um die Mitte des XVL Jahrhunderts arbeitete Peter Brueghel der Aeltere, der 1569 starb, und um ihn herum tat sich offenbar plötzlich eine ganze Antwerpener Werkstatt auf, wie auch wohl in Brüssel, welche ein auf einmal eingetretenes großes Consumo von Genrebildern in jener Glanzzeit Antwerpens beweist. Diese Schule lebte dann als Fabrik lange weiter. Zwar wird noch in vielen Fällen bei Brueghel, ähnlich wie bei der damaligen Landschaft, ein Ereignis der Bibel zum Vorwand genommen: so die Kreuztragung, die Predigt Johannis, die Bergpredigt, der Kindermord in einem verschneiten niederländischen Dorf; aliein die eigentliche Absicht geht auf das bunte, vielartige Leben in fast völlig niederländischer Weise und Tracht. Dies wird sehr anschaulich in unserm Basler Schulbild, wo der predigende Johannes völlig Nebensache ist. Auch die Parabeln Christi kommen in dieser Antwerpener Schule

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mehrmals als Anlaß zu Genredarstellungen vor; ebenso etwa die sechs Werke der Barmherzigkeit, wie noch bei Teniers dem altern. Brueghel ist kein achtbarer Maler, weil er viel besseres leisten konnte, als er in den weit meisten Fällen tat; das Wiener Exemplar seines Kindermordes ist in Zeichnung und Bewegung, bei sehr zerstreuter Komposition, weit besser als anderes. Außerdem stammen aber von ihm eine Menge eigentlicher Genrebilder, offenbar für Konsumenten aus dem wohlhabenden Bürger* stände gemalt, welche sich das Treiben teils der Bauern, teils der Bettler und des eigentlichen Gesindels durch Brueghel schildern lassen. Es sind Kirchweihen, rohe, wüste Tänze, Wirtshausszenen, Prügeleien, zum Beispiel zwischen Pilgern und Bettlern. In malerischer Beziehung ist er meist gering, in den Kompositionen gleichgültig und zerfahren, in den Formen oft unerträglich roh, in den Farben zwar oft saftig und leuchtend, aber bunt und hart. In diesem allem steht er einer Anzahl besserer niederländischer Zeitgenossen weit nach.

Immerhin entscheidet sich mit P. Brueghel dem Aeltern das Factum, daß die Niederlande hinfort weit mehr als irgend eine Gegend des Abendlandes die Werkstatt des Genrebildes werden, so niedrig auch einstweilen die Aufgabe von ihm und seinen Genossen gefaßt wurde. Das Genre wird von selber eine niederländische Spezialität oder gilt als solche.

Schon einer weit freiem Sitte und zugleich einer vollendetem Kunst gehören eine Anzahl Bilder an, welche sich an den Namen der zahl* reichen Künstlerfamilie Franck von Antwerpen knüpfen.

Es sind zum Beispiel Interieurs meist von ziemlich prachtvollen Gemächern des damaligen belgischen Stils, staffiert mit Konversations* Szenen, Liebespaaren, Tanz, Konzerten, Gastmählern, die Figuren in der reichen und auch barocken Tracht der letzten Jahrzehnte des XVI. Jahr» hunderts, in der Regel gut bewegt und perspektivisch richtig gestellt und bequem im Raum verteilt: der Anfang des Konversationsstückes. Selbst Gemäldegalerien kommen bereits vor, welche dann im folgenden Jahrhundert noch mehrmals als beliebter Gegenstand er* scheinen; denn der reiche Niederländer jener Zeit ist schon eo ipso Sammler und Besteller. In einer solchen Gemäldegalerie stellt zum Beispiel Franz Franck der Aeltere den Apelles vor, wie er auf Befehl Alexanders des Großen die Kampaspe malt; spätere Bildergalerien dieser Art sind von Teniers dem Jüngern, Gonzales Coques (17), Ehrenberg und andern erhalten. In all diesen Bildern ist bezeichnend, daß das Lokal noch den Figuren das Gleichgewicht hält, daß die zierlich«prächtige Erscheinung des Ganzen offenbar noch ein Hauptziel ist und daß es noch sehr auf das Viele ankommt.

Es erscheinen auch zahlreiche Genrepublikationen im Kupferstich; Die damalige belgische Kunst war eben beständig tätig, trotz aller politischen Ereignisse.

Inzwischen aber hatte sich die Trennung der nördlichen Nieder«  lande von den südlichen vollzogen. Das war hochwichtig für die ganze Geschichte der Kunst. Kaum je hat ein territoriales Ereignis sich so ent* scheidend in der Kunst reflektiert.


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In Belgien erhob sich Rubens und zog die ganze Kunst nach sich, gewaltig in allen Gattungen, von Leben so erfüllt, daß er in jeder Auf* gäbe den Punkt untrüglich sicher erkannte, von welchem aus dieselbe mit Feuer zu erfüllen war, jedesmal so, als hätte er gerade diesen Gegenstand am liebsten gemalt und sehnsüchtig darauf gewartet. Selbst für die abgelegensten und wunderlichsten Sujets hat er noch immer Be» geisterung übrig. Er ist das lebendige Beispiel einer riesigen Güte der schaffenden und schenkenden Natur, ein Mensch sondergleichen, von Jugend auf an der richtigen Stelle, in der ihm bestimmten Laufbahn, schon an Kraft materiell Hunderten gewachsen.

Neben seinen gewaltigen Leistungen in der kirchlichen, offiziellen, historischen und allegorischen Malerei, neben seinen Porträts und sogar neben seinen Tierjagden und Landschaften behauptet bei ihm freilich das Genrebild nur einen sehr untergeordneten Platz, der Zahl nach; aber seine wenigen Genrebilder würden schon einen Maler hoch» berühmt machen.

Im Louvre findet sich die wunderbare Skizze eines heftigen Lanzen«  rennens von sechs Rittern, bei einem glühenden Sonnenuntergang. Er hat sich von dem wütenden Moment Rechenschaft geben und die Landschaft dazu stimmen wollen (18). Ebenda ist „La Kermesse" (19), das zentrale Bild des ausgelassenen Bauerntreibens, an feurigem Leben in gewaltiger Fülle weit den Bruegheln als Vorgängern und dem Teniers, Ostade und andern als Nachfolgern überlegen, eine ganze Gattung überschattend.

In den Konversationsstücken führt Rubens die vornehme belgische Gesellschaft des Franz Franck und anderer aus ihren Prachtgemächern ins Freie, in schöne Gärten mit Grotten, Treppen und Zierbauten und verteilt sie hier frei und bequem, in Licht und Schatten, stehend, sitzend, promenierend auf wechselndem Niveau, mit derjenigen malerischen Wonne, wovon bei ihm alles durchdrungen ist (20).

Es gibt mehrere dieser Bilder, wo sich Amoren zwischen den vor«  nehmen Herrschaften neckend herumbewegen. Das Einmischen von allegorischen Figuren stört hier weder den Maler noch den Beschauer. Diese Bilder führen gewöhnlich den Namen Liebesgarten oder Züchtig* ung Amors (21). Sie sind die naivste Darstellung eines herrlichen adlichen Daseins, den entsprechenden venezianischen Bildern (Giorgione, BonU fazio Veronese) hauptsächlich an Heiterkeit überlegen. Rubens braucht hier seine spezifische Kraft, seine wesentliche und bezeichnende Stimm* ung nur walten zu lassen.

Rubens machte mit Bildern dieser Art den größten Eindruck auf die Folgezeit, ja Waagen (22) nennt ihn den Urheber derjenigen Gattung, welche man Konversationsstücke nennt, was offenbar etwas zu viel gesagt ist.

Als Genre kann dann außerdem die oft bedeutungsvolle Staffage seiner Landschaften mit Hirten und Bauern gelten, die bisweilen halb» ideal, halbbrabantisch aufgefaßt sind.

Jordaens, obgleich nicht Schüler des Rubens, hat doch am meisten von ihm angenommen und in freister Weise; namentlich ist er der Erbe von der Palette des Rubens, nur nicht von der hohen Oekonomie selbst

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der wildesten und bewegtesten Bilder desselben. Er ist ein ins Große gehender Jan Steen.

Neben lebensgroßen biblischen und mythologischen Szenen und Historien malt Jordaens auch lebensgroße Genrebilder; unter andern „le Roi boit" (23). Ferner hat er Fisch* und Küchenbilder gemalt, von ihm mit Käufern, Koch und Küchenjungen lebensgroß staffiert (24).

Auch aus der übrigen eigentlichen Schule und Nachfolge des Rubens stammen einzelne treffliche Genrebilder oder die Zusammen» Ordnung mehrerer Porträtfiguren zu einem Moment; zum Beispiel Boeyer» mans „la visite" (25), wo eine angesehene Familie in einem Garten ihre Jesu» itischen Gewissensräte oder Verwandten empfängt, „das Konzert" (26) des Theod. Rombouts, des Antwerpener Zeitgenossen und beinahe Rivalen des Rubens.

Wie weit aber der Geist eines Rubens seine Strahlen sendet, zeigt sich am deutlichsten an zwei Genremalern, welche für ganz Belgien den Ton angeben, an David Teniers, dem Vater (1582 — 1649), der direkt ein Schüler des Rubens war, und an David Teniers, dem Sohn (1610 — 1690). Er genoß die Gunst Erzherzog Leopold Wilhelms und Philipps IV., der eine ganze Sammlung von Teniers anlegte. Teniers, des Vaters, und die frühern Arbeiten des Sohnes gehen ineinander über.

Von Rubens hat Teniers der Jüngere, — hatte er doch täglich Bilder des Rubens vor Augen, — das Ergreifen des Lebendigen als eines Leichten, Selbstverständlichen, ferner die harmonische Farbenskala, fast in lauter relativ lichten Tönen, die bequeme Beleuchtung, die weiche Luft; außerdem hat Rubens durch seine Kermesse und Pastoralen wohl direkt auf ihn gewirkt. Er hat von Rubens, was irgend ein Genremaler von einem Historienmaler haben kann. Und Miniaturmaler ist ja Teniers nicht. In seinem 80jährigen Leben hatte er Zeit und Emsigkeit, sich überhaupt vieles anzueignen; auch übte er sich, die Stile der verschie» denen Meister nachzumachen, was er als Galeriedirektor lernen konnte. So gibt es von ihm eine Madonna nach Tizian.

Das Vorherrschende sind Bauernszenen; die Tradition des Peter Brueghel war eben noch am Leben und hatte auch auf Rubens gewirkt; Teniers ist nur viel zahmer als beide und nur selten wüst. Aber Gemüt» liches oder Idyllisches gibt er nicht; der Poesie der Kindheit zum Beispiel geht er völlig aus dem Wege; es ist das Bauernleben von der Stadt aus und von der damaligen Gesinnung des Städters aus gesehen, die sich nur für Leben und Charakter desselben interessiert und keine aparte Seele darin voraussetzt. Dabei ergibt sich mancher Spaß, aber kaum ein pikanter Witz.

Die Bauernszenen in geschlossenem Raum spielen meist im Wirts» haus; zum Behuf des Lichtwechsels geht der Raum meist um eine Ecke und scheidet sich in einen nähern und entferntem. Der Inhalt ist meist bescheiden, als hätte er sich von selbst ergeben. Man denke an die Tabaksprobe (27), wo alles der den Tabak probierenden Respektsperson gespannt zusieht und wo auf dem zweiten Plane, rechts, Leute am Herd stehen.

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Man denke an das Konzert im Wirtshaus (28), wo drei Sänger, ein Sackpfeifer und ein Geißer um einen Tisch gruppiert sind; fiorchende von außen stehen an der Tür und am Fenster, voll Eifer, während dem Be* schauer vor der üblen Musik, welche anheben soll, grausen mag. Diese komische Intention aber legen wir wohl erst hinein; Teniers dachte nicht daran. Und dann hat er unzählige Male das Rauchen, das Trinken, das Kartenspiel oder Würfeln, alles mit völligem Ernst und Hingebung, gemalt.

Oder statt des Wirtshauses ist es die Küche, welche öfter beinahe zu einem Stilleben mit Figuren wird, indem die Vorräte und Gerätschaften nahezu die größere Stelle einnehmen; darunter Objekte (29) wie das ausgeweidete und ausgespannte Schwein; das Licht und die Farben* harmonie vereinigt dies alles wundervoll. Das Hauptbild dieser Art befindet sich im Museum von Haag; es ist die Zurüstung zu einem gewaltigen und vornehmen Mahl; eine sitzende Köchin, von einem kleinen Jungen begleitet, schält sehr ernstlich Limonen. Bisweilen gibt es in solchen Küchen und Vorratsräumen auch Liebeserklärungen, welche von Unberufenen belauscht werden (30).

Von derselben malerischen Aufgabe, Zusammenfassung von relativ wenigen Figuren mit zahlreichen Nebensachen in geschlossenem Raum und Licht, sind eigentlich bloße Varietäten: die Alchimistenbilder, darunter höchst treffliche, ja die Wachtstubenbilder (31), kartenspielende Soldaten zwischen aufgehäuften Harnischen, Sätteln, Pauken und anderm Zeug (32).

Dann ist zu erwähnen das Leben im Freien, bei hoher Meister* Schaft in der Luft und in allem Landschaftlichen, wie es denn von Teniers auch eigentliche Landschaften und Bilder mit abwechselnden Plänen gibt, die mit einer vordem Coulisse des Bauernlebens beginnen und mit weiten Fernen aufhören.

Die am wenigsten gelungenen sind die sehr figurenreichen Jahr* markte (33), Kermessen (34) und Hochzeiten, auch wenn alle Köpfe geistig belebt, ja bis in alle Ferne lauter Porträts sind (35). Denn dergleichen geht selbst bei einem Harmoniker wie Teniers nicht mehr in ein Bild zusammen, auch sind Wiederholungen unvermeidlich.

Weit harmonischer sind die guten Bilder von nur wenigen Figuren im Freien, ja von nur einzelnen Figuren; so der Dudelsackpfeifer und der Scherschleifer im Louvre. Das schönste Bild einer Szene im Freien befindet sich ebenfalls dort: Der verlorene Sohn; es ist keine Orgie, und doch sprechend deutlich.

Ueberhaupt ist Teniers der Jüngere auch des feinern Genre sehr wohl mächtig; es gibt von ihm treffliche, vornehme Feten in dem edeln Kostüm jener Zeit.

Einzelne Figuren aus der guten Gesellschaft in halbidealem Kostüm bringt „la pittura" (36). Und seinen Erzherzog hat er ohnehin öfter mit Ge* folge dargestellt, zum Beispiel bei einem Jagdereignis (37). Teniers malte auch die Tiere trefflich.

Von sonstigen Porträts (38) wäre zu nennen: das Bildnis eines Juristen, im grünen Seidenkleid in seiner Bibliothek sitzend, dem ein Diener eine

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Schrift bringt. Zu seiner Umgebung gehören ein Hündchen, ein Globus, ein Waldhorn, ein Pulverbeutel, ein Handrohr und eine Gewicht* uhr; über den Büchern Bronzegruppen; am Rand des Tisches liegt die Taschenuhr.

Ungenügend, wenn auch malerisch nicht zu verachten, sind die erzählenden Bilder biblischen Inhalts (39), so das Opfer Abrahams und anderes mehr.

Der Phantastik der Zeit entrichtete er seinen Tribut in Bildern aus dem Hexenleben, in der Versuchung des heiligen Antonius (40), endlich in der Ankunft des reichen Mannes in der Hölle (41).

Bei Teniers ist noch der ganze Gesichtskreis und Stil der Erschein» ungen brabantisch (42). So auch noch bei David Ryckaert (geb. zu Ant» werpen 1612), der jedoch ihn malerisch bei weitem nicht erreicht. Seine bevorzugten Genres sind der Bauerntanz, die Brandschatzung von Bauern, die Konzerte, Hexenszenen und anderes. Das Viele, der Gegenstand herrscht über die malerische Aufgabe vor; der Farbenton ist konventionell; dazu beobachtet er einen unangenehmen halbgroßen Maßstab.

Des Ryckaert Schüler und dann Nachahmer van Dycks war Gon» zales Coques, von dem auf der Brüsseler Ausstellung von 1873 seine „fünf Sinne" zu sehen waren.

Andere Belgier dagegen stellten das italienische Volksleben dar, und zwar von Seiten seiner Zerlumptheit. So Jan Miel (geb. bei Ant» werpen 1599) und vollends der Holländer Peter van Laar, genannt Bam» boccio (geb. zu Haarlem 1582). Hier ist auch nochmals Honthorst zu nennen, geboren zu Utrecht 1590; er blieb Katholik.

Es gibt eine ganze Richtung von Belgiern und Holländern, welche lange in Rom waren, und bei welchen dann das Kostüm zwischen Nieder» land und Italien schwankt, so die mehrern Palamedes und andere von Delft. Aber keiner ist darunter von erstem Rang.

Welches war die ökonomische Basis des belgischen Genrebildes? Sind es Fürsten und Große? Oder auch Bürger? Die Frage ist von Wichtigkeit.

In Holland ist es jedenfalls der Bürgerstand, der reiche sowohl als der bloß wohlhabende; denn die flüchtiger Produzierenden, zum Beispiel Jan Steen in seinen leichtern Bildern, fand man überall.

Hier ist das Genre die große Hauptgattung einer merkwürdig ein» heitlichen Kunst, welche, abgesehen von einzelnen biblischen Darstell* ungen besonders des alten Testaments, wesentlich das Leben der holländ* ischen Nation samt deren Schauplatz zu Land und Meer und der ganzen äußern Umgebung bis zum Stilleben herab darstellt. Es ist lauter Hol» land, freilich jedesmal nur dasjenige Holland, das dem Einzelnen zusagt; es ist keine Verherrlichung, sondern höchst intime Darstellung, und der Maler hat hier ein Erkennen und Empfinden ganz spezieller Art als aktive Kraft auf seiner Seite; jeder ist ein Herold des großen nationalen Besitzes nach irgend einer besondern Seite hin, abgesehen von einer Gruppe von Halbitalienern, welche sich an Berghem, Lingelbach und andere anschließen. Jedem ist es aber auch ernst mit seiner Sache, und

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daher ist jeder Orijjinal, auch wenn er dasselbe malt, wie zehn andere. Keiner macht den andern entbehrlich, MittelmäfMges ist kaum vor» banden, Schlechtes gar nicht.

Als Gattungen des Genrebildes fallen in Betracht: Die große hol» ländische Porträtmalerei samt dem Kollektivporträt in Gestalt der Doelen» und Regentenstücke und bamilienbilder; ja letztere stellen einen Uebergang zum Genrebild dar; dann das Genre selbst, von welchem die Schlachtenmalerei hier ein Zweig ist; weiterhin, als Uebergang vom Genre in die Landschaft: das Hirtenbild; auch eine besondere Tiermalerei, die fast nur Haustiere berücksichtigt; die Landschaft und die Marine, die Architekturmalerei, das Stilleben und die Blumenmalerei.

Hingegen fiel der ganzen Nation die Darstellung ihrer eigenen Groß» taten, derjenigen des vorhergehenden XVI. sowohl als des laufenden XVII. Jahrhunderts, merkwürdiger und lehrreicher Weise gar nicht ein, ganz als hätte man sich vor bloßem nationalem Pathos geschämt. Die einzige Ausnahme bilden einige Seeschlachten, wo man aber das Pathos völlig in die Schiffe legen mußte, die dem Holländer freilich lebende Wesen waren wie die der Phäaken.

Immerhin wüßten wir gerne mehr und genaueres über die Teil» nähme der Nation an diesen ihren Malern. Von einzelnen ist der gleich«  zeitige Ruhm und Erfolg evident, von andern, sehr großen, weiß man wenig oder nichts, wie zum Beispiel von Ruysdael. Oder man weiß vor» herrschend Falsches, zumal die Lästerungen bei Houbraken, der dafür zwei Meister ersten Ranges, Pieter de Hoogh und Hobbema gänzlich vergessen hat, — zum Glück! er würde vielleicht sonst auch sie ver«  leumdet haben — , wahrscheinlich, weil sie bei Lebzeiten wenig oder nur bei einigen Auserwählten etwas gegolten hatten und darum, als Houbraken schrieb, bei den oberflächlichen Leuten bereits vergessen sein mochten.

Wir übergehen hier aus Gründen die ganze sogenannte Pastorale, die Gruppe des Berghem, Dujardin und Genossen.

Bevor vom einzelnen zu reden ist, muß derjenige große Meister vor» geführt werden, von welchem die meisten holländischen Maler und vor* züglich die Genremaler irgendwie direkt oder indirekt berührt und sogar bestimmt wurden, ähnlich wie die Belgier von Rubens, zwar ohne daß es ihnen schadete: Rembrandt (43).

Rembrandts Leben fällt in die Jahre 1606 — 1669. Er ist einer jener Einseitigen, welche beinahe nur eine einzige Eigenschaft in bisher nie geahnter Macht repräsentieren.

Zunächst ist er ein Porträtmaler ersten Ranges in Auffassung und Darstellung der Charaktere, weltberühmt auch im Kollektivporträt (44), dann aber der Maler des Lichts, der Reflexe, des Helldunkels, des runden Vortretens; ganz als hätte der oft neblige und selbst bei schönem Wetter umschleierte Himmel von Holland einer rechten Reaktion gerufen (45).

Dabei besaß Rembrandt im ganzen so viel lebendige Phantasie als nötig war, um das Geschehende wenigstens als solches hurtig zu verwirk«  liehen. Aber er ist dramatisch nicht immer stark und oft kaum deutlich.

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Was aber geschieht, überhaupt der Gegenstand als solcher, ist ihm offenbar ziemlich gleichgültig. Auch die normale Körperbildung weicht allen möglichen Mißbildungen und Zeichnungsfehlcrn; die Linienführung und Verteilung im Raum sind oft merkwürdig unschön; die Köpfe, für einen so großen Charakterdarsteller im Porträt oft abschreckend gemein und dürftig; die Trachten ganz nach dem Bedürfnis der Farbe oft ganz abenteuerlich zusammengesucht. Während Rembrandt als Sammler recht gut wußte, was normal und schön ist, büßt er als Maler sogar das Gefühl von den Grenzen des Empörenden ein.

Umsonst hat man in ihm erbauliche biblische Innigkeit finden wollen, während er eben kaum noch naiv ist. Seine häßlichen Engel, zumal die Fußgebärde des Entschwebenden auf dem Tobiasbilde (46) und vollends die abscheuliche Mißbildung der Christusleiche auf der Kreuz* abnähme (47) und dergleichen mehr machen es unmöglich, ihn für erbaulich zu nehmen. Es fehlt ihm und der ganzen Schule das Patriarchalische; sie schlagen derjenigen Verbindung von Ehrfurcht, Gottesnähe und Ein«  fachheit, die wir mit dieser Welt verknüpfen, ins Gesicht!

Die moderne Ueberschätzung, bis zum „Janus" der Chiffre RR (48): Rafael und Rembrandt — Vergangenheit und Zukunft = fleur et racine, ist ganz charakteristisch für die vorwiegende Tendenz heutiger Kunst, welche der höhern Ziele bar geworden, sich einbildet, die Er* scheinung im Lichte sei alles. Zuletzt denken die Bewunderer wie Rem* brandt selbst. Die Strafe dafür ist, daß sie den Rembrandt eben hierin doch nie erreichen. Wenn Licht und Farbe gar alles sein dürfen, so vermissen sie nichts mehr. Er ist der Abgott der genialen und der nicht* genialen Schmierer und Skizzisten.

Rembrandt strahlte nun seine einseitige, aber unerhört intensive Kraft über alles aus: weltliche Historie (49), Biblisches, Parabeln, Mytho* logisches, Genre, Landschaft, Porträt. Freilich wollte in seinen spätem Jahren offenbar niemand mehr von ihm gemalt sein, um nicht wesent* lieh als skizziertes Lichtproblem, als Mixtum aus Charakter und Licht* flecken weiterzuleben, und da malte Rembrandt meist nur noch sich selber, den er immer vorrätig hatte.

Als seine Genrebilder sind, abgesehen von den Radierungen, zu nennen: „La famille du bucheron" im Louvre; diese will eine heilige Familie sein; die zwei Philosophenbildchen im Louvre, auf denen die Wendeltreppen das Prius sind, und in das fabelhafte Licht paßte dann nur eine ruhige Figur; der Samariter (50); studierende Mönche (?); ein Kapu* ziner; ferner das Tischgebet (?), die Bibelleserin (?), der Unterricht (?), der Greis an einem Tisch mit Globus (?). Schließlich „La fiancee juive"(51), das in Licht und Farbe erstaunliche Werk wahrscheinlich seines letzten Lebens* Jahres, aber in der Anordnung null und im Inhalt — der Grund ist nur ange* deutet — so unsicher, daß man es auch hat als Glückwunsch zum Geburts* tag deuten können, ja als Verführungsszene, auch als Juda und Thamar.

Von Rembrandts unmittelbaren Schülern wandten sich nicht dem Genre zu, oder nur selten: Ferdinand Bol, Govaert Flinck, Gerbrand van den Eeckhout (Salomon Koning war Schüler Moyarts), wohl aber Nicolaus Maes, von welchem eine Reihe höchst leucht*

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kräftiger, meist kleiner Bilder vorhanden sind, welche in geschlossenem Raum mit grölSter Kraft des geschlossenen Oberlichtes eine einzelne Gestalt darstellen: „la laiti^re, la liseuse, la couseuse, l'ccouteuse, la reveuse, l'ouvrifere en dentelles", endlich das lebensgroße Bild des Mäd* chens im Fenster (52), vielleicht etwa gemalt als Vorarbeit für ein kleines Bild, und endlich Gerard Dow, welcher schon deshalb ein großer Maler ist, weil er vom Lehrer genau nur annahm, was ihm diente und soweit es ihm diente und seine wunderbare Eigentümlichkeit völlig bewahrte. Knecht geworden ist wenigstens von den Genremalern niemand; abge» schlössen aber hat sich auch niemand, ausgenommen etwa solche Un* fähige, welche seither vergessen wurden.

In weiterm Sinne aber ist Rembrandts naher Einfluß noch sichtbar bei einigen der Fähigsten und Größten, bei Theodor de Keyser, der älter als Rembrandt war, bei Adriaen van Ostade, bei dem sonst italisierenden Thomas Wyk (sonst wohl Schüler Ostades) wenigstens stellenweise, bei Pieter de Hoogh, dem großen Maler von Stuben und Hausfluren, bei van der Meer, dem Genremaler, und völlig entzogen hat sich ihm wohl kein einziger; schon die Schüler der eben genannten wären ohnehin indirekt von ihm berührt worden.

Denn zu den Schülern und Nachahmern des Gerard Dow gehörten Jan van Staveren, der seine Eremiten imitierte, Slingelandt, Franz Mieris der ältere (53), Gottfr. Schalken.

Und ähnlich Ostades Schüler: Cornelis Bega, Dusart und in zweiter Linie, als bloße Nachfolger: Quirin van Brekelenkamp, Ary de Vois, Brakenburgh.

Ja Ostades Lehrer, der in seiner Art große Franz Hals, 26 Jahre älter als Rembrandt, zeigt doch in seinen spätem Werken dessen Ein» fluß (54).

Dagegen ging Brouwer, Schüler des Hals und Mitschüler Ostades, seine eigenen Wege, und so ist auch sein Schüler Jan Steen nicht sieht* bar von Rembrandt berührt worden, was man seinen Werken auch recht wohl ansieht (55).

Von zwei ganz großen Meistern, Gerard Terburg und Gabriel Metsu, wird kein namhafter Lehrer genannt; jedenfalls verdankten sie dem eigenen unablässigen Studium der Natur das Meiste und ihrer innern Eigentümlichkeit das Beste. Terburgs (oder Dows?) Schüler war Net» scher, Metsus bester Schüler Uchterfeldt.

Bei andern, die im Genre bedeutend wurden, wird nur ein Land«  schaftsmaler als Lehrer genannt. So war Berghem Schüler des van Goyen und des Johann Baptist Weenix und dann wieder Lehrer des Carl Du» j ardin und mehrerer anderer.

Namentlich hat Wynants berühmte Genremaler zu Schülern ge* habt: Den berühmten und höchst fruchtbaren Philipp Wouverman, welcher vielleicht wieder Lehrer des Jan le Ducq wurde (56 a), und den Adrian van de Velde, welcher in einem kurzen Leben nicht nur eine Menge eigener Pastoralen schuf, sondern auch die Staffage in die Bilder der be«  rühmtesten Landschafter hineinmalte, auch bei Ruysdael. Seine eigenen Schüler sind Dirk van Bergen, Simon van der Does und andere (56 b).

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Das Was und das Wie des holländischen Genrebildes bilden für uns eine völlig authentische und vollständige Kunde über die Gattung und ihre Grenzen überhaupt, weil sich die ganze Entwicklung völlig naiv, ohne alle Einwirkung der Literatur und des übrigen Europa rein nach dem innern Trieb der damals ruhmvollsten Nation Europas voll» zog, mit Kunstmitteln, welche kaum je mehr erreicht und nie mehr überboten werden können.

Zunächst war in der Nation ein Zug des derben Spasses, und dazu wirkte aus dem XVI. Jahrhundert, da es noch ein Gesamtniederland gab, das Vorbild des Peter Brueghel; gleichzeitig lebt dieser Zug in Belgien bei Teniers dem Jüngern fort. Es ist das Volksleben, welches hier nie von der wehmütigen, sentimentalen oder pathetischen, sondern von der vorherrschend oder indifferenten lustigen Seite genommen wird, haupt«  sächlich in und vor dem Wirtshause, der Bude, der Barbierstube, und so weiter. Von irgend einer besondern Vorliebe und Zärtlichkeit für das „Volk" ist nirgends die Rede; es ist nur Substrat des Lebens. Es ist ferner das Leben der höhern Stände, meist in sehr einfacher Handlung, schließlich das Soldatenleben und das Hirtenleben.

Vor allem leitete ein richtiges Gefühl auf einen kleinen Maßstab; man empfand, daß solche Szenen, größer oder gar lebensgroß ausgeführt, viel weniger richtig wirken würden — ohnehin hatten auch die reichsten Besteller wohl eher enge Wohnstuben — , daß überhaupt der große Maß» Stab nur den idealen Gegenständen, das heißt solchen, die das Auge durch Gegenwart der Schönheit beruhigen, und dem Bildnis angemessen ist. Dafür ist bei manchen dieser Maler im kleinen Maßstab so viel Detail der Form mitgegeben, als heute selten an irgend eine Gestalt großen Maßstabes gewandt wird. Es ist ein Mikrokosmus. Ein Gerard Dow sollte den alten Jan van Eyck noch in der Miniatur überbieten.

Dieses kleine Feld aber wurde durch höchste Raumwahrheit (57) und durch eine oft unvergleichliche Schönheit des Lichtes und seiner Reflexe, durch Luft und Abtönung verklärt. Dies verbunden mit einer unend» liehen Wahrheit der Gestalten und ihrer Bewegung bringt jenen Ein» druck hervor, ähnlich wie der der Landschaft der großen holländischen Meister: als werde nicht sowohl diese oder jene Szene an sich, sondern ein Moment des Weltganzen dargestellt, welchen der Maler zufällig im Nu fixiert habe und ohne welchen unsere Kunde von der Welt unvoll* ständig wäre. Dem Künstler ist der Anblick zur Vision geworden, und diese wirkt dann als Stimmung auf die Stimmung des Beschauers. Man empfindet die ausgezeichnetem dieser Bilder als Notwendigkeiten. Die Vergegenwärtigung des jedesmaligen Zustandes ist eine wahrhaft zwingende; der höchste Wille dieser Malerei ist das Mitlebenmachen. Und dies ist nur möglich, wenn der Maler selber seine Szene im höchsten Sinn mitlebt, wenn jene oben erwähnte völlige Intimität zwischen ihm und seiner Schöpfung eintritt. Statt dieses intimen Mitlebens geben uns die Neuern beständig brillante Sachen. Jenes Mitlebenmachen geschieht jedoch unbewußt; unmerklich, durch alle leisen Zauber der Kunst muß der Beschauer in dies Mitleben des Dargestellten hineingezogen werden.

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Hiezu dient negativ das Nichtideale; denn diejenige erhöhte Form und Existenz, welche das Ideale heißt, kann man nicht mitleben und weiß dies. Daher ist auch die Schönheit, wo sie zur Geltung kommt, immer nur eine solche, welche man innerhalb des dargestellten Zu» Standes noch hoffen dürfte anzutreffen, die nationale holländische Schönheit, und auch diese kaum je in ihren höhern Bildungen; denn nirgends erscheint das leuchtende blaue Auge der Friesinnen.

Vor allem aber dient zu jenem Zauber das meist nur ganz mäßige Geschehen, der möglichst wenige dramatische Inhalt; denn das Mitleben stellt sich am leichtesten ein, wenn ein unmerklich vorübergehender, bescheidener Moment dargestellt wird, der sich kaum über einen bloßen Zustand erhebt. Der Gegensatz von dramatischer Malerei und Existenz* maierei in seiner ganzen prinzipiellen Schärfe ist hier aber nicht zu be» tonen; das Genre liegt oft auf der Grenze von beiden.

Wohl gibt es, von den Schlachtenbildern abgesehen, sehr heftig bewegte Szenen, besonders wilde Raufhändel in liederlichen Wirts* häusern; auf den Pfaden P. Brueghels, aber mit viel höher vollendeter Kunst, ging namentlich Adriacn Brouwer, zumal als er die zwei Bilder des Museums von Amsterdam malte: das letzte Stadium einer Orgie: singender und schnarchender Pöbel; ein heulendes Kind sucht seine vorn schlafende Mutter zu wecken — und das Messerziehen beim Kartenspiel: dem übrigen Gesindel wird bang, und es möchte Frieden stiften; der Typus des Drohend*Gemeinen ist vortrefflich gelungen. Schließlich das Bild in der Galerie Suermondt: Zwei Zänker und ein Vermittler, im Ton wie Rubens Kermesse. In solchen Bildern bei Brouwer und andern, auch besonders bei den Halbitalienern, wie Pieter van Laar und unter andern Isaak van Ostade, ist ein eigentümlich gesindelhaftes, lausig verkommenes Geschlecht dargestellt.

Brouwer und Isaak van Ostade schonen auch sonst den Beschauer nicht, so in ihren Zahnoperationen, wo die Umgebung aus Lachenden und Jammernden besteht, so in einem vorzüglichen Bild einer Fuß«  Operation von Brouwer, der leicht das Verbinden hätte darstellen können; statt dessen gab er aber den wüsten Moment des Leidens. Oft, zum Beispiel bei Adriaen van Ostade, ist auch der Tanz in einer Bauern«  schenke sehr wild, und die Touren und Grimassen sind unglaublich, aber die Darstellung höchst meisterhaft. Auch wenn etwa der Wirt eingeschlafen ist, kann es in der Wirtschaft sehr kurios und unflätig zugehen (58).

Andere Male geht es ganz ruhig im Wirtshaus zu, und der Be* schauer erstaunt, wie Bilder fast ohne irgend ein Sachinteresse ihn doch magisch fesseln können; Cornelis Bega malt etwa drei Diskurse zugleich, und der sonst so wilde Brouwer begnügt sich, Raucher darzustellen, ja in einem Meisterbilde (59) einen eingeschlafenen Raucher. Ostade (60) läßt einen der alten Stammgäste seine Geige stimmen, während das Licht durch eine Bogentür links und ein Fenster hinten beim Herd eindringt.

Wenn man aber sehen will, wie hoch die Magie beim bescheidensten Inhalt gehen kann, so zeigt dies der herrliche kleine A. v. Ostade der Galerie Hoop in Amsterdam: ein paar Trinker und Raucher in einem von drei verschiedenen Seiten beleuchteten Wirtshausraum, von wunder*

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barer Wärme und Wahrheit des Tons und der Luft. In Wirklichkeit würde man dies Lokal meiden, und bei Beschauung des Bildes sehnt man sich hin und findet die Holzbohlen der Decke herrlich. Gerade wie man so manche Gegend, welche in holländischen Landschaften darge» stellt ist, meiden würde, während man sich von der Darstellung magisch gebunden fühlt. Eben so wunderbar wirken Licht und Luft in Ostades Bauernstube im Louvre, mit Mann, Frau und Kind; von dem Licht, das durch ein Fenster links kommt, geht das Spiel des Helldunkels durch das ganze Dachgerüst hinauf. Diese Bilder wirken im Licht viel schöner als Rembrandt. Man muß sich die Frage stellen: warum ist dieser und jener an sich geringe einzelne Anblick so anziehend, sobald er durch die Seele eines alten holländischen Zauberers hindurchgegangen ist? Stände es nicht in deiner Macht, die Welt auch so anzusehen? Freilich, wohl trifft uns etwa einmal ein Anblick der Wirklichkeit, selbst wenn er an sich wenig bedeutet, mit geheimnisvoller Gewalt; aber das Gefühl ver# liert sich wieder, und nur der große Künstler kann jene geheimnisvolle Intimität zwischen dem Auge und dem Geschauten dauernd festbannen.

A. V. Ostade liebt ein halbgeschlossenes Licht, auch wenn er seine Szenen, teils ruhige, teils bewegte vor das Wirtshaus verlegt, während sein Bruder Isaak in seinen Halten oder Gelagen vor dem Wirtshaus das freie Tageslicht vorzieht. Das Licht ist bei Adriaen vollkommen auf der gleichen Höhe wie bei Rembrandt, nur ist die Wirkung seiner Interieurs viel heller und anmutiger.

Adrian ist auch etwas edler in den Formen als Isaak; der Typus seiner Leute ist nicht immer der des Gemeinen, sondern des Gutmütig»Ver» kümmerten; es ist eine gedrückte, durch die Mühen des Lebens kleinlich gewordene Gemütlichkeit. Draußen, etwa zwischen zwei Bäumen, an* gelehnt an eine Plankenwand oder im Schatten von etwas Weinlaub, sitzen sie, und wenn ein fremder Geiger mit seinem Büblein kommt (61), so hören sie nachdenklich zu. Bei seinem Schüler Dusart, der so oft für Ostade genommen wird, stehn die Leute sowohl draußen als drinnen im Hause am Fenster (62) und lachen, weil ein abenteuerlicher Geiger draußen zugleich tanzt und das Büblein ihm nachtanzt und diesem nach wieder ein kleiner Hund auf den Hinterfüßen.

Allein dies sind doch alles nur mäßige Witze und ein gewisses all* gemeines Kapitel von Humor, und das Genrebild soll ja doch pikant sein und womöglich eine komische Pointe haben?

Ein Maler hat hierin für alle gesorgt ifnd ist der Bewunderung aller derjenigen gewiß, welche den Witz und die Anspielung für die Seele eines Genrebildes und die größere oder geringere Häufung von Witzen in einem Bilde für dessen Wertmesser halten:

Jan Steen (63), geboren um 1625 zu Leyden, Schüler des Ostade und van Goyen, lebte meist in Delft und ist 1678 gestorben. An Schule fehlte es ihm nicht, und er hat etwa stellenweise die höchsten Vorzüge des niederländischen Genrebildes einmal erreicht; er kann miniaturfein sein, die Farben stimmen und Licht und Luft darstellen. Ferner hat er in hohem Grade die wirkliche Komik, und wenn diese eine wesentliche Sache der Genremalerei wäre, so stände er ja allen weit voran. Er kennt eine

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reiche Gamme von Charakteren: dicke, stumpfe Respektspersonen, ab«  gelebte Liebhaber, absurde Schwätzer, heitere TaufJcnichtsc, hübsche Mägde, kräftige, ungenierte Kinder, samt Gefolge von Trinkern, Musi«  kanten, Bauern und Gesinde, hie und da schlaue Doktoren bei jungen Damen.

Und dies alles setzt er in eine lüUe von Beziehungen, die der Be* schauer teils leichter, teils schwerer errät und die zusammen in hun» dertcn von Bildern die Gesamtkomödie des damaligen holländischen Lebens ausmachen. Es ist leicht, oder doch für Moderne einladend, den Inhalt der einzelnen Bilder auf das weitläufigste zu beschreiben und zu kommentieren, wie Lichtenberg mit dem sachlich noch weit überfülltern Hogarth getan hat. Aber Hogarth fällt durch seine Zettel und Bei* Schriften wieder ins Mittelalter zurück.

Wenn die Schicklichkeit protestieren will, so rechtfertigt Jan Steen sich durch Berufung auf seine moralische Tendenz, womit im XVIL Jahrhundert Kunst und Poesie auch das Unerhörte durch» schmuggelten. In seiner berühmten Bordellszenc ist oben an der Wand ein Blatt befestigt, gerade über dem Kopf des alten Wüstlings, mit Eule, Lichtstock und Brille und den Worten: Was helfen Licht und Brill, wenn die Eul' nicht sehen will! Aehnlich macht es Jordaens, ein Jan Steen im großen, der lateinische Moralsprüche zu seinen Kotzenden malt.

Wir können Jan Steen jedoch im ganzen übergehen, weil er in den inhaltsreichsten Bildern das Ziel des Genrebildes verfehlt und zwar gerade in den berühmtesten und teilweise sorgfältigsten: das Mitleben* machen. Es rächt sich an dem Künstler die Unersättlichkeit, welche noch einen komischen Zug und noch einen hinzufügt und die Bilder enorm überfüllt. Die Folge hievon ist, daß der Beschauer schon an die Möglichkeit der gehäuften Witze nicht mehr glaubt und die Stimmung verliert; andererseits verliert der Maler seine Stimmung, nämlich die koloristische, und das Bild ist kein Bild mehr. Der Witz ist es, welchen man anfangs bewundert, dann rasch auswendig lernt und bald er* müdend findet. Schon ein Witz sprengt die Stimmung, und vollends ein Haufe von Witzen. Wozu auch nur der kostbare Luxus von Kolorit und genauer Ausführung? Wenn man schon durch den Beifall der Lacher gedeckt ist? Ein derber Holzschnitt, eine effektreiche Radierung täten ganz denselben Dienst (64). Nur die Sachknechtschaft der meisten Be* schauer erklärt den Ruhm Steens schon in seiner Zeit, während ganz deutlich die Kunst genau ebensoviel verliert als der Witz gewinnt. Und dieser Antagonismus ist ein allgemeiner und gilt für alle Zeiten. Jeder anspruchsvolle Inhalt setzt den künstlerischen Gehalt eines Genrebildes in Gefahr.

Weit die künstlerisch besten Bilder Steens sind die fast oder ganz witzlosen, wo er sich rein auf seine Kraft als Maler angewiesen sieht: die Trictracpartie (65), eines oder das andere Exemplar der kranken jungen Dame mit dem Doktor (66) und dergleichen. Aber dann sogar bleibt er doch nur zweiten Ranges. Denn Dow und Terburg, denen er hie und da nachzugehen scheint, hat er freilich nie erreicht. Und auch den guten

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Bildern geht es nach, daß er zum Beispiel von der Gewöhnung des Grinsens her keinen normalen Mund mehr malen konnte. Seine ge* ringen Bilder sind eben so zahlreich als sehr gering.

Es ist der Ruhm des damaligen Hollands, daß die wichtigern Be* steller nicht dieser Richtung wesentlich anheimfielen (67).

Die bescheidenen Themata, die leisen, herrschen vor und ziehen den Beschauer oft traumhaft in die dargestellte Existenz hinein. Als solche Themata sind anzuführen: die Einzelfigur, ganz oder auch nur Halbfigur innerhalb eines Fensters, wobei hier einstweilen abzusehen ist von Terburg, Dow, Metsu, und nur zu erwähnen sind die einfachen Bildchen eines A. v. Ostade: Mann mit Blatt, Mann mit Krug, der Raucher, der Notar in seinem Bureau einen Brief lesend — eines Brouwer: der Mann in der Nachtkappe am Pult federschneidend: diese Bilder samt» lieh im Louvre, — die überschätzten Einzelfiguren des Delft'schen Meer: Briefleserin, Briefschreiberin und ähnliches, — die delikaten Dreiviertels* figuren oder ganzen Figuren des Ary de Vois, besonders der Geiger mit dem Römer, völlig weingrün, in zerrißnem schwarzen Seidenwams, weh* mutig komisch (68) — die alte Frau in einer Reihe von Bildern des Nie. Maes, der dies Thema mit nie erschöpfter Begeisterung variierte; ein leiser Zug mehr als sonst tritt in der Bibelleserin des Brüsseler Museums her* vor; sie sitzt in rotem Oberkleid in einem Lehnstuhl, bei ihr ein Teppich* tisch mit Büchern, in einer Nische ein Niobekopf, noch mit in der Licht* masse begriffen (waren etwa ihre Kinder gestorben?) (69); die Arbeiterin: die welche Faden abhaspelt, dann die Spitzenklöpplerin und andere; dann das Bild der Mutter mit einem oder mehreren Kindern, niemals in einem Moment der Innigkeit, sondern ganz so wie die Leute immer sein können, daher auch überzeugend und nie ermüdend; die innere Güte versteht sich von selbst. Es sind Existenzen, nicht Augenblicke; dies ist hier stark zu betonen; die aktive Gemütlichkeit sowenig als der Witz kann der Lebenskern des Genrebildes sein; man lernt sie ebenso auswendig und wird sie ebenso müde wie diesen. Zu jenen bescheidenen Themata gehört auch ein Bild des Slabbaert (70), auf dem die Mutter den zur Schule ge* henden Kindern das Brot zuschneidet. Ganz vorzüglich ist hierin Quirin van Brekelenkamp (71): zum Beispiel mit einer sitzenden Mutter, die einem vor ihr stehenden Kind den Brei einstreicht und völlig in dieser gesetzlich* langweiligen Funktion aufgeht, ein Bild, das dem G. Dow nahe steht (72); ferner mit der sitzenden Spitzenklöpplerin, zwei spielende Kinder um sie und ein Säugling in der Wiege; am Fenster steht ein Tisch mit Essen, hinten rechts erhebt sich ein großer Kamin. Auch spielende Kinder allein, etwa mit Katze und Mausefalle und anderm malten sowohl Brekelenkamp als van Toi, Nie. Maes und andere vorzüglich. Es sind immer gesunde und hübsche, nicht gerade schöne Kinder, aber stets absolut naiv, ohne alle Koketterie gegen den Beschauer.

Schließlich wären die Kinder in der Schule zu erwähnen: Zwei herr«  liehe Bilder des A. v. Ostade im Louvre: die kleine Dorfschule, wunder«  voll vom Bodenreflex aus beleuchtet, und dann (73) jene gemütliche Anarchie, klar und licht bis ins Ferne; vorn fällt ein Hauptlicht von links ein, hinten wirkt ein Fenster von rechts. Beide Bilder sind im Grunde

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erfreulicher als das Kunststück des G. Dow im Museum zu Amsterdam, wo die Schule bei Nacht von vier Lichtern erhellt wird.

Das Bild einer j^anzen Familie, meist Porträts, wird von großen Künstlern so behandelt, daiS das schönste freie Kunstwerk vor uns zu stehen scheint, ähnlich wie bei den besten Doelen« und Regentenstücken.

Schon der alte Gerritz Cuyp malte halbgroli die Familie des Malers Troost (74), im Freien, gegen einen Nachmittagshimmel, in den Trachten wenig anders als weiß, braun oder grau und schwarz, alles kluge und glückliche Leute, mit Wägelchen und Rappen und Ziegenbock. Andere herrliche Familienbilder rühren her von Th. de Keyzer, von de Musscher (75), Schüler von Metsu und Ostade, welcher statt der Stille eine unge«  zwungene Rede und Aktion eintreten läßt. Im Louvre sieht man neben zierlichen Familienbildern aus der vornehmen Welt von Franz Mieris und Slingelandt das Wunderwerk des A. v, Ostade, welches ihn selber und seine Familie in einem behaglichen, künstlerisch verzierten Zimmer vorstellt; die acht Kinder sind den Eltern aus dem Gesicht geschnitten, und schon die Eltern, welche traulich die Hände in einander haben, gleichen einander. Kein neuer Maler könnte mit diesen zehn Personen das geringste anfangen. Es ist die höchste Schlichtheit bei höchsten Kunstmitteln, besonders in der Klarheit der Farbe. Dann ist an das schöne Bild (76) zu erinnern, welches Adr. van de Velde mit seiner Familie im Freien vorstellt. — Das Erstaunlichste aber leistet vielleicht ein Familienbild des Jan van der Meer von Delft in der Wiener Akademie: Die Eltern befinden sich mit erwachsenen Kindern oder Verwandten in einem Gärtchen, offenbar zwischen den Häusern, an irgend einem Nach«  mittag; der Beschauer ahnt, es könnte langweilig gewesen sein, und ist doch auf das höchste von dem Bild interessiert; das Bild ist kurzweilig! Man kommt nicht damit durch, daß man sagt: es sei eben schade um die Kunst, daß sie diesmal keinen kurzweiligem Moment und keine hüb«  schern und keine bunter gekleideten Leute habe darstellen dürfen, denn der nachdenkende Beschauer wünscht sie gar nicht anders (77). Der Reiz schöner Einzelformen, die man ja bei Rafael immer haben kann, käme ja gar nicht in Betracht neben derjenigen Magie, durch welche Van der Meer uns zum Mitleben zwingt.

Endlich stellt der Maler nicht selten sich selbst in seinem Atelier dar oder auch einen Kollegen; so Ostade (78) sich selbst mit Gehilfen und Farbenreiber, Ary de Vois (79) wahrscheinlich den Pynacker; ja Craesbeke (80) entwickelt aus dem Motiv eine offenbar ironische Genreszene; er muß unter Musik und Aufwartung einen pausbackigen, jungen Herrn por* trätieren, welcher Bediente hinter seinem Stuhl stehen hat und sich als Kenner, ja vielleicht als Dilettant gebärdet, indem er mit einem Pinsel spielt; der Maler lächelt; es ist wohl sein bestes Bild. Die Selbstporträts der Maler als isolierte Einzelfiguren sind hier zu übergehen, obwohl es Leute von hohem Rang darunter gibt: Gerard Dow, Terburg als Bürger* meister von Deyenter (81), in ganzer Figur und andere. Eine Gesellschaft von namhaften Malern, welche samt einigen Gattinnen bei Ostade zu Gaste sein sollen, glaubt man zu erkennen in dem schönen Bilde des, wie es scheint, hoUandisierten Belgiers Tilborg (82).

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Ueberhaupt weiß man von diesen Holländern meist recht wohl, nicht bloß, wie sie aussahen, sondern auch wie sie sich in aller Unbe* fangenheit gebärdeten, wie sie das Glas hoben, die Frau führten und den Hut trugen, während ihre Lebensumstände meist überaus dunkel oder durch erlogene Anekdoten entstellt sind.

Aber auch jeder andern Tätigkeit oder Existenz, welche dem Hauptgesetz des holländischen Genrebildes, dem Mitlebenmachen, sigh auf anmutige Weise fügt und ein anregendes Problem in Charakter, Räumlichkeit, Luft und Licht gewährt, tun die Maler ihre Ehre an.

Jeder Tätigkeit oder Existenz? Doch nicht! Es gäbe eine lehr» reiche Subtraktionsrechnung, wenn man fragte, welche naheliegenden Sujets sie übergangen haben? Warum ist zum Beispiel kein Comptoir» bild vorhanden, während Qu. Messys doch dergleichen gegeben hatte und auch anderswo dergleichen vorkommt? Auch ist das ganze Schiffer* leben nie gemalt worden. Und was sich heute so recht breit als „Volks"* leben gibt, kommt hier erst recht nicht zur Darstellung.

Vor allem sind die Szenen von Kauf und Verkauf im kleinen, nicht das Marktgewühl, zahllos, sei es im Freien, wie der Fischhandel, die Gemüsehändlerinnen und Obsthökerinnen, oder in geschloßnem Raum, wie die Spezereiladen.

Die Fische, ihr Preis, ihre Qualität sind hier ein Lebensinteresse. Jan Steen gründet ein drolliges Bild (83) auf den ersten Häring der Saison: ein Kerl bringt tanzend das Tier samt zwei Zwiebeln zu einer Familie herein, welche eben zum Essen bereit ist. Dann wird der Fischmarkt gemalt, unter andern von Zorgh (84).

Von Metsus Hauptschüler Uchterfeldt stammt das vorzügliche Bild, da von der Gracht her ein grüßender Fischer einen schönen Fisch in den Hausgang (85) bringt, wo ihm eine Dame Bescheid gibt; sie hält ein Mädchen an der Hand, das einen kleinen Hund neckt; draußen vor der Tür an der Stufe befinden sich zwei spielende Bettelkinder; das Bild aber wäre schon vorzüglich, auch wenn es nur den Hausgang und die Gracht vorstellte (86).

Ferner werden die Fruchthändlerinnen im Freien oft und trefflich gemalt, so von Brekelenkamp (87), aber mit höchster Schönheit in dem Bilde des Metsu im Louvre, wo außer Rettichen auch Geflügel und an einem Nebentischchen Schnaps verkauft wird, und außer dem Hader zweier Hökerinnen auch eine Liebeserklärung stattfindet, alles unter den Boom* jes einer Gracht, für Metsu schon ein sehr inhaltsreiches Bild.

Das weitere Schicksal der Lebensmittel entwickelt sich dann in der Küche, welche, wie bei Teniers, das malerische Problem einer Zusammen* Stellung weniger, oft kaum zweier Personen, der Köchin und eines Büb* leins, mit vielem Detail von Vorräten und Gerätschaften unter der Waltung eines geschlossenen Lichtes verwirklicht. Doch wird auch wohl ein Konzert in der Küche dargestellt.

Dagegen verwandelt sich die Darstellung des Alchimisten in dem aufgeklärtem Holland, das sein Gold den Geschäften verdankt, in einen Apotheker. Ein gutes Bild, mit Rembrandtscher Lichtwirkung, stammt

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von Tho. Wyk (88); da schreibt der Apotheker an einem Pult, und ein Knabe bringt eine Casserole.

Den Quacksalber fürs Volk behält man bei; Ostade malte der» gleichen. Von seinem Schüler Dusart befindet sich ein Quacksalber im Museum von Amsterdam, nicht einmal mit der Miene eines grellen Marktschreiers, sondern eines gemütlichen, armen Teufels.

Und Brekelenkamp malt einmal (89) eine Schneiderboutique, ohne irgend einen spaiShaftcn Zug; höchst wahrscheinlich ist bloß das Leder» koller, das eine Magd abholen will, nicht fertig geworden; dabei ist es ein vorzügliches Bild, ebenso wie seine zwei Nähterinnen (90), welche fast ganz gleich gekleidet nebeneinander sitzen; an der Wand hängt ein mann» liches Porträt und eine Landkarte. Die einfache Lebenswahrheit und die Behandlung des von links kommenden Lichtes machen das Bild zu einem Kleinod.

Die Volkstrachten des damaligen Hollands, abgesehen von den oft prächtig geputzten jungen Leuten der reichen Klassen, — Dirk Hals malte öfter ganze Gesellschaften und Feste in solchen flotten Trachten, — sind immerhin malerischer als die jetzige allgemeine Tracht, und auch das bereits durchgehende Schwarz und Grau der ehrbaren und gesetzten Leute hat wenigstens noch den übergeschlagenen weißen Kragen, die Manschetten und das lange Haar für sich, welches freilich nach der Mitte des XVII. Jahrhunderts plötzlich der langen Perücke Platz macht, und zwar so, daß man noch oft im Zweifel ist. Das Uebrige tat eine wirk* lieh allgemeine Kunsthöhe, mag es mehr Schule, allgemeiner Schul* besitz oder mehr unablässiges Studium der Natur und ihrer Erscheinung in Luft und Licht gewesen sein.

Lingelbach, von Frankfurt, gebildet in Holland, Frankreich und Italien, später meist oder beständig in Holland, etwa in der Nähe des Adr. van de Velde und Wouverman, gibt in seiner großen Ansicht des Dam zu Amsterdam (91) das wahre Ensemble der damaligen Erscheinung der Leute von Amsterdam, von Vornehmen und Behörden bis auf die Lastträger, bis auf Türken und Levantiner; zugleich aber gewährt er als Maler das Bild einer mittlem, tüchtig geschulten, in Anordnung und Bewegung degagierten Kraft, welche sich scheinbar nur braucht gehen zu lassen, um in jener Zeit Erfreuliches zu schaffen, und in einzelnen Momenten an die Trefflichsten reicht. Man bewegt sich heute noch nahezu zwischen denselben Baulichkeiten; aber was würde ein jetziger Maler aus dem heutigen Volksgewühl des Dam machen können? Selbst wenn die jonische Börse nicht dastände? Und wo wäre jetzt auch nur ein Lingelbach? Seine halbitalienischen Genrebilder mit ihrem Hintergrund phantastischer Seehäfen, Ruinen und ähnlichem mögen auf sich beruhen bleiben als ein Genre bätard, obwohl Treffliches darunter ist, wie der römische Zahnarzt zu Pferde (92), das Jagdrendezvous bei einer Fontaine (93). Aber das holländische Volksleben und auch das Ge«  wühl, das er nicht fürchtete, verdankt ihm noch weitere vortreffliche Vers ewigungen: Carls II. Abfahrt vonScheveningen, die Düne bis in die weiteste Ferne voll Volkes, die Ceremonie selbst im fernen Mittelgrund, vorn locker extemporierte, aber höchst lebendige Volksgruppen, im Museum

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von Haag. Ebenda: Ein Reiteraufmarsch am Strande zwischen Volksmassen, die hundert Köpfe noch sehr ausgeführt; offenbar geht alles zu Ehren eines Herrn vor, der aus seiner Kutsche grüßt; mehrere Reiter schießen zum Vivat ihre Pistolen in die Luft ab. Da man von diesen glücklichen Malern noch nicht das „Pathetische" solcher Momente ver* langte, konnten sie mit ihren Aufgaben fertig werden.

Die kriegerische und gewaltsame Seite des Lebens kommt in der holländischen Kunst nur sehr eigentümlich bedingt vor. Pathetische Darstellung der eigenen Großtaten liebte man, wie gesagt, nicht; für prächtig geputzte halbmilitärische Aufzüge sorgten die Doelen*Stücke. Hier, wo die Bewegung zum Mitlebenmachen gehört, wissen die Hol* länder auch das wildeste Feuer unter Umständen walten zu lassen. So* dann beruhte der eigentliche Stolz Hollands auf der Flotte, während die meist geworbene Landarmee weniger beliebt war.

Und nun scheint es, daß, was aus der Welt des Krieges und der Gewalttat überhaupt vorkommt, ausländische, nichtholländische Sze«  nerie um sich habe, aus dem nahen Belgien, einem beständigen Schlacht«  feld, oder aus dem Deutschland des 30jährigen Krieges, — Terburg malte ja dessen Abschluß, den Friedensschwur von Münster — , ja aus Italien. Oft bleibt es zweifelhaft, ob man es mit militärischen Streifkorps oder mit Räubern zu tun hat.

Die einzelnen besonders häufig dargestellten Momente sind: die Wachtstube mit Spiel, Trunk, Liebschaft; die Brandschatzung, auch jammernder, vornehmer Leute, sei es im Freien oder in einem ge» schloßnen Lokal, etwa einer öffentlichen Halle einer eroberten Stadt oder in einer ruinierten Kirche — die Holländer, als sie sich dergleichen von le Ducq und andern malen ließen, ahnten wohl nicht, wie nahe ihnen ein 1672 bevorstehe; — das Lagerleben in seinen verschiedenen Augen» blicken, die Reiter und Rosse, das Treffen selbst, der Ueberfall des Dorfes und die Plünderung; auch Bauern, welche die Plünderer über* wältigen (94).

Die Wachtstube gibt die bunte, oft prächtige Tracht, das unge* bundene, oft sogar schrankenlose Leben wieder, in einem oft absieht«  lieh unheimlichen Lokal von prächtiger Lichtwirkung; es wird auch wohl Raub verteilt und um Raub gespielt; daneben beteiligen sich etwa weib* liehe Raubvögel. Dabei stellte sich die Aufgabe, sehr viel Geräte, Waffen und anderes in einer Harmonie mit den Menschen zusammenzufassen.

Bei den Brandschatzungsbilderu bleibt es zweifelhaft, ob der Maler den Beschauer rühren will oder ob er nicht höchst unbefangen und ob* jektiv sein Stück Weltbild malt, weil er muß. Gerade diese Herzlosig«  keit, oder wie man es nennen mag, gönnt dem Maler die volle künst«  lerische Freiheit und Wahrheit. Man hätte ja nicht nötig gehabt, solche Szenen zu malen; es muß eine innere Nötigung in den Künstlern gelegen haben.

Auch beim Ueberfall von Dörfern gilt dasselbe; es ist eine be* stimmte, wenn auch furchtbare Lebensäußerung an sich; man erfährt ja auch nie, welches Dorf gemeint ist und in welchem Kriege es gelitten hat. Solche Schilderungen enthalten die Tragödie des Genrebildes.

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Ja im Amsterdamer Museum hän{^t ein Bild von Wouverman, ein mörderischer Kampf nur zwischen Bauern, {{anz entsetzlich, in einem Dorf an einem steilen Ablang; rechts im Mittelgrund machen sich drei Reisende zu Pferde fort.

Dann wird das Lagerleben dargestellt, bei Wouverman meist als Szenerie für Reiter und Rol5 benutzt, zum Beispiel in der wundervollen Szene (95) vor einem Marketenderzelt: der Moment ist erfaßt, da zum Auf» sitzen geblasen wird und noch dies und jenes vorgeht. Als gewaltig fruchtbarer Maler ist er freilich sehr ungleich; dazu gelten Arbeiten von seinem Bruder Peter Wouverman, von Schülern und Nachahmern als die seinigen. Aber es gibt kleine, sogar flüchtig gemalte Reitcrbildcr von ihm, und wäre es nur eine Ordonnanz, welche an Wahrheit von Mann und Roß, an schöner Stimmung zur Luft und Landschaft von höchstem Reize sind (96).

Schließlich sei vom Schlachtbild die Rede. Diese glückseligen hol* ländischen Meister sind, einzelne bestimmte Bestellungen ausgenommen, frei von aller pathetischen Verherrlichung eines einmal wirklich Ge* schehenen, und vollends von militärgeschichtlicher Exactitude, hierin ganz ähnlich ihren italienischen und halbitalienischen Zeitgenossen Bourguignon, Cerquozzi, Salvator Rosa. Sie feiern das Aufeinander» treffen als solches, daher weniger die eigentliche Schlacht als das Schar» mützel, das Getümmel, wobei ihnen der kleine Maßstab genügt. Sie brauchen ja nicht bestimmte Persönlichkeiten und Porträtähnlichkeiten hervorzuheben; und nicht nur vom Porträt sind sie frei, sondern auch von der Uniform und vollends und hauptsächlichstens vom historischen Pathos, welches so vergänglich und ermüdend ist wie der Witz. Man erfährt nie, wer die beiden Parteien sind; völlig parteilos kann sich der Maler der Sache, nämlich der künstlerischen Aufgabe, hingeben. Und diese ist bisweilen das vollkommenste Feuer von Mann und Roß, Schwerthieb und Pistolenschuß. Und in stets neuer Wendung kommt dann immer wieder das herrlichste Thema des Reiterkampfes zur Dar» Stellung: der von Lionardo ererbte Kampf um die Standarte.

Bei größern Schlachten und vollends bei etwas vergrößertem Maß» Stab genügt dann selbst Wouverman viel weniger; seine bewunderte Schlacht im Museum von Haag steht neben manchen kleinern Bildern selbst anderer Maler zurück. Auch wenig genannte Maler sind ihm dann überlegen, so Asselyn in einem herrlichen Reiterüberfall des Museums von Amsterdam.

Das Schönste der ganzen Gattung ist vielleicht der Berghem im Museum von Haag, fast quadratisch: der Reiterkampf in einer Fels» Schlucht mit Wasserfall, wie etwa Dazio Grande, unvergleichlich an furchtbarer Bewegung, Glut der Farbe und phantastischer Lichtverteil» ung; man weiß auch hier nicht, wer die beiden Parteien sind, wer sie anführt und warum sie kämpfen; dafür aber blieb das Bild ein großes Meisterwerk. Im Gegensatz dazu steht die Kümmerlichkeit des Mili» tärischsGenauen bei dem Brüsseler Van der Meulen, der überdies im Vordergrund oft die Kutsche Ludwigs XIV. und bloße Militärzeremonien darstellen muß.

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Wouverman ist dann in seinen friedlichen Bildern, wo das Pferd immer die Hauptrolle spielt, so verschieden als möglich; es gibt Bilder, wo es ihm mit der Situation vollkommener, erschöpfender Ernst ist, abgesehen davon, daß vieles nur auf den Verkauf gemalt scheint; doch sind alle sorgfältigem Bilder des Wouverman fein durchgestimmt. Da«  neben gibt es aber andere, wo er eine gemischte, halb italienische, halb nordische Szenerie zusammenstellt und Bäume, Fernen, Baulichkeiten, Himmel, Erde und Wasser und im Grunde auch die Menschen zur Be» wegung und Farbe seiner Pferde stimmt. Diese Gegenden, Vorgänge, Menschen gehören eigentlich nicht zusammen; der Meister aber bringt eine schöne, täuschende Dekoration damit hervor und macht uns den Moment glaubhaft.

Er malt das Warten vor dem Ausritt zur Jagd — es ist vornehme Gesellschaft — als Morgenbild, den Jagdhalt als Abendbild, obgleich (97) auch ein sehr vorzüglicher Jagdhalt im Schatten von Bäumen des Morgens vorkommt, wobei der Schimmel einen wahren Liebesblick von der Sonne bekommt. Merkwürdig ist, daß er nie das Jagen selbst, die Erlegung des Tieres darstellt. Andere Male werden Rosse gebändigt und vor* geritten, in die Schwemme geführt, und wenn sie ausschlagen und etwa eine Orangenhökerin umwerfen, so rührt dies den Maler offenbar nur wenig (98). Uebrigens ist bei Isaak van Ostade das Pferd, wenigstens der Gaul, ebenso trefflich lebendig als der vornehme Schimmel und Rappe bei Wouverman.

Nun würde das sogenannte Konversationsstück folgen, das heißt die Darstellung von Szenen und Existenzen der vornehmen Welt, welches einst bei den Franck zuerst eine eigentliche Gattung geworden und von Rubens mit hoher Freiheit und Meisterschaft gepflegt worden war.

Allein die drei großen Meister desselben, Gerhard Terburg (ge» boren 1617), Gerhard Dow (geboren um 1613) und Gabriel Metsu (ge* boren 1630), von welchen wir vielleicht Terburg den höchsten Kranz reichen würden, mit ihren nächsten Schülern und Nachfolgern Slinge* landt und Franz Mieris (geboren 1635) und dem Schüler des letztern, Caspar Netscher, bilden auch für ihre übrigen Sujets so sehr eine Gruppe für sich, daß ihre Besprechung überhaupt bis hieher verschoben werden mußte. Ihre Darstellungsmittel sind nämlich eigener Art, abgesehen vom sichersten Besitz aller übrigen Mittel der ganzen sonstigen Kunst.

In Licht und Luft konnten sie einen Rembrandt und Ostade eben nur erreichen, nicht überbieten. Wohl aber hoben sie die täuschende Darstellung des Stofflichen vermöge einer miniaturmäßigen Behandlung auf eine höchste Höhe. Zwar Rembrandt weiß mit seiner breiten Be» handlung den Eindruck von Sammet, Seide, Damast, Linnen, Pelz, Gold* schmuck und anderm (99) wunderbar zu geben, ohne daß man in der Nähe etwas anderes als derbe Farbenflecke und Pinselstriche erkennt. Diese Maler aber gingen den entgegengesetzten Weg; sie nahmen von Rem* brandt direkt oder indirekt die Behandlung von Licht und Luft, fügten aber die Wahrheit im kleinen hinzu und fanden ein Publikum von Be* stellern, welches solche Ausführung begehrte und hoch bezahlte. Das von ihnen dargestellte vornehme Leben gab den Anlaß zur Darstellung

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der Stoffe: der weiße Damast, die Seide, der Pelzbesatz, der Sammet, das feine Linnen. Aber sie dehnten diese Behandlung dann auf alles aus, behandelten auch die Gestalten aus dem Volk so und malten an dem alten Mütterchen oder am P>cmit jedes graue Härchen und jede Runzel besonders, ohne doch dabei die wunderbare Haltung des ganzen einzu< büßen, welches sonst die Gefahr der Miniaturmaler ist. Diese Bilder sind — freilich nur die unberührten! — herrlich auf fünf Schritte Ent«  fernung und halten doch dabei die Loupe aus. Man fragt: von welches Tieres Haaren die Pinsel mögen gemacht gewesen sein? Aber man sollte nach dem untrüglichen Künstleraugc und nach der ewig sichern Hand fragen. Auch die emsigsten alten Flandrer sind hier weit überholt.

Hier vor allem aber wird es handgreiflich, wie wenig der Witz die Seele oder Lebensbedingung des Genrebildes ist. Hundertmal genügt diesen Meistern der allereinfachste und alltäglichste Inhalt, um ein unsterb* liches Werk darauf zu gründen. Dabei ist es höchst bedeutungsvoll, daß Maler von solchem Aufwand der Darstellung so schlicht in der Empfind«  ung bleiben konnten. Ihr Gegenstand ist irgend eine einzelne Figur im gewöhnlichsten Beginnen; und wenn es unter den Bildern von zwei oder mehrern Figuren solche gibt, welche einen grellen Witz oder eine An» züglichkeit darstellen, wie etwa bei Terburg (100) oder bei F. Mieris (101), so hat man in andere Bilder dergleichen erst hineinlegen müssen (102). Als stellten die feinern Konversationsstücke weniger das Monde als das Demi*monde vor, und als hätten die reichen Holländer nicht höchst wahrscheinlich sehr viel schönere Courtisanen gehabt als was hier vorkommt!

Den Herren Kommentatoren ist eben, wenn das große Kunstwerk ihre Phantasie in Bewegung setzt, das Herausfinden von sachlichen Be* Zügen, an die der Maler nicht gedacht hat, nicht abzugewöhnen, und sie ruhen nicht, bis sie in einen Dow oder Mieris einen Jan Steen hinein» interpretiert haben. Statt ein für allemal einzusehen, daß dem Genre» bild höchsten Ranges mit seiner Bestimmung, „dem magischen Mitleben» machen", der leiseste Inhalt nicht nur genügt, sondern geradezu der an» gemessenste ist. Es ist eine ewige Ehre für das alte Holland, daß die reichen Besteller von diesem Gefühl offenbar durchdrungen waren. Außerdem gehört freilich dazu die absolute Unbefangenheit der Ge» stalten und ihres Tuns; sie wissen nicht, daß der Beschauer sie sieht und daß der Maler sie sah. Erst Mieris wirkt etwas absichtlicher. Heute kann der Genremaler sein Glück nur noch mit dem Witz oder mit einer gewöhnlichen wohlfeilen Gemütlichkeit machen, welche die Holländer ebenso verschmäht haben wie den Witz.

Dem Inhalt nach malt Dow vorherrschend bürgerlich, Metsu und Mieris vorherrschend vornehm, Terburg hält etwa die Mitte.

Anzufangen ist mit dem Einfachsten und Alltäglichsten; die Kost» barkeit der Ausführung machte schon einzelne Figuren und spannen» große Bildchen zu Juwelen; es sind auch Themata, welche gleichzeitig von andern in derberm und flüchtigerm Stil behandelt wurden. Man sieht wieder, wie unabhängig die Kunst von ihren Gegenständen sein kann und wie sehr vielmehr es auf das Wie, als auf das Was ankommt.

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Terburg (103) malt eine schreibende junge Dame, ohne alle Neben* gedanken, nur ans Schreiben völlig hingegeben, ohne daß es ein Liebesbrief oder sonst etwas Pikantes zu sein braucht (104). Noch angelegentlicher ist ins Schreiben und Nachsinnen versenkt die Dame des Mieris (105) im gelbseidnen Ueberwurf; neben ihr ruhn eine Laute und ein meisterhaftes, schlummerndes Epagneul; ein Diener wartet; weiterhin öffnet sich ein Durchblick in eine Halle. Die Dame ist weder schön noch pikant, und doch erregt das Bild das höchste Interesse. Oder Terburg (106) malt eine Dame in Frostkapuze, welche Orangen schält; ein Kind schaut zu, ob es etwa davon bekommen wird; aber anstatt bei wohlfeilem Anlaß mütter«  liehe Innigkeit an den Tag zu legen, bleibt die Frau völlig in ihr Orangen* schälen versunken. Metsu (107) legt in eine apfelschälende Köchin, neben welcher ein toter Hase liegt, einfach den Ernst ihres Geschäftes. Und die junge Frau (108), welche mit einem Weinglas in der Hand an einem Tische sitzt, zeigt nur ein gemütliches Lächeln. Terburg (109) gibt einem jungen Soldaten, der im Hof eines Wirtshauses sitzend seine Pfeife an* zündet, keinen weitern Ausdruck, als den völliger Seelenruhe und Gut* mütigkeit; und diese einzelne Figur ist in Luft und Licht und Charakter ein Kapitalbild. Dow (110) wendet an die einzelne Figur eines Goldwägers die feinsten Mittel seiner mikroskopischen Kunst. Während die ganze übrige niederländische Schule, auch Teniers, die oft leidlich rohen Trinker einzeln und in Gesellschaft massenweise darstellte, malt Metsu (111) mit dem höchsten Luxus der Darstellung einen alten Trinker, einen ehrenwerten, bäuerlichen Mann, gescheidt und nicht abstoßend, in der Pelzmütze, die Rechte mit der Pfeife über ein Faß, in der Linken die zinnerne Bierkanne; der Beschauer gönnt es ihm. Es ist kein Trinker, sondern ein Mann, welcher etwas trinkt. Auch hier trifft man Metsus blaugraue Töne. Metsus Fischhändlerin (112) bietet keinen weitern Inhalt dar, als den Kon«  trast zwischen ihrer Seelenruhe und der im Geldzählen konfus gewor* denen Magd; hinten steht noch ein Junge.

Auch die Kapuziner und Eremiten, ein fremdromantischer, ohne alle Ekstase vorgebrachter Zug in der holländischen Malerei, sind als einfachste Situationen hier mit zu erwähnen: zum Kruzifix betend der Kapuziner (113) und der in der mikroskopischen Ausführung erstaunliche Eremit (114) des Dow, der meditierende Mönch in seiner Zelle mit Biblio* thek des Corn. Bega (115).

Auffallend häufig sind die Fensterbilder bei solchen einfachen Sujets; man sieht von draußen in ein Fenster hinein. Der nächste Vor* teil war, daß man bei ohnehin ruhigen Figuren, wo Schritt und Gang nicht in Betracht kamen (116), die unnützen untern Extremitäten ersparte und zwar auf eine angenehmere Weise, als in einem sogenannten Knie* stück, wie die gleichzeitigen Italiener in ihren lebensgroßen Genrebildern es vorzogen. Ferner kam dann der Kopf wirksam auf einen dunkeln Grund zu stehen, obwohl es auch Fensterbilder gibt, wo das Interieur ein Seiten» licht hat, so daß eine neue Rechnung beginnt. Endlich behielt man eine eigentümliche koloristische Freiheit in Händen, das Bild zu stimmen durch die Weinranken oder Epheuranken neben dem Fenster, durch Blumenstöcke, durch den hinauswallenden etwa blauen Vorhang, durch

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einen über die Fensterbank herabhängenden, etwa rot gemusterten Tep# pich, und endlich durch eine sehr auffallende, in der holländischen Architektur nicht begründete Zutat, nämlich Reliefs, meist Putten, im Stil des Duquesnoy*Fiammingo. Die innere Räumlichkeit wirkt bald wenig, bald viel mit, je nachdem durch das Fenster eine oder mehrere Personen, ein dunkler Grund oder ein seitwärts beleuchteter Raum, ja ein Durchblick in die Ferne sichtbar wird. Gerard Dow hat sich zwei» mal (117) aus einem solchen Fenster schauend, sogar rauchend, porträtiert und meisterlich im einen Fall den blauen Vorhang zur Stimmung des Bildes benützt (118); seine Rechte ruht auf einem völlig mikroskopisch täuschend gegebenen Buch mit Abbildungen; der Meister ist noch jung, doch voll Sorge und Eifer (119). Und nun sind eine Menge der herrlichsten Bilder solche Fensterbilder, vom verschiedensten Inhalt, bis zum fast tragischen: von Dow (120): der Urinbeschauer, „die ärztliche Konsultation für einen abwesenden Kranken", wobei die Alte eine Träne abwischt; in dem aufge«  schlagenen anatomischen Werk erkennt man jeden Buchstaben; die Agatvase auf der Steinbank ist von höchster Illusion; am Arzt ist jedes Haar besonders gemalt; andere Male stellt Dow dar, wie eine Alte ihre Levkoien begießt (121), eine Köchin einen Hahn rupft, eine andere den Be» schauer ansieht; er malt eine Spezereihändlerin, deren ganzer Laden durch ein Nebenlicht beleuchtet ist; einen Trompeter, in der Ferne eine Trinkgesellschaft, vorzüglich schön (122); eine Spitzenklöpplerin, das Thema so vieler Maler, wird von Dow an das Fenster gesetzt (123), wo sie in der Tat am besten zu ihrer Arbeit sieht. Ein andermal hat Dow (124) eine seiner schönsten Wirkungen des Lampenscheins mit der Anordnung im Fenster verbunden: Das Mädchen mit der Lampe, mit dem Ausdruck froh» lieber Erwartung aus dem Fenster schauend. Metsu (125) setzt ans Fenster einen Jäger in rotem Kleide, einen Römer in der Hand, halbtraurig lächelnd (126). Mieris malt mehrmals (127) in seine Fenster Kinder, welche Seifen* blasen machen; schön sind die Hände und der Eifer des Kleinen und die stille Freude der im Schatten des Weinlaubfensters zusehenden Mutter. In einem andern, freilich keinem Fensterbilde, des Mieris (128) sind die Seifen» blasen als Sinnbild der Vergänglichkeit gemeint; das Kind ist nur der Begleiter einer jungen Dame mit Rosen in der Schürze, welche auf ein offenes Notenbuch deutet, das mit einem Totenkopf beschwert ist. Das Bild ist von höchster mikroskopischer Vollendung.

Andere einfache Existenzen sind die Bilder aus dem Familienleben, hier nie oder fast nie bestimmte Familien darstellend, sondern echte Genrebilder, freilich ohne alles Pikante und nur dadurch mächtig, daß der Beschauer traumhaft in dies Dasein mit hineingezogen wird. Sie ent» ziehen sich dem Kommentar in Worten, es wäre denn, daß man jedes» mal das gelöste malerische Problem auseinandersetzte. Schon im Louvre allein finden sich eine Anzahl herrlicher Bilder der Art von Terburg: eine sitzende Mutter hält dem Jungen ein Bilderbuch oder eine Bilderbibel hin; von Dow: das alte Ehepaar nach dem Abendessen; die Frau liest dem Manne aus der Bibel vor; von Mieris: die Säugende, ein sitzender und ein stehender Mann, alle sehen Hund und Katze zu, hinten steht eine Magd; von Jan Verkolje, dem Metsu verwandt: eine Mutter mit Kind,

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Magd und Hündchen; von Slingelandt: eine Dame mit zwei Kindern, deren eins mit einem Vogelnest spielt; der Gemahl gibt einem Neger einen Brief, alles höchst zierlich ausgeführt, aber neben den drei großen Meistern doch leblos erscheinend. Dies alles aber wird aufgewogen durch den weltberühmten, völlig rein erhaltenen G. Dow des Museums von Haag (129): die Räumlichkeit ist ein dunkler Hochraum mit großem Fenster links, mit einem Durchblick hinten in ein Zimmer oder in eine Küche mit Arbeitenden; die anmutige junge Mutter sitzt und schneidert; ein Töchterchen lehnt über die Wiege; das sehr schöne Wiegenkind schaut nach der Mutter hin, während diese ruhig gegen den Beschauer aus dem Bilde schaut; das Bild ist reich an Accessorien: rechts Laterne, Fisch, Huhn, Hase, Rüben, Korb; an der reliefierten Säule, welche die Decke trägt, ist aufgehängt ein Herrenmantel, ein Schwert und ein Käfig; oben im Bild hängt die Messinglampe; links, beim Fenster, im vollen Licht, ein Tisch mit Trödel und ein Stuhl. Mit diesen Dingen zerstreut und sammelt G. Dow sein Licht und seine Massen nach Belieben.

Zu diesen Familienbildern gehören zunächst die Krankenbilder; von den derbern Genremalern, besonders Jan Steen, war fast regelmäßig die Liebeskranke gemalt worden, deren Leiden von dem schalkhaften Arzt erraten und durch Nebensachen wie Botschaften, Briefe, Miene der Magd und anderes angedeutet wird.

Anders bei Dow, dessen „femme hydropique"(130) eines der schönsten tragischen Hauptbilder der ganzen holländischen Schule ist; bei der wunderbaren Wahrheit der Ohnmacht der Kranken, des Schmerzes der Ihrigen, der Feierlichkeit des Charlatans oder Arztes, bei der wunder» vollen Gediegenheit alles einzelnen bemerkt man erst nach und nach, daß das Bild schon als bloße Lichtdarstellung vom allerschönsten ist.

Auch Mieris faßt in einem entsprechenden Krankenbild die Sache ernst (131); es ist der Moment nach dem Aderlaß; die kranke Frau hat die Bibel auf den Knien, der Arzt zählt ihre Pulsschläge. Hauptjuwel!

Für das eigentliche Konversationsstück ist in der Regel der Prätext des Beisammenseins der einfachste: Ein Besuch, Komplimente, ober* flächliche Galanterie, Kredenzen von Wein und Konfekt. Als Räumlich* keit dient das Zimmer mit gewirkten oder Ledertapeten, mit dem Kamin und dem Boden aus Marmor. Es wird nicht Bier, sondern Wein ge* trunken; auch ist es jedenfalls ein anderes, viel decenteres Trinken als in den Bauernkneipen, selbst wenn es nur Herren sind, wie in dem Terburg der Münchener Pinakothek, welcher etwa vier seiner guten Bekannten beim Trinken darstellt (132). In der Regel wird nur aus Spitzgläsern ge» nippt, was auch die Damen dürfen. Metsu (133) läßt einen Herrn ein Glas einer Spitzenklöpplerin kredenzen, die von ihrer Arbeit aufblickt; auch auf der Brüsseler Ausstellung von 1873 war ein Metsu ähnlichen Inhalts: ein Herr, stehend, will einer Dame zu trinken einschenken, während eine Magd mit einer Schüssel eintritt, oder im Louvre (134) von demselben Metsu: ein Militär macht seinen Besuch bei einer Dame, welche bereits da«  sitzt und trinkt (135). Der Kaffee kommt erst seit den 1660er Jahren und nur langsam auf, der Tee noch später, und beide fehlen in den Bildern noch ganz. Wer die Leute nicht kann essen und trinken sehen, der übergehe

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diese Schule überhaupt, und ärgere sich wenigstens nicht, wenn solche spannengrof5e Bildchen 40,000 fl, gelten. Von Metsu weiter stammt ein Bild im Museum von Amsterdam: ein Ehepaar beim rrühstück, der Tisch mit Teppich und Tischtuch, ein grüner Vorhang, das ist alles. Aber das Bild ist bei völliger Ruhe voll innerlicher Gemütlichkeit, und wenn es nicht stark verletzt wäre, so wäre es eine der Perlen der damaligen Kunst. Kinmal, da es sich erst um künftiges Essen handelt, ist Metsu auch schalkhaft (136): der von der Jagd heimgekehrte, bejahrte Ehemann, im Lehnstuhl ruhend, zeigt der noch leidlich jungen Frau ein erlegtes Reb# huhn; vorn liegt noch eine Ente; sein Hund schmiegt sich an sein Knie; die Frau aber hat vor allem einen geschnitzten Kasten zum symme» trischen Hintergrund, vor dessen Mitte sie, mit ihrer Säumarbeit auf den Knien, thront; neben ihr steht ein Tisch mit rotem Teppich, auf welchem ein Buch und ihr Hündchen liegen; sie und dieses Hündchen sehen ziem» lieh kritisch kühl auf die Jagdbeute hin; links ist ein Oberfenster; auf der Mitte des Kastens steht ein marmorner Putte; rechts führt eine Wendel» treppe im Dunkel aufwärts. Es ist die Vollkommenheit alles einzelnen, und dabei in den Farben und Tönen die höchste Klarheit und Leuchtkraft.

Als andere Momente sind zu erwähnen: eine schreibende Frau von Metsu (137); der auf ihren Stuhl lehnende Mann diktiert ihr, und zwar einen Brief. Dann die väterliche Ermahnung, das berühmte Bild von Terburg (138). Es ist nicht bloß für den weifJen Atlas der Tochter berühmt. Rätsel» hafte Gegenstände liegen auf dem Tisch.

Auch hier stellt etwa ein Maler sich selbst mit seiner Frau dar, wie zum Beispiel das stattliche Ehepaar Mieris (139) mit seinen zwei Hund» chen; dasjenige auf der Frau Schoß zupft der Künstler am Ohr, und beide necken damit das andere, das am Knie der Frau aufspringt, wobei sie mit der Linken ihr Hündchen anfaßt und mit der Rechten den Mann abwehrt; ein Teppichtisch mit Laute steht bei ihnen; es ist ein Kapitalbild.

Sehr häufig bildet die Musik den Anlaß des geselligen Beisammen* seins — nur von Dow ist mir kein Musikbild bekannt — bereits ist das Klavier Mode, etwa gleichzeitig mit dem Tabakrauchen.

Die Musik wird fast nie als Akt der Begeisterung gefaßt, ausge» nommen etwa in dem schönen Bilde des Jan le Ducq (140), der nicht in diese Reihe gehört: Violinist und Zitherspieler sitzen, singen und sind beide sehr ernstlich an ihre Töne hingegeben; daneben steht ein Tisch mit einem Gipsakt, offenbar eine Andeutung, daß es bildende Künstler sind. Und Metsu (141) schildert einmal sogar eine Komponistin; sie hat Noten» papier vor sich, wovon nur die oberste Zeile beschrieben ist, und hält die Feder etwas in der Höhe, mit dem Ausdruck geistiger Anstrengung; links hinter dem Tisch steht eine auf der Laute präludierende Dame; rechts lehnt auf den Stuhl der Schreibenden ein lächelnder schwarzer Herr, vielleicht der Lehrer, mit dem Hut in der Hand; rechts unten ein herrliches Epagneul, überhaupt ein Höhepunkt von Metsus Kunst und Ausführung, auch in Kamin, Teppichwand, Portiere, Messingleuchter.

Das andere Extrem bietet etwa ein Schüler des Mieris, Tilius dar (142), in der Gestalt eines Mannes, der auf einem Dudelsack irgend einen greulichen Ton hervorbringt und sich darob krank lachen will.

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Weit in den meisten Fällen ist es aber Musik zum Zeitvertreib und Musikunterricht. Vor allem sind einige Bilder von Terburg wichtig; im Louvre: ein sitzender Jüngling mit der Laute, auf das Notenbuch hinschauend; die singende Dame steht und blickt ihn an; ein Lehnstuhl und ein Hündchen beleben das Stück; eine Magd öffnet die Tür; herr» lieh ist das Bild in der Haltung; ferner: eine sitzende Sängerin im Profil, hinter dem Tisch eine stehende Lautenspielerin en face; rechts bringt ein skrophulöser Page einen Becher; den Grund bildet eine Teppich» wand; auch dies ist noch ein vorzügliches Bild; im Museum von Ant» werpen: hier sitzt die Lautenspielerin; ein guter, junger Mensch, im Mantel, den Hut in der Hand, langweilt sich und bUckt aus dem Bilde, während sie eifrig auf ihr Notenbuch sieht.

Dann sind zu erwähnen die Klavierstunde von Metsu (143): die Dame spielt; der Lehrer, den Hut in der einen Hand, deutet mit der andern auf das Notenbuch; das Bild ist unschätzbar, zumal im Helldunkel; weiter» hin sei erinnert an des Mieris Lautenspielerin bei Licht; in der Ferne, bei einem andern Licht, erblickt man eine Kartenpartie von drei Personen.

Das Trefflichste ist bisweilen namenlos, so in der Galerie Hoop zu Amsterdam eine Klavierspielerin aus dem Bilde blickend; zwei Kinder sehen ihr zu; ferne kommt ein Mann durch eine Tür; das Werk ist etwa 1630 — 40 entstanden.

Höchst gemütlich hat Zorgh (144) ein Ehepaar nach dem Abendessen gemalt; der sitzende Mann spielt auf der Laute; seine Frau, am Tisch aufgelehnt, hört ihm zu; vorne sind ein Hund und eine Katze; an der Wand hängen Gemälde; durch ein offenes Fenster mit rotem Vorhang eröffnet sich die Aussicht auf Stadt und Kanal.

Netscher, dessen anmutige Familie sehr musikliebend gewesen sein muli, ist an Musikbildern besonders reich; der Louvre besitzt von ihm eine Klavierlektion und eine Violoncellektion. Aber sein Hauptbild ist das im Museum von Haag, wo er die Laute spielt, seine Frau zuhört und eine Tochter stehend vom Blatte singt; die Szenerie ist vornehm: Teppichtisch, ein großes Relief und ein Ausblick durch ein Fenster. Der Atlas der Tochter ist etwas zu sehr die Hauptsache; auch ist Netscher im Vortrag bereits etwas verschwommener als Mieris, aber noch immer ein sehr respektabler Meister und in der Wahrheit der einzelnen Charak» tere den Bedeutendsten gleich.

Der schönste Netscher, den ich kenne, stellt, freilich unter dem Namen Van der Werff (145), einen sonst im Bereich des Genrebildes uner» hörten Moment vor (oder soll es ein Ereignis sein?): vor einem Haus» altar kniet eine ernstlich bewegte fürstliche Dame; hinten im Dunkel erscheint ein Bischof mit dem Sakrament und ein Chordiener mit Fackel.

Bezeichnend ist, daß diese Gruppe der Feinmaler fast nie ihre Ge» stalten ins Freie verlegt, ohne Zweifel, weil sie einer beständigen Kon» zentration des Lichtes bedarf. Höchstens kommt ein promenierendes Paar in einem Prunkgarten vor; so findet sich bei Gonzales Coques, der aber als Belgier nicht hieher gehört, ein Bild dieser Art in der Galerie Liechtenstein; und wenn G. Dow für seinen Bürgermeister Pieter van der Werwe samt Gattin und Hund (146) den landschaftlichen Grund von

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Berghem malen läßt, so gibt dieser den hellen Figuren einen dunklen Abendhimmel; sie sind wunderbar lebendig, obwohl sie von Dow nach altern Porträts nur nachgemalt sind, von unglaublicher Ausführung bei vollendeter malerischer Haltung; auch der Hund ist höchst vorzüglich, wie irgend einer, während die Katzen leider auch den größten dieser Maler zu mißraten pflegen.

Im Gegenteil: das Interieur, sei es Zimmer, Prachtzimmer oder einfacher Hausflur mit seinem geschlossenen, immer doppelten, ja auch dreifachen Tageslicht, wovon eines auch wohl unmittelbarer Sonnen» schein ist, gilt für darstellungswürdig an sich. Pieter de Hoogh, geboren um 1643, wenn nicht Schüler, doch gebildet nach Metsu und Mieris, geht in dieser Richtung auf. Obwohl vorzüglich lebendig in seinen Gestalten, — selten bringt er mehr als Mutter und Kind und allenfalls eine Magd — , liegt ihm doch am meisten an dem Dasein dieser Gestalten in einer bestimmt beleuchteten Oertlichkeit, welche magisch zum Mitleben zwingt. Ja man hält die Leute, welche sich in diesen Räumen bewegen, für glücklich. Was Ostade im Interieur des Bauernhauses und der Kneipe, das leistet de Hoogh im anständigen, auch wohl vornehmen hollän«  dischen Bürgerhause. Wesentlich sind: die gewirkten oder Ledertapeten an den Mauern oder leichten Zwischenwänden; die Bilder mit schwarzem Rahmen — auch ein Wink für uns! — ; an den hohen Fenstern je nach Umständen die untern Laden geschlossen und nur die obern oder beide offen — Kontrast von Oberlicht und Seitenlicht — ; der schachbrettartige Marmorboden; der einfache Ziegelboden; das Kamin im Halbdunkel; der messingene Hängeleuchter; der Gegensatz des dunklern oder heilem Vorderraums zu einem besonders und anders beleuchteten heilern oder dunklern Binnenraum; das von oben beleuchtete Höfchen, die Haus* Auren und Korridors; endlich etwa ein Blick hinaus auf Gracht, Boomjes, Kanäle und sonnenbeschienene Häuser jenseits. Ein wundersames Bild befindet sich in der Galerie Hoop zu Amsterdam: Mutter und Kind, und am Kamin im Halbdunkel eine scheuernde Dienstmagd; aber vom Oberfenster her dringen zwei große Schrägvierecke Sonnenschein an die Wand neben dem Kamin, und die Reflexe hievon erleuchteten alles, vom Marmorboden an. Außerdem sieht man noch durch eine kleine, offene Ecktür auf den Kanal und auf ein sonniges Haus.

Gerard Dow hat freilich die Wirkung des geschlossenen Lichtes in einigen Bildern noch überboten durch das künstliche Licht (147). Von dem Mädchen mit der Lampe war schon bei den Fensterbildern die Rede (148); anderswo, in der Galerie Schönborn, ist ein Gelehrter, der bei Licht einen Globus betrachtet; ja Dow hat sich (149) selber dargestellt, bei Lampen* schein mit höchster Hingebung nach einem Gipsamor zeichnend, der vor einem braunen Vorhang steht; daneben hat er ein schräg gelegtes Stunden* glas; denn er rechnet nicht, wie spät es heute Abend werden wird. Endlich die berühmte, obwohl etwas verletzte Abendschule (150), wo die Helle aus* geht von zwei Lichtern, einer Laterne und einem fernen Licht. Es ist immer ein G. Dow von erstem Range, von miniaturmäßiger Ausführ* ung, lebensvoller Charakteristik der Kinder und trefflichem und dabei leisem Humor; aber man dankt ihm nicht im Verhältnis zur Schwierig*

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kcit des Kunststückes. Damals freilich erregte die Sache die höchste Bewunderung, und Dows Schüler Schalcken konnte eine eigene Gattung darauf gründen und den Meister an Vielheit und Verschiedenheit der Lichter noch überbieten; zu Kerze und Laterne fügt er etwa auch noch ein Herdfeuer; oder bei dem Raucher, der die Pfeife anzündet, wird die eine Wange von der Kerze, die andere vom Tageslicht beleuchtet; oder im Bild der Toilette läßt er zum Kerzenlicht das Flirren der Juwelen und den Glanz des Goldes aufleuchten; ja das lebensgroße Brustbild Wilhelms von Oranien als Königs von England (151) hat eine große brennende Wachs» kerzc hart neben sich. Nur schade, daß alle Helle des Schalcken ein widerlich schmutziges Rotbraun ist, als hätten damals sowohl Oel als Kerzen heftig gerußt.

Schalcken führt ohnehin schon weit in die Zeit des Verfalles der holländischen Malerei hinein, welcher durchaus nicht mit einem poli* tischen Verfall zusammenhängt. Holland überstand das große kritische Jahr 1672 höchst glorreich; die Truppen desjenigen Louis XIV., der von holländischen Genrebildern gesagt hatte: qu'on m'öte ces magots«lä! mußten Holland mit Unehre räumen, und Holland blieb bis gegen den Frieden von Utrecht hin eine bestimmende oder doch den Ausschlag gebende Großmacht, und doch ist über dies Jahr hinaus kaum mehr ein Werk von hohem Rang und naiver Kraft entstanden. Gründe hiefür zu suchen ist eitel; wahrscheinlich wird einer Nation nur ein bestimmtes und erschöpfbares Maß von höchster Kunstkraft verliehen. Wenn man dem Willem Mieris, der so fleißig war als sein Vater Franz, einen Vor» wurf darüber machen will, daß er doch nur ein viel geringerer Epigone sei, so könnte er sich mit einem Hinweis auf die Doelen» und Regenten* maierei und auf die Landschaft rechtfertigen, wo ganz dieselbe Schwäche um dieselbe Zeit eintritt. Aber gerne verzichten wir auf eine nähere Betrachtung dieses Verfalls, wie er bei den Van der Werff, Philipp van Dyck, De Moni, Heemskerk dem Jüngern eintritt — alles noch talent» volle und bisweilen sehr genießbare Leute, — bis dann im XVIII. Jahr» kundert Holland zu einer Bilderfabrik wird, wo man die großen Alten ausbeutend nachahmt.





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