Psychopathia Sexualis (German original)  

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"Wäre der Mensch des Fortpflanzungstriebes beraubt und alles Dessen, was geistig daraus entspringt, so würde so ziemlich alle Poesie und vielleicht auch die ganze moralische Gesinnung aus seinem Leben herausgerissen sein."--Maudsley cited in Psychopathia Sexualis (1886) by Richard Freiherr von Krafft-Ebing

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Full text

Vorwort zur ersten Auflage.



Die wenigsten Menschen werden sich vollkomnien des gewaltigen Einflusses bewusst, welchen im individuellen und im gesellschaftlicben Dasein das Sexualleben auf Fühlen, Denken und Handeln gewinnt. Schiller in seinem Gedicht .Die Weltweisen " erkennt diese Thatsache an mit den Worten: «Einstweilen bis den Bau der Welt Philosophie zusammenhält, •erhält sie das Getriebe durch Hunger und durch Liebe."

Auffallenderweise hat auch von Seiten der Philosophen das sexuelle Leben eine nur höchst untergeordnete Würdigung erfahren.

Schopenhauer (Die Welt als Wille und Vorstellung, Lt. Aufl., Bd. 2, p. 586 u. ff.) findet es geradezu sonderbar, dass die Liebe bisher nur Stoff für den Dichter und, dQrftige Untersuchungen bei Plato^ Rousseau, Kant ausgenommen, nicht auch fUr den Philosophen war.

Was Schopenhauer und nach ihm der Philosoph des Unbewussten, E. V. Hartmann, Über sexuelle Verhältnisse philosophiren, ist so fehler- haft und in seinen Consequenzen so abgeschmackt, dass. abgesehen von den mehr als geistreiche Causeries, denn als wissenschafUiche Abhand- lungen zu betrachtenden Darstellungen eines Mich ei et (L'amour) und Mantegazza (Physiologie der Liebe), sowohl die empirische Psychologie als die Metapliysik der sexuellen Seite des menschlichen Daseins ein noch nahezu jungfrauhcher wissenschaftlicher Boden sind.

Vorläufig dürften die Dichter bessere Psychologen sein als die Psychologen und Philosophen von Fach, aber sie sind Gefühls- und nicht Verstandesmenschen und mindestens einseitig in der Betrachtung des Gegenstands. Sehen sie doch über dem Licht und der sonnigen Wärme des Stoffes, tou dem sie Nahrung ziehen, nicht die tiefen Schatten! Mögen auch die Erzeugnisse der Dichtkunst aller Zeiten und Völker dem Monographen einer «Psychologie der Liebe* unerschöpflichen Stoff bieten, so kann diese grosse Aufgabe doch nur gelöst werden unter Mithilfe der Naturwissenschaft und speciel! der Medicin, welche den


IV


Vorwort.


psychologiächen StofE an seiner anatomisch-physiologischen Quelle er- lorscht und ihm allseitig gerecht wird.

Vielleicht gelingt es ihr dabei, einen vermittelnden Standpunkt itlr die philosophische Erkenntniss zu gewinnen, der gleichweit sich entfernt von der trostlosen Weltanschauung der Philosophen, wie Schopen- hauer und Hartmann'), und der heiter naiven der Poeten.

Die Absicht des Verfassers geht nicht dahin, Bausteine zu einer Psychologie des Sexuallebens beizutragen , obwohl zweifelsohne wichtige Erkenntnissquellen für die Psychologie aus der Psychopathologie sich ergeben dürften.

Der Zweck dieser Abhandlung ist die Kenntnissnahme der psycho- pathologischen Erscheinungen des Sexuallebens und der Versuch ihrer ZurUckfUhrung auf gesetzmüssige Bedingungen. Diese Aufgabe ist eine schwierige und trotz vieljäbriger Erfahrungen als Psychiater und Gerichts- arzt bin ich mir klar bewusst* nur Unvollkommenes bieten zu können.

Die Wichtigkeit des Gegenstands für das öffentliche Wohl und speciell für das Forum gebietet gleichwohl , dass er wissenschaftlich untersucht werde. Nur wer als Gerichtsarzt in der Lage war, über Mitmenschen, deren Leben, Freiheit und Ehre auf dem Spiel stand, sein Urtheil abgeben zu mUssen, und sich der Un Vollkommenheit unserer Kenntnisse auf dem pathologischen Gebiet des Sexuallebens in peinlicher Weise klar wurde, vermag die Bedeutung eines Versuch.«, zu leitenden Gesichtspunkten zu gelangen, voll zu würdigen.

Jedenfalls kommen auf dem Gebiet der sexuellen Delikte noch die irrigsten Änschauungeu zum Ausdrucke und werden die fehlerhaftesten ürtheile geschöpft, gleichwie die Strafgesetzbücher und die öffentliche Meinung von ihnen beeinflusst erscheinen.

Wer die Psychopathologie des sexualen Lebens zum Gegenstand einer wissenschaftlichen Abhandlung macht, siebt sich einer Nachtseite menschlichen Lebens und Elends gegenübergestellt, in deren Schatten das glänzende Götterbild des Dichters zur scheusslichen Fratze wird und die Moral und Aesthetik an dem »Ebenbild Gottes** irre werden möchten.

Es ist das traurige Vorrecht der Medicin und speciell der Psychiatrie, dass sie beständig die Kehrseite des Lebens, menschliche Schwäche und Armseligkeit, schauen muss.


  • ) Hartmann'fl phüosophUche Aiwchauung von der Liebe in ^Philosophie

dei Unbew\i8sten\ Berlin 1869, p. 583, ist folgende: Die Liebe verarsacht mehr Schmerz als Lust. Die Lust ist nur iUusoriacb. Die Vernunft würde gebieten . die Liebe zix meiden, wenn nicht der fatale Geschlechtstrieb wäre — ergo wäre es am besten, wenn man sich caairiren Hesse. Dieselbe Anschauung minus der Conseqnonz findet sich schon bei Schopenhauer: »Die Welt als Wille und Vor8te^ung^ 8. Aufl.. Bd. 2, p. 586 u. ff.


Vorwort,


Vielleicht gewinnt sie einen Trost in dem schweren Beruf und entschädigt sie den Ethiker und Aestbetiker, indem sie auf krankhafte Bedingungen rielfach zurückzuführen vermag, was den ethischen und ästhetischen Sinn beleidigt. Damit tibernimnit sie die Ehrenrettung der Menschheit vor dem Forum der Moral und der Einzelnen vor ihren Richtern und Mitmenschen. PHicht und Recht der medicinischen Wissen- schaft zu diesen Studien erivächst ihr aus dem hohen Ziel aller mensch- lichen Forschung nach Wahrheit.

Der Verfasser macht den Ausspruch Tardieu's (Des attentats aujc moeurs): ^Aucune mis&re physique ou morale, aucune plaie, quelque corrompue qu'elle soit, ne doit eflFrajer celui qui s'est voue ä la acience de Ihomme et le minist^re sacre' du medecin, en 1'obligeant ä tout vuir, lui permet aussi de tout dire" zu dem seinigen.

Die folgenden Blätter wenden sich an die Adresse von Männern ernster Forschung auf dem Gebiet der Naturwissenschaft und der Juris- prudenz. Damit jene nicht Unberufenen als Lektüre dienen, sah sich der Verfasser veranlasst, einen nur dem Gelehrten verständlichen Titel zu wählen, sowie, wo immer möglich, in terminis teehnicis sich zu be- wegen. Ausserdem schien es geboten, einzelne besonders anstössige Stellen statt in deutscher, in lateinischer Sprache zu geben.

Möge der Versuch, über ein bedeutsames Lebensgebiet dem Arzt und Juristen Aufschlüsse zu bieten, wohlwollende Aufnahme finden und eine wirkliche Lücke in der Literatur ausfüllen, die, ausser einzelnen Aufsätzen und Casuistik, nur die Theilgebiete behandelnden Schriften von Moreau und Tarnowsky aufweist.


Vorwort zur zehnten Auflage.


Die vorliegende zehnte Auflage ist eine sorgfältig revidirte, ver- besserte und bedeutend vermehrte. Die ausnahmslos günstige Kritik, welche das Buch bisher in juridischen Kreisen gefunden hat, ist dem Verfasser Gewähr dafür, dass es nicht ohne Einfluss auf Rechtsprechung und Gesetzgebung bleiben und zur Beseitigung von vielhundertjährigen Härten und IrrthÜmern beitragen wird.

Der unerwartet grosse buchhändlerische Erfolg ist wohl der beste Beweis dafür, dass es unzählige Unglückliche gibt, die in dem Buche Aufklärung und Trost hinsichtlich räthselhafter Erscheinungen ihrer Vita sexualis suchen und finden. Zahllose Zuschriften solcher Stiefkinder der Natur, aus allen Ländern an den Verfasser gerichtet, sind Belege dafür, dass diese Annahme begründet ist. Die Lektüre dieser Briefe, deren Schreiber in der Mehrzahl geistig und social hochstehende und oft sehr feinfühlige Menschen sind, erweckt das tiefste Mitleid. Sind es doch seelische Leiden, die da geofPenbart werden, gegen die alles Andere, was das Schicksal verhängen kann, in Nichts verschwindet!

Möge das Buch solchen Unglücklichen auch ferner Trost und sitt- liche Rehabilitation bieten!

Um seine Lektüre etwaigen Unberufenen zu erschweren und zu verleiden, wurde noch mehr, als in vorausgehenden Auflagen, von terminis technicis und lateinischer Sprache Gebrauch gemacht. Neue d. h. in der 9. Auflage nicht enthaltene Beobachtungen sind Nr. 58. 59. 67. 75. 76. 79. 80. 85. 87. 88. 101. 102. 116-120. 132. 139. 176. 188. 190. 192. 196. 203. der gegenwärtigen.

Hoffentlich ist auch dieser Auflage die freundliche Aufnahme be- schieden, deren sich die vorausgehenden zu erfreuen hatten. Möge das Buch im Dienst der Wissenschaft, des Rechts und der Humanität sich nützlich erweisen!

Wien, Jänner 1898-

Der Verfasser.


I n li a 1 1.


I. Franneiite einer P«ychologie des Sexualleben« 

Mächtigkeit seiueUer Triel>e 1. Sexualer Trieb aU Grundlage ethi*icher Qefilhle I. Liebe aU Leidenscbafl 2. Culturgeschicbtlichc Kniwicklung des Sesoallebe^ 2. Schomhafligkoit 2. Chri^t^ntbum 3. Monogamie 4. Stellung des Weibes im lalain 5. Sinnlichkeit und Sittlichkeit 6. Cul- tnrelle Vewittlifbung des Sexuallebens 6. Episoden sittlii^ben Nieder- gang» im Völkerleben 7. Entwicklung sexueller GeRlhle beim Indivi- dumn. Pubertät 7. Sinnlichkeit und religiöse Scbwflrmerei 8. Be- tiehungen swiachen religiösem und soxuoUom Gebiet 9. Sinnlichkeit und Kunst 10. Idealieirender Zog der ersten Liebe 10. Wahre Liebe 10. SentiiuentaliUlt II. PlatoniHche Liebe 11. Liebe und Freundschalt 11. VenBchiedf-nheit der Liebe von Mann und Weib 12. Cölibat 13. Ehe- bruch 13- Ehe 14. Putzsucht 14. Thatüachen des phyjtiologi sehen Feti- lehismus 16. Religiöser und erotischer Fetiscbiimus 17. Haar, Hand, Fnsi des Weibe« aJs Fetisch 18. Auge, Geruch, Stimme, seelische Eigen- fichnften als Fetisch 19.

II. Physiologlache Thatsaohen 32

Geschlechtsreife 22. Zeitliche Begrenzung des Sexuallebens 22. Oe* scblechtssinn 23. Lokalisation ? 23. Physiologische Entwicklang des Sexuallebens 23. Erection. Erectionsoentrum 24. Oeschlechtssphfijne und Geruchssinn 25. Geiast-lung ein das Sexualleben erregender Eingriff 27. Flagellantensekte 27- Paullini's Flagellum salutis 2^. Erogene Zonen 29. Beherrschung des Sexualtriebs 30. Cohabitation 31. Ejaeulation S1-!

III. Allgemeine Neuro- itnd Psychopathologie des Sexaallebens

HüuÖgkeit und Wichtigkeit pathologischer Erscheinungen 32. Schema der sexualen Neurosen 33. Relazustände des Erectionscentrums 38. L&hmuiig desselben 33. Hemmungsvorgange im Erectionecentnim 84, reizbare Schwäche desselben 34. Neurosen des EjaculatioDscentrums 34. Cerebral bedingte Neuruseu 35. Paradoxie d. h. Sexuiiltrieb ausser- halb der Zf5it unatomiach-phjsiotogischer Vorgänge 35. Im Kintlesalter auftretender GeHchlecht«tneb 35. Im Oreisenalter weder erwachender Trieb 37. Sexuelle Verirruugeu bei Greisen, erklärt durch Impotenz, und Demenz 38. Anaesthcsia «exualis d. h. fehlender Geschlechtstrieb 39, als angeborene Anomalie 39, als erworbene 44. Hyperästhesie d. h. krankhaft gesteigerter Trieb 45. Bedingungen und Erscheinungen dieser Anomalie 46. Parästhesie der Sexuatempfindung oder Perversion des Geschlochtstriebfl 63. Perversion und Perversität 53. Sadismus. Ver- such einer Erklärung des Sadismus 54. Sadistischer Lustmord 59. An- thropophagie 61. Leicbenschänder 63. Misshandeln von Weibern, Blutig- stechen, FlagelUren derselben 66. Besudelung weiblicher Personen 71. Symbolischer Sadismus d. h. sonstige Ausübung von Gewalt gegen weib> liehe Personen 73. Sadismus an behebigem Objekt 73. Knabeugeissler 73. Sadistische Akte an Thieren 76. Sadismus des WeibeM 78. Kleist*« Pen- theäilea 79. Masochismus 79. Wesen und kltcische Erschemung des Masochismus 80. Aufsuchen von Misshnndlungen und DemUthigungen zum Zweck sexueller Befriptligung 81. Passive Fliigellation in ihren Beziehungen znm Masochinmus 90. Häutigkoit und Praktiken des Maso- chismus 99. Symboli.'icbcr Ma«DchitnuuB lOL Ideeller Masochismiui 102. Jean .lacques Rousseau 105. Der Mosochismaa in der wissenschaftlichen und belletristischen Litmntur 106. Larrirter Mattochismus 108. Schuh- und Fussfetischisten 108. Koprolugnie 120. Masoclusmu« des Weibes


Seit« 


Vm InhÄlt.

125. Versuch einer Erkiäning des Masochiamus 128. G^tchleohtliche Hörigkeit 131. Haflochismua und Sadismus 137. Fetiechism ua. Kr* kläruQg des Fetischismus 142. Falle, in welchen der Fotiech ein Theil dea weiblichen Körpers iat 147. Handfetischi.smus 147. Körperfehler ali Fetisch 154. ZopffetiBchiHmus. Zopfabschneider 167. Der FetiBch iat ein Stück der leiblichen Kleidung 160. Liebhaber resp. Diebe weib- licher Taschentücher 166. Schuhfetischisten 169, Der Fetisch ist ein be- atiramter Stoff 173. Pelz-, Seide- und Sammtfetischisten 185. Conträre Sexualempfindung 182. Krworbeue conträre Sexualempfin- dung bei beiden Geschlechtern 185. Neurotische BtlaHtung als Bedingung erworbener conträrer Sexualeuipfindung 187. Stufen dt;r er- worbenen Entartung 187. Einfache Verkehrung der Geechlechtaemp fin- dung 188. Knratio und Defeminatio 192. Wannsinn der Sk^-then 195. Mujeradofi 19ü. Uebergangsstufe zur MetAmorphosis sexualis 196- Meta* morpbosis sexualis paranoica 209. Angeborene conträte Sexual- empfindung 214- Verftchiedene kliniiche Formen deraelben 215. All- gemeine Merkmale 215. Rrkllirungsvcrsuche der Anomalie 219. Die angeborene contrüre Sexualempfindung beim Manne 224. Psychische Hermunhrodiiiie 226. Homüsexuale oder Uniinge 234. Effe- minatio 244. Androgyne 250. Die angeborene contrüre Sexual- empfindung beim \Veibe 254. Anderweitige Erscheinungen sexueller Perrersion bei ContHlrsexualeu 275. Diagnose, Prognose und Therapie der contrören Sexualempfindung 277.

IV. Speclelle Pathologie 286

Die Krscheinungen krankhaften Sexuallebens in den verschiedenen Formen und Zuatänilen geistiger Störung 286. Psychische Entwicklungshemmungen 386. Erworbene geistige Schwächezuständo 288. Consecotive GciateB- Bchwftcbe nach Psychosen 289, nach Apoplexien 289. nach Kopfverletzung 289, auf Grund von Lues cerebralis 290. Dementia paralytica 290. Ei>i- lepsie 291- Periodische Geistesstörung 296. Psyohopathia sexualis perio* dica 297. Manie 298. 'Zeichen sexueller Erregung bei Manischen 298. Satyriasis und Nymphomanie 299. Chronische Satyriasis und Nympho- manie 300. Melancholie 300. Hysterie 300. Paranoia 80].

V. Da« krankhafte Sexualleben vor dem Crlminalforum 304

Gefahr sexueller Delikte für die allgemeine Wohlfahrt 304. Zunehmende Häufigkeit derselben 304. MuthmaHsUche Ursachen 304. Klinische Forsobnngen 804. Mangelhafte Würdigung solcher seitens der Juristen

305. Anhaltspunkte für die forensische Beurtheilung sexueller Delikte

306. Bedin^ngen der Auiliebung der ZurechnungsflLhigkeit 307. In- dicien für die psych opathologieche Bedeutung sexueller Delikte 307. Die einzelnen sexuellen Delikte. Exliibitiouiren 308. Frotteurs 319. StatuenachUnder 321. Nothzucht und Lustmord 322. Körperverletzung, Sachbeschädigung. Thierquälerei auf Grund von Sadismus 326. Maso- chismus lind geschlechtliche Hörigkeit 329. Körperverletzung . Raab, Diebstahl auf Grund von Fe tisch israiis 332. Unzucht mit Individuen unter 14 Jahren. Schändung 334. Unzucht wider die Natur 340. Thier- sohändung 340. Zoocrastie 841. Unzucht mit Personen desselben Ge- schlechts. Päderastie 346. Die Päderastie im Lichte der Forschungen Über conträre Sexualempfindung 347. Noth wendigkeit der Unterscheidung krankhafler und nicht krankhaft bedingter Päderastie 347. Forensische Beurtheilung der veranlagten contrllren Sexualemptindung, sowie der er- worbenen krankhaften 347. Denkuchrift eines Urnings 848. GrQnde für die Unterlassung der strafgerichtlichen Verfolgung homoseiualer Liebes- akte 351. Die gezüchtete, nicht krankhafte Päderastie 35ü. Ursachen des Lasters 356. Sociales Leben der Päderast«n 356. Kin Ball der Weiberfeinde in Berlin 359. Art der sexuellen Triobrichtung bei den verschiedenen Kategorien conträrer Sexualempfindung 361. Paedicatio mulierum 362. Amor lesbicua 86Ö, Nekrophilie 871. Inc^dt 372. Un- sittliche Handlungen mit Pflegebefohlenen 373.

Register 374


L Fragmente einer Psychologie des Sexuallebens,


Die Fortpflanzung des Menschengeschlechts ist nicht dem Zufall oder der Laune der Individuen anheimgegeben, sondern durch einen Naturtrieb gewährleistet, der allgewaltig, Übermächtig nach Erfüllung ver- langt. In der Befriedigung dieses Naturdrangs ergeben sich nicht nur Sinnengenuss und Quellen körperlichen Wohlbefindens, sondern auch höhere Gefühle der Qenugthuuug, die eigene, vergängliche Existenz durch Ver- erbung geistiger und körperlicher Eigenschaften in neuen Wesen über Zeit und Raum hinaus fortzusetzen. In der grobainnlichen Liebe, in dem wollüstigen Drang, den Naturtrieb zu befriedigen, steht der Mensch auf gleicher Stufe* mit dem Thior, aber es ist ihm gegeben, sich auf eine Höhe zu erheben, auf welcher der Naturtrieb ihn nicht mehr zum willen- losen Sklaven macht, sondern das mächtige Fühlen und Drängen höhere, edlere GeftVhle weckt, die, unbeschadet ihrer sinnlichen Entstehungsquelle, eine Welt des Schönen, Erhabenen, Sittlichen erschliessen.

Auf dieser Stufe steht der Mensch hoch über dem Trieb der Natur und schöpft aus der unversieghchen Quelle StofiT und Anregung zu edlerem Genuas, zu ernster Arbeit und zur Erreichung idealer Ziele. Mit Recht bezeichnet Maudsl ey (Deutsche Klinik 1873, 2, 3) die geschlechtliche Empfindung als die Grundlage für die Entwicklung der socialen Gefühle. .Wäre der Mensch des Fortpflanzungstriebes beraubt und alles Dessen, was geistig daraus entspringt, so würde so ziemlich alle Poesie und viel- leicht auch die ganze moralische Gesinnung aus seinem Leben heraus- gerissen soin.*

Jedenfalls bildet das Geschlechtsleben einen gewaltigen Factor im individuellen und im socialen Dasein, den mächtigsten Impuls zur Bethä- tigung der Kräfte, zur Erwerbung von Besitz, zur Gründung eines häus- lichen Herdes, zur Erweckung altruistischer Gefühle, zunächst gegen eine Person des anderen Geschlechts, dann gegen die Kinder uud im weiteren Smne gegenüber der gesammten meuschlichen Gesellschaft.

V. KrKrit-Eblng. PsynhopaUila «Qxualis. lo. Anfl. l


rtelle VenitUichung des Sexuallebens.


So wurzelt in letzter Linie alle Ethik« vielleicht auch ein guter Theii Aesthetik und Religion in dem Vorhandensein geschlechtlicher Empfindungen.

Wie das sexuale Leben die Quelle der höchsten Tugenden werden kann, bis zur Aufopferung des eigenen Ich, sn liegt in seiner sinnlichen Macht diu Gefahr, dass es zur gewaltigen Leidenschaft ausarte und die grossten Laster entwickle.

Als entfesselte Leidenschafl; gleicht die Liebe einem Vulkan , der Alles versengt, verzehrt, einem Abgrund, der Alles verschlingt — Ehre, Vermögen, Gesundheit.

Von hohem psychologischen Interesse erscheint es, die Entwicklungs- phasen zu verfolgen, durch welche im Laufe der Culturentwicklung der Menschheit das Geschlechtsleben bis zu heutiger Sitte uad Gesittung hindurchgegangen ist*). Auf primitiver Stufe erscheint die Befriedigung sexueller Bedürfnisse der Menschen wie die der Thiere. Der geschlecht- liche Akt entzieht sich nicht der Oeffentlichkeit, und Mann und Weib scheuen sich nicht, nackt zu gehen. Auf dieser Stufe sehen wir (vgl. Ploss) heute noch wilde Volker, wie z. B. die Australier^ Polynesier, Malayen der Philippinen. Das Weib ist Gemeingut der Männer, temporäre Beut^ des Mächtigsten, Stärksten. Dieser strebt nach den schönsten Individuen des anderen Geschlechts und erfüllt damit instinktiv eine Art geschlechtlicher Zuchtwahl.

Das Weib ist dabei eine bewegliche Sache, eine Waare, ein Gegen- stand des Kaufs, Tauschs, der Schenkung, ein Werkzeug des Sinnengenusses, der Arbeit. Den Anfang einer Versittlichung des Geschlechtslebens bildet das Auftreten eines Schamgefühls beztlglich der Kundgebung und Bethä- tigung des Naturtriebs der Gesellschaft gegenüber und die Schamhaftig- keit im Verkehr der Geschlechter. Daraus entsprang das Bestreben, die Schamtheile zu verhüllen (,Sie erkannten, dass sie nackt waren**) und sexuelle Akte abseits zu vollziehen.

Die Entwicklung dieser Culturstufe wird begünstigt durch Kalte des Klimas und das dadurch geweckte Bedürfniss nach allseitiger Bedeckung des Körpers. Daraus erklärt es sich zum Theil, dass bei nordischen Völkern die Schamhaftigkeit anthropologisch früher nachzuweisen ist als bei südlichen ').


■) Vergl. LombroBO. Der Verbrecher, übersetzt von Frftnkel, p. 38 u. ff,; Weatermarck, Geschichte der menschlichen Ehe, deuUch von Katachernnd Grazer, Jena (Co«tenob!e) 1893; Ploss. Das Weib in der Natur- und Völkerkunde, ». Aufi, Leipzig 1891. Bd. U. p. 413-90.

^) Nach Weetermarok op. cit. ist es «nicht das Gefahl der Scham, welche«  die Bedi>ckung veranlasst hat, sondern die Bedeckung hat das Gefühl der Scbam hervorgerufen. Die Bedeckung der Schamtheile entsprang aber ursprünglich dem Wunsche der Männer and Frauen, sich gegenseitig anziehend zu machen".


Sociale Stellung den Weibes.


Ein weiteres Moment in der culfcurellen Entwicklung des Sexual- lebens ergibt sich damit, dass das Weib aufhört, bewegliche Sache zu sein. Es wird eine Person, und, wenn auch lange noch social tief unter den Mann gestellt, entwickelt sich doch die Anschauung, dass dem Weibe ein Verfügungsrecht Über sich und seine Liebesgunst zustehe.

Damit wird es Gegenstand der Bewerbung des Mannes. Zu dem roh sinnlichen Gefühle geschlechtlicher Bedürfnisse gesellen sich Anfänge ethischer Empfindungen. Der Trieb wird durchgeistigt. Die Weiber- gemeinschaft hört auf. Die geschlechtlich differenten Einzelwesen fühlen sich durch geistige und körperliche Vorzüge zu einander hingezogen und erweisen nur einander Liebesgunst. Auf dieser Stufe bat das Weib ein Geftihl, dass seine Reize nur dem Manne seiner Neigung gehören und ein Interesse daran, sie Anderen gegenüber zu verhüllen. Damit sind, neben der Scbamhaftigkeit , die Grundlagen der Keuschheit und der sexuellen Treue — solange der Liebesbund dauert — gegeben.

Um so früher erreicht das Weib diese sociale Stufe da, wo mit dem Sesshaftwcrden der Menschen aus früherem Noraadenleben ihnen ein Heim, ein Haus ersteht und für den Mann sich das Bedürfniss ergibt, eine Lebensgefährtin für die Hauswirthschaft. eine Hausfrau in dem Weibe zu besitzen.

Diese Stufe haben unter den Völkern des Orients früh die alten Aegypter, die Israeliten und die Griechen, unter den Völkern des Abend- lands die Germanen erreicht. Ueberall auf dieser Stufe findet sich die Werthsch&tzung der Jungfräulichkeit, Keuschheit, Scbamhaftigkeit und sexuellen Treue, im Gegensatz zu anderen Völkern, die die Hausgenossin dem Gastfreund zum sexuellen Genüsse bieten.

Dass diese Stufe der Versittlichung des sexuellen Lebens eine ziem- lich hohe ist und viel später als manche andere culturelle Entwicklungs- formen, z. B. ästhetische, sich einstellt, lehren die Japanesen, bei denen bis vor Decennien jcmIgs unverheirathete Weib sich prostituiren konnte, ohne an seinem Werth als künftige Frau Einbusse zu erleiden.

Die Versittlichung des sexuellen Verkehrs erfuhr einen mächtigen Impuls durch das Christenthum , indem es das Weib auf gleiche sociale Stufe mit dem Manne erhob und den Liebesbund zwischen Mann und Weib zu einer religiös-sittlichen Institution gestaltete '). Damit war der

  • ) Biese allgemeine und auch von vielen Culturhistorikem aufgestellte Afeinong

bedarf aber einer Einschränkung, intiofem der symboli^iche und sakramentale Cha- rakter der Ehe erst vom Coneil xu Trient klar und deutlidi ausgesprochen wurde, wenn auch es von jeher im Geist des Christenthums lag, dass das Weib aus »einer inferioren Stellung, die es in der alten Welt und im alten Testament einnahm, be- freit und erhoben worden sollte.

Dass diee so spät wirklich geschah, erklärt sieb tum Theil wohl au» den Tra- ditionen der Genesis von der secundAren Schöpfung des Weibes aus der Rippe des


CfariBtentham und Ifllom.


Thatsache entsprochen, dass die Liebe des Menschen auf höherer Civili- sationsstufe nur eine monogamische sein kann und sich auf einen dauern- den Vertrag stützen muss. Mag auch die Natur bioss Fortpflanzung for- dern, so kann ein Gemeinwesen (Familie oder Staat) nicht bestehen ohne Garantie, dass das Erzeugte physisch, moralisch und intellectuell gedeihe. Durch die Gleichstellung des Weibes mit dem Manne, durch die Statui- rung der monogamischen Ehe und ihre Festigung durch rechtliche, reli- giöse und sittliche Bande erwuchs den christlichen Völkern eine geistige und materielle Supohorität Ober die polygamischen Völker, speciell über den Islam.

Wenn auch Mnhamed das Weib in seiner Stellung als Sklavin und


Mannes, von seiner Rolle beim Sandenfall und dem daf&r erfolgten Fluche «dein Wille soll dem Manne unterthau sein*. Indem der SUndciifall, f&r den die hl. Schrill des alten Testaments das Weib verantwortlich gemacht hatte, der Orundstein de«  kirchlichen Lehrgebündea wurde, muaste die sociale Stellung der Fruu so lange verkümmert bleiben, bis der Geist des Chriatenthums dber Tradition und Scholastik den Sieg gewann.

Bemerken 8 verth ist, dasa die Evangelien, mit Ausnahme des Verbota der Ver- fitossung (Matlb. 19. 9) keine Stelle ku Gunsten der Frau enthalten. Die Milde gegen die Ehebrecherin und gegenüber der büssenden Magdaleua berührt die Stellung der Frau au und für sich nicht. Eindringlich erklären geradezu die Pauliuischen Briefe, das« au der Stellung des Weibes nichts geändert werden solle (11. Korinther U. 3 — 12: Epheser 5. 22 «die Weiber seien unterthan ihren Männern' und 23 »da» Weib filrchte den Mann").

Wie sehr die Kirchenväter durch Era's Schuld gegen dos Weib pi^ccupirt sind, lehren Stellen bei Tertullian: ^Weib, du solltest stets in Trauer und Lumpen geben, deine Augen voll Thrüncn. I>u hast das Menschengeschlecht zu Grunde ge- richtet!* Der hl. Hieroiiymus ist gar schlecht auf daa Weib zu sprechen. Er sagt: «Das Weib ist die Pforte des Teufel«, der Weg des Unrecht«, der Stachel des Skorpions* (de cultu feminarum 1. 1).

Das kanonische Recht erklärt : Nur der Mann ist nach dem Ebenbilde Gottes erschaffen, nicht dfu Weib: deshalb soll das Weib ihm dienen und »eine Magd sein!

Div-ii Provincialcondl von Macon im 6. Jahrhundert debatlirte ernstlich darüber, ob das Weib überhaupt eine Seele habe.

Die Wirkung dieser Ansichten der Kirche auf die Völker, welche das Christen- thnm annahmen, war eine entaprecheude. Bei den Germanen wurde nach der An- nahme des neuen Glaubens aus den obigen Gründen das Wehrgeld der Frauen — der naive Ausdruck ihres Werthes — herabgcsetst (J. Falke, Die ritterliche Gesell- schaft. Berlin 1862 p. 49). Ueber die Schätzung beider Geschlechter bei den Juden 8. lU. Moais 27. 3-4.

Auch die Polygamie, im alten Testament (Deuteronom. 21. 15) ausdrücklich anerkannt, wird im neuen nirgends ausdrücklich aufgehoben. Thatsächlich habeu christliche Fürsten (z. B. merovingiacbe Könige wie Chlotar I., Charibert I., Pippin 1. und viele vornehme Frauken) in Polygamie gelebt, wogegen die Kirche damaU noch nichts einzuwenden hatte (Weinhold, Die dttutflchen Frauen im Mittelalter II. p. 15): vgl. auch Unger, .Die Ehe" etc. und daa Werk von Louis Bridel ,La ferame et le droit", Paris 1884.


I



Sinnliclikeit und Sittlichlceit


Werkzeug des Sinnengenusses zu heben^ social und ehelich uuf eine höhere Stufe zu stellen bestrebt war, so blieb dasselbe in der islamitischen Welt dennoch tief unter den Mann gestellt, dem allein die Ehescheidung mög- lich und überdies sehr leicht gemacht war.

Unter allen Umständen schloss der Islam das Weib von der Betbä- tigung am öffentlichen Leben aus und hinderte damit seine intellectuelle und sittliche Fortesntwickluug, Dadurch blieb das muselmannische Weib wesentlich Mittel zum Sinnengenuss und zur Erhaltung der Race, während die Tugenden und Fähigkeiten des christlichen Weibes als Hausfrau, Er- zieherin der Kinder^ gleichberechtigte Gefälirtin des Mannes, sich herr- lich entfalten konnten. So stellt sich der Islam mit seiner Polygamie und seinem Haremleben in grellen Contrast zur Monogamie und zu dem Familienleben der christlichen Welt.

Derselbe Contrast macht sich bei einem Vergleich der beiden Religionen auch bezüglich der Vorstellungen vom Jenseits geltend, das dem christ- lichen Gläubigen unter dem Bilde eines von aller irdischen Sinnlichkeit befreiten, rein geistige W^onnen verheissenden Paradieses sich darstellt, während die Phantasie des Muselmanns in Bildern eines wollüstigen Haremlebens mit herrlichen Houris sich das Jenseits ausmalt.

Trotz aller Hülfen, die Religion, Gesetz, Erziehung und Sitte dem Culturmenschen in der Zügelung seiner sinnlichen Triebe angedeihen lassen, lauft derselbe jederzeit Gefahr, von der lichten Höhe reiner und keuscher Liebe in den Sumpf gemeiner Wollust herabzusinken.

Um sich auf jener Höhe zu behaupten, bedarf es eines beständigen Kampfes zwischen Naturtrieb und guter Sitte, zwischen Sinnlichkeit und Sittlichkeit. Nur Willensstärken Charakteren ist es gegeben, sich ganz von der Sinnlichkftit zu eraancipiren und jener reinen Liebe theilhaftig zu w(;rden, aus der die edelsten Freuden menschlichen Daseins erblühen.

Man kann darüber streiten, ob die Menschheit im Verlauf der letzten Jahrhunderte sittlicher geworden ist. Zweifelsohne ist sie schamhafter geworden, und diese civilisatorische Erscheinung des Verbergens sinnlich- tbierischer Bedürfnisse ist wenigstens eine Concession, welche das Laster der Tugend macht.

Aus der Lektüre des Werkes von Scherr (Deutsche Culturgeschichte) wird Joder den Eindruck gewinnen, dass unsere sittHchen Anschauungen gegenüber denen des Mittelalters geläuterte geworden sind, wenn auch zugegeben werden muss, dass vielfach an die Stelle früherer Unfläthig- keit und Rohheit des Ausdrucks nur feinere Sitten ohne grössere Sitt- lichkeit getreten sind.

Vergleicht man jedoch weiter aus einander liegende Zeitabschnitte und Culturperioden , so kann kein Zweifel obwalten, dass die öffentliche Moral, trotz episodischer Rückschläge, einen unaufhaltsamen Aufschwung


6


Episoden nttlicher Rückschläge.


innerhalb der Culturentwicklung nimmt und dass einen der mächÜgsten Hebet auf der Bahn des sittlichen Fortschritts das Chriatenthum darstellt.

Wir sind heutzutage doch weit erhaben über jene sexuellen Zustände, wie sie sich iu dem sodomitischen Götterglauben, dem Volksleben, der Gesetzgebung und den rehgiösen Uebungen der alten Griechen ausprägten, ganz zu schweigen von dem Phallus- und Priapuscult der Athener und Babylonier, von den Bacchanalien des alten Roms und der bevorzugten öffentlichen Stellung, welche die Hetären bei jenen Völkern einnahmen*

Innerhalb des langsamen, oft unmerklichen Aufschwungs, welchen menschliche Sitte und Gesittung nehmen, zeigen sich Schwankungen, Fluctuationen, gleichwie im individuellen Dasein die sexuale Seite ihre Ebbe und Fluth aufweist.

Episoden des sittlichen Niedergangs im Leben der Völker fallen jeweils zusammen mit Zeiten der Verweichlichung, der Ueppigkeit und des Luxus. Diese Erscheinungen sind nur denkbar mit gesteigerter Inan- spruclmahme des Nervensystems, das für das Plus an Bedürfnissen auf- kommen muss. Im Gefolge überhandnehmender Nervosität erscheint eine Steigerung der Sinnlichkeit, und indem sie zu Ausschweifungen der Massen des Volks führt., untergräbt sie die Grundpfeiler der Gesellschaft, die Sittlichkeit und Reinheit des Familienlebens. Sind durch Ausschwei- fung, Ehebruch, Luxus jene unterwühlt, dann ist der Zerfall des Staats- lebeus, der materielle, moralische Ruin eines solchen unvermeidlich. Warnende Beispiele in dieser Hinsicht sind der römische Staat, Griechen- land, Frankreich unter Louis XIV. und XV,'). In solchen Zeiten des staatlichen und sittlichen Verfalls traten vielfach geradezu monströse Ver- irrungen des sexuellen Trieblebens auf, die jedoch zum Tlif il auf psychn- oder wenigstens neuro -pathologische Zustände in der Bevölkerung sich zurückfuhren lassen.

Dass die Grossstädte Brutstätten der Nervosität und entarteten Sinn- lichkeit sind, ergibt sich aus der Geschichte von Babylon, Ninive, Rom, gleichwie aus den Mysterien des modernen grossstädtischen Lebens. Bemerkenswerth ist die Thatsache, welche aus der Lektüre des PIoss- schen Werks hervorgeht, nämlich, dass Verirrungen des Geschlechtstriebs (ausser bei den Aleuten, femer in Gestalt von Masturbation bei den Orien- talimien und den Nama-Hotteutottinnen) bei un- oder halbcivilisirten Völ- kern nicht vorkommen ').

Die Erforschung des sexuellen Lebens des Individuums hat mit


'J ^'^k' Friedländer, Sittengeschichte Rome. WiedemeiBter, Der Cä-furen- wahnainn. Suetonius, Moreau, Des aberrationn du sens gen^fiique.

  • ) Diese Angaben stehen aber im Widerapruch mit Friedreich (Hdb, der

gerichWlrztl. Praxis 1848, 1. p. 271). nach welchem Päderastie bei deu Wilden Amerikas sehr häufig vorlcoiumen soll, ferner mit Lombioso (op. eil. p. 42).


T> avi A U


Entwicklung des Sexnallebena.

dessen Entwicklung in der Pubertät zu beginnen und dasselbe in seinen verschiedenen Phasen bis zum Erlöschen sexunler Empfindungen zu verfolgen.

ScböD schildert Muntegazza in seiner „Physiologie der Liebe" das Sehnen und Drängen des erwachenden Qeschlechtslebens , von dem Ahnungen, unklare Empfindungen und Dränge aber weit über die Epoche der Pubertätsentwicklung zurückreichen. Diese Epoche ist wohl die psychnlogisch bedeutsamste. An dem reichen Zuwachs an Gefühlen und IdeeUf welche sie weckt« lässt sich die Bedeutung des sexuellen Factors fUr das psychische Leben überhaupt ermessen.

Jene anfangs dunklen, unverständlichen Dränge, entstanden aus den Empfindungen, welche bisher unentwickelte Organe im Bewusstsein wach- riefen, gehen mit einer mächtigen Erregunj^ des Gefühlslebens einher. Die psychologische Reaction des Sexualtriebs in der Pubertät gibt sich in mannigfaciien Erscheinungen kund, denen nur gemeinsam der a£fect- voUe Zustand der Seele ist und der Drang, den fremdartigen GemÜths- inhalt in irgend einer Form auszuprägen, zu objectiviren. Naheliegende Gebiete sind die Religion und Poesie, die selbst, nachdem die Zeit der sexuellen Entwicklung vorüber und jene ursprünglich unverstandenen Stimmungen und Dränge, abgeklärt .sind, mächtige Forderungen aus der sexualen Welt erfahren. Wer daran zweifeln wollte, möge bedenken, wie oft religiöse Schwärmerei im Pubertätsalter vorkommt, wie häufig in dem Leben der Heiligen ') sexuelle Anfechtungen sind und in welch widerliche Scenen, wahre Orgien, die religiösen Feste der alten Welt, nicht minder die Meetings gewisser Sekten der Neuzeit ausarteten, ganz zu geschweigen der wollüstigen Mystik, die in den Culten der alten Völker sich findet.


^) Vgl. Friedreich, gerichtl. PsychologiP p. 389, der zahlreiche BPiapiele gesamraelb hat. So quälte die Nonne Blanbekin unaufhörlich der Gedanke, was aus dem Thoil geworden sein niOge, der bei der Bcscbneidnng ChriHti verloren ging.

Die von Papst Pius II. selig gesprochene Veronica Juliani nufam nun Andacht zam göttlichen Lümmlein ein irdUches Lümmlein inis Bett, küsKt« das Lumm, liesa es an ihren BrQsten saugen nnd gab auch einige Tropfen Milch von sich.

Die hl. Catharina von Genua litt oft an einer solchen inneren üit&e, das« sie, um nch abzukühlen, eich auf die Krde legte und schrie: , Liebe. Liebe, ich kann nicht mehr!" Dabei fQhltn fde eine besondere Zuneigung zu ihrem Beichtvater. Kines Tagca führte sie dessen Hand an ihre Nase und empfand dabei einen Geruch. d»r ihr ina HtM'z drang, .einen himmlischen Qeruoh, dessen Annehmlichkeit Todte erwecken könnte*.

Von einer Hbnlichen Bruu«t waren die hl. Armelle und die hl. Klisabetli vom Kinde Jesn gequ&lt. Bekannt sind die Versuchungen des hl. Antontos von Padua. Bezeichnend i^t ein altes protestantisches Gebet: ,0 dass ich dich gefunden bätt', holdneligster Emnnucl, o hittt* ich dich in meinem Bett, des freute sich mein Leib und Seel. Komm, kehre willig bei mir ein; mein Herx soll deine Kammer sein!'


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ßeeiefaungen zwischen Religion und Liebe.


Umgekehrt sehen wir, dass nicht befriedigte Sinnlichkeit gar häufig in religiöser Schwärmerei ein Äequivalent sucht und findet ').

Aber auch auf unzweifelhaft psycbopathologischem Gebiet zeigt sich diese Beziehung zwischen religiösem und sexuellem Fühlen. Es genüge der Hinweis auf die mächtig sich geltend machende Sinnlichkeit in den Krankengeschichten vieler religiös Wahnsinnigen, auf die bunte Ver- mischung von religiösem und sexuellem Delir, wie sie in Psychosen so vielfach beobachtet wird (z. B. bei maniakalischen Weibern, die sich für die Muttergottes und Gottesgebärerin halten), aber ganz besonders bei Psychosen auf masturbatorischer Grundlage; endlich der Hinweis auf die wollüstig grausamen Selbstkasteiungen, Verletzungen, Selbstentmannungen, sogar Kreuzigungen auf Grund eines krankhaften, geschlechtlich religiösen Fühlens.


Ein Versuch, die psychologischen Beziehungen zwischen Religion und Liebe zu erklllren, atösst auf Schwierigkeiten. Analogien bieten sich in grosser Zahl.

Das Gefühl der sexuellen Neigung und das religiöse Gefühl (als psycho- logische Thatsache betrachtet) bestehen beide aus je zwei Elementen.

Auf religiösem Gebiet ist das primäre das Gefühl der Abhängigkeit, eine Thatsache, die Scfaleiermacher erkannt hat, lange bevor die neuere anthropologische und ethnographische Forschung, auf Grund der Beobachtung primitiver Zustände, zu demselben Kesultat gelangt ist. Erst auf höherer Culturstufe tritt das zweite und eigentliche ethische Element — die Liebe zur Gottheit — in das religiöse Gefühl ein. An die Stelle der bösen Dämonen der Naturvölker treten die doppelseitigen, bald gütigen, bald zürnenden Gestalten compUcirterer Mythologien, bis endlich der allgütige Gott als Spender des ewigen Heils verehrt wird, gleichviel ob dies von Jehovah als Wohlergehen auf Erden, von Allah als physisches Wohlergehen, im Paradiese gespendet, vom Christen als ewige Seligkeit im Bimmel, vom Buddhisten als Nirwana erhofft wird.

In der geschlechtlichen Neigung ist die Liebe, die Erwartung einer überschwänglicben Seligkeit, das primUre Element. Secundär tritt das Gefühl der Abhängigkeit hinzu. Dieses besteht zwar im Keim für beide Theüe, insofern der andere Theil sich versagen kann; es ist aber in der Regel nur im Weibe, in Folge seiner passiven Rolle bei der Fortpflanzung und socialer Ver- hältnisse, stärker ausgebildet; ausnahmsweise ist dies auch bei Männern mit zum weiblichen neigendem psychischem Typus der Fall.

Die Liebe ist in beiden Gebieten, dem religiösen und dem sexuellen, eine mystische und transcendente, d. h. es tritt bei der Geschlechtsliebe das eigentliche Ziel des Triebes, die Propagation der Gattung, nicht ins Bewusst- sein, und die Stärke des Impulses ist mächtiger, als irgend eine ins Bewusst- sein gelangende Befriedigung rechtfertigen könnte. Auf religiösem Gebiete aber ist das erstrebte Gut und das geliebte Wesen seiner Natur nach so be- beschaffen, dass es nicht in die empirische Erkenntniss eingehen kann. Beide seelische Vorgänge lassen deshalb der Phantasie den weitesten Spielraum.

Beide haben aber auch einen „unendlichen* Gegenstand, insofern die Seligkeit, welche der Geschlechtstrieb vorspiegelt, gegenüber allen anderen


') Vgl. Friedreich, Diagnostik der paycfa. Krankheiten p. 247 u. ff. Ken- ia an d, Lehrb. d. Psychiatrie p. 80.


Beziehungen zvuchen BeUgion und Liebe.


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LasigefÜhlea als unvergleichbar und unmessbar erscheint, und das Gleiche yod den versprorhenen Seligkeiten des Glaubens gilt, die als zeitlich und qualitativ unendlich vorgestellt werden.

Aus der Uebereinstimmung beider BevmsstseinsziiBtände bezüglich der Grösse ihres Gegenstandes folj^t, dass sie beide oft zu unwiderstehlicher Macht anwachsen und alle Gegenmotive vor sich niederwerfen. Aus ihrer Aebnlicfakeit bezüglich der Dnfassbarkeit ihres eigentlichen Gegenstandes folgt, dass sie beide leicht in eine vage Schwärmerei übergehen, iu welcher die Lebhaftigkeit des Gefühls die Deutlichkeit und Constnnz der Vorstellungen bei weiten^i über- wiegt. In dieser Schwärmerei spielt in beiden Fällen neben der Erwartung eines nnfassbaren Glückes das Bedürfniss schrankenloser Unterwerfung eine Rolle.

Aus dieser mehrfachen üebereinstimmung beider Schwärmereien erklärt sich, dass bei starken Intensitätsgradeu die eine für die andere vicariirend ein- treten kann, oder dass eine neben der anderen auftaucht, da jede starke Hebung eines Elementes im Seelenleben die Umgebung mithebt. Das gleichbleibende Gefühl ruft also von den beiden Yorstellungskreisen, mit welchen es verknüpft ist, bald den einen, bald den anderen ins Bewusstsein. Beide seelische Er- regungen können aber auch in den Trieb zur (activ geübten oder passiv er- duldeten) Grausamkeit umschlagen.

Innerhalb des religiösen Lebens kiimmt es dazu durch das Opfer. Dieses wird zuerst mit der Vorstellung dargebracht, dass es von der Gottheit materiell genossen wird, dann, dass es ihr zu Ehren, als Zeichen der Unterwerfung, als Tribut, dargebracht wird, endlich dass die Sünde und Verschuldung gegen die Gottheit getilgt und die Seligkeit erworben wird.

Besteht das Opfer aber, wie dies in allen Religionen vorkömmt, in einer Selbstpeinigung, so dient es bei religiös sehr erregbaren Naturen nicht nur als Symbol der Unterwerfung und als ein Aequivalent im Tausch gegen witrtiger Unlust gegen künftige Lust, sondern Alles, was als von der unendlich geliebten Gottheit kommend gedacht wird, was immer auf ihren Befehl oder ihr zu Ehren geschiebt, wird direct als Lust empfunden. Die religiöse Schwärmerei fuhrt dann zur Ekstase, zu einem Zustand, in dem das Bewusstsein derart von psychischen Lustgefühlen präoccnpirt ist, dass die Vorstellung der erduldeten Misshandlung nur ohne ihre Schmerzqualität appercipirt werden kann.

Auch aotiv kann die Exaltation der religi^tsen Schwärmerei zur Freude an der Opferung Anderer führen, wenn das Mitleid mit fremdem Schmerz von religiösen Lustgefühlen übercompensirt wird.

Dass es auf dem Gebiete des Geschlechtslebens zu ähnlichen Erschoi* nungen kommen kann, zeigt der Sadismus und ganz besonders der Masockis- mus (s. u.).

So lässt sich die oft nonstatirle Verwandtschaft von Religion, Wollust and Grausamkeit') etwa auf die folgende Formel bringen; R-eligiöser und sexueller Affectzustand zeigen auf der HOhe ihrer Entwicklung üebereinstim- mung im Quantum und Quäle der Erregung and können deshalb unter geeig- neten Verhältnissen vicariiren. Beide kOnnen unter pathologischen Bedingungen in Grausamkeit umschlagen.

Nicht minder einflussreich erweist sich der sexuelle Factor auf die Weckung ästhetischer Gefühle. Was wilren die bildende Kunst und die

') Dieses Trivium findet seinen Ausdruck nicht nur in den oben geschilderten Erscheinungen des wirklichen Lebenn. sondern auch in der frömmelnden Literatur usd selbst in der bildenden Kunst sinkender Zeiten. Berüchtigt in dieser Beziehung ist 2. B. die Gruppe der hl. Theresa von Bemini, die in .hysterischer Ohnmacht auf eine Mormorwolko ^inkt. während ein verbuhlter Engel ihr den Pfeil (der gött- lichen Liebe) ins üerz schleudert* (Lübke).



Macht der Liebe. Juf^endliebe.


Poesie ohne sexuelle tiruudlage I In der (sinnliche») Liebe gewinnen sie jene Wärme der Phantiisie, ohne die eine wahre Kunstschöpfung nicht möglich ist, und in dem Feuer sinnlicher Gefühle erhält sich ihre Gluth und Wärme. Damit begreift sich, dass die grossen Dichter und Künstler sinnliche Naturen sind.

Diese Welt der Ideale eröffnet sich mit dem Auftreten sexueller Ent- wicklungavorgänge. Wer in dieser Lebensperiode nicht für Grosses^ Edles, Schönes sich begeistern konnte, bleibt ein Philister sein Leben lang. Schmiedet doch selbst der nicht zum Dichter Veranlagte in dieser Epoche Verse!

Auf der Gränze physiologischer Heactton stehen Vorgänge in der Pubertätsentwicklung, wo jene unklaren, sehnsOchtigen Stimmungen sich in selbst- und weltschmerzlichen Anwandlungen bis zum Taedium vitae ausprägeu, vielfach mit Lust, Anderen wehe zu thun (schwache Analogien eines psychologischen Zusammenhangs zwischen Wollust und Grausam- keit), einhergehen.

Die Liebe der ersten Jugend hat einen romantischen idealisirenden Zug. Sie verklärt den Gegenstand der Liebe bis zur Apotheose. In ihren ersten Anfangen ist sie eine platonische und wendet sich gern Gestalten der Poesie, Geschichte zu. Mit dem Erwachen der Sinnlichkeit läuft sie Gefahr, ihre idealisirende Macht auf Personen des anderen Geschlechts zu Übertragen, die geistig, körperlich und social nichts weniger als her- vorragend sind. Daraus können Mesalliancen, Entführungen, Fehltritte entstehen, mit der ganzen Tragik der leidenschaftlichen Liebe, die in Conflict geräth mit den Satzungen der Sitte und Herkunft und zuweilen im Selbstmord oder Doppelselbstmord ihren düsteren Abschliiss findet.

Die allzu sinnliche Liebe kann nie eine dauernde und rechte Liebe sein. Deshalb ist die erste Liebe in der Regel eine höchst fluchtige, weil sie nichts Anderes ist, als das Auflodern einer Leidenschaft, ein Strohfeuer.

Nur diejenige Liebe, welche sich auf die Erkenntniss der sittlichen Vorzüge der geliebten Person stützt, die nicht bloss Freuden gewärtigt, sondern auch Leiden um jener willen zu tragen gewillt ist und für sie Alles aufzuopfern vermag, diese ist die wahre Liebe. Die Liebe des stark veranlagten Menschen scheut vor keiner Schwierigkeit und Gefahr zurück, wenn es gilt, den Besitz der geliebten Person zu erringen und zu behaupten.

Thaten des Heroismus, der Todesverachtung, sind ihre Leistungen. Eine solche Liebe läuft aber Gefalir, nach Umständen zum Verbrechen zu gelungen, wenn die sittliche Grundlage keine feste ist. Ein hUsslicher Flecken dieser Liebe ist die Eifersucht. Die Liebe des schwach veran- lagten Menschen ist eine sentimentale. Sie führt nach Umstunden zu


Sentimontale. platoniache Liebe.


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Selbstmord^ wenn sie nicht erwledert wird oder Hindernisse findet, während unter gleichen Verhältnissen der stark Veranlagte zum Verhrecher werden konnte.

Die sentimentale Liebe läuft Gefahr, zur Kurrikatur zu werden, namentlich da, wo das sinnliche Element kein starkes ist (die Kitter Toggenburg, Don Quixote, viele Minnesänger und Troubadours des Mittelalters).

Solche Liebe hat einen faden, süsslichen Beigeschmack. Sie kann damit geradezu lächerlich werden, während sonst die Aeusserungen dieses mächtigen Gefühls in der Menschenbrust Mitgefühl, Achtung, Grauen, je nachdem, erwecken.

Vielfach wird jene schwache Liebe auf äquivalente Gebiete gedrängt — auf Poesie^ die aber dann eine sttssliche ist, auf Aesthetik, die sich als oulrirte erweist, auf Religion, in welcher sie der Mystik und religiösen Schwärmerei, bei stärkerer sinnlicher Grundlage dem Sektenwesen bis zum religiösen Wahnsinn, anheimfällt. Von all Dem hat die unreife Liebe des Pubertätsalters etwas an sich. Lesbar aus jener Zeit des Dichtens und Heimens sind nur die Verse des Dichters von Gottes Gnaden.

Bei aller Ethik, deren die Liebe bedarf, um sich zu ihrer wahren und reinen Gestalt zu erheben, bleibt ihre stärkste Wurzel gleichwohl die Sinnlichkeit.

Platonische Liebe ist ein Unding, eine Selbsttäuschung, eine falsche Bezeichnung für verwandte Gefühle.

Insofern die Liebe ein sinnliches Verlangen zur Voraussetzung hat, ist sie Dormaliter nur denkbar zwischen geschlechtsverschiedenen und zu geschlechtlichem Verkehr fähigen Individuen. Fehlen diese Bedingungen, oder gehen sie verloren, so tritt an die Stelle der Liebe die Freundschaft.

Bemerkenswerth ist die Rolle, welche fllr die Entstehung und die Er- iialtung des Selbstgefühls beim Manne das Verhalten seiner sexuellen Functionen spielt. An der Einbusse von Männlichkeit und Selbstvertrauen, die der nervenschwache Onanist und der impotent gewordene Mann bieten, lässt sich die Bedeutung jenes Factors ermessen.


Sehr richtig sagt Gynrkovechky (Miinnl. Impotenz, Wien 1889), daas alte und junjfo MUnner sich psychisch wesentlich durch das Verhalten ihrer Potenz unterscheiden, und dass Impotenz Lebensfreude, geistige Frische. That- kraft, Selbstvertrauen nnd den Schwung der Phantasie schwer schädigt. Dieser Ausfall ibi umso bedeutender, in je jugendlicherem Alter der Mann seine Potenz, verliert und je sinnlicher er veranlagt war.

Ein plötzlicher Verlust der Potenz kann hier zu schwerer Melancholie and sogar zu Selbstniord führen, denn für solche Naturen ist Leben ohne Liebe unerträglich.

Aber auch da, wo die Keaction keine so einschneidende ist, erscheint der in seiner Potenx Getroffene moros, missgünstig, egoistisch, eifersüchtig, philiströs, energielos, von geringem Selbst- und Khrgefühl, feige.


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Differenzen der Liebe des Manuea and des Weibes.


Analoges sieht man bei den Skopzen, die noch ihrer £iitmannting ihren Charakter in pejus ändern.

Noch bedeutsamer äossert sich der Ausfall der Potenz bei gewissen Be- lasteten im Sinne ffirmlicher Effeminatio (s. n.).


Psychologisch weniger einschneidend, aber doch merklich ist die Situation bei dem Weibe« das seine geschlechtliche Rolle ausgespielt hat, indem es zur Matrone geworden ist. War die nun historisch gewordene Periode des Geschlechtslebens eine befriedigende, erfreuen Kinder das Herz der alternden Mutter, so kommt ihr der Wechsel ihrer biologischen Persönlichkeit kaum zum Bewusstsein. Anders ist die Situation da, wo Sterilität, oder durch die Umstände auferlegte Abstinenz von dem natür- lichen Beruf des Weibes, jenes Glück versagten.

Diese Thatsachen sind geeignet, die Differenzen, welche in der Psy- chologie des Sexuallebens zwischen Mann und Weib bestehen, die Ver- schiedenheit des sexuellen Fühtens und Verlangens bei beiden in ein helles Licht zu .setzen.

Ohne Zweifel hat der Mann ein lebhafteres geschlechtliches Bedürf- niss als das Weib. Folge leistend einem mächtigen Naturtrieb, begehrt er von einem gewissen Alter an ein W^eib. Er liebt sinnlich, wird in seiner Wahl bestimmt durch körperliche Vorzüge. Dem mächtigen Drange der Natur folgend, ist er aggressiv und stürmisch in seiner Liebeswerbung. Gleichw^ohl füllt das Gebot der Natur nicht sein ganzes psychisches Dasein aus. Ist sein Verlangen erfüllt, so tritt seine Liebe temporär hinter anderen vitalen und socialen luteressen zurück.

Anders das Weib. Ist es geistig normal entwickelt und wohlerzogen, 80 ist sein sinnliches Verlangen ein geringes. Wäre dem nicht so, so mUsste die ganze Welt ein Burdell und Elie und Familie undenkbar sein. Jedenfalls sind der Mann, welcher das Weib flieht, und das Weib, welches dem Geschlechtsgenuss nachgeht, abnorme Erscheinungen.

Das Weib wird um seine Gunst umworben. Es verhält sich passiv. Es li^t dies in seiner sexualen Organisation und nicht bloss in den auf dieser fussenden Geboten der guten Sitte begründet.

Gleichwohl macht sich in dem Bewusstsein des Weibes das sexuelle Gebiet mehr geltend als in dem des Mannes. Das Bedttrfniss nach Liebe ist grösser als bei diesem, continuirlich, nicht episodisch, aber diese Liebe ist eine mehr geistige als sinnliche. Während der Mann zunächst das Weib und in zweiter Linie die Mutter seiner Kinder bebt, findet sich im Bewusstsein der Frau im Vordergrund der Vater ihres Kindes und dann erst der Mann als Gatte. Das Weib wird in der Wahl des Lebensgefährten viel mehr durch geistige als durch körperliche Vorzüge bestimmt. Nach- dem es Mutter geworden ist, theilt es seine Liebe zwischen Kind und Gatten. Vor der Mutterliebe schwindet die Sinnlichkeit. In dem ferneren


Sexuelle Abhängigkeit. Colibat. Khebruch.


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ehelichen Umgang findet die Frau weniger eine sinnliche Befriedigung, als eisen Beweis der Liebe und Zuneigung des Gatten.

Da« Weib liebt mit ganzer Seele. Liebe ist ihm Leben, dem Manne Genuas des Lebens. Unglückliche Liebe schlägt diesem eine Wunde. Dem Weibe kostet sie das Leben oder wenigstens das Lebensglück. Es wäre eine des Nachdenkens werthe psychologische Streitfrage, ob ein Weib zwei- mal in seinem Leben wahrhaft lieben kann. Jedenfalls ist die seelische Richtung des Weibes eine monogame, während der Mann zur Polygamie hinneigt.

In der Mächtigkeit sexueller Bedürfnisse liegt die Schwäche des Mannes dem Weibe gegenüber. Er geräth in Abhängigkeit von dem Weibe, und zwar um so mehr, je schwächer und sinnlicher er wird. Dies wird er in dem Masse, als er neuropathisch wird. So begreift sich die Thataache, dass in Zeiten der Erachlaflung und Genusssucht die Sinnlich- keit üppig gedeiht. Dann entsteht aber die Gefahr fUr die Gesellschaft, dass Maitressen und ihr Anhang den Staat regieren und dieser zu Grunde geht. (Die Maitressenwirthschaft am Hofe Ludwigs XIV. und XV. , die Hetären des alten Griechenlands.)

Die Biographie so mancher Staatsmänner aus alter und neuer Zeit lehrt, dass sie Weiberknechte waren in Folge ihrer grossen Sinnlichkeit, die wieder ihren Grund hatte in neuropathischer Constitution.

Es ist ein Zug feiner psychologischer Kenntuiss des Menschen, dass die katholische Kirche ihre Priester zur Keuschheit (Cölibat) verpflichtet und damit von der Sinnlichkeit zu emancipiren trachtet, um sie ganz den Zwecken ihres Berufs zu erhalten.

Schade nur, dass der im Cölibat lebende Priester der veredelnden Wirkung verlustig wird, welche Liebe und dadurch Ehe auf die Entwick- lung des Charakters gewinnen.

Da dem Manne durch die Natur die Rolle des aggressiven Theils im sexuellen Leben zufällt, läuft er Gefahr, die Gränzen, welche ihm Sitte und Gesetz gezogen haben, zu überschreiten.

Unendlich schwerer fällt moralisch ins Gewicht und viel schwerer »Ute gesetzlich wiegen der Ehebruch des Weibes gegenüber dem vom Manne begangenen. .Die Ehebrecherin entehrt nicht nur sich, sondern auch den Mann und die Familie, abge.^^ehen davon, dass es heisst: Pater incertus. Naturtrieb und gesellschaftliche Stellung bringen den Mann leicht zu Fall, während dem Weibe Vieles Schutz gewährt.

Auch bei dem unverbeiratheten Weibe ist sexueller Umgang etwas ganz Anderes als beim Manne. Die Gesellschaft verlangt vom ledigen [anne Sittsamkeit, vom Weibe zugleich Keuschheit. Auf der CuUurhöhe des beutigen gesellschaftlichen Lebens ist eine socialen sittlichen Interessen dienende sexuelle Stellung des Weibes nur als Ehefrau denkbar.


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S&hamhaftigkeit. Putzaacht. Coquelterie.


Das Ziel und das Ideal des Weibes, auch des in Schmutz und Laster Terkommenen, ist und bleibt die Ehe. Diis Weib, wie Mantegazza richtig bemerkt, begehrt nicht bloss Befriedigung sinnlicher Triebe, son- dern auch Schutz und Unterhalt ftlr sich und seine Kinder. Der noch so sinnliche M:inn von besserem GefUhl verlangt ein Weib zur Ehe, das keusch war und ist.

Schild und Zierde des Weibes in der Änstrebung dieses seiner einzig wUrdigen Ziels ist die Schamhaftigkeit. Mantegazza bezeichnet sie fein als »eine der Formen der physischen Selbstachtung** beim Weibe.

Zu einer anthropologisch-historischen Untersuchung Über die Ent- wicklung dieses schönsten Schmuckes des Weibes ist hier nicht der Ort. Wahrscheiulich ist weibliche Schamhaftigkeit eine erblich gezüchtete Frucht der Cuiturentwicklung.

Wunderlich steht mit ihr im Contrast eine gelegentliche Freisgebung von körperlichen Heizen, die unter dem Gesetz der Mode und conventionell sanktionirt, selbst die züchtigste Junglrau im Ballsaal sich gefallen lilsst. Die «usstellerisch«!n Gründe dafür sind naheliegend. Glücklicherweise kommen sie dem keuschen Mädchen ebensowenig zum Bewusstsein als die Motive zeitweise wiederkehrender Mode, gewisse Körpertheile plasti- scher hervortreten zu lassen («culs"), ganz zu geschweigen von Corset u. dergl.

Zu allen Zeiten und bei allen Völkern zeigt die Frauenwelt das Bestreben, sich zu schmücken und Reize zu entfalten. In der Thierwelt hat die Natur das Männchen durchweg mit grösserer Schönheit ausge- zeichnet. Die Männerwelt bezeichnet die Weiber als das schöne Geschlecht. Diese Galanterie entspringt offenbar dem sinnlichen Bedürfniss der Männer. Solange dieses Sichschmücken Selbstzweck ist, oder der wahre psycho- logische Grund des Gefallenwollens dem Weibe unbewusst bleibt, ist da- gegen nichts einznwendpu. In bewusster Bethiltigung rennt man dieses Bestreben Gefallsucht.

Der putzsüchtige Mann wird unter allen Umständen lächerlich. An dem Weibe ist man diese kleine Schwäche gewöhnt und findet nichts dabei, solange sie nicht Theilerscheinung eines Ganzen ist, für das die Franzosen das Wort Coquetterie erfunden haben.

Die Frauen sind den Männern in der natürlichen Psychologie der Liebe weit Überlegen, theils hereditär und durch Erziehung, da das Ge- biet der Liebe ihr eigentliches Element ist, theils weil sie feinfühliger sind (Mantegazza).

Selbst auf der Höhe der Gesittung kann dem Manne nicht verübelt werden, dass er im Weibe zunächst den Gegenstand för die Befriedigung seines Naturtriebes erkennt. Aber es erwächst ihm die Verpflichtung, nur dem Weibe seiner Wahl anzugehören. Im Rechtsstaat wird daraus


Feiiach. Fetischismus.


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ein bindender sittlicher Vertrag, die Ehe, und, insofern das Weib für sich und die Nachkommenschaft Schutz und Unterhalt benöthigt, ein Eherecht.

Von grossem psychologiscliem Werth und fUr gewisse spÜter zu besprechende pothologischo Erscheinuhgen unerlässlich ist es, auf die psychologischen Vorgänge einzugehen , welche Mann und Weib einander zuführen und an einander fesseln, so dass unter allen anderen Personen desselben Geschlechts nur der oder die Geliebte begehrenswerth erscheinen.

Könnte man den Vorgängen in der Natur Absicht nachweisen — Zweckmässigkeit kann man ihnen nicht absprechen — so erschiene die Thatsache der Fascinirung durch eine einzige Person des anderen Ge- schlechts mit Indifferenz gegen alle anderen, wie sie beim wahrhaft und glücklich Liebenden thatsächlich besteht, als eine bewunderungswürdige Einrichtung der Schöpfung, um ihre Zwecke fördernde monogamische Ver- bindungen zu sichern.

Für den Forscher erweist sich diese Verliebtheit oder diese ^ Harmonie der Seelen', dieser „Bund der Herzen* aber keineswegs als ein , Myste- rium der Seelen", sondern ist in deu meisten Fällen zurückführbar auf bestimmte körperliche, nach Umständen auch seelische Eigenschaften, durch welche die Anziehungskraft der dadurch geliebten Person be- dingt ist.

Man spricht dann von sogenanntem Fetisch und Fetischismus. Unter

Fetisch pflegt man Gegenstände oder Tbeile oder blosse Eigenschaften ron

fegeDständen zu verstehen, die vormöge associiitiver Beziehungen zu einer

sboftfte Gefühle, bezw. wichtiges Interesse hervormfendeji Gesammtvorstellung

>oder GesamnitpersOnlichkeit eine Art ZtLuber («fetisso" portugiesisch) bilden,

^mindestens einen sehr tiefen, dem äusseren Zeichen (Symbol. Fetisch)

an and für sich nicht r.ukomraeaden '), weil individuell eigenartig

betonten Eindruck bewirken.

Die individuelle Werthschiltzung des Fetisch bis zur Schwiirmerei Seitens einer von demselben nfflcirten Persunlichkeit nennt man Fetischismus. Diese psychologisch interessante Erscheinung, erklärbar aus einem empirischen asso- ciativen Gesetz: der Beziehung einer Tbeilvorstellung zur Gesamnitvorstellung, wobei das Wesentliche aber die individuell eigenartige GefUhUbt'tonung der Tbeilvorstellung im Sinne von Iinstgefiihlen ist, findet sich vomebmlich in zwei verwandten psychischen Gebieten — dem der religiösen und der ero- tischen Gefühle und Vorstellungen. Der religiöse Fetischismus bat andere [Beziehung und Bedeutung als der sexuelle^ insofern er seine ursprünglicbe lotivirung in dem Wahn fand und findet, dass der als Fetisch imponirende Gegenstand oder das Götzenbild göttliche Eigenschaften besitze, nicht bloss Sinnbild sei, oder, insofern dem Fetisch Itesondere wundertbStige (Reliquien) oder schut^kräftige (Amulette) Eigenschaften aberglttubtscherweise zugeschrieben werden.

Anders der erotische Fetischismus, welcher seine psychologische Moti- virung darin findet, dass physische oder auch psychische Qualitäten einer Person, ja selbst blosse Gegenstande ihres Gebrauchs u, dergl. zum Fetisch werden,


  • ) Vgl. Mai Müller, «.ler das Wort »Fetiscb* etymologisch von fiietitiuti

kttnstlich, unbedeutendes Ding) ableitet.


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Phyiiologischer Fetischiamiit.


indem sie mftcbtige associative V'orstellaDgen zur Gesammtpersönlichkeit jeweils wecken und überdies mit einer lebhaften sexuellen LustempHndung jederzeit betont werden. Analogien mit dem religiösen Fetischismus ergeben sich immerbin insofern, als auch bei diesem nüch Umständen recht anbedeutende Gegenstände (Nägel. Haare u. s. wJ Fetisch sind und mit Lustgefühlen bis zur Ekstase sich verbinden.

Bezüglich der Entwicklung physiologischer Liebe ist es wahrschein- lich, dans ihr Keim immur in einem individuellen Fetischzauber^ welchen die Person des einen Geschlechts auf eine des anderen ausübt, zu suchen und zu finden ist.

Am einfachsten ist der Fall, dass mit einer sinnlichen Erregung der Anblick einer Person des anderen Geschlechts zeitlich zusammenfällt und dieser Anblick die sinnliche Erregung steigert.

Gefühls- und optischer Eindruck treten in associative Verknüpfung und diese festigt sich in dem Masse, als das wiederkehrende Gefühl das optische Erinnerungsbild weckt oder dieses (Wiedersehen) neuerlich sexuelle Erregung auslöst, möglicherweise bis zu Orgasmus und Pollution (Traumbild).

In diesem Falle wirkt die körperliche Gcsammterscheinung als Fetisch.

Wie Bin et u. A. hervorhebt, können es aber auch Theile des Ganzen , blosse Eigenschaften und zwar körperliche oder auch bloss seelische sein, welche die Person des anderen Geschlechts als Fetisch beeinflussen, indem ihre Wahrnehmung mit einer (zufälligen) sexuellen Erregung zusammeofdllt (oder eine solche hervorruft),

Dass über diese seelische Association der Zufall entscheidet^ dass der Gegenstand des Fetisch ein individuoll höchst verschiedenartiger sein kann, dass daraus die sonderbarsten Sympathien (und umgekehrt Antipathien) entstehen, ist allbekannte Thatsnche der Erfahrung.

Aus dieser physiologischen Thatsache des Fetischismus erklären sich die individuellen Sympathien zwischen Mann und Weib, die Bevorzugung einer bestimmten Persönlichkeit vor allen anderen desselben Geschlechts. Da der Fetisch ein ganz individuelles Localzeichen darstellt, wird es be- greiflich, dass er nur ganz individuell wirkt. Da er von höchst mäch- tigen Lustgefühlen betont ist, führt er dazu, über die etwaigen Fehler des Gegenstands der Liebe hinwegzutäuschen (»die Liebe macht blind") und eine Exaltation hervorzxirufen, welche nur individuell begründet, an- deren Personen unbegreiflich, nach Umständen selbst lächerlich erscheint. So erklärt es sich, wie der Nüchterne seinen verliebten Mitmenschen nicht begreifen kann, während dieser sein Idol vergöttert, mit ihm einen wahren Cultus treibt, ihm Eigenschaften ftudichtet, welche dasselbe, objectiv be- trachtet, keineswegs besitzt. So erklärt es sich, dass die Liebe bald mehr als eine Leidenschaft, bald als ein förmlicher psychischer Ausnahms-



Fetiflchifltnus eroticua.


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zustand sich darstellt, in welchem das Unerreichbare erreichbar, dasHässliche schön, das Profane erhaben erscheint, jegliches sonstige Interesse, jegliche Pflicht verschwunden ist.

Mit Recht macht auch Tarde (Archives de ranthropologie criminelle, 5. Jahrg. Nr. 30) gelUnd, dnss nicht bloss individuell, sondern auch national der Fetisch verschieden sein kann, jedoch das Ideal der Ge- sammtschonheit hei den Culturvölkern derselben Zeit dasselbe bleibt.

Binet hat sich das grosse Verdienst erworben, diesen Fetischis- mus der Liebe genauer studirt und analysirt zu haben.

Aus ihm entstehen die besonderen Sympathien. So fühlt sich der Eine zu schlanken, der Andere zu dicken, zu brUnetten oder zu blonden Schönen hingezogen. Für den Einen ist ein besonderer Ausdruck des Auges, fOr den Anderen ein besonderer Klang der Stimme oder der eigenartige Geruch, selbst ein artificieller (Parfüm), oder die Hund, der Fuss, das Ohr u. s. w. der individueEe Fetischzauber, der Ausgangspunkt einer coraplicirten Kett« von seelischen Vorgängen, deren Gesammtausdruck Liebe, d. b. die Sehnsucht nach dem physischen und seelischen Besitz des Gegenstands der Liebe darstellt.

Mit dieser Thatsache ist eine wichtige Bedingung für die Statuirung eines noch physiologischen Fetischismus erwähnt.

Der Fetisch mag dauernd seine Bedeutung behalten, ohne patho- logisch zu sein, aber nur dann, wenn er von der Theilvorstelluug zar Gesammtvorstellung vorschreitet, wenn die durch ihn er- Hchlosseoe Liebe als ihren Gegenstand die gesammte seelische und physische Persönlichkeit umfasst.

Die normale Liebe kann nur Synthese, Generalisation sein. Geist* reich sagt Max Dessoir (pseudonym Ludwig Brunn)^) in einem Auf- satz flder Fetischismus in der Liebe":

„Die normale Liebe erscheint uns also als eine Symphonie, die sich aus Tönen aller Art zusammensetzt. Sie resultirt aus den verschiedensten Anreizen. Sie ist gleichsam polytheistisch. Der Fetischismus kennt nur die Klangfarbe eines einzigen Instruments; er entsteht aus einem bestimmten Anreiz; er ist monotheistisch."

Wer nur einigermassen darüber nachdenkt, wird zur Erkenntniss kommen, dass von wirklicher Liebe (dieses Wort wird nur zu oft mias- braucht) nur dann die Rede sein darf, wenn die ganze Pei*son zugleich leiblich und seelisch Gegenstand der Verehrung ist.

Ein sinnliches Element muss jede Liebe haben, d. h. den Drang, den Gegenstand der Liebe zu besitzen und mit ihm vereint Gesetzen der Natur zu dienen.


'; Deutsches Montogsblatt, Borlin 20. 8. 88. T. Krsfft'Ebtiig. PsychopaÜüa Mxuali». lo. Auf).


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Fetischismus der Mannes.


Aber wenn Jemand bloss der Körper der Person des anderen Ge- schlecbts Gegenstand der Liebe ist, wenn er bloss Sinncngenuss befriedigen will, ohne die Seele zu besitzx'n und seelisch genieinsfim zu gemessen, dann ist seine Liebe keine echte, so wenig iils die des Plutonikers, der nur die Seele liebt und sinnlichen Genuss verscbmäht (manche contriir Sexuale). Für den Einen ist der blosse Körper, für den Anderen die blosse Seele ein Fetisch, die Liebe blosser Fetischismus.

Derartige Existenzen stellen jedenfalls üebergangsfälle zum patho- logischen Fetischismus dar.

Diese Annahme trifft um so mehr zu, als als weiteres Kriterium wirklicher Liebe seelische ') Befriedigung durch den Geschlechtsakt gefordert werden muss.

Innerhalb der physiologischen Erscheinungen des Fetischismus bleibt die interessante Thatsache zu besprechen , dass unter der grossen Zahl von Dingen, die zum Fetisch werden können, es einzelne gibt, die eine solche Bedeutung bei einer grösseren Zahl von Personen gewinnen.

Als solche sind zu erwähnen für den Mann das Haar, die Hand, der Fuss des Weibes, der Ausdruck seines Auges. Einzelne der- selben gewinnen in der Pathologie des Fetischismus eine bemerkenswerthe Bedeutung. Diese Thatsachen spielen offenbar in der Seele des Weibes sogar eine unbewusste bis bewusste Holle.

Eme Hauptsorge des Weibes ist die Cultur seines Haares, dem es oft ungebührlich viel Zeit und Geld widmet. Mit welcher Sorge pflegt


') Der , spinal cer<t'bral poslerieur' Magnan's, welcher bei jedem Weibe Ge- nass empfindet ond dem auch jedes Weib recht ist, vermag bloss seine WoHoat zu befriedigon. rtekiiufto oder gCHchundene Tiie>n? iflt keine eigentliche Liebe. (Mante- gaKza.) Wer das ii^prUchwort erfunden bat: «aublata lucerna nuUum discrimen inter feminas** muss ein arger Cyniker geweeen sein. Potenz des Mannes, den Liebeaakt überhaupt zu leisten, ist keine Gewähr, dasa dieser auch wirklich den höchsten Liebe«* genuBS vermittelt

Gibt es doch Urninge, die dem Weib gegenüber potent sind. Milnncr, die ihr Weih nicht lieben und gleichwohl die eheliche .Pflicht* zu leisten vermögen. In den meisten Füllen wird in solcher Situation sogar das Wolhiatgeföhl ausbleiben; handelt es sich doch wesentlich um eine Art onanisti^chen Aktes, vielfach nur ermög- licht durch die Zahülfenahme der Phantasie die ein anderes geliebtes Wesen unter- schiebt. Durch diese Täuschung kann dann allerdings ein WoUustgefUhl erzielt werden. aber diese rudimentäre psychische Befriodigung entt;tauinjl einem psychischen Kunst- griff, ganz wie bei der solitären Onanie, dem vielfach die Phantasie zu Hülfe kommen mos«, um ein WoUustgefQhl zu erzielen. Ueberbaupt scheint derjenige Grad von Orgasmus, mit Hülfe dessen es zu einem WollustgefUhl kommt, nur da erzielbar, wo die Payche intervenirt.

Da wo psychische Impcdimente bestcbeD (Gleichgültigkeit. Widerwille, Rkel, Angst vor Ansteckung. Schwängerung u. s. w.) scheint das WoUustgefÜhl überhaupt auszubleiben.



FetiscluBmus des Mannes.


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schon beim kleinen Mädchen die Mutter das Hüar! Welche Rolle spielt der Friseur! Ausgehen des Haares setzt jugendliche Frauenzimmer in Verzweiflung. Ich erinnere mich einer eitlen Frau, die darüber gemöths- krank wurde und durch Selbstmord endigte. Frauenzimmer sprechen mit Vorliebe von Coiffuren, beneiden andere um ihren schönen Haarwuchs.

Schönes Haar ist ein mächtiger Fetisch für viele Männer. Schon in der Sage von der Loreley, die Männer ins Verderben lockt, erscheint das «goldene Haar", das sie mit goldenem Kamme kämmt, als Fetisch. Nicht mindere Anziehungskraft besitzen vielfach Hand und Fuss, wobei frei- lich oft (aber keineswegs immer) masoch istische und sadistische Gefühle die besondere Art des Fetisch bestimmen helfen.

In Übertragenem Sinne, durch Ideenassociation, kann der Hand- schub oder der Schuh Fetischbedeutung gewinnen.

Mas Dessoir (op. cit.) weist mit Recht darauf hin, dass bei den mittelalterhchen Sitten das Trinken aus dem Schuh einer schönen Frau (noch heute in Polen zu finden) eine beraerkenswerthe Rolle als Galan- terie, Huldigung spielte. Auch im Märchen vom Aschenbrödel spielt der Schuh eine hervorragende Rolle.

Besonders wichtig als den Funken der Liebe entzündend, ist der Ausdruck des Auges. Ein neuropathisches Auge wirkt vielfach als Fetisch. «Madame, vos beaux yeux me fout mourir d'amour*' (Stelle bei Moliere).

Au Beispielen, dass die Ausdünstung des Körpers Fetisch werden kann, herrscht Ueberfluss.

Auch diese Thatsache wird in der Ars amandi des Weibes bewusst oder unbewusst verwerthet. Schon die Ruth im alten Testament suchte Booz au »ich zu fesseln, indem sie sich parfümirte. Die Demimonde der alten und neuen Zeit consumirte und braucht viel Wohlgerüche. Jäger in seiner „Entdeckung der Seele" gibt manche Hinweise auf Gerucfaa- sympathien.

Bekannt sind Fälle, wo .lemand ein häusliches Weib heirathete, nur weil dessen Geruch ihm unendlich sympathisch war.

Dass auch die Stimme zum Fetisch werden mag, macht ßinet wahrscheinlich.

Auch Belot's Etoman ^les baigneuses de Trouville" spricht fUr diese Annahme. Binet vermuthet, dass so manche Heirath, welche mit Sängerinnen geschlossen wurde, auf Fetischzauber ihrer Stimme beruhte.

Er macht noch auf die interessante Thatsache aufmerksam, dass bei den Singvögeln die Stimme die gleiche sexuelle Bedeutung bat wie bei den Vierfüssern der Geruch.

So locken die Vögel durch ihren Gesang, und demjenigen Vogel, welcher am schönsten singt, Eiegt Nachts das angelockte Weibchen zu.


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FetischismuB des Weibes.


Dass auch seelische Eigenschaften als Fetisch in einem weiteren Sinne wirken können, ergibt sich aus den pathologischen Thatsachen des Masochismus und des Sadismus.

So erklärt sich die Thatsache der Idiosynkrasien und erhält sich der alte Satz „de gnstihus non est disputanduiu' in Kraft.

Ueber den Fetischismus beim Weibe lassen sich wissenschaftlich nur Vermuthungen gewinnen. Dass er eine analoge Rolle spielt, wie in der Vita sexualis des Mannes und der Herbeiführung sexueller Sym- pathien zum Weib, kann schon aus dem Umstand, dass jeuer eine physio- logische Erscheinung ist, mit Sicherheit gefolgert werden. Dctailürte Einblicke in die weibliche Vita sexualis lassen sich nur erwarten, wenn Aer^tinuen an dieses Studium herantreten werden.

Sicher sind es sowohl körperliche als seelische Eigenschaften der Männer, die für Weiber zum Fetisch werden. Für die meisten sind es wohl körperliche Vorzüge des Mannes, die solche Bedeutung gewinnen, ohne dass daraus gerade auf bewusste Sinnlichkeit goschloascn werden könnte. In manchen Fällen ist es aber nicht des Leibes Wohlgestalt, die sogar viel zu wünschen übrig lassen kann, als vielmehr die geistige Bedeutung des Mannes, welche das Weib anzieht. Auf hoher Cultur- und Intelligenzstufe findet sich diese Erscheinung sogar auffallend häufig, auch ohne die Vermittlung blaustrümptiger Erziehung und Geschmacks- richtung und ohne den bewussten Gedanken einer durch geistige Vor- züge des Mannes bereits erreichten höheren Lebensstellung oder zu ge- wörtigendeu glänzenden socialen Carri^re.

Dieser Fetischismus des Leibes oder der Seele ist nicht ohne Be- deutung fUr die Descendenz, insofern er eine Zuchtwahl begünstigt und die Vererbung von seelischen oder körperlichen Vorzügen ermöglicht.

Im Allgemeinen imponiren dem Weib beim Manne und wirken an- ziehend Körperkraft , Muth , Edelsinn , KitterHchkeit , Selbstvertrauen, eventuell selbst ein gewisser Uebermuth, und ein Betonen der Rolle des Starken und Herrschenden, gegenüber dem schwachen Geschlecht.

Selbst das Renomm^ eines Don Juan macht vielfach den Mann inter- essant und anziehend für das Weib, gleich als läge darin eine Gewähr für die Potenz desselben , wobei freilich das unerfahrene Mädchen keine Ahnung hat, welche Gefahren auf dasselbe in Gestalt von Lues und chronischer Urethritis durch eine eheliche Verbindung mit dem inter- essanten Sünder lauem können.

Auf Backfische, aber auch auf reifere Weiher Übt der vom Beifall der Menge beglückte Schauspieler und Sänger, nach Umständen auch der Circusreiter und Athlet oft einen fascinirenden Einfluss aus, wenigstens werden derlei Künstler allenthalben von der Damenwelt angeschwärmt und oft mit Liebesbriefen überschüttet.


FetüchisniiiB des Weibee.


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Unbestritten ist das Faible der meisten Weiberherzeu ftir das Militär \, zweierlei Tuch"), wobei der Cavallerist unbedingt einen Vorzug vordem Infanteristen behauptet.

Zweifellos hat auch das Uaar des Mannes beim Weib eine Fetisch- bedeutung, natürlich das Barthaar, als Signum der Virilität und als her- TOTragendes secundäres Geschlechtsmerkmal. Gleichwie beim Weibe Kopf- haar, speciell Zopf, spielt in der Toilette derjenigen Männer, welche dem schönen Geschlecht gefallen möchten, die Pflege des Bartes, und ganz beaondei*8 die des Schnurrbarts, eine ganz hervorragende Rolle.

Dass auch das Auge Bedeutung hat, ergibt sich aus der auffälligen Häufigkeit, mit welcher Liebes- und Eheleute von neuropathischem Auge sich zusammenfinden.

Der Zauber der Stimme des Mannes gilt auch dem Weibe gegen- über. Bedeutende Sänger haben leichtes Spiel mit Weiberherzen. In der Zahl der ihnen zukommenden Billetsdoux drllckt sich dieser Fetischzauber aus. Tenore sind entschieden im Vortheil Baryton- oder gar Bassstimmen gegenüber.

Bin et (op. cit.) theilt eine bezügliche Beobachtung von Dnmas mit, welche dieser in seiner Novelle (,.La maison du vent") verwerthete. Sie betraf eine Frau, welche sich in die Stimme eines Tenors verliebte und darüber ihrem Manne untreu wurde. Ueber pathologischen Feti.^tchis- mus beim Weibe gelang es mir bisher nicht Erfahrungen zu sammeln.



II. Physiologische Thatsachen,


Innerhalb der Zeit anatomisch-physiologischer Vorgänge in den Gene- rationsdrüsen finden sich im Bewusatsein des Individuums Drünge vor, ztir Erhaltung der Gattang heizatragen (Oescblechtstrieb).

Der Sexualtrieb in diesem Altei* der Geschlecbt-sreife ist ein physio- logisches Gesetz.

Die Zeitdauer der ADatomifich-physiologiscben Vorgänge in den Sexual- organen , gleichwie die Stärke des sich geltend machenden Sexualtriebes ist bei Individuen und Völkern verschieden. Kace, Klima, hereditäre und sociale Verhältnisse sind darauf von entscheidendem Einfiuss. Bekannt ist die grössere Sinnlichkeit der Südländer jjegeniiber den sexuellen Bedürfnissen der Nord- länder. Aber auch die sexuelle Entwicklung ist bei den I^ewohnern südlicher Himmelsstriche erheblich frühzeitiger als bei denen nördlicher. Während l>ei dem Weibe nördlicher Länder die Ovulation, erkennbar an der Entwicklung des Körpers und dem Auftreten periodisch wiederkehrender Bluttlüäse aus den Genitalien < Menstruation), gewöhnlich erst um das 13. bis 15. Lebensjahr er- scheint, beim Mtinne die Pubertätsentwicklung (erkennbar um Tieferwerden der Stimme, Entwicklun^^ von Haaren im Gesicht und am Mons veneris, an zeitweise auftretenden Pollutionen etc.) erst vom 15. Jahre an bemerklich wird, tritt die seschlechtliehe Entwicklung bei den Bewohnern südlicher Länder um mehrere Jahre früher ein, beim Weibe zuweilen schon im 8. Jahre.

Bemerkenswertb ist^ dass Stadtmädchen sich um etwa 1 Jahr früher entwickeln als Landmädchon. und dass. je grösser die Stadt ist, am so früher, ceteris paribus. die Entwicklung erfolgt.

Von nicht geringem Eintluss auf Libido und Potenz sind aber auch hereditäre Einflüsse. So gibt es Familien, in welchen, neben grosser Körper- kraft und Longaevitas, bedeutende Libido und Potenz bis in hohe Altersjahre sich erhalten, während in anderen die Vita soxuali» spät sich entwickelt und vorzeitig erlischt.

Beim Weibe ist die Zeit der ThUtigkeit der Generation sdrüseu enger begrenzt als beim Manne, bei dem die Spermabereitung bis ins höchste Alter fortdauern kann. Beim W^eibe hört die Ovulation etwa 30 Jahre nach ein-

getretener Mannbarkeit auf. Diese Penode der versiegenden Thfitigkeit der 'varien heisst der Wechsel (Klimakterium). Diese biologische Phase stellt nicht einfach eine Ausserfnnctionssetzung und schliessliche Atrophie der Generationsorgane dar , sondern einen Umwandlungsprocess des gesammten Organismus. Die Geschlechtsreife des Mannes in Mitteleuropa beginnt um das 18. Jahr. Die Potenz erreicht ihren Höhepunkt um das 40. Von da ab sinkt sie langsam.


Sexualtrieb. Eroction.


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Die Poteniia generandi des Mannes erlischt nieist am das 62. Jahr, die P. coeundi kann bis ins höhere Alter fortbestehen. Der Sexualtrieb bpsteht continnirlich in der Zeit des Geschlechtslebens mit wandelbarer Intensität. Er tritt unter physiologischen Bedingungen niemals iuterniittireiid (periodisch) zu Tage, wie beim Thier. Beim Manne schwankt seine IntensitUt auf und nieder mit der Ansammlung und Verausgabung von Sperma; beim Weibe fallen die Jteigerongen des Trieblebens mit dem Process der Ovulation zusammen, und ^ar so, dass postmenatrual die Libido spxualis am grOssten ist.

Der Sexualtrieb als Fühlen, Vorstellen und Drang ist eine Leistung der Hirnrinde. Ein Territorium in dieser, das ausschliesslich sexuale Empfindungen und Dränge vermittelte (Centrum eines Geschleehtssinn?), ist bis jetzt nicht ^nachgewiesen, muss aber nothwendig zur Erklärung der physiologischen That- ^eftchen angenommen werden. Ein solchps psyi^hosexuales Centrum kann aber nichts Anderes sein, als ein Sammel- und Kreuzungspunkt von Leitungsbahnen, die von da einerseits zu den motorischen und sensiblen Apparaten der Gene- rationsorgane führen, andererseits zu jenen Parthien des Gesichts-, Geruchs- etc. Centrums, welche Träger der Bewusstseinsvorg&nge sind, die zusammen die Vorstellung „Mann" oder ,,Weib" geben.

Die nahen Beziehungen, in welchen Sexualleben und Gemcbssinn *) zu einander stehen, lassen vermuthen, dass sexuelle und Olfactoriu&sphüre in der Hirnrinde einander räumlich nahe oder durch mächtige Associationsbahnen verknüpft sind. Die Entwicklung des Sexuallebens nimmt ihren Anfang aus Organempfindungen der sich entwickelnden Sexualdrtisen. Jene erregen die Aufmerksamkeit des Individuums. LekttSre, Wahrnehmungen im Öffentlichen Leben (heutzutage leider viel zu früh und häufig) führen die Ahnungen in deut- liche Vorstellungen über. Diese werden von organischen Gefühlen, und zwar Lu8t-('Wollust-)g^fühlen betont. Mit der Betonung erotischer Vorstellungen durch Lustgefühls entwickelt sich ein Drang zur Hervorrufung solcher (Ge- schlechtstrieb).

Es entwickelt sich nun eine gegenseitige Abhängigkeit zwischen Hirn- rinde (als Entstebungsort der Empfindungen und Vorstellungen) und den Generntionsorganen. Diese losen durch anatomisch-physiologische Vorgänge (Hyperämie, Spermabereitung, Ovulation) sexuelle Vorstellungen, Bilder und Drange aus.

Die Hirnrinde wirkt durch appercipirte oder reproducirte sinnliche Vor- stellungen auf die Generationsorgane (Hyperämisirung, Samenbereitung, Erec- tion, Ejaculation). Dies geschieht durch Centra der Gefässinnervatiou und Ejacnlation, die im Lendenmark, und jedenfalls einander räumlich nahe, sich befinden. Beide sind Refiexcentren.

Das Centrum erectionis (Goltz, Eckhard) ist eine zwischen Gehirn und Genitalappnrat eingeschaltete Zwisohonstation. Die Nervenbahnen, welche sie mit dem Gehirn in Verbindung setzen, laufen wahrscheinlich durch die Pedunculi cerebri und die Brücke. Dieses Centrum vermag durch centrale (psychische und organische) Reize, durch directe Reizung seiner Bahnen in Pedunculi» cerebri, Pons, Cervicalmark, sowie durch periphere Reizung sen- sibler Nerven (Penis, Clitoris und Annexa) in Erregung zu gerathen. Den» Einfluss des "Willens ist es direct nicht unterworfen.

Die Erregung dieses Cectrums wird durch in der Bahn des ersten bis dritten Sacralnerven verlaufende Nerven (Nenü erigentes — Eckhard) zu den Oorpp. cavemosa fortgeleitet.


^) Das Centrum für den Olfactoriui vermuthet Ferrier (Functionen du Ge- hirns) in der Gegend des Gyr. uncinatUH. Zuckcrkandl. „Heber da« Riechcentram* 1887, rindicirt aus vergleichend anatomischen Forschungen dem Ämmonshom die Zugehörigkeit zum Riechccntrum.


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Erectionffvorgang,


Die Thfitigkeit diesnr die Erention vermittelnden Nn. erigentes ist eine hemmende. Sie hemmen den gungUären Innervationsapparat in den Schwell- körpern, unter dessen Abhängigkeit die glatten Muskelfasei*n der Corpp. caver- nosa stehen (KöUiker und Kohlrausch), Unter dem Einflnss der Thiltig- keit der Nn. erigentes werden die glatten Muskelfasern der Scbwellkörper erschlafft und deren Räume mit Blut erfüllt. Gleichzeitig wird durch die erweiterten Arterien des Rindennetzes der Schwollkörper ein Druck auf die Venen des Penis geübt und der Rückfluss des Blutes aus dem Penis gehemmt. Unterstützt wird diese Wirkung durch Contraction der Mm. bulbo- und ischio- cavernosus, die sich aponeurotisch auf der RückenÜäche des Penis ausbreiten.

Das Erectionscentrura steht unter dem Einfluss von erregenden, aber auch von hemmenden Innervationen Seitens des Grosshirns. Erregend wirken Vorstellungen und Sinneswahrnehmungen sexualen Inhalts. Nach Erfahrungen bei Erhängten scheint das Erectionso^ntrum auch durch Erregung der Lei- tungsbabnen im Rückenmark in Thätigkeit treten zu können. Dass dies auch durch organische Reizvorgänge in der Hirnrinde (psychoseiuales Centrum?) möglich ist, lehren Beobachtungen an Hirn- und Geisteskranken. Direct kann das Erectionscentrum in Erregung versetzt werden durch das Luiuburmark treffende Rückenmarkserkranknngen (Tabes, Überhaupt Myelitis) in frühen Stadien.

Eine reflectorisch bedingte Erregung des Centrums ist durch Reizung der (peripheren) sensiblen Nerven der Genitalien und der Umgebung derselben durch Priction, durch Reizung der Harnröhre (Gonorrhoe), des Rectum (Hämor- rhoiden, Oxyuris), der Blase (Füllung durch Urin, besonders Morgens, Reizung durch Blasenstein), durch Füllung der Samenblasen mit Sperma, durch in Folge von Rückenlage und Druck der Eingeweide auf die Blutgefässe des Beckens entstandene H^'perämie der Genitalien möglich und häufig.

Auch durch Reizung der massenhaft im Prost atagewebe vorfindlichen Nerven und Ganglien (Prostatitis, Kathetereinfübrnng n. s. w.) kann das Erec- tionscentrum erregt werden.

Dass das Erectionscentrum auch hemmenden Einflüssen von Seiten des Gehirns unterworfen ist, lehrt der Versuch von Goltz, wonach, w^nn (bei Hunden) das Lendenmark durchschnitten ist, die Erection leichter eintritt.

Dafür spricht auch die Thatsache beim Menschen, dass Willensoinfluss, Gemüthsbewegungen (Furcht vor Misslingen des Coitus, Ueberraschung inter actum sexualem u. s. w.) das Eintreten der Erection hemmen, bezw. die vor- handene sistiren können.

Die Dauer der Erection ist abhängig von der Fortdauer erregender Ursachen (Sinnes-, sensible Reize), von dem Fernbleiben hemmender Vorgänge, der Innervationsenergie des Centrums, sowie von dem früheren oder späteren Eintreten der Ejaculation (s. u.).

Die centrale und oberste Instanz im sexuellen Mechanismus ist die Hirnrinde. Es ist gerechtfertigt, als Stelle für die Auflösung sexualer Gefühle, Vorstellungen und Dränge eine bestimmte Region derselben (cerebrales (Jentrura) zu vennuthen, als Entstehnngsort all der psycbLschsomatischen Vorgänj/e, die man als Oeschlechtsleben, Geschlecbtssinn, Geschlechtstrieb bezeichnet. Dieses CJentrum ist ebensowohl durch centrale als durch periphere Reize erregbar.

Centrale Reize können organische Erregungen durch Krankheiten der Hirnrinde darstellen. Physiologisch bestehen sie in psychischen Reizen (Er- innerungsvorstellungen und Sinoeswahrnehmungen).

Unter physiologischen Bedinirungeu handelt es sich wesentlich um optische Wahrnehmungen und Erinnerungsbilder (z. B. lascive Lektüre), femer um Tasteindrücke (Berührung, Händedruck, Kuss u. s. w.).

Jedenfalls spielen in physiologischer Breite Gehörs- und Geruchswahr- nehmungen eine sehr untergeordnete Rolle. Unter pathologischen Verhältnissen (s. u.) haben die letzteren entschieden eine sexuell erregende Bedeutung.


Bei den Thieren ist ein Einfluss der G oruchswAhrnohmangen auf den GeschlecbUsinn unverkennbar. Althaus (Beiträge zur Physiol. a. Pathol. des Olfactorius, Arch. für Psych. XU, H. 1) erklärt geradezu den Geruchssinn für wichtig bezüglich der ßeproduction der Gattunfj;. Er macht geltend, dass Thiere verschiedenen Geschlechts durch Geruchawahrnehmungen zu einander hingezogen werden und dass fast alle Thiere zur Branstzeit von ihren Geschlechtsorganen aus einen besonders scharfen Geruch verbreiten. Dafür spricht Rin Experiment von Schiff, der neugeborenen Hunden die Nn. olfac- törii exstirpirte und bei den herangewachsenen Thieren constatirte, dass das männliche Thier das Weibchen nicht herauszufinden vermochte. Ein entgegen- gesetzter Versuch von Mantegazza (Hygiene der Liebe), welcher Kaninchen die Augen entfernte und kein Hinderniss für die Begattung aus diesem Defect beobachtete, lehrt, wie wichtig der Geruchsinn für die Vita sexuuUs bei Thiereu sein dürfte.

Bemerkenswerih ist auch, dass manche Thiere (Moschusthier, Zibeth* katze, Biber) an ihren Genitalien Drüsen haben, die scharfriechende Stoffe seoeroiren.

Auch für den Menschen macht Althaus Beziehungen zwischen Ge- ruchs- und Geschlechtssinn geltend. Er erwähnt Cloquet (Osphrösiologie, Paris 1826), der auf den wollusterregenden Duft der Blumen aufmerksam machte und auf Richelieu hinwies, der zur Anregung seiner Geschlechts- functionen in einer Atmosphäre der stärksten Parfüms lebte.

Zippe (Wien. med. Wochenschrift 1879, Nr. 24) macht anlässlich eines Falles von Stehltricb bei einem Onanisten ebenfalls solche Beziehungen geltend und citirt als Gewährsmann Hildebrand, der in seiner populären Physiologie sagt: »Es lässt sich gar nicht lUugnen, dass der Geruchssinn mit den Geschlcchtsverrichtungen in einem schwachen Zusammenhang steht. Bluraen- düfte erregen oft wollüstige Empfindungen, und wenn wir uns der Stelle aus dem hohen Liede Salonionis erinnern: , Meine Hände troffen von Myrrhen und Myrrhen liefen über meine Finger an dem Riegel des Schlosses', so finden wir diese Bemerkung schon von dem weisen Salomo gemacht. Im Orient sind die Wohlgerüche wegen ihrer Beziehung zu den Geschlechtstheilen sehr beliebt und die Frauengemächer des Sultans duften von aller Blüten Gemisch.*

Most, Prof. in Rostock, erzählt (vgl. Zippe): »Von einem wollüstigen jungen Bauern erfuhr ich, dass er manche keusche Dirne zur Wollust gereizt and seinen Zweck leicht erreicht habe, indem er beim Tanze einige Zeit sein Taschentuch unter den Achseln getragen und der von Schweiss triefenden Tlnzeriu damit das Gesicht getrocknet hatte.*

Dass die nähere Bekannt.sehaft mit der Transspiration eines Menschen der erste Anlass zu einer leidenschaftlichen Liebe sein kann, beweist der Fall Heinrichs IH.. welcher sich zufUiUg bei dem Vermählujigsfest des Königs von Navarra mit Margaretha von Valois mittelst des schweisstriefenden Hemdes der Maria von Cleve das Gesicht getrocknet hatte. Obgleich letztere die Braut des Prinzen von Condö war, ITlhlte Heinrich dennoch sofort eine so leiden- schaftliche Liebe zu ihr, dass er ihr nicht widerstehen konnte und Maria da- durch, wie geschichtlich bekannt, höchst unglücklich machte. Analoges wird von Heinrich IV. erzählt, bei welchem die Leidenschaft zur schönen Gabriele von dem Moment an entManden sein soll, wo er auf einem Ball mit einem Taschentuch dieser Dame sich die Stirne getrocknet hatte.

Aehnliches deutet der „Entdecker der Seele*, Prof. J&ger, in seinem bekannten Buch (2. Autl.. 1880, Cap. 15) an, indem er p. 173 den Schweiss als wichtig für die Entstehung von Seiualaffecten und als besonders verführerisch ftuiieht.

Auch aus der Lektüre des Werkes von Ploss (Das Weib) ergibt sich, das« mannigfach in der Völkerpsychologie das Bestreben sich findet, durch die eigene Ausdünstung eine Person des anderen Geschlechts an sich zu ziehen.


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Geruclusinn uad Vita sexoafi».


BemerkeuBwerth in dieser Hiesicht ist eine von Jagor bericttete Sitte, die zwischen verliebten Eingeborenen uuf den Philippinen herrscht. Müssen sich dort Liebespaare trennen, so überreicht man sich gegenseitig Wäsche- stücke des eigenen Gebrauchs, mit Hülfe derer man sich der Treue versichert. Diese Gegenstände werden sorglUltig gehütet, mit Küssen bedeckt nnd — berochen.

Auch die Vorliebe gewisser Libertins und sinnlicher Frauen für Par- föms*) spricht für Zusammenhang von Geruchs- nnd Gescblechtssinn.

Bemerkenswerth ist auch ein von Heschl (Wiener Zeitschr. f. pract. Heilkunde, 22. Mürz 1B(>1) mitgetheitter Fall von Mangel beider Riechkolben bei gleichzeitiger Verkümmerung der Genitalien. Es handelte .sich um einen 45j&brigen , sonst wohlgebildeten Mann . dessen Hoden bohnengross , ohne Samen kanälchen waren, und dessen Kehlkopf von weiblichen Dimensionen er- schien. Jede Spur von Riechnerven fehlte; auch die Trigona olfactoria und die Furche an der unteren Fläche der Vorderlappen des Gehirns mangelten. Die Lücher der Siebplatte waren spärlich; statt Nerven traten durch dieselbe nervenlose Fortsätze der Dura. Auch in der Schleimhaut der Nase fand sich Mangel an Nerven. Bemerkenswerth ist endlich der bei Geisteskrankheit deut- lich hervortretende Consensus zwischen Geruchs- und Geschlechtsorgan, insofern sowohl bei masturbatorischen Fallen von Psychose bei beiden Geschlechtem, als auch bei Psychosen auf Grund von Erkrankung der weiblichen Genitalien oder klimakterischer Vorgänge Geruchshallucinationen überaus häufig, bei fehlender sexueller Veranlassung überaus selten sind.

Dass bei normalen Menschen Geruchsempfindungen, gleichwie beim Thier, eine hervorragende Rolle für die Erregung des sexualen Centrums spielen, möchte ich bezweifeln'). Bei der M^ichtigkeit dieses Consensus für das Ver- stflndniss pathologischer Fälle musste aber schon hier auf die Beziehungen zwischen Geruchs- und Geschlechtssinn eingegangen werden.

Eine interessante Tbatsache, Angesichts dieser physiologischen Beziehun- gen , ist auch eine gewisse histologische Uebereinstimmung zwischen Nase and Genitalorganen, indem sie (einschliesslich Brustwarze) erectiles Gewebe enthalten.

Merkwürdige physiologische und klinische Beobachtungen hat auch J. N. Mackenzie (Journal of medieal Science 1884, April) mitgetheilt. Er fand 1) dass bei einer gewissen Zahl von Frauen, deren Nasen ganz gesund waren, regelmässig mit der Menstruation eine „Anschoppung* der Nasenschwell- körper eintrat und mit dem Aufhören jener wieder schwand; 2) das Auftreten einer vicariirenden nasalen Menstruation, welche später meist durch uterinolen Blutfluss ersetzt wird, manchmal aber während des ganzen Gescblechtslebens menstrual wiederkehrt; -^l gelegentlieh in der Nase bei geschlechtlicher Aul- regnng auftretende Reizerscheinnngen , wie Niesen u. s. w. : 4) umgekehrt gelegentliche Erregung des genitalen Xractns bei Erkrankung an der Nase.


') Vgl. Laycock. Nervoua diaeaaee of women, 1940, drr die Vorliebe ftr Moschus nnd derlei Parfiims mit «exucller Krregnng bei Damen in Bexiehung fand.

  • ) Folgende Beobachtung, welche Bin et mittheilt, scheint mit dieser An*

nähme im Widerspruch. Leider iet Ober die Persönlichkeit des Gegenstandi jener Beobachtung nichts mitgetheilt. Unter allen Umständen bleibt sie sehr bezeichnend fQr den Consensus zwischen Geruchs- und Gesrhlechtwinn. Stnd. med. D. (:itat auf einer Bank in einer Öffentlichen Anlage, eifrig in einem Buch (über Pathologie) stndirend. Plötzlich stört ihn eine heftige Krection. Er schaut uuf und bemerkt, dais eine stark parftimirte Dame auf der nnderen Ecke der Bank Platx genommen hat, D. konnte sich die Erection nur durch den unbewusst ihm zugekommenen Geruchseindruck erklären.


Flagellation als sexueller Stimalos.


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So fand M. feruer, dass bei zahlreichen Frauen , welche ein Nasenleiden hatten, dasselbe während der Menstruation sich verschlimmerto; dass Excesse in Venere geeignet sind, eine Entzündung der Nasenschleimhaut hervorzurufen, oder eine schon bestehende z\i steigern.

Er weist auch auf die Erfahrung hin, doss Mastarbanten ganz gewöhn- lich uaseukrank sind , an abnormen Geraehsempfindungen häufig leiden, des- gleichen an Ubinorhayien. Nach M.'s Erfahrungen gibt es Erkrankungün der Nase, welche jeder Behandlung widerstehen, so lange nicht gleichzeitig be- stehende (ursächlicheV) Getiitalleiden beseitigt sind. Interessante Bestätigungen und Erweiterungen unserer Kenntnisse über den Oonsensus nariura et genita- lium bietet ein kürzlich erschienenes Buch von Fliess, «Die Beziehungen zwischen Nase und weiblichen GesL'hlechtsor^'anen* Wien (Deuticke) 1897.

Die sexuelle Sphilre in der Hirnrinde kann auch durch Vorgänge in den Generationsorganen im Sinne von sexuellen Vorstellungen und Drängen erregt werdt- n. Dies ist raüglich durch alle Momente, welche auch das Erections- centrum durch centripetale Einwirkung in Erregung versetzen (Reiz der ge- füllten Samenblasen, die geschwellten Graf sehen Follikel, irgendwie hervor* gerufene sensible Heizung im Bereich der Genitalien, Hyperämie und Turges- cenz der Genitalien, speeiell der erectilen Gebilde der Schwellkörper von Teuis, Clitoris. durch sitzende üppige Lebensweise, durch Plethora abdominalis, hoho .Äussere Temperatur, warme Betten, Kleidung, Genass von Canthariden, Pfeffer ^nd anderen Gewürzen).

Auch durch Reizung der Nerven der Gesässgegend (Züchtigung, Geisselung) kann die Libido sexualLs erregt werden*).

Diese Thalsache ist nicht unwichtig für das VerstÜndniss gewisser patho- logischer Erscheinungen. Zuweilen geschieht es, dass bei Knaben durch eine Züchtigung auf den Podex die ersten Regungen des Geschlechtstriebes wach- gerufen werden und ihnen damit die Anregung zur Masturbation gegeben wird, eine Erfahrung, die sich Erzieher merken sollten.

Angesichts der Gefahren, welche diese Form der Züchtigung Schülern bereiten kann, wäre es wünschenswerth , wenn sie von Eltern, Lehrern und Erziehern gänzlich aufgegeben würde.

^^ass passive Flagellation die Sinnlichkeit zu erwecken vermag, lehrt die im 1^. — IT». Jahrhundert verbreitet gewesene Rekte der Flagellanten'), die, theils aus Busse, theils um das Fleisch zu tödten (im Sinne dos von der Kirche geltend gemachten Keuschheitsprincips, d. h. der Emancipation des Geistea von der Sinnlichkeil) sich selbst geissellen.

Anfangs wurde diese Sekte von der Kirche begünstigt. Da aber durch das Flagelliren erst recht die Sinnlichkeit wachgerufen wurde und diese That- kche in unliebsamen Vorkomnmisseu sich kundgab, war die Kirche schliesslich ^genöthigt, gegen das Flagellantftnthom einzuschreiten. Bezeichnend für die Eflexuell erregende Bedeutung der Geisselung sind folgende Thatsachon aus dem 'Leben der beiden Geisselhcldinncn Maria Magdalena V(m Pazzi und Elisabeth von Genton. Die erstere, Tochter angesehener Eitern, war Karmeliternonne zu Florenz (um 1580) und erlangte durch ihre Geisselungen und noch mehr durch deren Folgen einen bedeutenden Ruf, weshalb sie auch in den Annalen Erwähnung findet. Es war ihre grösste Freude, wenn ihr die Priorin die H&nde auf den Kücken binden und sie in Gegenwart sämmtlicher Schwestern ftof die blossen Lenden geissein Hess.


') Muiboiuius, De tlagioruui usu iu re inedicu, London 17G5. — Beile au, The histor/ of the flagellant«, London 1783. — Doppet, Aphrodisiaqne externe, Paria 1788.

•) Corviu, Bist. Denkmale dos christlichen Fnnatj'amus 11, Leipzig 1847. — Föratemann, Die christlichen GeisslergeBellschaften, Halle 1828.


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Flagellation als sexaeller Stimulus.


Die schon von Jugend auf vorgeDOmiuenen Geisselungen hatten aber ihr Nervensystem ganz nnd gar zerrüttet und vielloicbt keine Geisseiheidin hatt«  90 viel iiallacinationen {»Entzückungen*) wie diese. Während derselben hatte sie es besonders mit der Liebe zu thun. Das innere Feuer drohte sie dabei zu verzehren und häutig schrie sie: ,Es ist genug! Entflamme nicht stärker diese Flamme, die mich verzehrt. Nicht diese Todesurt ist es, die ich mir wünsche, sie ist, mit allzu vielen VergDÜgungen und Seligkeiten verbunden.* So ging es immer weiter. Der Geist der ünreinigkeit aber bliess ihr die wol- lüstigsten und üppigsten Phantasien ein, so dass sie mehrmals nahe daran war, ihre Keuschheit zu verlieren.

Aehnlich verhielt es sich mit Elisabeth von Genton. Dieselbe gerieth durch das Gcissr-ln förmlich in bacchantische Wuth. Am meisten raste sie, wenn sie, durch ungewöhnliche Geisselung aufgeregt, mit ihrem pldeal* ver- m&hlt zu sein glaubte. Dieser Zustand war für sie so überschwRnglich be- glückend, dasa sie häufig ausrief: ,0 Liebe, o unendliche Liebe, o Liebe, o ihr Greaturen, rufet doch alle zu mir: Liebe, Liebe!* Bekannt ist auch die von Taxil (op. cit. p. 17'>} bestätigte Beobachtung, dass Wüstlinge, um ihrer gesunkenen Potenz aufzuhelfen, zuweilen sich vor dem geschlechtlichen Akt flagelliren lassen.

Diese Thatsachen finden eine interessante Bestätigung durch folgende Paullini's «FlageUum salutis* (1. Aufl. 1698, Neudruck Stuttgart 1847) ent- lehnte Erfahrungen:

,Es sind einige Nationen, namentlich die Persianer und Russen, so (bevorab die Weiber) Schläge für ein sonderbares Liebs- und Gnadenzeichen annehmen. Sonderlich sind die Kussischen Weiber fast nicht vergnügter nnd fröhlicher, nls wenn sie gute schlage von ihren Männern empfangen, wies Joanu barolarus mit einer merkwürdigen Historie erläutert. Es kam ein Teutscher, Namens Jordan, in Muscovien. und weil ihm das Land gefiel, Hess er sieb häuslich daselbst nieder, und nahm ein Russisch Weib, so er herlzlich liebte, und in ullem freundlich gegen sie war. Sie aber sähe immer runtz- licht aus, warff die Augen nieder und liess ach und wehe von sich hören. Der Mann wollte wissen, warum? denn er ja nicht ersinnen konte, was ihr fehlen mochte. Ey, sprach sie, was wolt ihr mich doch lieb haben, massen ihr dessen noch kein Zeichen habt spüren lassen. Er umbälsete sie, und bat, wo er sie etwa ohnversehens und unwissend beleidigt hätte, solches ihm zu verzeihen, er wolte es ja nimmer thun. Mir fehlt nichts, war die Antwort, als, nach unser Landes Manier, die Geissei, das eigentliche Merkmahl der Liebe, .lordun merckto diese Modo, und gewohnte sich dran, da fieng das Weib an den Mann hertzinniglich zu lieben. Eben solche Geschieht erzählt auch Peter Petreus von Erlesund mit dem Zusatz, wie die Männer gleich nach der Hochzeit unter andern unentbehrlichem Hausgeräth ihnen auch Peitschen zulegten. "

Auf S. 73 dieses merkwürdigen Buches sagt Verfasser weiter;

,Der berühmte Graff von Mirandnla, Joann Picus, zeugt vom ninem seiner guten Bekandten, dass er ein unersättlicher Kerles gewesen, doch aber so trage und untüchtig zum Zyprischen Streit, dass er nicht das Geringste vermochte, ehe und bevor er derb abgeschmiert war. Je mehr er er nun seinen Willen zu sättigen verlangte, je durchdringendere Schläge er begehrte, massen er seines Wunsches gar nicht theilhafft worden konnte, wann er nicht vorher bis aufs Blut abgepeitschet war. Zu dem ende liess er ihm eine eigne Peitsche machen. peÜzte solche den Tag zuvor in essig, hernach gab er sie seiner Ge- spiehlin, mit inständigster Bitte und gebognen Knieen, ja nicht fehl zu schlagen, sondern je düchter, je lieber. Der eintzle Mensch (meint der gut© Graff) sey dieser, so seine Leibeslust unter solcher Marter gefunden habe. Und weil er


I


lErogene Zonen.


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sonst eben der Scblimste nicht war, erkündt« und baste er zugleich seine Schwachheit. Gleiche Historie erwehnt Coelius Rhodigin, und aus diesem der berühmte Jurist Andreas Tiraquell. Zu des geachiekten Medici Otten Brun- felsen Zeit lebte in der Churbayerischen Residenzstadt München auch ein guter Schlucker, so aber seine Pflichtschuldigkeit, ohne vorhergehende scharffe Schläge nimmer abstatten konte. Auch kandte Herr Thomas Barthelin einen Vene- tianer, der durch blosse Schlüge zum Heyschlaf rauste erhitzt und angetrieben werden. Wie denn auch Cupido selbst seine Nachfolger mit einem hiazynthinen Stäblein hinder ihm hersohleppt. Zu Lübeok war vor wenig Jahren ein Kßse- krämer, in der Mühistrassen wohnend, so, wegen begangenen Ehebruchs, bey der Obrigkeit verklagt, die Stadt räumen solte. Die Metxe aber, mit der er zugehalten hatte, gieng zu den Gerichtsherrn, und thät eine Vorbitte seint- halb bey ihnen , mit Erzählung, wie Blutsaur ihm alle Gänge worden wären. Denn er ja nichts vermocht, wenn sie ihn nicht zuvor erbärmlich abgepriigelt bfitte. Der Kerl wolte es anfangs, aus Schaam und Vermeidung des Hohns, nicht allerdings gestehn . doch auf ernstlicheres Hefragen konte ers nicht ab- leugnen. In dem vereinigten Niederland sol gleichfalls ein ansehnlicher Mann dergleichen Trligheit an sich gehabt, und ohne SchlÖge zum Handel nicht ge- taugt haben. Wies abpr die Obrigkeit erfuhr, ward er nicht nur .seines Dien.ites entsetzt, sondern auch überdas gebührend abgestrafft. Ein glaubwürdiger Freund und Physicus einer vornehmen Reichsstadt, berichtete mich vom 14. Juli vorigen Jahrs, wie ein liederlich Weibsstück ihrer Gespielin vor weniger Zeit im Hospital erzählt habe, dass ein gewisser Mann Sie, beoeben einer an- dern von gleicher Gattung, in den Wald beschieden haben, und nachdem sie gefolgt, hätte ihnen der Kerl Ruthen abgeschnitten, und den blossen Hintern zum besten gegeben, und sie brav drauf hauen geheissen, welches sie auch gethan. Was er hiernechst ferner mit ihnen begonnen habe, ist leichUirh xu schliessen. Nicht aber wurden nur die MUnner durch Schläge zur Geilheit erhitzt und aufgemuntert, sondern auch die Weiber, damit sie desto ehe und mehr emp6ngen. Das Römische Frauenzimmer Hess sich von den Lupercis deeswegen i>eitschen und geissein. Denn so singt Juvenal:

„ Steriles moriuntur, et illis

Turgida non prodest condita pyscido Lyde: Neu prodest agili palmas praebere Luperoo.*

Auch von einer Reihe anderer Haut- und Scbleimbautbezirke kann, so- wohl beim Manne als auch beim Weibe, Erection und Orgasmus, ja selbst der Ejaculattonsvorgang ausgelöst werden. Diese ,erogenen* Zonen sind beim Weibe, solange es Virgo ist, die Clitoris, nach erfolgter Defloration auch die Vagina und der Cervix uteri.

Besonders erogen scheint beim Weib überhaupt die Brustwarze zu wirken. Titillatio hujus regionis spielt in der Ars erotica eine hervorragende Rolle. In seiner topograph. Anatomie 1865 Bd. I p. &52 citirtHyrtl Val, Hilden- brandt, der eine besondere Anomalie des Sexualtriebs, die er Suctusstupratio nannte, bei einem Mädchen beobachtete. Dasselbe Hess sich von seinem Galan an den Mammae saugen und brachte es durch Zerren au denselben allmälig dahin, das Saugen mit dem eigenen Munde voiYunehmeu, was ihr die ange- nehmsten Gefühle verursachte. H. weist auch darauf hin, das bei Kühen das Selbstaussaugen der Euter vorkomme.

L. Brunn (Zeitg. f. Literatur etc. d. Hamburg. Correspondenten 1889 Nr. 21 in einem interessanten Aufsatz .über Sinnlichkeit und NUcbstenliebe"! macht geltend, wie eifrig die säugende Mutter ^ans Liebe zum Schwachen, Unentwickelten, Hülflosen* sich dem Geschäft des Stillens des Kindes widmet.

Es liegt nahe, zu vermuthen, dass neben den erwähnten elhiscben Be- ziehungen auch der Umstand, dass das Silugen mit körperlichen Lustgefühlen verbunden sein dürfte, eine Rolle spielt. Dafür spricht die weitere, an und


30


Akt der CobabiUtion,


für sict ganz riclitige, aber einsfitig gedeutete BemerkuDg Brunn's, dass nach Houzeau's Erfahrungen Iwi den meisten Thieren nnr während der Zeitperiode des Säugens die Beziehungen zwischen Mutter und Jungen innige sind und später völliger Gleiehßültigkeit weichen.

Dasselbe (Abstumpfung der Gefühle für das Kind nach dem Abstillen) fand Bastian u. A. auoh bei wilden Völkern.

unter pathologisohen Verhaltnissen, wie u. A. aus einer Th6se de doctorat ron Chambard hervorgeht, können (bei Hysterischen) auch Körperstellen in der Nähe der Mammae sowie der Genitalien die Bedeutung erogener Zonen gewinnen.

Beim Manne ist- physiologisch die einzige erzogene Zone die Glans penis und vielleicht noch die Haut der ilusseren Genitalien.

Unter pathologischen Verhältnissen kann der Anus erogenes Gebiet sein — dumit würde sieh anale Autoraasturbation, die nicht allzu selten vor- zukommen scheint, und passive Päderastie erklären. (Vgl. Garnier, Anomalies sexuelles, Paris, p. öl4; A. Moll, Conträre Sexualempöndung, *2. Aofi. p. 222; Frigerio, Archivio di Psichintria 189:3; Cristiani, Archivio delle Paicopatie sessnali p. 1H2 ,autopederastia in un alienato, aflVtto da follia periodica*.)

Der psycho-physiologische Vorgang, welchen der Begriff Ge- schlechtstrieb umfasst, setzt sich zusammen

1) aus central oder peripher geweckten Vorstellungen,

2) aus damit sich associirenden Lustgefühlen.

Daraus entsteht der Drani^ zu gesohlechtlicher Befriedigung (Libido seiualis). Dieser Drang wird immer stärker in dem Masse, als die Erregung des cerebralen Gebiete^ durch bezügliche Vorstellungen und durch Herein- greifen der Phantasie die Lustgefühle potenzirt und durch Erregung des Erec- iionsL'entrums und damit Hyperilniisirung der Genitalorgane diese Lustgefühle zu Wollustgefühlen (Austreten von Liquor prostaticus in die Urethra u. s. w.) steigert.

8ind die Umstände günstig zur Ausübung des individuell befriedigenden Geschlechtsakts, so wird dem immer mehr anwachsenden Drang Folge geleistet, andernfalls treten hemmende Vorstellungen dazwischen, verdrängen die ge- schlechtliche Brunst, hemmen die Leistung des Erectionscentrums und ver- hindern den geschlechtUcheu Akt.

Für den Culturmensuhen ist erforderlich und entscheidend die Bereit- schaft von solchen den geschlechtlichen Drang hemmenden Vorstellungen. Von der Stärke der treibenden Vorstellungen und der sie begleitenden organischen Gefühle einer- und der der hemmenden Vorstellungen andererseits hängt die sittliche Freiheit des Individuums ab und die Entscheidung, ob es nach Um- stünden zur Ausschweifung und selbst zum Verbrechen gelangt. Auf die Stärke der treibenden Momente haben Constitution, überhaupt organische Ein- flüsse, auf die der Gegenvorstellungen Erziehung und Selbsterziehung gewich- tigen Eintluss.

Treibende und hemmende Kräfte sind wandelbare Grössen. Verhängniss- voll wirkt in dieser Hinsicht der Alkobolübergenuss, insofern er die Libido sexnalis weckt und steigert, gleichzeitig die sittliche Widerstandsrahigkeit herabsetzt.

Der Akt der Cohabifation ^).

Grundvoraussetzung für den Mann ist genügende Krection. Mit Recht macht Anjel (Archiv für Psychiatrie VTII, H. 2) darauf aufmerksam, dass bei der sexuellen Erregung nicht bloss das Erectiouscentrum erregt wird,


') Vgl. Koubaud, Traite de Timpuis&ance et de la fiterilit^. Paris 1878.


CohAbitation.


31


sondern dass die Nerven erregiing sich anf das f^&nzB vasomotorische Nerven- system fortpllunzt. Beweis dafür ist der Turgor der Organe beim sexuellen Akt, die Injection der Conjunctiva. die Prominenz der Bulbi, die Erweiterung der Pupillen, das Herzklopfen (durch Lähmung der ans dem Halssympathicus stammenden vasomotorischen Herznerveu. dadurch Erweiterung der Bensarterien und in Folge der Wallungshyperilmie stärkere Erregung der HerzganjjlienJ. Der Geschlechtsakt geht mit einem Wollustgefühl einher, das beim Manne durch (in Folge der sensiblen Reizung der Genitalien reflectorisch hervorgeru- fenes) Eintreten von Sperma durch die Ductus ejaculatorii in die Urethra angeregt sein dürfte. Das Wollustgefühl tritt beim Manne früher auf, als beim Weibe, schwillt zur Zeit der beginnenden Ejaculation lawinenartig an, erreicht seine Höbe im Moment der vollen Ejaculation, um post ejaculalionem rasch zu schwinden.

Beim Weibe tritt das Wollustgefühl später und langsam ansteigend auf and überdauert meist den Akt der Ejaculation.

Der entscheidende Vorgang bei der Cohabitation ist die Ejaculation. Diese Function ist abhftngig von einem Centrura (genito-spinale), das Budge in der Hübe des 4. Lendenwirbels nachgewiesen hat. Dasselbe ist ein Reflex- eentrum; der dasselbe erregende Reiz ist das durch Reizung des Glans penis aus den Samenblasen retlectorisch in die Pars membraiiacea urethrae getriebene Sperma. Sobald diese unter wachsendem Wollustgefühl vor sich gehende Samenentleeruugeine entsprechend grosse Quantität darstellt, um als genügender Reiz auf das Ejaculationsoentram zu wirken . tritt dieses in Action. Die motorische Reflexbahn befindet sich in dem 4. und 5. Lumbalnerven. Die Action besteht in einer convulsivischen Erregung des M. bulbocavernosus (innei-virt vom 3. und 4. Sacralnerv), wodurch das Sperma herausgeschleu- dert wird.

Auch beim Weibe findet auf der Höhe seiner geschlechtlichen und wol- lüstigen Erregung ein reflectorisch bedingter Bowegungsakt statt. Er wird eingeleitet durch die Reizung der sensiblen Genitalnerven und besteht in einer perist al tischen Bewegung in den Tuben und im Uterus bis zur Portio vaginalis, wodurch der Tubar- und Uterinscbleiiu ausgepresst wird. Eine Hemmunjr des Ejacululionscentiums ist möglich durch Hirnrindeneinfluss {Unlust beim Coitus, überhaupt Gemüthsbewegnngen. sowie einigerraassen durch Willenseinßuss).

Mit dem vollzogenen Geschlechtsakt schwinden normaler Weise Erection und Libido seKualis. indem die psychische und geschlechtliche Erregung einer behaglichen Erschlaffung Platz macht.


III. Allgemeine (Nenro- und Psycho-) Pathologie^),


üeberaus häufig erweisen sich bei dem Culturmenschen die sexualen Funktionen abnorm. Diese Thatsache findet zum Theil ihre Erklärung

') Literatar. Farent-Duchate]et, Prostitation dana la ville de Paria 1837. — Bosenbaum, Entstehung der Syphilis. Halle 1839. — Derselbe, Die Lustseuche im Älterthum. Halle 1839. — Descuret, La mädecine des passions. Paris 1860. — Casper, Klin. Novellen 1860. — Bastian, Der Mensch in der Geschichte. — Friedländer, Sittengeschichte Borns. — Wiedemeiater, Cäsaren- wahnainn. — Scherr, Deutsche Kultur- und Sittengeschichte Bd. I, Cap. 9. — Jeannel» Die Prostitution, deutsch von Müller, Erlangen 1869. — t. Erafft, Neue Forschungen auf dem Gebiete der Psycbopathia sexualis. 2. Aufl., Stuttgart 1891. — Taxil, La Prostitution contemporaine. Paris 1884. — Frank Lydston, Philadelph. med. and surg. reports 1889. — Urquhardt, Journal of mental science 1891, Jan. — Antonini, Acbiv. di Paicbiatria XII, 1.2. — Cantarano, Zeitschr. KLaPsichiatria" V, 2. 3. — Krauss, Psychologie des Verbrechens 1884. — Eiernan, Medic. Standard 1889, Nov. — Delcourt, Le vice ä Paris 1889. — Lombroso, L'uomo delinquente. 2. Aufl. 1878- — Toulmouche, Annal. d'hygiene 1868. — Giraldda et Horteloup, ebenda 1876, p. 419. — Eulenburg, Klin. Handb. d. Harn- und Sexualorgane 1894, 4. AbthL, p. 36. — Moll, Untersuchungen über die Libido sexualis 1897. — Archivio delle psicopatie sessuali, Neapel (1896) volume unico. — Tardieu, Des attentats aux moeurs, 7. ödit. 1878. — Emminghaus, Psychopathol. p. 98. 225. 230. 232. — Schule, Handbuch der Geisteskrankheiten p. 114. — Marc, Die Geisteskrankheiten, über», v. Ideler, II, p. 128. — v. Krafft, Lehrb. d. Psychiatrie. 5. Aufl. I, p. 83; Lehrb. d. ger. Psychopathol. 3. Aufl. p. 2,79; Archiv f. Psychiatrie VII, 2. — Moreau, Des aberrations du sens genösique. Paris 1880. — Kirn, AJlg. Zeitachr. f. Psychiatrie 39, Heft 2 u. 3. — Lombroso, Ge- schlechtstrieb und Verbrechen in ihren gegenseitigen Beziehungen (Goltdammer's Archiv, Bd. 30). — Tarnowsky, Die krankhaften Erscheinungen des Geschlechts- ainnes. Berlin 1886. — Ball, La folie erotique. Paris 1888. — S^rieux, Re- cherches cliniques sur les anomalies de l'instinct sexuel. Paris 1888. — Hammond, Sexuelle Impotenz, übers, v. Sali in ger. Berlin 1889.

üeberaus gross ist die Zahl französischer Romanciers, welche sexuelle Per- versionen behandeln, so z. B. Catulle Mendös, Pöladan, Lemonnier, Dubut de la Forest („L'homme de joie"), Huysmans („L& baa*), Zola.


Schema der sexualen Neuroi;en.


SS


in dem vielfachen Misabrauch der Generationsorgane ^ zum Theil in dem umstand, dass solche Functionsanomallen häufig Zeichen einer meist erb- lichen krankhaften Veranlagung des Centraüierrenäjstems („functionelle D«generation8zeichen") sind.

Da die Generationsorgane aber in bedeutsamer functioneller Relation zu dem ganzen Nervensystem und zwar in seinen psychischen wie soma- tischen Beziehungen stehen, hegreift sich die Häutigkeit der aus sexuellen (functionelleii oder organischen) Störungen hervorgehenden allgemeinen Neurosen und auch Psychosen.


Schema der sexualen Neurosen.

I. Periphere Neurosen»

1) Sensible, a) Anästhesie, b) Hyperästhesie, c) Neuralgie.

2) Secretorische. a) Aspermie, b) Polyspermie,

3) Motorische, a) Pollutionen (Krampf)- b) Spermatorrhöe (Lähmung).


II. Spinale Neurosen. 1) Affectionen des Erectiouscentnuns.

a) Reizung (Priapisiiiu.s) entsteht reÜectoriscb durch periphere seuslble Reize (z. B. Gonorrböo), direct durch organische Reizung der Leitungsbahnen vom Gehini zum Erectiüiiscentram (spinale Erkiankungen im unteren Cervical- und oberen Dorsalmark) oder des Centrums selbst (gewisse Gifte) oder durch

jychische Reize.

Im letzteren Fall besteht Satyriasis, d. h. abnorm lange Andauer von Erection mit Libido sexnaÜs. Bei blosser reflectorischer oder directer orga- nischer Reizung kann die Libido fehlen und der Priapismus selbst mit Unlust- gefuhlen verbunden sein.

b) Lähmung entsteht durch Zerstörung des Centrums oder der Lei- tungsbahnen (Nervi erigentes) bei Bückenmarkskiankheiten (paralytische Im- potenz).

Eine mildere Form stellt die verminderte Erregbarkeit des Centrama dar. in Folge von Ueberreizung desselben (durch sexuelle ExcessB, besonders Onanie) oder durch Intoxication mit Alkohol, Bromsalzen u. s. w. Sie kann mit cere- braler An ilsthesie verbunden sein, o(l auch mit solcher der äusseren Genitalien. Bäatiger findet sich hier cerebrale Hyperästhesie (gesteigcrto Tiibido sexunli». Lüsternheit).

T. Krafft-Ebing, Pnychopathia sexnaliü, 10. Aofi.


34


AfifectJoneii des iiljaculatioiisoeutniius.


Eine eigene Form verminderter Erregbarkeit stellen diejenigen F&llö dar, wo das Centrmn nur auf gewisse Reize anspmcbäfUbig ist und mit einer Erection antwortet. So gibt es Männer, bei welchen der sexuelle Contact mit der züchtigen Ehefrau nicht das nOtbige Beizmoment zur Erection abgibt, wohl aber diese eintritt, wenn der Akt mit einer Dirne oder in Form einer wider- natürlichen sexuellen Handlung verursacht wird. Soweit hier psychische Reize in Betracht kommen, können sie sogar inadäquate sein (s. u. Parästhesie und Perversion des Sexuallebens).

c) Hemmung. Das Erectionscentrum kann durch vom G-ehirn kommende cerebrale Einflüsse functionsunföhig sein. Dieser hemmende EinÖuss ist ein emotioneller Vorgang (Ekel. Furcht vor Ansteckung) oder die Vorstellung*) der ungenügenden Potenz. Im ersteren Fall befinden sich vielfach Männer, die unüberwindliche Abneigung gegen die Frau haben, oder Furcht vor In- fection, oder mit perverser Qeschlechtsempfindung behaftet sind; im letzteren Fall befinden sich Neuropathikor (Neurasthenische, Hypochonder), vielfach auch in ihrer Potenz Geschwächte (Onanisten), die Grund haben oder zu haben glauben, Misstrauen in ihre Potenz zu setzen. Der bezügliche psychische Vor- gang wirkt als Hemmnngsvorstellnng und macht den Akt mit der betreffenden Person des anderen Geschlechts temporär oder dauernd unmöglich.

d) Reizbare Schwäche. Hier besteht abnorme Anspruchsfähigkeit, aber rascher Nachlass der Energie des Oentrums. Es kann sich um functioDelle Störung im Centrum selbst, oder um Innervationssch wache der Nn. erigentes handeln , oder um Schwäche des M. ischiocavernosus. Im Cebergang zu den folgenden Anomalien ist noch der Fälle zu gedenken , wo durch abnorm frühe Ejaculaüon die Erection unausgiebig ist.


2) Affectionen des I^aculationBceninunB.

a) Abnorm leichte Ejaculation durch mangelnde cerebrale Hemmung in Folge grosser p.sychisüher Erregung oder durch reizbare Schwäche des Cen- trums. In diesem Fall gentigt nach Umständen die blosse Vorstellung einer lasciven Situation, um das Centrum in Action zu versetzen (hohe Grade von spinaler Neiuasthenie, meist durch sexuellen Missbrauch). Eine dritte Mög- lichkeit ist Hyperaesthesia urethrae, vermöge welcher das austretende Sperma eine sofortige und stürmische Refloxaction des Ejaculationscentrums auslöst. Hier kann die blosse Annäherung an die weiblichen Genitalien genügen, um die Ejaculation (ante portam) herbeizuführen.

Bei Hyperaesthesia urethrae, als [Jrsaohe, kann die Ejaculation mit einem Schmerz- statt einem WoUustgefuhl ablaufen. Meist besteht in Fällen , wo Hyperaesthesia urethrae vorhanden ist, zugleich reizbare St*hwäche des Cen- trums. Beide FunctionsstÖrungen sind wichtig für die Vermittlung der Pol* latio nimia und diurna.

Das begleitende Wollustgefiihl kann pathologisch fehlen. Derlei kommt bei belasteten Männern und Weibern vor (Anästhesie. Aspermie?), ferner in Folge von Krankheit (Neurasthenie. Hysterie), oder (bei Meretrices) in Folge von üeberreizung und dadurch bedingter Abstumpfung. Von der Stärke des Wollastgefühls hängt der Grad der den Geschlechtsakt begleitenden psychischen und motorischen Erregung ab. Unter pathologischen Bedingungen kann diese


I


') Ein intereesantes Beispiel, wonach auch eine (Zwangs-) Vorstellung nicht sexuellen Inhalts im Spiel sein kann, erzählt Magnan, Ann. möd. psych. 1885: Student, 21 Jahi-e, erblich stark belastet, frOher OnaniBt, hat bestandig mit der Zahl 13 als Zwangs Vorstellung zu kämpfen. Sobald er coitiren will, hemmt die betreffende Zwangsvorstellung die Erection und macht den Akt unmöglich.


Cerebral bedingte NeuroBen.


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sich so hoch steigern, dass die Coitusbewegnngen ein dem Willen entzogenes couvnlsivisches Gepräge gewinnen, selbst sich bis zu allgemeinen Conrulsionen erstrecken.

b) Abnorm schwer eintretende Gjaculation. Sie ist bedingt durch Unerregbarkeit des Centrums (raan/jelnde Libido, Lähmung des Centiiims, organisch durch Gehirn- und Rückenmiirkskrankheiten, functioncU durch sexuellen Missbrauch, Marasmus. Diabetes, Morphini^^mus), hier dann meist mit AnÄsthesie der Genitalien und LJlhmung des Erectionscentrums verbunden. Oder sie ist die Folge einer Läsion des Reflexbogens oder peripherer Anaes* tbesia (urethrae) oder der Aspermie. Die Ejaculaliou tritt gar nicht oder verspätet ein im Verlauf des sexuellen Aktes, oder erst später, in Form einer PoUutioD.


III. Cerebral bedingte Neurosen.

1) Paradoxia^ d. h. sexuale Erregungen ausserhalb der Zftit anatomisch -physiologiäch er Vorgänge im Bereich der Generationsorgane,

2) Anästhesie (fehlender Geschlechtstrieb). Hier lassen alle »rganiscben Impulse von den Qenerationsorganen aus, gleichwie alle Vor- stellungen, alle optischen, acustischen und olfactorischen Sinneseindrücke das Individuum sexuell unerregt. Physiologisch isl; die Erscheinung im Kindes- und im höheren Öreiscnalter.

3) HyperästheHiu (vermehrter Trieb bis zur Satyriasis). Hier besteht abnorm starke Anspruchsfähigkeit der Vita sexualis auf organische, psychische und sensorielle Reize (abnorm starke Libido, Lüsternheit, Geil- heit). Der Reiz kann central (Nymphomanie, Satyriasis) oder peripher, functionell oder organisch ein.

4) Parästhesie (Perversion des Geschlechtstriebs, d. h. Erregbar- keit des Sexuallebens durch inadäquate Reize).

Diese cerebralen Anomalien fallen in das Gebiet der Psychopatho- )gie. Die spinalen und die peripheren können mit den ersteren combinirt vorkommen. In der Regel finden sie sich jedoch bei geistig Gesunden. Sie können in verschiedenen Combinationen vorkommen und den Anlass zu sexuellen Delicfcen geben. Aus diesem Grund verlangen sie Berück- sichtigung in der folgenden Darstellung. Das Hauptinteresse nehmen jedoch die cerebral bedingten Anomalien in Anspruch, da sie Überaus häufig zu perversen und selbst criminellen Haudlungeu führen.


A. Faradoxie. Sexualtrieb aunserhalb der Zeit aiiatomiscli- pliysiologiNeiier YorgÜnge.

1) Im Eindesalter auftretender Geschlechtstrieb.

Jeder Nerven- und jeder Kinderarzt kennt die Thatsache, dass schon bei kleinen Kindern Regungen des Geschlechtslebens auftreten können.


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Faradoxia sexualu. Sexualtrieb bei Kindern.


Bemerkenswerth in dieser Hiiisicht sind UltzmaDn's Mittheilungeu über Masturbation ira Kindesalter ^). Man muss hier unterscheiden zwischen den zahlreichen Fällen, wo durch Phimosis, Balanitis, Oxyuris in Anus oder Vagina Kinder Jucken in den Genitalien bekommen, au diesen heruni- manipuliren, davon eine Art Wollustreiz empfinden und so zur Mastur- bation gelangen, und zwischen jenen Fällen, wo ohne peripheren Anlass, auf Grund cerebraler Vorgänge, beim Kind sexuale Ahnungen und Dränge auftreten. Nur in letzteren Fällen kann von einem vorzeitigen Hervor- treten des Geschlechtstriebs die Rede sein. Immer durfte es sich hier um eine Theilerschcinung eines neuro-psjchopathischen Belastungszustandes handeln.

Eine Beobachtung von Marc (Die Geisteskrankheiten etc. von Ideler I, p. 66) illustrirt treft'end diese Zustände. Gegenstand derselben war ein acht- jähriges Mädchen aus ehrenwerther Familie, das, aller kindlichen und mora- lischen Geluhle baar, seit dem 4. Jahr luasturbirte, praeterea cum pueris decem usque ad duo'iecim annos natis stupra fecit. Es scliwelgte in dem Gedanken, seine Eltern umzubringen , um sie bald zu beerben und dann mit Männern sich zu vergnügen.

Auch in diesen Fällen von vorzeitig sich regender Libido verfallen die Kinder der Masturbation , and da sie schwer belastet sind, versinken sie häutig in Blödsinn und fallen schweren degenerativen Neurosen oder Psychosen anheiui.

Lombroso (Archiv, di Psichiatria IV, p. 22) hat eine Anzahl hierher- gehöriger, schwer erblich belastete Kinder betreffender Fülle gesammelt, so den eines Madchent, das mit 3 Jahren schamlos und hemmungslos masturbirte. Ein anderes Mädchen begann mit 8 Jahren, setzte die Onanie auch in der Ehe und namentlich in der Schwangerschaft fort. Sie gebar 12mal, 5 Kinder starben früh, 4 waren Hydrocephali, 2 davon (Knaben) ergaben sich mit 7. bezw. 4 Jahren der Masturbation.

, Zambaco O'^i^^^phale 1882, Nr. 1. 2) gibt die entsetzliche Geschiebte zweier Schwestern mit prämaturem und perversem Sexualtrieb. Die ältere R. masturbirte schon mit V Jahren, stupra cum pueris faciebat, stahl, wo sie nur konnte, sororem quatuorannorum ad masturbationem illexit, trieb mit 10 Jahren schon die grössten Seheusslicbkeiten, war nicht einmal durch Ferr. candens ad clitoridem von ihrem Drang abzubringen , masturbirte sich u. A. mit der Sutane des Geistlichen, während dieser ihr zusprach, sich zu bessern etc. Vgl. f. den von Magnan, Psychiatr. Vorlesungen, deutsch v. Mobius (Tl. u. III. Heft, p. 27), geschilderten Fall von prämaturer und perverser Vita sexualis bei einem herediutr degenerativen 1 2jährigen Mädchen. Weitere Fälle eben da p. 1 20 und 121.



  • ) Aach Louyer-Villermay berichtet Onanie von einem 3 — 4 Jahre alten

Mädchen, ebenso Moreau (Äberrations du aene g^nfdique, 2. ^dit. p. 209) von einem jährigen. Siebe ferner Maudeley, Physiologie und Pathologie der Seele, Über- «etat von Böhm. p. 218. — Hirschsprung (Kopenhagen). Berl. klin. Woohenschr. 1886, Nr. 38. — Lombroso. Der Verbrecher. Überaetat rouFränkel. p. 119 a. ff, (besonders Fall 10. 19. 21).


laltrieb im Greisenalter.


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2) Im Greisenalter wieder erwachender Oeschlecfatstrieb *).

Es gibt seltene Fälle, wo bis zum höheren Greisentilter der Qe- scKlecbtstrieb fortbesteht. ^Senectus iion quidem annis sed viribus magis aestimatur" (Zittmann). Oesterlen (Ma.scbka, Handb. III, p. 18) berichtet sogar von einem 83 jährigen Mann, der von einem wQrtteffl- bergischen Schwurgericht wegen Unzuchtvergehens zu drei Jahren Zncht- haus verurtheilt wurde. Leider erfahrt man nichts über Art des DeÜcts und psychischen Zustand des Thäters.

Das Bestehen von Aeusserungeu des Geschlechtstriebs bei Männern in höherem Alter ist au und für sich jedenfalls nicht pathologisch. Prä- sumptionen auf pathologische Bedingungen müssen sich aber nothwendig ergeben, wenn das Individuum decrepid ist» sein Geschlechtsleben schon längst erloschen war, der Trieb bei dem zudem vielleicht früher sexuell nicht sehr bedürftigen Menschen mit grosser Stärke sich geltend macht und rOck- «ichtslos, schamlos, selbst pervers Befriedigung erstrebt.

In solchen Fällen wird schon der gesunde Menschenverstand patho- logische Bedingungen vermuthen. Die medicinische Wissenschaft kennt die That«ache , dass ein so qualificirter Trieb auf krankhaften Verände- rungen im Gehirn, die zu Greisenblödsinn führen, beruht. Diese krankhafte Erscheinung des Geschlechtslebens kann ein Vorbote der senilen Demenz sein und sich jedenfalls lange vorher einstellen, ehe es zu greifbaren Erschei- nungen inteUectueller Schwäche kommt. Immer wird der aufmerksame und erfahrene Beobachter schon in diesem Prodromalstadium eine Umwandlung des Charakters in pejus und eine Abschwächung des moralischen Sinnes zugleich mit der auffällenden geschlechtlichen Erscheinung nachweisen können.

Die Libido des seniler Demenz Entgegengehenden äussert sich zu- nächst in lasciven Reden und Gesten. Das nächste Augriflsobject dieser der Hirnatrophie und psychischen Degeneration verfallenden cynischen Greise sind Kinder. Die leichtere Gelegenheit, an solche zu gerathen, gewiss aber wesentlich das Gefühl mangelhafter Potenz dürften diese traurige und bedenkliche Thatsache erklären. Mangelhafte Potenz und tief gesunkener moralischer Sinn machen die weitere Thatsache begreif- licli, warum die geschlechtlichen Akte dieser Greise perverse sind. Sie sind eben einfach Aequivalente des unmöglichen physiologischen Aktes.

Als solche verzeichnen die Annalen der gerichtlichen Medicin £z-


'} Vgl. Kirn, Zeitscbr. f. Psych. Bd. 39. - Legrand da Saulle. Annul. d*h7g. 18ü@ oct.


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Anaesthena sexnalii.


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tlich zuwenden kann , geht schon aus der Lektüre S c h o p e n- lauer's *) hervor. Die Art der Befriedigung ist hier passive Päderastie oder, wie ich aus folgendem Fall erfuhr, mutuelle Masturbation.

Beobachtung 2. Herr X., 80 Jahre alt, von hohem Stand, luis be- lasteter Familie, von jeher sexuell sehr bedürftig nnd Cyniker, von abnormem und jtihzomigem Charakter, zog nach eigenem Geständniss schon als junger Mensf^h Masturbation dem Coitns vor, bot aber nie Erscheinungen von contrUrer Sexualität, hatte Maitressen » zeugte mit einer derselben ein Kind, heirathete 48 Jahre alt ans Nei^ng, zen^e noch fi Kinder, gab seiner Gemahlin Zeit seiner Ehe nie zu Klagen Anlass. Die Verhältnisse seiner Familie konnte ich nur unvollkommen erfahren. Sichergestellt ist, dass sein Bruder im Verdacht mannmännlioher Liebe stand und dass ein Neffe in Folge excessiver Mastur- bation irrsinnig wurd«.

Seit Jahren hat sich der von Hause eigenartige, jilhzorni^fe Charakter des Patienten immer extremer gestaltet. Er ist äusserst misstrauisch geworden und eine gerinfffügige Conbrarürung seiner Wünsche bringt ihn in niasslosen Affect bis zu WuthanfJlllen, in welchen er sogar die Hand gegen seine Ge- mahlin erhebt.

Seit einem Jahr bestehen deutliche Zeichen einer Dem. senilis incipiens. Patient ist vergesslich geworden, er localisirt falsch in der Vergangenheit und ist zeitlich nicht recht orientirt. Seit 14 Monaten bemerkt man an dem alten Herrn eine wahre Verliebtheit gegenüber einzelnen männlichen Dienstboten, namentlich einem Gfirtnerbnrschen. Sonst schroff und vornehm gegenüber Untergebenen, üherhiluft er diesen Favori mit Gunstbezeugungen und Ge- schenken und befiehlt seiner Familie und seinen Hausofficianten, ihm mit dem frOssten Respekt zu begegnen. Mit wahrer Brunst erwartet der Alte die tunden des Rendezvous. Er schickt seine Familie fort, um ungestört mit dem Favoriten zu sein, billt sich stundenlang mit ihm eingeschlossen und wird, wenn dio Thüren sich wieder öffnen, ganz erschöpft auf dem Ruhebett ge- troffen. Neben diesem Geliebten hat Patient aber episodisch noch Verkehr it anderen Dienern. Hoc constat amatos eum ad se trahere, ab üs oscula »ncupiscere genitalia sua tangi jubere itaque matnrbationem mutuam fieri. Durch diese; Treiben ist eine förmliche Demoralisation geschaffen. Die Familie ist machtlos, denn jede Gegenvorstellung ruft ZornontlÜle bis zur Bedrohung der Angehörigen hervor. Patient ist vollkommen einsichtslos für seine sexuellen perversen Handlungen, so dass die Entmündigung und Versetzung in eine Irrenanstalt als einziger Ausweg für die trostlose hochan gesehene Familie übrig bleibt.

Irgendwelche erotische Erregung gegenüber dem anderen Geschlecht ist nicht zu beobachten, obwohl Patient noch mit seiner Gemahlin dasselbe Schlaf- gemuch lewohnt. Bemerkenswerth bezüglich der perversen Sexualität und des tief gesunkenen moralischen Sinnes dieses Unglücklichen ist die Thatsache. dass er cie Dienerinnen seiner Schwiegertochter ausfragt, ob diese keine Lieb- haber bcBitze.


B. Anaesthesia sexnalis (frLIeiiiler GeNchlerhtstiieh).

i) Als angeborene Anomalie.

AIb unanfechtbare Beispiele von cerebral bedingtem Fehleu des Oe- ttstriebs können nur solche Falle gelten, in welchen trotz normal


Die Welt ala Wille und Vorstellung 1859. Bd. II, p. 401 o. ff.


Angeborene Anaesthesia Bexaalia.


entwickelter und functionirender Generationsorgane (Spermabereitung, Menstruation) jegliche Regung des Geschlechtslebens üljerhaupt und von jeher mangelt. Diese functionell geschlechtslosen Individuen sind sehr selten und wohl immer degenerative Existenzen, bei denen anderweitige functionelle Cerebralstorungen, psychische Degenerationszustände, ja selbst anatomische Entartiings/eichen nachweisbar sind.

Einen klassischen, hierher gehörenden Fall beschreibt Legrand du Saulle (Annales mddicopsychol. 1876, Mai).

Beobachtung 8. D., 33 Jahre, stammt von einer Mutter, die au Ver- folgungswahnsinn litt. Der Vater dieser Frau litt ebenfalls an Verfolgungs- wahn und endete durch Selbstmord. Deren Mutter war irrsinnig; die Mutter dieser Frau war im Puerperium irrsinnig geworden. Drei Geschwister des Patienten waren im Säughngsolter gestorben, ein überlebendes war cbaraktero- lügisch abnorm. D. war schon mit l'i Jahren mit Ideen geplagt, irrsinnig zu werden. Mit 14 Jahren machte er einen Suicidversuch. Später Vagabondage, Als Soldat wiederholt Insubordination, ganz verrückte Streiche. £r war von beschränkter Intellif^en?:, bot keine Degenerationszoicben, normale Genibalieo, hatte mit 17 oder 18 Jahren Samenergüsse gehabt, nie onanirt, niemals Ge- sehlechtsempGndung gehabt, nie den Umgang mit Weibern gesucht.

Beobachtung 4. P., 36 Jahre alt, Taglöhner, wurde Anfang November wegen spastischer Spinatparalyse auf meiner Klinik aufgenommen. Er behauptet, ans gesander Familie zu stammen. Seit der Jugend Stotteret. Schildel micro- cephal (cf. 53 1. Patient etwas imbeciU. Er war nie gesellig, hatte niemals eine sexuelle Regung. Der Anblick eines Weibes hatte nie für ihn etwas An- ziehendes. Niemals regte sich bei ihm ein masturbatorischer Drang. Erec- tionen häufig , aber nur Morgens beim Erwachen mit voller BVase und ohne Spur von sexueller Kegung. Pollutionen sehr selten, etwa einmal jährlich im Schlafe, meist unter Träumen, dass er mit einem weiblichen Tndiv.dunm etwas zu thun habe. Einen ausgesprochen erotischen Inhalt haben aber diese Träume nicht, wie überhaupt nicht seine Träume. Eine eigentliche Wollust- empfindung soll mit dem Akt der Pollution nicht vorhanden sein. Pat, em- pfindet diesen Mangel sexueller Empfindungen nicht. Er versichert , sein 34 Jahre alter Bruder sei sexuell geradeso beschaffen wie er, für eiae 21 Jahre alte Schwester macht er dies wahrscheinlich. Ein jüngerer Bruder sei sexuell normal beschaffen. Die Untersuchung der Uenitalien des Pat. ergibt ausser Phimose nichts Abnormes.

Auch Hammond (Sexuelle Impotenz, deutsch tou Salinger. Berlin 1889) weiss aus seiner reichen Erfahrung nur über folgende -5 Fälle an- geborener Anaesthesia sexualis zu berichten,

Beobachtung 5. Herr W., 83 Jahre alt, kräftig, gesund, mit nor- malen Genitalien, hat nie Libido empfunden, vergebens durch obscöne Lektüre und Verkehr mit Meretrices seinen mangelnden Sexualtrieb zu weckea ver- sucht. Er empfand bei solchen Versuchen nur Ekel bis zu Erbrechen, nervöse und physische Erschöpfung, und selbst, als er die Situation forcirte, nui ein- mal eine Hüchtige Erection. W. hat nie onanirt, seit dem 17. Jahr alle paar Monate eine Pollution gehabt. Wichtige Interessen forderten, dass er heirithe. Er hatte keinen Horror feminae, sehnte sich nach Heim und Weib, fühlte sich aber unfähig, den sexuellen Akt zu vollziehen und starb unbeweibt im ame- rikanischen Bürgerkrieg,




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Angeborene Änaeatheeia sexoalis. 41

Beobachtung 6. X., 27 Jahre, mit normalen Genitalien, hat nie Libido empfunden. Erection gelnng leicht durch mechanische oder thermische Beize, aber statt Libido sexualis entstund dann regelmässig Drang zu Alkohol- ozceesen. Umgekehrt riefen solche auch spontiuie Erectionen hervor, wobei er dann gelegentlich masturbirte. Er empfand Abneigung gegen Frauen und Ekel vor Coitua.

Versuchte er gleichwohl solchen wahrend einer Ereotion, so schwand diese sofort. Tod im Coma in einem Anfadl von Hirnhyperämie.

Beobachtung 7. Frau 0.. normal gebaut, gesund, regelmässig men- struirt, 35 Jahre alt, seit 15 Jahren verheirathet, hat niemals Libido gefühlt» niemals im sexuellen Verkehr mit dem Gemahl einen erotischen Heu empfun- den. Sie hatte keine Aversion gegen den Coitus, schien ihn zuweilen sogar angenehm za empfinden, hatte aber nie einen Wunsch nach Wiederholung der Cofaabitation.

Im Anschluss an derartige reine Fälle von Anästhesie ^) möge solcher gedacht werden, in welchen die psychische Seite der Vita sexualis zwar ebenfalls ein leeres Blatt in der Lebensgeschicbte des Individuums darstellt, wo aber zeitweise elementare sexuelle Empfindungen sich wenigstens durch Masturbation (vgl. den Uebergnngsfiill, Beob. <3) kund- geben. Nach der geistreichen, aber nicht streng richtigen und zu dog- matischen Eintheilung Magnau's wäre die sexuelle Existenz hier auf dos spinale Gebiet bescliränkt. Möglicherweise besteht in einzelnen solcher Fälle immerbin virtuell eine psychische Seite der Vita sexualis, aber sie ist höchst schwach veranlagt und geht durch Masturbation, bevor sie Ansätze zu einer Entwicklung nehmen konnte, unter.

Damit würden sich üebergangsfälle von der angeborenen zur er- worbenen (psychischen) Änaesfchesiu sexualis ergeben. Diese Oefabr droht nicht wenigen belasteten Masturbanten. PsychologiKch interessant ist, dass dann auch ein ethischer Defect sich zeigt, wenn die sexuelle Wurzel frOh verdorrt.

Als beachtenswerthe Fälle mögen die beiden folgenden, von mir im Archiv für Psychiatrie \U, früher veröffentlichten hier Erwähnung finden.


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^) Ein Fall von Anaesthesia aexualia dQrfte auch der grosse englische Satiriker Swift gewesen Bein. Adolf Stern. »Aas dem 18. Jahrhundert; biograpfaiiche Bilder und Skizzen", I/eipzig 1874. sagt in seiner Swiftbiographie p. M folgendes: «Ihm aobemt da« cimiUcbe Element der Liebe gänzlich gefehlt zu haben; der unbefangene CjmiffmuB, der in manchen Stellen seiner Briefe zn Tage tritt, kann heinahe als ein Beweis dafür gelten. Und wer gewlsae Seiten in den späteren Reisen GulUver*8 recht versteht und besonders den Bericht, den Swift von Ehe und Nachkommenschaft der HanyhnboiDU, der edlen Pferde dea letzten CapiteU, gibt, kann kaum zweifeln, dass der grosso Satyriker eine Art Kkel vor der Ehe und jedenfalls den Drang nicht erapfAnd, der die Geschlechter xu einander FUbrt.* Thatsllchlich lassen sich die räthsel- harkeston Seiteu von Swift's Charakter, sowie einzelne seiner Werke, wie »Tage- buch an iHtetta' und .(jullivers Reisen*, nur voll und ganz verstehen, wenn man Swift als sexuell anüsthelisch annimmt.



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Angeborene Anaesthesia sexualis.


Beobachtung 8. F. J., 19 Jahr, Stud., stammt von einer nervOsen Mutter, deren Schwester epileptisch war. Mit 4 Jahren acut« 14tägi(;e Him- affection. Als Kind gemüthlos, kalt gegen die Eltern, als Schüler sonderbar, verschlossen, sich absondernd, grübelnd und lesend. Gut« Begabung. Vom 15. Jahre an Onanie. Seit der Pubertät eiceutrisches Wesen , bestandiges Schwanken zwischen religiöser Schwärmerei und Materialismus, Studium der Theologie und Naturwissenschaften. Auf der Universität hielten ihn die Com- militonen für einen Narren. Las ausschliesslich Jean Paul, verbummelte seine Zeit. Gänzlicher Mangel geschlechtlicher Empfindungen gegenüber dem anderen Geschlecht. Liess sich einmal zum Beischlaf herbei, empfand aber kein ge- schlechtliches Gefühl dabei, fand den Coitus eine Albernheit und liess die Wiederholung bleiben. Ohne alle omotionolle Grundlage stieg ihm oft der Gedanke an Selbstmord auf; er machte ihn zum Gegenstand einer philosophi- schen Abhandlung, in der er ihn, gleich der Masturbation, für eine recht zweck- mässige Handlung erkannte. Nach wiederholten Versuchen, die er an sich mit den verschiedenen Giften anstellte, probirte er es mit 57 Gran Opium, wurde aber gerettet und ins Irrenhaus gebracht.

Pat. ist aller sittlichen und socialen Gefühle baar. Seine Schriften ver- rathen eine unglaubliche Frivolität und Banalität. Er besitzt ausgebreitete Kenntnisse, aber seine Logik ist eine eigenthümlirh verschrobene. Von affec- tiven Erscheinungen keine Spur. Mit einer Blasirtbeit und L*onie ohne Gleichen bebandelt er Alles, selbst das Erhabenste. Mit philosophi.schen Scheingründen und Trugschlüssen plaidirt er für die Berechtigung des Selbstmords, den zu vollbringen er jeweils vorhat, wie ein Anderer das gleichgültigste Geschäft. Er bedauert, dass man ihm sein Federmesser genommen hat. Er hätte sich sonst wie Seneca im Bade die Adern öSiien können. Ein Freund hatte ihm kürzlich statt eines Giftes, wie er wünschte, ein Abführmittel gegeben. Es sei für ihn statt eines Abführmittels in die andere Welt eines in den Abort gewesen. Seine «alte lebensgefährliche närrische Idee* könne nur der grosse Operateur mit der Sense herausschneiden etc.

Pat. hat einen grossen, rhombisch verschobenen Schädel, die linke Stirn- hälfte ist flacher als die rechte. Hinterhaupt sehr steil, Ohren weit hinten, stark abstehend, die äussere Ohröffnung bildet eine schmale Spalte. Genitalien sehr schlaff, Hoden ungewöhnlich weich und klein.

Ab und zu klagt Pat. über „Grübelsucht". Er müsse zwangsweise den unnützesten Problemen nachgehen, unterliege einem stundenlangen höchst peinlichen und ermattenden Denkzwang und sei dann so abgehetzt, dass er zu keinem vernünftigen Gedanken mehr fiihig sei.

Pat. wurde nach Jahresfrist ungebessert nach Hause entlassen, vertrieb gioh nach wie fort die Zeit mit Lesen, Bummelei, trug sich mit dem Ge- danken, ein neues Christenthum zu schaffen, weil Christus an Grössen Wahnsinn gelitten und die Welt mit Wundern getäuscht habe (!). Nach einjährigem Aufenthalt zii Hause führte ihn ein plötzlich aufgetretener psychischer Auf- regungszu-stand wieder der Anstalt zu. Er bot ein buntes Gemisch von Prl- mordialdelirium der Verfolgung (Teufel, Antichrist, wähnt sich verfolgt, Ver- giftungswahn , verfolgende Stimmen) und der Grösse (Christuswahn , Welt- erlösung), dabei ganz impulsives verwirrtes Hundein. Nach ^ Monaten ging diese intercurrente Geisteskrankheit zurück und Pat. befand sich wieder auf dem Boden seiner originären intellectuellen Verschrobenheit und moralischen Defecte.


Beobaohtang 9. E., 30 Jahre, vacirender Malergeselle, wurde be- treten, als er einem Knaben, den er in den Wald gelockt hatte, das Scrotum abschneiden wollte. Er motivirte dieses Vorhaben damit, dass er hinein- gehneiden wollte, auf dass die Erde sich nicht vermehre; er habe in seiner Jugend oft zu gleichem Zweck in seine Geschlechtstheile hineingeschnitten.


Angeborene Anaesthesia sexuaÜE.


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K/s Stammbaum ist nicht zu eniiren. Von Kindheit an war E. geistig abnorm, hinbrütend, nie lustig, sehr reizbar, jähzornig, grübelnd, schwachsinnig. Er hosste die Weiber, liebte die Einsamkeit, las viel Er lachte zuweilen vor sich hin. machti* dummes Zeug. In den letzten Jahren hatte sich sein Hoss gegen Franenximmer gesteigert, namentlich gegen Schwangere, durch die nur Elend in die Welt komme. Er hasste auch die Kinder, verfluchte seinen Er- leuger, hegte comraunistbche Ideen, sehimpfte über die Reichen und die Geist- lichen, über den Herrgott, der ihn so arm auf die Welt habe kommen lassen. Er erklärte, es sei besser, die noch vorhandenen Kinder zu castriren, als neue auf die Welt zu setzen, die doch nur zur Armuth und zu Elend verurtheilt w&ren. Kr habe es immer so gebalten, schon im 15. Jahr sich selbst zu castriren versuubt, um nicht zum Unglück und zur Vermehrung der Menschen beizutragen. Das weiblich© Geschlecht verachte er, weil es zur Vermehrung der Menschen beitrage. Nur zweimal habe er in seinem Leben sich von Weibern manustupriren lassen, sonst nie mit ihnen zu thnn gehabt. Geschlecht- liche Regungen habe er wohl dann und wann, aber nie zu naturgemilsser Be- friedigung derselben. Wenn die Natur nicht selbst helfe, so helfe ©r gelegent- lich durch Onanie nach.

E. ist ein starker, muscalöser Mann. Die Bildung der Genitalien lässt nichts Abnormes erkennen. An Scrotuiu und Penis finden sieh zalilreiche Schnittnarben als Spuren früherer Selbstentmannungsversuche, an deren Aus- führung er durch den Sehmerz gehindert gewesen sein will. Am rechten Knie- gelenk Zustand des Genu valgum. Von Onanie wurde nichts an ihm bemerkt. Er ist von finsterem, trotzigem , reizbarem Wesen. Sociale Gefühle sind ihm vollständig fremd. Ausser sehr mangelhaftem Schlaf und häufigem Kopfschmerz bestehen keine FunctionsstÖningen.

Von derartigen cerebral bedingten Fällen müssen diejenigen getrennt werden, wo ein Mangel oder eine Verkümmerung der Generationsorgane den Functionsausfall bedingt, so bei gewissen Hermaphroditen, Idioten, Cretinen.

Das6 Anaesthesin sexualis nicht durch blosse Aspermie bedingt ist, lehren Ultzmann's') Erfahrungen, wonach selbst bei Ängeborenheii dieser Aspermie die Vita sexualis und die Potenz ganz befriedigend sein kann, ein weiterer Beleg dafUr, dasä mangelnde Libido ab origiue in cerebralen Bedingungen zu suchen ist.

Eine mildere Form der Anästhesie stellen die „naturae frigidae** des Zacokias dar.

Man trifft sie häufiger beim weiblichen als beim miinnlichen Ge- schlecht. Geringe Neigung zum sexuellen Umgang bis zur ausgesprochenen Abneigung, natürlich ohne sexuelles Aequivalent, Mangel jeglicher psychischen, wollüstigen Erregung beim Coitus, der einfach pflichtgemäss gewährt wird, ist die Signatur dieser Anomalie, tlber die ich häufig Klagen von Ehemännern zu hören bekam. In solchen Fällen handelte es sich immer nm neuropathische Frauen ab origine. Einzelne waren zu- gleich hysterisch.



') üeber männliche Sterilität. Wiener med. Presse 1878, Nr. 1 lerandi et coeuncli. Wieaer Klinik 1885. Heft 1. S. 5.


Ueber Potentia


Drworbene Anaestfaesia iexualis.


2) Erworbene Anästhesie.


Die erworbene Verminderung bis zum Erlöschen des Sexualtriebs kann auf sehr verschiedenen Ürsurhen beruhen.

Diese können organische und functionelle, psychische und somatische^ centrale und periphere sein,

Physiologisch ist die Abniihme der Libido mit fortschreitendem Alter und das temporäre Schwinden derselben nach dem Geschlechtsakt. Die Verschiedenheiten bezüglich der zeitlichen Dauer des Sexualtriebs sind individuell grosse. Erziehung und Lebensweise haben auf die Ifl- tensität der Vita sexualis grossen Einfluss. Geistig angestrengte Thätig- keit (ernste« Studium), körperliche Anstrengung, gemUthliche Verstimmung, sexuelle Enthaltsamkeit sind der Erregung des Sexualtriebs entschieden abträglich.

Die Abstinenz wirkt anfangs steigernd. Bald früher, bald spUter, je nach cnnstitntionellen Verhältnissen, lässt die Thätigkeit der Generations- organe nach und damit die Libido.

Jedenfalls besteht bei dem geschlechtsreifen Individuum zwischen der Thätigkeit seiner Generationsdrüsen und dem Grad seiner Libido ein enger Znaaniraenhiing. Dass jene aber nicht entscheidend ist, lehrt die Erfahrung bezüglich ciinnlicher Frauen , die noch post climacterium den sexuellen Umgang fortsetzen und (cerebral bedingte) sexuelle Erregungs- zustände bieten können.

Auch an den Eunuchen lässt i^ich erkennen, dass die Libido die Spermabereitung lange überdauern kann.

Andererseits lehrt aber die Erfahrung, daas die Libido doch wesent- lich mitbedingt wird von der Function der GenerationsdriJsen und dass die erwähnten Thatsachen Ausnahmeerscheinungen sind. Als periphere Ursachen für verminderte bis fehlende Libido sind anzuführen: Castration, Entartung der Geschlechtsdrüsen, Marasmus, sexuelle Excesse in Form von Coitus und Masturbation, Alkoholismus chronicus. In gleicher Weise dürfte das Schwinden der Libido bei allgemeinen Ernährungsstörungen (Diabetes, Morphinismus u. s. w.) zu deuten sein.

Endlich wäre der Hodenatrophie zu gedenken, die zuweilen in Folge von Herderkrankungen des Gehirns (Kleinhirn) beobachtet wurde.

Eine Herabsetzung der Vita sexualis durch Degeneration der Leitungs- bahnen und des Centr. genitospinale findet sich bei Rückenmarks- und Himkrankheiten. Eine centrale Schädigung des Geschlechtstriebs kann organisch durch Himrindenerkrankung (Dem. paralytica in vorgerücktem Stadium), functionell durch Hysterie (centrale Anästhesie?), durch Ge- mUthskraukheit (Melancholie, Hypochondrie) hervorgerufen sein.



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I


(,•. Hyperästhesie (krankhaft gesteigerter Oesrhiechtstrieb).

Nicht geringe Schwierigkeit hat die Pathologie, selbst im Einzel- ,11, wenn sie angeben soll, ob der Drang nach sexueller Befriedigung pathologische Höhe erreicht hat. Emminghaus, Psychopathologie, p. 225, bezeiebnot als entschieden krankhaft .das unmittelbare Wieder- achen der Begierde nach der Befriedigung, mit Inbeschlagnahme der ganzen Aufmerksamkeit, nicht minder das Erwachen der Libido bei an und für sich geschlechtlich indifferentem Anblick von Personen oder Sachen*. Im Allgemeinen stehen sexueller Trieb und entsprechendes Be- d(irfnis8 in Proportion zur körperlichen Kraft und zum Alter.

Von der Pubertät an erhebt sich der Sexualtrieb rapid zu bedeuten* der Höhe, ist von den 20er bis zu den 40er Jahren am mächtigsten, um von da an langsam abzunehmen. Das eheliche Leben scheint den Trieb zu coueerviren und zu zügeln.

Sexueller Verkehr bei wechselndem Object der Befriedigung steigert den Trieb.

  • Da das Weib weniger geschlechtsbedürftig ist als der Mann, muss

ein Vorherrschen geschlechtlichen Bedürfnisses bei jenem die Verraukhung pathologischer Bedeutung erwecken, um so mehr, wenn dieses BedDrfniss in Putzsucht, Ooquetterie oder gar Männersucht zu Tage tritt und so über die von Zucht und Sitte gezogenen Schranken hinaus sich benierk- lich macht.

Von grösster Bedeutung ist bei beiden Geschlechtern die Con- stitution. Mit einer neuropathischen Constitution ist hiiufig ein krankhaft gesteigertes geschlechtUchea BedUrfniss verbunden, und derlei Individuen tragen einen grossen Theil ihres Lebens schwer unter der Last dieser constitutionellen Anomahe ihres Trieblebens. Die Gewalt des Sexualtriebs kann bei ihnen zeitweise geradezu die Bedeutung einer organischen Nöthigung gewinnen und die Willensfreiheit ernstlich gefährden. Die Nichtbefriedigung des Dranges kann hier eine wahre Brunst oder eine mit Angstempündungen einhergehende psychische Situation herbeiführen, in welcher dns Individuum dem Trieb erliegt und seine Zurecluiungs- fähigkeit zweifelhaft wird.

unterliegt das Individuum nicht seinem mächtigen Drang, so steht es in Gefahr, durch die erzwungene Abstinenz sein Nervensystem im Sinne einer Neurasthenie zu ruiuiren oder eine bereits vorhandene be- denklich zu steigern.

Auch bei normal organisirten Individuen ist der Sexualtrieb keine constante Grösse. Abgesehen von der der Befriedigung folgenden tem- porilren GleichgOUigkeit , dem Nachlass des Triebes bei dauernder Ah-


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Hj'penieffthesia eexualis.



stinenz, nacbdom ein gewisses Reactions.siadium des sexuellen Verlangens glücklich Überwunden ist, hat die Art der Lebensweise grossen Einfluss.

Der Grossstadter, welcher beständig an sexuelle Dinge erinnert und zu sexuellem Qenuss angeregt wird, ist jedenfalls geschlechtabedürftiger als der Landbewohner. Excedirende, weichliche, sitzende Lebensweise, vorwiegend animalische Nahrung, der Genuss von Spirituosen, Gewürzen u. dgl. wirken stimulirend auf das Sexualleben.

Beim Weibe ist dieses postmenstrual gesteigert. Bei neuropathischen Frauen kann die Erregung zu dieser Zeit pathologische Höbe erreichen.

Bemerkenswerth ist die grosse Libido der Phthisiker. Hof mann a. a. 0. berichtet von einem phthisischen Bauern, der noch am Abend vor seinem Tod sein Weib sexuell befriedigte.

Die sexuellen Akte sind Coitus (eventuell Nothzucht), faute de mieux: Masturbation, bei defectem moralischen Sinn Päderastie, Bestialität. Ist bei übermässigem Sexualtrieb die Potenz herabgesetzt oder gar erloschen, so sind alle möglichen Perversitäten geschlechtlichen Handelns möglich.

Die excessive Libido kann peripher und central hervorgerufen sein. Die erstere Entstehungsweise ist die seltenere. Pniritus der Genitalien, Ekzem können sie bedingen, desgleichen gewisse, die Geschlechtslust mächtig stiraulirende Stoffe, wie z. B. Canthariden.

Bei Frauen kommt nicht selten im Khmakterium eine durch Pru- ritus vermittelte sexuelle Erregung vor, aber auch sonst bei neuropathi- scher Belastung. Magnan (Annales lue'dico-psychol. 1885, p. 157) be- richtet von einer Dame, die anfallsweise Morgens von einem schrecklichen Erethismus genitalis befallen wurde, desgleichen von einem 55jährigen Manne, der Nachts von unerträglichem Priapismus gefoltert war. In beiden Fällen bestand eine Neurose.

Centrale Auslösung von geschlechtlicher Erregung ist ein bei Be- lasteten, Hysterischen und in psychischen Exaltationszuständen häufiges Vorkommniss *). Hier, wo die Hirnrinde und damit das psychosexuale


') Bei Indivldaen . bei -welchen hochgradige sexuelle Hyperftathesie mit er- worbener reizbarer Schwilche dea sexnellen Apparates einhergeht, kann es sogar dazu kommen. daM auf den bloaaen Anblick gefälliger weiblicher Ge&talt<;n hin. von» psyohosexualen Centrum uqb, ohne jede periphere Reizung der Genitalien, nicht allein der Erections-, sondern auch der Ejaculationymechanismus in ThlÜgkeit gesetzt wird. Solche Individuen haben nur nötliig, mit ein^m weiblichen VisÄ-vis im Eisenbahn- Coupe^ Salon u. s. w. sich in ideelle sexuelle Relation zu setzen, um zum Orgasmus und zur Kjnculation zu gelangen.

Hammond, op. cit. p. 40, beschreibt eine Reihe derartiger Falle, welche wegen coDi<ecutiver Impotenz in seine Behandlung kamen, und erwrihnt, daBs die betreffenden Individuen für diesen Vorgang den Ausdruck „ideeller Coitus* ge- brauchen. Herr Dr. Moll in Berlin Iheilte mir einen g«nz gleichen Fall mit; auch dort wurde für den Torgang die gleiche Bezeichnang gew^lt.



Hyperaeäthesia sexualu.


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/entrum in einem Zustand von Hyperästhesie sich befindet (abnorme Erregbarkeit der Phantasie, erleichterte Associationen), können nicht b!os8 optische und Tastempfindungen, sondern auch solche des Gebörs und Geruchs genügen, um lascive Vorstellungen hervorzurufen.

Magnan (op. cit.) berichtet von einem Fräulein, das mit der Pubertät wachsenden sexuellen Dracg hatte und ihn durch Masturbation befriediget. Allmählig bekam die Dame beim Anblick eines beliebigen Mannes heftige sexuelle Erregung, und da sie für sich nicht gut stehen konnte, schloss sie sich jeweils in ein Zimmer ein, bis der Sturm sich gelegt hatte. Schliesslich gab sie sich beliebigen Milnnorn hin, um vor ihrem quälenden Trieb Ruhe zu bekommen, aber weder Coitus noch Onanie brachten Erleichterung, so dass sie in ein Irrenhaus ging.

Ein Pendant ist eine Mutter von fünf Kindern, die, sehr unglücklich über ihren sexuellen Drang, Suicidversuche machte, dann eine Irrenanstalt auf- suchte. Dort besserte sich ihr Zustand, aber sie getraute sieh nicht mehr, das Asyl 2u verlassen.

Mehrere prägnante. Männer und Frauen betreffende Fälle siehe in des Verfassers Arbeit ,Ueber gewisse Anomalien des Oeschlecht^triebs*, Beob. H, 7 (Archiv für Psychiatrie VII, 2), von denen 3 und 5 hier Aufnahme finden mögen.


Beobachtung 10. Am 7. Juli 1874 Nachmittags verliess der von Triest in Geschäflsangelegenheiten nach Wien reisende Ingenieur Clemens in Druck den Bahnzug. ging durch die Stadt nach dem nahen Dorf 8t. Ruprecht und machte dort an einem 70 Jahre alten, allein in einem Hause befindlichen Weib einen Nothzuchtsversuch. Er wurde von den Ortsbewohnern festgenommen und von der Ortspolizei arretirt. Er gab im Verhör an, die Wasenmeisterei aufsuchen gewollt /u haben, um dort seinen aufgeregten Geschlechtstrieb an einer Hündin zu befriedigen. Er leide oft an solchen Geschlechtsaulregungen. Er leugnet nicht seine Handlung, entschuldigt sie mit Krankheit. Die Hitze, das Hütteln des Waggons, Sorge um seine Familie, au der er sich begeben wollte, hätten ihn verwirrt und krank gemacht. Scham und Reue waren nicht an ihm zu bemerken. Sein Benehmen war offen, seine Miene heiter, die Augen

feröthet, glänzend, der Kopf heiss, die Zunge belegt, Puls voll, weich, Über 00 Schläge, die Finger etwas zitternd.

Die Angaben des Delinquenten sind präcise, aber hastig, der Blick un- sicher, mit dem unverkennbaren Ausdruck der Lüsternheit. Dem herbeigerufenen G^richtsartzt macht er einen pathologischen Eindruck, wie wenn er sich im Beginn des Säuferwahnsinns befände.

C). ist 45 Jahre alt, verheiratbet, Vater eines Kindes. Die Gesundheits- verhältnisse seiner Eltern und sonstigen Familie sind ihm unbekannt.

In der Kindheit war er schwächlich, neuropathisch. Mit 5 Jahren erlitt er eine Kopfverletzung durch einen Hieb mit einer Haue. Davon datirt eine auf dem rechten Scheitel- und Stirnbein sich befindende '/a" breite, über 1" lange Narbe. Der Knochen ist hier etwas eingedrückt. Die überliegende Haut mit dem Knochen verwachsen.

An dieser Stelle erzeugt Druck Schmerz, der in den unteren Ast des Trigeminus irradürt. Auch spontan ist diese Stelle häufig schmerzhaft. In der Jugend öfter Anfälle von «Ohnmacht". Vor der Pubertätszeit Pneumonie, Rheumatismus und Dormkatarrb.

Schon mit 7 Jahren empfand er eine auffällige Hinneigung zu Männern, resp. zu einem Oberst. Es gab ihm einen Stich durchs Her/,, wenn er diesen Mann sah, er küsste den Boden, den dieser betreten hatte. Mit 10 Jahren ver- liebte er sich in einen Reicbstagsabgeordneten. Auch später schwärmte er für


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Uypera&sthesia sexualis



Männer, jedoch in durchaus platonischer Weise. Vom 14. Jahre an onanirte er. Mit 17 Jahren erster Umgang mit Frauen. Damit verloren sich sofort die früheren Erscheinungen contrilrer Sexualeinpfiudung. Damals auch ein acuter eigentbümlicher psychopathischer Zustand, den CI. als eine Art Clair- voyance schildert. Vom 15. Jahre an Hämorrhoidalleiden mit Erscheinungen von Plethora abdominalis. Wenn er, wie dies alle 3 — 4 Wochen stattfand, profusen Hfimorrhoidalblutfluss hatte, befand er sich besser. Sonst war er be- ständig in einer peinlichen geschlechtlichen Erregung» der er tbeils durch Onanie, theils durch Coitus Abhülfe schuf. Jedes Weib, dem er begegnete, reizte ihn. Selbst wenn er unter weiblichen Verwandten aioh befand, trieb es ihn, ihnen unzüchtige Anträge zu machen. Zuweilen gelang es ihm, seiner Triebe Herr zu werden, zu Zeiten wurde er zu unzüchtigen Handlungen hin- gerissen. Wenn man ihn dann zur Thüre hinauswarf, war es ihm ganz recht, denn er bedurfte, wie er meint, einer solchen Correctur und Unterstützung gegenüber seinem übermächtigen Trieb, der ihm selbst lilstig war. Eine Perio- dicität war in diesen gescblechtlicbea Regungen nicht zu erkennen.

Bis zum Jahre 18*51 excedirte er in Venere und zog sich mehrere Tripper und Ghancres zu,

1801 Heirath. Er fühlte sich geschlechtlich befriedigt, fiel aber seiner Frau lästig durch seine grossen Bedürfnisse.

1864 machte er einen Aufall von Manie im Spital zu F. durch, erkrankte nochmals im gleichen Jahr und wurde nach der Irrenanstalt X. gebracht, wo er bis 1807 blieb.

Er litt dort an recidivirender Manie, mit grosser geschlechtlicher Er- regung. Einen Darmkatarrh und Aerger bezeichnet er als Ursache seiner da- maligen Erkrankung.

In der Folge war er wohl, aber er litt sehr unter der üebermacht seiner geschlechtlichen Bedürfnisse. Wenn er nur kurze Zeit von seiner Frau ent- fernt war, zeigte sich der Trieb so mächtig, dass ihm Mensch oder Thier ganz gleich zur Befriedigung seiner Geschlechtslust war. Namentlich zur Sommerszeit war es gar arg mit diesen Antrieben, die immer mit einem starken Blutandi'aug zum Unterleib einhergingen. Er meint, auf Grund von medicin. Reminiscenzen aus medic. Lektüre, bei ihm überwiege eben das Gangliensystem über das cerebrale.

Im Oktober 1873 musste er sich seines Berufs wogen von seiner Frau trennen. Bis Ostern, ausser zeitweiser Onanie, keine geschlechtlichen Hand- lungen. Von da an brauchte er Weiber und Hündinnen. Von Mitte Juni bis 7, Juli hatte er keine Gelegenheit zu geschlechtlicher Befriedigung. Er fühlte sich nervös aufgeregt, abgespannt, wie wenn er iiTe würde. Schlief die letzten Nächte schlecht. Die Sehnsucht noch seiner Frau, die in Wien lebte, trieb ihn von seinem Dienst fort. Er nahm Urlaub. Die Hitze unterwegs, der Lärm der Eisenbahn machten ihn ganz confus, er konnte es vor geschlecht- licher Aufregung und Blutwallung im Unterleib nicht mehr aushalten, Alles tanzte ihm vor den Augen. Da verliess er in Brück das Coupö; er sei ganz verwirrt gewesen, habe nicht gewusst, wohin er gehe, es sei ihm momentaa der Gedanke gekommen, sich ins Wasser zu störzen, es sei ihm wio ein Nebel vor den Augen gewesen. Mulierem tunc adspexit. penem nudavit, femi- namquR amplecti conatus est. Diese schrie jedoch um Hülfe und so wurde er arretirt.

Nach dem Attentat wurde es ihm plötzlich klar, was er gethan. Er bekannte offen seine That, der er sich in allen Details erinnert, die ihm aber als etwas Krankhaftes erscheint. Er habe nichts dafür gekonnt.

Cl. litt noch einige Tage an Kopfweh, Congestionen , war ab und zu aufgeregt, unruhig, schlief schlecht. Seine geistigen Functionen sind ungestört, jedoch ist er originär ein eigenthümlicher Mensch, von schlaffem, energielosem Wesen. Der Gesichtsatisdruck hat etwas faunartig Lüsternes und Verschrobenes.


HyperMsibeiia wiaaUs.


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Er leidet an HftmorrboideD. Die Genitalien bieten nichts Abnormes. Der .€chädel ist im Stirntbeil schmal und etwas fliehend. Körper gross, jfut ge- 'nahrt, Aosser einer Diarrhöe Ist an ihm keine Störung der vegetativen

Fanctionen bemerkbar.

Beobachtung 11. Frau E., 47 Jahre. Onkel väterlicherseits war irr- sinnig, Vater ein exaltirter und in Venere excessiver Mann. Bruder der Pat. an einer acuten Hirnaffection gestorben. Fat., von Kindheit auf nervüs. ex- centrisch, schwärmerisch, zeigte, kaum den Kinderschuhen entronnen, einen exoessiven Geschlechtstrieb und ergab sich schon mit dem 10. Jahre dem Ge- flchlechtsgenass. Mit 19 Jahren Heirath. T^eidliche Ehe: der sonst teistungs- "ihige Gemahl genügte ihr nicht, sie hatte bis auf die letzten Jahre beständig 'ausser dem Manne noch mehrere Freunde. Sie war sich der Verwerflichkeit dieser Lebensweise wohl bewusst, fühlte aber die Ohnmacht ihres Willens gegenüber dem unersättlichen Trieb, den sie äusserlich wenigstens geheim zu halten suchte. Sie meinte später, sie habe eben an «Männermanie*^ gelitten.

Pat. hat 6mal geboren. Vor t> Jahren Sturz aus dem Wagen mit be- deutender Himerschfitterung. In der Folge Melancholie mit Persecutions- delirium, welche Krankheit sie der Irrenanstalt zuführte. Pat. nähert sich dem Klimakterium. Menses in letzter Zeit profus und zu häufig. Seitdem ihr selbst angenehmes Zurücktreten des früher übermächtigen Triebes. Decentes Ver- halten. Geringer Grad von Descensus uteri und Prolapsns ani.

Die Hyperaesthesia sexualis kann continuirlich, mit Exacerbationen

vorbanden sein, oder intermittirend, selbst periodisch. Im letzteren Fall

ist sie cerebrale Neurose flir sich (siehe specielle Pathologie) oder Tlieil-

erscheinung eines allgemeinen psycliischen Erregungszustandes (Manie,

'«pisodisch bei Dementia paralytica, senilis u. s. w.).

Einen bemerkenswerthen Fall von intermittirender Satjnasis hat Lentz (Bulletin de la socie't^ de med. legale de Belgique Nr. 21) ver- Mentlicht.

Beobachtung 12. Seit 3 Jahren hatte der allgemein geachtete, ver-

beirathete Lundwirth D., 35 Jahre alt, immer häufigere und heftigere Zustände

von geschlechtlicher Aufregung geboten, die seit einem Jahre sich 7U wahren

^aroxysmen von Satyriasis gesteigert hatten. Eine erbliche oder sonstige

'organische Ursache war nicht aufzufinden.

D. tempore, quura libidinibus valde affioeretur, decim vel quindecim cohabitationes per 24 horas exegit. ne4ue tarnen cupiditates suas satiavit.

Allmählig entwickelte sieb bei ihm ein Zustand allgemeiner nervöser üeberreiztheit (erethisme g^aeral) mit grosser Gemüthsreizbarkeit bis zu patho- jischen Zornaffecten und Drang zu Alcoholnusschweifung. die Symptome von lAlcoholismos herbeiführte. Seine AnOllle von Satynasis erreichten solche Heftigkeit, dass das Bewusstäein sich verdunkelte und der Kranke in blindem Drang zu geschlechtlichen Akten sich hinreissen Hess. Qua de causa factum est ut uxorem suam alienis viris inimi>vero animalibus ad coeundnm tradi. cum ipso filiabns praesentibns coneubitum exsequi jusserit, propterea quod Eliaec facta majorem ipsi voluptatera afferent. Die Erinnerung für die Ereig- nisse auf der H'"tl)e dieser AntUlle, in welchen die extreme Gereiztheit selbst zu WuthzornanfUllen fühilo, fehlte gftnzlich. D. meinte selbst, er habe "lomente gehabt , in welchen er seiner Sinne nicht mehr mächtig war und. ohne Befriedigung durch die Frau, an dem nächstbesten weiblichen Indivi- danm sich hlltte vergreifen müssen. Nach einer heftigen Gemüthsbewegung verloren sich mit einem Male diese geschlechtlichen Aufregungszustände. V. Krftfft-EbiDK. Parchopatbla saxukIU. lo. Aufl. 4


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U3i>erae8thesia sexualis.


Wie m'ächtig, bedenklich und peinlich die sexuelle Hyperiistbesie für mit dieser Anomalie Behaftete werden kann, lehren folgende zwei Beobachtungen.

Beobachtung 13. Hyperaestb. sexualis. Delir. acutum ex absÜnentia.

Am 29. Mai 1882 wurde F., 23 Jahre, ledig, Schuhmacher, auf der Grazer psychiatrischen Klinik aufgenommen. Er stammt von jähzornigem Vater, neuropathischer Mutter, deren Bruder irrainnig war.

Pat. war früher nie erbeblich krank, kein Trinker, aber von jeher sexuell sehr bedürftig gewesen. Vor 5 Tagen war er acut psychisch erkrankt. Er machte am hellen Tage und vor Zeugen 2 Nothzuchtsversuche, delirirte, ver- haftet, nur von obscünen Dingen, masturbirte masslos. gerieth vom 3. Tage ab in zornige Tobsucht und bot bei der Aufnahme das Bild eines schweren Delirium acutum mit heftigen motorischen Reizerscheinungen und Fieber. Unter Ergotinbehandlung wurde Genesung erzielt.

Am 5. Januar 1888 zweite Aufrahme in zorniger Tobaucht. Am 4. war er moros, reizbar, weinerlich, schlaflos geworden, dann hatte er nach frucht- losen Attaquen auf Frauenzimmer wachsende zornige Erregung geboten.

Am 6. Steigerung des Zustand» zu schwerem Delir. acutum (schwere Bewusstseinsstörung, Jactation, Zähneknirschen, Grimassiren u. a. motorische Reizerscheinungenj Temp. bis 40,7). Ganz triebartiges Masturbiren. Genesang anter energischer Ergotinbehandlung bis 11. Januar.

Pat. gibt genesen interessante Aufschlüsse über die Ursache seiner Er- krankung.

Von jeher sexuell sehr bedürftig. Erster Coitus mit 16 Jahren. Ab- stinenz machte Kopfweh, grosse psychische Reizbarkeit, Mattigkeit, Nachlass der Arbeitslust, Schlaflosigkeit. Da er auf dem Lande selten Gelegenheit zur Befriedigung seiner Bedürfnisse hatte, half er sich mit Masturbation. Er musste 1 — 2mal täglich masturbiren.

Seit 2 Monaten kein Coitus. Zunehmende sexuelle Erregung, konnte nur an Mittel zur Befriedigung seines Triebes denken. Masturbation genügte nicht zur Bannung der immer mehr sich geltend machenden Beschwerden ex abstinentia. In den letzten Tagen heftiger Drang nach Coitus, zunehmende Schlaflosigkeit und Reizbarkeit. Für die Höhe der Erkrankung nur summa- rische Erinnerung. Pat. genesen im December, höchst anständiger Mensch. Er fasst seinen unbändigen Trieb als entschieden pathologisch auf und fürchtet sich vor der Zukunft.

Beobachtung 14. Am 11. Juli 1884 wurde R.. 33 Jahre, Bediensteter, mit Paranoia persecutoria und Neurasthenia sexualis aufgenommen. Matter war neuropathisch. Vater starb an Rückenmarkskrankheit. Aon Kindesbeinen auf mächtiger, dabei schon im 6. Jahr bewusst gewordener Sexualtrieb. Seit dieser Zeit Masturbation, vom 15. Jahr an faute de mieux Päderastie, ge- legentlich sodomitische Anwandlungen. SpMer Abusus des Coitus, in der Ehe cum uxore. Ab und zu selbst perverse Impulse, Cunnilingus auszuführen, der Frau l'anthariden beizubringen , da ihre Libido der .seinigen nicht entsprach. Nach kurzer Ehe starb die Frau. Pat. gerieth in schlechte Verhältnisse, hatte keine Mittel zu coitiren. Nun wieder Masturbation, Benutzung von Lingua oanis zur Erzielung von Ejaculation. Zeitweise Priapismus und der Satyriasis nahe Zustände. Er war daun gezwungen, zu masturbiren, damit ihm nicht Stuprum passire. Mit überhandnehmender sexueller Neurasthenie und hypo- chondrischen Anwandlungen wohlthätig empfundene Abnahme der Libido nimia.

Ein klassisches Beispiel von reiner Hjperaesthesia sexualis bietet folgender, für das Verständniss so mancher, theilweise selbst geschieht-


EigenthOmlich« BTper»e«thesia eexnalis feminamm.


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lieh berühmter Messalinen werihvoUe Fall, den ich Trelat's «Folie hicide" entlehne.

Beobachtung 15. Fran V. leidet seit fipöhester Jagend an Männer* ftncbt. Aas guter Familie, feingebildet, gutmüthig^ sittsam bis zum Errj^tben, war sie schon als junges Mädchen der Schreck ihrer Familie. Qaaudoquidem sola erat cum homine seius alterios. negligens, ntrnm infans sit an vir, an senex, utrum pulcher au teter, statim corpus nudarit et vehementer libidines snas satiari rogavit vel vim et manus ei iniecit. Man versnchte sie durch ifieirath zu curiren. Maritum quam maxime amavit neqne tarnen sibi tem- perare potait quin a qnolibet viro, si solum apprebenderat , seu verso, sea roercennario, sen discipulo coitum exposceret.

Nichts konnte sie von dem Drauge curiren. Selbst als sie Grossmutter war, blieb sie Messaline. Puerum quondam duodecim annos natum in eubi- cnlum allectum stuprare voluit. Der Junge wehrte sich, entwich. Sie bekam eine derbe Züchtigung durch dessen Bruder. Alles vergebens. Man that sie in ein Kloster. Sie war dort ein Muster von guter Sitte und Hess sich nicht das Mindeste zu Schulden kommen. Sofort nach der Zurücknahme begannen wieder die Skandale. Die Familie verbannte sie, warf ihr eine kleine Beute aus. Sie verdiente durch ihrer Hände Arbeit das Köthige, nt amantes sibi emere posset. Wer diese sauber gekleidete Matrone von guten Manieren und lieben:*würdigem Wesen sah, konnte nicht ahnen, wie rücksichtslos geschlechts- bedürftig sie mit 65 Jahren noch war. Am 17. Januar 1854 brachte sie ihre Familie, verzweifelt durch neue Skandale, in die Irrenanstalt.

Sie lebte dort bis zum Mai 1858, wo sie einer Apoplexia cerebri im 73. Lebensjahr erlag. Ihr Benehmen iu der Ueberwachung der AnstiUt war musterhaft. Sich sellist überlasseti und unter günstiger ötilegfnheit, traten bis kurz vor dem Tod die sexuellen Dränge zu Tage. Ausgenommen diese, ergab die vierjJlhrige Beobachtung durch Irrenärzte niemals ein Zeichen von geistiger Abnormität.

Als eine eigene Art von Hyperaesthesia sexaalia lassen sich Fülle bei weiblichen Individuen bezeichnen, in welchen ein sttlrmisches Verlangen zu sexuellem Verkehr mit bestimmten Männern flieh einstellt und gebieterisch Befriedigung verlangt. «Unglückliche Liebe* zu einem anderen Mann mag bei psychisch oder physisch (Im- potentia muriti !) in der Ehe unbefriedigten Ehefrauen von Temperament ja oft genug vorkommen, aber sie wird vom unbelasteten Weibe zu Gunsten ethischer Hemmungsvorstellungen in der Regel beherrscht werden. —

Anders ist es in pathologischen Fällen, d. h. auf degenerativer psychischer Grundlage,

Fetischismus dürfte hier wohl immer im Spiele sein. Der sexuelle Drang ist ein übermächtiger, zuweilen periodisch sieb einst-ellender. Der Versuch gegen ihn anzukämpfen, ruft qualvolle Angstzustände hervor. Das krankhafte BedÜrfniss ist ein derart mächtiges, dass alle Rücksicbton auf Scham, Sitte, weibliche Ehre ihm gegenüber zurücktreten und scham- los, selbst dem Ehemann gegentiber jenes bekannt wird, während ein normales, moralisch vollsinnigea Weib das schreckliche Geheimniss zu verbergen weiss.


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Pathologische Liebe von Ehefrauen.


Magnan (Psychiatr. Vorlesungen, deutsch v. Möbius, Heft 2 u. 3) hat 2 prägnante Beispiele dieser Art aus seiner Erfahrung mitgetbeilt. Das eine, besonders instnictive, betriift eine junge Dame, Mutter von 3 Kindern, von tadelloser Vergangenheit, aber Tochter eines Irrsinnigen, die eines Tags ohne alle Scham ihrem entsetzten Manne das Gest^ndniss ablegte, sie liebe einen jungen Mann und werde sich umbringen, wenn man sie am intimen Umgang mit diesem bindere. Man möge sie nur l3 Monate ihrer glühenden LeideuRcbafb genügen lassen, dann werde sie zum ehelichen Heerd zurückkehren. Jetzt seien ihr Mann und Kinder nichts gegenüber dem Oeliebteu. Der unglückliche Ehemann brachte seine Frau in ein entferntes Land und führte sie dort ürztlicher Behandlung zu.

Diese pathologische Lieb© von Ehefrauen zu anderen Mäaueru ist eine noch sehr der wissenschaftÜcheu Klärung hedUrftige Erscheinung im Gebiet der Paychopathia aexualis. Ich habe 5 hierhergehörige Fälle beobachtet. In allen handelte es sich um schwer belastete (enthärtete) Persönlichkeiten. Der krankhafte Zustand erschien paroxysmal, in einem Falle mehrmals recidivirend , immer scharf geschieden von der relativ gesunden Lebenszeit. Nie fehlte im gesunden Zustand tiefe Reue Über das Vorgefallene, das jedoch mehr weniger als ein unvermeidliches, in einem psychisch abnormen Zustand zugestossenes Verhängniss und Un- glück empfunden wurde.

Für die Dauer des krankhaften Zustandes bestand jeweils völlige Gleichgültigkeit gegen Mann und Kinder, selbst bis zur Ahneigimg gegen den ersteren, dabei völlige Einsichtslosigkeit für die Bedeutung und Folgen des scandaldsen, weibliche und familiäre Ehre und Würde preisgebenden Benehmens. Bemerkenswerfch war, dass in allen Fällen die beleidigten Gatten und sonstigen Angehörigen sich die Ansicht ge- bildet hatten, hier könne nur eine Psychopathie die Ursache sein, be- vor diese Anschauung ihre Bestätigung und Begründung durch ärztliche Expertise fand.

Gegenüber der nicht psych opathischen, wenn auch abnorm libidinösen gewöhnlichen Measaline erscheint hier bemerkenswerth, dass die sexuelle Entgleisung nur eine Episode im Leben einer sonst honnetten Frau, das illegitime Verhältniss ein streng monogomisches war und die Befriedigung des sexuellen Bedürfnisses nicht das Um und Auf der krankhaften Ver- irrung darstellte. Die letzteren Thataachen, ganz besonders aber der Umstand, dass die Unglückliche nicht omnium vLrorum mulier, sondern nur die Geliebte eines Einzigen war, sind auch hinsichtlich der Unter- scheidung von Nymphomanie ausschlaggebend. In 3 meiner Fälle stand das grobsinnliche Moment überhaupt nicht im Vordergrund und war das treibende Moment zum ehelichen Treubruch ein fetischartiger Zauber, den seelische Eigenschaften, einmal auch die Stimme Seitens des Anderen, bewirkten .

In 2 Fällen gelang mir aber der Nachweis, dass es sich um wirk-



4 4


Perreraio •exualis.


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liehe Uyperaesthesia sexualis, bei absoluter Änapbrodisie dem Ehemann gegenüber handelte, während schon die blosse Berührung durch den Anderen Orgasmus hervorrief und der sexuelle Akt die höchste Lust ge- währte. Natürlich kam es in diesen letzteren Fällen za absoluter ge- schlechtlicher Hörigkeit (s. u. Beob. 190).


D. Parä&thesie der Geschlechtseiupfludung (Perrersion des G6gchlechtstrieb.s).

Hier findet eine perverse Betonung sexueller Vorstellungskreise mit Qefflhlen statt, insofern Vorstellungen, die physio-psychologisch sonst mit ünlustgeftlhlcn betont sind , mit Lustgeftlhlen einhergehen , und zwar können diese abnorm stark damit sich associiren, bis zur Höhe von Affecten, Das praktische Resultat sind perverse Handlungen (Perversion des Geschlechtstriebs). Dies ist um so leichter der Fall, wenn bis zur Höhe von Äffect gesteigerte Lustgefühle die etwa noch raögliclien gegensätz- lichen Vorstellungen mit entsprechenden ünlustgefUhlen hemmen, oder aber, indem solche durch Fehlen oder Verlust von moralichen, ästhetischen, rechtlichen Vorstellungen Überhaupt nicht hervorgerufen werden können. Dieser Fall ist aber nur zu häufig da vorhanden, wo die Quelle etiiischer Vorstellungen und Gefühle (eine normale Gegchlechtsempfindung) von jeher eine trübe oder verpestete war.

Als pervers rauss — bei gebotener Gelegenheit zu naturgemässer geschlechtlicher Befriedigung — jede Aeusserung des Geschlechtstriebs erklärt werden, die nicht den Zwecken der Natur, i. e. der Fortpflanzung entspricht. Die aus Paräsihesie entspringenden perversen geschlecht- lichen Akte sind klinisch, social und forensisch äusserst wichtig; deshalb muss auf sie hier näher eingegangen und jeder ästhetische und sittliche Ekel Überwunden werden.

Perversion des Geschlechtstriebs ist, wie sich unten ergeben wird, nicht zu verwechseln mit Perversität geschlechtlichen Handelns, denn dieses kann auch durch nicht psychopathologische Bedingungen hervor- gerufen sein. Die concrete perverse Handlung, so nionsiros sie auch sein miig, ist klinisch nicht entscheidend. Um zwischen Krankheit (Per- version) und Laster (Perversität) unterscheiden zu können, muss auf die Gesammtpersönlichkeit des Handelnden und auf die Triebfeder seines perversen Handelns zurückgegangen werden. Darin liegt der Schlüsse! der Diagnostik (s. u.).

Parästhesie kann mit Hyperästhesie combinirt vorkommen. Diese Combination erscheint klinisch als eine häufige. Bestimmt sind dann sexuelle Akte zu gewärtigen. Die perverse Richtung der Geschlechts-


SAdismua.


befriedigung kaou auf sexuelle Befriedigung am anderen Geschlecht und auf solche am eigenen abzielen.

Damit ergeben sich zwei für die Eintheilung des zu behandelnden Stoffes benutzbare grosse Gruppen von Perversion des Sexuallebens.


1. Geschlechtliche Neigung zu Personen des anderen Geschlechts in perverser Bethätigung des Triebs.

1) Verbindung von aktiver Grausamkeit und Gewaltthätigkeit mit Wollust — Sadismus *),

Dass Wollust und Grausamkeit häufig mit einander verbunden auf- treten, ist eine längst bekannte und nicht selten zu beobachtende That- sache. Schriftsteller aller Richtungen haben auf diese Erscheinung hin- gewiesen*). Noch innerhalb der Breite des Physiologischen stehen die nicht seltenen Fälle, wo sexuell sehr erregbare Individuen während des Coitus den Consors beissen oder kratzen ^1.

Schon ältere Autoren habea auf den Zusammenbang ^^wischen Wollust und Grausamkeit aufmerksam gemacht.

Blumröder (üeber Irresein, Leipzig 1836, p. 51) bominem vidit, qui compluria vulneru in musculo pectoraii babuit , quae femina valde libidinosa in summa voluptate mordendo effecit.

In einer Abhandlung , üeber Lust und Schmerz" (Friedreich's Ma- gazin für Seelenkunde 1830, II, S) macht er speciell aufmerksam auf den psychologischen Zusammenhang zwischen Wollust und Mordlust. Er verweist in dipser Hinsicht auf die indische Mythe von Siwa und Durgn (Tod und Wol- lust) . auf die Menschenopfer mit wollüstigen Mysterien, auf die sexuellen Triebe in der Pubertät mit wollüstig gefühltem Drang /um Selbstmord , mit Peitschen, Zwicken, Blutigstechen der (Jenitalien, im dunklen Drang nach Be- friedigung der Geschlechtslust.

Auch Lomhroso (Verzeni e Agnoletti, Roma 1874) bringt zahlreiche Beispiele für das Auftreten von Mordlust bei hochgesteigerter Wollust.

Umgekehrt tritt ofl, wenn die Mordlust aufgestachelt ist, in ihrem Gefolge die Wollust auf. Lombroso fuhrt op. cit, die von Mantegazza


' ) So t;enaiuit nach dem berOchtigten Marquis de Sade. dessen obscj^ne Romane von Wollust und Graasamkeit triefen. In der französiechen Litcratnr ist der Aus- druck „Sadismus* zur Bezeichnung dieser Pervemon eingebürgert. Eulenburg (Kliii. Handb. der Harn- und Sexualorgane) bespricht hierher gehörige Erscheinungen unter dem Terminus «active ilgolagnie*.

  • ) U. Ä. NoTHÜa in eeioen «Fragmenten', GOrres, „Christliche Mystik'

Bd. UI, 8. 460.

'} Vgl. auch die berühmten Verse Alfred de Bfutset's an die Andalasierin : Qu'elle est süperbe en son dosordre, — quand eile tombe. les seins nus — Qu'on la voit, b^ante, se tordre — dana un baiser de rage et mordre — En hurlant des mots inconous!


4


Sadismus.


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«rwähnte Thatsache an, dass sich den Schrecken einer PlUndcning Seitens der Soldateska regelmässig viehiHche Wollust hinzugeselle ^).

Diese Beispiele stellen üebergäuge 2U ausgesprochen pathologischen Fällen dar.

Belehrend sind die Beispiele entarteter Cäsaren (Nero. Tiberius), die sich daran ergötzten, Jünglinge und Jungfrauen vor ihren Augen absßhlanhton tn lassen, nicht minder die Geschichte jenes Scheusals, des Marschalls Gilles de Rays {Jacob, Curiosites de l'histoire de France. Paris 1858). der 1440 wegen Sch&ndung und Tiidtung, die er während 8 Jahren an Über 800 Kindern be- gangen hatte, hingerichtet wurde. Wie dieses Ungeheuer bekannte, war es durch die Lektüre des Suetonius und die Schilderungen der Orgien eines Tiber, Caracalla u. s. w. auf die Idee gekommen, Kinder in seine Schlösser zu locken, sie unter Martern zu schänden und dann zu tudter». Der Unmensch versicherte, bei der Verübung dieser Thaten eine unerklärliche Seligkeit ge- nossen zu haben. Er hatte dabei zwei Helfershelfer. Die Leichen der unglück- lichen Kinder wurden verbrannt und nur eine Anzahl von besonders hübschen Kinderküpfen wurde — zum Andenken anfl>ewahrt. Vgl. Eulen bürg op. cit. p. 6B, mit dem fast sicheren Nachweis, dass Rays ein Geistesgestörter war.

Beim Versuch einer Erklärung der Verbindung von Wollust und Grausamkeit rauss man auf die quasi noch physiologischen Fälle zurück- gehen, in denen, im Momente der höchsten Wollust, ein sehr erregbares, aber sonst normales Individuum Akte wie Beissen und Kratzen begeht, die sonst vom Zorne eingegeben werden. Erinnert muss femer daran werden, dass die Liebe und der Zorn nicht nur die beiden stärksten Affecte, sondern auch die beiden allein möglichen Formen des rüstigen (athenischen) Affects sind. Beide suchen ihren Gegenstand auf. wollen sich seiner bemächtigen und entladen sich naturgemäss in einer körper- lichen Einwirkung auf denselben; beide versetzen die psychomotorisohe Sphäre in die heftigste Erregung und gelangen mittelst dieser Erregung zu ihrer normalen Aeusserung.

Von diesem Standpunkte aus wird es begreiflich, dass die Wollust zu Handlungen treibt, die sonst dem Zorn adäquat sind '). Sie ist wie dieser ein Exaltationszustand, eine mächtige Erregung der gesammten psychomotorischen Sphäre. Daraus entsteht ein Drang, gegen das Ob-


') In der Exaltation des ECampfei drängt sich die VurHteliung der Exaltation der Wollust inH Uewusstsein. Vgl. bei Grillparser die Schilcleruag einer Schlacht durch einen Krieger:

,ünd als nun erschallt dos Zeichen, — beide Heere sich erreichen, — Brust an Brust, — Götterlustl — herüber, hinüber, — jetzt Feinde, jetzt Brüder — streckt der Mordetahl nieder. — Empfangen und Geben — den Tod und das Leben — im wei'hHplnden Tausch — wild taumelnd im Rausch!* Traum ein Leben, 1. Akt.

  • ) Schulz, Wiener med. Wochenschrift 1869. Nr. 49, berichtet einen merk-

würdigen Kall von einem 28jiihrigen Manu , der mit seiner Frua den Coitus nnr dann volUiehen konnte, wenn er »ich vorher künstlich ia die Stimmung des Zornes irersetste.


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Sadismus.


ject, welches den Reiz hervorruft, auf alle mögliche Weise und in der intensivsten Art zu reagiren. So wie die maniakalische Exaltation leichc in furibunde Zerstörungssucht Übergeht, so erzeugt die Exaltation des geschleohtlichen AfFects miinchinal einen Drang, die allgeineijie Erregung in sinnlosen und scheinbar feindseligen Akten zu entladen. Diese stellen sich gewissermassen als psychische Mitbewegungen dar; es handelt sich aber nicht etwa um eine blosse unbewusste Erregung der Muskelinner- vation (was als blindes Umsichschlagen nebenbei auch vorkommt), son- dern um eine wahre Hyperbulie, um den Willen, auf das Individuum, von dem der Heiz ausgeht, eine möglichst starke Wirkung auszuüben. Das stärkste Mittel dazu ist aber die Zufügung von Schmerz.

Von solchen Fallen der Schmerzzuftigung im höchsten Affecte der Wollust ausgehend, gelaugt man zu Fällen, in denen es zur ernstlichen Misshandlung, zur Verwundung and selbst zur Tödtung des Opfers kommt ^J. In diesen Fällen ist der Trieb zur Grausamkeit, der den wollüstigen Affect begleiten kann, in einem psychopathischen Individuum ins Masölose gewachsen, während andererseits wegen Defectuositat der moralischen Gefühle alle normalen Hemmungen entfallen oder sich zu schwach erweisen.

Derartige monströse — sadistische Handlungen haben aber beim Manne, bei welchem sie weit häufiger vorkommen als beim Weibe, noch eine zweite starke Wurzel in physiologischen Verhältnissen.

Im Verkehr der Geschlechter kommt dem Manne die active, selbst aggressive Rolle zu, während das Weib passiv, defensiv sich verhält-). Für den Mann gewährt es einen grossen Reiz, das Weib sich zu erobern, es zu besiegen, und in der Ars amandi bildet die Züchtigkeit des iu der Defensive bis y.um Zeitpunkte der Hingebung verharrenden Weibes ein Moment von hoher psychologischer Bedeutung und Tragweite. Unter normalen Verhältnissen sieht sich also der Mann einem Widerstände gegenüber, welchen zu überwinden seine Aufgabe ist und zu dessen Ueberwindung ihm die Natur den aggressiven Charakter gegeben hat. Dieser aggressive Charakter kann aber unter pathologischen Bedingungen gleichfalls ins Masslose wachsen und zu einem Drange werden, sich den Gegenstand seiner Begierden schrankenlos zu unterwerfen, bis zur Ver- nichtung, Tödtung desselben **) *).

') Ueber analoge VorkommniBse bei brünstigen Thieren s. Lombroao (Der Verbrecher, Übers, v. FrUnkel p. 18).

'} Auch bei deu Thieren ist ea regelmässig dns Männchen, welcfaea daa Weibchen mit Liebesiintriigen verfolgt. VerstuUte oder ernstliche Flucht de« Weibchens ist nicht selten zu beobachten; dann kommt es zu einem iihnlichen Verhältniss wie zwischen Raubthier und Beutethier.

  • ) Die Eroberung des Weibes findet heutzutage in der civilon Form der Cour-

roacherei, Verführung, List u. s. w. statt. Aus der CuKurgeachichte und der Anthropo-



SadismoB.


Öi


Treffen diese beiden L-onntituirenden Elemente, der abnorm ge- steigerte Drang nacb einer heftigen Keaction gegen den Gegenstand des Keizes und das krankhaft gesteigerte BedOrfniss, sich das Weib zu unter- werfen, zusammen f so wird es zu den heftigsten Ausbrüchen des Sadis- mus kommen.

Sadismus ist also nichts Anderes als eine pathologische Steigerung von — andeutungsweise auch unter normalen Umständen möglichen — Begleiterscheinungen der psychischen Vita sexualis, insbesondere der männlichen, ins Masslose und Monströse. Es ist aber selbstverständlich durchaus nicht nothwendig und durchaus nicht die Kegel , dass das sa- distische Individuum sich dieser Elemente seines Triebs bewusst sei. Was es empfindet, ist in der Regel nur der Drang nach grausamen und gewaltthätigen Handlungen am entgegengesetzten Geschlecht und die Be- tonung der Vorateliung solcher Akte mit wollüstigen Empfindungen. Daraus ergibt sich ein mächtiger Impuls, die vorgestellten Handlungen wirklich zu begehen. Insofern die eigentlichen Motive dieses Dranges dem Handelnden nicht bewusst werden^ tragen die sadistischen Akte den Charakter impulsiver Handlungen.

Wenn die Association zwischen Wollust und Grausamkeit vorhanden ist, so weckt nicht nur der wollüstige Affecfc den Drang zur Grausamkeit, sondern auch umgekehrt: Vorstellung und besonders der Anblick grau- samer Handlungen wirken sexuell erregend und werden in diesem Sinne vom perversen Individuum benutzt').


togje wissen wir, dass es Zeitea gab and noch Völker gibt, in welchen die brutale Gewalt, der Raub, «elbitt die Wehrlosmacbung des Weibes durch KeulunHchlUge die Liebecbe Werbung ersetzte. Ks ist möglicb. dass atavistische Rückschläge iu derartige Neigungen zu Ausbrüchen des Sadismus beitragen.

  • ) In den .lahrbüchem für Pfjchologie II, p. 128 referirt Schäfer (Jena)

Über zwei KrankheitAberichle A. Payer*H. In dem ersten Falle wurden Zustünde höchster sexueller Erregung durch den Anblick von Kumpfscencn , selbst gemalten, ausgelöst; in dem anderen durch grausame Quälereien kleiner Thiere. Referent fügt hinzu: ^Kampfluät und Mordgier sind in der ganzen Thierreihe ao überwiegend ein Attribut des niännlichen Geschlechts, dass ein engster Zusammenhang dieser Seite männlicher Neigungen mit der rein sexuellen wohl ausser Frage steht. Ich glaube tkbrigens auf Grund einwiuidfreier Beobachtungen constattren zu ddrfen, dass auch bei p^j^chisch und sexuell vollkommen gesunden männlichen Personen die ernten dunklen und unverstandenen Vorboten sexueller Regungen durch die LectÜro auf- regender Jagd- und Kampfscenen ausgelöst werden können, resp. in unbewuastem Drange nach einer Art Befriedigung zu kriegerischen Knabenspielen (Ringkämpfen) VeronlassuDg geben, iu denen ja auch der Fundamentultrieb des Oüschlechtslebens nach möglichst extensiver und intensiver Berührung des Partners mit dem mehr oder woniger deutlichen Hintergedanken der Ueberwfiltigu&g zum Ausdruck kommt."

  • ) Es kommt auch vor, dasa eine zulUUige Wahrnehmung von IllutvergiesRfn

Q. dgl. den prSforniirten psychischen Mechanismus des Sadisten eret in Bewegung setzt und den latenten perversen Trieb weckt.


S8


Sadismus.


Eine empirische Unterscheidung zwischen originären und erworbenen Fällen von Sadismus ist nicht durchfuhrbar. Viele ab origine belastete Individuen bieten geraume Zeit hindurch Alles auf. um ihren perversen Trieben zu widerstehen. Ist die Potenz noch vorhanden, so fuhren sie anfangs, oft mit Zuhülfenahme innerlicher Vorstellungen perverser Art, eine normale Vita sexualis. Später erst, nach aUmähliger Ueberwindung der ethischen und ästhetischen Gegenmotive und nach immer wiederholter Erfahrung, dass der normale Akt nicht voll befriedigt, kommt es zum Durchbruch des krankhaften Triebes nach aussen. Durch diese späte Umsetzung einer originären perversen Anlage in Handlungen kann der Schein einer erworbenen Perversion vorgetäuscht werden. A priori ist aber anzunehmen, dass dieser psychopathische Zustand stets ab origine besteht. Die Begründung dieser Annahme s. unten.

Die sadistischen Akte sind dem Grade ihrer Monstrosität nach ver- schieden, je nach der Macht des perversen Triebes Über das ergriflene Individuum und der Stärke der noch vorhandenen Widerstände, welche fast immer durch originäre ethische Defecte, erbliche Degenerescenz, moralisches Irresein, mehr oder minder herabgesetzt sind. So entsteht eine lange Reihe von Formen, welche mit den schwersten Verbrechen beginnt und bei läppischen Handlungen endigt, die dem perversen Be- dOrfnisse des Sadisten eine bloss symbolische Befriedigung gewähren sollen.

Die sadistischen Akte können ferner noch ihrer Art nach unter- schieden werden, je nachdem sie entweder nach consumirtem Coitus, durch welchen die Libido nimia noch nicht gesättigt ist, vorgenommen werden, oder, hei gesunkener Potenz, prBpnratorisch zur Aufstachelung der gesunkenen Kraft verwendet werden, oder endlich, bei ganzlich fehlen- der Potenz, als Aequivalent an die Stelle des unmöglich gewordenen Coitus, zur Erzielung der Ejaculation treten. In den beiden letzteren Fällen besteht jedoch trotz der Impotenz noch heftige Libido , oder hat wenigstens beim betreffenden Individuum zur Zeit bestanden, als sadi- stische Akte gewohnheitsmässig wurden. Sexuelle Hyperästhesie ist immer als Basis sadistischer Neigimgen zu betrachten. Die Impotenz, welche bei den hier in Betracht kommeuden psycho- und neuropnthi.schen In- dividuen, in Folge ihrer meistens von früher Jugend an geübten Excease, so häufig ist. wird in der Regel spinale Schwäche sein. Manchmal mag auch eine Art psychischer Impotenz eintreten , durch die Concentration des Denkens auf den perversen Akt, neben welchem das Bild der nor- malen Befriedigung verblasst.

Wie immer die That äusserlich beschaffen sein mag, für ihr Ver- ständniss wesentlich ist immer die seelisch-perverse Veranlagung und Triebrichtung des Thaters,



Liutmord.


59


a) Lustmord^) (Wollust, potenzirt als Grausamkeit, Mordlust bis zur Anthropophagie).

Am grässlichsten, aber auch am bezeichnendsten für den Zusammen- hang zwischen Wollust und Mordlunt ist der Fall des Andreas ßichel, den Feuerbach in seiner „aktenmiissigen Darstellung merkwürdiger Verbrechen" verÖfFentlicht hat.

B. puellas stupratas neuavit et dissecuit. Bezüglich des Mordes eines ler Opfer ilnsserte er sich folgenderraassen im Verhör:

.Ich habe ihr die Brust geuffnet und mit einem Messer die fleischigen leile des Körpers durchschnitten. l>arauf hübe ich mir diese Person, wie der Metzger das Vieh, zugerichtet und habe den Körper mit dem Beil von einander gehackt, so wie ich ihn für das Loch brauchen konnte, das ich zum Einscharren auf dem Berg gemacht hatte. Ich kann sagen, dass ich während [•des Oeffnens so gierig war, dass ich zitterte und mir ein Stück wollte heraus- geschnitten und gegessen haben."

Auch liOmbroso (Geschlechtstrieb und Verbrechen in ihren gegen- seitigen Beziehungen, GoUdammer's Archiv Dd. 30) führt bezügliche Fälle an, so einen gewissen Philippe, der meretrices post actum zu erwürgen pflegte nnd meinte: ,Die Weiber habe ich lieb, aber es macht mir Spass, sie 7.u er- l^rÜrgen, nachdem ich sie genossen/

Ein gewisser Grassi (Lomhroso op. cit. p. 12) wurde Nachts von Libido gegen eine Verwandte ergrifiFen. Durch ihren Widerstand gereizt, ver- setzte er ihr mehrere Messerstiehe in das Abdomen, und da der Vater nnd der Onkel der Unglücklichen ihn zurückhalten wollten, erschlug er auch diese. Deinde statim ad meretricem properavit, ut in eius amplexu libidinem suam ardentem satiaret. Doch das genügte nicht. Er mordete dann noch seinen Vater und tödtete mehre Ochsen im Stalle.

Dass eine grössere Anzahl von sog. Lustmorden auf Hyperästhesia in Verbindung mit Pfiraesthesia sexualis beruhen, ist nach allem Voraus- gehenden nicht zu bezweifeln.

So kann es auf Grund perverser Gefühlsbetonung zu weiteren Akten der Brutalität gegen den Leichnam kommen , so z. B. zum Zerstücken desselben, wollüstigem Wühlen in dessen Eingeweiden. Schon der Fall Bichei deutet diese Möglichkeit an.

Ein Beispiel aus neuerer Zeit ist Menesclou (Annules d'hygi^ne publique), von Lasi^sgue, ßrouardel. Mutet begutachtet, für geistig [gesund erklärt und hingerichtet.

Beobachtung 16. Am 15. April 1880 verschwand ein vierjähriges Mädchen aus der Wohnung seiner Eltern. Am 10. verhaftete man Menesclou, einen der Miether des Hauses. In seinen Taschen fand man die Vorderarme des Kindes, aus dem Ofen zog man den Kopf und Eingeweide halb verkohlt


') Tgl. M e t z g e r's ger. Anmeiw., heraasgegeben von R e m e r , p. 539- K 1 e i d*5 Annalen X, p. 176, XVIII, p. 311 Heinroth. System des psych, ger. Med. p. 270. Neuer Pitaval 18.^5. 23. Th. (FaU Blaiice Ferruge).


60


Lastmord.


hervor. Auch im Abort fanden sich Theile der Leiche. Die üenitalien wurden nicht aufgefunden. M. , über ihren VerLIeib gefragt, wurde verlegen. Die Umstände, sowie ein bei ihm gefundeiKS schlüpfriges Gedicht Hessen keinen Zweifel, dass er das Kind geschändet und dann ermordet hatte. M. äusserte keine Reue, seine That sei eben ein Unglück. Die Intelligenz ist be- schränkt. Er bietet keine oiuitomischen Degenerationszeiclien, ist schwerhörig, skrophulus.

M., 20 Jahre alt, litt im Alter von 9 Monaten an Convulsionen ; später litt er an unruhigem Schlaf, Enuresis nocturna, war nervös, entwickelte sich verspätet und mangelhaft. Von der Pubertät an wurde er reizbar, zeigte schlimme Neigungen, war faul, ungelehrig, in allen Beschäftigungen unbrauch- bar. Selbst im Correctionshaube wurde er nicht besser. Man that ihn zur Marine, auch dort that er nicht gut. Heimgekehrt, bestabl er seine Eltern, trieb sich in schlechter Gesellsuhuft herum. Den Weibern lief er nicht nach, der Onanie war er eifrig ergeben, gelegentlich sodomiairte er Hündinnen. Seine Mutter litt an Mania menstrualis periodica, ein Onkel war irrsinnig, ein anderer trunksüchtig.

Bei der Untersuchung von M.'s Gehirn erwiesen sich beide Stirnlappen, die erste und zweite Schläfeuwindung. sowie ein Theil der Occipitalwindungen krankhaft verändert.

Beobachtung 17. Commis Alton in England geht vor die Stadt spazieren. Er lockt ein Kind in ein Gebüsch , kehrt nach einer Weile zurück und geht auf sein Bureau, wo er die Notiz ,Killed to-day a youug girl, it was äne and bot" in sein Tagebuch macht.

Man vermisst das Kind, sucht es, findet es in 8tÜcke zerfetzt; manche Theile, darunter die Genitalien, sind nicht auflindbar. A. zeigte nicht die geringste Spur von Gemüthsbewegung und gab keine Aufschlüsse über Motive und Umstände seiner schrecklichen That.

Er war ein psychopathischer Mensch, hatte zeitweise Depressionsziistände mit Taedium vilae.

Sein Vater hatte einen Anfall von acuter Manie gehabt, ein naber Ver- wandter litt an Manie mit Mordtrieben. A. wurde hingerichtet.

In derartigen Fällen kann es geschehen, dass sogar Gelüste nach dem Fleisch des ermordeten Opfers auftreten und dass, iu Folgegebung dieser perversen Betonung der bezüglichen Vorstellung, Theile der Leiche verzehrt werden.


Beobachtung 18. Leger, Winzer, 24 Jahre alt. von Jugend auf finster, verschlossen, leutscheu, geht fort, um eine Stelle zu suchen. Er treibt sich 8 Tage in einem Wald herum, puellam apprebendit XII anuorum; stu- pratae genitalia mutilat, cor eripit, isst davon, trinkt das Blut und verscharrt den Leichnam. Verhaftet, leugnet er anfangs, gesteht aber endlich sein Ver- brechen mit cy nischer Kaltblütigkeit. Er hört sein Todesurtheil gleichgültig an und wird hingerichtet. Es^uirol fand bei der Section krankhflfte Ver- wachsungen zwischen Hirnhäuten und Gehirn (Georget, Darstellung der Processe Leger, Feldtmann etc., übersetzt von Amelnng, Darmstadt 1827).

Beobachtung 1*J. Tirsch , Siechenhauspfründner in Prag, 55 Jahre alt, von jeher verschlossen, eigenlhüinlich, roh, höchst reizbar, mürrisch, rach- süchtig, wegen Nothzuchtsversuch an einem lOjährigen Mädchen zu 20 Jahren verui'theilt, hatte in letzter Zeit durch VVuthausbrüche aus geringem Anlass and durch Taedium vitae Aufmerksamkeit erregt.


Lustmord.


61


1S()4, nach Abweisang eines einer Wittwe gemachten Heirathsantrags, hatte er einen Hass ge^en die Franenzimmer gefasst und trieb sich am 8. Juli hemra, in der Absicht, eine von diesem verbassten Geschlecht zu tödten.

Vetulam occurentem in silvam allexit, coitum jmposcit, renitentem pro- stravit, jugulum feminae compressit ^furore captus*. Cadarer virga betulae desecta verberare voluit nequetamen id perfecit. quia couscientia sua haec fieri vetuit , cultello mammas et genitalia desecta domi cocta proximis diebus cum globis comedit. Am l'^. September bei der Verbaftang fand man noch Reste dieses grauenvollen Mahles vor. Er motivirte seine Handlang mit .innerlicher Gier*, wünschte selbst seine Hinrichtung, da er ja immer ein Ver- «tosaener gewesen sei. In der Haft enorme Gemüthsreizbarkeit, gelegentlich 'uthausbruch. der mehrtägige Bpschränknng nüt.hig machte und mit Nahrungs- (Weigerung einherging. Es wurde aktenmilssig constatirt, dass die meisten ■einer früheren Kxcesse mit AuHbrüchen von Aufregung und Wuth zusammen- fielen (Maschka, Prager Viert eljahrsschrift 1886, I, p. 7(*; Gauster bei Taschka, Handb. der ger. Medicin. IV, p. 489).

In die Reihe dieser psycho-sexualen Monstra gehört wohl auch der FrauenmSrder von Whitechapel *). Das rogelmüssige Fehlen von Uterus, Ovarien und Labien bei den (10) Opfern dieses modernen „Blaubart* spricht überdies für die Annahme, dass er in Anthropophagie noch weiter- lebende Befriedigung suchte und fand.

In anderen Fällen von Lustmord unterbleibt aus physischen oder psychischen Gründen (s. oben) das Stupnim, und das sadistische Verbrechen tritt allein als Ersatz für den Coitus auf.

Das Prototyp solcher Fälle ist der folgende Fall des Verzeni. Das Leben seiner Opfer hing von dem raschen oder turdiven Eintreten der Ejaculation ab. Da dieser denkwürdige Fall Alles bietet, was die gegen- wärtige Wissenschaft über den Zusammenhang von Wollust mit Mordlust bis zur Anthropophagie kennt, so möge er, zumal da er gut beobachtet ist, ausführliche Erwähnung finden.

Beobachtung 20. Vincent Verzeni, geb. 1849, seit dem 11. Januar 1872 in Haft, ist angeklagt 1) der versuchten Erdrosselung seiner Muhme Marianne, als dieselbe vor vier Jakren krank zu Bette lag; 2) des gleichen Verbrechens an der 27jjihrigen Ehefrau Arsuffi: 3) der versuciiteu Erdrosselung der Eliefrau Gala, indem er ihr die Kehle zudrückte, wahrend er auf ihrem Leib kniete; 4) ausserdem verdHchtig folgender Mordthaten:

Im December begab sich die 14jährige Johanna Motta Morgens zwischen 7 und 8 Uhr auf ein benachbartes Dorf. Da sie nicht zurück kam, ging ihr Dienstherr aus, um sie /.u suchen, und fand ihren Leichnam in der Nähe des Dorfes an einem Feldweg, durch eine Unzahl von Wunden gräulich verstümmelt. Die Gedilrme und Genitalien waren aus dem geöffneten Leibe herausgerissen und fanden sich in der Nähe. Die Nacktheit der Leiche. Erosionen an deren Schenkeln Hessen ein unsittliches Attentat vermuthen, der mit Erde gefüllte Mund deutete auf Erstickung. In der Nähe der Leiche unter einem Stroh- haufen fanden sich ein abgerissenes Stück der rechten AVude und Kleidungs- stücke vor. Der Thäter blieb nnermittelt.


M Vgl. u. A. Spitzka, The Journal of nervous ond mental Piseasep Dec. 1888; Kiernan. The medical SUndard, Nov.-Dec. 1888.


62


Lustmord.


1


Am 28. August 1S71 früh Morgens ging die 28jftlirige Ehefrau Frigeni aufs Feld. Da sie uni 8 Uhr nicht zurück war, giug ihr Mann fort, sie zu holen. Er fand sie als Leiche nackt auf dem Feld, mit einer von Erdrosse- lang herrührenden Strangrinne am Hals, mit zahlreichen Verletzungen, auf- geschlitztem Bauch und heraushängenden Därmen.

Am 29, August, Mittags, als Maria Previtali, 19 Jahre alt, tihers Feld ging, wurde sie von ihrem Vetter Verzeni verfolgt, in ein Getreidefeld ge- schleppt, zu Boden geworfen und am Halse gewürgt. Als er sie einen Moment losliess, um zu spähen, ob Niemand in der Nähe sei, erhob sich das Mädchen und erreichte durch sein tiehentliches Bitten, dass V. es laufen Hess, nachdem er ihm wahrend einiger Zeit noch die Hände zusammengepresat hatte.

V. w\ude vor Gericht gestellt. Er ist 22 Jahre alt, sein Schädel über mittelgross, asymmetrisch. Das rechte Stirnbein ist schmaler und niedriger als das linke, der Stirnhöcker rechts wenig entwickelt, das rechte Ohr kleiner als das linke (um 1 cm in der Höhe und 3 in der Breite); beide Ohren er- mangeln der unteren Hälfte des Helix, die rechte Sehläfenarterie ist etwas atheromatös. Stiernacken , enorme Entwicklung des Os zygomat. iind des Unterkiefers, Penis sehr entwickelt, Frenulum fehlend; leichter Strabismus alternans divergens (Insufficienz der Mm. recti interni und Myopie). Lom- broso schliesst aus diesen Degenerationszeichen auf* eine angeborene Bildungs- hemmung des rechten Stirnlappens. Wie es scheint, ist Verzeni ein Herodi- tarier — zwei Onkel sind Cretins, ein dritter ist mikrocephal, bartlos, ein Hode fehlend, der andere atrophisch. Der Vater bietet Spuren von pellagröser Ent- artung und hatte einen Anfall von Hypochondria pellagrosa. Ein Vetter litt an Hyperaemia cerebri, ein anderer ist Gewohnheitsdieb.

Verzeni's Familie ist bigott, von schmutzigem Geiz. Er selbst zeigt ge- wöhnliche Intelligenz, weiss sich gut zu vertheidigen , sucht sein Alibi zu be- weisen. Andere zu verdächtigen. In seiner Vergangenheit findet sich nichts, was auf Geisteskrankheit deutet; sein Charakter ist übrigens auffällig; er ist schweigsam, liebt die Einsamkeit, hu Gef^ugniss cynisch, Mabturbant; sucht sich um jeden Preis den Anblick von Weibern zu verschaffen.

V. gestand endlich seine Thaten und deren Motive ein. Ihre Begehung habe ihm ein unbeschreiblich angenehmes (wollüstiges) Gefühl verschafft, das von Erection und Samenergiessung begleitet war. Schon wenn er seine Opfer am Halse kaum berührt hatte, stellten sich sexuelle Empfindungen ein. Es sei ihm ganz gleich in Bezug auf diese Empfindungen gewesen, ob die Krauen aitj jung, hilsslich oder schön waren. Gewöhnlich habe schon das einfache Drosseln derselben ihn befriedigt und dann habe er seine Opfer am Leben gelassen — in den erwUhnten 2 Fällen habe die geschlechtliche Befriedigung gezögert, einzutreten, und da habe er zugedrückt, bis seine Opfer todt waren. Seine Befriedigung bei diesen Gai-ottirungen sei grösser gewesen, als wenn er onanirto. Die Hautabschürfungen an den Schenkeln der Motta seien durch seine Zähne entstanden, als er mit grossem Genuss das Blut aussaugte. Ein Wudenstiick derselben habe er anagesogen und dann mitgenommen , um es daheim zu braten, es indessen unterwegs unter einem Strohhaufen verborgen, aus Furcht, dass seine Mutter hinter seine Streiche komme. Auch die Kleider und Eingeweide habe er ein Stück weit mitgenommen, weil es ihm einen Ge- nuss gewührte, sie zu beriechen und zu betasten. Die Stärke, die er in diesen Momenten höchster Wollust besessen, sei enorm gewesen. Ein Narr sei er nie gewesen ; bei der Ausführung seiner Thaten habe er gar nichts mehr um sich gesehen (offenbar durch höchste sexuelle Ei'regung aufgehobene Apperception and instinctives Handeln). Nachher sei ihm immer sehr behaglich gewesen, ein Gefühl grosser Befriedigung; Gewissensbisse habe er nie gehabt. Nie sei es ihm in den Sinn gekommen, die Geschlechtstheile der von ihm gemartei'ten Frauen zu berühren oder die Opfer zu stupriren, es habe ihm genügt, sie zu erdrosseln und ihr Blut zu saugen. In der That scheinen die Angaben dieses


6S


I


m



tm be n'fcfif n ikm frcaoid g eir tjen in san — wh GflAtw, die «r Imtle, hnftgW er sdi zo twctiogp — es ist Dim saÜtsl aolfftlb, tes er ketae MBste ihiif gegeaftber hatte, <äe aa dinniflii oämr ümtm die Binde za pnssea. aber freeüdk bebe er mit ibnea nidit deo«ilw Gemüse g^ebt wie mit scüna Opiecs. VfiB BorebacteaL Süme^ Bcoe n. dgL fiwd sieb fceiik» Spar.

Tcneei ngte idbst, ee dfirfte gnt sein, woui man ibn ÖAgaperri laaee» deaa is der FrcÄ«ct IcOime er seises GelnsteB kesaeD Widerstand leistetL V. wvrde an IcbeBslioglicboD Kerker rertirtbeiH. (Lonbroao: VemaieAgno- lettt, Socae 187^.)

Intereasaat cind die Gesiliid&isse, wetefae V. naeb aesiier VenurtbeäuBg laaebte.

^Iscredifaüeia Tolnpiatem habai fiesniaaB snffocaas, erectioaee toa sean etqoe rera übidxae affectus sam. Vd TotiiMBta BmUernm ottaeere volnpta- toB mibi edtulit, la raffbeaado femxaas maioreBi Tolnptatem ioveni quam ia mastarbando. Bei dem Trinken des Bhiles der Xotta empfind icb groeaM WbUge&Uea. Es gew&krte nur ukA groeaeo Geanss, den Ennordetea die Haarsad^ ans dem Haar zn zidien.

.Die Kleider und Eisgeweide nabm icb aas Last, äe zo be rie eben aad ra betasten. Veiae Motter kam erhHwalicb hinter maae Streicbe, weil sie nach jedem Mord oder MordTersoeb Spermaflerke in meiaaB Hemd b e m ar kta , Vorrftekt bin ich nicht, aber ia jenen Angeabfieken des Wflzgeas sab ich gar nichts mdir. Nach der Verttbong der Th&ten war ich befriedigt nnd fahlte mich wobL Es fiel mir nie ön. dje tiescblecbtstheile o. d^ za faerähren oder sti beeebaneo. £s genögl«- mir. die Weiber am Halse za qoetsdieti aad ihr Blat za saagoi. Idi weiss heote noch nicht* wie das Weib gebaot ist.

.Wihnend des W&rg«os nnd nach denselben drfickte ich mich an den ganzen Leib, ohne auf einen KCrpertbeil mehr als snf den anderen za achten,*

V. war gaaz von selbet auf seine perrerseo Akte gekommen, ascb d em er, 12 Jahre alt, bemerkt hatte, dass ibn ein sehnmes Lastget&hl fibcrkooue, wenn er Häbaer zn erwft igan hatte. Dednlb habe «r noch 6ftcn ¥eawB da» ▼OB geiOdlei osd dann rofgegeben, ein Wieael sei ia den Htthaiartill ein* gedrangen (Lombroso, Goltdammer*s ArehiT Bd. 30, p^ 13).


Bisen analogen Fafl ßlhrt Lombroso (Ooltdammer's Ärchir) an. der in Vittorä (Spanien) Torkam.


Beobachtung 21. Eia gewisser Gruyo, 41 Jahre alt Ton früher an- bescholtenem Lebenswandel and 3mal rerbeirathet gewesen, erwmyte im Laoi

Ivt>a 10 Jalffen 6 Weiber. Sie waren fiist simmtlicfa öffentlich« I>imea and schon ziemlieb alt gewesen. Snffocatis per raginaa intestina ei naei extraxit. NonnoUaB miseras ante mortem stapravit, alias (si föne impoiena erat) noo ttaprarit. Er rerfabr bei seinen Greaelthsten mit soldier Torncht, dass er


b) Leichenscb&nder.


An die graoenTolle Grappe der LostnoOrder reäben sieh naUugemin die Nekrophilen, tnaofem bei ihnen, gleichwie bei Lnstmdrdem und ana- logen Fällen, eine an und fOr sieb Grauen erweckende Vorstellirag, Tor der der Gesunde, bezw. Nichtentart^te, zurBckachaadert, mit Lnstgemhlco mi und damit zum Impnb fOr nekrophfle Akte wird.



64


LeicbeDschändun^.


Die in der Literatur vorkommenden Fälle von Leichenschändung machen den Eiudruck pathologischer, nur sind sie, bis auf den berühmten des Sergeant Bertrand (s. u.) , nichts weniger als genau beobachtet und beschrieben.

In einzelnen Fällen mag nicht-s Anderes vorliegen, als dass zügel- lose Begierde in der Vorstellung des eingetretenen Todes kein Hinderniss ihrer Befriedigung sieht.

Ein derartiger Fall ist vielleicht der siebente unter den von Moreau mitgetbeilten.

In diesem machte ein 23 Jahre alter Mann einen Notbzuchtsversuch an der TiG Jahre alten X.. tödtete die sich Sträubende, benutzte sie dann ge- schlochtlich. warf sie dann ins Wasser, fischte sie aber heraus, um sie neuer- lich zu stupriren.

Der Mörder wurde hingerichtet. Die Meningen des Stimhirns fand man verdickt und mit der Hirnrinde verwuchsen.

Mehrere Beispiele von Nekrophilie haben andere französische Schrift- steller mitgetheilt. Zwei Falle betrafen Mönche, wJlhrend sie die Todtenwache hielten. In einem dritten handelte es sich um einen Idioten, der überdies an periodischer Manie litt, nach Notb/.ucht in einer Irrenanstalt Aufnahme gefunden hatte und dort weibliche Leichen in der Todtenkammer schändete.


In anderen Fällen liegt aber unzweifelhaft eine directe Bevorzugung der Leiche vor dem lebenden Weibe vor. Wenn keine weiteren Akte der Gniusarnkeit — ZerHtückelung etc. — an der Leiche vorgenommen werden, so ist es wahrscheinlich die Leblosigkeit selbst, welche den Reiz für den perversen Thäter bildet. Es mag sein, dass die Leiche, welche allein menschliche Form mit vollkommener Willenslosigkeit verbindet, desshalb ein krankhaftes Bedürfniss befriedigt, den Gegenstand der Begierde sich ohne Möglichkeit eines Widerstandes schrankenlos unterworfen zu sehen.

Brierre de Baisraont (Gazette ni^dicale 1850, 21. Juli) theilte die Geschichte eines Leiohenschünders mit, der sich, nach Bestechung der Leichen- wächter, zur Leiche eines lt>jährigen Mädchens aus vornehmen Hanse ein- geschlichen hatte. Nachts htirte man im Todten/.immer ein Geräusch, wie wenn ein tStück Möbel umfalle. Die Mutter des verstorbenen Mädchens drang ein, bemerkte einen Menschen, der im Nachthemd vom B^tt der Todten herab- sprang. Man meinte zxierst, man habe es mit einem Dieb zu thun, erkannte aber bald den wahren Thatbestand. Es stellte sich heraus, dass der Schänder, ein Mensch aus vornehmen Hause, schon öfter die Leichen junger Weiber ge- schändet hatte. Er wurde zu lebenslänglichem Kerker verurtheilt.

Von hohem Interesse auf dem Gebiete der Nekrophilie ist die von Taxil *)


  • ) Ein die«em Fall ähnlicher wurde von Neri (Ärchivio delle psicopatie seunali

1806, p. 109) bericht^^t. Ein Herr, .'»0 .lahrc alt, benutzt im Lupanar nur puellae, die weiw gekleidet, unbeweglich, eine Todte markirend, daliegen. Derselbe bat die Leiche seiner eigenen Schweeter geschändet immissione meutulae in ob mortuae uaque ud ejaculationem ! Dieses Scheusal hatte Überdies fetischistische Anwandlungen zu ci-ines pubiß puellarum und Nä^elabschuitzeUi von Mädchen, deren Genuss ihu sexuell mächtig erregte!


Nekrophilie.


, 6S


(La Prostitution contemporaine p. 171) berichtete Geschichte eines Prälaten, der zeitweise in einem Prostitutionshause in Paris erschien und eine Prostituirte, als Leiche weiss geschminkt auf dem Paradebett liegend, bestellte.

Bora desiinata in cubieulum quasi funestum et lugubre factum vesti- mento sacerdotali exornatus intravit. ita Re gessit, acsi missam legetet, tum se in puellam coiäecit, quae per totum temj>us mortuara se esse simulare debuit')-


Durchsichtiger sind die Fälle, in denen der Thäter die Leiche miss- handelt und zerstückelt. Solche Fälle schliesaen sich unmittelbar an die Lustmörder an, indem Grausamkeit, wenigstens ein Drang, sich am weib- lichen Körper zu vergreifen» mit der Wollust dieser Individuen verbunden ist. Vielleicht schreckt ein Rest moralischer Bedenken von der Vor- stellung grausamer Akte am lebenden Weibe ab, vielleicht überspringt die Phantasie den Lustmord und hängt sich gleich an sein Resultat, die Leiche. Möglicher Weise spielt auch hier die Vorstellung der Willen- losigkeit der Leiche eine Rolle.

Beobachtung 22. Sergeant Bertrand ist ein Mensch von zartem Körperbau, von auffälligem Charakter, von Kindheit auf verschlossen und die

Einsamkeit liebend.

Die Gesundbeitsverhältnisse seiner Familie sind nicht genügend bekannt, das Vorkommen von Geisteskrankheiten in der Ascendenz ist jedoch sicher- gestellt. Schon als Kind will er mit einem ihm unerklärlichen Zerstörungsdrang behaftet gewesen sein. Er habe zerbroi^hen , was er gerade zur Hand hatte.

Schon in früher Kindheit kam er ohne alle Verführung zur Onanie. Mit Jahren begann er Hinneigung zu Personen des anderen Gescblechts zu versjiüren. Mit 13 Jahren erwachte möchtig in ihm der Drang zu geschlecht- licher Befriedigung an Weibern ; er onanirte nun sehr viel. Wenn er dies that. stellte er sich in seiner Phantasie jeweils ein Zimmer, erfüllt mit Frauen, vor. Er stellte sich vor, er übe den Geschlechtsakt mit denselben und martere sie dann. Darauf stellte er sich dieselben als Leichen vor und wie er sie als Leichen befleckte, (yelegcntlich kam bei solcher Situation auch die Vor- stellung, es mit männlichen Leichen zu thnn zu haben, aber sie war mit Ekel betont.

Mit der Zeit empfand er den Drang, mit wirklichen Leichen derartige Situationen durchzumachen.

Aus Mangel an menschlichen Leichen verschaffte er sich Thierleichen, schlitzte ihnen den Leib auf, riss die Eingeweide heraus und masturbirte da- bei. Er will damit einen unsäglichen Genuss empfunden haben. 1S46 ge- nügten ihm nicht mehr Leichen. Er tödtete nun Hunde und verfuhr dann mit ihnen wie früher. Ende 1846 bekam er zum ersten Male das Geläste, Menscfaenleiühen zu benutzen. Er scheute sich anfangs davor. 1847, als er zufällig auf dem Kirchhof das Grab einer frisch beerdigten Leiche gewahr wurde, kam dieser Drang unter Kopfweh und Herzklopfen mit solcher Macht, dass er, obwohl Leute in der Nähe waren und Gefahr der Entdeckung bestand, die Leiche ausgrub. Beim Abgang eines geeigneten Instrumentes, um sie zu zerstückeln, begnügte er sich, dieselbe mit der Todtengräberscfaaufel voll Wuth rxu hauen.


  • ) Simon {Crimes et ddlits p. 209) theilt eine Erfahrung La caflsagne's mit,

dem ein anständiger Manu berichtete, er sei jeweils, aber nur dann mächtig sexuell srregt, wenn er Zuschauer bei einem — LeichenbegilngniBS sei.

Y. Krafft-EbiDg, Psycfaopathia sexa&lis. 10, Aafl. 5


66


Sadismng.


1847 und 1848 kam, angeblich io Zwiscbenraumen von etwa 14 Tagen und unter heftigen Kopfschmerzen, der Drang, an Leichen Brutalitäten zu verüben. Mitten unter den grössten Gefahren und mit den grössten Schwierig- keiten genügte er etwa l^mal diesem Trieb. Er grub die Leichen mit den Händen aus. spürte vor Erregung gar nicht die Verletzungen, die er sich da- bei zuzog. Im Besitz der Leiche, schnitt er sie mit Sftbel oder Taschenmesser auf, riss die Eingeweide aus und masturbirte in dieser Situation. Das Ge- schlecht der Todten war ihm angeblich ganz gleichgültig, jedoch wurde constatirt, dass dieser moderne Vampyr mehr weibliche als männliche Leichen ausgrub.

Während dieser Akte sei er in unbeschreiblicher geschlechtlicher Auf- regung gewesen. Nachdem er sie zerschnitten, hatte er die Leichen jeweils wieder eingegraben.

Im Juli 1848 gerieth er zufällig an die Leiche eines etwa 16jfthrigen Mädchens.

Da erwachte zum ersten Mal in ihm das Gelüste, an dem Cadaver den Goitus auszuüben. ,Ich bedeckte ihn allenthalben mit Küssen, drückte ihn wie rasend an mein Her/. Alles, was man an einem lebenden Weib geniessen kann , war nichts im Vergleich zu dem empfundenen Genuss. Nachdem ich diesen etwa eine 'J4 Stunde gekostet, zersttickte ich wie gewöhnlich die Leiche und riss die Eingeweide heraus. Dann begrub ich den Cadaver wieder.*

Erst von diesem Attentat ab will IJ. den Drang verspürt haben» Leichen vor der ZerstÜokiing geschlechtlich zu benutzen und habe er in der Folge bei etwa drei weiblichen Leichen dies ^'ethan. Das eigentliche Motiv des Leichen- ansgrabens sei aber nach wie vor das Zerstücken gewesen und der Genuss bei dieser Handlung grösser als beira geschlechtlichen Benutzen der Leiche.

Diese letzte Handlung habe immer mu* eine Episode des Hauptaktes ge- bildet und niemals seine Brunst gestillt, weshalb er immer nachher dieselbe oder eine andere Leiche verstümmelt habe.

Die Gerichtsilrzte nahmen , Monomanie" an. Das Kriegsgericht ver- Tirtheilte B. zu 1 Jahr Kerker,

(Michöa, Union med. 1849. — Lanier, Annal med. psychol. 1849, p. 153. — Tardieu, Attentats aui moeurs 1878. p. 114. — Legrand, La folie devant les tribun. p. 524.)


c) Misshandeln von Weibern (Blutigstechen, Flagelliren etc.).

An die Lustmörder und Leicbeuscbänder, und den Ersteren noch nabestehend, reihen sich solche Fälle an, wo Verletzung des Opfers der Lüste und der Anblick des fliessenden Blutes desselben Reiz und Genuss für entartete Menschen ist.


Eiü solches Ungeheuer war der berüchtigte Marquis de i^ade ') . nach welchem die Verbindung von Wollust und Grausamkeit deshalb genannt wird.


') Tazil (op. cit. p. 180) gibt nähere Mittheilongen Ober dieses p8yohosexn:ile Monstrum, das ein Fall von habitueller Satyriasis, zugleich mit Paraeathesia sexualis sein dürfte.

S. war 80 cynisch , daes er pmstlich spinc gmuflame Litstemheit idealisiren und aivh ztini Apostel einer darauf bezüglichon Lehre machen wollte. Er trieb es 80 arg (u. A. machte er eine geladene Geeellffchail von Herren und Damen liebea-


HisBliaiidliiiig von Weibern.


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Coitns renerem suara non stimularit, nisi qnam futuabat iU pungere potnit at sanguis flaeret. Suiuuia ei voluptas erat meretrices nudatas rolnerare et vulnpra boc modo facta obli^are.

Hierher gehört auch wobl der Fall eines CapitUns, von dem Brierre de Boismont (a. a. 0.) erzählt , der seine Geliebte zwang, jeweils vor dem sehr häufigen Coitus sich Hirndines ad pudenda zu setzen. Schliesslich verfiel dieses Weib in tiefe Anüruie und wurde angeblich dadurch irrsinnig.


In sehr bezeichnender Weist» zeigt diesen Zusammenhang zwischen WolluBt und Grausamkeit mit Drang, Blut zu vorgiefiseu und Blut zu Heben, folgender meiner Clientel entlehnter Fall.

Beobachtung 23. Herr X.. 25 Jahre alt, stammt von laetisohem, an Dem. paralytica gestorbenem Vater und Constitutionen hy.stero-npuras1.heniseher Mutter. Er ist ein schwächliches, Constitutionen neuropathisches. mit mehr- fachen anatomischen Degenerattons/.eiuhen behaftetes Individuum. Schon als Kind Anwandlungen von Hypochondrie und Zwangsvor-stellnngen. Später be- stÄndiger Wechsel zwischen exaltirten und deprimirten Stimmungen. Schon als Junge von 10 Jahren fühlte Pat. einen sonderbaren wollüstigen Drang, Blut ans seinen Fingern fliessen zu sehen. Er schnitt oder stach sich deshalb öfters in die Finger und fühlte sich dann gunz beseligt. Schon früh gesellten sich dazu Erectionen , desgleichen, wenn er fremdes Blut sah, z. B. ein Dienst- mädchen sich in den Finger schnitt. Das machte ihm besonders wollüstige Empfindungen. Seine Vita sexnaÜs regte sich nun immer müchüger. Ganz ohne Verführung begann er zu onaniren, dabei kamen ihm jeweils Erinnerungs- bilder blutender Frauenzimmer. Es genügte ihm nun nicht mehr, sein eigenes Blut Üiessen zu sehen. Er lechzte nach dem Anblick des Blutes junger Frauens- personen, besonders solcher, die ihm sympathisch waren. Er konnte sich oft kaum bezwingen, zwei Cousinen und ein Stubenmädchen nicht zu verletzen. Aber auch an und für sich nicht sympathische Frauenzimmer riefen diesen Drang hervor, wenn sie ihn durch besondere Toilette, Schmuck» namentlich Corallenschmuck , reizten. Es gelang ihm, diesen Gelüsten zu widerstehen, aber in seiner Phantasie waren blutige Gedanken beständig gegenwärtig und unterhielten wollüstige KtTegungen. Ein inniger Zusammenhang bestand zwischen beiden Gedanken- und GefÜhlskreisen. Oft kamen auch anderweitige grausame Phantasien, z. B. dachte er sich in der Rolle eines Tyrannen, der das Volk mit Kartätschen zusnmraenschiessen Hess. Er musste sich die Scenn ausmalen, wie es wäre, wenn Feinde eine Stadt überfallen, die Jungfrauen •bänden, martern, tödten, rauben würden. lu ruhigeren Zeiten schämte und takelte sich der sonst gutmüthige und ethisch nicht defecfe Patient vor solchen grausam-wollüstigen Phantasien, gleichwie sie auch sofort, latent wurden, sobald er durch Masturbation seiner sexuellen Erregung Befriedigung verschafft hatte.


toll, indem er ihr mit Canthariden verHetste Cbocoladebonhons serriren liens). daas man ihn in die Irrenanstalt Charenlon sperrte. In der Revolution (17901 wurd*» er frei. Kr achriftb nun obscßne Romane, die von Wollust und Oruuflamkeit trii>fen. Als Bonaparte Consul wurde, machte ihm S. iieine Romane, prnchtvoll gebunden, cum Geschenk. Der Consul liesa seine Werke vernichten nnd den Verfasser neuer- dingü in Chareuton interniren, wo er ltJl4> 64 Jahre alt, siarh. De Sade war an- enchöpflich in seinen losciron , offenbar auf Propaguuda ubzielenden Publicationen. Sie sind heutr.utage glücklicher Weise recht selten geworden. Erhalten sind: .Histoire de Justine', 4 Ude. , «Histoire de Julictte* , 6 Bde. , , Philosophie dans le boudoir', London 1>^5. Interessant ist Sade's Biographie von J. Jan in 1^35.


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S&diimufl.


Schon nach wenigen Jahren war Pat. neurasthenisch geworden. Nun genügt« )bm die blosse Phautasievorstellung von Blut und Blut-ücenen. um zur Ejaculation zu gclantjen. Um sich von seinem Laster und seinen cynisch grau- samen Phantasien zu befreien, trat Pat. in sexuellen Verkehr mit weiblichen Individuen. Coitus war möglich, aber nur indem Pat. sich vorstellte, das Mädchen blute aus den Fingern, Ohne Zuhülfenahme dieser Phantasievor- stellung wollte sich keine Erection einstellen. Die grausamen Gedanken, hinein- zuschneiden, bcsobrllnkton sich uul' die Hand des Weibes. In Zeiten höchst gesteigerter sexueller Erregung gentigtp der Anblick einer sympathi- schen Frauenhand, um die heftigsten Erectionen hervorzurufen. Erschreckt durch populäre Lektüre über die schädlichen Polgen der Onanie und abstinirend, verfiel Pat. in einen Zustand schwerer uligemeiner Neur- asthenie mit hypochondrischer Dysihymie, taed. vitae. Eine complicirte und wachsame ärztliche Behandlung stellte binnen Jahresfrist den Kranken wieder her. Er ist seit 3 Jahren psychisch gesxind, ist nach wie vor sexuell sehr be- dürftig, aber nur selten mehr von seinen fiüheren blutdürstigen Ideen heim- gesucht. Der Masturbation hat X. ganz entsagt. Er findet Befriedigung im natürlichen Geschlecbtsgenuss, ist vollkommen potent und nicht mehr ge- nöthigt, seine Blotideen zu Hülfe zu nehmen.

Dass derlei woUüstig-grausaine Dränge bloss episodisch und unter imten Ausnahmezuständen bei Belasteten vorkommen können, lehrt Igender von Tarnowsky (op. cit. p. 61) berichteter Fall.

Beobachtung 24. Z. . Arzt, von neuropathischer Constitution, auf Alkohol schlecht reagirend, unter gewöhnlichen Verbältnissen normal coitirend, fühlte, sobald er Wein getrunken, durch einfachen Coitus seine gesteigerte Libido nicht mehr befriedigt. In diesem Zustand mnsste er in die Nates der Puella stechen oder mit einer Laucette einschneiden. Blut sehen und das Ein- dringen der Klinge in den lebenden Körper fühlen, um Ejaculation zu erzielen und das Gefühl vollständiger Sättigung seiner Wollust zu haben.

Die Meisten aber, die mit dieser Form der Perversion belastet sind, erscheinen als durch den normalen Ueiz des Weibes nicht erregbar. Schon im obigen ersten Fall musste die Vorstellung des Blutens zu Hülfe ge- nommen werden, um Erectionen zu erzielen. Der folgende Fall betritfl einen Mann, der durch Onanie in frtlher Jugend etc. seine Erecfcions- fähigkeit eingebUsst hat, so da.ss der .sadistische Akt bei ihm an die Stelle des Coitus tritt.


4


Beobachtung 25. Der Mädcbenstecher in Bozen (mitgetheilt von Demme, Buch der Verbrecher Bd. II, p. 341).

1820 kam H. . 30 Jahre alt, Soldat, in gerichtliche Untersuchung. Er hatte zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten mit einem Brod- oder Federmesser Mädchen mit Stichen in das Abdomen, am liebsten in die pudenda verwundet und motivirte diese Attentate mit einem bis zur Wuth gesteigerten Geschlechtstrieb, der nur in dem Gedanken und der Handlang des Stechens von weiblichen Personen Befriedigung fand.

Dieser Drang habe ihn oft tagelang verfolgt. Er sei dann in einen ganz verwirrten Seelenzustand gerathen, der sich erst wieder löste, wenn diesem Drang durch die That entsprochen war. Im Moment de.s Stechens habe er die Befriedigung des vollbrachten Beischlafs gehabt und diene Befriedigung sei gesteigert worden durch den Anblick des Blutes, das am Messer herunterlief.


Mädchenatecher.


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Schon im 10. Jahre war bei ihm der Oesuhlecbtstrieh mächtig zu Tage )ten. Er verfiel znerst der Masturbation und fühlte sich davon an Körper Geist geschwächt. ^

Bevor er zum »Madchenstecher* wurde, hatte er durch Missbrauch un- reifer Mftdchen , durch Onanisirung von solchen , ferner durch Sodomie seine Geschleehtslust befriedigt. Alhnählig war ihm der Gedanke gekommen, welch ein Genuss ea sein müsse, ein juuges hübsches Mädchen in die Schamgegend zu stechen und an dem Anblick des vom Messer ablaufenden Blutes sich zu weiden.

unter seinen Effecten fanden sich Nachbildungen von Gegenständen des Coltus, von ihm selbst gemalte obscöne Bilder der EmpfUngniss Mariu^s, des im Schoosse der Jungfrau .geronnenen Gedanken Gottes". Er galt als ein sonderbarer, sehr reizbarer, lentscbener, weibersüchtiger, mürrischer, verdrosse- ner Mensch. Scham und Heue über seine Handlungen woirden au ihm nicht wahrgenommen. Offenbar war er eine durch frühe sexuelle Excesse impotent gewordene Persönlichkeit '), die, bei fortdauernder starker Libido sexualis und durch Belastung, zu Perversion des Gesohlechtfilebens hinneigte.

Beobachtung 26. In den öOer Jahren wurde die Bevölkerung von Leipzig durch einen Mann erschreckt, welcher junge Mädchen auf der Strasse mit einem Dolch anzufüllen pflegte und sie am Oberarm verletzte. Endlich verhaftet, erkannte man in ihm einen Sadisten, welcher im Moment des Dolch- stichs eine Ejaculation hatte und bei dem also die Verwundung der Mädchen Aequivalent lUr Coitus war. (Wharton, A treatise on mental unsoundoess. Philadelphia 1873, § 623 »}.)

In den drei nächsten Fällen besteht gleichfalls Impotenz. Dieselbe ist aber vielleicht psychisch bedingt, indem ab origine der Hauptton der ,Vita sexuntis auf der sadistischen Neigung liegt und deren normale Ele- mente verkümmert sind.


Beobachtung 27 (mitgetheilt von Dem me, Buch der Verbrechen VII, p. 281). Der Mädchenschneider von Augsburg, Bartle, WeinhKndler, hatte schon mit 14 Jahren sexuelle Regungen, jedoch entschiedenen Widerwillen gegen fBefriedigung derselben durch Coitus, bis zu Ekel gegen das weibliche Ge- schlecht. Schon damals kam ihm die Idee, Mädchen zu schneiden und sich dadurch geschlechtlich zu befriedigen. Er verzichtete aber darauf, aus Mangel an GeU*genheit und Muth.

Masturbation verschmähte er; ab and zu hatte er Pollutionen, mit eroti- schen TrUumen von geschnittenen Mädchen.

10 Jahre alt, schnitt er /um ersten Mal ein Mädchen. Haec faciens »erma eiuculavit, summa libidine affectus. Seither wurde der Impuls immer lachtvoller. Er wählte nur junge und hübsche Mädchen und fragte sie meist vorher, ob sie noch ledig seien. Jeweils trat die Ejaculation und sexuelle


'I Vgl. Kranes. Psychologie des Verbrechens, 18&4, p. 18S. Dr. Hof er, Annaion der Staatsarzneikunde , ft. Jahrgang, Heft 2; Schmidt*8 JahrbQoher Bd. 59. p. 94.

') Nach ZettuogHnaohricbteu wurden im December 1890 eine Reihe ähnlicher Attentate in Mu.inz verübt. Ein junger Bursche von 14 bis 10 Jubrou diUngte täch an Frnueu und Milddien heran und »tach aie mit einem ipitzen inirlrument in die ttetne. Er wurde verhaftet und machte deu Eindruck . geistig gestört zit sein. Nähere« Ober den höchst wabncheinlich sadistischen Fall ist nicht bekannt.


70


Sadismus.


Befriedigung ein, aber nar dann, wenn er merkte, dasB er die Mädchen wirk- lich verwundet hatte. Nach dem Attentat fühlte er sich inamer matt und Übel , auch von Gewissensbissen gefoltert. Bis zum 32. Jahr verwundete er durch Schneiden, hatte aber immer Sorge, die Mädchen nicht gefUhrhüh zu verlet/.en. Von da ab bis /um 30. Jahr vermochte er seinen Trieb zu be- herrschen. Nun versuchte er sich zu befriedigen, indem er Mädchen bloss am Arm oder Hüls drückte, aber es kam dabei nur zur Ereetion, nicht zur Ejucu- lation. Nun versuchte er es, die Mädchen mit dem in seiner Scheide gelassenen Messer zu stechen, aber auch das genügte nicht. Endlich stach er mit dem offenen Messer und hatte vollen Erfolg, da er sich vorstellte, ein gestochenes Mädchen blute stärker und habe mehr Schmerz» als ein geschnittenes. Im 37. Jahr wurde er orwLscbt und verhaftet. In seiner Behausung fand man eine Menge von Dolchen, Stockdegen, Messern. Er gab an, dass der blosse Anblick dieser Waffen, noch mehr das Anfassen derselben ihm WoUustgefühle mit heftiger Erregung verschafft habe.

Im Ganzen hatte er 50 Mädchen eingestandenermassen verletzt.

Seine äussere Erscheinung war eher eine angenehme. Er lebte in sehr guten Verhältnissen, war aber ein eigenthümlicher, leutscheoer Patron.

Beobachtung 28. J. H., 2(5 Jahre, kam im Jahre 1883 zur Consultation wegen seiner hochgradigen Neurasthenie und Hypochondrie. Pat. gibt zu, seit seinem 14. Jahre onanirt zu haben, und zwar bis zum 18. Jahre weniger; seit dieser Zeit aber fehlt ihm jede Kraft, dem Triebe zu widerstehen. Bis dahin hatte er , da er ängstlich gehütet wurde und man ihn wegen seiner Kränk- lichkeit fast nie allein liess, sich nie einer Frauensperson nUbern konneu. Er hatte auch kein rechtes Verlangen nach dem ihm unbekannten Genuss.

Durch Zufall aber kam er dazu, als ein Stubenmädchen der Mutter beim Fensterwaschen eine Scheibe zerbrach und sich heftig in die Hand schnitt. Als er dabei behülfUch war, die Blutung zu stillen, konnte er sich nicht ent- halten, das ausströmende Blut, von der Wunde auizusaugen, wobei er in äusserst heftige erotische Erregung kam , bis zu vollständigem Orgasmus und Ejaculation.

Von nun an suchte er auf jede mögliche Weise sich den Anblick und womöglich den Geschmack von ausfliessendem frischem Blute von weiblichen Personen zu verschaffen. Am liebsten war ihm das von jungen Mädchen. Er scheute kein Opfer und keine Geldausgabe, um sich diesen Genuss zu ver- schaffen. Anfänglich stand ihm jenes junge Mädchen zu Diensten, das sich nach seinem Wunsch mit einer Nadel oder sogar Lancetto in die Finger stechen liess. Als aber die Mutter es erfuhr, entHess sie das Mädchen. Nun musste er sich an Meretrices halten, um sich Ersatz zu verschaffen, was mit Schwierig- keiten, aber doch oft genug gelang. In der Zwischenzeit betrieb er Onanie und Manustupration per feminam, was ihm aber nie Befriedigung, vielmehr Abspannung und Selbstvorwürfe einbrachte. Er besuchte wegen seiner ner- vösen Leiden viele Curorte und war zweimal in Anstalten internirt. die er aus eigenem Antriebe aufsuchte. Er gebrauchte Hydrotherapie, Eleotricität und roborirende Curen ohne besonderen Erfolg. Es gelang, seine abnorme geschlechtliehe Erregbarkeit und den Drang zur Onanie durch kalte Sitzbäder, Monobromkampher und Gebrauch von Bromsalzen zeitweise zu bessern. Jedoch wenn Pat. sich selbst überlassen war, verfiel er sofort wieder in seine alte Leidenschaft und scheute weder Mühe noch Geld, um seine Geschlechtslust auf die besagte abnorme Weise zu befriedigen.


4


Von ganz besonderem Interesse für die wissenschaftliche Begründung des Sadismus ist ein von Moll bearbeiteter, von mir als Beob. 29 in der 9. Aufl. dieses Werkes berichteter, von Moll neuerdings selbst in seinem


Beeudelong.


1


Werke über «Libido sexualis" p. 500 publicirier Fall. Derselbe deckt deutlich erkennbar eine der verborgenen Wurzeln des Sadismus auf, den Drang zur achrankenloaeu Unter werf ung deH Weibes, welcher hier be- wubst geworden ist. Dies ist um so merkwürdiger, da es sich hier um ein schüchternes, im sonstigen Leben möglichst bescheiden, ja ängstlich auftretendes Individuum handelt. Der Fall zeigt auch deutlich, dass starke, ja das Individuum gegen alle Hindernisse mit sich fortreissende Libido vorhanden sein kann* wahrend gleichi&eitig der Coitus nicht be- gehrt wird, weil der Hauptton des Gefühls auf den grausamen Theil den sadistischen, wollüstig-grausamen Vorstellungskreises ab origine gefallen ist. — Dieser Fall enthält gleichzeitig schwache P]leraente von Masochis- muB (s. maten).

Die Fälle sind übrigens durchaus nicht selten, in denen Männer mit perversen Neigungen mittelst hoher Bezahlung Prostituirte bewegen, sich von ihnen flagelliren und selbst blutig verwunden zu lassen. Die Werke, die sich mit der Prostitution beschäftigen, enthalten darüber Berichte. So Coffignon, la corruption ä Paris etc.


d) Besudelung weiblicher Peraoueu.


Mitunter äussert sich der perverse sadistische Trieb, Frauen zu be- schädigen und verächtlich, demüthigend zu behandeln in dem Drange, dieselben mit ekelhaften oder wenigstens beschmutzenden Dingen zu besudeln.

Hierher gehört der fülgeude von Arndt (Vierteljahrschr. f. ger. Medicin, N. F. XVll, H. 1) veröft'entlichte Fall.

Beobachtung 20. Stod. med. A. in Greifswald aceusatus quod iterum iterumquo puellls bonestis parentibus natis in publice gonil-aliu sua e bracis dependentiii plane nudata quae antea hunimo amiculo (Paletotscbösse) tecta erant. ostenderat. Nouuunquam paellas fugientes secutus easque ad se at- tractas urioa oblivit. Haec luce clara facta sunt; nunquam aliquid faaec faciens locntos est.

A. ist 23 Jahre alt, kräftig von Körper, sauber im Anzug, decent in seinen Manieren. Andeutung von Cranium progeneuin. Chronische Pneumonie der rechten Lungenspitze. Emph^'sera. Puls 00, in der Erregung nur 70—80 .Schläge. GenUaüen normal. Klagen über zeitweise Verdauungsstörungen, Hartleibigkeit, Sehwindel, excessive Erregung des Geschlechtstriebes, die schon früh zur Onanie fühlte, nie aber, auch in der Folge nicht, auf naturgemässe Befriedigung desselben gerichtet war. Klagen über zeitweiae inelanchoHsche Ver&tinimung. selbstquälerische Gedanken und perverse Antriebe, zu denen er selbst kein Motiv tinden könne, z. B. zum Lachen bei ernsten Veranlassungen, sein Geld ins Wasser zu werfen, im strömenden Hegen umherzulaufen.

Der Vater des luculpaten ist von nervösem Temperament, die Mutter nervösem Kopfweb unterworfen. Ein Bmder litt an epileptischen Krumpfen.

Incnlpat zeigte von Jugend auf nervöses Temperament, war zu Krämpfen und Ohnmächten geneigt, gerieth in Zustände von momentaner Erstarrung,


72


Sadumns.


weDn er liart ^.fetadelt wurde. 18(j0 stndirte er Medicin in Berlin. 1870 machte er als Lazarethgehülfe dea Kriojf mit. Seine Briefe aus dieger Zeit verratiien eine auffallende Schlaffheit und Weichheit. Bei der Rückkehr nach Hause im Frühjahr 1871 fUllt seine Gemüthsreizbarkeit der Um>;ebung auf. In der Folge häufig Klagen über körperliche Beschwerden, Unannehmlichkeiten wegen eines LiebesverhUltnisses. Im November 1871 lebte er in Greifswald eifrig seinen Studien. £r galt als ein höchst anständiger Mensch. In der Haft ist er ruhig, gelassen, zeitweise in sich versunken. Seine Handlungen schiebt er auf Rech- nung von peinigenden and in letzter Zeit excessiven geschlechtlichen Regungen. Seiner unzüchtigen Handlangen sei ar sich wohl bewusst gewesen und habe sich ihrer hinterher geschUmt. Eine wirkliche geschlechtliche Befriedigung habe er dabei nicht empfunden. Einer rechten Einsicht in seine Lage wird er sich nicht bewusst. Er betrachtete sich als eine Art Märtyrer, der einer bösen Macht zum Opfer gefallen ist. Annahme von Aufhebung der freien Willensbestimmung.

Dieser Besudelungsdraiig koiumt auch bei paradoxem, im Greisen- alter wieder erwacheuden Geschlechtstrieb vor, der sich ja so oft gleich- zeitig auf perverse Art äussert.

So berichtet Tarnowsky (op. cit p. 76) folgenden Fall:

Beobachtung 30. Ich kannte einen solchen Patienten, der ein mit einem decolletirten Ballkleid geputztes Frauenzimmer sich in einem bell er- leuchteten Zimmer auf ein niedriges Sopha hinlegen Hess. Ipse apud janam alius cubiculi obscurati constitit adspiciendo aliquantulum feminam, exoitatus in eam insiluit et eierementa in sinus eius deposuit. Haec faciens eiaculationem (juandam se sentire confessus est.

Ein Wiener Gewährsmann theilt mir mit^ dass Männer Prostituirte mittelst hoher Belohnungen dazu bringen « zu dulden, ut illi viri in ora eaniDi spuerent et faeces tt urinas in ora explerent ^).

Hierher scheint auch der folgende Fall des Dr. Pascal (Igieue dell' amore) zu gehören.

Beobachtung 31. Ein Mann hatte eine Geliebte. Seine einzigen Be- ziehungen zu dieser bestanden darin , dass sie sich mit Kohle oder Russ die Hände von ihm schwärzen liess, dann musste sie sich vor einen Spiegel setzen, so dass er ihre Hände in diesem sehen konnte. Wührend einer oft längeren Conversation mit der Geliebten schaute er unverwandt nach dem Spiegelbild ihrer Hände und empfahl sich dann nach einiger Zeit sehr befriedigt.

Bemerkens werth in dieser Art dürfte folgender, mir von ärztlicher Seite niitgetheilter Fall sein ; Ein Oi'ßzier war in einem Lupanar zu K. nur unter dem Namen „Gel* bekannt. Gel erzielte Erection und Ejaculation einzig da- durch, dass er pucli. publ. nudam in einen mit Gel gefüllten Bottich treten liess und sie am ganzen Körper einölte!

Angesichts dieser Vorkommnisse drängt sich die Vermuthung auf, dass gewisse Fälle von Schädigung der Kleidung weiblicher Personen (z. B. Bespritzen mit Schwefelsäure, Tinte u. s. w.) in der Befriedigung


I


>) Leo Taxil. La Corruption, Paris, Noiret, macht p. 223 dieselben Angaben. Es gibt auch Männer, die introducüo lingaae meretricia in anum verlangen.


Symboliacher Sadümus. Knabcngeissler.


7S


einea perversen Sexualb'iebs wurzele« wenigstens handelt es sich hier auch um eine Art von Wehethun und sind die Beschädigten jeweils Frauen- zimmer, die Beschädiger münuliche Individuen. JedenfuUs verlohnt es sich der Mühe, in derlei GericlitsfäUeu künftig der Vita aexualis der Attentäter Aufmerksamkeit zu schenken.

Auf die sexuelle Natur derartiger Attentate wirft auch der unten mitgetheüte Fall Bachmann, Beob. 00, helles Licht, da in diesem Falle das sexuelle Motiv de» Delicts erwiesen ist.

e) Sonstige Ausübung von Gewalt gegen weibliche Personen. Symbolischer Sadismus.

Mit den vorstehenden Gruppen sind die Formen, in welchen sich der sadistische Trieb gegen da» Weib äussert, noch nicht erschöpft. Wenn der Trieb nicht übermächtig, oder noch genügender moralischer Wider- stand vorhanden ist, kann es geschehen, dass die perverse Neigung durch einen scheinbar ganz sinnlosen läppischen Akt befriedigt wird, der aber für den Thäter symbolische Bedeutung hat.

Dies scheint der Sinn der folgenden zwei Fälle zu sein,

Beobachtung 32. (Dr. Pascal, Igiene dell' amore.) Ein Mann ging ftn einem fpstgesetzten Ta^e ein Mal monatlich zu seiner Goliebten und schnitt ihr mit einer Scheere die Haare ab, weiche ihr über die 8tirue herab- hingen. Es gewährte ihm dies den stärksten Genuas. Sonst stellte er keine Ansprüche an da« Miidchen.

Beobachtung 33, Ein Mann in Wien besucht regelmässig mehrere Prostituirte, nur um ihnen das Gesicht einzuseifen und ihnen dann mit einem Rasirmesser so über das Gesicht zu fahren, als ob er ihnen einen Bart ab- scheeren wollte. Nunqnam puella« laedit, sed haec faciens valde excitatur Ubidine et Sperma eiaculat *).


f) Sudismus an beliebigem Object. — Knabengeissler.

Ausser den geschilderten sadistischen Handlungen an weiblichen In- dividuen kommen solche an beliebigen lebenden und empfindenden Objecten, Kindern und Thieren, vor. Es kann dabei volles Bewusstsein bestehen, dass der grausame Drang eigentlich gegen Weiber gerichtet ist und nur faute de mieux das nächste erreichbare Object (Schüler) misshandelt werden; — es kann aber auch der Zustand des Thäters so beschaffen sein, dass


  • ) Leo Taxil op. cit. p. 224 erzflblt, dasa in den Parifier Lapanaren Fnätrü-

roonle ber^^it gehalten werden, die Knüttel vottt^Uen. aber nur laftgofallte Hülsen sind, dicdclben, mit denen sich im Circiis die Clowns prügeln, äudistische Milnner rerscfaafi'ea aicb damit die Illusion, Wcibor zu prügeln.



74


Sftdismw.


d«r Drang nach grausamen Handlungen allein, von wollüstigen Regungen begleitet, ins Bewussisein tritt, wahrend dessen eigentliches Objcct (das die woUUstige Betonung solcher Handlungen erst erklären kann) im Dunklen bleibt.

Die erstere Alternative genügt zur Erklärung in den Fällen, welche Dr. Albert (Friedrich's Blätter f. ger. Med. 1859 p. 77) erzählt, Fälle, in welchen wollüstige Erzieher ihre Zöglinge ohne alle Veranlassung auf den entblösaten Podex peitschten.

An die zweite Alternative, den in Bezug auf sein Object unbe- wussten sadistischen Trieb, müssen wir wohl denken, wenn Knaben beim Anblick der Züchtigung ihrer Altersgenossen sofort sexuell erregt und dadurch in ihrer weiteren Vita sexualis bestimmt werden, so in den folgenden Fällen.

Beobachtung S4. K., 25 Jahre, Kaufmann, wendete sich im Herbst 1880 an mich um Rath wegen einer Anomalie seiner Vita sexualis, welche ihn Siechthum und Versagtbleiben künftigen oheliehen (rlückos fürchten lasse.

Pat. stammt aus nervöser Familie, war als Kind zart, schwächlich, nervös, jund bis auf Morbilli, entwickelte sich später kräftig.

Mit H Jahren, in der Schule, war er Zeuge, wie der Lehrer Knaben züchtigte, indem er ihnen den Kopf zwischen die Schenkel nahm und deren Gesäss mit Ruthenstreichen bearbeitete.

Dieser Anblick verursachte Pat. eine wollüstige Erregung. .Ohne eine Ahnung von der Gef^lhrlichkeit und Abscbeulicbkeit der Onanie* befriedigte er sich durch solche und masturbirte von nun an oft, indem er jeweils das Erinnerungsbild gezüchtigter Knaben sich vergegeuwilrtigte.

So ging es fort bis zum 20. Jahre. Da erfuhr flr von der Bedeutung der Onanie, erschrak heftig, suchte seinen Drang zur Masturbation zu unter- drücken, verfiel aber auf nach seiner Meinung unschUdliche und moralisch zu rechtfertigende psychipchß Onanie, wozu er die erwähnten Erinnerungsbilder flagellirter Knaben benutzte.

Pat. wurde nun neurasthenisch, litt unter Pollutionen, verfluchte sich durch Besuch öffentlicher Häuser zu heilen, brachte es aber zu keiner Erection.

Er bestrebte sich nun. zu normalen geschlechtlichen Empfindungen durch geselligen Verkehr mit anatllndigen Damen zu gelangen, erkannte aber, da&a er ganz unempfindlich für die Beize des schünen Geschlechts sei.

Pat. ist ein intelligenter, normal gewachsener, schöngeistig veranlagter Mann. Neigung zu Personen des eigenen Oeschlecht-s besteht nicht.

Mein ttrzUicher Rath bestand in Vorschriften zur Bekämpfung der Neur- asthenie, der Pollutionen, Verbot psychischer und manueller Onanie. Fem- haltung aller sexuellen Reize, Inaussichtstellung fayi)notischer Behandlung be- hufs successiver Rückerziehung der Vita sexualis zur Norm.

Beobachtung 35. Abortiver Sadismus. N., Stud. Kommt im De- cember 1890 zur Beohachtung, Er treibt seit früher Jugend Onanie. Nach seinen Angaben wurde er geschlechtlich erregt, als er seine Geschwister durch den Vater züchtigen sab, spater Mitschüler durch den Lehrer. Als Zuschauer solcher Akte hatte er immer Wollustgefühle. Wann dies zum ersten Male auftrat, weiss er nicht genau zu sagen; etwa mit 6 Jahren sei dies schon der Fall gewesen. Er weiss auch nicht mehr genau, wann er zur Onanie kam; behauptet aber bestimmt, dass sein Sexualtrieb durch Züchtigung Anderer ge- weckt worden sei und dass er dadurch ganz unbewusst zur Onanie gelangte.



KnabengeiBsIer.


75


Pat. erinnert sich bestimmt, dass er vom 4. — 8. Jahre öfters seihst auf den Podex gezüchtigt worden ist, davon aber nur Schmerz und niemals Wollust empfund<>n habe.

Da er nicht immer Gelegenheit hatte, Andere züchtigen zu sehen, atellte er sich nun in seiner Phantasie vor, wie Solche gezüchtigt wurden. Das er- regte seine Wollust und er onanirte dann. Wo immer er konnte, suchte er es in der Schule so einzurichten, dass er beim Züchtigen Änderer zusehen konnte. Er fühlte ab und zu auch den Wunsch, selbst Andere zu züchtigen. Mit 12 Jahren brachte er einen Kameraden dazu, dass dieser sich von ihm züch- tigen Hess. Dabei empfand er grosse Wollust. — Als aber der Ajidere ihn dann en revanche züchtigte, empfand er nur Schmers.

Der Drang, Andere zu züchtigen, war nie sehr stark. Pat. empfand mehr Befriedigung darin, seine Phantasie in Geisselscenen schwelgen zu lassen. Sonstige sadistische Anwandlungen hatte er nie. Niemals Drang, Blut zu sehen u. dgl.

Bis zum 15. Jahre bestand sein sexueller Genuas in Onanie, im An- fichluss an obige Phantasien.

Von da an (Tanzstunde, Umgang mit Mädchen) schwanden die früheren Phantasien fast völlig und waren nur mehr schwach von Wollustgefühlen be- gleitet, so dass Pat. ganz davon abliess. An die Stelle derselben traten Coitus- phantasien in natürlicher, nicht sadistischer Art.

Aus „Gesundhf'itsrück.sichten" coitirte Pat. zum ersten Mal. Er war potent und vom Akt befriedigt. Er suchte nun von Onanie sich zu ent- nalten, aber es gelang nicht, obwohl er öfter coitirte und dabei mehr Genuss fand, als bei Onanie.

Er m&chte von der Onanie, als etwas Unwürdigem loskommen. Schäd- liche Wirkungen hat er davon nicht bemerkt. Coitirt Imal monatlich, onanirt aber 1 — 2mal in jeder Nacht. Er ist jetzt sexuell ganz normal, bis auf die Onanie. Von Neurasthenie ist nichts zu finden. Genitalien normal.

Beobachtung 36. P., 15 Jahre, aus vornehmem Hanse, stammt von hysterischer Mutter. Der Bruder und Vater starben im Irrenhause.

Zwei Geschwister starben in Convulsionen im zarten KindesaUer.

P. ist talentirt, brav, ruhig, zeitweilig aber sehr ungehorsam, halsstarrig,

i'ähzomig. Er leidet an Epilepsie, ist Onanist. Eines Tages kam heraas, dass

  • . den HjHhrigen, mittellosen Kameraden B. durch <»eld dazu vermochte,

sich von ihm in Oberarme, Nates, Oberschenkel kneipen zu lassen. Wenn dann B. weinte, wurde P. aufgeregt, schlug auf B. mit der rechten Hand los,, wfihrend er mit der linken in seiner linken Hosentasche manipulirte.

P. gestand, dass ihm die Mi.sshandlung des Freundes, df>n er sonst sehr gern habe, ein besonderes Vergnügen bereitet habe, und dass ihm die Ejacu- lation, da er während der Misshandlung masturbirte. bedeutend mehr Genus» verschaffe, als wenn er solitar masturbirte. (v. Gyurkovech ky , Pathologie und Therapie der männlichen Impotenz, 1889, p. 80.)

Dass in allen diesen Fällen sadistischer Misshandlungen an Knaben nicht etwa an eine Combiuation von Sadismus mit conträrer Sexual- empfindungf wie sie bei conträr Sexualen Öfters vorkommt (s. unten), zu denken ist, ergibt sich — abgesehen davon, dass alle positiven Ajizeichen da- für fehlen — auch aus der Betrachtung der nächsten Gruppe, wo neben dem Object der Mi.sshandlimg — Thiere — die Richtung des Triebes auf das W^eib wiederholt deutlich hervortritt.


4


76


Sadismus.


g) Sadistische Akte an Tbieren.


In zahlreichen Fällen benützen sadistisch perverse Männer, die Tor einem Verbrechen am Menschen zurückschrecken, oder denen es Über- haupt nur auf den Anblick der Leiden eines empfindenden Wesens an- kommt, zur Potenzirung oder Erregung ihrer Wollust den Anblick dos Sterbens von Thieren oder die Marterung derselben.

Bezeiobiiend in dieser Hiosicbt ist dt^r von Hof mann in seinüm Lehr- buch der gerichtlichen Medicin berichtete Fall eines Mannes in Wien, der sich nach der gerichtlichen Aussage mehrerer Prostituirien vor dem Ge- schlechtsakt durch Martern und Tödten von Hühnern» Tauben und anderen Vögeln aufzuregen pflegte tmd deshalb von ihnen den Spitznamen ,HendI- herr" erhielt.

Werthvoll für die Bedeutung eines derartigen Falles ist die Beobachtung von Lombroso bezüglich zweier Männer, die, wenn sie Hühner oder Tauben drosselten oder schlachteten, Kjaculationen bekamen.

Derselbe Autor berichtet in seinem ,üomo delinquente* ji. 201 von einem bedeutenden Dichter, der beim Anblick des Zerstiickens eines geschlachteten Kalbes oder auch beim blossen Gewahrwerden von blutigem Fleisch sexuell mllchtig erregt wurde.

Ein entsetzlicher Sport soll nach Mantegazza (op. cit. p. IH) bei entarteten Chinesen darin bestehen , Anseres zu sodomisiren und ihnen tem- pore ejaculationis den Hals abzusäbeln (!).

Mantegazza (Fisiologia del piacere, 5. ed. p. 394 — 395) berichtet von einem Mann, dfr einmal zusah, wie man Hahne abschlachtete, und seit dieser Zeit eine Gier hatte, die warmen, noch dampfenden Eingeweide derselben zu durchwühlen, weil er dabei ein Wollustgetühl empfand.

Die Vita sexuulis ist also auch in diesem und in ähnlichen Fällen ab origine so beschaffen, dass der Anblick von Blut, Tödtung etc. wollüstige Ge- fühle erregt. Ebenso im folgenden Falle:

Beobachtung 37. C. L., 42 Jahre alt, Ingenieur, verheirathet, Vater von 2 Kindern. Stammt aus neuropathisdier Familie, Vater jähzornig, Potator, Mutter hysterisch, litt an eclamptlschen Anfallen.

Fat. erinnert sich, in seinen Knabenjahren mit Vorliebe der Schlachtung von Hausthieren zugesehen zu haben, insbesondere der von Schweinen. Es kam dabei zu ausgesprochenem Wollnstgcfnhl und zu Ejaculation. Später suchte er Schlachthäuser auf, am sich am Anblick des ausflies senden Blutes und der Todeszuckungen der Thiere zu ergützen. Wo er Gelegenheit dazu 6nden konnte, tödtete er selbst ein Thier, was ihm jedesmal ein vicariirendes Gefiihl des Geschlechtsgenusses verschaffte.

Erst um die Zeit der vollen Entwicklung kam er zur Erkenntniss seiner Abnormität. Weibern war Fat. nicht geradezu abgeneigt, aber nUhere Be- rührung mit ihnen schien ihm ein Oräuel. — Auf Anrathen eines Arztes heirathete er mit 25 Jahren eine ihm sympathische Frau, in der Hoffnang, seinen abnormen Zustand los zu werden. Obwohl er seiner Frau sehr m- gethan war, konnte er nur selten und nur nach langer Bemüliung und Anspan- nung seiner Phantasie mit ihr den Coitus ausüben. Trotzdem zeugte er 2 Kinder. Im Jahre 1866 machte er den Krieg in Böhmen mit. Seine Briefe von dort an seine Frau waren in einem eialtirt enthusiastischen Tone ge- schrieben. Seit der Schlacht von KüniggrJitz ist er verschollen.


Sadistiacfae Akt« an Tbieren.


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War die Fähigkeit zum normalen Beischlafe in diesem Falle durch das Ueberwiegeu der perversen Vorstellungen sehr beeinträchtigt, so er- scheint sie im folgenden Falle gänzlich unterdrückt.

Beobachtung 3d. (Dr. Pascal^ Igiene dell* amore.) Ein Herr er- schien bei Prostitnirten, liess von ihnen lebendes Geflügel oder ein Kaninchen kaufen und verlangte, dass die Person das Thier martere. Er hatte es ab- gesehen auf Küpfen, Äugenausreißsen , Ausreissen der Eingeweide. Fand er eine Puella, die sich zu derlei horbeiliess und recht gransam vorging, so war er entzückt, zahlte und ging, ohne von der Person etwas weiter zu verlangen oder sie zu berühren, seiner Wege.

Aus den beiden letzten Abschnitten f) und g) ergibt sich, dass das Leiden eines jeden empfindenden Wesens für sadistisch veranlagte Na- turen zur Quelle eines perversen sexuellen Genusses werden kann, dass es einen Sadismus an beliebigem Object gibt.

Es wäre jedoch durchaus falsch und übertrieben, Überall da, wo ausserordentliche, überraschende Grausamkeit sich tiudet, diese aus sadis- tischer Perversion erklären zu wollen, und, wie es hie und da geschieht, in den zahllosen Gräueln der Geschichte oder auch in gewissen raassen- psychologischen Erscheinungen der Gegenwart den Sadismus als Motiv vorauszusetzen.

Grausamkeit fliesst ja aus verschiedenen Quellen und ist dem pri- mitiven Menschen natürlich. Mitleid ist dem gegenüber die secundäre Erscheinung und spät erworbene Empfindung. Der Kampf- und Vernich- tungstrieb, der für die prähistorischen Zustände eine so werthvolle Aus- rüstung war, wirkt noch lange nach und erhält durch Culturbegriffe wie „der Verbrecher" noch neue Objecto, während sein ursprüngliches Object „der Feind" noch da ist. Dass nicht die blosse Tödtung. sondern die Marter des Unterlegenen verlangt wird, erklärt sich theils aus dem Macht- gefühl, das sich auf diesem Wege befriedigt, theils aus der Masslosigkeit des Vergeltungstriebes. So lassen sich alle Gräuel und alle historischen Ungeheuer erklären, ohne auf den Sadismus zu recurriren (der ja Öftere im Spiele gewesen sein mag, aber als relativ seltene Perversion nicht vorausgesetzt werden darO-

Daneben ist noch ein starkes psychisches Element zu berücksich- tigen, welches namentlich die Anziehungskraft erklärt, die heute noch Hin- richtungen u. dgl. ausüben; das ist die Lust am starken und ungewöhn- lichen Eindruck überhaupt, am seltenen Schauspiel, der gegenüber das Mitleid in rohen oder abgestumpften Naturen schweigt.

Es gibt aber unzweifelhaft sehr viele Individuen, auf die, trotz oder gerade vermittelst ihres lebhaften Mitleidens, Alles, was mit Tod und Qu&len zusammenhängt, eine geheimnissvolle Anziehuugskraft hat, die innerlich widerstrebend und doch einem dunklen Drange folgend, sich mit


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Sadismus des Weibes.


i


solchen Dingen oder wenigstens Bildern und Berichten davon zu beschäf- tigen trachten. Auch dies ist noch nicht Sadismus, so lange dabei kein sexuelles Element ins Bewu38tj<ein tritt, obwohl möglicher Weise dunkle Fäden im ünhewussten solche Erscheinungen mit einem verborgenen Untergrund des Sadismus verbinden mögen.

h) Sadismus des Weibes.

Dnss Sadismus — eine, wie wir gesehen haben, beim Manne häufige Perversion — beim Weibe weit seltener vorkommt, ist leicht erklärlich. Einmal stellt der Sadismus, in welchem das Bedürfniss nach Unterwerfung des anderen Geschlechts ein constituirendes Element bildet, seiner Natur nach eine pathologische Steigerung des männli cheu Geschlechtscharak- ters dar, zweitens sind die mächtigen Hindernisse, die sich der Aeusse- rung des monströsen Triebes entgegenstellen, begreiflicher Weise für dos Weib noch grösser als für den Mann.

Gleichwohl kommt Sadismus des Weibes vor und lässt sich recht wohl aus dem ersten constitutiven Element des Sadismus, der allgemeinen Uebererregung der motorischen Sphäre, allein erklären.

Wissenschaftlich beobachtet sind bis jetzt nur zwei Fälle.

Beobachtung 39. Kin verheiratheter Mann stellt sich rait zahlreichen Schnittnarben an den Armen vor. Er gibt über den Ursprung derselben Folgendes an: Wenn er sich seiner jungen, etwas „nervösen* Frau nähern wolle, müsse er sich erst einen Schnitt am Arme beibringen. Sie sauge dann an der Wunde, worauf sich bei ihr eine hochgradige sexuelle Erregung einstelle.

Dieser Fall erinnert an die überall verbreitete Vampyrsage, deren Ent- mng vielleicht auf sadistLsche Thatsachen zurückzufubren ist ')•

In einem zweiten Falle von Sadismus des Weibes, den ich Herrn Dr. Moll in Berlin verdanke, Hegt neben der perversen Richtung des Triebes, wie so oft, Anästhesie gegenüber den normalen Vorgängen des Geschlechtslebens vor, auch treten hier gleichzeitig Spuren von Masochis- mus (s. unten) auf.

Beobachtung 40. Frau H. in H., 26 Jahre alt, stammt aus einer Familie, in der sich Nervenkrankheiten oder psychische Störungen angeblich nicht finden ; hingegen bietet Patientin selbst Zeichen von Hysterie und Neur- asthenie. Obwohl 8 Jahre verbeirathet und Mutter eines Kindes, hatte Frau H. niemals das Verlangen, den Ooitus aaszuführen. Als junges Mädchen streng

^) Die Sage ist besondere auf der Balkuubalbinsel weit verbreitet. Bei den Neagriechen geht sie auf die antike Mythe von den Lauiieu und Mormolyken — blutsaugende Weiber — zurück. Diesen Stoff hat Goethe in seiner „Braut von Korinth' bearbeitet- Die auf Vampyrismus bezüglichen Verse: , taugen deine«  Herzens Blut* etc. sind erst durch Vergleich der antiken Quellen ganz verständlich.


I


Maaochismus.


79


sittlich er/ogen , blieb sie bis ssnr Verheiratbung in fast naiver Untenntniss der sexuellen Vorgänge. Sie ist seit dem 15. Lebensjahr regelmässig meu- struirt. Eine west^ntUcbe Abnormität an den Genitalien acheint nicht vor- handen zu sein. l)er Coitus ist der Patientin nicht nur kein Vergnügen, sondern geradezu ein unangenehmer Akt; der Abscheu davor hat immer mehr zugenommen. Es ist der Patientin durchaus unklar, wie man einen solchen Akt als höchsten Genuss der Liebe bezeichnen kann, die ihr etwas bei weitem [Höheres sei, das nicht mit solchem Triebe zusammenfafinge. Dabei sei er- wähnt, dass die Patientin ihren Mann ernstlich liebt. Sie hat auch am Kdssen desselben einen entschiedenen Genuss. den sie aber nicht genauer beschreiben kann. Dass aber die Genitalien irgend etwas mit Liebe zu thun hätten, kann ihr nicht einleuchten. Frau H. ist übrigens eine entschieden verständige Fran mit weiblichem Wesen.

8i oscula dat conjugi , magnum voluptatera percipit in mordende eum. Gratissimum ei esset conjugem mordere eo modo ut sanguis Buat. Conteuta esset, si loeo coitus raorderetur a conjuge ipsaeque eum mordere liceret. Tarnen eam poeniteret, si morsu magnum dolorem faceret (Dr. Moll).

In der Geschichte findeu sich Beispiele von zum Tbeil illustren Frauen, deren Herrschsucht, Wollust und Grausamkeit die Annahme einer sadistischen Perversion dieser Messaljnen nahe legt. Hierher gehört Va- leria Messalinu selbst, Katharina von Medici, die Anstifterin der Bartholo- mäusnacht , deren HnuptvergnUpen es war , ihre Hofdamen vor ihren Augen mit Hutheii streichen zu las,sen, u. A. Vergl. jedoch oben p. 77^).


2) Verbindung erduldeter Qrausamkeii und Gewaltthätigkeit mit Wollust. — MasochismuB '),

Das Gegenstück des Sadismus ist der Musochismus. Während jener Schmerzen zufügen und Gewalt ausüben will, geht dieser darauf aus, Schmerzen zu leiden und sich der Gewalt unterworfen zu fohlen.


  • ) Ein grässliches Gemälde eines erdachten vollkommenen veiblicheu Sadismus

bietet der geniale, aber Eweifellos geistig nicht normale Heinrich von Kleist in seiner .PentheaÜea".

In seiner Penthcsilea (22. Auftritt) Bebildert Kleist seine Heldin, wie sie, von iWollfistig-mordlustiger Riuerei ergriffen, den in ihre Hände gelockten, in Liebettbrunst mher verfolgten Achilles in StQcke rciist, ihre Meute auf ihn hetzt.

«Sie schlägt, die RQatung ihm vom Leibe reiasend , den Zahn schlugt sie in seine weisse Brust, sie und die Hunde, die wetteifernden, Oxus und Sphinx den Zahn in seine rechte, in seine linke sie; als ich erschien, troff Blut von Mund und Händen ihr herab*, und später, als Penthesilea emOchtert ist:

»Küssf ich ihn todt? — Nicht — kUsst* ich ihn nicht? Zerrissen wirklich? — So war diis ein Versehen; Klhise. bme, da^i reimt sich, und wer recht von Henen liebt, kann schon dad Eine Für das Andre greifen."

In der neaestan Literatur findet sich ein weiblicher Sadismus geschildert» vor Allem in den weiter unten r.u besprechenden Romanen Saoher-Masoch's. dann in Ernst von Wildenbruch's ,Brunhildc*, Rachilde's „La Marquiso de Sade* etc.

  • ) So genannt nach dem Schriftateller Sucher-Masocli, in Anerkennung der

ThatMOhe. dats dessen Romane und Novellen die ersten Darstellungen dieser Per*


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Miuochismiu.


Unter Miisocbismus verstehe ich eine eigentliUmliche Pervcrsion der paychtschen Vita sexualis, welche darin besteht, dass das von derselben ergriffene Individuum in seinem geschlechtlichen Fühlen und Denken von der Vorstellung beherrscht wird, dem Willen einer Person des anderen Geschlechtes vollkommen und unbedingt unterworfen zu sein, von dieser Person herrisch behandelt, gedemülhigt und misshandelt zu werden. Diese Vorstellung wird mit Wollust betont; der davon Ergnffene schwelgt in Phantasien, in welchen er sich Situationen dieser Art ausmalt; er trachtet oft nach einer Verwirklichung derselben und wird durch diese Perversion seines Geschlechtstriebs nicht selten für die normalen Reize des anderen Geschlechts mehr oder weniger unempfänglich, zu einer nor- malen Vita sexualis unfähig — psychisch impotent. Diese psychische Impotenz beruht dann aber durchaus nicht etwa auf einem horror sexus alterius, sondern nur darauf, dass dem perversen Trieb eine andere Befrie- digung als die normale, zwar auch durch das Weib, aber nicht durch den Coitua, adäquat ist.

Es kommen aber auch Fälle vor, in welchen, neben der perversen Richtung des Triebs, die Empfänglichkeit für normale Reize noch leidlich erhalteu ist und nebenher ein geschlechtlicher Verkehr unter normalen Bedingungen stattfindet. In anderen Fällen wieder ist die Im- potenz eine nicht rein psychische, sondern eine physische, i. e. spinale, da diese Perversion, wie fast alle anderen Perversionen des Geschlechts- triebs, nur auf dem Boden einer psychopathischen, meistens einer be- lasteten Individualität sich zu entwickeln pflegt, und solche Individuen in der Regel sich masslosen Excessen, besonders masturbatorischen von früher Jugend an hinzugeben pflegen, zu welchen sie die Schwierigkeit, ihre Phantasien zu verwnrklichen, immer wieder hindrängt.

Die Zahl der bis jetzt beobachteten Fälle von unzweifelhaftem Masochismus ist bereits eine rocht grosse. Ob Masochismus neben einem normalen Geschlechtsleben vorkommt oder das Individuum ausscliliesslich beherrscht, ob und inwieweit der von dieser Perversion Ergriffene eine Verwirklichung seiner seltsamen Phantasien anstrebt oder nicht, ob er seine Potenz dabei mehr oder weniger eingebUsst hat oder nicht — das Alles hängt nur vom Grade der Intensität der im einzelnen Falle vor- handenen Perversion und von der Stärke der ethischen und ästhetischen Gegenraotive, sowie von der relativen Rüstigkeit der physischen und psy- chischen Organisation des Ergriffenen ab. Das für den Standpunkt der Psychopathie Wesentliche und das Gemeinsame aller dieser Fälle ist: die Richtung des Geschlechtstriebs auf den Vorstellungskreis


Version enthalten, den Verf. zu Forschnngen auf ihrem Gebiet anregten und analog der wissenschaftlichen Wortbildung gDaltonismoa (nach Dalton, dem Eutdeolcer der Farbenblindheit).


MasocbismuB.


81


der Unterwerfung unter und Misshandlung durch das andere Geschlecht.

Was oben vom Sadismus bezüglich des impulsiven Charakters (Verdunklung der Motivation) der aus ihm fliessenden Handlungen , und beztlglich des durchaus originären Charakters der Perversion gesagt wiurde, gilt auch vom Masochismus.

Auch beim Maaochismus findet sich eine Abstufung der Akte von den widerlichsten und luouslrösesten Handlungen bis zu einfach läppi- schen herab, je nach dem Grade der Intensität des perversen Triebes und der restlichen Kraft der moralischen und ästhetischen Gegenmotive. Den äussersten Consequenzen des Masochismus wirkt aber auch der Selbst- erhaltungstrieb entgegen, und deshalb finden Mord und schwere Ver- letzung, die im sadistischen Affecte begangen werden können, hier, so- weit bis jetzt bekannt, kein passives Gegenstück in der Wirklichkeit. Wohl aber können die perversen Wünsche masochistischer Individuen in innerlichen Phantasien bis zu diesen äussersten Consequenzen fortschreiten (s. unten Beobachtung 50).

Auch die Akte, denen die Masochisten sich hingeben, werden von Einigen in Verbindung mit dem Coitus ausgeführt, reap. präparatorisch verwendet, von Anderen zum Ersätze des unmöglichen Coitus. Auch hier hängt dies nur vom Zustande der meist physisch oder psychisch, durch die perverse Richtung der sexuellen Vorstellungen beeinträchtigten Potenz ab und betrifil nicht das Wesen der Sache.


a) Aufsuchen von Misshandlungeu und DemUthigungcn zum Zweck sexueller Befriedigung.

Die folgende ausführliche Selbstbiographie eines Masochisten gibt eine erschöpfende Darstellung eines typischen Falles dieser seltsamen Perversion.


Beobachtung 41. Ich stamiue aus einer neuropatbischcn Familie, in welcher neben allerlei Sonderbarkeiten des Charakters und der Lebens- fÜbrang auch mehrfache Abnormitüten in sexueller Beziehung vorkommen.

Meine Phantasie war von jeher migeraein lebhaft und sehr früh auf sexuelle Dioge gerichtet. Dabei war ich, soweit ich mich zurückerinnern kann, lange vor dem Eintritt der Pubertät (i. e. der Ejoculation) der Onanie sehr stark ergeben. Meine Gedanken waren schon damals in stundenlangem Brüt-en auf den Verkehr mit dem weiblichen Geschlecht gerichtet. Aber die Be- ziehungen, in die ich mich dabei zum anderen Geschlecht setzt«, waren ganz seltsamer Art. Ich stellte mir nämlich vor, dass ich in der Gefangenschaft, in der unumschränkten Macht einer Krau sei, und doss diese Frau ihre Macht dazu benüt/e, mich auf jede mügliche Weise zu quMlen und zu misshandeln. Dabei spielten namentlich Schlage und Hiebe in meiner Phantasie eine grosse Rollo, aber anch noch eine ganze Reihe nnderer Handinngen und Situationen, welche alle ein Verhältniss der Knechtschaft und Unterwerfung aus- T. Krafft'Ebhig, Piyohopathli «exuAlii. 10, Aofl. 6


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MogochismuB.


drückten. Ich sah mich vor meinem Ideal stets auf den Knieen liegen, wurde mit Füssen getreten , mit Ketten beladen und in Kerker gesperrt. Schwere Leiden aller Art wurden mir zur Probe meines Gehorsams und zur Belustigung meiner Herrin auferlegt. Je llrger ich gedemüthigt und raisshandelt wurde, desto mehr schwelgte ich in diesen Vorstellungen. (Daneben entstand bei mir eine grosse Vorliebe für Sammt und für Pelzwerk, die ich immer zu berühren und zu streicheln trachtete, und die in mir gleichfalls Erregungen geschlecht- licher Natur hervorriefen.)

Ich erinnere mich deutlich, als Kind mehrere wirkliche Züchtigungen, auch von weiblicher Hand, erhalten zu haben. Niemale war damit eine andere Empfindung als Schmerz und Schani verbunden; nie ist es mir eingefallen, solche Wirklichkeiten mit meinen Phantasien in Zusammenhang zu bringen. Die Absicht, mich gerecht zu strafen und mich zu bessern, erschütterte mich schmerzlich, während ich mit meinen Phantasiegebilden eine Absicht meiner »Herrin* voraussetzte, sich au meinen Leiden und Demüthigungen zu weiden, die mich entzückte. Ebensowenig habe ich je die Leitung und die Befehle weiblicher Personen, die mich in diesen Kinderjahren zu beaufsichtigen hatten^ zu meinen Phantasien in Beziehung gebracht. Es war mir früh gelungen, die Wahrheit über die normale Beziehung der Geschlechter aus Büchern zu er- fahren; aber diese Entdeckung liess mich vollkommen kalt. Die Vorstellung sinnlicher Genüsse blieb an die Bilder geknüpft, mit denen sie vom Anfang an verbunden war. Ich hatte zwar auch den Wunsch, weibliche Geschöpfe zu betasten, zu umarmen und zu küssen ; die höchsten Freuden erwartete ich aber nur von ihren Misshandlungen und von solchen Situationen, in denen sie mich ihre Macht fühlen Hessen. Ich hatte bald das Bewusstsein. anders zu sein aU andere Menschen, und war am liebsten allein, um meinen Trilumen nachzu- hängen. Wirkliche Mlidchen und Frauen interessirten mich in meinen Knaben- jahren nur wenig, da ich gar keine Möglichkeit sah, sie in der von mir ge- wünschten Weise in Thätigkeit treten zu sehen. Auf einsamen Wegen im Walde geiaselte ich mich mit von Bäumen herabgefallenen Zweigen und Ueas meine Einbildungskraft dabei in gewohntem Sinne spielen. Im Anblick von Bildern gebieterischer Frauen gestalten schwelgte ich, namentlich dann, wenn sie, z. B. als Königinnen, einen Pelz trugen. In allerlei Leetüre suchte ich Beziehungen zu meinen Lieblingsvorstellungen. Rousseau's cuntessions, die mir damals in die Hände fielen, boten mir eine grosse Entdeckung. Ich fand einen Znstand geschildert . der in wesentlichen Punkten dem meinigen glich. Noch mehr erstaunte ich über die Uebereinstimmung mit meinen Ideen , als ich Sacher-Masoch's Schriften kennen lernte. Ich verschlang sie alle mit Be- gierde, obwohl die blutrünstigen Scenen oft weit über meine Phantasien hinaus- gingen und dann meinen Abscheu erregten. Dabei war mir die Wirklichkeit auch nach eingetretener Pubertät noch immer gleichgültig. In Gegenwart eines weiblichen Wesens war mir jede sinnliche Kegung fremd, höchstens kam beim Anblick eines weiblichen Fusses mir Htichtig der Wunsch, von ihm ge- treten zu werden.

Diese Gleichgültigkeit bezog sich indessen nur auf das rein sinnliche Gebiet. Während meiner späteren Knaben- und ersten Jünglingsjahre erfasste mich oft eine schwärmerische Neigung für junge Mädchen meiner Bekannt- schaft, mit allen oft geschilderten Extravaganzen dieser jugendlichen Regungen. Dabei aber fiel mir niemals ein , die Welt meiner sinnlichen Gedanken mit diesen reinen Idealen in Beziehung zu setzen. Ich hatte eine solche Gedanken- verbmdung nicht einmal zurückzuweisen; sie tauchte gar nicht auf. Das ist um so merkwürdiger, als mir meine wollüstigen Phantasien wohl sehr seltsam und unrealisirbar . aber durchaus nicht schmutzig und verwerflich erschienen. Auch diese waren für mich eine Art von Poesie; es blieben aber zwei ge- trennte Welten: Dort war mein Herz oder vielmehr meine ästhetisch angeregte Phantasie, hier meine sinnlich entzündete Einbildungskraft. Während meine


Maaoc)iismu9.


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.erhabenen" Getlible immer ein bestimmtes junges MiLdchen znm Gegenstände hatten, sah ich mich za anderen Standen zu den Füssen einer reifen Fran, die mich . wie oben geschildert , behandelte. Diese Rolle theilte ich jedoch niemals einer mir bekannten Dame z\x. Auch in den Traumen meines Schlafs erechienen die beiden Kreise erotischer Vorstellungen mit einander abwechselnd, aber nie verschmelzend. Nur die Bilder des sinnlichen Kreises riefen Pollu- tionen hervor.

In meinem 19. Jahre liess ich mich von Freunden, innerlich wider- strebend, aber von Neugier getrieben, zu Prostituirten führen. Ich empfand aber dort nichts als Widerwillen und Abscheu und lief so bald als möglich davon, ohne auch nur die mindeste sinnliche Regung empfunden zu haben. — Sp&ter wiederholte ich den Versuch aas eigener Initiative, um mich zu über- zeugen, ob ich geschlechtlich leistungsfähig sei, da ich Über den ersten ganz unerwarteten Misserfolg sehr betriebt war. Das Resultat war immer dasselbe: Ich 'empfand keine Spur von Erregung und hatte nicht die mindeste Erection. Es war mir zunächst nicht möglich, ein wirkliches Weib als Gegenstand sinn- licher Befriedigung zu betrachten. Ferner konnte ich nicht auf die Umstände und Situationen verzichten . die fllr mich die Hauptsache in sexualibos aus- machten , und von denen ich doch um keinen Preis ein Wort gesagt hfttte. Die Immissio penis, die ich vornehmen sollte, erschien mir als ein ganz un- sinniger und schmutziger Akt. Erst in zweiter Reihe traten zu diesen Um- ständen mein Widerwille gegen gemeine Frauenzimmer nnd die Furcht vor Ansteckung.

In der Einsamkeit ging indessen mein geschlechtliches Leben in der alten Weise fort. So oft meine alten Phantasiebi]d»»r auftauchteu, trater kritftige Erectionen ein und ich provocirte fast t&glicb Ejaculationen. Ich begann an allerlei nervösen Zuständen zu leiden und hielt mich jetzt für impotent, trot«  der kräftigen Erectionen nnd der heftigen Begierde, wenn ich allein war. Trotzdem setzte ich meine Experimente mit Prostituirten in Zwischenräumen fort. Mit der Zeit streifte ich meine Schüchternheit und theilwei&e den Wider- willen gegen das Berühren des Gemeinen ab.

Meine Phantasien genügten mir nicht mehr ganz. Ich ging jetzt häu- tiger zu Prostituirten und liess mich von ihnen nuch misslungenen Coitasver- suchen onanisiren. Ich meinte dabei vorher immer ein reelleres Vergnügen zu finden, als bei meinen Gedankenschwelgereien, fand aber ein geringeres. Wenn das Weib sich aaszog, folgte mein Interesse den Kleidern. Die leeren Gewänder haben mich nie stark angezogen, doch mehr als das nackte Weib. Der eigentliche Gegenstand meines Interesses war das bekleidete Weib. Dabei spielten Sammt und Pelz die erste Rolle , aber auch jeder andere Gegenstand der Bekleidung zog mich an und namentlich die Gestalt, wie sie durch Schnü- rung der Taille. Bauschen der Rücke etc. bestimmt wurde. Am nackten Korper hatte ich kaum je ein anderes Interesse als bestenfalls ein ästhetisches. Ein sehr grosses Interesse hatte ich von jeher für weibliche Schuhe, und nament- lich nir Stief letten mit hohen Absätzen, immer verbunden mit der Vorstellung, getreten zu werden oder den Fuss huldigend zu küssen etc.

ich überwand schliesslich auch meine letzte Scheu und Hess mich eines Tages, um meine Träume zu realisiren, von einer Prostituirten flagelliren, treten etc. Der Effect war eine grosse Enttäuschung. Was damit nur geschah, war für meine Empfindung roh, widerlich abstossend und lächerlich zugleich. Die Schläge verursachten mir nur Schmerz, die sonstige Situation Widerwillen und Beschämung. Trotzdem erzwang ich mechanisch eine Ejacu- lation, wobei ich mit Hülfe meiner Phantasie die wirkliche Situation in die von mir ersehnte amdicbtcte. Diese — die eigentlich erwünschte Sitviation — unterschied sich von der herbeigeführten wesentlich dadurch, dass ich mir ein Weib vorstellte, das mir die Misshandlung mit derselben Lust geben sollte. als ich sie von ihr empfangen wollte.


84


MasochismuB.


Auf der Voraussetzung einer solchen Gesinnung des Weibes, eines tyran- nischen » grausamen Weibes, dem ich mich unterwerfen wollte, waren alle meine sexuellen Phantasien aufgebaut. Die Handlung, die das Verhältuiss ausdrückte, war mir nebensächlich. Mir wurde jetzt erst, nach dem ersten Versuch einer unmöglichen Verwirklichung, ganz klar, worauf mein Sehnen eigentlich gerichtet war. Ich hatte freilich in meinen wollüstigen Träumen sehr oft von allen Misshandlungsvorstellungen abstrabirt, und mir nur ein gebieterisches Weib und etwa eine imperative Geberde, ein befehlendes Wort, einen Kuss auf ihren Fuss oder dergleichen vorgestellt: aber jetzt erst kam mir völlig zum Bewassfcsein, was mich eigentlich anzog, und dass die Flagella- tion nur das stärkste Ausdrucksmittel der ersehnten Situation war, an und für sich aber werthlos oder vielmehr unlusterregend, selbst schmerzlich und widerlich.

Trotz dieser Enttäuschung gab ich die Versuche, meine erotischen Vor- stellungen in die Wirklichkeit zu übertragen, nicht auf, nachdem der erste Schritt getban war. Ich vertraute darauf, dass meine Phantasie, wenn einmal an die neue Wirklichkeit gewöhnt, in ihr Nahrung zu stärkeren Leistungen finden werde. Ich suchte zu meinem Zwecke möglichst geeignete Weiber und instniirte sie sorgfältig zu einer complicirten Coraodie, Dabei erfahr ich auch gelegentlich, dass mir der Weg von gleichgesinnten Vorgängern vorbereitet war. Der Werth difser Comödien für die Wirkung meiner Phantasiebilder auf meine Sinnlichkeit blieb problematisch. Was mir diese Handlungen und Ge- berden leisteten, um mir Nebenumstände der erwünschten Situation lebhafter vorzustellen, das nahmen sie mir oft an der Hauptsache wieder weg, die meine Phantasie allein — ohne das Bewusstsein einer bestellten groben Täuschung — leichter vor mich hinzaubern konnte. Die kÖi*perliche Empfindung unter den mannigfaltigen Misshacdlungen war abwechselnd. Je besser die Selbsttäuschung gelang, desto mehr wurde der Schmerz als Lust empfunden.

Oder vielmehr: die Misshandlung wurde dann vom Bewusstsein als sym- bolischer Akt aut'gefasst. Daraus entstand die Dlusion der ersehnten Situation, die zunächst von lobhafter psychischer Lustempfindung begleitet war. So wurde die Perception der Scbmerzc|ualität der Misshandluug mitunter auf- gehoben. Aehnlich, aber einfacher, weil ganz auf psychischem Gebiet, war der Vorgang bei den moralischen Missbandlungcn, den Demnthlgungen, denen ich mich unterwarf. Auch diese wurden mit Lust betont, wenn die Selbst- täuschung eben gelang. Sie gelang aber selten gut. und nie vollkommen. Es blieb immer ein stf^rendes Element im Bewusstsein. Deshalb kehrte ich da- zwischen immer wieder zur einsamen Onanie zurück, üebrigens war auch im andern Falle der Schluss des ganzen Aktes gewöhnlich eine durch Onanie pro- vocirte Ejaculation, manchmal eine solche ohne mechanische Nachhülfe.

So trieb ich es eine ganze Reihe von Jahren bei abnehmender Potenz, aber wenig verminderter Begierde und ungeschwächter Gewalt meiner selt- samen geschlechtlif^hen Vorstellung über mich. Und so ist der Zustand meiner Vita sexualis auch noch in der Gegenwart. Der Coitus, den ich nie zu Stande gebracht habe, erscheint meiner Vorstellung noch immer wie einer jener selt- samen und unsauberen Akte, die ich aus den Darstellungen geschlechtlicher Verirrungen kenne. Meine eigenen geschlechtlichen Vorstellungen erscheinen mir natürlich und beleidigen meinen sonst empfindlichen Geschmack nicht im Mindesten. Ihre Verwirklichung lässt mich freilich, wie oben dargestellt ist, aus verschiedenen Gründen ziemlich unbefriedigt. Eine directe, eigentliche Verwirklichung meiner geschlechtlichen Phantasie habe ich niemals, auch nicht andeutungsweise erreicht. So oft ich zu weiblichen Wesen In nähere Beziehung getreten bin, habe ich den Willen des Weibes dem meinigen unterworfen ge- fühlt, nie umgekehrt. Einem Weibe, das Herrschgelüste innerhalb der ge- schlechtlichen Beziehung(?D manifestirt, bin ich niemals begegnet. Frauen, die im Hause regieren wollen, und sogenanntes P&ntoffelheldenthum sind etwas


Masochismus.


85


Ton meinen erotischen Vorstellnngen ganz Verschiedenes. Ausser der Perversion meiner V'ita sexualis bietet meine Gesammtpersönlichkeit noch viel Abnormes, meine neuropathische Anlage kommt in zahlreichen Symptomen auf psychischem nnd physischem Gebiete zam Ansdruok. Daneben glaube ich ao mir originäre Abnormitäten des Charakters im Sinne einer Annäherung an den weiblichen Typus, constatiren zu können. Wenigstens fasse ich in diesem Sinne meine hochgradige Willensschwtlcbe auf nnd einen auffallenden Mangel an Muth gegenüber Menschen und Thieren, die mit meiner Kaltblütigkeit gegenüber Elementarereignisseu contrastirt. Meine äussere Erscheinung ist durchaus lännlich.


Der Verfasser dieser Autobiographie machte mir ferner noch folgende

Mittheilungen:

,E8 war stets mein eifriges Bestreben, zu erfahren, ob die seltsamen Vorstellungen , welche mich in geschlechtlicher Beziehung beherrschen , auch bei anderen Mtlnnern vorkommen, und seit den ersten Mittheilungen hierüber, die mir zufällig zu Ohren kamen , habe ich vielfach darnach geforscht. Frei- lich i.st, da t^s sich hier eigentlich um einen Vorgang im Innern der Vor- steliuEgsweit handelt, die Constatirung nicht leicht und nicht überall sicher. Ich nehme Masochismns da an, wo ich perverse Handlungen im sexuellen Ver- ■kehr linde, die ich nicht anders als durch diese dominirende Idee erklären 'Itann. Ich halte diese Anomalie für eine sehr verbreitete.

Von einer ganzen Reihe von Prostituirten hier in Berlin und in Paris,

Wien etc. habe ich Berichte hierüber gehört und so erfahren, wie zahlreich

ineine Leidensgeuossen sind. Immer gebrauche ich die Vorsicht, nicht etwa

ilbst Geschichten zu erzählen und zu fragen , ob diese ihnen vorgekommen

sind, sondern ich Hess diese Personen ihre Erlebnisse pöle-mfile erzÄhlen.

Einfache Flagellation ist so verbreitet, dass fast jede Prostituirte darauf eingerichtet ist. Aber auch Falle von unzweifelhaftem Masochismus sind äusserst hUutig. Die von dieser Perversion beherrschten Männer unterwerfen sich den raffinirtesten Qualen. Dabei führen sie mit den da/u abgerichtet^ Profitituirten stets dieselbe Scene auf: demüthiges Niederwerfen des Mannes, Fusstritte, Befehle, eingelernte drohende und beschimpfende Reden, dann Flagellation, Schlage auf die verschiedensten Körpertheile nnd alle möglichen MLsshandlungen, Blutigstecben mit Nadeln u. dg). Die Scene endet manch- lal mit dem Coitna, öfter mit Ejaculation ohne solchen. Zweimal haben mir lolche Prostituirte schwere Eisenketten mit Handschellen, welche ihre Kunden [Anfertigen und sich anlegen Hessen, dann die getrockneten Erbsen, auf welche W knieen, mit Nadeln gespickte Sitze, auf welche sie sich auf Befehl des Weibes setzen müssen, und dergleichen mehr gezeigt. Manches Mal begehrt der perverse Mann, dass das Weib seinen Penis schmerzhaft zusammenschnürt, mit Nadeln sticht, mit einer Klinge Einschnitte in ihn macht oder ihn mit einem Holzstück schlügt. Selbst die Procedur des Henkens wird nachgeahmt nnd eben rechtzeitig unterbrochen. Andere wieder lassen sich mit der Spitze eines Messers oder Dolches leicht ritzen, dabei aber muss das Weib sie mit dem Tode bedrohen.

Bei allen diesen Dingen ist die Symbolik des Unterwerfungsverhültnisses Hauptsache. Das Weib wird gewöhnHch , Herrin* genannt, der Mann ,Sklave*.

Hei liU diesen Comödien mit Prostituirten. die normalen Menschen als ekelhafter Wahnsinn erscheinen müssen, handelt es sich dem Masochisten um ein kümmerliches Surrogat. Ob es eine Verwirklichung masoehistischer Trftume in einem Liel>esverhältnis8 gibt, weiss ich nicht.

Wenn die Sache vorkommt, so ist sie jedenfalls äusserst selten, weil die Geschmacksrichtung beim Weibe (Sadismus des Weibes, wie ihn Sacher-Masoch


86


Masochumns.


schildert) sehr sölten zu ünden sein dürfte und der Aeu&serung serueller Ab- normitäten beim Weibe obendrein noch ^össere Hindernisse der Scham etc. entgegenstehen als beim Hanne. Ich selbst habe niemals das leiseste An- zeichen eines Entgegenkommens dieser Art bemerkt nnd keinen Versuch einer wirklichen Healisirnng meiner Phantasien machen können. Einmal hat mir ein Mann seine masor-histLsche Perversion anvertraut nnd behauptet, sein Ideal gefunden zu haben.*


Dem obigen Falle der Beobachtung 41 ähnlich sind die beiden folgenden Fälle.

Beobachtung 42. Herr Z., 29 Jahre, Techniker, kommt wegen ver- meintlicher Tabes in die Sprechstunde. Vater war nervös und starb tabisch. Vaters Schwester war irrsinnig. Mehrere Verwandte sind hochgradig nervOs und sonderbare Leute.

Fat. erweist sich bei n&herer Untersuchung als sexual, spinal und cere- bral asthenisch. Er bietet keine anamnestischen noch gegenwSrtigen S^toptome im Sinne einer Tabes dorsalis. Die naheliegende Frage nach Missbrauch der Genitalorgane wird im Sinne der seit der Jugend geübten Masturbation be- antwortet. Im Laut* der Exploration ergaben sich folgende interessante psycho- sexaale Anomalien.

Mit 5 Jahren erwachte die Vita sexualis im Sinne von wollüstig empfiin- denem Drang, sich selbst zu geissein, zugleich mit dem Gelüste, der Flagel- latiOD durch Andere tbeilhaftig zu werden. An bestimmte, geschlechtlich differenzirte Individuen dachte Patient dabei nicht. Faute de mieux trieb er AutoflageUation und erzielte im Laufe der Jahre Ejaculation.

Schon lange vorher hatte er durch Masturbation sich zu befriedigen an- gefangen, wobei ihm jeweils Flagellationssituationen vorschwebten.

Herangewachsen, suchte er zweimal ein Lupaoar auf, um daselbst von Moretrices gegeisselt zu werden. Er suchte sich zu diesem Zweck das schönste Mudchen aus, aber er war enttäuscht, brachte es nicht zur Erection, ge- schweige zur Ejaculation.

Er erkannte, dass das Oeisseln Nebensache, die Hauptsache die Idee des Unterworfenseins unter den Willen des Weibes sei. Dazu gelangte er dos erste Mal nicht, wohl aber das zweite Mal. Weil er im , Gedanken der Unterwerfung' war, hatte er vollen Erfolg.

Mit der Zeit erzielte er unter Anstrengung seiner Phantasie im Sinne masochistischer Vorstellungen sogar Coitus, auch ohne Flagellatiou , aber er empfand davon wenig Befriedigung, so dass er es vorzog, auf masochistische Weise sexuell zu verkehren. Im Sinne seiner originären Flagellationsgelüste fand er an masoch istischen Scenen nur Gefallen, wenn er ad podicem flagellirt wurde oder sich wenigstens eine solche Situation phantastisch hinzudichtete. In Zeiten hoher Erregbarkeit genügte es ihm sogar, einem schonen Mädchen solche Scenen erzählen zu dürfen. Er gerieth dadurch in Orgasmus und ge- langte meist zur Ejaculation.

Früh gesellte sich dazu eine höchst wirksame fetischistische Vor- stellung. Er merkte, dass ihn nur solche Weiber fesselten und befriedigten, die hohe Stiefel und kurzen Rock (.ungarische Tracht*) trugen. Wie er zu dieser fetischistischen Vorstellung gelangt ist, weiss er nicht anzugeben. Auch an Knaben reize ihn das mit hohem Stiefel bekleidete Bein, aber dieser Heiz sei rein ästhetisch, ohne jegliche sinnliche Betonung, wie er überhaupt nie homosexuale Empfindungen an sich wahrgenommen haben will. Seineu Feti- schismus begründet Fat. mit einer Vorliebe für Waden. Es reize ihn aber nur die in einem eleganten Stiefel steckende Damenwade. Nackte Waden, überhaupt femiuile Nuditäten üben auf ihn nicht den geringsten sexuellen



^


MasochismuB.


87


Keiz ans. Eine untergeordaete FetiscbnebeiiTorstellung ist für Patient das

menschliche Ohr. Es ist ihm ein wolllistiges G-sfübl , schOnen Menschen,

d. h. Menschen, die schönes Ohr haben, Über die Ohren zu streichen. Bei

rjl&nnern gewährt ihm dies einen sehr geringen, bei Weibern einen hohen

lenass.

Auch habe er ein Faible für Katzen. Er finde sie einfach schön, jede

ihrer Bewoj,fungen sei ihm sympathisch. Der Anblick einer Katze könne ihn

sogar aus der tiefsten Gemüthsdepression herausreissen. Die Katze erscheine

ihm beilig, er sehe in einer solchen geradezu ein göttliches Wesen 1 Des

Brandes dieser sonderbaren Idiosynkrasie ist er sich nicht bewosst.

Neuerlich habe er häufiger auch sadistische Vorstellungen im Sinne der Prügelung eines Knaben. Bei diesen Flagellationsphantasieu spielen sowohl Männer als Weiber eine Rolle, vorwiegend aber letztere, und dabei ist sein Genuss ein weit grösserer.

Fat. findet, dass neben dem. was er als Masochismus kenne und empfinde, noch etwas Anderes bestehe, das er am liebsten mit .Pagismus" bezeichnen möchte.

Während seine masochistischen Schwelgeroien und Akte durchaus grob- ftnnlicher Art und Betonung seien, bestehe sein „ Pagismus " in der Idee, Page <unes schönen Mädchens zu sein. Er stelle sich dieses ganz keusch vor, aber [pikant, seine Stellung ihm gegenüber als die eines Sklaven, aber in ganz [xeuschem VerhUltniss, rein , platonischer" Hingebung. Dies Schwelgen in der [dße, einem solchen „schönen Geschöpf" als Page zu dienen, sei mit einem röstlichen, aber durchaas nicht sexuellen Gefühl betont. Er empfinde davon Ine exquisite moralische Befriedigung im Gegensatz zum sinnlich betonten lasocfaismus, und deshalb müsse er seinen ^Pagismus" für etwas Anders- artiges halten.

Fat. bietet in seinem Aeusseren auf den ersten Blick nichts AuffUUiges, »4kber sein Becken ist abnorm weit, hat flache Darmbeinschaufeln, ist abnorm geneigt und entschieden weiblich. Neuropathisches Auge. Er weist auch dar- auf hin, dass er oft Kitzel und Wollustreiz im Anus habe, auch von da aus ^'(erogene Zone) sich Befriedigung ope digiti verschaffen könne.

Fat. zweifelt an seiner Zukunft. Hülfe wäre liir ihn nur möglich, wenn «r ein rechtes Interesse am Weibe bekommen könnte, aber sein Wille, seine Phantasie seien dazu zu schwach.


Was der Patient dieser Beobachtung als , Pagismus* bezeichnet, ist nichts vom Wesen des Masochismus Verschiedenes, wie sich aus dem |Vergleich mit den unten folgenden Fällen von „symbolischem** Masochis- mus und anderen ergibt, ferner aus der Erwägung, dass der Coitus bei dieser Perversion mitunter als inadäquater Akt verschmäht wird, und aus der Thatsache, dass es iu solchen Fällen öflers zu einer phantastischen £zaltirung de;; perversen Ideals kömmt.

Beobachtung 43. Ideeller Masochismus. Herr X.. Techniker, 26 Jahre, stammt von nervöser, mit Migräne behafteter Motter. In der väter- »ücben Ascendenz ist ein Fall von Kückenmarkskrankheit and ein solcher von jPsychose vorgekommen.

Ein Bruder ist ,nervüs*.

Herr X. hat unerhebliche Kinderkrankheiten überstanden, studirte leicht, entwickelte sich normal. Er ist eine durchaus mÄnnlicho Erscheinung, jedoch etwas schwächlich und unter mittelgross. Der Descensus des rechten Hodens blieb unvollkummen , indem er im Leistencanal fühlbar ist; Penis normal ge«  bildet, jedoch etwas klein.







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Maaochiamus.


89


der Pubertät ab zeigten sich mit den betrefienden masochistischen Pbantafiien ab und zu Pollutionen unter stbwacbem Wollustgefüb!.

AU Pat. einmal Prictionen der Glans nnternahm, gelang ihm weder Ereotion nocb Ejaculation, und statt eines wollüstigen Gefübls stellte sieb jeweils ein unangenebraes, geradezu parulgiscbes ein. Dadurcb blieb X. vor Masturbation bewahrt. Dafür stellte sich vom 20. Jahre ab beim Turnen am Reck, beim Klettern an Tauen und Stangen häufig eine mit .starkem Wollust- gefühl verbundene Ejaculation ein. Sehnsucht nach sexuellem Verkehr mit Weibern (contrUr sexuale Empfindungen hat Pat. nie gehabt) trat bisher nie auf. Als ihn, 26 Jahre alt, ein Freund zum Cottus driingte, zeigten sich , angstvolle Unruhe und entschiedener Widerwille* schon auf dem Wege nach dem Lupanar. und vor Aufregung, Zittern an allen Gliedern und Scirweiss- ausbruch kam es zu keiner Erection. Bei mehrfacher Wiederholung des Ver- suches dasselbe Fiasko, nur waren die seelischen und körperlichen Erreguugs- erseheinungen nicht so heftig wie das erste Mal.

Libido war nie vorbanden. Masocbistische Phantasien 7um Gelingen des Aktes zu verwertben. gelang Pat. nicht, weil seine geistigen Fähigkeiten in solcher Situation «wie gelähmt seien und er die zu einer Erection nötbigen intensiven Vorstellungen* nicht zu Stande bringe. So gab er, tbeils aus mangelnder Libido, tbeils aus mangelhaftem Vertrauen ins Gelingen, weitere Coitusversucbe auf. Nur gelegentlich befriedigte er in der Folge seine schwache Libido anltlsslicb Turnübungen. Gelegentlich von spontanen oder veranlassten masochistischen Phantasien (im wachen Zustand) kam es wohl zu Erection, nie mehr aber zu Ejaculation.

Pollutionen erfolgen etwa alle t> Wochen.

Pat. ist eine inteÜectuell hochstehende, feinfühlige, etwas neurastheniscbe Persönlichkeit. Er klagt, dass er in Gesellschaft meist das Gefühl habe, auf- zufallen, beobachtet zu werden, bis zu Angstzustllnden, obwohl er sich be- wusst sei, dass er sieb derlei nur einbilde. Aus diesem Grund liebe er die Einsamkeit, zumal da er befürchten müsse, dass man auf seine sexuelle Ab- normität komme.

Seine Impotenz sei ihm nicht peinlich, da seine Libido ja fast Null sei, gleichwohl würde er eine Sanirung seiner Vita sexualLs für das grösste Glück halten, da davon im socialen Leben so viel abhänge und er sich dann gewiss sicherer und männlicher in der Gesellschaft bewegen würde.

Seine jetzige Existenz sei ihm eine Qual, ein solches Leben eine Last.

Epikrise: (Hereditäre) Belastung. Abnorm früh sich regendes Sexual- leben. Schon mit 7 Jahren wollüstig und entschieden masochistisch empfun- dener Anblick von rittlings auf Anderen sitzfuden Knaben (sexuelle und per- verse Betonung einer an und für sich nicht den normalen Menschen sexuell erregenden Situation) zugleich mit Geruchsvorstellungen.

Solche Situationen in der Folge Gegenstand von Phantasien , anfangs geschlechtlich nicht düferenzirt, von der Pnbert&t ab beterosexual.

Sie führen zu ausgesprochenem ideellem Masocbisrous (Ideen der Demü- tbiguug, des Cnterworfenseins), in welchem als einzige Beziehung zu den Genitalien des Weibes die Vorstellung, zur Mictio benutzt zu werden, selbst bibere urinam dominae erscheint.

Normaler sexualer Trieb zum Weibe fehlt, wesentlich auf Grund von Jfasochismus.

Beobachtung 44. X.. 28 Jahre, Literat, belastet, von Kind auf sexuell hjperastbetisch, bekam mit 6 Jahren Träume, es prügle ihn ein Weib ad nates. Er erwachte dabt-i jeweils in bäcbster wollüstiger Erregung und gelangte so zur Onanie. Mit 8 Jahren bat er einmal die Köchin, sie möge ihn durchprügeln. Vom lÜ. Jahre ab Neurasthenie. Bis zum 25. Jahre Flagellationstriluroe, oder auch bezügliche Phantasien des wachen Lebens, mit



MaBodÜBmoB.

Onanie. A^or 3 Jahren Zwang, sich von einer Puella prügeln zu lassen. Pat. war enttäuscht, da dabei Erection und Ejaeulation ausblieben. Neuer Versuch mit 27 Jahren in der Absicht, dadurch Erection und Coitus zu er- zwingen. Dies gelang erst allmählig durch folgenden Kunstgriff. Die Puella iDUSste^ während er Coitus versuchte, ihm erzählen , wie sie andere Impotente unbarmherzig schlage, und ihm Gleiches androhen. Ueberdies musste er sich vorstellen, er sei gefesselt, ganz in der Gewalt des Weibes, hulflos, werde von demselben aufs Schmerzlichste geschlagen. Gelegentlich musste er, um potent zu sein, sich auch wirklich binden lassen. 80 gelang ihm Coitus. Pollutionen waren nur dann von Wollustgefühl begleitet, wenn er (selten) trliumte, er werde misshandelt oder er sei Zuschauer, wie eine Puella die nndere geisselte. Beim Coitus hatte er nie ein rechtes Wollustgefühl. A m Weib interessiren ihn nur die HUnde. KrUftige handfeste Frauen- zimmer mit derben Fäusten sind ihm die liebsten. Gleichwohl ist sein Flagel- Ifttionsbedürfniss nur ein ideelles, denn bei seiner grossen Hautempfindlichkeit genügen im scblimuisteD Fall einige Hiebe. Männerhiebe wü,ren ihm zuwider. Er möchte heirathen. Aus der Unmöglichkeit, von einer honneten Frau Flagellatiou zu verlangen, und dem Zweifel, ob er ohne solche potent sei, ent- springt seine Verlegenheit und sein BedUrhiiss zu genesen.

In drei von den bis jetzt angeführten Fällen diente den Ton der Perversion des Masochismus Beherrschten, als Ausdruck der von ihnen ersehnten Situation der Unterwerfung unter das Weib, hauptsächlich die passive Flagellation. Das gleiche Mittol wird von einer grossen Zahl von Maaochisten benutzt.

Nun ist aber passive Flagellation ein Vorgangs welcher bekannt- lich geeignet ist, durch mechanische Reizung der Gesässnerren reflec- torisch Erectionen auszulösen'). Diese Wirkung der Fiagellation wird von geschwächten Wüstlingen dazu benützt, ihrer gesunkenen Potenz durch diese Procedur nachzuhelfen, und diese Perversit-ät — nicht Per- Tersion — ist eine ungemein häufige.

Es ist deshalb geboten, zu untersuchen^ in welchem Verhältnisse die passive Flagellation der Masochisten zu jener psychisch nicht per- verser, aber physisch geschwächter Wüstlinge steht.

Dass Masochisraus etwas wesentlich Anderes und Umfassenderes sei als blosse Flagellation, geht aus den Mittheilungen der von dieser Per- version Ergriffenen deutlich hervor.

Für den Masochisten ist die Unterwerfung unter das Weib die Hauptsache, die Misahandluug nur ein Ausdrucksmittel für dieses Ver- hältniss und zwar eines der stärksten. Die Handlung hat tür ihn sym- bolischen Werth und ist Mittel zum Zweck seelischer Befriedigung im Sinne seiner besonderen Gelüste.

Der nicht masochistische Geschwächte hingegen, der sich flagelliren lässt , sucht nur eine mechanisch vermittelte Reizung seines spinalen Oentrums.


  • ) Vgl. oben, Einleitung p. 27.


KafoohxBmoB.


91


Ob in einem einzelnen Falle einfacher (reflectorischer) Flagellantis- inuB oder wirklicher Masochismus vorliegt, wird durch die Aussagen der BetreÜeuden. oft schon durch die Nebenumstände der Handlung klar.

£s kommt hier nsmentLirh auf Folgendes an:

Erstens besteht beim Masochisten der Trieb zur passiven FJagellation fast immer ab origine. £r taucht als Wunsch auf, bevor eine Erfahrung Über rellectorische Wirkung der Procedur gemacht wurde, oft zuerst in Trfturaen, wie z. B. in der unten folgenden Beobachtung 46,

Zweitens ist beim Masochisten in der Regel die passive Flagellation nur eine von den vielen und verschiedenartigen Misshandluugeu , welche im Vorstellungskreise des Masochisten als Phantasien auftauchen und oft ver- wirkÜcht werden. Bei diesen anderen Misshandlungen und den häufigen rein symbolische Demüthigungen ausdrückenden Akten, die neben der Flagellation angewendet werden, kann von einer redectorischen physischen Reizwirkung natürlich nicht die Redp sein: es ist also in solchen Fallen stets auf die originrlre Anomalie, die Perversion zu schliessen.

Drittens ist der Umstand von Bedeutung, das$ die ersehnte Flagel- lation beim Masochisten, wenn ausgeführt, gar nicht aphrodisisch zu wirken braucht. Es tritt sogar oft mehr oder minder deutlich eine Enttüuschung ein. und zwar jedesmal, wenn die Absicht des Masochisten nicht gelingt, sich durch diesen bestellten Vorgang die Illusion der ersehnten Situation (in der Gewalt des Weibes zu sein) zu verschaffen, so dass ihm das mit der Procedur beauf- tragte Weib nur als das executive Werkzeug seines eigenen Willens erscheint. Vergleiche in Bezug auf diesen wichtigen Punkt die drei vorangehenden Falle and unten Beobachtung 48.

Zwischen Masochismus und einfachem (refiectorischem) Flagellantismns besteht ein analoges Verhältniss wie etwa zwischen contr&rer Sexualenlpfinduug und erworbener Päderastie.

Es benimmt dieser Anschauung nichts an Werth, dass auch beim Maso- chisten die Flagellation die bekannte reflectorische Wirkung haben kann, dasa mitunter bei Gelegenheit einer in der Jugend erhaltenen Züchtigung auf diesem Wege die Wollust zum ersten Male geweckt wird und gleichzeitig da- bei die masochistisch veranlagte Vita sexualis aus ihrer Latenz tritt. Dann muss der Fall eben durch die oben unter .zweitens* und „drittens" angeführten Umstände charakterisirt sein, um als masochistischer zu gelten.


Ist über die Entstehungsart des Falles nichts Näheres bekannt, ao können Nebenumstände, wie die oben unter , zweitens"* angeführten, ihn doch deutlich als einen masochistischen erkennen lassen. Dies gilt z. B. von den beiden folgenden Fällen.

Beobachtung 45. Ein Kranker Tarnowsky^s liess durch eine Ver- trauensperson eine Wohnung für die Dauer seiner Anfälle roiethen und das Personal (3 Prostituirte) genau instruiren. n-as mit ihm zu geschehen habe. Er erschien zeitweise, wurde entkleidet, masturhirt, Hagellirt. wie es befohlen war. Er leistete anscheinend Widerstand, bat um Gnade, dann gab man ihm befohl euer raassen zu essen, liess ihn schlafen, behielt ihn aber trotz Protest da, schlug ihn. wenn er sich nicht fügte. So ging es einige Tajje. Mit Lösung des Anfalls wurde er entlassen und kehrte zu Frau und Kindern zurück , die von seiner Krankheit keine Ahnung hatten. Der Anfall wiederholte sich 1— 2raal jiüirlich. (Tamowsky — op. cit.)


92


MaflocbifimuE.


Beobachtung 40. X., 34 Jahre, schwer belastet, leidet an conirärer Sexnalprupfindung. Aus verschiedenen Gründen war er nicht in der Lage, sich aui Manne /u befriedigen, trotz grossem sexuellem Bedürfniss. Gelegentlich träumte ihm, ein Weib geissle ihn. Kr hatte dabei eine PoUntion.

Durch diesen Traum kam er dazu, als Surrogat für mannmännliche Liebe sich von Meretrices mifshandeln zu lassen. Conducil sibi non nunquam meretriL'em, ipse vestimenta sua cmnia dt^ponit, dum puellae ultimum tegu- mentum deponere non licet, puellam pedibus ipsum percutere, flagellare, ver- berare iubet. Qua re summa libidine affectus pedem feminae lambit quod Bolum eum libidinosum facere potest : tum eiaculationem assequitur. Mit dieser tritt grösster Ekel an der moralisch entwürdigenden Situation ein. der er sich dann, so rasch als möglich ist, entzieht.

Es kommen aber auch Fälle vor, in welchen passive Flagellatiou allein den ganzen Inhalt masochistiscber Phantasien ausmncht, ohne dasa andere Vorstellungen der Demflthigung etc. auftreten, und ohne dass die eigentliche Natur dieses Auadrucksmittels der Unterwerfung deutlich ins Bewusstseiu tritt. Solche Fälle sind von denen des ein- fachen, reflectoriscben Flagellantismus schwer zu unterscheiden. Die Er- mittlung der primären Entstehung des Gelüstes, vor jeder Erfahrung reflectoriacber Wirkung (s, oben unter „erstens*), sichert hier allein die Differentialdiagnose, neben dem Umstände, dass es sich bei echten Ma- sochisten gewöhnlich um bereits in jungen Jahren perverse Individuen handelt und dass die Verwirklichung des Gelüstes meistens spater unter- bleibt oder enttäuscht (s. oben unter „drittens"), da ja sich das 6anze haupt:iächlich auf dem Gebiete der Phantasie abspielt.

Hier möge noch ein Fall von typischem Masochismus folgen , in welchem der gesammte Vorstellungskreis, wie er dieser Perversion eigen- thümlich ist, vollkommen ausgebildet erscheint. Dieser Fall, über welchen wieder eine eingehende Selbstschilderung des gesammten psychischen Zustauds vorliegt, unterscheidet sich von jenem der obigen Beobachtung 41 nur dadurch, dass auf eine Verwirklichung der perversen Phantasien hier ganz verzichtet wurde und dass neben der bestehenden Perversion der Vita sexualis normale Reize so weit wirksam sind, dass nebenher ge- schlechtlicher Verkehr unter normalen Bedingungen möglich ist.

Beobachtung 47. Ich hin 35 Jahre alt. geistig und körperlich nor- mal. In dem weitesten Kreise meiner Verwandten — in gerader wie in der Seitenlinie — ist mir kein Fall von psychischer Störung bekannt. Mein Vater, welcher bei meiner Geburt etwa 30 Jahre alt war, hatte, soviel ich weiss, eine Vorliebe für üpi>ige und grosse Fraaengestalten.

Schon in meiner früheren Kindheit schwelgte ich gern in Vorstellungen, welche die absolute Herrschaft eines Menschen über den anderen zum Inhalt hatten. Der Gedanke au die Sklaverei hatte für mich etwas höchst Auf- regp.ndes, und zwar gleich stark vom Standpunkte des Herrn wie von dera des Dieners aus. Dass ein Mensch den anderen besitzen, verkaufen, prügeln könne, regte mich ungemein auf, und bei der Lektüre von „Onkel Tom*B Hütte" (welches Werk ich etwa zur Zeit der eintretenden Pubertät las), hatte



Maeocbiamofi.


icb Erectioaen. Besonders aufregend war für mich der Gedanke, dass ein Mensch vor einen Wagen gespannt würde, in welchem ein anderer, mit einer Peitsche versehener Mensch sa^ und den Ersteren lenkte und durch SchUge antrieb.

Bis zum 20. Lebensjahre waren diese Vorstellungen rein objectiv und geschlechtslos, d. h. der in meiner Vorstellung entstandene Unterworfene war ein Dritter (also nicht ich), auch war der Herrscher nicht nothwendig ein Weib.

Diese Vorstellungen waren daher auch ohne Einfluss auf meinen ge- schlechtlichen Trieb, beziehungsweise auf die Ausübung desselben. Wenngleich durch jene Vorstellungen Erectionen eintraten , so habe ich doch niemals in meinem Leben onanirt, auch coitirte ich von meinem 19. Jahre an ohne Bei- hülfe der erwiiUnten Vorstellungen und ohne jede Beziehung auf dieselben. Immerhin hatte ich eine grosse Vorliebe für filtere, üppige und grosse Frauens- personen, wenngleich ich auch jüngere nicht verschmähte.

Von meinem 21. Lebensjahr ah fingen die A\)rstellungen an, sich zu objectiviren und als Essentiale trat hinz.u, dass die »Herrin eine über 40 Jahre alte, grosse, starke Person sein musste. Von jetzt an war icb — in meinen Vorstellungen — stets der Unterworfene; die , Herrin' war ein rohes Weib, die mich in jeder Beziehung, auch geschlechtlich, aus- nützte, die mich vor ihren Wagen spannte und sich von mir spazieren fahren Hess, der ich folgen musste wie ein Hund, der nackt zu ihren Füssen Hegen musste und von ihr geprügelt, bczügHch gepeitscht wurde. Das war das feststehende Gerippe meiner Vorstellungen, um welches sich alle anderen gruppirten.

Ich fand in diesen Vorstellungen stets ein unendliches Behagen, welches mir Erection, niemals aber Ejaculation verursachte. In Folge der entstandenen geschlechtlichen Aufregung suchte icb mir sodann irgend ein Weib, mit Vor- Hebe ein ftusserlich meinem Ideale entsprechendes, aus und coitirte mit dem- selben, ohne irgend welches reale Beiwerk, zuweilen auch ohne beim Coitus von den Vorstellungen befangen zu sein. Daneben hatte ich jedoch auch Neigung zu anders gearteten Weibern und coitirte auch, ohne durch Vor- stellung hierzu gezwungen zu sein,

Obgleich ich nach alledem ein in geschlechtlicher Beziehung nicht allzu anormales Leben luhrte, traten doch jene Vorstellungen periodisch mit Sicher- heit ein , blieben sich im Wesentlichen auch stets gleich. Mit zunehmendem Gesi'blechtstriebe wurden die Zwischenräume immer geringer. GegenwUrtig melden sich die Vorstellungen etwa alle 14 Tage bis -3 Wochen. VVürde ich vorher coitiren, so würde vielleicht dem Eintritt derselben vorgebeugt werden. Ich habe niemals den Versuch gemacht, meine sehr bestimmt und charakte- riKtisch auftretenden Vorstellungen zu realisiren, d. h. sie mit der Anssenwelt in Verbindung zu bringen, sondern habe mich stets mit Schwelgereien in Gedanken begnügt, weil ich von der Ueberzeugung fest durchdrungen war, dass sich eine Realisirung meiner „Ideale* niemals auch nur annähernd würde herbei- führen lassen. Der Gedanke an eine Comödie mit bezahlten Dirnen erschien mir stets lächerlich und zwecklos, denn eine von mir bezahlte Person könnte in meiner Vorstellung niemals die Stelle einer , grausamen Herrin** einnehmen. Ob es sadistisch angehauchte Weiber wie Sacber-Masoch's Heldinnen gibt, be- zweifle ich. Wenn es deren aber auch gäbe und ich das Glück (l) gehabt hätte, eine solche zu finden, so würde mir ein Verkehr mit derselben mitten in der realen Welt immer nur als eine Comüdie erschienen sein. Ja, sagte ich mir, wenn es mir sogar passirt wäre, in die Sklaverei einer Messalina zu gelangen, so glaube ich, dass ich bei den sonstigen Entbehrungen jenes von mir erstrebten Lebens sehr bald Überdrüssig geworden würe, und in den lucidis intervalHs meine Freiheit unter allen Umstünden zu erreichen ge- trachtet hatte.

Dennoch habe ich ein Mittel gefanden, in gewissem Sinne eine Reali-


Ma8ochi.8mu6.


sirung herbeiznlTihren. Nachdem durch voran gegangene Scbwelgereien mein Geschlechtstrieb stark angeregt ist, gehe ich zu einer Prostituirten und stelle mir dort irgend eine Geschichte des vorerwähnten Inhaltes, in welcher ich die Hauptperson bilde, innerlich lebhaft vor. Nach etwa halbstündiger, unter stetiger Erection erfolgenden inneren Ausmalung solcher Situationen coitire ich sodann mit gesteigertem Wollustgefühl unter starker Ejaculation. Nach der letzteren ist der Spuck verschwunden. Beschämt entferne ich mich so bald als möglich, und vermeide, auf das Vorangegangene zurückzukommen. Sodann habe ich etwa 14 Tage keinerlei Vorstellungen mehr; bei besonders befriedigendem Coitus kommt es sogar vor, dass ich bis zum nächsten Anfalle gar kein Verständniss für masochistische Situationen habe. Der nächste An- fall kommt aber sicher, ob früher oder später. Ich muss jedoch bemerken^ dass ich auch coitire, ohne durch solche Vorstellungen präparirt zu sein, ins- besondere auch mit weiblichen Wesen, die mich und meine bürgerliche Stellung genau kenoon, und in deren Gegenwart ich jene Vorstellungen durchaus per- horrescire. In letzteren Fällen bin ich jedoch nicht immer potent, während die Potenz unter dem Banne raasochistischer Vorstellungen eine un- bedingte ist. Dass ich in meinem übrigen Denken und Fühlen sehr ästhetisch veranlagt bin und die Misshandlung eines Menschen an sich u. s. w. im höchsten Grade verachte, erscheint mir nicht überflüssig zu bemerken. Schliess- lich will ich uicht unerwähnt lassen, dass auch die Form der Anrede von Bedeutung ist. Es ist ein Essentiale in meinen VorateiUungen, dass die , Herrin" mich mit »Du* anredet, während ich dieselbe mit „Sie* anreden muss. Dieser Umstand des Geduztwerdens von einer dazxi geeigneten Person, als Ausdruck der absoluten Herrschaft, hat mir von früher Jugend an schon Wollustgefühle erregt und thut dies auch heute noch.

Ich habe das Glück gehabt, eine Frau zw tinrJen, welche mir in allen Punkten, vor Allem auch ia geschlechtlicher Beziehung, durchaus zusagte, obwohl dieselbe, wie ich nicht erst hinzuzufügen brauche, in keiner Weise masochistischen Idealen ähnelt.

Dieselbe ist sanftmüthig, jedoch üppig, ohne welche Eigenschaft ich mir überhaupt einen geschlechtlichen Reiz nicut vorstellen kann.

Die ersten Monate der Ehe verliefen geschlechtlich ganz normal , die masochistischen Anflllle blieben gänzlich aus, ich hatte beinahe das Verstand- niss für den Masochismus verloren. Da kam das erste Kindbett und hiermit die nothwendig gewordene Abstioenz. Pünktlich stellten sich sodann mit ein- tretender Libido die masochistischen Umwandlungen wieder ein, welche mit unabweisbarer Nothwendigkeit einen aussereheliehen Coitus mit masochistischen Vorstellungen herbeiführten — trotz meiner aufrichtigen grossen Liebe zu meiner Frau.

Bemerkenswerth ist hierbei, dass der später wieder beginnende Coitus raaritalis sich nicht als ausreichend erwies, um die masochistischen Vor- stellungen zu bannen, wie das bei einem masochistischen Coitus regelmässig der Fall ist.

Was das Wesen des Masochismus anbelangt, so bin ich der Ansicht, dass bei demselben die Vorstellungen, also die geistige Seite, Haupt- und Selbstzweck sind.

Wäre die Verwirklichung masochistischer Ideen (also die passive Flagel* lation u. dgl.) das ersehnte Ziel, so steht hiermit die Thatsache im Wider- spruche , dass ein grosser Thcil der Masochisten zur Verwirklichung entweder gar nicht schreitet, oder, wenn er dies dennoch versucht, eine grosse Ernüchterung empfindet, jedenfalls die ersehnte Befriedigung nicht erzielt.

Schliesslich möchte ich nicht unterlassen , aus meiner Erfahmiog zu be- seitigen, dass die Zahl der Masochisten, besonders in grossen Städten, in der That eine ziemlich grosse zu sein scheint. Die einzige Quelle für derartige


n


MasoohiBmua.


95


Forschungen sind — da Miitbeilmigen inter viros nicht stattzufinden pflegen — die Aussagen der Prostituirten , und da diese in den wesentlichen Punkten fibereinstimmen , wird man iiiimerbin gewisse Thatsacheu tur erwiesen an- nehmen können.

Dahin gebort zunächst die Thatsache, dass jede erfahrene Prostituirte irgend ein zur FlageUation geeignetes Instrument (gewöhnlich eine Rutbe) im Besitze zu haben pflegt, wobei allerdings in Betracht zu ziehen ist, dass es Männer gibt , die sich lediglich zur Erbühung ihrer Gescblechtslust geissein lassen , also — im Gegensatze zu den Masochisten — die FlageUation als Mittel betrachten.

Dagegen stimmen die Prostituirten fast sämmtlich darin überein , dass es eine Anzahl von Männern gibt, welche gern .Sklaven* spielen, d. b. sich gerne so nennen hören, sich schimpfen und treten, auch schlagen lassen. Wie gesagt, die Zahl der Masochisten ist grosser, als man es sich bisher hat träumen lassen.

Die Lektüre Ihres Capitels über diesen Gegenstand machte, wie Sie sich denken können, einen ungeheuren Eindmck auf mich. Ich möchte an eine Heilung, sozusagen an eine Heilung durch Logik, glauben, nach dem Motto i ,tout coraprendre c'est tout gumr.*

Freilich ist das Wort Heilung mit Einschränkung zu verstehen, und zwar muss man auseinanderhalten: allgemeine Gefühle und concreto Vor- stellungen. Die erateren sind niemals in beseitigen. Sie kommen wie der Blitz und sind da, man weiss nicht von wannen und vrieso.

Aber die Ausübung des Masochismus durch Schwelgen in concreten zu* sammenhängenden Vorstellungen lässt sich vermeiden oder doch eindämmen.

Jetzt liegt die Sache anders. loh sage mir: Was. du begeisterst dich an Dingen, die nicht nur das ästhetische Gefühl Anderer, sondern auch dein ijMgeneB reprobiit? Du findest etwas schOn und begehrensworth, was anderer- lits, uach deinem eigenen Urtheil, hässlich, gemein, lächerlich und unniiiglicb zugleich ist? Du sehnst eine Situation herbei, in die du in Wirklichkeit nie- mals gelangen rauchtest? Diese Gegenvorstellung wirkt sofort hemmend und ernüchternd, und bricht den Phantasien die Spitze ab. Thatsftchlich habe ich auch seit der Lektüre Ihres Buches (etwa Anfang dieses Jahres) nicht ein ein- ziges Mal mehr geschwelgt, obwohl die masochistischen Anwandlungen selbst sich in den regelmässigen Intervallen einstellten.

Im Uebrigen muss ich gesteheu, dass der Masochismus trotz seines stark pathologischen Charakters nicht nur nicht im Stande ist. mir den Gennss de» LebensglUckes zu vereiteln , sondern überhaupt auch nicht im Geringsten in mein äusseres Leben eingreift. In nicht masochistlschem Zustande bin ich, was Fühlen und Handeln anlangt, ein äusserst normaler Mensch. Während der masochistischen Anwandlaugen ist zwar im Gefühlsleben eine grosse Re- volution ausgebrochen, meine Äussere Lebensweise erleidet jedoch keine Aende- rung. Ich habe den Beruf, welcher es mit sich bringt, daas ich mich viel in der Oeffentlichkeit bewege. Ich übe denselben auch im masochistischen Zustande ebenso aus wie sonst.

Der Verfasser der vorstehenden Aufzeichnungen übersandte mir femer noch die folgenden Bemerkungen:

I. Masochismus ist meiner Erfahrung gemäss unter allen Umständen angeboren, und keineswegs vom Individiuum gezüchtet. Ich weiss es posi- tiv, dass ich niemals auf das Gesäss geschlagen worden bin, lind dass meine masochistischen Vorstellungen von frühester Jugend an sieb zeigten, und dass ich, solange ich überhaupt zu denken vermag, derartige Ge- danken hegte. Wäre die Entstehung derselben die Folge eines bestimmten


96


MasDchismuB.


Ereignisses, insbesondere eines Schlages gewesen, so würde ich ganz bestimmt die Erinnerung hieran nicht verloren haben. Charakteristisch ist, dass die Vorsiellungen bereits vorhanden waren, ehe nochLibido über- haupt vorhanden war. Damals waren die Vorstellungen auch gänzlich geschleuhtslos. Ich besinne wich, dass es mich als Knabe stark anregte (um nicht zu sagen aufregte), als ein ilUerer Knabe mich duzte, während ich zu ihm «Sie" sagte. Ich drängte mich zu einer Unterhaltung mit demselben, wobei ich dafür sorgt-e, doss diese gegenseitige Anrede müglichst häufig er- folgte. Später, als ich geschlechtlicher wurde, hatten derartige Sachen nur dann Reiz, wenn sie in Beziehung zu einer Frau, und zwar zu einer (relativ) älteren standen.

II. Ich bin körperlich und seelisch durchaus mUnnlich veranlagt, üeber- starker liart^vucbs und starke Behaarung am guu/.en Körper. In meinen nicht masochis tischen Beziehungen zum weiblichen Geschlecht ist für mich die domi- nirende Stellung des Mannes eine uuerlitssliche Bedingung, und jeden Ver- such , dieselbe zu bcintrSchtigon , würdig ich mit Energie zurückweisen. Ich bin energisch, wenn auch nicht allzu muthig, doch wird der fehlende Muth dann ergänzt, wenn es sich um Verletzung des Stolzes handelt. Gegen Natur- ereignisse (Gewitter, Meeressturm u. s. w.) bin ich völlig unempfindlich ').

Auch meine masochistischen Neigungen haben nichts, was weiblich oder weibisch zu nennen wäre (?). Allerdings ist hierbei die Neigung vorherrschend, vom Weibe gesucht und begehrt zu werden, doch ist das allgemeine Verhält- nisB zur .Herrin*, wie es herbeigesehnt wird, nicht das, in welchem das Weib zum Manne steht, sondern das Verhältnis^ des Sklaven zum Harm, das des Hausthieres zu seinem Besitzer. Zieht mau ganz rücksichtslos die Consequenzen ans dem Masochismus, so kann man nicht anders sagen, als dass dos Ideal desselben die Stellung eines Hundes oder Pferdes ist. Beide sind Eigenthum eines Anderen , werden von demselben nach Gutdünken missbaudelt, ohne doss dieser irgend Jemand Rechenscbaft zu geben hätte.

Gerade diese unumschränkte Horrscbaft über Leben und Tod, wie sie nur beim Sklaven und beim Hausthiero zu finden ist, ist das um und Auf aller masochistischen Vorstellungen.

III. Die Grundlage aller masochistischen A'orstellungen ist die Libido, und je nachdem bei dieser Ebbe und Fluth eintritt, ist dasselbe auch bei jenen der Fall. Andererseits erhöhen die Vorstellungen, sobald sie vorhanden sind, die Libido ganz erheblich. Ich bin von Natur durchaus nicht über- mässig geschlechtsbednrftig. Erscheinen jedoch die masochistischen Vorstel* lungBD, so drängt es mich zum Coitus um jeden Preis (meist zieht es mich dann zu möglichst niedrigen Weibern), und wird diesem Drängen nicht bald Statt gegeben, so steigert sich in kurzer Zeit die Libido bis fast zur Satyriasia. Man könnte hier fast von einem Circulus vitiosns sprechen.

Die Libido tritt ein, entweder durch Zeitablauf oder besondere Auf- regung (auch nicht niasochistischer Art, z. B. Küssen). Trotz dieses Ursprungs verwandelt sich diese Libido kraft der durch sie selbst erzeugten masochisti- schen Vorstellungen sehr bald in eine masoch istische, also unreinf^ Libido.

Duss übrigens die Begierde durch äussere zufällige Eindrücke, insbesondere durch den Aufenthalt in den Strassen einer Grossstadt, erheblich gesteigert wird, unterliegt keinem Zweifel. Der Anblick schöner und imponirender Franen- gestalten, in natura wie in effigie, wird aufregend. Für den unter dem Zeichen des Masochismus Stehenden ist — wenigstens für die Dauer des Anfalles — das ganze äussere Erscheinungsleben masochistisch angehaucht. Die Ohrfeige,


') Diese Differeni des Muthes gegenüber Naluiereignisseu einerseits, AViUens- cx^nflikten andererseits ist jedenfalls auffallend (vgl. Beob. 41 p. Uö), wenn auch hier die einzige erwähnte Andeutung von Effeminatio.


Maaochismns.


97


diß die Meisterin dein Lehrling applicirt, der Peitächenhieb des Fiakers — alles das hluterlässt dem Masocbisten tiefe Eindrücke, während es ihn im nicbt masocfaistisclien Zui^tando gleichgültig lästit oder gar nnekf^lt.

IV. .Schon bei der Lektüre von Sacher-Masoch fiel es mir auf, dass boi dem Masocbisten ab und za sadistische GefOhle gelegentlich mit unterlaufen. Auch an mir habe ich hin und wieder sporadische Empfindungen von Sadismus entdeckt. Ich muss aber bemerken, dass die sadistischen Gefühle nicht derart markant sind wie die mosochistischen . und dass dieselben, abgesehen davon, dass sie nur selten und gewissermassen accessorisch auftreten, niemals aus dem Rahmen des abstracten Gefühlslebens heraustreten und vor Allem nicht die Gestalt concreter und zusammenhangender Vorstellungen annehmen. Die Wir- kung auf die Libido ist jedoch bei beiden die gleiche.

War dieser Fall merkwürdig durch die vollständige Entwicklung des psjchischen Thatbestandes, der den Masochismus ausmacht, so ist es der folgende durch die besondere Extravaganz der aus der Perversion hervorgehenden Handlungen. Auch dieser Fall Ist besonders geeignet^ das Moment der Unterwerfung unter und der Demütliigung durch dos Weib, zugleich mit der eigenthUmlichen geschlechtlichen Betonung der daraus sich ergehenden Situationen klar zu machen.

Beobachtung 4S. Herr Z,, Beamter, hO Jahre, gross, muskulös, gesund, stammt angeblich von gesunden Eltern, jedoch war der Vater bei der Zeugung 30 Jahre älter als die Mutter. Eine Schwester, 2 Jahre Biter als Z., leidet an Verfolgungswahn. Z. bietet in seinem Aeusseren nichts Auffälliges. Skelett durchaus milnnlich, starker Bart, jedoch Rumpf gUnzlich unbohuart. Er bezeichnet sich als prononcirten Gemüthsmenschen, der Niemand etwas ab- schlagen kann , gleichwohl jähzornig, aufbrausend , dabei augenblicklich be- reuend.

Z. hat angeblich nie onanirt. Von Jugend auf nächtliche Pollutionen, bei denen nie der sexuelle Akt, immer aber das Frnuenzimnier eine Rolle spielte. Es träumte ihm z. B.. eine ihm sympathische Fruuenspei-son lehne sich kraftig an ihn an, oder er lag schlummernd im Orasc und sie stieg scherz- weise auf seinen Rücken. Vor Coitus mit einem Weibe hatte Z. von jeher Abschen. Dieser Akt kam ihm thierisch vor. Trotzdem drängte es ihn zun; Weibe. Nur in (Jesellschaft von hübschen Frauen und Mädchen fühlte er sich wohl und an seinem Platze. Er war sehr galant, ohne je zudringlich zu sein.

Eine üppige Frau mit schönen Formen, namentlich hübschem Foss, konnte ilm, wenn sie sass, in höchste Erregunji versetzen. Es drflngte ihn, sich ihr als Stuhl anzubieten, um ,so viel Herrlichkeit tragen zu dürfen". Ein Tritt, eine Ohrfeige von ihr wäre ihm Seligkeit gewesen. Vnr dem Gedanken, mit ihr zu coitiren, hatte er Horror. Er tühlto das Bedürfniss, dem Weibe zu dienen. Es kam ihm vor, dass Damen gerne reiten. Er scliwelgte in dem Gedanken , wie herrlich es sein müsste, sich unter der Last eines schönen Weibes abzuquälen, um ihm Vergnügen zu bereiten. Er malle sich die Situation nach jeder Richtung ans, dachte sich den schönen Fuss mit Sporen, die herr- lichen Waden, die weichen vollen Schenkel. Jede schiin gewachsene Dame, jeder hübsche Damenftiss regte seine Phantasie immer mächtig an. aber niemals verrieth er seine absonderlichen, ihm selbst abnorm erscheinenden Empfindungen und wusste sich zu beherrschen. Er fühlte aber auch kein Bedürfniss, dagegen anzukämpfen — im Gegentheil . es hätte ihm leid gethan, seine ihm so Heb gewordeneu Gefühle preisgeben zu müssen.

T. Kr ftfrt-Kbliig. P»yohöpnthia mxubUs. 10. Anfl. 7


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Masocbismus.


99


widerstehen. Z. bittet um Aufklärung, ob seine Abnormität heilbar sei, ob er verabscheuungswUrdij? sei als lasterhafter Mensch, oder ein Kranker, der Mitleid verdiene M.


I


Schon In der bisherigen Casuistik» bnt neben anderen Dingen, das Treten mit Füssen eine Rolle als Ausdrucksmittel niasochistischer Situa- tionen der Demüthigung und Schmerzzufügung gespielt. Die ausschliess- liche und weitestgehende Verwerthiing diese« Mittels zu perverser Er- regung und Befriedigung, welches, weil es rinen Uebergnng zu einer anderen Perversion vermittelt, Anlass zur Aufstellung einer besonderen Gruppe — s. unten unter b) pag. 108 — gab, zeigt der folgende klas- sische Fall von Masochismus, welchen Haniniond r>p. cit. p. 28, nach einer Beobachtung von Dr. Cox-) in Colorado, berichtet.

Beobachtung 40. X.. Muster eines Ehemannes, streng sitUieh, Vater niehrerftr Kinder, hat Zeiten resp. Anfülle, in welchen er ins Bordell geht, sich 2 — 3 der grössten MUdchen auswählt und mit ihnen sich einschliesst. Corporis superiorem partem nndavit humi iacens inonus snpru ventrem ponens ocnlos claadit et puellas trans pectus suuni nudntum et colIum et os vadere iubet et poscit, ut transgredjentes summa vi calcibns carnem premerent. Gelegent- lich verlangt er eine noch schwerere Dirne oder einige andere Kunstgriffe, die jene Procedur noch gransamer gestalten. Nach 2 — 3 Stunden hat er genug, honorirt die Mildchen mit Wein und Geld, reibt sich seine blauen Flecke, kleidet sich an, zahlt seine Rechnung und geht in sein Geschttft, um nach einer Woche etwa dieses sonderbare Ver>^ügen sich neuerdings zu verschaffen.

Gelegentlich kommt es vor, dass er eines dieser Mildchen sich anf seine Brust stellen lUsst. wirtitend die anderen sie im Kreise herumdrehen müssen, bis seine Haut unter dem Drehen der SchuhabsatzR blutrünstig geworden ist.

fläutig uiuss eines der Mildch«n so jiuf ihn sich stellen, dass ein Schuh quer über den Augen steht und der Absatz auf den einen Augapfel drückt, wahrend der andere Schuh «[ner über seinem Halse ruht. In dieser Stellung hält er den Druck der circa 150 Pfund schweren Person etwa 4 — 5 Minnton lang aus. Verf. sprirht von Dutzenden analoger Flllle, die ihm bekannt geworden seien. Hammond vermuthet mit Grund, dass dieser Mann im Verkehr mit dem Weibe impotent geworden, in dieser eigenartigen Procedur ein Aeriuivalent tÜr Cnitus sucht und findet, und während er blutig getreten wird, angenehme, von Ejaculutionen begleitete Sexualgefühle hat.

Die bisher angeftllirten F'aUe von Masochismus und die zahlreichen analogen, welche die Berichterstatter erwähnen, bilden dos Gegenstück zur oben geschilderten Gruppe c) des Sudisnius. Wie dort perverse Männer an der Misshandlung von Weibern sich erregen und befriedigen, 80 suchen sie hiur den gleichen Effect durch das passive Empfangen solcher Misshandhingen'^).



>) Einen ahnlichen Fall s. diesea Buch S. Aufl. Beob. 51.

') Tranflactions of Ihe Colorado State medical society quotcd in the ,AUeni»t und Ncurologtfit' 1883 April, p. »45.

Inetructive Beispiele ». Seydel, Vierteüahrsachr. f. ger. Med. 1893. Heft 2, p, 275 u, 276.


lOu


Masocliismu«.



Aber auch die Gruppe a) der Sadisten, die der Lustmürder, ist merkwürdiger Weise nicht ganz ohne Gegenstück im Masochismus.

In seiner aussersten Consequenz muss ja der Miisochismus zu der Bejjierde führen, von einer Person des anderen Geschlechts getödtet zu werden, so wie der Sadismus im aktiven Lustmord gipfelt Solcher Con- sequenz stellt sich aber der Trieb der Lebenserhaltung entgegen, so dass es hier nicht zum Äeussersten in wirklicher Ausfuhrung kommt.

Wo aber das ganze Gebäude der masochistischen Vorstellungen nur in petto errichtet wird, da kann es in den Phantasien solcher In- dividuen selbst zu dieser aussersten Consequenz kommen, wie der folgende Fall zeigt.

Beobachtang 50. Ein Mann in mittleren Jahren, vF^rhelrathet und Familienvater, der stets eine normale Vita sexaalia geführt hat, aber ans sehr »nervöser* Familie zu stammen angibt, macht folgende Mittheilung.- In seiner frühnu Jugend sei er beim Anblick einer Frauensperson, welche ein Thier mit einem Messer schlachtete, sexuell mächtig erregt worden. Von da ab habe er viele Jahre lang in der wollüstig betonten Vorstellung geschwelgt, von "Weibern mit Messern gestochen und geschnitten, ja selbst getödtet zu werden. Später, nach Beginn des normalen Geschlechtsverkehrs, haben diese Vorstellungen den perversen Reiz für ihn gftnzlich verloren.

Mit diesem Falle sind die oben p. 85 angefahrten Mittheilungen zu vergleichen, wonach Männer einen sexuellen Genuss darin finden, von Weibern mit Messern leicht gestochen, dabei aber mit dem Tode bedroht zu werden.

Derartige Phantasien geben vielleicht den SchlQssel zum Verständ- niss des folgenden seltsamen Falles, welchen ich einer Mittheilung des Herrn Dr, Körb er in Runkau i. Schi, verdanke.



Beobachtung 51. „Eine Dame erzahlte mir Folgendes: Als junges unwissendes Mildchen wurde sie mit einem etwa SOjährigen Manne verheiraihet. In der ersten Nacht ihres Ehelebens zwang er ihr ein Waschnäpfchen mit Seife in die HUude und \vün8chte dringend, ohne jedwede Liebesbezeugung, von ihr um Kinn und Hals (wie ?um Barbieren) eingeschäumt zu werden. Die völlig unerfahrene junge Frau that es und war nicht wenig erstaunt, in den ersten Wochen ihres Ehelebens dessen Geheimnisse in absolut keiner anderen Fonn kennen zu lernen; der Mann erklärte ihr beständig, dass es ihm höchster Ge- nuss sei, von ihr im Gesicht eingeschäumt zu werdon. Nachdem sie später Freundinnen zu Rathe gezogen, brachte sie ihren Mann zur Ausübung des Coitus und hat, wie sie besiimml versichert, von ihm im Laufe der Jahre drei Kinder bekommen. Der Mann ist ein fleissiger und solider, aber kurz ange- bundener, mürrischer Mensch, seines Zeichens Kaufmann,**


Es ist immerhin denkbar, dass der hier erwähnte Mann den Akt des Kasirens (resp. Einseifens als Vorbereitung dazu) als eine rudimen- täre, symbolische Verwirklichung von Verletzungs- oder Tödtungsvor- stellungen und Messer-Phantasien, wie sie der obige ältere Herr in seiner


MaÄOChismus.


101


Jugend hatte, auffasste und auf diese Weise dadurch soxueU erregt und befriedigt wurde. Das vollkommene sadistische Gegenstück zu diesem so aufgefassten Falle liefert dann die oben p. lo mitgetheilte Beob. 32, welche einen Fall von symbolischem Sadismus betrifit.

Ueiierhaupt gibt es eine ganze Gruppe von Masochisten, welche sich mit symboIischt.'n Andeutungen der ihrer Perversiou eutsprechenden Situationen begnügt, eino Gruppe, welche der Gruppe e) der , symboli- schen* Sadisten entspricht, so wie die froher angeführten Fälle von Masochismus den Gruppen c) und a) des Sadismus entsprachen. So wie sich die perversen Gelüste des Masochisten einerseits (freilich nur in der Phantasie) bis zum .passiven Lustmord" steigern, so können sie anderer- seits sich mit blossen symbolischen Andeutungen der erwünschten Situation begnügen, die sonst durch Misshandlungen ausgedrückt wird (was frei- lich, objectiv genommen, noch immer weiter geht, als jenes Phantasma des Ermordetwerdens, nach der entscheidenden subjectiven Sachlage aber weniger weit).

Es mügen hier neben dem obigen Fall der Beob. 51 noch einige derartige Fälle angeführt werden, in denen die von Masochisten ge- wünschten und bestellten Vorgänge rein symbolischen Charakter haben und gewissermassen zur Markirung der ersehnten Situation dienen.

Beobachtung 52. (Pascal, Igiene dell' amore). Alle drei Monate erschien bei einer Prostituirten ein etwa 45 Jabre alter Mann ucd bezahlte ihr 10 Frcs. für folgenden Vorgang. Die Pnella musste ihn entkleiden, ihm Hllnde und Füsse zusammenbindeu, ihm die Augen verbinden und überdies die Fenster verdunkeln. Dann Hess sie den Gast auf einen Sopha niedersitzen und musste ihn in seinem bülflosen Zustand allein lassen. Nach einer halhnn Stande inusste die Person wiederkommen und die Bande lüsen. Darauf zahlte der Mann und ging ganz befriedigt, von dannen, um nach etwa drei Monaten seinen Besuch zu erneuern.


Dieser Mann scheint sich die Situation, hUlflos in der Gewalt eines Weibus zu sein, mittelst seiner Phantasie im Dunkeln weiter ausgemalt zu haben. Noch sonderbarer ist der folgende Fall, in dem wieder eine complicirte Comödie im Sinne masochistischer Gelüste aufgeführt wird.

Beobachtung 53. (Dr. Pascal, ibid.) Ein Herr in Paris b^ab sich an bestimmten Abenden in eine Wohnung, deren Besitzerin zur Befriedigung seiner seltsamen Neignng willfiibrig war. Er erschien in Gala im Salon der Dame, welche in Balltoilotte sein und ihn mit strenger Miene empfangen niusste. Er redete sie als Man|uiao an, sie musste ihn mit den Worten , lieber Graf" [iMgrüssen. Darauf sprach er von dem Glück, sie allein zu treffen, von seiner [jiebe zu ihr und einer Schäferstunde. Nun musste die Dame die Beleidigte spielen. Der Psendograf ereiferte sich immer mehr und, vorlangte, der Pseudo- inarquise einen Kuss auf die Schulter drücken zu dürfen. — Grosse Eni* Istungsscene, die Klingel wird gezogen, ein eigens dazu gemietheter Diener erscheint und wirft den Grafen hinaus, welcher sehr befriedigt abzieht und diti Tersonen der Comüdie reichlich belohnt.


102


Masochisuius.


Von diesem „symbolischen MasochiHnius* iafc der ideelle zu unter- scheiden, bei M'elchem diu psychisclie Perversion ganz auf dem Gebiete der Vorstellung und Phantasie bleibt und keine Verwirklichung derselben versucht wird. Ein solcher FaU von „ideellem Masochisuius" ist vor allem der der oben p. 92 aufgenommenen Beob. 47, dann der der Beob. öO, Solche ideelle Fälle sind ferner die beiden folgenden. Der erste bctrilft ein geistig und körperlich belastetes, mit Degenerutions- zeichen behaftetes Individuum, bei dem frühzeitig psychische und physi- sche impoteuz eingetreten ist.

Beobachtung ö4. Herr Z., 22 Jahre, ledig, wurde mir von seinem Vormund zugel'iihrt hehufs ärztlichen Käthes, da er höchst nervös und offenbar sexuell nicht normal sei. Mutter und Muttersmutter waren geisteskrank ge- wesen. Der Vater zeugte ihn zu einer Zeit, wo er sehr nervenleidend war.

Pat. soll ein sehr lebhaftes und talentirtes Kind gewesen sein. Schon mit 7 Jahren bemerkte mau bei ihm Musturbatioii. Er wurde vom 9. Jahre ab zerstreut, vergesshch. kam mit seinen Studien nicht recht vorwärts, be- durfte Iteständiger Nachhülfe und Protection, absolvirte mühsam das Real- gymnasium und fiel während seines Freiwilligenjahra durch Indolenz, Vergess- Hchkeit und verschiedene dumme Streiche auf

Anlass zur Consultation bot ein Vorfall auf der Strasse, indem Z. sich an eine junge Dame angedrängt hatte und in höchst zudringlicher Weise und in grosser Aufregung dieselbe zu einer Converaation mit ihm hatte bestimmen wollen.

Pat. motivirte diesen Auftritt damit, dass er durch ein Gespräch mit einem anständigen Mädchen sich habe aufregen wollen , um dann zum Goitos mit einer Prostituirten potent zu sein !

Z.'s Vater bezeichnet ihn als einen von Hause aus gutartigen, moralischen, aber schlaffen, faden, mit sich zerfallenen, über seine schlechten Erfi>lge in der bLsherigen Lebensführung oft desperaten, gleichwohl indolenten Menschen, der sich für nichts ausser für Musik interessire, zu welcher er grosse Begabung besit/.e.

Das Aeussere des Pat. — sein plagiocephaler Schädel, seine grossen ab- stehenden Ohren, die mangelhafte Innervation des r. Mundfacialis, der neuro- pathische Ausdruck der Augen deuten auf eine degenerative n europathologische Persönlichkeit.

Z. ist gross von Statur, von kräftigem Körperbau, eine durchaus männ- liche Ersi^heinung. Becken männlich, Hoden gut entwickelt, Penis auffallend gross. Mons veneris reichlich beharrt, der rechte Hode hängt tiefer herab als der linke, der Creraasterreflex ist beiderseits schwach. Intellectuell ist Pat. unter dem Durchscbnittsmittel. Er fühlt selbst seine Insufficienz , klagt über Indolenz und bittet, man möge ihn willensstark machen. Linkisches, verlegenes Benehmen, scheuer Blick, schlaffe Haltung deuten auf Masturbation. Pat. gesteht zu. dass er vom 7. Jahr ab bis vor l'ia Jahren ihr ergeben war, jahrelang Ö — lümal täglich onanirte. Bis vor einigen Jahren, wo er neur- asthenisch wurde (Kopfdruck, geistige Unfähigkeit, Spinalirritation u. s. w.), will er dabei immer grosses WoUustgefühl empfunden haben. Seither habe sich dieses verloren und der Reiz znr Masturbation sei von ihm gewichen. Er sei immer schüchterner, schlaffer, energieloser geworden, furchtsam, habe an nichts Interesse, besorge seine Goschäfto nui* aus Pflicht, fühle sich sehr ab- gespannt. An Coitus habe er nie gedacht, er begreife auch von seinem Stiüidpunkt aus als Ouanist nicht, wie Andere am Coitus Vergnügen finden können.



Forschungen nach eontrfircr Sexualempfindung ergaben ein negatives Besultat.

Er will .sich nie zu Persouen des eigenen Geschlechts hingezogen gefühlt haben. Eher glaubte er noch hie und da eine übrigens schwache Inclination äu Frauenzimmern gehabt zu haben. Zur Onanie will er ganz von selbst ge- kommen sein. Im 13. .lahre bemerkte er zum erstenmal anlässlich mastnrba- torischer Manipulationen Ejaculation von Sperma.

Erst nach langem Zureden liess sich Z. herbei, seine Vita sexualifi ganz zu entschleiern. Wie seine folgenden Mittbeilungen erweisen, dürfte er als ein Fall von ideellem Masochismus mit inidimentärem Sadismus zu klossificiren sein. Fat. erinnert sich bi*stimmt, dass schon mit ^ Jahren und ohne allen Anlasa bei ihm „OewaltvorsteHungen" auftauchten. Er musste sich vorstellen, das Stubenmädchen zwänge ihm die Beine auseinander, zeige einem Andern seine, dos Fat. Genitalien, versuche ihn in heissßs oder kaltes Wasser zn werfen, um ihm Schmerz /u bereiten. Diese , Gewaltvorstellungen* wurden mit wol- lüstigem Gefahl betont und der Anlass zu masturbatorischen Manipulationen. Pat. rief sie spüter auch willkürlich hervor, um sich zur Masturbation anzu- regen. Auch iu seinen Träumen spielten sie nunmehr eine Rolle. Zu Pollutionen führten sie aber nie. offenbar weil Fat. unter Tags massloa masturbirte.

Mit der Zeit gesellten sich zu diesen masoch istischen Gewaltvorstellungen solche im Sinne des Sadismus. Anfangs waren es Bilder von Knaben^ die ein- ander gewaltsam masturbirten, die Genitalien abschnitten. Oft versetzte ersieh dabei in die Rolle eines solchen Knaben, bald in passiver, bald in activer.

Später bosohüftigten ihn Bilder von MUdchen und Frauen . die vor ein- rAnder exhibitionirten : es schwebten ihm Situationen vor, wie z. B. , dass das ^Stuben- einem anderen Mädchen die femora auseinander zerre, dasselbe an den pubes reisse, ferner solche, in welchen Knaben grausam gegen Mädchen vor- gingen, sie stachen, in die Genitalien zwickten.

Auch derlei Bilder wirkten jeweils sexuell erregend, jedoch empfand er nie Dränge, im Sinne solcher activ vorzugehen oder passiv solche an sich ver- werthen zu lassen. Es genügte ihm , sie zur Automasturbation zu benutzen. 8eit 1 *ii Jahren sind mit abnehmender sexueller Fhantasie und Libido diese lilder und Dränge selten geworden, aber ihr Inhalt ist derselbe geblieben. Masochistische GewaltvorsteUungon überwiegen die sadistischen. Wenn er neuerlich einer Dame ansichtig wird, kommt ihm die Vorstellung, sie habe dieselben sexuellen Gedanken wie er. Daraus erklärt er zum Theil seine Ver- legenheit, im socialen Verkehr. Da Fat. gehört hatte, er werde seine ihm nach- gerade lästigen sexuellen Vorstellungen los werden, wenn er sich an eine natür- icbe Geschlechtsbefriedigung gewöhne, machte er im Lauf der letzten 1 'Js Jahre zweimal den Versuch, zu coitiren, obwohl er dagegen nur Widerwillen empfand und sich keinen Erfolg versprach. Der Versuch endete auch beidemale mit ,«inem vollständigen Piasco. Das zweite Mal empfand er beim bezüglichen '"Versuch solche Aversion, dass er das Mädchen von sich stieas und die Flucht ergriff.

Der zweite Fall ist die folgende mir von einem GoUegen zur Ver- fügung gestellte Beobachtung. Wenn auch aphoristisch, erscheint auch ie geeignet, das entscheidende Moment des Masochiamua, das Bewusst- lein des Unterworfeuseins zu illuätrireu.


Beobachtung 65. Z. . 27 Jahre, Künstler, kräftig gebaut, von an- genehmem Aoussern, angeblich nicht belastet, in der Jugend gesund, ist seit »nem 23. Jahre nervös und zu hjrpochondrischer Verstimmung geneigt. In leller Beziehung geneigt zu Renommage , ist er gleichwohl nicht sehr


104


Masoc.hismug.


leistungsfähig. Trotz Entgegenkommens Seitens des weiltlicheu GescblecbU bßechränken sieb des Pat. Beziehungen zu demselben auf unschuldige Zärtlich- keiten. Hierbei ist sein Han^ beraerkenswertb, Frauen zu begehren, die sich ihm gegenüber spröde benehmen. Seit seinem 2^. Jiibre machte er die Beob- achtung, dass er durch Frauenzimmer, mögen sie auch noch so hRssIich sein, jeweils sexuell erregt wird, sobald er in ihrem Wesen einen herrischen Zug entdeckt. Ein zorniges Wort aus dem Munde einer solchen Frauensperson gentagt, um die heftigsten Erectionen bei ihm hervorzurufen. So sass er z. B. eines Tages in einem Cafe und hörte, wie die (hässliche) Cassierin den Kellner mit energischer Stimme auszankte. Er kam durch diesen Auftritt in die höchste sexuelle Erregung, die in kurzer Zeit zur Ejaculation führte. Z. verlangt von Frauen, mit denen er sexuell verkehren soll, dass sie ihn zurückstossen , ihn auf allerband Weise quälen etc. Er meint, es könne ihn nur ©in Weib reizen> das den Heldinnen in den Bomanen von Sacher-Masoch gleiche.


Solche Fälle, in welchen sich die ganze Pei^version der Vita sexua- lis nur auf dem Gebiete der Phantasie, des inneren Vorstellungs- und Trieblebens abspielt und nur ganz zufällig einmal zur Cognition Anderer kommt, scheinen nicht selten zu sein. Ihre praktische Bedeutung, wie die des Masochismus Überhaupt (welchem ja das hohe forensische Interesse des Sadismus nicht zukömmt), liegt lediglich in der psychischen Impotenz, welcher solche Individuen durch ihre Perversion in der Kegel verfallen und in dem mächtigen Drange zur solitären Befriedigung unter adäquaten Phantasievorstellungen, mit allen seinen Folgen.

Dass Masochismus eine ungemein häußg auftretende Perv^rsion sei, geht wohl zur Genüge aus der relativ grossen Zahl der bisher wissen- schaftlich beobachteten Fülle hervor, so wie aus den verschiedenen oben mitgetheilten unter einander Übereinstimmenden Berichten.

Auch die Werke, die sich mit der Darstellung der Prostitution in grossen Städten beschäftigen, enthalten über diesen Gegenstand zahlreiche Berichte').

Interessant und erwähnenswerth ist es gewiss, dass auch einer der berühmtesten Männer aller Zeiten von dieser Perversion ergriffen war und derselben in seiner Selbstbiographie (wenn auch in etwas missver-


') Li'o Ttixil op. cit. p. 228 schildert masochis tische Scenen in den Pariser Bordellen. Der von dieser rerversion ergriffene Mann wird auch dort »reaclave* genannt.

Cofftgnon (La corruption a Paris) bat in seinem Buch ein Capitel ,Lea passionels*. das Beiträge zn diesem Thema bietet. Der schlagendste Beweis für di& Hilufigkeit de» MasochiamuH ist aber wohl die That^ache, dass er zioiulich nnver- blümt in Zeitungsannoncen zu Tage tritt. So findet sich z. B. im HiuinoverBchea Tageblatt vom 4. December 1895 folgendes Inserat:

.Sacher-Masoeli. 10[)404. Damen, welche eich für die Werke desselben interessiren und begeistern und die Kraucngestaltcn seiner Komanü verkörpern, werden uro Angabe der Adresse unter R. 5S7 durch die Expedition der Zeitung erbeten. Strengste Discretion!*

■ In der gleichen Nummer 0ndet sich ein ähnliches Inserat!


iiBmus.


stilndlicher Weise) gedacht hat. Aus den ,Confes8ions von Jean .Tacr|ues Rousseau geht hervor, dosa auch er mit Masochismus be- haftet war.

Rousseau, bezüglich dessen Lebens- und Krankheitsgeschichie auf Möbius (J. J. Konsseau's Krankbeitsgescbiubte, Leipzig 1890) and Cbatelain (La folie de J. J. Roasseau, Neuchiitel iHDl) verwiegen sein mag, erzftblt in seinen Confesaions (I. Tbeil, 1. Buch), wie sehr ihm Frl. Lambereier, 30 Jabre alt, imponirte, als er, 8 Jahre alt, bei ihrem Bruder in Pension und Lehre war. Ihre Besorgniss, wenn er eine Frage nicht gleich 7m beantworten wusste, die Drohung der Dnrae, ihm Ruthenstreiche zu geben, wenn er nicht brav lerne, machten auf ihn den tiefsten Kindruck. Nachdem er eines Tages Schläge von der Hand des Frl. L. bekommen hatte, empfand er, neben Schmerz und Scham, ein wollüstig ßinnliches Gefühl, das ihn machtig erregte, neue Züchti- gungen davon zu tragen. Nur aus Furcht, die Dame damit /u betrüben, unterliess es Rousseau, weitere Gelegenheiten, sich diesen wollüstigen Schmerz zu verschaffen, zu provociren. Eines Tages zog er sich aber unbeabsichtigt eine neue Züchtigung von der Hand der L. zu. Sie war die letzte, denn Frl. L. musste von dem eigenartigen Effect dieser Züchtigung etwas bemerkt haben, and Hess von nun an den Sjährigen Knaben auch nicht mehr in ihrem Zimmer schlafen. Seithei' fühlte R. das Bedürfniss, sich von Damen, die ihm refielen, i la Lambereier züchtigen zu lassen, obwohl er versichert, bis zum FüngUngsalter von Beziehungen der beiden Geschlechter zu einander nichts gewusst zu haben. Bekanntlich wurde K. erst mit 30 Jahren durch Madame de Warrens in die eigentlichen Mysterien der Liebe eingeweiht und seiner Unschuld verlustig. Bis dahin hatte er nur Gefühle und Dränge zu Weibern im Sinne passiver Flagellation und sonstiger masochistischer Vorstellungen gehabt.

Rousseau schildert in extenso, wie sehr er bei seinem grossen sexuellen Bedürfniss unter seiner eigenartigen, zweifellos durch die züchtigenden Buthen- streiche geweckten SinnUcbkeit litt, schmachtend in der Begierde und ausser Stand, ihr Verlangen zu offenbaren. Es wäre aber irrig, zu glauben, dass es Rousseau bloss um seine Flagellation zu thun gewesen wäre. Diese erweckte nur einen dem Masochismus zuzuzHhlenden Vorstellungskreis. Darin liegt jeden- falls der psychologische Kern der interessanten Selbstbeobachtung. Das Wesent- liche bei R. war das Unterwerfungsgefuhl unter das Weib. Dies geht klar ans seinen nConfessions" hervor, in welchen er ausdrücklich hervorhebt:

„£tre aus geuoux d'une maitresse imperieuse, obeir ä ses ordres, avoir des parduns ä lui demander, ätaient pour moi de ir^s douees jouissances."

Diese Stelle beweist doch , dass das Bewusstsein der Unterwerfung, Demüthigung vor dem Weibe die Hauptsache war.

Freilich war Rousseau selbst in einem Irrthum befiingen , indem er an- nahm, dass dieser Drang, sich vor dem Weibe zu demüthigcn, allein durch Ideenassociatiün aus der Vorstellung der Flagellatiun entstanden sei:

.N'osant Jamals d^larer mon gont, je Tamusais du moins par des rapports qui m'en conservaient Tidee."


Erst im Zusammenhang mit den jetzt constatirten so zahlreichen Füllen von Masochismus, unter denen so viele sind, welche mit Flagel- lation durchaus nichts zu thun haben , so dass der primäre und rein psychische Charakter des Erniedrigungstriebes klar wird, kann die volle Einsicht in Housseau's Fall gewonnen und der Irrthum aufgedeckt


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MusochUmoa.


werden, in den er bei der Selbstzergliederung seines Zustandes nothweadig geratben musste.

Mit Recht macht auch Binet (Revue anthropologique XXIY, p. 25(3), welcher den Fall Rousseau eingehend analysirt. auf diese masochistische Bedeutung desselben aufmerksam, indem er sagt: «Ce qu'aime Rousseau dans les femmes, ce n'est pas seulement le sourcil fronet, la main ley^e, le regard severe, l'attitude impi^rieuse, c'est aussi r^tat ^motionnel, dont ces faits sont la traduction extdrieure; il aime la femme fi^re, d^daigneuse, l'^crasant ä ses pieds du poids de sa royale colere. "

Die Erklärung dieses psychologischen räthselhaften Factums sucht und findet Binet in seiner Annahme, dass es sich hier um Fetischismus handle, nur mit dem Unterschied, dass das Object des Fetischismus, also Gegenstand der individuellen Anziehung (Fetisch), nicht eine körperliche Sache, wie z. B. eine Hand, ein Fuss, sondern eine geistige Eigenschaft sein kann. Er nennt diese Schwärmerei „araour spiritualiste' im Gegen- satz zu «amour plastique", wie sie der gewöhnliche Fetischismus aufweist

Diese Bemerkungen sind geistreich, aber sie geben nur ein Wort zur Bezeichnung einer Thatsache, keine Erklärung für dieselbe. Ob Über- haupt eine Erklärung möglich sei, wird uns später bescliUfHgen.

Auch bei dem französischen Schriftsteller C. P. Baudelaire, welcher in Geisteskrankheit endigte, finden sich Elemente von Masochis- mus (und Sadismus).

BiLudelaire entstammt einer Familie von Irren und Ueberspannten. Er war von .lugend auf psychisch abnorm. Entschieden krankhaft war seine Vita sexualis. Er hatte Liebesverhältnisse mit hässlichen widerwärtigen P#»r- Bonen , Negerinnen, Zwerginnen, Riesinnen. Gegen eine sehr schöne Frau äusserte er den Wunsch, sie an den Händen aufgehängt zu sehen, und ihr die Füsse küssen zu dürfen. Diese Schwärmerei für den nackten Fuss erscheint auch in einem seiner fieberglühenden Gedichte als Aequivalent für den Ge- scblechtsgenuss. Er erklärte die Weiber für Thiere, die man einsperren, schlagen und gut füttern luuss. Diese masochistische und sadistische Neigungen verrathende Persönlichkeit ging in paralytischen Blödsinn zu Grunde. (Lom- bro80, Der geniale Menschj übers, v. Frftnkel, S. 83.)

In der wissenschaftlichen Literatur haben die Thatsachen, welche den Masochismus ausmachen, bis auf die jüngste Zeit keine Beachtung gefunden. Zu erwähnen wäre nur, dass Tarnowsky („Die krankhaften Erscheinungen des Geschlechtssinns* , Berlin 188l>) die Erfahrung mit- theilt, dass glücklich verheirathete, geistreiche Männer ihm vorgekommen sind, die von Zeit zu Zeit einen unwiderstehlichen Drang fühlten, sich selbst der gröbsten cynischen Behandlung zu unterwerfen — Schinipf- worte, Schläge von Kynäden, aktiven Päderasten oder Prostituirten zu empfangen. Beraerkenswerth ist auch Tarnowsky's Erfahrung, dass bei


4



MasochismuR.


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gewissen, der passiven Flagellation Ergebenen Schläge allein und zuweilen selbst blutige , nicht den gewünschten Erfolg (Potenz oder wenigstens £jaculatioD beim FlagelÜren) haben. «Man nmss den Betreffenden dann mit Gewalt entkleiden oder ihm die Hände binden, ihn an eine Bank befestigen u, s. w.. wobei er sich anstellt, als ob er sich widersetzt, scbirapft und scheinbar einigen Widerstand leistet. Nur unter solchen Bedingungen bewirken die Kuthenschlage eine Erregung, die zum Samen- ergUHs führt.*

0. Ztmniermnnn's Schrift „Die Wonne des Leids", Leipzig 1885, enthält manchen Beitrag aus der Cultur- und Literaturgeschichte zum vorliegenden Thema ^).

In jüngster Zeit fand der Gegenstand mehrfache Beachtung.

A. Moll führt in seinem Werke „Die conträre Sexualempfindung", Berlin 1891, p. 133 fi'. und p. 151 ff., eine Anzahl von Fällen des voll- kommenen Masochismus bei contrör Sexualen an, durunter an letzterer Stelle einen Fall, in dem ein solcher maaochistischer Contr'ärsexualer einem eigen» dazu bestellten Manne eine uusfUlirliche Listrucüon in 20 Para- graphen übersendet, nach welcher der Bestellte den Besteller als Sklaven zu behandeln und zu misshandeln habe.

Im Juni 1891 theilfce mir Herr Dimitri von Stefanowsky, d. Zt. Staatsauwaltssubstitut zu .laroslaw in Kussland, mit, dass er schon vor etwa drei Jahren der von mir als „Masochismus" beschriebenen Er- scheinung von Perversion der Vita sexualis, welche er mit dem Namen ■ Pa^sivismus* bezeichnet, sein Interesse zugewendet, vor 1 '/« Jahren dem Professor v. Kowalewsky in Charkow eine bezügliche Arbeit für das russische Archiv für E^sychiatrie eingereicht und im November 1888 in der Moskauer juridischen Societ'ät einen Vortrag über dieses Thema vom juridisch-psychologischen Standpunkte aus gehalten habe (abgedruckt im „Juridischen Boten", dem Organ der genannten Societät^ und zwar 1890, Nr. 6 bis 8 ').

V. Schrenck-Notzing widmet in seinem Werke: «Die Sugges-


') Ks moM jedoch daa Gebiet des Masocbismui von dem in jener Schrift be- liandelton HauplthDoia, da» die Liebe ein Moment des Leids enth&lt, scharf abge- grenzt werden. Von jeher ist ungetheilte Liebessebnaucht als »freudvol] und leid- voll* (fCBchildert worden, und Dichter haben von »wonniger Qual' oder .schmerzlicher Wollust* gesprochen. Dies darf nicht, wie Z. thut, mit Krscheinongen des Masochis- mus confundirt werden, so wenig es hierhergehört, wenn die sich nicht hingebende Geliebte .grausam* genannt wird. Immerlün ist es merkwürdig, dau Hamerling ^Amor und Psyche} 4. Gesang) zum Ausdruck dieses Gefühls völlig muaochiatische Bilder, Goisselnng etc. verwendet.

  • \ Vgl. die neueste Arbeit dieses Autors Über «Passivismus* in Archive» d' An-

thropologie criniinelle \S\)2 VII, p. 2H.


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MiLsochismuB.



tions-Thcrapie bei krjinkhufben Erscbeinuiigen des Geächlechtfisinnes*^ etc., Stuttgart 1892, auch dem Masochismus wie dem Sadismus einige Ab- schnitte und fuhrt mehrere eigene Beobachtungen an ').


b) Larvirter Masochismus. Fuss- und Schuhfetischisten.

An die Qruppe der Masochisten schliesst sich die der in ungemein zahlreichen Exemplaren auftretenden Fuss- und Schuhfetischisten an. Diese Gruppe bildet den üebergang zu den Erscheinungen einer anderen selbständigen Perversion, eben des Fetischismus; sie steht aber dem Masochismus näher als jenem, weshalb sie hier eingereiht ist.

Unter Feiischisteu (s. unten sub. 3.) verstehe ich Individuen, deren sexuelles Interesse sich ausschliesslich auf einen bestimmten Eörpertheil des Weibes, oder auch auf bestimmte Stücke der weiblichen Kleidung concentrirt.

Eine der häufigsten Formen dieses Fetiscliisnius ist es, dass der Fuss oder der Schuh des Weibes der Fetisch ist, welcher ausscbÜesslicher Gegenstand sexueller Emptitidungen und Triebe wird.

Es ist nun höchst walirscheinlich und ergibt sich aus der richtigen Aneinanderreihung der beobachteten Fälle, dass die meisten, vielleicht aÜQ^ Fälle von Schuhfetischismus auf der Basis mehr oder minder bewusst«  masochistischer Selbstdemüthigungstriebe beruhen.

Schon im Falle Hammond's (Beob. 49) besteht die Befriedigung eines Masochisten im Sichtretenlassen. Auch Beob. 41 u. 47 lässt sich treten, Beob. 48, Equus eroticus, schwärmt fDr den Fuss des Weibes, und so fort. In den meisten Fällen von Masochismus spielt das Treten


') In der neueren Roman- und Novellenliteratur ist die payobo-sexuiüe Per- venion, welche den Gegenstand dieses Capitels bildet, von Sacber-Maaoch be- handelt worden, dessen bereiU mohrfach erwähnte Schriften geradezu typische Bilder des perversen Seelenlebens derartiiyer Männer entwerfen.

Auf Sache r-Masoch's Schriften berufen sich viele von dieser Perversion Ergriffenen, wie ans den obigen Beobachtungen ersichtlich^ uusdrQcklich als aaf typische Darstellungen ihres eigenen psychischen Znstandes.

Zola bat in seiner «KaDa* eine mosochis tische Scene, AehnUcfaee in .Engten Rougon**. Die neueste »decadente" Literatur in Frankreich und Deutschland berj scbäfligt sich mehrfach auch mit dem Thema des Sadismus und Masochisuius. t>et\ neuere rus&ische Koman soll nach v. Stefanowski's Angabe den Gegenstand häufig bebandeln; aber schon nach des alteu Reisescbriftstellers Johann Georg Forster (1754—94) Mittheilungen sollen diese Dinge selbst im russischen Volkslied eine Rolle spielen. Stefanowski findet den Typus des Passivistcn auch in einer englischen Tragödie von Otway .Veuicc prescn-ed"* und verweist hinsichtlich seines Vor- kommens auf dem Boden der contriLren Sexualemptindung, auf Dr. Luiz .Les felliitores. Hoems de la di^cadence*. Paris 1^8 (Union des bibliophiles). |]


FuBs- und fichuhfetiscbisteu.


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mit Füssen als ein naheliegendes Ausdrucksmitiol des Unterwerfungsver- hältnisses eine Rolle ^).

Unter den constatirten zulilreiclien Fällen von SchuhfetischisnauR wird der folgende, von Dr. A. Moll in Berlin mitgetlieilte, der viel Uebereinstimmung mit dem Falle Haramond'ß zeigt, aber ausfülirlicher dargestellt und sorgfältig beobachtet ist, besonders geeignet erscheinen, den Zusammenhang zwischen Masochismus und Schuhfetischismus dar- zuthuu.


Beobacbtang 5ti. 0. L., 31 Jabrp^ Buchhalter, stammt aus belasteter Familie.

Patient ist eiu grosser, starker, blühend aussehender Mann. £r ist im Allgemeinen von ruhigem Temperament, kann aber unter Umstunden sehr heftig vrerden ; er gibt selbst an , dass er streitsüchtig und rechthaberisch sei, L. ist von gutmüthigem Charaktnr und freigebig; bei geringem Anhiss ist er zum Weinen geneigt. Auf der Schule galt er als ein begabter Schüler, mit leichter Auffassungsgabe. Patient leidet an zeitweisen Congestionen nach dem Kopf, ist sonst aber ganz gesund: abgesehen davon, dass er sich in Folge seiner zu beschreibenden sexuellen Perversion sehr gedrückt und oft schwer- mülhig fühlt.

lieber erbliche Belastung ist wenig zu ermitteln.

Ueber die Entwicklung seines sexuellen Lebens ergibt sich aus den von dem Patienten gemachten Angaben Folgendes:

Schon in frühester Jugend, und zwar 8 oder 9 Jahre alt, hatte L. den Wunsch, als Hund seinem Lehrer die Stiefel zu lecken. L. hält es für mög- lich, dass dieser Gedanke in ihm dadurch rege wurde, dass er einmal den Vorgang gesehen, vne ein Hund dies in Wirklichkeit that; doch kann L. dies nicht mit Bestimmtheit angeben.

Jedenfalls scheint dem Patienten soviel sicher, dass die ersten bezüg- lichen Ideen ihm im Wachen, nicht im Traum/ustande gekommen sind.

Von seinem 10.— 14. Lebensjahre versuchte L. stets seinen Mitschülern und auch kleinen Mädchen die Stiefel zu berühren. Er wählte sich aber hierzu nur solche Mitschüler, die reiche und vornehme Eltern hatten. Einer von jenen, Sohn eines reichen Gutsbesitzers, hatte Reitstiefel; diese nahm L. in der Abwesenheit des Knaben in die Hände, schlug sich damit \ind drückte sie sich fest ins Gesicht. Ebenso machte es L. mit den eleganten Stiefeln eines Dragoneroffiziers.

Nach Eintritt der Pubertät übertrug sioli das Verlangen ansächliessUch auf das Schuhwerk des weiblichen Geschlechts. So war des Patienten Trachten beim Schlittschuhhiufen stets darauf gerichtet. Damen und MUdchen die Schlitt- fiuhuhe an- und abzusclin allen, er wühlte aber stets nur solche weibliche Per- sonen, die reich und vornehm waren und recht elegante Stiefel hatten. Auf der Strasse und überall sah L. stets nach eleganten Stiefeln ; die Vorliebe für diese ging so weit, dass er Sand oder Schmutz, der die eingedrückten Spuren jener trug, in sein Portemonnaie, ja sogar öfter in den Mund steckte. Schon als Hjfthriger Knabe ging L. ins Lupanar und besuchte ijfter eiu Cafö chantant, lediglich um sich am Anblick eleganter Stiefel (weniger Schuhe) aufzuregen. In die Schulbücher, an die Wllnde von Closets malte L. Stiefel. Im Theater sah er nur nach den Schuhen von Damen. Stundenlang lief L. auf der Strasse und auf DampfschiSen Damen nach, die elegante Stiefel trugen : mit Entzücken


') Auch die Begierde, sich mit Füssen treten zu lassen, tindet sicli hei reli gißsen Schw&rraem wieder; vgl. Turgenjew, .Sonderbare Geschichten".


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Masochismus.


dacbto er hierbei daran, wie er wohl dazn gehingen konnte, die Stiefel zu berühren. Diese eigenthümliche Vorliebe für Stiefel ist bis heute bestehen geblieben. Der Gedanke, sich von Damen mi t ih ren Stiefeln treten zu lassen oder dieselben küssen zu dürfen, bereitet L. die grösste Wollust. Vor Schuhlildeu blieb und bleibt er stehen, nur um die Stiefel zu betrachten. Namentlich reizt ihn die Elepunz des Stiefels.

Am liebsten hat Patient hoch geknöpfte oder geschnürte Stiefel mit hohen Absätzen; aber auch weniger elegante Stiefel, eventuell mit niedrigen Absätzen , regen den Patienten auf, wenn deren Trilgerin pine recht reiche, vornehme und namentlich stoUe Dame ist.

Mit 20 Jahren vorsuchte L. den Coitus, war aber nicht dazu im Stande, »trotz der grössten Anstrengung", wie Patient meint. Gedanken an Schuhe hatte Patient während des Beischlafversuches nicht; hingegen hatte er es ver- sucht, sich vorher an Schuhen sexuell aufzuregen: er behauptet, dass die zu grosse Aufregung das Misslingen des Coitus verschuldete. Er hat bis jetzt, wo er 'M Jahre alt ist, den Coitus 4 — •> Mal, jedesmal vergebens, versucht; bei dem einen Versuche hatte der durch seine Krankheit schon tief bedanerns* werthe Patient noch das Unglück, sich eine Lufe zuzuziehen. Auf die Frage, wie sich denn Patient den höchsten Wollustakt denke, erklärte er: „Meine grösste Wollust ist es, mich nackt auf den Fussboden zu legen und mich dann von Mädchen mit eleganten Stiefeln treten zu lassen; natürlich ist dies nur im Lupanar möglich." Es sind übrigens nach Angabe des Patienten in manchen Lupauars diese sexuellen Perversionen von Mfinnern wohl bekannt, ein Beweis, dass diese keine so grosse Seltenheit sind; die puellae nennen derartige Männer häufig BStiefelfreier". Uebrigens hat Patient nur selten den Woflustakt, so wie er für ihn am schönsten und an- gonehraston ist, wirklich zur Ausführung gebracht. Gedanken, die ihn zum Beischlaf trieben, hat Patient gar nicht, wenigstens nicht in dem Sinne, dass dabei etwa immissio penis in vaginam stattfinde; darin kann Patient keinerlei Genuss ßnden. Ja er hat uUmählig eine Furcht vor dem Coitus erworben, die sich aus den mehrfach misslungenen Versuchen genügend erklären lässt, da der Patient selbst angibt, dass das Nichtvollendenkönnen des Coitus ihn ausserordentlich genire. Eigentliche Onanie hat Patient nie getrieben. Ab- gesehen von wenigen Fällen, wo Patient durch Onanie an Stiefeln oder auf ähnliche Weise seinen Geschlechtstrieb befriedigte, kennt er eine solche Be- friedigung nicht, da es bei der Aufregung durch Stiefel fast stets bei Erec- tionen bleibt und höchstens zeitweise langsame kleine Ergüsse einer Flüssig- keit stattfinden, die Patient für Sperma hält.

Ein blosser Schuh, den L. sieht, und der von keiner Person getragen wird, regt ihn entschieden auch auf; aber bei weitem nicht so sehr, wie der von einem Weibe getragene Schuh. Ganz neue, noch nicht getragene Schuhe regen den Patienten viel weniger auf als getragene, die aber noch nicht ab- getreten sein dürfen und noch möglichst neu aussehen müssen ; diese reizen den Patienten am meisten.

Es reizt den Patienten, wie erwähnt, auch der Damenstiefel, wenn er nicht getragen wird. L. denkt sich dann die betreflfende Dame dazu ; er drückt den Stiefel an seine Lippen und an seinen Penis. L. würde ,vor Ent- zücken vergehen", wenn eine anstUndige stolze Dame ihn mit ihren Schuhen treten würde.

Abgesehen von den oben genannten Eigen.schaften der Weiher (Stolz. Reichthum, Vornehmheit), die mit der Eleganz der Stiefel einen besonderen Reiz gewähren, sind dem Patienten auch die körperlichen Vorzüge des weib- lichen Geschlechts keineswegs gleichgültig.

Er schwärmt für schöne Damen, auch ohne an Stiefel zu denken, aber es ist dies keine auf geschlechtliche Befriedigung gerichtete Liebe. Selbst in Verbindung mit den Stiefeln spielen die körperlichen Reize eine Holle; eine


Fqsb- und Schult fetischisten.


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bässlicbe und alte Frau kannte den Patienten selbst mit den elejarantesten Stiefeln nicht reizen ; auch die sonstige Kleidung und andere Verhältnisse spielen eine wesentliche Bolle, wie sich schon aus dem Umstände ergibt, das elegante Stiefel von sstolzen vornehmen Damen ganz besonders erregend auf den Patienten wirken. Ein ungebildetes Dienstmädchen in seinem Arbeits- anzüge würde den Patienten selbst mit den elegantesten Stiefeln nicht erregen.

Schuhe und Stiefel von Männern Üben jetzt auf den Patienten keinerlei Reiz mehr aus; aiach sonst fühlte sich Patient niemals sexuell auch nur im geringsten zu Münnern hingezogen.

Hingegen treten sonst Erectionen bei dem Patienten sehr leicht auf. Wenn ein Kind auf seinen Schoss sitzt, wenn er einen Hund oder ein Pferd iBngcre Zeit berührt, wenn er auf der Eisenbahn führt oder reitet ^ so treten Erectionen auf, und zwar, wie Patient vermuthet, in den letzten Fällen durch die Erschütterung.

Jeden Morgen hat er Erectionen, und er ist im Stande, innerhalb der kurzen Zeit dadurch Erection zu erzielen , dass er an die ihm angenehme Be- handlung mit den Stiefeln denkt. Früher traten des Nachts Öfter Pollutionen auf. etwa alle 3—4 Wocben . während sie jetzt seltener, etwa alle 3 Monate einmal eintreten.

Bei seinen erotischen Traumen wird Patient fast stets von denselben Gedanken sexuell erregt, die dies im Wachen thun. Seit einiger Zeit glaubt Patient, Saraenerguss bei den Erectionen zu fühlen ; doch schliesst er dies nur daraus, dass er an der Spitze des Penis etwas Nasses fühle.

Lektüre, die in die sexuelle Sphäre des Patienten fUlIt, regt ihn ausser- ordentlich auf, so z. B. wird er von der Lektüre des , Venus im Pelz* von Sacher-Masoch so erregt, ,ut Sperma stillaret*.

Uebrigens bildet Jur L. diese Art des Spermaergusses bei dieser Lektüre eine entschiedene Befriedigung seines Geschlechtstriebes.

Die von mir an den Patienten gerichtete Frage, ob denn Schläge, die er von einem Weibe einptinge, ihn auch aufregen würden, glaubt er bejahend beantworten zn müssen. Zwar hat Patient nie direot einen derartigen Ver- such gemacht, aber scherzhaft ausgeführte Schläge waren ihm jedenfalls stets eine grosse Annehmlichkeit.

Besonders aber würde es dem Patienten einen grossen Reiz gewähren, wenn er von dem Weibe, .selbst ohne Stiefel, mit den blossen Füssen gestossen würde. Aber er glaubt nicht, dass die Schlüge als solche die Aufregung be- wirken würden, sondern der Gedanke, von dem Weibe misshandelt zu werden, was ebenso wie durch Schlilge auch durch grobe Scheltworte geschehen kitnnte; übrigens würden Schläge und Scheltworte nur dann erregend wirken, wenn sie von einer stolzen und vornehmen Dame herkommen.

Ueberhanpt ist es im Allgemeinen das Gefühl der Demuth und hündischen Ergebung, das dem Patienten Wollust bereitet.

»Würde mir,* so erzählt Patient, „eine Dame befehlen, auf sie zu warten, wenn auch in strenger Kälte, so würde ich trotzdem Wollust em- pfinden."

Patient antwortet auf die Frage, ob denn auch beim Stiefel ihn dos Gefühl der Demütbigung überkäme: .Ich glaube, dass diese allgemeine Leiden- schaft der eigenen Demütbigung sich speciell axif den Stiefel der Damen con- centrirt hat, da es ja symbolisch ist, dass Jemand .nicht werth ist, einem anderen die Schuhriemen zu lösen*, und überhaupt ein Untergebener kniet."

Die Strümpfe des Weibes üben auf den Patienten auch eine erregende

Wirkung aus, aber nur in geringem Grade und vielleicht nnr durch Erwecken

der Vorstellung der Stiefel. Die Leidenschaft der Damensclmhe hatte bei dem

"^Ätienten immer mehr zugenommen, nur in den letzten Jahren glaubt er eine

abnähme zu bemerken; er geht nur sehr selten zu einem ^JtTentlichen Mädchen.

aber auch dann im Stande, sich mehr zurückzuhalten. Dennoch beherrscht


112


MasocfaitfoiDs.


ihn diese Leidenschaft noch vollständig, jeder andere Gennss wird dem Pa- tienten dadurch vereitelt; ein hübscher Damensüefel würde des Patienten Blick von der schönsten Lundschaft abziehen können. Kr geht jetzt oft des Nachts in Hotels durch die Corridore nnd sucht elegante Damenstiefel aus, die er dann klisst und gegen sein Gesicht, Hals, hauptsächlich aber gegen seinen Penis drückt.

Der bemittelte Patient ist vor einiger Zeit eigens nach Italien gereist, nur mit dem Wunsche, unerkannt bei einer reichen voraehmen Dame Be- dienter zu werden; der Plan niisslaug jedoch.

Eine Behandlung des Patienten, der nur zur Consultation erschien, hat bisher nicht stattgefunden.

Die oben mitgetheilte Krankengeschichte reicht bis in die allerletzte Zeit, in der Patient mir über sein Befinden briefliche Mittbeilongen ge- macht bat.

Eines ausführlichen Commentars bedarf die obige Krankengeschichte nicht. Sic scbeint mir eines der besten Krankheitsbilder, dos geeignet ist, die von v. Krofft-Ebing angenommene Verwandtschaft zwischen Stiefel- Fetischismus und Masochismus zu illustriren '1.

Der Hanptreiz för den Patienten ist, wie er — ohne dass derartige Antworten in ihn hineinexaminirt i^nirden — immer wieder betont, die eigene Unterwürfigkeit dem Weibe gegenüber, das möglichst hoch über ihm stehen soll durch Stolz und vornehme Stellung. (Moll, Untersuchungen über Libido sexualis. Bd. I, 2. Theil. Beob. 36, p. 320.)

Solche Fälle, in denen innerhalb eines ausgebildeten masochistiscben Vorstellun^kreises der Fuss und der Schuh oder der Stiefel des Weibes, als Werkzeug der DemÜthigung aufgefasst, Gegenstand eines besonderen sexuellen Interesses geworden sind, finden sich zahlreich. Sie bilden in vielfachen, leicht zu verfolgenden Abstufungen den nachweisbaren lieber- gang zu anderen Fällen, in welchen die masochistischen Neigungen immer mehr in den Hintergrund treten und nach und nach unter die Schwelle des Bewusstseins tauchen, wührend das Interesse für den Frauen- schuh, scheinbar als ein ganz unerklärliches, allein im Bewusstsein stehen bleibt. Letztere sind die zahlreichen Fälle von Schuhfetischismu.s.

Diese sehr häufigen Fälle der Schuhverehrer, die, wie alle Fetischis- ten, auch forensisches Interesse bieten (Schuhdiebstähle), bilden ein Grenz- gebiet zwischen Masochismut? und Fetischi.smus. Man kann sie wohl zum grössten Tlaül sAs larvirten Musochismus (mit unbewusst gebliebener


V Dr. Moll wendet op. cit. p. 136 gegen die Auffassung des Fusj- und Schuh- FtftiBchisraiu Oberhaupt als eine Erscheinung des (mitunter latenten) Maeochismos eiu, dasa es rüth«elhaft bleibe, warum der Fetischiet so oft Stiefel mit. hohen Ab- »Ätzen, dann Stiefel oder Schuhe gerade von einer besonderen Beschaffenheit, z. B. Kum Knöpfen, oder Lackschuhe, vorzieht. Gegen diesen Einwand ist r.u bemerken, dasa eratcns die hohen AbsiUze den Schob eben als weiblicher charakteriairen, und da«  zweitens der Fetischiat un seinen Fetiwih, unbeschadet des sexuellen Charakters seiner Neigung, auch allerlei Ansprüche Ästhetischer Natur zu steDen pflegt. Vgl. unten Beob. 88, ferner die interessante Theorie, welche Kestif de la Kretonne, selbst Fassfetiflchist, aufgestellt hat, bei M o 1 1 , Untersuchungen über Libido sexualis p. 408 u. 499, Fuasnote.


Ifiuoch


lamua.


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Motivation) auffassen, wobei der Fuss oder Schuh des Weibes als Fetisch des Masochisten zu selbständiger Bedeutung gelangt ist.

Hier mögen zunächst noch einige Fälle augeführt werden, in denen zwar schon der Frauenschuh in dun Mittelpunkt des Interesses rückt, aber auch deutliche niasochistische GelUste eine grosse Rolle spielen. (Vergl. auch oben Beob. 41, p. 81.)

Beobachtung 57. Herr X., 25 Jabre alt, von gesunden Elteru, frUber nie erheblich krank, stellte mir folKende Selhatbiographie xur Verfügung: ,Ich begann mit 10 Jabren zu onaniren, ohne indessen dabei jemals einen wol- lüstigen Gedanken zu haben. Indessen übte doch si'hon damals — das weiss ich genau — der Anhlick und die Berührung eleganter Mudchenstiefel einen eigenen Zauber auf mich ans; mein höchster Wunsch war, auch solche Stiefel tragen zu dürfen, ein Wunsch, der bei gelegentlichen Maskeraden wohl auch in Erfüllung ging. Dann war es noch ein ganz anderer Gedanke, der mich peinigte: es war nämlich mein Ideal, mich in gedemüthigter Situation zu sehen, ich wäre gern Sklave gewesen, wollte ge- züchtigt sein, kurz, ganz der Behandlung theilhaftig werden, die mau in den vielen Sklavengeschichten beschrieben findet. Oh durch die Lektüre dieser Bücher dieser Wimscb in mir entstanden ist, oder spontan, weiss ich nicht anzugeben .

„Mit 13 Jahren trat die Pahert&t ein; mit den eintretenden Ejaculationen stieg das Wollustgefühl und ich onanirte häufiger, oft 2 oder Smal am Tage. Während der Zeit vom 12. — IG. Jahre hatte ich während des onanistischea Aktes immer die Vorstellung, ich würde gezwungen, Mädchenstiefel zu tragen. Der Anblick eines eleganten Stiefels am Fusse eines nur einigermassen hübschen Mädchens berauschte mich, namentlich zog ich gern mit Begier den Leder- gemch in meine Nase. Um Leder auch während des Onanirens zu riethen, kaufte ich mir Lederm an schotten, die ich beroch, während ich onanirte. Meine Schwärmerei für lederne Damenstiefel ist noch heute dieselbe, nur vermengt sie sich seit dem 17. Lebensjahre mit dem Wunsche, Diener sein zu kennen, vornebmen Damen die Stiefel wichsen zu dürfen, sie ihnen an- und ausziehen zu müssen u. dgl.

»Meine nächtlichen Träume bestehen stets in Schnhscenen : entweder ich stehe vor dem Schaufenster eines Schuhladens, eventuell betrachte ich die eleganten Danienschuhe , namentlich die Knöpfschuhe, aut ad pedes feminae jaceo et olfacio et lambo calceolos eins. Seit etwa einem Jahr habe ich die Onanie aufgegeben und gehe ad pnellas; der Ooitus kommt zu Stande durch festes Denken an DameuknOpfstiefel, eventuell nehme ich den Schuh der puella mit ins Bett. Beschwerden habe ich durch meine frühere Onanie nie gehabt. Ich lerne leicht, habe ein gutes Gedäcbtniss, habe, so lange ich lebe, noch keine Kopfschmerzen gehabt. — So weit Über mich.

„Nur noch ein paar Worte über meinen Bruder: Ich bin fest davon über- zeugt, dass auch er Schuhfetischist ist; unter vielen anderen Thatsachen, die mir das beweisen , sei nur die eine hervorgehoben , dass es ein grosses Ver- gnügen für ihn ist, sich von einer (hildschünen) Cousine treten zu lassen. Im Uebrigen mache ich mich anheischig, von jedem Manne, der vor einem Schuh- laden stehen bleibt und sich die ausgelegten Schuhe ansieht, auszusagen, ob er jFussfreier' ist oder nicht. Diese Anomalie ist ungemein häufig; wenn ich in Bekanntenkreisen die T^nterhaltung darauf leite, was am Weibe reize, hürt man ungemein häufig aussprechen , dass es viel mehr das bekleidete, aU dos nackte Weib sei; wohl aber hütet sich ein jeder, seinen speciellen Fetisch zu nennen. — Auch einen Onkel von mir halte ich für einen Schuh- fetiscbiBten."

V Krafft-Eblng, Payobopatliin Mxnalli. 10. Anfl. 9^


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Maaochismos.


Beobachtung 58. Z., 28 Jahre, Beamter, stammt von nenropathiscber Mutter. Die Gesundheits- and Familienverhältnisse des früh gestorbenen Vaters sind nicht aufzuklären. Z. war von Kindheit auf nervös, impressionabel, gelangte ohne Verführung früli zur Masturbation, wurde von der Pubertät ab neurasthenisch , unterliess eine Zeit lang Onanie, bekam massenhaft Pol- lutionen, erholte sich etwas in einer Kaltwasserheilanstalt p fühlte lebhafte Libido dem Weibe gegenüber, gelangte aber, theils aus Misstrauen in seine Potenz, theils aus Furcht vor Ansteckung, bisher nicht zum Coitus, wovon er sehr peinlich berührt ist, zumal da er, faute de mieux, wieder in sein geheimes Laster verföllt.

Z. zeigt sich bei eingehender Besprechung seiner Vita sexualis als Fetischist und zugleich Masocbist und bietet interessante Beziehungen zwischen diesen beiden Anomalien der Vita sexualis.

Fr versichert, dass er seit seinem 9. Lebensjahre ein Faible {%kr den Frauenschuh habe.

Er führt diesen Fetischismus darauf zurück, dass er damals einer Dame ansichtig wurde, als sie zu Pferd stieg und ein Diener ihr den Steigbügel hielt. Dieser Anblick habe ihn mächtig erregt, sich beständig in seiner Phantasie reproducirt and sei immer mehr mit wollüstigen Gefühlen betont worden. Seine Pollutionsgefühle drehten sich später um mit Schuhen be- kleidete Weiber. Er schwärmt für Schnürstiefel mit hohen Absätzen. Dazu gesellte sich früh die wollüstig betonte Vorstellung, sich von einem Weibe mit dem Absatz treten zu lassen und in knieeuder Stellung des Weibes Schuh zu küssen. Am Weibe interessirt ihn nur der Schuh. Geruchsvorstellungeu sind dabei nicht im Spiel. Der Schuh als solcher genügt Ihm nicht, er muss angelegt sein. Wird er einer Dame mit solcher Cbaussure ansichtig, so wird er so erregt, dass er mosturbiren muss. Er glaubt nur einem Weibe gegenüber potent zu sein, das dergestalt chatissirt ist.

Fante de mioux bat er sich einen solchen Schuh gezeichnet und schwelgt im Anblick dieser Zeichnung, während er masturbirt.

Auch der folgende Fall ist hinsichtlich der Beziehungen des Schuh- fetischismus zum Mtisochismus recht instruktiv, zugleich aber durch die dem Patienten selbst gelungene Sanirung seiner Vita sexualis von Interesse.

Beobachtung 59. Herr M., 33 Jahre, aus vornehmer Familie, deren raütterlicbe Seite seit Generationen psychische Degenerationserscheiunsgen bis zu moral insanity-Fällen aufweist, von nenropathiscber , charakterologisch ab- normer Mutter, kräftig, gut gebaut, aber neuropathisch belastet, gerieth schon als kleiner Knabe ohne Verführung an Onanie, bekam, etwa 12 Jahre alt. sonderbare Träume von Gepeinigt-, Gepeitscht-, mit Füssen Getretenwerden durch Männer und Frauen, wobei in dieser Traumsituation Männer immer mehr von Frauen verdrängt wurden. Mit etwa 14 Jahren begann ein Faible für Damenschube. Sie erregten ihn sinnlich, er musste sie küssen, an sich drücken , wobei er Erection und Orgasmus bekam . den er mittelst Mastur- bation ausglich. Solche Akte begleiteten aber auch masochistische Phantasien von Getreten- und Gepeinigtwerden.

Er erkannte, dass seine Vita sexualis abnorm sei und machte schon mit

17 Jahren den Versuch, sie durch Coitus zu saniren.

Er war gänzlich impotent, desgleichen bei einem neuen Versuch mit

18 Jahren, trieb nach wie vor Masturbation, unter Fetischschwärmereien für Damenschuhe und masochistischen Vorstellungskreisen.

Mit IS* Jahren hörte er zufällig von einem Herrn erzählen, der sieh, um potent zu sein, von einer Puella flagelliren lasse.

M. erkannte darin die Healisirung von dem, was er sich schon längst


MaaocbiamuB.


115


wünschte, beeilte sicli, dem Beispiel dieses Herrn zu folgen, fühlte sieb aber gründlich enttänsoht. von der ganzen Situation angewidert und ausser Stande, auch nur eine Erection zn erzielen.

Er Hess derartige Vei*8uche bleiben , auchte und fand Befriedigung in der bisher gewohnten Weise. Mit 27 Jahren führte ihm der Zufall ein sehr sympathisches und galantes Mfidchen in den IVeg. Als er intim mit dem- selben geworden war , beklagte er sein Schicksal , impotent zu sein. Das Mädchen lachte ihn aus, mit der ErklUmng, in solchem Alter und bei solcher Constitution sei man nicht impotent.

Das gab ihm sein Selbstvertrauen wieder, aber erst nach 14 Tagen intimsten Verkehrs und unter Zubülfenahme seines Schuhfetiscbs und maso- chistischer Phantasien wurde er potent. Einige Monate dauerte dieses Ver- hältniss. Seine Potenz besserte sich immer mehr, die geheimen Hülfen seiuer Potenz wurden immer mehr entbehrlich, und die bezüglichen Vorstellungen wurden fast latent.

Nun folgten 3 Jahre, in welchen wegen psychischer Impotenz bei an- deren Mädchen M. wieder der Masturbation und seinem früheren Fetischismus anheimfiel.

Mit 30 Jahren neues sympathisches Verhttltniss, aber da M. sich ohne Znhülfenabme masocbistischer Situationen ganz unfähig zum Coitus fühlte, wurde das betreffende Mädchen instruirt, ihn als seinen Sklaven zu behandeln. Sie spielte ihre Rolle gut — er mnsste die Füsse küssen, wurde mit Ruthen gepeitscht, mit Füssen getreten, aber umsonst.

M. fühlto immer nur Schmerz und dos Gefühl tiefster Beschämung, so dass er bald von solchen Handgreiflichkeiten abstand. Er war aber doch leidlich potent, indem, wenn er coitiren wollte, ideelle mosochistische Situa- tionen, ihm sich aufdrängend, zu Hülfe kamen.

Dieses wenig befriedigende Verh&ltniss wurde bald gelöst. Inzwischen hatte M. meine Psychopathia sexualis in die Hände bekommen und den wahren Sachverhalt bezüglich seiner Anomalie erfahren. Er schrieb an die frühere Bekanntschaft, mit der er reüssirt hatte, gewann die betrefifende Persönlichkeit neuerdings für sich und erklärte ihr, die tinsinnigen Sklavenscenen von früher dürften nicht mehr aufgeführt werden und selbst, wenn er es verlange, dürfe sie auf seine maßochistischen Ideen nicht mehr eingehen.

um sich von seinem Schuhfetischismus zu befreien, verfiel er auf die originelle Idee, sich einen eleganten Damenschuh nach seinem Geschmack zu kaufen und in folgender Weise sich selbst geeignete Suggestionen zu geben :

Er küsste täglich wiederholt diese Schuhe und stellte sich dazu die Frage: , Warum soll ich eigentlich Erectionen haben, wenn ich einen Schuh küsse, der doch nichts Anderes ist, als ein Stück verarbeitetes Leder V Diese immer wieder angestrebte Entkleidung des Objekts von seinem Fetischzauber half endlich. Die Erectionen schwanden und der Schuh wurde schliesslich einfach Schuh. Neben dieser Autosuggestion ging ein intimer Verkehr mit der sympathischen Person vor sich, der anfangs mosochistiscber Phantasien zur Erzielung der Potenz nicht entbehren konnte. Allmählig verlor sich auch der Masochismus.

In diesem befriedigenden Zustand kam M. stolz auf seinen selbst er- zielten Erfolg zu mir, um mir für die aus meinem Buche geschöpfte Auf- klärung, die ihm den richtigen Weg zur Sanirung seiner Vita sexualis gezeigt habe, zu danken. Es blieb mir nur übrig, Herrn M. zu seinem Erfolg Glück zu wünschen.

Einige Monate spater berichtete er mir, dass er sich ganz hergestellt ftihle, ohne alle Schwierigkeit sexuell verkehre und dass nur noch selteo, flüchtig und ohne alle Gefühlsbetonung, in seinem Bewusstsein frühere maao- chistische Vorstellungen auftauchen.


116


Ma«oohi8mu8.


Beobachtung 60, mitgetbeilt von Mantegazza in seinen , Anthropo- logischen Studien' 1880. p. 110. X.. Ameriktmer . aus guter Familie, physisch und moralisch gut constituirt , war von der Zeit der erwachenden Pubertät an sexnetl nur erregbar durch (den Schuh des Weibes. Dessen Körper, oder auch speciell der nackte oder mit dem Strumpf bekleidete Fusa machten ihm keinen Eindruck, aber der mit dem Schuh bekleidete Fuss oder auch der Scliuh allein machten ihm Erection , selbst Ejacnlution. Es genügte ihm der blosse Anblick, falls ihm elegante Stiefel zur Disposition standen, d. h. solche aas schwarzem Leder, auf der Seite zum Knüpfen und mit muglichst hohen Abslitzen. Sein genitaler Trieb wird mächtig erregt, indem er solche Stiefel berührt, küsst, anzieht. Sein Genuss wird erhöht, indem er die Sohlen durch- dringende Nägel einschlägt, so dass die Spitzen der Nägel beira Gehen in sein Fleisch eindringen. Er empfindet davon furchtbare Schmerzen, aber zugleich wahre Wollust. Sein höchster Genuss ist es, vor schönen, elegant bekleideten Damenfüsseu niederzuknieen , sich von ihnen treten au lassen. Ist die Trägerin der Schuhe eine hftssliche Frau, so wirken sie nicht und erkaltet seine Phantasie. Hat Patient bloss Schuhe zur Disposition, so schafft seine Phantasie eine schöne Frau hinzu und die Ejaculation erfolgt. Seine nächtlichen Träume drehen sich um die Stiefeletten schöner Frauen. Anblick von Dameuschuhen in Schaufenstern kommt demselben anmoralisch vor, während das Sprechen über die Natur des Weibes ihm harmlos und ge- scbm^klos erscheint. Verschiedene Male versuchte X. Coitus, aber erfolglos. Es kam nie zu einer Ejaculation.

Auch in dem folgenden Falle ist das masocbistische Element noch deutlich genug — daneben aber auch gleichzeitig das sadistische (vgl. oben p. 76 Thierquäler).

Beobachtung Ol. Junger kräftiger Mann, 20 Jahre alt. Am schönen Geschlecht reizt ihn sinnlich absolut nichts , als elegante Stiefel am Fuss einer feschen Dame, besonders wenn sie von schwarzem Leder und mit hohen Absätzen versehen sind. Es genügt ihm der Stiefel ohne Besitzerin. Es ge- währt ihm höchste Wollust , ihn zu sehen , zu betasten , zu küssen. Der nackte oder bloss bestrumpfte Damenfuäs lägst ihn ganz kalt. Seit der Kind- keit habe er ein Faible für elegante Damenstiefel.

X, ist potent; beim sexuellen Akt muss die Person elegant gekleidet sein und vor Allem schöne Stiefel anhaben. Auf der Höhe wollüstiger Er- regung gesellen sich grausame Gedanken zur Bewunderung der Stiefel. Er muss mit Wonne der Todesqualen des Thieres gedenken, von dem das Leder •zu den Stiefeln stammt. Zeitweise zwingt es ihn, Hühner und andere lebende Thiere zur Phryne mitzunehmen, damit diese zu seiner grössten Wollust mit ihren eleganten Stiefeln auf den Thieren herumtrete. Er nennt dies „zu den Füssen der Venus opfern*. Andere Male muss das Weib auf ihm mit den gestiefelten Füssen herumtreten, je ärger, um so Heber.

Bis vor einem Jahre begnügte er sich, da er am Weibe nicht den ge- ringsten Reiz fand, mit Liebkosen von Damenstiefelu seines Geschmacks, wo- bei es zur Ejaculation und vollen Befriedigung kam. (Lombroso, Arch. di psichiatria IX, fascic. IlL)

Der folgende Fall erinnert theils an Beob. 00 durch das Interesse Tür die Nägel der Schuhe (als mögliche Schmerzerreger), theils an Beob. 61 durch die leLse mitanklingenden sadistischen Elemente.

Beobachtung t>2. X., 84 Jahre alt, verheirathet, von ueuropathtschen Elteni, als Kind schwer an Convulsionen leidend, geistig auffallend früh (konnte schon mit 3 Jahren lesen!), aber einseitig entwickelt, nervös von


MaäOübi&muä.


117


Kindf^sbemeu an, bekam mit 7 Jabren den Drang, sich mit den Schuhen, bezw. den Schuhnägeln von Weibern zu beschilftigen. Ihr Anblick, noch mehr das Betasten der Schnhnägel und ihr Zählen machte ihm unbeschreib- lichen Gennss.

Nachts musste er sich vergegenwärtigen, wie seine Cousinen sich Schuhe anmessen lassen, wie er einer derselben Hufeisen anschmiedete oder die Füsse abschnitt.

Mit der Zeit überwültigten ihn die Schuhscenen auch bei Tage, und ohne sein Znthun fikhrten sie zu Erectiun und Ejaculation. Oefters nahm er Schuhe von weiblichen Hausgenossen, und wenn er sie nur mit dem Penis berührte, hatte er Ejaculation. Eine Zeitlang vermochte er als Student diese Ideen und Gelüste zu beherrschen. Dann kam eine Zeit, wo er dem Geräusch weiblicher Fusstritte auf dem Strassenpflaster lauschen musste , was ihm . gleichwie der Anblick des Nllgoleinscblagens in Üamenschuhe , oder der Anblick solcher in Verkauftauslagen, jeweils ein wollüstiges Erbeben machte. Er heirathete und war in den ersten Monaten der Ehe frei von diesen Impulsen. Allmiihlig wurde er hysteropathisch und nenrosthenisch.

In diesem Stadium bekam er hysterische Anfälle, sobald der Schuster ihm von Nägeln an Damenschuhen oder von Frauenschuhbeschlagen sprach. Noch grösser war die Reaktion, wenn er einer hübschen Dame mit stark be- schlagenen Schuhen ansichtig wurde. Um Ejaculation zu bekommen, brauchte er nur Damensohlen aus Carton auszuschneiden und mit Nftgeln zu belegen, oder aber er kaufte Damenschuhe, liess sie im Laden beschlagen, machte sie daheim auf dem Uodcn scharren und berührte endlich damit die Spitze seines Penis. Aber auch spontan kamen wollüstige Schuhsituationen, in welchen er sich durch Masturbation befriedigte.

X. ist sonst intelligent, tüchtig im Beruf, aber gegen seine perversen Gelüste kämpft er vergebens an. Er bietet Phimose; Penis kurz, an der Wand bauchig, nicht vollkommen erectionsfähig. Eines Tages liess sich Patient über den Anblick einer genagelten Damensohle vor dem Laden eines Schusters zur Masturbation hinreissen und wurde dadurch criminell (Blanche, Archiv, de Neurologie. 1882. Nr. 22).

Hier ist auch auf den weiter unten darzustellendeu Fall (Beob. 110) eines conträr Sexualen hinzuweisen, dessen sexuelles Interesse hauptsächlich von den Stiefeln männlicher Diener in Anspruch genommen wird. Er möchte sich von ihnen treten lassen etc.

Ein masochistisches Element liegt noch in dem folgenden Falle;

Beobachtung (»3. (Dr. Pascal, Igiene deir amore.) X., Kaufmann, bekam von Zeit zu Zeit, besonders bei schlechter Witterung, folgendes Ge- lüste: Er redete eine beliebige Prostitnirte an und ersuchte sie, mit ihm zu einem Schuster zu gehen, wo er ihr das schönste Paar Lackstiefeletten kaufte, unter der Bedingung, dass sie dieselben sofort anziehe. Nachdem dies ge- schehen , musste die Betreffende auf der Strasse möglichst in den Koth und Pfützen treten, um die Stiefel recht zu beschmutzen. War dies geschehen, führte X. die Person in ein Hotel und, kaum mit ihr in einem Zimmer, Irzte er auf ihre Füsse los und empfand ein ausserordentliches Vergnügen, dabei an diesen seine Lippen zu wetzen. Nachdem die Stiefel auf diese Weise gereinigt waren, gab er ein Geldgeschenk und ging seiner Wege.

Aus diesen Fällen ergibt sich deutlich, dass der Schuh ein Fetisch des Masochisten^) ist und zwar offenbar wegen der Bezietiung des be-


') Vgl die jeden dieibetflglichen Zweifel aosachliessende Beob. 1 des Verf. im


118


HasochiamuB.


kleideten weiblichen Fusses zur Vorstellung des Getretenwerdens und anderen Akten der DemUthigung.

Wenn also in anderen Fällen von Scbuhfetischismus der Frauen- schuh allein als Erreger sexueller Begierden erscheint, so lässt sich wohl annehmen, dass in solchen Fällen masoch istische Motive latent geblieben sind. Die Idee des Getretenwerdens etc. bleibt in der Tiefe des Un- bewussten, und die Vorstellung des Schuhes allein, des Mittels zu solchen Dingen, taucht im Bewusstsein auf. Fälle, welche sonst ganz unerklärlich bleiben würden, tindeu so eine genügende Aufklärung. Es handelt sich hier um larvirten Masochismus, und dieser dürfte stets als uubewusstes Motiv anzunehmen sein, wenn nicht ausnahmsweise die Entstehung des Feti- schismus aus einer Association von Vorstellungen bei Gelegenheit eines bestimmten Erlebnisses nachweisbar ist, wie im Falle der Beobach- tungen 93 u. 94.

Derartige Fälle von Trieb zu Frauenschuhen, ohne bewusstes Motiv und ohne nachweisbare Entstehung, sind aber geradezu zahllos ')■ AU Beispiele mögen hier drei Fälle angeführt werden.

Beobaühtung 64. Cleriker, 00 Jahre alt. Derselbe erscheint zeit- weise in Prostitutionshäusern unter dem Vorwand, ein Zimmer im Hause zu miethen, lässt sich in ein Gespräch nüt einer Puella ein, wirft lüsterne Bhcke nach ihren Schuhen, zieht ihr einen ans, osculatur et mordet euLi^am libidine captus; ad genitalia denique caligam premit, eiaculat semen semineque eiacu- iato axillas pectusque terit. kommt aus seiner wollüstigen Ekstase zu sich, bittet die Besitzerin des Schuhs um die Gnade , ihn einige Ta^e behalten zu dürfen, und bringt ihn dann, höflich dankend, nach der bedungenen Zeit zu- rück. (Gantarano, ,La Psichiatria*, V, p. 2U5.)

Beobachtung 65. Stud. Z., 23 Jahre alt, stammt aus belasteter Familie. Schwester war geraüthskrank, Bruder litt an Hysteria virilis. Patient seit Kindesbeinen sonderbar, hat häufig hypochondrische Verstimmungen. Taed. vitae, fühlt sich zurückgesetzt. Bei einer Consultation wegen »ijemtithsleiden' finde ich einen höchst verschrobenen, belasteten Menschen mit nenrasthenischen und hypochondrischen Symptomen. Der Verdacht auf Masturbation bestätigt sich. Patient gibt interessante Enthüllungen bezüglich seiner Vita sexualis. Im Alter von 10 Jahren fühlte er sich mächtig vom Fuss eines Kameraden angezogen. Mit 12 Jahren habe er fUr Damenfüsse zu schwärmen begonnen. Es war ihm ein wonniges Gefühl, in ihrem Anblick zu schwelgen. Mit 14 Jahren begann er zu masturbh'en, indem er sich dabei einen hübschen Damenftiss dachte. Von nun an begeisterte er sich für die Füsse seiner 3 Jahre älteren Schwester. Auch die Füsse anderer Damen , sofern sie ihm sympathisch waren, wirkten sexuell erregend. Am Weibe interessirte ihn nur der Fuss. Der Gedanke an sexuellen Verkehr mit einem Weibe erweckte ihm


Centrulblati f. d. Krankheiten der Harn- und Sexualorgane VI, 7, einen mit Schi fetiachismus behafteten Masocfaisten betreffend.

^) Mit dem Fussfetischümus hängt es offenbar zusammen , daaa einzelne d< artige Individuen den Coitus , der sie nicht befriedigt oder den zu leisten sie nicht im Stande sind, durch Tritua membri inter pede« mulieri« ersetzen.


Ekel. Noch uiemolg hatte er Ooitos versucht. Voui 12. «luhie ah empfand er nie mehr ein Interesse für den Fuss männlicher Individuen. Die Art der Bekleidung des weiblichen Fusses ist ihm gleich^ltig, entscheidend ist, dass die Persßnlichkeit ihm sympathisch erscheint. Der Gedanke, die Füsse Pro- stituirter zu geniessen, sei ihm ekelhaft. Seit Jahren ist er verliebt in die Füsse seiner Schwester. Wenn er nur der Schuhe dieser gewahr werde, er- rege dieser Anblick m&chtig die Sinnlichkeit. Ein Kuss, eine Umarmung der Schwester habe nicht diese Wirkung. Sein Höchstes sei, den Fusa eines sym- pathischen Weibes zu umfassen, zu küssen. Dann komme es sofort, unter leb- haftem WoUustgefiihl, zur Ejaculation. Oft trieb es ihn, mit einem Schuh der Schwester seine Genitalien zu berühren, jedoch vermochte er bisher diesen Drang zu beheiTSchen, zumal da er seit 2 Jahren (in Folge vorgeschrittener reizbarer genitaler Schwäche) schon beim blossen Anblick des Fusses ejaculirte. Von den Angehörigen erfUbrt man, dass Patient eine .lücberlichB Bewunde- rung* fUr die Füsse seiner Schwester habe, so dass diese ihm aus dem Wege gehe und sich bemühe, ihre Füsse vor dem Patienten zu verbergen. Patient empfindet seinen perversen sexuellen Drang als krankhaft nnd ist peinlich da- von berührt, dass seine schmutzigen Phantasien gerade den Fuss der Schwester zum Gegenstand haben. Er weiche der Gelegenheit aus, wie er nur kiiune, suche sich durch Masturbation zu helfen, wobei ihm, gleichwie bei Traum- pollutionen, Dameuiusse in der Phantasie vorschweben. Werde aber der Drang zu mHchtig , so kunne er nicht widerstehen , des Anblicks des Fusses der Schwester theilhaftig zu werden. Gleich nach der Ejaculation empfinde er lebhaften Aerger, wieder schwach gewesen zu sein. Seine Neigung zum Fuss der Schwester habe ihn unzählige schlaflose Nächte gekostet. Er wundere sich oft, dass er seine Schwester noch gern haben könne. Obwohl es ihm recht sei, dass diese ihre Füsse vor ihm verberge, sei er oft sehr irritirt darüber, dass er dadurch ujn seine Pollution komme. Patient betont, dass er sonst sittlich sei, was auch seine Angeh<5rigen bestätigen.

Beobachtung 66. S. in New-York ist des Strassenraubes angeklagt. In der Ascendenz zahlreiche Fälle von Irresein, auch Vaters Bruder und Aaters Schwester sind geistig abnorm. Mit 7 Jahren zweimal heftige Hirnerschtit- teruiig. Mit 13 Jahren Sturz von einem Balkon. Im 14. Jahre bekam S. heftige Anfülle von Kopfweh. Zugleich mit diesen Anfällen oder unmittelbar darauf sonderbarer Antrieb, die Schuhe weiblicher Familien glieder, meist nur einen zu entwenden nnd in irgend einem Winkel zu verbergen. Zur Rede ge- stellt, läugnet er jeweils oder behauptet, sich der Sache nicht zu erinnern. Das Gelüste nach Schuhen war unbesiegbar, kehrte alle 3 — 4 Monate wieder. Einmal machte er einen A' ersuch, einen Schuh vom Fusse eines Dienstmädchens zu entwenden, ein andermal hatte er seiner Schwester einen Schuh aus dem Schlafzimmer entwendet. Im Frühjahr wurden zwei Damen auf offener Strasse die Schuhe von den Füssen gerissen. Im August verliess S. in der Frühe sein Haus, um an sein Geschäft als Buchdrucker zu gehen. Einen Augenblick darauf entriss er einem Mädchen auf der Strasse einen Schuh, entfloh, lief in seine Officin , wurde dort wegen Strassenraubs verhaftet. Er behauptet, von seiner Tbat nicht viel zu wissen, es sei wie ein Blitz beim Anblick des Schulis in ihn gefahren , dass er dessen bedürfe , wozu , wisse er nicht. Er habe in einem Zustand von Ünbesinulichkeit gehandelt. Der Schuh befand sich, wie richtig angegeben, in seinem Rocke. In der Haft war er geistig so erregt, dass man Ausbruch von Irrsinn befürchtete. Entlassen , stahl er seiner Frau, während sie schlief, wieder Schuhe. Sein moralischer Charakter, seine Lebens- weise waren nntadelhaft. Er war ein intelligenter Arbeiter, nur schnell folgende unregelmOssige Beschäftigung machte ihn coufns und unfUiig zur Arbeit. Freisprechung. (Nichols, Americ. J. J. 1859; Beck, Medical juris- prud. 1860 vol. I. p. 732.)


120


Masochifftnufl.


Dr. Pascal hat op. cit. noch einige ganz ähnliche Beobachtungen, und viele andere sind mir durch Collegen und Patienten zugekommen.


c) Ekelhafte, Selbstdemüthigung involvirende und offen- bar zum Zweck der Befriedigung masochistischer Gelöste unternommene Handlungen — larvirter Masochismus,

Koprolagnie.

Während in den bisher geschilderten Äeusserungsweisen des Mnso- chismus das ästhetische Gefühl im Allgemeinen gewahrt und die an- gestrebte wollüstig betoute Situation ganz s^iubolisch oder ideell bleiben kann, kommen Falle vor, in welchen das Streben nach sexueller Be- friedigung durch Selbstdemüthigung vor dem Weib eine das ästhetische und sittliche Gefühl des normalen Menschen auf das Aeusserste verletzende Ausdrucksweise ündet.

Bedingungen dafOr sind damit gegeben, dass auf der Grundlage psychischer Degeneration uormaliter mit dem tiefsten Ekel betonte Qeruchs- und Geschmacksvorstellungen die lebhaftesten Lustgefühle hervorrufen, wobei die Vita sexualis mächtig erregt wird und der Perverse zu Orgasmus und selbst Ejacuhition gelangt.

Die Analogie mit den Excessen religiöser Schwärmerei ist selbst hier noch vorhanden. Die rehgiöae Schwärmerin Antoinette Bouvignon de la Porte mischte ihre Speisen mit Koth, um sich zu ksiöteien. (Zimmer- mann op. cit. p. 124.) Die beatificirte Marie Alacoque leckte , um sich zu «mortificiren", mit der Zunge die Dejectionen von Kranken auf und saugte an deren mit Geschwüren bedeckten Zehen ! Interessant ist auch die Analogie mit dem Sadismus , bei welchem, ebenfalls durch (perverse) Betonung von sonst eklen Geschmacks- und Geruchsvorstellungeu mit Lustgefühlen, Erscheinungen im Sinne des Vampyrismus und der Anthropo- phagie (vgl. p, 59 Fall Bichel, Menesclou, f. Beob. 18. 19. 20. 22) möglich sind. Man könnte diesen Trieb zum Ekelhaften im Rahmen des Masochia- mus Koprolagnie nennen. Seine Beziehungen zum Masochismus, als ünterform desselben, sind schon in Beob. 43, p. 88 angedeutet. Sie werden durch die folgende Beobachtung vollkommen klar gestellt.

FUr manche Fälle hat es den Anschein, als ob die masochistische Empfindungsweise dem perversen Individuum unbewusst bleibt und nur der Trieb zu ekelhaften Dingen ins Bewusstsein tritt (larvirter Masochismns). Ein zutreffendes Beispiel von masochistischer Koprolagnie (in Combination mit contr. Sexualerapfindung) ist Beob. 114 der 8, Auflage. Der Gegen- stand derselben schwelgt nicht bloss im Gedanken, Sklave des geliebten Mannes zu sein, und verweist in dieser Hinsicht auf Sacher-Masoch's ,Ycnu3 in Pelz*, sed etiam sibi fingit amatum poscere ut crepidas sudore


I


Koprolognie.


121


diffluentes olfaciat ejusque stercore vescatur. Deinde iiarrat, quüi uon habeat, quae confingat et exoptet, eoruro loco suas crepidas sudore in- fecfcus ülfacere suoque stercore vesci , inter quae facta pene erecto se voluptate perturbari semenque ejaculari.

Beobachtung 67. Masochismus. Koprolagnie. Z., 52 Jahre, ans höherer Gesellschaftsclasse^ von phthisischem Vater, aus angeblich unbelasteter Familie, von jeher aber nervfls, einziges Kind, versichert, schon im 7. Lebens- jahre eigenthümliche Aufregung empfunden zu haben , wenn er zufällig Zu- schauer war, wie die Dienstmädchen im Hause sich der Schuhe und Strümpfe entledigten, um die Stuben zu reinigen. Einmal bat er eines der Madchen, ihm vor dem Waschen Fuässohlen und namentlich Zehen zu »eigen. Als er zur Schule ging und Bücher zu lesen begann , drängte es ihn förmlich zu Lektüre, in welcher raffinirte Grausamkeiten, Folterungen beschrieben waren, ganz besonders, wenn solche auf Befehl von Weibern ausgeführt wurden. Er verschlang f^rmlif^h Romane Über Sklaverei > Leibeigenschaft etc. und wurde bei solcher Lektüre sexuell dermassen so erregt, das« er zu mastnrbireu begann. Namentlich aber reizte ihn die Vorstellung. Sklave einer jungen hübschen Dame aus seiner Umgebung zu sein, nach längerem Spaziergang mit ihr, ihr i3edeä lambere *) zu dürfen, praecipue plantas et spatia inter digitos. Er stellte sich dabei die betreffende junge Dame als recht grausam vor, malte sich aus, w^e dieselbe an ihm zudictirten Folterungen, Peitschuugen sich er- gfltzo. Bei solchen Fhantasieschwelgereien mastnrbirte er. Mit 15 Jahren kam er dazu, sich von einem Pudel, wenn er solchen Phantasien nachhing, die Füsse lecken zu lassen. Eines Tages beobachtete er, wie sich ein hübsches Dienstmädchen im Hause l)ei der Lektüre von diesem Pudel die Zehen aus- lecken Hess. Dieser Anblick machte Z. Erection und Ejaculation. Er über- redete nun das Mädchen, sich Öfters von dem Pudel in seiner Gegenwart die Füsse lecken zu lassen. Schliesslich übernahm er die Stelle des Pudels, wobei er jedesmal ejaculirte. Vom 15,-18. Jahr in einer Pension, hatte er zu solchen Praktiken keine Gelegenheit. Er beschränkte sich darauf, alle paar Wochen mit der Lektüre von Grausamkeiten, von Weibern begangen, sich aufzuregen, wobei er sich vorstellte, er müsse einem solchen grausamen Weibft digitos pedum sugere, womit er, unter grösster Wollust, Ejaculation erzielte. Weibliche Genitalien hatten für ihn nie das geringste Interesse, ebenso wenig fühlte er sieh zu den Männern geschlechtlich hingezogen. Erwachsen suchte er Puellas auf und coitirte mit ihnen , nachdem er vorher Succio pedum an ihnen vorgenommen hatte. Auch inter actum that er dies und veranlasste die Puella, ihm zu erzählen, mit welchen Martern sie ihn zu Tode quälen lassen würde, falls er die Zehen nicht ganz rein ausleckte. Z. versichert, dass er unendlich oft seinen Zweck erreichte und dass diese Succio den Betreffenden ganz angenehm gewesen sei. Füsse von gebildeten Damen, von engen Schuhen gedrückt und verkrümmt, dabei mehrere Tage nicht gewaschen, hatten für ihn ganz besonderen Beiz, jedoch goutirte er nur »geringe natürliche Ab- lagerung, wie solche bei reinlichen gebildeten Damen sich zeigt", femer Ab- ftrbung von Strümpfen, während SchweissfÜsse ihn nur in der Phantasie er- regten, in Wirklichkeit ihn aber anwiderten. Auch die „grausamen Foltern* existirten für ihn nur in der Phantasie, als erregendes Mittel; in Wirklichkeit perhorrescirte er sie und versuchte nie , sie zu verwirklichen. Gleichwohl spielten sie eine hervorragende Bolle in seiner Phantasie und unterliess er es


  • ) Dieses ekle Gelüste 6ndei licb auch in Beob. 68 der 6. Auflage dieses

Werkes. Es scheint Überhaupt nicht selten bei Koprolagnisten und fetiscbistiBob bedingt.


MaBochismus.


nie, ihm sympathische Weiber, mit denen er iu masochistischer Relation war, zu instruiren, wie sie ihre (bestellten und inspirirten) Drohbriefe zu schreiben hatten. Aus einer Collection solcher Briefe, die mir Z. zur Verfügung stellte, sei einer dieser Briefe, da er das ganze Denken und Fühlen dieses Masochisten klar legt, hier mitgetheilt: .Lambitor sudoris pedmn meorom!' ,Ich versetze mich mit Wollust in die Zeit, wo Sie mir die Zehen auslecken werden, be- sonders nach längerem Spaziergang . . . eine Abbildung meines Fasses erhalten Sie nächstens. £s wird mich wie Nectar beranscfaeu, wenn Sie meinen Sudor pedum lecken. Und wenn Sie nicht wollen , so werde ich Sie zwingen , Sie peitschen als meinen niedrigsten Sklaven. Du selbst sollst schauen wie alias favoritus sndorem pedum mihi iarabit, während Du wie ein Hund unter den Peitschenhieben der Leibeigenen winselst. Vogelfrei werde ich Dich erklären; eine grausame Freudu soll es mir bereiten, Dich leiden zu sehen, in den schrecklichsten Martern Deine Seele aushauchend, im Todeskampfe mir die Fü&se leckend ... Sie fordern mich zur Grausamkeit heraus — nun gut. wie einen Wurm will ich Sie zertreten . . . Sie verlangen einen Strumpf von mir. leb werde ihn länger tragen, als ich es sonst zu thun pöege. Ich verlange aber, dass Sie ihn küssen, belecken, sowie dass Sie den Fusstheil desselben ins Wasser legen und dann das Wasser austrinken. Thun Sie nicht Alles, was ich in meiner Wollust verlange, so werde ich Sie mit der Reitpeitsche züch- tigen. Ich verlange unbedingten Gehorsam. Folgen Sie nicht, so lasse ich Sie mit Knuten peitschen, über eine Tonne gehen, deren Boden mit lauter Eisenspitzen beschlagen ist, oder ich lasse Ihnen die Bastonade geben und Sie dann den Löwen im Käfig vorwerfen und sehe mit Wonne zu, wie Ihr Fleisch diesen Bestien mundet."

Trotz dieser lächerlichen und bestellten Tiraden hält Z. diesen Brief als Mittel zum Zweck der Befriedigung perverser Sexualität in hohen Ehren. Nach seiner Versicherung erscheint ihm seine sexuelle Scheosslichkeit, die er für eine angeborene Anomalie hält, nicht widernatürlich, obwohl er zugeben muss, dass sie Normalmenschen Ekel einflösst. Er ist im Uebrigen ein honnetter und feinfühliger Mensch, aber seine zudem geringen ästhetischen Bedenken werden weitaus überwogen durch die Wollust, welche ihm die Befriedigung seiner per- versen Gelüste gewährt

Durch Z. wurde mir der Einblick in die Correspondenz desselben mit dem belletristischen Vertreter des Masocbismus, Sacher-Masoch, gewährt.

Einer dieser Briefe, datii*t aus dem Jahr 1888, hat als Devise die Ab- bildung eines üppigen Weibes, mit herrischer Miene, das von einem Pelz nur halbverhüllt ist und eine Reitpeitsche in der Hand hält, wie zum Schlag aus- holend. Sacher-Masoch behauptet, dass die .Passion, den Sklaven zu spielen', sehr verbreitet sei, insbesondere bei den Deutschen und den Russen. In dem Briefe wird die Geschichte eines vornehmen Russen berichtet, der es liebte, sich von mehreren schönen Frauen binden und peitschen zu lassen. Eines Tages fand er in einer jungen schönen Französin sein (sadistisches) Ideal so verkörpert vor, dass er die Person in seine Heimat mitnahm.

Nacn Sacher- Masoch schenkte eine dänische Dame keinem Manne ihre Gunst, bevor er sich nicht eine Zeitlang als ihr Sklave behandeln Hess. Amantes coagere solebat, ut ei pedes et podicem lambeant. Sie liess ihre Liebhaber solange mit Ketten scbliessen und peitschen, bis sie ibr gehorchten lambendo pedes. Einmal wurde der «Sklave^ au die Pfosten ihres Himmels- bettes gefesselt und mussto Zeuge sein , wie sie einem Anderen die höchste Gunst erwies. Nachdem dieser sie verlassen hatte, wurde der gefesselte .Sklave* von ihren Dienerinnen solange gepeitscht, bis er dazu bereit war, lambere podicem dominae.

Wären diese Mittbeilungeu Wahrheit, was man aber von einem Dichter des Masochismus nicht ohne Weiteres annehmen darf, so würden sie bcmenkens- werthe Belege für Sadismus feminarum sein. Unter allen rmstftaden sind sie


psychologisch interessante Beispiele fftr die Eigenart znasoohiätischer Denk- und Gefdhlsweise. (Eigene Beobachtung, Centralblatt für die Krankheiten der Harn- und Sexualorgaoe VI, 7.)

Beobachtung 68. Herr Z., 24 Jahre, Beamter aas Bussland, stammt von neuropathischer Mutter und psychopathischem Vater. Z. ist ein intelli- genter, feinfühliger, normal gebauter Mensch von gefälligem Aeussert;n und feinen Manieren; schwere Krankheiten hat er nicht überstanden. Er behauptet, Yon Keindesbeinen auf nervös zusein, gleich seiner Mutter, hat neuropathisches Auge und empfindet in der letzten Zeit cerebral-asthenische Beschwerden. Er klagt bitter über eine Perversion seiner Vita sexnalis, die ihn oft ganz ver- zweifelt mache, ihm jegliche Selbstachtung raube und geeignet sei, ihn noch zum Selbstmord zu bringen.

Der Alp, welcher auf ihm laste, sei ein unnatürliches Gelüste nach Mictio muüeris in os suum , das ihn ziemlich regelmässig alle 4 Wochen lieimsuche. Gefragt nach der Entstehung dieser Perversion, theilt er folgende interessante, weil genetisch wichtige Thatsachen mit. Als ©r 6 Jahre alt war, traf es sich zufiillig, dass er in einer gemischten Knaben-Mädchenschule einem neben ihm sitzenden kleinen Mudchen cum manu sub podicem fuhr. Er empfand daran ein grosses Wohlbehagen , wiederholte gelegentlich diese Handlung mit dem gleichen Erfolg. Die Erinnerung" an solche angenehme Situationen spielte von nun an eine gewisse Holle in seiner Phantasie.

Puerum decem auuorum serva cducatrix libidine mota ud corpus suum appressit et digitum ejus in vaginam introdoxit. Qnum postea fortuitu digito nasum tetigit, odore ejus valde deleclatus fuit.

Im Anschloss an das mit ihm von dem Weibe begangene Unzucht«- delict entwickelte sich bei ihm nun die mit einer Art Wollust betonte Vor- stellung, gefesselt inter femora mulieris cumbere, coactus ut donniat sub ejus podice et ut bibat ejus urinam.

Vom i;J. Jahr an treten diese Phantasien ganz zurück. Mit 15 Jahren erster Coitus, mit 16 Jahren zweiter, ganz normal und ohne solche Vor- stellungen.

DeHciente pecunia et magna libidine perturbatus masturbatiooe eam satiabat.

Mit 17 Jahren kamen die perversen Vorstelluugskreise wieder. Sie wurden immer machtiger und von nun an vergebens bekämpft.

Mit dem 11*. Jahr erlag er ihrem Antrieb. Quum mulier quaedam in OS ei minxit, maxima volaptate affectus est. Er coitirte dann mit dem feilen Weibe. Seither kam über ihn regelmässig alle 4 Wochen der Drang, diese Situation zu wiederholen.

Hatte er seinem perversen Drang genügt, so schämte er sich vor sich selber und empfand grossen Ekel. Zu Ejaculation kam es In der Folge dabei nur ausnahmsweise, jedoch hatte er mächtige Erection und Orgasmus und befriedigte sich dann, wenn es nicht zur Ejaculation gekommen war, durch den Coitus.

In der Zwischenzeit seiner übermässig und impulsiv sich geltend machen- den Antriebe fühlte er sich vollkommen frei von derartigen pen'ersen Ge- danken , aber auch von ideellem Masochismus. Ebenso wenig ergal^en sich fetischistische Beziehungen. Die Libido ist intervallär eine geringe und wird in normaler Weise, ohne Hinzutreten der perversen Vorstellungskreise, be- friedigt. Es geschah ihm wiederholt, dass er, wenn der Drang zur Wieder- holung des perversen Aktes ihn heimsuchte, vom Lande viele Stunden weit Dach der Hauptstadt reisen mu&ste, um jenem zu frObnen.

Wiederholt versuchte der feinfühlige, sein krankhaftes Gelüste selbst yerabscbeaende Kranke seinem Drange zu widerstehen, aber vergeblich, da •qualvolle Unruhe, Angst, Zittern, Schlaflosigkeit dann unerträglich wurden


124


Ma»ochigmu?.


und er um jeden Preis seiner psychischen Spannung durch die erlösende Be- friedigung seines Dranges ledig werden musste. Dies erreichte er jeweils so- fort mit der Folgegebung, aber dann kamen wieder die Selbstvorwürfe nnd die Selbstveracbtung, bis za bedenklichem Taediom vitae. Durch diese seelischen Kfimpfe ist der Unglückliche neuerlich recht neurasthenisch geworden und klagt über Gedächtnissschwäche , Zerstreutheit , geistige Unfähigkeit , Kopf- druck. Seine letzte lloifnung ist. dass es ärztlicher Kunst gelinge, ihn von seinem schrecklichen Gelüste zu befreien und ihn vor sich selbst sittlich zu rehabilitiren.

Epikrise: Mit 6 Jahren wollüstige Betonung eines bei dem Alter des Individuums an und für sich iudifferenten Aktes.

Mit 10 Jahren wollüstig betonte, jetlenfalls perverse Geruchswahmehmung.

Entwicklung von bisher latenten masochistischen Vorstellungen , mit specieller Directive durch mit ^3 und 10 Jahren erhaltene perverse Eindrücke. Intermission durch normalen Coitus.

Durch Abstinenz und Masturbation , vielleicht auch Pubertätseinflüsse wiedererwacbte sexuelle Perversion.

Diese in der Folge als impulsive, periodisch wiederkehrende, wollüstig betonte (bei genügend erregbarem E^jaculationscentrum), dem Coitus äquivalente Koprolagnie.

Intervall&r normale Vita sexualis.


Hierher gehören weitere Fülle Cantarano's 1. c. (mictio, in einem anderen Falle gnr defaecatio puellae ad linguam viri ante actum), Geniessen von nach Fäces riechendem Confeet, um potent zu sein: ferner folgender, gleichfalls von einem Arzte mir mitgctheilter Fall:

Ein im höchsten Grade dccrepider russischer Fürst Hess sich von seiner Maitresse, die sich über ihn, ihm den Rücken wendend, setzen musste, auf die Brust defäüiren, und regte nur auf diese Weise die Reste seiner Libido an.

Ein Anderer soutenirt eine Maitresse in aussergewühnlich glänzender Weise mit der ihr auferlegten Verpflichtung, ausschliesslich Marzipan zu essen. Ut libidinoBus tiat et eiaculare possit excrementa feminae ore excipit. — Ein brasilianischer Arzt berichtete mir über mehrere zu seiner Kenntniss gekom- mene Fälle von Defaecatio feminae in os viri.

Derartige Fälle kommen überall vor und durchaus nicht selten. Alle möglichen Secrete, Speichel, Nasenschleim, selbst Ohrenschmalz werden in diesem Sinne benützt, mit Begierde verschlungen, oscula ad nates und selbst ad anum gegeben. (Dr. Moll op. cit. p. 135 berichtet Gleiches von Conträr- sexualen.) Das perverse Gelüste, den Cunnilingiis activ auszuüben, welches weit verbreitet ist, dürfte auch häufig in solchen Antrieben seine Wurzel haben.

Einen solchen Fall von Masochismus, zugleich mit Schuh- bezw. Fuss- fetischismus und Koprolagnie (Schwärmen für den Sudor pedum aut axillarum feminae, für den Foetor cunui et ani bis zu Cunnilingus et Anilingus I) bei Indifferenz für Coitus, habe ich im Centralblatt für die Krankheiten der Harn- nnd Sexualorgane VI. 7. p. 35ö mitgetheilt.

Hierher gehört offenbar auch der scheussliche Fall von Gantarano, ,La Psichiatria" Jahrg. V. p. 207, in welchem dem Coitus Moi^us et succio an den möglichst lange nicht gewaschenen Zehen der Puella vorausgehen, ferner der von mir in der 8. AuH. dieses Buches berichtete analoge (Beob. t»8).

Stefanowski (Archives de TAnthropologie criminelle 1892, Bd. Vll) kennt einen alten russischen Kaufmann . ijui valde deleclatus fuit bibendo e«  qnae puellae lupanarii jusso suo in vas spuerunt.

Neri, Archiv, deile psicopatie sessuali p. 108; 27 Jahre alter Arbeiter, schwer belastet, mit Tic im Gesicht, Phobien (besonders Agoraphobie) und Alkoholismus behaftet. Summa ei fit voluptas, si meretrices in os eins faeces


Masochismus de« Weibes.


125


et nrinos deponant. Vinum suprA corpus scortornm efifusum defluens ore ad meretricis cuunum adpostto oxcipit. Vald« delectatur, 8i sanguiiioiu loen- strualem ex vagina effluentera sugerc potest. Fetischist in Damenhandsohuhen rnid Stiefeletten, osculatur calceos sororis. cuius pedes sudore madent. Libido eins tum demum muXLiiie satiatur, st a puellis iitäultatur, immo vero verbe- ratur, ut sangnis exeat. Dum verheratur, genibus nixns veniam et clementiam puellae expetit, deinde masturhare incipit.

Beobachtnng 69. W., 45 Jahre, belastet, war scbon mit 8 Jahren der Mastnrbation (ergeben. A decimo sexto anno Ubidines snas bibendo recentem feminaruui urinani satiavit. Tanta erat voluptas uriuam bibeatis ut nee ali- quid olfacerot nee saperet, haec facieus. Nach dem Trinken empfand er jedes- mal Ekel, Üebelbefinden und fasste die besten Vorsütze, derlei künftig bleiben zu lassen. — Ein einziges Mal hatte er gleichen Gennss beim Trinken des Urins von einem 9jlihrigen Knaben, mit dem er einmal Fellatio getrieben hatte. Patient leidet an epÜeptisoher Geistesstörung. (Pelanda, Archivio di Psichiatria X. fasc. 3—4.) ♦

Hierher gehören noch altere Fälle, welche schon Tardieu (Etüde m^ico-legale sur les attentats aax raoeurs p. 206) au senilen Persönlichkeiten beobachtet hat. Er schildert als .Reniflmirs*', ,qui in secrfltos locos nimirum theatrorum posticos convenientes quo complures feminae ad micturiendum festinant, per nares urinali odore excitati, illico se invicem poUuunt.*

Einzig in dieser Hinsicht sind die »Stercoraires*. von denen Taxil (La Prostitution contemporaine) berichtet.

Geradezu monströse hierhergehörige weitere Thatsachen theilte Eulen- burg in ZiUzer's Klin. Handbuch der Harn- und Sexualorgane IV, p. 47 mit.


d) Masochismus des Weibes.

Beim Weibe ist die willige Unterer du ung unter das andere Ge- schlecht eine physiologische Erscheinung. In Folge seiner passiven Rolle bei der Fortpflanzung und der von jeher bestehenden socialen Zustände sind für das Weib mit der Vorstellung geschlechtlicher Beziehungen über- haupt die Vorstellungen der Unterwerfung regelmässig verbunden. Sie bilden sozusagen die Obertöne, welche die Klangfarbe weiblicher Gefühle bestimmen.

Der Kemier der Culturgeschichte weiss, in welchem Verhältnisse der absoluten Unterwerfung das Weib von jeher bis z\x relativ hohen Culturzust&nden gebalten \vurde'), und ein aufmerksamer Beobachter des Lebens kann heute noch leicht erkennen, wie die Gewöhnung unzähliger Generationen, im Verein mit der passiven Rolle, welche die Natur dem Weibe zugewiesen hat, diesem Geschlechte eine instinktive Neigung zur freiwilligen Unterordnung unter den Mann angebildet hat; er wird be-


') Die Rechtflbücher des frühesten Mittelalters geben dem Manne da« Tödtung«-. die des KpiSten noch das Züchtigungsrecht Über »ein Weib. Von letr.terem wurde auch in höheren StUndeu iiusgiebig Gebrauch gemacht (vgl. Schultxe. Das höfische Leben xur Zeit des Minnesangs, Hd. I, p. 163 f.). Daneben steht unvermittelt der paradoxe Prauendienat dex Mittelaltei-s (s. unten p. \M).


126


Masochismus des Weibes.


merken, dass von den Frauen ein stärkeres Bek)neu der üblichen Galanterie höchst abgeschmackt gefunden, ein Abweichen davon nach der Seite eines herrischen Benehmens zwar mit lautem Tadel, aber oft mit heimlichem Behagen aufgenommen wird M. Unter dem Fimiss unserer Salonsitten ist überall der Instinkt der Frauendienstbarkeit erkennbar.

So liegt es nahe, den Masochismus Überhaupt als eine pathologische Wucherung specifisch weiblicher psychischer Elemente anzusehen, als krankhafte Steigerung einzelner Züge des weiblichen psychischen Qe- schlechtscharakters, und seine primäre Entstehung bei diesem Qeschlechte zu suchen (s. unten Anm. zu p. l'Sö).

Als feststehend kann aber wohl angenommen werden, dass eine Neigung zur Unterordnung unter den Mann (die ja als erworbene zweck- iinUssige Einrichtung, als Anpassuugserscheinung an sociale Thatsachen feiten kann) beim Weibe bis zu einem ge^vissen Grade als normale Er- scheinung sich voriindet.

Dass es unter solchen Umständen nicht öfter zur „Poesie* sym- bolischer ünterwerfuugsakte kommt, hat seinen Grund theüweise darin, dass der Mann nicht die Eitelkeit des Schwachen besitzt, der die Sach- lage zur Ostentation seiner Macht benützen würde (wie die Damen des Mittelalters gegenüber den minnedienenden Rittern), sondern lieber reelle Vortheile herausschlägt Der Barbar lasst die Frau für sich ackern, der Culturphilister speculirt auf ihre Mitgift. Beides trägt sie willig,

Fälle pathologischer Steigerung dieses Instincts der Unterordnung im Sinne eines Masochismus des Weibes dürften oft genug vorkommen, werden aber in ihren Eni&ussorungen durch die Sitte reprimirt. Uebrigens thun viele junge Frauen nichts lieber, als vor ihren Männern oder Ge- liebten auf den Knieen zu liegen. Bei allen slavischen Völkern sollen sich die Weiber der niederen Stände unglücklich fühlen, wenn sie von ihren Männern nicht geprügelt werden.

Ein ungarischer Gewährsmann theilt mir mit, dass die Bäuerinnen des Somogyer Comitates sich nicht eher von ihrem Manne gelieht glauben, bevor sie nicht die erste Ohrfeige als Liebeszeichen erhalten haben.

Beobachtungen von Masochismus des Weibes beizubringen, dürfte dem unehlichen Beobachter schwer fallen -). Innere und äussere Wider-


M Vgl. den Aiusprucb der Ladj Milford in SchiUer's „Kabale und Liebe*:

»Wir Frauen/iiomcr kOnnen nur zwischen Herrschen und Dienen wählen, aber

die höchste Wonne der Gewalt ist doch nur ein elender Behelf, wenn uns die grössere

Wonne versagt wird, Sklavinnen eines Mannes zu sein, den wir lieben!" (II. Akt,

1. Scene.)

') Seydel. Vierteljahrsfichr. f. ger. Med. 1893, H. 2, fQhrt ate Beispiel von Masochismue Die ff enbacb's Kranke an« die sich wiederholt den Arm absichtlich Inxirte. um bei der damals noch ohne Narkose ausgeführten Reduktion wollQstige Empfindungen zu haben.


Ma&ochismus des Weibei.


127


stände, Schamgefähl und Sittsanikeit stellen natnrgemäss beim Weibe dem Durchbruch perverser sexueller Triebe nach aussen fast unüberwindliche

Hindemisse entgegen.

So kommt es, dass bis jetzt nur folgende 2 Fälle von Masochismus des Weibes wissenschaftlich constatirt sind.

Beobachtang 70. Frliulein X . , 21 Jahre alt , stammt von einer Mutter, die Morphinistin war und vor einigen Jahren an einem Nervenleiden starb. Der Bruder dieser Frau ist gleichfoUs Morphinist. Ein Bruder des Mädchens ist Neorastheniker, ein anderer Mäsocbist (wünscht von vornehmen stolzen Damen mit einem Ttobrstocke Sehlägß xu bekommen). FrlUilein X. war nie schwer krank, leidet nur an gelegentlichen Kopfschmerzen. Sie halt sich fiir körperlich gesund, zeitweise jedoch für toll, dann nUmlich, wenn ihr die im Folgenden zu schildernden Phantasien auftauchen.

Seit ihrer frühesten Jugend stellt sie sich vor, sie werde gestraft, ge- züchtigt. Sie schwelgt förmlich in solchen Ideen. Es ist dann ihr sehnlichster Wunsch, mit einem Rohrstocke derb gezüchtigt zu werden.

Dieses Verlangen ist, wie sie meint, dadurch entstanden, dass ein Freund ihres Vaters sie, als sie 5 Jahre alt war, einmal scherzweise über seine Kniee legte und schlug. Seither sehnte sio G elegenheiten herbei , gezüchtigt zu werden , zu ihrem Bedauern erfüllte sich aber der Wunsch nie. In ihren Phantasien stellt sie sich hülflos vor, gebunden. Die Worte , Rohrstock*, «züchtigen" versetzen sie in mächtige Erregung. Erst seit etwa einem Jahre bringt sie ihre Ideen mit dem mannlichen Geschlecht in Verbindung. Früher stellte sie sich eine strenge Lehrerin oder auch bloss eine Hand vor, die sie strafte.

Jetzt wünscht sie die Sklavin eines geliebten Mannen zu sein; sie will, wenn von ibm gezüchtigt, seineu Fuss küssen.

Dass diese Empfindnngen sexueller Katur sind, weiss die Dame nicht.

Einige Stellen aus Briefen derselben sind im Sinne einer masochistischen Auffassung des Falles charakteristisch:

, Früher dachte ich ernstlich daran, wenn diese Vorstellungen mich nicht verlassen sollten , in ein Irrenhaus zu gehen. Zu diesem Gedanken kam ich, als ich die Geschichte von dem Direktor einer Nervenanstalt las, der eine Dame, nai'.hdem er sie an den Haaren aus dem Bett gezogen, mit Stock und Reitpeitsche gezüchtigt hatte. Ich hoffte in solchen Anstalten ebenso behandelt zu werden, habe also doch unbewusat mir meine Phantasien mit Männern vorgestellt. Am liebsten malte ich mir aber ans, dass mich roha ungebildete Wärterinnen unbarmherzig züchtigten.*

,[ch liege in Gedanken vor ihm und er setzt mir einen Fuss auf den Nai'keUj während ich den anderen küsse. Ich schwelge in dieser Idee, bei der er mich nicht schlügt, aber das wechselt so oft und ich male mir gai»/. andere Scenen uuh, bei denen er mich schlägt. Augenblicklich fasse ich die Schläge auch als Beweis der Liebe auf — er ist erst sehr gut und zUrtlich EU mir und dann schlügt er mich — im Uebermass der Liebe. Ich bilde mir ein, es wftre ihm die grösste Lust, mich zu schlagen — ans lautor Liebt*. Sehr oft habe ich schon getrftumt, ich sei sein Sklave — merkwürdig! nie seine Sklavin. 8o z. B. hahe ich mir ausgemalt, er sei Robinson und ich der Wilde, der ihm dient. Ich sehe mir oft das Bild an. auf welchem Robinson dem Wilden den Fuss auf den Nucken setzt. Jetzt ßndc ich eine Erkl&rung der oben erwähnten Vorstellung: Ich stelle mir das Weib im Allgemeinen als niedrig vor, niedrigerstehend als der Mann; nun bin ich aber sonst sehr stolz and lasse mich um keinen Preis beherrschen, daher kommt es. dass ich auch als Mann denke (der von Natur stolz und hochstehend ist), dadurch wird dir


eSe^&rCIlra^ des Madochiämus.

Erniedrigung vor dem geliebten Mann um so grösser. leb ätellte mir auch vor, das-s ich seine Sklavin sei; das genügt mir aber nicht, das kann am Ende jedes Weib — seinem Manne als Sklavin dienen!'*

Beobachtung 71. Fräulein v. X., 35 Jahre alt, aus schwer belasteter Familie f beßndet sich seit einigen Jahren im Initialstadium einer Paranoia persecutoria. Dieselbe ist hervorgegangen ans einer Neurasthenia cerebro- spinalis, deren Ausgangspunkt in sexueller Ueberrei/.ung zu finden ist. Patientin war seit ihrem 24. Jahre der Onanie ergeben. Durch nicht erfüllte Heiruths- erwartung und heftige sinnliche Erregung ist sie zur Masturbation und psychi- schen Onanie gelangt. Neigung zu Personen des eigenenGescblechtes kam niemals vor. Patientin gibt an: .Mit *>— 8 Jahren trat bei mir das Gelüste auf, gegeisselt zu werden. Da ich niemals Schläge bekommen hatte, auch nie dabei war, wie Jemand gegeisselt wurde, kann ich mir nicht er- klären, wie ich zu diesem sonderbaren Verlangen kam. Ich kann mir nur denken, dass es mir angeboren ist. Ich hatte ein wahres Wonnegefühl bei diesen Geisselvorsteliongen und malte mir in meiner Phantasie aus, wie schön es wäre, wenn eine Freundin mich geisselte. Nie kam mir die Phantasie, mich von einem Manne geissehi zu lassen. Ich schwelgte in der Idee und versuchte es nie, zur wirklichen Ausführung meiner Phantasien zu gelangen. Vom 10. Jahre ab verloren sich diese. — Erst als ich mit 34 Jahren Rousseau's pConfessions* las, wurde mir klar, was meine Geisseigelüste zu bedeuten hätten und dass es sich bei mir um dieselben krankhaften Vorstellungen handelte, wie bei Rousseau. Nie habe ich seit meinem 10. Jahre mehr derartige An* Wandlungen gehabt."

Epikrise. Dieser Fall ist durch seinen originären Charakter und durch die Berufung auf Rousseau als Fall von Masochismus sicher anzu- sprechen, Dass es eine Freundin ist, welche in der Phantasie als geisselnd vorgestellt wird, ist einfach daraus zu erklären, dass die maaochistischen Ge- löste hier bei einem Kinde ins Bewusstsein treten, bevor die psychische Vita sexnalis ausgebildet ist und der Trieb zum Manne auftritt. Conträre Sexual- empfindung ist hier ausdrücklich ausgeschlossen.


Versuch einer Erklärung des Masochismus.

Die Tliatsachen des Masochismus gehören jedenfalls zu den inter- essantesten iiu Gebiet der Psychopathologie. Ein Versuch ihrer Erklärung hat zunächst zu ermitteln, was an dem Phänomen das Wesentliche und was dabei das Unwesentliche ist.

Das Entscheidende beim Masocliismus ist jedenfalls die Begierde nach schrankenloser Unterwerfung uuter den Willen der Person des anderen Geschlechts (beim Sadismus umgekehH die schrankenlose Beherrschung dieser Person), und zwar unter Weckung und Begleitung von mit Lust betonten sexuellen Gefühlen, bis zur Entstehung von Orgasmus, Neben- sächlich ist nach allem Vorausgehenden die specielle Art und Weise, wie dieses Ahhängigkeits- odt-r BeherrschungsverhaUniss bethätigt wird


Versuch einer Erklärung de» Masochismus.


129


(9. oben), ob durch blosse symbolische Akte, oder ob zugleich der Drang besteht, von einer Person des anderen Geschlechts Schmerzen zu erdulden.

Während der Sadismus als eine pathologische Steigerung des milnn- lichen Geschlechtscharakters in seinem psychischen Beiwerk angesehen werden kann, stellt der Masochismus eher eine krankhafte Ausartung specifisch weiblicher psychischer Eigenthümlichkeit dar.

Es gibt aber unzweifelhaft auch einen häufigen Masochismus des Mannes, und dieser ist es, welcher meistens in die äussere Erscheinung tritt und die Casuistik fast ausschliesslich füllt. Die Gründe hierfür sind oben p. 127 erwähnt.

Für den Masochismus lassen sich in der Welt der normalen Vor- gänge zwei Wurzeln nachweisen.

Erstens ist im Zustande der wollüstigen Erregung jede Einwirkung, welche von der Person, von der der sexuelle Reiz ausgeht, auf den Er- regten ausgeübt wird, willkommen, unabhängig von der Art dieser Ein- wirkung. Es liegt noch ganz im Bereiche des Physiologischen, dass sanfte Püffe und leichte Schläge als Liebkosungen aufgefasst werden ^),

,Uke the lovera pinch wich hurt« and is desired*

(Shakespeare, Antonius und Kleopatra V, 2.)

Es liegt von hier aus nicht allzu ferne, dass der Wunsch, eine recht starke Einwirkung von Seite de^^ Consors zu erfahren, in Fällen pathologischer Steigerung der Liebesinbrunst zu einem Gelüste nach Schlägen u. dgl. führt, da der Schmerz das immer bereite Mittel einer starken körperlichen Ein- wirkung ist. So wie im Sadismus der sexuelle Affect zu einer Exaltation führt, in welcher die überschäumende psychomotorische Erregung in Nebenbahnen überströmt, so entsteht hier im Masochismus eine Ekstase, in der die steigende Fluth einer einzigen Empfindung jeden von der ge- liebten Person kommenden Einfluss begierig verschlingt und mit Wollust Überschwemmt.

Die zweite und wohl die mächtigere Wurzel des Masochismus ist in einer weit verbreiteten Erscheinung zu suchen, welche zwar schon in das Gebiet des ungewöhnlichen, abnormen, aber durciiaus noch nicht in das des perversen Seelenlebens fällt.

Ich meine hier die allverbroitete Thatsache, dass in unzähligen, in den verschiedensten Variationen auftretenden Fällen ein Individuum in eine ganz ungewöhnliche, höchst auffällige Abhängigkeit von einem anderen Individuum des entgegengesetzten Geschlechts geräth, bis zum


Hierzu findet aich ein Änalo^n in der niederen TUierweli. Die Lunges- nocVon (Pulmonata Cuv.) benitzen in ihrem BOg(«nannten «Liebeepfeil* •— ein tzoa Knlköläbchen, daa in einer besonderen Tasche de« Leibes liegt, aber bei der Begattung hervorgestülpt wird — ein aexuelles Reizorgan, das eigentlich seiner Be- schaffenheit nach ein Schmerzerreger ist.

V. Krftfft-Eblag. Psych(rpftUüA MxualiB. 10. Anfl. 9



130


VerBQch einer Erklärung des Masocktsmus.


Verlust jedes selbstäudigen Willens, eine Abhängigkeit, welche den be- herrschten Theil zu Handlungen und Duldungen zwingt, die schwere Opfer am eigenen Interesse bedeuten und oft genug gegen Sitte und Gesetz Verstössen.

Diese Abhängigkeit ist aber Ton den Erscheinungen des normalen Lebens nur durch die Intensität des Geschlechtstriebes, der hier im Spiele ist, und das geringe Mass der Willenskraft, die ihm das Gleichgewicht halten soll, verschieden, also nur intensiv verschieden, nicht qualitativ, wie es die Erscheinungen des Masociusmus sind.

Ich habe diese Thatsache der abnormen, aber noch nicht perversen Abhängigkeit eines Menschen von einem anderen des entgegengesetzten Geschlechts, welche Thatsache, namentlich vom forensLschen Standpunkte aus betrachtet, hohes Interesse bietet, mit dem Namen „geschlechtliche Hörigkeit" bezeichnet*), weil die daraus hervorgehenden Verhältnisse durchaus den Charakter der Unfreiheit tragen. Der Wille des herrschenden Theils gebietet Über den des unterworfenen TheÜs, wie der des Herrn Über <len des Hörigen *).

Diese „geschlechtliche Hörigkeit" ist, wie gesagt, eine allerdings auch psychisch abnorme Erscheinung. Sie beginnt eben da, wo die äussere Norm, das von Gesetz und Sitte vorgezeichnete Mass der Abhängigkeit eines Theils vom anderen oder beider von einander, in Folge individueller Besonderheit in der Intensität an sich normaler Motive verlassen wird. Die geschlechtliche Hörigkeit ist aber keine perverse Erscheinung; die hier wirkenden Triebfedern sind dieselben, die auch die gänzlich inner- halb der Norm verlaufende psychische Vita sexualis — wenn auch mit minderer Heftigkeit — in Bewegung setzen.

Furcht, den Genossen zu verlieren, der Wunsch, ihn immer zufrieden, liebenswürdig und zum geschlechtlichen Verkehr geneigt zu erhalten, sind hier die Motive des unterworfenen Theiles. Ein ungewöhnlicher Grad


>) Vgl. des Verfoesers Abhandlung .über geschlechtliche Hörigkeit und Ma- ■ochiamus" in den paychiatriachen Jahrbüchern Bd. X, p. 16J» tf., wo dieser Gegen- ataiid ausfQhrlich und namentlich vom forensiAcben G est chUp unkte ans behandelt wurde.

Die Ausdrücke Sklave und Sklaverei, obwohl sie oft auch in solchen Situationen bildlich gebraucht werden, wurden hier vermieden, weil diea Lieblinga- AusdrÜcke de« Masochisraus sind, von welchem die ^Hörigkeit* durchaus unter- schieden werden muss.

Der Aufdruck , Hörigkeit* darfauch nicht verwechselt werden mit J. St. Mi Ua .Hörigkeit der Frau\ Was MiU mit diesem Ausdrucke bezeichnet, sind Gesetxe und Sitten, aociiilo und historische Erscheinungen. Hier aber sprechen wir von jedes- mal individuell besonders motivirten Thutsachen , die mit jeweils geltenden Sitten und Gesetzen geradezu im Widerspruch stehen. Auch hier ist von beiden Geschlechtern die Rede.


I

I I



Geschlechtliche Hörigkeit.


131


Tou Verliebtheit, der — namentlich beim Weibe — durchaus nicht immer einen ungewöhnlichen Grad von Sinnlichkeit bedeutet, und Charakter- schwäche andererseits, sind die einfachen Elemente des ungewöhnlichen Vorganges *).

Das Motiv des anderen Theiles ist Egoismus, der freien Spielraum findet.

Die Erscheinungen der Geschlechtshörigkeit sind in ihren Formen mannigfaltig und die Zahl der Fälle ist eine ungemein grosse **). In geschlechtliche Hörigkeit gerathene Männer £nden wir im Leben bei jedem Schritt. Hierher gehören bei den Ehemännern die sogenannten Pantoffelhelden, niimeiillich die alternden Männer, die junge Frauen heiratheu uud das Missverhältniss der Jahre uud der körperlichen Eigen- schafben durch unbedingte Nachgiebigkeit gegen alle Launen der Gattin auszugleichen trachten; hierher sind zu zählen auch ausserhalb der Ehe die überreifen Männer, die ihre letzten Chancen in der Liebe durch un- gemessene Opfer zu verbessern trachten; hierher aber auch Männer jeden Alters, die, von heisser Leidenschaft ftlr ein Weib ergrifPen, bei ihm auf Kälte und Berechnung stossen und auf harte Bedingungen capituliren müssen; verliebte Naturen, die von notorischen Dirnen sich zur Ehe- schliessung bewegen lassen; Männer, die, um Abenteurerinnen nachzu- laufen. Alles im Stich lassen und ihre Zukunft aufs Spiel setzen, Gatten und Väter, die Weib und Kind verlassen und das Einkommen der Familie einer Hetäre zu Füssen legen.

So zahlreich aber auch die Beispiele männlicher Hörigkeit sind, so mu88 doch jeder halbwegs unbefangene Beobachter des Lebens zugeben, dass sie an Zahl und Gewicht der Fälle gegen die weiblicher Hörigkeit weit zurückbleiben. Dies ist leicht erklärlich. Für den Mann ist die Liehe fast stets nur Episode, er hat daneben viele und wichtige Interessen; für das Weib hingegen ist sie der Hauptinhalt des Lebens, bis zui* Geburt von Kindern fast immer das erste, nach dieser noch oft das erste, immer mindestens das zweite Interesse. Wtis aber noch viel wichtiger ist: der


^) Da« Wichtigste dabei ist vielleicht. dasB sich durch die Gewöhnung an den Gehorsam eine Art Mechanismus der ihrtis Motives unbewussten, mit automatiBcher Sicherheit funclionirenUen Fol^uamkeit ausbilden kann, der mit Gegcnmotiven gar nicht zu kämpfen bat, wei] er unter der Schwelle de« Bewusst«6tna liejETt und von dem herrschenden Thi^il wie ein todtes Instrument »(ehandhabt werden kann

^) In allen I.tteratnrcn spielt naturgemftss die (jeschleehtshörigkeit eine Rolle. Ungewöhnliche, aber nicht perverse Krscheinunsren des Seelenlebens sind ja för den Dichter ein dankbares and erlaubtes Gebiet. Die berflhmteste Schilderung^ männ- licher Hörigkeit ist wohl des Abb^ Prevost „Manon Leacault*. Eine vonflgUche Schiklerung weiblicher Hörigkeit bietet George Sand'e »Leone Leoni". Hierher ge- hört vor Allem Kleist'« «Kätheben ton Heilbronn*, von ihm selbst aU Gegenstück zur (sadifi tischen) «Penthesilea* bezeichnet, hierher Balm's «Oriseldis* uud viele älmliche Dichtungen.


I


Mann, den der Trieb beherrscht, löscht ihn leicht in den Dmarmtingen, zu denen er unzählige Gelegenheiten findet. Das Weib aber ist in deo höheren Standen, wenn Überhaupt mit einem Mann versehen, an die^ea Einen gefesselt, und selbst in den unteren Classen der GesellschAft dnd noch immer bedeutende Biudemisse der Polyandrie vorhanden.

Deshalb bedeutet fQr ein Weib der Mann, den sie b«U das ganze Geschlecht. Seine Wichtigkeit für sie wächst dadurch ins Ungeheure. Dazu knmmt endlich noch, dass das normale VerhSltiüsif wie es Gesetz und Sitte zwischen Mann und Weib geschaffen haben, weit davon entfernt ist, ein paritätisches zu sein und an und für sich scfaoo überwiegende Abhängigkeit der Frau genug enthält. Um su tiefer hinab in die Hörigkeit werden sie die Concessionen drücken, welche sie dem Geliebten macht, um seine ihr fast unersetzliche Liebe zu erhalten, und um so höher steigen die unersetzUcben Ansprüche der Männer, die ent- schlossen sind, ihren Vortheü auszubeuten und eine Industrie aus dar Ausbeutung der grenzenlosen weiblichen Opferfdhigkeit machen.

Dahin gehört der Mitgifljäger, der sich mit hohen Summen dafür bezahlen lässt, die leicht geschaffenen Dlusioneu einer Jungfrau Über ihn zu zerstören, der planmässig vorgehende Verführer und Comprimittirer der Frauen, der auf Lösegelder und Schweiggelder speculirt, der gold- verschnürte Krieger und der Musiker mit der Löwenmähne, die rasch ein gestammeltes „Dich oder der Tod!** hervorzulocken wissen, das eine An- weisung auf bezahlte Schulden und gut« Versorgung ist, dahin gehört aber auch der Soldat in der Küche, dessen Liebe die Köchin mit Liebe plus Sättiguugsmitteln aufwiegt, der Geselle, der die Ersparnisse der Meisterin, die er geheirathet hat, vertrinkt, und der Zuhälter, der die Prostituirte, von der er lebt, mit Schlägen zwingt, täglich eine bestimmte Summe für ihn zu verdienen. Das sind nur einige der unzähligen Formen der Hörigkeit, in welche das Weih durch sein hohes Liebesbedürfniss und die Schwierigkeiten seiner Luge so leicht gezwungen wird.

DaM Gebiet der „geschlechtlichen Hörigkeit*' musste hier eine kurze Darstellung finden, da in ihm offenbar der Mutterboden zu sehen ist. aus dem die Hauptwurzel des Masochismus entspriesst.

Die Verwandtschaft beider Erscheinungen des psychischen Ge- schlechtslebens springt sofort in die Augen. Sowohl Hörigkeit als Maso- chismuB bestehen ja wesentlich in einer unbedingten Unter^verfung des von der Abnormität Ergriffenen unter eine Person des anderen Geschlechts and in seiner ßüherrschuug durch dieselbe ').


  • ) Es kfliueii Fälle vorkommen, in welchen die ges ekle cht liehe Hörigkeit sich

in denselben Äktea ausspricht , die dem Masochismui geläufig sind. Wenn rohe MiLnner iht'e Weiber prügeln und die^e aus Liebe dulden, ohne jedoch nach Schlägen


Versuch einer Erklänmg des Xasocbümus.


133


Die beiden firscbeinungen sind aber auch wieder klar gegen einander abzugrenzen, und zwar sind sie nicht graduell, sondern qualitativ verschieden.

Geschlechtliche Hörigkeit ist keine Perversioo. sie ist nichts Krank- haftes; die Elemente, aus denen sie entsteht, Liebe und Willensschwäche, sind nicht pervers, nur ihr gegenseitiges Stärkeverhältniss erzeugt das abnorme Resultat, das den eigenen Interessen, oft Sitten und Gesetzen, so sehr widerspricht. Das Motiv, aus welchem der unterworfene Theil hier handelt und die Tyrannei erduldet, ist der normnlo Trieb zum Weibe (resp. Manne), dessen Befriedigung der Preis seiner Hörigkeit ist. Die Akte des unterworfenen Theiles, in denen die geschlechtliche Hörigkeit zum Ausdruck kommt, geschehen auf Befehl des herrschenden Theiles, um seiner Habsucht etc. zu dienen. Sie haben für den unterworfenen Theil gar keinen selbstständigen Zweck ; sie sind für ihn nur Mittel, den eigentlichen Endzweck, den Besitz des herrschenden Theiles, zu erlangen oder zu bewahren. Endlich ist Hörigkeit eine Folge der Liebe zu einem bestimmten Individuum; sie tritt erst ein. wenn diese Liehe erwacht ist.

Ganz anders verhält sich dies Alles beim Masochismus, welcher entschieden kriinkhaft, eine Perversion ist. Das Motiv fHr die Hand- lungen und Duldungen des unterworfenen Theiles ist hier der Reiz, den die Tyrannei als solche für ihn hat. Er mag daneben den herrschenden Theil auch zum Coitus hegehren; jedenfalls ist sein Trieb aucli auf die Akte, die zum Ausdruck der Tyrannei dienen, als auf directe Objecte der Befriedigung gerichtet. Diese Akte, in denen der Masochismus zum Aus- druck kommt, sind für den unterworfeneu Theil nicht Mittel zum Zweck, wie bei der Hörigkeit, sondern selbst Endzweck. Endlich tritt beim Masochismua die Sehnsucht nach Unterwerfung a priori auf, vor jeder Neigung zu einem bestimmten Gegenstand der Liebe.

Der Zusammenhang zwischen Hörigkeit und Masochismus, der bei der Uebereinstimmung beider Erscheinungen im äusseren Eflfect der Ab- hängigkeit, bei allem Unterschied der Motivirung, wohl anzunehmen ist der üebergang der Abnormität in die Perversion, dürfte sich zunächst auf folgendem Wege vollziehen.

Wer sich durch lange Zeit im Zustande der geschlechtlichen Hörig- keit befindet, wird disponirt sein, leichtere Grade des Masochismus zu acquiriren. Die Liebe, welche gern Tyrannei um des Geliebten willen erträgt, wird dann direct Liebe zur Tyrannei. Wenn die Vorstellung des Tyrannisirtwerdens lange mit der lustbetonten Vorstellung des geliebten Wesens eng associirt war, so geht endlich die Lustbetonung auf die Tyrannei selbst Über, und es ist Per-


Sehnsucht zu haben, so liegt eine Trngform der Hörigkeit vor, die KaflOchiimiaB vortätuchen kann.


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Vertach einer ErkUrong dei MaM>dii«mas.


Version eingetreten. Das ist der Weg. auf dem Masochismus ge- zücbtet werden kann ^).

Ein leichter Grad Ton Hasochismus kann also wohl aus der Hörig- keit entstehen« erworben werden. Der echte, vollkommene, tiefwurzelnde Masochismus mit seiner glühenden Sehnsucht nach Unterwerfung von frühester .Jugend an, wie die von dieser Perversion Ergrifi'enen ihn schildern, ist aber angeboren.

Die Erklärung für die Entstehung der — immerhin seltenen — Perversion des ausgebildeten Masochismus dürfte sich am richtigsten in der Annahme finden lassen, dass dieselbe aus der viel häufiger auftreten- den Abnormität der »geschlechtlichen Hörigkeit* hervorgeht, indem hie und da diese Abnormität durch Vererbung auf ein psychopathi-


  • ) Ea ist sehr iülercssant und beruht auf der im äusaeren EflFecte weKentlich

Übereinstimmenden Natur von Hörigkeit und Masochismus, dass zur niuairixung der ersteren ganz allgemein im Scherz und bildlich Ausdrücke gebraucht werden, wie , Sklaverei, Kettvntragen, gefesselt sein* die Geissei Qber Jemand scliwingen, an den Triumphwagen spannen, zu Füssen liegen, Pantoffelheld sein* etc., lauter Dinge, die für den MaMochisten in buchstÄblicher AusfahrunR den Gegenstand seiner perversen Begierde bilden.

Solche Bilder werden bekanntlich im täglichen Leben oft gebraucht und sind geradezu trivial geworden. Sie stimmen aus der dichterischen Sprache. Die Dich- taug hat zu allen Zeiten, innerhalb des Gesammtbildes hefliger Liebesleidenschaft da» Moment der Abbiingigkeit vom G«geuBtande, dur sich versagen kann oder mua». erkannt, und die Thateacht^n der .Hörigkeit" boten sich ihr stets zur Beobachtung dar. Indem der Dichter Ausdrücke, wie die oben angeführten, wählt, um die Ab- hängigkeit de» VerUebten mittelst sinnenfalliger Bilder anschaulich zu machen, geht er genau denselben Weg wie der Masochist, der, um sich selbst seine Abb&ngigkeit (die ihm aber Selbstzweck ist) sinnenfällig vorzustellen, solche »Situationen verwirklicht.

Schon die Dichtung des Allerthums gebraucht für die Gelieble den Ausdruck adomiua' und verweudet gerne das Bild dvs in Fesseinschiagens (z. B. Ooraz Od. )V. U). Von da bis in unsere Zeiten (vgl. GriUparzer Ottokar IT, Akt: ,HeiT- ■eben ist gar süss, so süss fast als gehorchen") ist die galante Dichtung aller Jahr- hunderte von dergleichen Phrasen und Bildern erfiillt. Interessant ist auch die Ge- schichte des Wortes nMaitresse*.

Die Dichtung wirkt aber auf das Leben zurück. Auf diesem Wege mag der hofische Frauendienst des Mittelalters entstanden («ein, der mit seiner Verehrung der Frauen als .Herrinnen* in der Gesellschaft und im einzelneu Liebeeverhältniss, seiner UebertragUDg des Lebns- und Vasallenverhältnisses auf die Beziehung zwischen dem Ritter und seiner Dame, seiner Unterwerfang unter alle weibliche Launen, seinen Liebesproben und Gelübden , seiner Verpütchtung zum Gehorsam gegen alle Gebote der Damen, als eine systematische Ausgestaltung verliebter „Hörigkeit* erscheint. Einaehie extreme Erscheinungen, wie z. ß. die Leiden des Ulrich von Lichtenstein oder des Pierre Vidal im Dienste ihrer Damen , oder das Treiben der Bruderschaft der »Galoifl' in Frankreich, welche ein Martyrium der Liebe suchten und eich allerlei Qualen unterzot^en, tragen aber schon deutlich masochistisehen Charakter und zeigen auch hier den naturgemftssen Uebergang einer Erscheinung in die andere.




Versuch einer Erklärong dea MofiOcUismus.


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sches Individuum in der Weise übergeht, dass sie dabei zur Perversion wird. Dass eine leichte Verschiebung der hier in Betracht kommenden psychischen Elemente diesen Uebergang bewerkstelligen kann, wurde oben erörtert. Was aber ftir mögliche Fälle des erworbenen MasochismuB die associirende Gewohnheit thun kann, das thut tlir die sicher constatirten Fälle des originären Masochismus das variirende Spiel der Vererbung. Es tritt dabei kein neues Element zur Hörigkeit hinzu, sondern es entfälli eines, das Raisonnement, das Liebe und Abhängigkeit verbindet und damit eben Hörigkeit von Masochismus, Abnormität von Perversion unterscheidet. Es ist ganz natürlich, dass sich nur das Triebartige vererbt.

Dieser Uebergang der Abnormität in Perversion bei der erblichen Üebertragung wird insbesondere dann leicht eintreten können, wenn die psychopathische Veranlagung des Nachkommen den anderen Faktor des Masochismus liefert, das, was oben seine erste Wurzel genannt wurde, die Neigung geschlechtlich hyperästhetischer Naturen, alle Einwirkimgen, die vom geliebten Gegenstände ausgehen, der geschlechtlichen Einwirkung zu asslmiliren.

Aus diesen beiden Elementen — aus der „geschlechtlichen Hörig- keit" einerseits, aus jener oben erörterten Disposition zur geschlechtlichen Ekstase, welche selbst Misshandlungen mit Lustbetonung appercipirt, andererseits — aus diesen beiden Elementen, deren Wurzeln sich bis in das Gebiet physiologischer Thatsachen zurOckverfolgen lassen, entsteht auf einem geeigneten psychopathischen Boden der Masochismus, indem die sexuelle Hyperästhesie allerlei zuerst physiologisches, dann nur ab- normes Beiwerk der Vita sexualis zur krankhaften Höhe der Perversion steigert *)•


  • ) Erwfl^ man, daes. wie oben dargethim, .geschlechtliche Hörigkeit* eine

Krscheinung ist, die beim weiblichen Geschlechte viel häufiger and in ntärkei'en Graden zu beobachten int als beim männlichen, so drangt sich der Gedanke auf» der MaitocbiBTOUH (wenn auch nicht immer» so doch in der Regel) ein Erbstück 'der , Hörigkeit" weiblicher Vorfahren sei. Er tritt so in eine — wenn auch aehr entfernte — Beziehung zur conträren Sexualempfindung, als Uebergang einer eigent- lich dem Weib« Äukomnienden Perversiou auf den Mann. Diese Auffassung des Masocfai«iiJUB als eine rudimentäre conträre Sexualempfindung, aU eine theilweise Efleminatio, welche hier nur die secundären Geschlechtacharaktere der psyrhischen Vita seiualifi ergriffen hat (eine Auffassung, die noch in der 6. Auflage dieser Schrift nnbedingteren Ausdruck gefunden hat), findet eine Stütze in den Aussagen der Patienten der obigen Beobachtung 42 und 48, welche weitere Zöge von Kffeminatio an sich tragen, auch beide ein relativ älteres Weib, von dem sie aufgesucht und erobert würden, als ihr [deal bezeichnen.

Et muss jedoch bervorgefaoben werden, dass , Hörigkeit* auch innerhalb der männlichen Vita seiualis eine nicht geringe Rolle Rpielt und Masochismu» mithin auch ohne einen solchen Üeberhang weiblicher Elemente auf den Mann erklärt


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Versach einer KrklÖrang dee Masochismas.


Jedenfalls stellt auch der Masochismus als angeborene sexuelle Perrersion ein functionelles Degenerationszeichen im Ralimen der (fast ausschliesslich erblichen) Belastung dar, und auch für meine Falle von Masochitsmus und Sadismus bestätigt sich diese klinische Erfahrung.

Dass die eigenartige, psychisch anomale Richtung der Vita sexualis. als welche der Masochismus erscheint, eine originäre Abnormität dar* stellt und nicht so zu sagen gezüchtet bei einem Disponirten aus passiver Flagellation sich entwickelt, auf dem Wege der Ideenassociation , wie Rousseau und Binet annehmen, ist wohl leicht zu erweisen.

Es ergibt sich das aus den zahlreichen, ja die Majorität bildenden Fällen, in welchen die Flagellation beim Masocbisten niemals aufgetaucht ist , in welchem der perverse Trieb sich ausschliesslich auf rein sym- bolische, die Unterwerfung ausdruckende Handlungen ohne eigentliche SchraerxzufUgung richtet.

Dies lehrt die ganze hier mitgetheilte Casuistik von Beobach- tung 49 an.

Es ergibt sich aber das gleiche Resultat, n'ämlich dass die passive Flagellation nicht der Kern sein kann, an den sich alles Uebrige ange- setzt hat, auch aus der näheren Betrachtung solcher Fälle, in denen diese eine Rolle spielt, wie oben Beobachtung 41 und 47.

Besonders lehrreich in dieser Beziehung ist die obige Beobach- tung 48, denn hier kann nicht au eine sexuell sümulirende Wirkung einer in der Jugend erlittenen Strafe gedacht werden. Ueberhaupt ist in diesem Falle die Anknüpfung an eine frühe Erfalu-ung nicht möglich, da die hier den Gegenstand des sexuellen Hauptinteresses bildende Situation mit einem Kinde gar nicht ausführbar ist.

Endlich ergibt sich überzeugend die Entstehung des Ma^iochismus aus rein psychischen Elementen aus der Coufrontiruug desselben mit dem Sadismus (s. unten).

Dass passive Flagellation so häufig beim Masochismus vorkommt, erklärt sich einfach daraus, dass sie das stärkste Ausdrucksmittel für das Verhältniss der Unterwerfung ist.

Ich wiederhole es als entscheidend für die Differenzirung von ein- facher passiver Flagellation und Flagellation auf Grund masochistischen Verlangens, dass im ersteren Fall die Handlung Mittel zum Zweck des dadurch möglich werdenden Coitus oder wenigstens einer Ejaculation, im letzteren Fall Mittel zum Zweck der seelischen Befriedigung im Sinne masochisfcischer Gelüste ist.


werden kann. Auch hier ist zu bedenken, dass siowohl Maaochifimu» als Sadismua, sein GegenstQck, bei conträrer Sexualempändong in regelloser Combination vor- kommen.



MasochismuB und SatÜnnus.


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Wie wir oben gesehen haben, unterwerfen sich Musochisten aber auch allen möglichen anderen Misshiindlungen und Qualen, bei denen von reflectorischer Erregung von Wollust nicht die Elede sein kann. Da solche Fälle zahlreich sind, so muss untersucht werden, in welchem Ver- hältniss bei derartigen Akten (und bei der gleichwerthigen Flageilation der Masochisten) Schmerz und Lust zu einander stehen. Aul' Grund der Aussage eines Masochisten ergibt sich folgendes:

Das Verb'ältntss ist nicht derart, dass einfach, was sonst physischen Schmerz xeruraacht, hier als physische Lust empfunden wird, sondern der in der masochistischen Ekstase Befindliche fühlt keinen Schmerz, sei es, weil er vermöge seines Aifectzustandes (gleich dem Soldaten im Kampf- gewühl) die physische Einwirkung auf seine Hautnerven überhaupt nicht appercipirt, oder weil (wie bei dem religiösen Märtyrer und Eksfcatiker) der UeberfUllung des Bewuastseins mit Lustgefühlen gegenüber die Vor- stellung der Misshandlung nur wie ein blosses Zeichen, ohne ihre Schmerz- qualität, in ihm stehen bleibt.

Es findet im zweiten Falle gewissermassen eine üebercompensation des physischen Schmerzes durch die psychische Lust statt und nur die Differenz bleibt als restliche psychische Lust im BewusstÄcin. Diese er- föhrt überdies einen Zuwachs, indem, sei es durch refiectorisch spinaler» Einfluss, sei es durch eigenartige Betonung der sensiblen Eindrücke im Sensorium, eine Art Hallucinatiou körperlicher Wollust entsteht, mit iz vager Localisation der hinaus projicirten Empfindung,

Analoges scheint in den Selbstpeinigungen religiöser Schwärmer (Fakire, heulende Derwische, religiöse Flagellanten) vorhanden zu sein, nur mit anderem Inhalt der das Lustgefühl erzeugenden Vorstellungen. Auch hier wird die Vorstellung der Marter ohne ihre Schmerzqualität appercipirt, indem das Bewusstsein von der mit Lust betonten Vorstellung erfüllt ist, durch die Marter Gott zu dienen, Sünden zu tilgen, den Himmel zu verdienen u. s. w.


Masochismus und Sadismus.

Dos vollkommene Gegenstück des Masochismus ist der Sadismus. Während jener Schmerzen leiden und sich der Gewalt unterworfen fühlen will, gebt dieser darauf aus, Schmerz zuzufügen und Gewalt aus- zuüben.

Der Parallelismus ist ein vollständiger. Alle Akte und Situationen. die vom Sadisten in der activen Rolle ausgeführt werden, bilden für den Masochisten in der passiven Rolle den Gegeustand der Sehnsucht. Bei


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Masochistuus und Sadümufl.


btnden Perversionen schreiten diese Akte von rein symbolischen Vorgängen zu schweren Miäshandlungen fort. Selbst der Lustmord, in welchem der Sadismus gipfelt, findet, wie sich aus der obigen Beobachtung 50 ergibt — allerdings nur als Phantasma — sein passives Gegenstück. Beide Perversioneu können unter günstigen Umstanden neben einer normalen Vita sexualis einhergehen; bei beiden kommen die Akte, in welchen sie sich entladen, entweder als präparatorische, vor dem Coitus, oder vicariirend an dessen Stelle vor *).

Die Analogie betriSt aber nicht bloss die äussere Erscheinung; sie erstreckt sich auch auf das innere Wesen beider Perversionen. Beide sind als originäre Psychopathien seelisch abnormer, insbesondere mit psychischer Hyperaesthesia sexualis, aber nebenher in der Kegel auch noch mit anderen Abnormitäten behafteter Individuen zu betrachten; fUr jede dieser beiden Perversionen lassen sich je zwei constitutive Elemente nachweisen, welche in psychischen Thatsachen innerhalb der physiologischen Breite ihre Wurzel haben.

Für den Masochismus liegen diese Elemente, wie oben dargethan, darin, dass 1. im sexuellen Affeet jede vom Consors ausgehende Ein- wirkung, an sich, unabhängig von der Art dieser Einwirkung, mit Lust betont wird, was bei bestehender Hyperaesthesia sexualis so weit gehen kann, jede Schmerzempfindung zu übercpmpensiren ; 2. dass die, aus an sich nicht perversen seelischen Elementen hervorgehende, „geschlechtliche Hörigkeit* unter pathologischen Bedingungen zu einem perversen lust- betonten ünterwerfungsbedürfniss unter das andere Geschlecht werden kann, was — wenn auch die Vererbung von weiblicher Seite her durch- aus nicht nothwendig angenommen werden rauss — sich als eine patlio- logische Entartung eigentlich dem Weibe zukommender Charaktere, des dem Weibe physiologischen Unterorduungsinstinkts darstellt.

Dementsprechend finden sich für die Erklärung des Sadismus eben- falls zwei constitutive Elemente, deren Ursprung sich bis ins Gebiet des Physiologischen zurück verfolgen lässt: 1. dass im sexuellen AflPect, ge- wisserraassen als psychische Mitbewegung, ein Drang entstehen kann, auf den Gegenstand der Begierde auf jede mögliche, möglichst starke Weise einzuwirken, was bei sexuell hyperästhetischen Individuen zu einem Drang


') Beide haben natürlich mit ethischen ücd ästhotischen Gegenmotiven in Foro interno zu kämpfen. Nach der üeberwindung dieser geräth aber der Sadismu«  bei seinem Hiutiustritt in die Aussenwelt sofort mit dem Strafgesetz in Conflict. Mit dem Ma^oebismus ist dies nicht der Fall, was eine grössere Häufigkeit masochisti- acher Akte zur Folge hat. Dagegen treten der Verwirklichung der letzteren der SßlbsterhaltungBtrieb und die Scheu vor Schmerzen entgegen. Die practisohe Be- deutung des M&sochismuB liegt nnr in seinen Beziehungen zur psychißchen Im- potenz, wahrend die des Sadismus ausserdem und haupta&chlich auf forensischem Gebiete liegt.


MaAochismus und Sadismus.


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^er SchmerzzufUgung werden kann; 2. dass die active Rolle des Mannes, ine Aufgabe, das Weib zu erobern, unter pathologischen Bedingungen KU einem Verlangen nach schrankenloser Unterwerfung werden kann.

So stellen sich Masochiämus und Sadismus als vollkommene Gegen- sätze dar. Dem entspricht auch, dass den von diesen Perversionen er- griffenen Individuen ala ihr Ideal die entgegengesetzte Perveraion beim anderen Geschlechte erscheint, wie z. B. aus Beobachtung 41 und 47 und auch aus Rousseau's Confessions hervorgeht.

Die Gegenüberstellung des Masochisraus und Sadismus kann aber auch dazu dienen, die Möglichkeit der Annahme vollständig zu beseitigen, als ob der Erstere ursprünglich aus der refiectorischen Wirkung der passiven Fiagellation entsprungen sei und alles Weitere das Product hieran anknüpfender Ideenassociationen wäre, wie Bin et bei der Er- klärung von Rousseau's Fall meint und wie Rousseau selbst glaubte (vgl. oben p. 105). Bei der activen Misshandlung nämlich, welche für den Sadisten den Gegenstand des sexuellen Gelüstes bildet, findet ja gar keine Reizung der eigenen sensiblen Nerven durch den Misshandlungsakt statt, so dass hier an dem rein psychischen Charakter des Ursprungs dieser Perversion nicht gezweifelt werden kann. Sadismus und Masochis- mus sind einander aber so verwandt, entsprechen einamler in allen Stücken so sehr, dass der Analogieschlu^s vom Einen auf den Anderen auch in diesem Falle gestattet sein muss und schon allein genügen würde, den rein psychischen Charakter des Masochisraus zu erweisen.

Nach der oben ausgeführten Gegenüberstellung aller Elemente und Erscheinungen des Masochismus und Sadismus, und als Itesume aller beobachteten Fälle , erscheinen Lust am SchmcrzzufUgen und Lust am zugefügten Schmerz nur wie zwei verschiedene Seiten desselben seelischen Vorgangs, dessen Primäres und Wesentliches das Bewusstsein activer, bexw. passiver Unterwerfung ist, wobei der Verbindung von Grausamkeit und Wollust nur eine secundäre psychologische Bedeutung innewohnt. Grausame Handlungen dienen zum Ausdruck dieser Unterwerfung, ein- mal, weil sie das stärkste Mittel zum Ausdrucke dieses Verhältnisses sind, dann, weil sie überhaupt die stärkste Einwirkung darstellen, die ein Mensch neben und ausser dem Coitus auf einen anderen ausüben kann.

Sadismus« und Masochismu^ sind Resultate von Associationen, in dem Sinne, in dem alle coniplicirteren Erscheinungen des Seelenlebens Associationen sind. Das psychische Leben besteht ja. nach Production der einfachsten Elemente des Bewusstseins , nur aus Associationen und Dissociationeu dieser Elemente.

Es ist aber das Hauptergebniss der hier ausgeführten Analysen, dasa Sadismus und Masochisnms nicht etwa Resultate zu^lliger Asso- ciationen sind, durch den Eintritt eines occasionellen Moments, einer zeit-


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Mafiochiamus und Sadiamoft.


liehen Coincidenz erworben, sondern Resultnie von Associationen, die durch eine auch unter normalen Umständen vorhandene Nachbarschaft praformirt sind, unter bestimmten Bedingungen aber — sexuelle Hyper- ästhesie — leicht wirklich geknüpft werden. Ein abnorm gesteigerter Geschlechtstrieb wächst nicht bloss in die Höhe, sondern auch in die Breite. Auf Nachbargebiete Übergreifend vermischt er seinen Inhalt mit dem ihrigen und vollzieht so die pathologische Association, welche das Wesen dlesor beiden Perversionen ist^).

Natürlich muss dies nicht immer so sein und es gibt Fälle von Hyperästhesie ohne Perversion. Fälle von reiner Hyperaestliesia sexualis — wenigstens solche von auffallender Intensität — scheinen aber seltener als die Falle von Perversion.

Interessant, aber der Erklärung einige Schwierigkeiten bietend, sind die Fälle, in denen Sadismus und Masüchismus in einem Individuum gleichzeitig autlreten. Solche Fälle sind z. B. Beob. 49 der 7. Auflage, femer Beob. 47 und 54 der gegenwärtigen, besonders aber Beob. 29 der


')t. Schrenck-Notzing. welcher bei der Erklärung aller PeiTersionen dos occa«ionelle Moment in den Vordergrund stellt and der Anniibnie durch äussere Umstände erworbener Pervereionen, vor der originärer Veranlagung den Vorzug gibt, vreint den Kreclieinungen dos Sadismuä und Masochismufi (nnch seiner Terminologie ,active und passive Algola^ie"! diesbezüglich eine Mittelstellung ein. Diese Kr- «oheinungen seien allerdings in einem Theü der Fälle nur durch congenitale Anlage zu erklilren; in einem anderen Theil der Fälle aber mOsse Erwerbung durch eine suföDige Coincidenz offenbar die Hauptrolle spielen (op. cit. p. 170).

Der Beweis: Für letztere Behauptung wird casuistisch geführt. Es werden zwei Beobachtungen der Psychopathia setualis (Beob. 29 und 37 der 7. Aufl.) wieder- gegeben, und daran gezeigt, dass bier anch das zufUllige Zusammentreffen des An- blicks einea blutenden Mädchens oder eines geprügelten Mitschülers mit einer starken Regung des Oeachlechtotrieba zur Grklänmg der von nun an bestehenden pathologi- schen Association genügen k 5 n n e.

Dem gegenüber ist aber doch als entacbeidend in Betracht zu ziehen, daas frühe und starke Kegungen des Oeschlechtstriebs bei jedem byperästhetiflchen Indivi- duum mit Tielen, bei der Oesamnitheit derselben mit unzähligen heterogenen Dingen zeitlich zasammengefallen sind, während sich die pathologischen Associationen immer nur an wenige bestimmte (sadistische und masochistische) Dinge knüpfen. Unzilhlige Schüler haben während der Grammatik- und Mathematik- Htunden, im Klasitenzimmer und an geheimen Orten , sich sexuellen Krregungen und Befriedigungen hingegeben, ohne dass daraus perverse Associationen ent«tündon wären.

Hieraus folgt mit Evidenz» dass der Anblick von PrOgclacenen und dergleichen eine vorhandene pathologische Association zwar aus ihrer Latenz wecken, nicht aber eine solche entstehen lassen kann, ganz abgesehen davon, dasH es unter den un- zähligen sich darbietenden Dingen nicht inditl'erente. sondern geradezu uormaliter Unlust erregende sind, zu denen der erwachte Geächlechtstrieb in Beziehung tritt.

Das hier Ausgeführte gilt auch gegenüber der Meinung Binet's, der gleich- falls die hierher gehörigen Erscheinungen sämmtlich aus zufälligen Associationen erklären will. Vgl. unten p. 145.


Ma«ocbi«mus and Sadümua.


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9. Auflage dieses Werkes, aus welch' letzterer hervorgeht, dass es gerade die Vorstellung der Unterwerfung ist, welche sowohl activ als passiv den Kern des perversen Gelüstes bildet. Dergleichen ist iu mehr oder minder deutlichen Spuren auch sonst noch mehrfach zu beobachten. Allerdings ist die eine der beiden Perversiouen immer bei weitem vorwiegend.

Wegen dieses entschiedenen üeberwiegens der einen Perversion und ihres späteren Auftretens in solchen Fällen , ist wohl anzunehmen, dass nur die eine, vorwiegende Perversion originär, die andere im Laufe der Zeit erworben ist. Die Vorstellungen der Unterwerfung und Miss- handlung, im activen oder im passiven Sinne mit intensiver Wollust be- tont, haben sich hei einem aolchen Individuum tief eingelebt. Gelegent- lich versucht sich die Phantasie auch einmal in demselben Vorstellungs- kreis, aber mit invertirter Rolle. Es kann selbst zu Verwirklichungen dieser Inversion kommen. Derartige Versuche in Phantasien und Htind- lungen werden aber meistens, als der ursprünglichen Richtung inadäquat. bald wieder aufgegeben.

Masochisraus und Sadismus treten auch mit contrUrer Sexualera- pfindung und zwar mit allen Formen und Stufen dieser Perversion com- binirt auf. Der conträr Sexuale kann sowohl Sadist aU Masochist sein. Vergleiche oben Beob. 46 der gegenwärtigen und 49 (der 7. Auflage) und zalilreiche Fälle dei* unten folgenden Casuistik der conträren Sexual- einptindung.

Wo immer sich auf dem Boden einer neuropathischeu Individualität sexuelle Perversion entwickelt hat, kann die hierbei stets anzunehmende teile Hyperästhesie auch die Erscheinungen des Maaochismus und Sadismus hervortreiben, bald einzeln, bald beide vereinigt, die eine aus der anderen hervorgehend. Masochismus und Sadismus erscheinen so als Grundformen psychosexualer Perversion, die auf dem ganzen Gebiete der Verirrungen des Geschlechtstriebes an den verschieden- sten Stellen zu Tage treten können ^).

^) Jeder Versuch einer ErkiBtung der That«acben, sei es des Sadismus, sei es dcfl Masochismus. wird wegen des hier dargetbaoen engen Zusammenhangs beider KrscheinuDgen auch geeignet sein jnUsscn, Jeweils die andere Pervtirsion zu erkJ^iren. Dieser Forderung wQrde ein Versuch des Amerikaners J. G. KiuniaD, eine Erklärung des Sadismus zu tiefem (vid.: .Psycbological ospects of thc sexual appetite^ im RAUenist and Neurulogist', St. Louis, April 1891), genQgea, und er möge aus diesem Grunde hier kurz erwähnt werden.

Kieman, der für seine Ansicht in der anglo-umerikaniflchen Literatur mehrere Voi-mänuer hat, geht von der Ansicht mehrerer Naturloracher (Dallinger, DrysUle Rolph, Cienkowsky) aus. welche die sogenannte Conjugation, einen Geschlechtsakt gewisser niederer Thiere^ als Kannibalismas. als Verschlingen des Partners aufftmten. £r 8chlies»b unmittelbar hieran die iK'kannten Tbutäacben an. dnes Krebse sich bei Gelegenheit der gescblechtlichen Vereinigung Glieder vom Leibe reissen, Spinnen den M&Daoheu dabei den Kopf abbeissen und andere sadistische Akte brOnstiger Thiere


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Schon in den BefasdiiogCB tber die PsjüwJu gie Sexoallebeftft welche diese« Werk wnlritoit {%. ob«n p. 16), wvrde dar- gedum, das8 noch Inneriulb der Breito de« Phypolppurkf fie MMge- sprochene Voriiebe, d» htmmd en stimmten Körpertbefl am Leibe der Pi Geschlechts, inabeaandere für eiaa hwHinnite Form dieaei eine grosse psjrduseexnale Bedeoftong gevimieQ kauk Ja es diese besondere Anxiehongsknil beaiiamter Fonnen mid B g e m c La ften auf viele, ja die meisten Menacbeo, als das eigentliche Princip der ladt- vidualisirung in der Liebe angesehen werden.

Diese Vorliebi' für einxelne bestimmte phjsische Charaktere an Personen des entgegengesetzten Geachlecht« — neb^i welcher sich auch ebenso eine ausgesprochene Bevorzugung bestimmter psychischer Charaktere c-ontttatiren lässt — habe ich in Anlehnung an Binet (da Fetichiame daus ramour, Revue philosophique 1887) und Lombroso (Einleitung der italienischen Ausgabe der 2. Aufl. dieses Baches) «Fetischismus* genannt, weil thatsÜchLich das Schwärmen fQr and das Anbeten von ein- zelnen Körpertheilen (oder selbst Kleidungsstflcken) auf Grund sexueller Dränge vielfach an die Verehrung von Reliquien, geweihten Gegenstän- den u. s. w. in religiösen Culten erinnert. Dieser physiologische Feti- schismus wurde bereits oben p. 16 ff. ausftlhrlich erörtert.

Es gibt jedoch auf psjchosexualem Gebiet, neben diesem phyaio- lügiscbeu, noch einen unzweifelhaft pathologischen erotischen Fetischismus, Ober welchen bereits eine reichhaltige Casuistik vor- liegt, und dessen Erscheinungen ein hohes khnisch-psjchiatrlsches, unter


gi>gcn Hen ConBors. Von hier gebt er zum Ltutraord and anderen woUdatiggraa- «»mmi Akten bri Menschen Über und nimmt an , Unn^er und GeschlechUtrieb seien in ihrer Wurzel identisch, der geacblecbtliche Kannibaliimns der niederen Thiervelt wirke in dor höheren und beim Menachen nach, and Sadismus sei ein ataviätücher ROtikachlaK-

Oii'se KrkllLrung des SudismuB würde freilich auch den Madochismus erklären; Ueun wrnn di<* Wurzel des geschlechtlichen Vcrkehni in kannibalistiscben Vorgängen •U suohou int, so fllhrt hier sowohl der Sieg des einen Theils als auch die Nieder- Ui^ Um tuidttru sunt Ziele der Natur, und auch ein Trieb, das Opfer und der Unter- U^c^^dtt SU tttint w&ro erkl&rt.

Ki muss über hit^r eingewendet werden. dEisa die Basis des RaisonneinenU un- {•attgvad ist Per höchst coroplicirte Torgang der Conjugation niederer Organismen, W «rakWa dia WiMsaschiift erst in den letzten Jahren näher eingedrungen ist, kann •Wa dwvhau» nicht einfach als eine VerschUngung eines Individuums durch ein i»|>TH atsptMltou werden (vgl. Weismann, Die Bedeutung der sexuellen Fort- (tt die Selcctionstheorie. Jena, 198G, p. 51).


FetUcliiMnus.


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Umständen auch forensisches Interesse bieten. Dieser pathologische Fetischismus bezieht sich nicht allein auf bestimmte Körpertheile, sondern selbst auf leblose Gegenstände, welche jedoch fast immer Tbeile der weiblichen Kleidung sind und damit in naher Beziehung zum Körper des Weibes stehen.

Dieser pathologische Fetischismus schliesst sich in allmähligen Uebergängen an den physiologischen an, so dass es (wenigstens für den Körpertheil-Fetischismus) beinahe unmöglich ist, eine scharfe Grenze zu ziehen f wo die Perversion beginnt. Dazu kommt noch, dass das ge- sammte Gebiet des Körpertheil-Fetischismus eigenthch nicht ausserhalb des Kreises der Dinge fällt, die normalster als Eleize fOr den Geschlechts- trieb wirken, sondern innerhalb desselben. Das Abnorme liegt hier nur darin, dass ein Theileindruck vom Gesammtbilde der Person des anderen Geschlechts alles sexuelle Interesse auf sich concentrirt, so dass daneben alle anderen Ein- drücke verblassen und mehr oder minder gleichgOltig werden. Deshalb ist der Körpertheil-Fetischist nicht als ein Monstrum per ex- cessum zu betrachten, wie z. B. der Sadist oder Masochist, sondern eher als ein Monstrum per defectum. Nicht was auf ihn als Reiz wirkt, ist abnorm, sondern eher das, was nicht als Reiz wirkt, die Einschränkung des Gebietes sexuellen Interesses, die für ihn eingetreten ist. Freilich pflegt dieses eingeengte sexuelle Interesse auf dem engeren Gebiet mit um so grösserer, mit ganz abnornver Intensität aufzutreten.

Es \vürde sich wohl empfohlen, als Grenze des pathologischen Fetischismus den Umstand anzunehmen, ob das Vorhandensein des Fetisch conditio sine qua non für die Möglichkeit den Coitus zu vollziehen ist, oder nicht. Aber die nähere Betrachtung der Thatsachen ergibt, dass diese Grenze eben nur scheinbar eine scharfe ist. Es gibt so zahlreiche Fälle, in denen der Coitus, trotz Abwesenheit des Fetisch, zwar noch möglich ist, aber eben ein unvollkommener, erzwungener (oft mit Hülfe von Phantasiebildern, die sich auf den Fetisch beziehen), besonders ein unbefriedigender und erschöpfender ist, dass auch hier sich Alles bei näherer Betrachtung der entscheidenden subjectiven, psychischen Sach- lage in Uebergänge auflöst, die einerseits zur blossen, noch physiologischen Vorliebe, andererseits zur psychischen Impotenz in Abwesenheit des Fetisch führen.

So ist es vielleicht besser, das Kriterium für das Pathologische auf dem Gebiete des Körpertheil-Fetischismus auf ganz subjectivem, psychi- schem Boden zu suchen. Die Conceatration des sexuellen Interesses auf einen bestimmten Körpertheil, welcher — das ist hier hervorzuheben — nie eine directe Beziehung zum Sexus hat (wie Mammae, äussere Genitalien) — führt die Körpertheil-Fetischisten oft dahin, dass sie als


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Fetiflchismua.


eigentliches Ziel ihrer geschlechtlichen Befriedigung nicht den Coitus betrachten, sondern irgend eine Manipulation an dem betreffenden, als Fetisch wirksamen Körperthcil. Dieser verirrte Trieb kann nun wohl beim Körpertheil-Fetischisten als das Kriterium des Krankhaften ange- sehen werden, gleichgültig, ob dabei noch wirklicher Coitus möglich ist oder nicht.

Der Gegenstands- oder Kleidungs-Fetischisraus aber kann wohl in allen Fällen alä eine pathologische Erscheinung angesehen werden, da sein Object ausserhalb des Kreises normaler Reize fUr den Geschlechts- trieb fällt.

Auch hier besteht zwar in den Erscheinungen eine gewisse äussere Uebereinstimmung mit Vorgängen der psychisch normalen Vita sexualis; der innere Zusammenhang und Sinn des pathologischen Fetischismus ist aber ein ganz anderer. Auch auf dem Gebiete der schwärmerischen Liebe eines psychisch nicht abnormen Menschen können das Taschen- tuch, der Schuh, Handschuh, Brief, die Blume, „die sie ihm gab", die Haarlocke u. s. w. Gegenstand abgöttischer Verehrung sein, aber nur, weil sie ein Erinnerungszeichen an die abwesende oder gestorbene ge- liebte Person darstellen , deren Gesammtpersönlichkeit damit reproducirt wird. Der pathologische Fetischist hat keine derartigen Beziehungen. Ftir ihn ist der Fetisch der ganze Vorstellungsinhalt. Wo er desselben gewahr wird, tritt die sexuelle Erregung ein und macht der Fetisch seine Wirkung geltend ^).

Pathologischer Fetischismus scheint nach aller bisheriger Erfahrung nur auf dem Boden der (meist hereditären) psjchopathischen Veranlagung oder bestehender psychischer Erkrankung vorzukommen.

So kommt es, dass or nicht selten mit den anderen (originären) Perversionen des Geschlechtssinns, welche demselben Boden entstammen» corabinirt erscheint. Bei conträr Sexualen, bei Sadisten und Masochiaton kommt Fetischismus in den verschiedensten Gestaltungen nicht selten vor. Ja , gewisse Formen des Körpertheil-Fetischismus (Hand- und Fuss- Fetischisnius) haben sogar mit den zwei zuletzt genannten Perversionen walirscheinlich mehr oder minder dunkle Zusammenhänge (s. unten).

Beruht nun aber auch der pathologische Fetischismus auf einer an- geborenen, allgempinen paychopathischen Diapositinn, so ist doch diese Perversion selbst nicht (wie die bisher behandelten) in ihrem Wesen originärer Natur; sie ist nicht fertig angeboren, wie wir wohl vom Sadismus und Masochismus annehmen können.


  • ) Ganz anders iii der Fall in Zolas Therese Raquin» wo der betreffende

Mann die Stiefel der Geliebten uiehfmals kdast, gegenüber jenen ScbuU- und Stiefel- fetiBclüfiten , die beim Anblick eines jeden Stiefels an beliebiger Dame, oder auch ohne solche, in wollüstige Ekstase gerathen bis senr Ejaculation.



Fetischismas. 1 .J 5

Während in den bishur tiargestellten Gebieten der sexuellen Per- rersionen dem Forseber durchaus Fälle originären Charakters entgegen- traten, begegnet man hier durchaus erworbenen Fällen. Abgesehen davon, dass beim Fetischismus die veranlassende Gelegenheit der Er- werbung oft nachweisbar ist, fehlen hier die physiologischen Thatsachen, die auf dem Gebiete des Sadismus und des Masochismus durch eine all- gemeine sexueUe Hyperästhesie auf die Höhe einer Perversion gehoben werden und damit die Annahme originären Ursprungs rechtfertigen. Es bedarf im Gebiet des Fetischismus für jeden einzelnen Fall noch eines Geschehnisses, das den Stoff der Perversion liefert.

Es gehört allerdings — wie oben gesagt — zum physiologischen Geschlechtälehen, für dies und jenes an der Frau und um sie zu schw&rmen; aber gerade die Concentration des gesammten sexuellen Interesses auf einen solchen Theileindruck ist hier das Wesentliche und diese Concen- tration muss für jedes damit behaftete Individuum einen individuellen Erklärungsgi-und haben.

Man kann sich daher der Ansicht Binet's anschliessen, dass im Leben eines jeden Fefcischisten ein Ereignis» anzunehmen ist, welches die Betonung gerade dieses einzigen Eindrucks mit Wollustgefühlen determinirt hat. Dieses Ereigniss wird in die früheste Jugend zurückzuversetzen sein und in der Regel mit dem ersten Erwachen der Vita sexualis zusammenfallen. Dieses erste Erwachen ist mit irgend einem sexuellen Theileindruck zusammengefallen (denn es sind immer Dinge, die zum Weibe in irgend einer Beziehung stehen) und stempelt diesen für die Dauer des ganzen Lebens zum Hauptgegenstand des sexuellen Interesses. Die Gelegenheit, bei welcher die Association entstanden ist, wird in der Regel vergessen. Nur das Resultat der Association bleibt bewusst. Originär ist hier nur der allgemein zur Psychopathie dispouirte Charakter, die sexuelle Hyperästhesie solcher In- dividuen^).


') Wenn dagegen Bin et op. dt. behauptet, jede iexuelle Perversion, ohne Ansnahtne, beruhe auf einem üolcfaen «.Accident agiuant Bur un Bujut prvdispoaä' (wobei unter dieser PrildispoBition nur H>-perUstbeiie im Allgemeinen verstanden wird), RO ist eine solohe Annahme für die anderen sexuellen Perversionen, ausaer- halb des Fetiechismus, wie schon oben p. 143 dargelegt worden ist. weder erforder- lich noch genügend. Eb ist nicht abauHehen, wie auf ein selbst sehr erregbares Individuum der Anblick der Züchtigung eines Anderen gerade sexuell erregend wirVen soll, wenn nicht die physioloKiache Nachbarschaft von Wollust und Grausam- keit im Obeinormal erregbaren Indivic'uum zum ori ff in Üren Sadismus geworden ist. Aber auch die Associationen, anf denen der erotische Fetischismus beruht, sind nicht ganz zufällige. Wie die sadistiachon und moflochistiachen Associationen durch die Nachbarschaft der diesbezüglichen Elemente in der Psyche des Subjecte prft- formii't sind, so ist die Möglichkeit fetischistischer Association durch die Beschaffen- V. Krafft-Ebing, Psyohopathla sexuoJis. 10. Anfl. 10


1


146


FetischiamuR.


Wie die bisher bebandelten Perversionen, so kann auch der erotische (pathologische) Fetischismus sich äusserlich in den seltsamsten unnatür- lichen imd selbst verbrecherischen Akten manifestiren : Befriedigung am Leibe des Weibes loco indebito, Diebstahl und Raub von GegenständeD^ die als Fetisch wirken , Polluirung solcher etc. Es hangt auch hier von der Intensitiit des perversen Triebes und der relativen Stärke der ethischen Gegenmotire ab^ ob und wie weit ea zu dergleichen Akten kommt.

Diese perversen Akte der Fetischisten können, ebenso wie die anderer geschlechtlich perverser Individuen, entweder die gesammte äussere Vita sexualis allein ausmachen, oder neben dem normalen geschlechtlichen Akt einhergehen, je naclidem die physische und psychische Potenz, die Er- regbarkeit für normale Heize noch mehr oder minder erhalten ist. Im letzteren Falle dient nicht selten der Anblick oder die Berührung des Fetisch als nothwendiger präparatorischer Akt.

Die grosse praktische Wichtigkeit, welche den Thatsachen des pathologischen Fetischismus zukommt, liegt nach dem Gesagten in zwei Momenten.

Erstens ist der pathologische Fetischismus nicht selten eine Ursache psychischer Impotenz^). Da der Gegenstand, auf welchem das sexuelle Interesse des Fetischisten sich concentrirt, an und für sich in keiner unmittelbaren Beziehung zum normalen Geschlechtsakt steht, so geschieht es oft, dass der Fetischist durch seine Perversion die Er- regbarkeit für normale Reize einbüsst, oder wenigstens den Coitus nur mittelst Concentration der Phantasie auf seinen Fetisch leisten kann. Auch liegt in dieser Perversioti und in der Schwierigkeit ihrer adäquaten Be- friedigung, gerade so wie bei den anderen Perversionen des Gescblechts- sinns, namentlich für jugendliche Individuen, und gerade für solche^ welche in Folge ethischer und ästhetischer Gegenraotive vor der Verwirklichung ihrer perversen Gelüste zurückschrecken, die beständige Verlockung zur


heit der Objectc vorbereitet und dadurch leichter erklärlich. Es Rind ja faat immer TheileindrOckc der weiblichen Gesammterschcinung (iDcluäive Kleidung), um die es sich hier handelt. Ganz zufällig eatatandene fetiächistiache Ässociatiouen sind nur in wenigen im Weiteren speciell angeführten Fällen constatirt.

') Kh kann als eine Art (psychischen) FetischiHmus im weiteren Sinne betrachtet werden, dass, wiw hÄufig geschieht, junge Ehemänner, die viel mit Prostituirten ver- kehrt haben, sich der Keuschheit ihrer jungen Ehefrauen gegenüber impotent sehen. Einer meiner Clienton war niemals potent seiner jungen, schönen, züchtigen Frau gegenüber, weil er an die loacive Weise der Prostituirten gewöhnt war. Versuehte er ab und zu einen Coitua bei Puellis, ao war er vollkommen potent. Einen ganz ähnlichen intere^anteu Fall berichtet Qammond op. cit. [i. 18 u. 49. Freilich spielen in derartigen Fällen meistens schlechtes Gewissen und hypochondrische Angst vor Impotenz eine grosse Rolle.


FetiachismuB.


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psychischen und physischen Onanie, welche wieder deietär auf Constitution und Potenz zurückwirkt.

Zweitens ist der Fetischismus von grosser forensischer Be- deutung. So wie der Sadismus zu Mord und Kürperverletzung ausarten kann, so kann der Fetischismus zum Diebstahl und selbst zum Raub der betreffenden Gegenstände führen.

Der erotische Fetischismus hat zum Gegenstande entweder einen bestimmten Körpertheil des entgegengesetzten Geschlechts, oder ein bestimmtes Kleidungsstück desselben oder einen Stoff der Bekleidung. (Es sind bis jetzt nur Falle von pathologischem Fetischismus des Mannes bekannt, deshalb ist hier nur von weiblichen Körjtertlieilen und weib- lichen Kleidungsstücken die Rede.)

Danach zerfallen die Fetischisten io drei Gruppen.


a) Der Fetisch ist ein Theil des weiblichen Körpers.

Wie es innerhalb des physiologischen Fetischismus besonders das Auge, die Hand, der Fuss und das Haar des Weibes sind, welche be- sonders häufig zum Fetisch werden, so sind es auch hier, auf patho- logischem Gebiete, meistens dieselben Körpertheile, welche alleiniger Gegenstand des sexuellen Interesses geworden sind. Die ausschliessliche Concentration des Interesses auf diese Theile, neben denen alles Andere am Weibe verblassen und der sonstige sexuelle Werth des Weibes auf Null sinken kann, so dass statt des Coitus seltsame Manipulationen am Fetisch-Gegenstande zum Ziele der Begierde werden — das ist es, was eben diese Fälle zu pathologischen macht.

Beobachtung 72. (Binet op. cit.) X., 34 Jahre alt, Gymnasial- lehrer, bat in der Kindheit an Convulsionen gelitten. Mit 10 Jahren begann er zu ouaiiiren, unter wollüstigen EmpGnduagen, die sich an sehr soodorbare Vorstellungen knüpften. Er schwärmte eigentlich für die Augen des Weibes; da er aber durchaus sich auf irgend eine Art den Coitus vorstellen wollte und in sexuaLibus gänzlich unwis.send war, so kam er auf die Idee, um sich so wenig wie möglich von den Augen im entfernen, den Sitz der weiblichen Geschlechtsorgane in die Nasenlöcher zu verlegen. Um diese Vorstellung dreht sich von jetzt ah seine sehr lebhafte sexuelle Begierde. Er entwirft Zeich- nungen, welche correcte griechische Profile von Frauenköpfen darstellen, aber mit so weiten Nasenlüchern, dass die Immissio penis möglich wird.

Eines Tages sieht er im Omnibus ein Mttdchen, in welchem er sein Ideal zu erkeuuen glaubt. Er verfolgt eK in dessen Wuhnung, bült augen- blicklich um dessen Hand an. Hinausgewiesen , dringt er immer wieder ein, bis er verhaftet wird.

X. bat niemals geschlechtlichen Umgang gehabt.

Sehr zahlreich sind die Handf etischisten. Noch nicht eigentlich pathologisch ist der folgende Fall. £r möge als ein Uebergangsfall hier Platz finden.


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Fetücbismns.



Beobachtung 73. B., aus nenropathiscber Familie, sehr sinnlich, geistig intakt, geräth l>eini Anblick eioer jungen scfauueo Douienhand jeweiU in Entzücken und verypört sflxnelle Erregung hiß zur Erection. Kössen und Drücken der Hand ist ihm Seligkeit. Solange ^ie mit dem Handschuh bedeckt ist, i^hlt er nich unglücklich. Unter dem Vorwand, wahrzusagen, sucht er in den Besitz solcher Hände zu gelangen. Der Fuss ist ihm gleicbgültig. Sind die BchOiieu Hönde mit Ringen geziert, so erhöht dies seine Lust. Nur die leitende, nicht die nachgebildete Hand macht ihm diese wollüstige Erregung. Nnr wenn er durch häufigen Coitus seraell erschüpft ist. verliert die Hand ihren sexuellen Reiz. Anfangs störte ihn das Erinnerungsbild von weibUcben Hftnden selbst in der Arbeit. (Binet op. cit.)

Binet berichtet, dass solche Falle von Schwärmerei für die Hand des Weibes zahlreich sind.

Erinnern wir uns an dieser Stelle, dass nach Beob. 23 ein Mann sich aus sadistischen Regungen, nach Beob. 44 aus masoch istischen für die Hand des Weibes begeistern kann. Solche Fälle sind also mehrdeutig.

Damit soll aber durchaus nicht gesagt sein, dass sämmtliche oder nur die meisten Fälle von Handfetischismus eine sadistische oder maso- chistische Erklärung zulassen oder ihrer bedürfen.

Der folgende, ausführlich beobachtete, interessante Fall lehrt, dass. trotzdem anfänglich ein sadistisches oder masochistisches Element mit im Spiele zu sein scheint — zur Zeit der Reife des Individuums und der Ausbildung der Perversion, diese von dergleichen Elementen nichts enthalt. Diese könnten allerdings im Laufe der Zeit wieder weggefallen sein: aber die Annahme der Entstehung des Fetischismus aus einer zufälligen As- sociation genügt hier vollkommen.

Beubachtang 74. Fall von Handfetischismus, mitgetheilt von Albert Moll. P. L, 28 Jahr, Kaufmann in Westfalen.

Abgesehen davon, dass der V'ater des Patienten ein auffallend miss- gestimmter und etwas heftiger Mann ist, lässt sich in der Familie nichts erb- lich Belastendes nachweisen.

Patient war in der Schule nicht sehr fleissig; er war niemals im Stande, seine Aufmerksamkeit lungere Zeit auf einen Gegenstand zu concentriren ; hin- gegen hatte er von Kindheit an grosse Neigung zur Musik. Sein Temperament war von jeher etwas nervös.

Er kam im August 1890 zu mir und klagte über Kopf und Unterleibs- schmerzen, die einen durchaus neurastheniscben Eindruck machten. Patient gibt ferner an, dass er Behr energielos sei.

Ueber sein sexuelles Leben macht Patient erst auf genaue dahin zielende Fragen folgende Angaben. Die ersten Anfänge geschlechtlicher Erregungen stellten sich bei ihm, soweit ihm in Erinnerung ist, bereits im 7. Lebensjahre ein. Si pueri eiusdem fere aetatis mingentis membrum ad- spexit, valde libidinibus excitatus est. L. behauptet mit Sicherheit, dass diese Aufregung mit deutlichen Erectionen verbunden war. Verführt durch einen anderen Knaben, wurde L. im AJter von 7 oder 8 Jahren zur Onanie veran- lasst. «Als sehr leicht erregbare Natur,' sagt L., ,gab ich mich sehr häufig der Onanie bis zum 18. Lebensjahre hin, ohne dass mir über die schädlichen Folgen oder überhaupt über die Bedeutung des Vorganges eine klare Vor- stellung gekommen wäre.* Besonders Hebte er es, cum nonnullis commilitoni-


Handfetifichismtis.


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I


bns mntuatn masturbntionem troctare, keineswegs aber war es ihm gleichgültig, wer der andere Knabe war, vielmehr konnten ihm nur wenige Altersgenossen nach dieser Richtung hin genügen. Auf die Frage, was ihn besonders ver- anlasste, diesen oder jenen Knaben vorzuziehen, antwortete L. , dass ihn bei seinen Schulkameraden besonders eine weisse, schön geformte Hand ver- lockte, mit ihnen gegenseitige Masturbation zutreiben. L. erinnert sich ferner daran, dass er hUufig beim Beginn der Turnstunde sich ganz allein auf einem entfernt btehendeii Barren mit Turnen besch&fligte ; er that dieb in der Ab- sicht, ut quam maxime excitaretur idque tantopere assecutns est, ut raembro manu non tacto, sine ejaculatione — puerili aetate erat, — volnptatem clare senserit. Interessant ist noch ein Vorgang, dessen sich der Patient aus seiner ftüheren Lebenszeit erinnert. Der eine Lieblingskamerad N. , mit dem L. mutuelle Masturbation trieb, machte ihm eines Tages folgenden Vorschlag: nt L. membrum N . . i apprehendere conaretur, er. N., wolle sich möglichst sträuben und den L. daran zu verhindern suchen. L. ging auf den Vorschlag ein. Es war somit die Onanie direct mit einem Kampfe der beiden Betheiligten verbunden, wobei N. stets besiegt wurde 0-

Der Kampf endete nämlich regelmässig damit, ut N. tandem coactus sit membrum maslurbari, L. versichert mir, dass diese Art der Masturbation ihm sowohl, wie dem N,, ein ganz besonders grosses V"ergnügen hereitet hUtte. La dieser Weise setzte nun L. bis zum 18. Lebensjahre sehr oft die Onanie fort. Von einem Freunde belehrt, bemühte er sich nun, mit allem Aufwand von Energie gegen seine üble Angewohnheit anzukämpfen. Es gelang ihm dies auch nach und nach immer mehr, bis er endlich, nach Ausilibrung des ersten Coiius, gänzlich von der Onanie abstand. Dies geschah aber erst im Alter von 21 i Jahren. Unbegreiflich erscheint es jetzt dem Patienten, und es erfüllt ihn angeblich mit Ekel, dass er jemals daran Gefallen finden konnte, mit Knaben Onanie zu treiben. Keine Macht könnte ihn heute dazu bringen, eines anderen Mannes Glied zu berühren, dessen Anblick ihm schon unan- genehm ist. Es bat sich jede Neigung zu Männern verloren und Patient fühlt sich durchaus zum Weibe hingezogen.

Es sei aber erwähnt, dass, trotzdem L. entschiedene Neigung zum Weibe hat, doch eine abnorme Erscheinung bei ihm l^esteht.

Was ihn nämlich bei dem weiblichen Geschleehte wesentlich aufregt, \si der Anblick einer schönen Hand; bei weitem mehr reizt es den L., wenn er eine weibliche schöne Hand berührt, quam si eandaro feminam plane nudatam adspiceret.

Wie weit die Vorliebe des L. für die schöne Hand eines weiblichen Wesens geht, erhellt aus folgendem Vorgang.

L. kannte eine schöne junge Dame, der alle Heize zur Verfügung standen; aber ihre Hand war ziemlich gross und hatte keine schöne Form, war viel- leicht auch manchmal nicht so rein, wie L. beanspruchte. Es war dem L. infolgedessen nicht nur unmöglich, ein tieferes Interesse für die Dame zu fassen f sondern er war nicht einmal im Stande, die Dame zu berühren. L. meint, dass es im Allgemeinen nichts Ekelhafteres für ihn gebe, als unsaubere Fingernägel; diese allein machten es ihm unniOglich. eine sonst noch so schöne Dame zu berühren. Uebrigens hat L. häufig den Coitns in früheren Jahren dadurch ersetzt, ut puellam usque ad eiaculationem effectam membrum suum manu tractare iusserit.

Auf die Frage, was ihn an der Hand des Weibes besonders anziehe, insbesondere, ob er in ihr das Symbol der Macht sehe, und ob es ihm Genoss bereite, von dem Weibe eine directe Demüthigung zu erfahren, antwortete Patient, dub8 nur die sch5ne Form der Hand ihn reize, dass von einem Weibe gedemüthigt zu sein, ihm keinerlei Befriedigung gewähre und dass


') Also eine Art von rudiment^em Sadiarons bei L. und Maeochiiimufi bei N.l


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FetischUmus.


ihm noch niemals ein Gedanke daran gekommen sei, in der Hand das Symbol oder das Werkzeug der Macht des Weibes zu finden. Die Vorliebe für die Hand defi Weibes ist auch heute noch so gross, ut majore voluptate afßciatur si manus feminae membrum tractat quam coitu in Taginam. Dennoch möchte Patient diesen lieber ausfuhren, weil er ihm als die natürliche, das erstere aber als eine krankhafte Neigung erscheint. Die Berührung seines Körpers durch eine schöne weibliche Hand verursacht dem Patienten sofort Erection; er meint, dass Küssen und andere Berührungen hei weitem nicht so starken EinÖuss ausüben.

Patient hat nur in den letzten Jahren Öfter den Coitos ausgeführt, aber es fiel ihm jedesmal der Kntschluss dazu ausserordentlich schwer.

Auch fand er in dem Coitus nicht die volle Befriedigung, die er sachte. Wenn sich aber L. in der Nahe eines weiblichen Wesens befindet, das er gern besitzen mOchte, so erhöht sich in blossem Ansehen der Betreffenden zuweilen die sexuelle Aufregung desL. bis zu dem Grade, dass Ejaculation erfolgt. L. ver- sichert ausdrücklich, dass er hierbei absichtlich sein Glied nicht berühre oder drücke; die unter solchen umständen erfolgende Spermaentleerung gewährt dem L. einen bei weitem grösseren Genuss, als der wirklich vollzogene Bei- schlaf M.

Die Träume des Patienten L., auf den ich zurückkomme, betreffen nie- mals den Beischitif. Wenn er des Nachts Pollutionen hat, so kommen sie fast stets in Verbindung mit ganz anderen Gedanken vor, als dies bei normalen Männern der Fall ist. Die betreffenden Trilume des Patienten sind Becapitu- lationen aus, seiner Schulzeit. In dieser hatte niimlich Patient, abgesehen von der oben erwähnten mutuellen Onanie, auch dann Samenerguss, wenn ihn eine grosse Aengstlichkeit überfiel.

Wenn z. B. der Lehrer ein Extemporale dictirte und L. beim Ueber- setzen nicht zu folgen vermochte, so trat üfter Ejuculation ein"). Die jetzigen in der Nacht zeitweise auftretenden Pollutionen sind stets nur von Träumen begleitet, die den gleichen oder verwandten Inhalt haben, wie die eben er- wäinten Vorgänge auf der Schale.

Patient hält sich in Folge seines unnatürlichen Fühlens und Empfindens für unfUhig, ein Weib dauernd zu lieben.

Eine Behandlung der sexuellen Perversion des Patienten konnte bisher nicht stattfinden.

Dieser Fall von Handfotiscbiamus beruht sicher nicht auf Masochismus oder Sadismus, sondern erklürt sich einfach aus früh getriebener mutueller Onanie. Ebensowenig liegt hier conträre Sex ualemp find uag vor. Bevor der Sexualtrieb sich eines Objektes klar bewusst wurde, ward hier die Hand des Mitschülers benutzt. Sobald der Trieb zum anderen Geschlechte


') Also hochgradige sexuelle Hyperästhesie. Vgl.'foben Anm. zu p. 46.

^ Auch dies ist sexuelle Hyperästhesie. Jede beliebige starke Krregung ver- setzt die sexuelle Sphäre in Aufruhr (Binct'a .dynamog^nie genärale"). Dr. Moll tbeilt diesbezüglich noch folgenden Fall mit:

,Ein ähnlicher Vorgang wird mir von einem 27jäiin>ren Herrn E. milgetheilt. Derselbe, ein Kaufmann, hatte oft in der Schule und auch ausserhalb derselben dann Samenerguss mit Wollustgefühl, wenn ein starkes Angstgefühl sich seiner bemäch- tigte. Ausserdem aber Übte fast jeder sowohl körperliche wie seelische Schmeras einen ähnlichen Eitifiuss aus. Der Patient K. hat angeblich normalen Geschlechts- trieb, leidet aber an nervöser Impotenz.


FuBsfeliflchiamUB.


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I


deutlich wird, erscheint das Interesse fUr die Hand auf die des Weibes übertragen.

Es mögen so bei Handfetischisten, die nach Binet ja so zahlreich sind, noch andere Aasociatiouen zum gleichen Resultat führen.

An die Handfetischisten würden sich naturgemäss die Fusafeti- schisten anreihen. Während aber an die Stelle des Flandfetischismus nur selten der zur folgenden Gruppe des Gegenstandsfetischismus gehörige Handschuhfetischismus tritt, finden wir statt der seltenen Schwärmerei für den nackten Fuss den weitverbreiteten, in unzähligen Fällen vorkommenden Schuh- und Stiefelfetischismus. Der Grund hierfür ist leicht einzusehen. Die Hand des Weibes wird vom Knaben meist entblösst gesehen, der Fuss bekleidet '). So knüpfen sich die frühen Associationen, welche bei Fetischisten die Richtung der Vita sexualis determiniren, naturgemäss an die nackte Hand, aber an den bekleideten Fuss. Diese Annahme ist jedenfalls richtig bezüglich der in der Stadt Aufwachsenden und erklärt ohne Weiteres die Seltenheit de.s Fussfetischismus ^), hinsichtlich dessen ich nur über folgende Falle verfüge.

Beobachtung 75. Fussfetiachismus. Erworben e conträre Sexualempfindung. Herr X., Beamter, 29 Jahre, stammt von neuro- pathischer Mutter und diabetischem Vater.

Er ist geistig gut veranlagt, von nervüsem Temperament « hat keine Nervenkrankheiten durchgemacht, bietet keine Degenerationszeichen. Patient erinnert sich bestimmt, dass er schon mit Jahren, wenn er blossfüssiger Frauenzimmer ansichtig wurde, dadurch sexuell erregt wurde und den Drang in sich verspürte, ihnen nachzulaufen oder bei der Arbeit zuzusehen.

Mit 14 Jahren schlich er einmal Nachts in das Zimmer der schlafenden Schwester, fasste und küsste ihren Fuss. Schon mit 8 Jahren gelangte er ganz spontan zur Masturbation, wobei nackte WeiberfÜsse seiner Phantasie vor- schwebten.

Mit 16 Jahren nahm er öfter Sclmhe und Strümpfe von weiblichen Dienstboten in sein Bett , regte sich , mit ihnen monipnlirend , dabei sinnlich auf und masturbirte.

Mit 18 Jahren begann der libidinöse X. sexuellen Verkehr mit Personen des anderen Geschlechtes. Er war vollkommen potent, vom Coitus befriedigt und sein Fetisch spielte bei diesem sexuellen Verkehr keine Rolle. Für männ- liche Personen empfand er nicht die geringste gescblcchtliihe Neigung, auch interessirten ihn Milnnerfüssc in keiner Weise.

Vom 24. Jahre ab vollzog sich eine Aenderung in seinem sexuellen Fühlen und in seinem Befinden.

Patient wurde neurasthenisch und begann sexuelle Neigung zum Manne zu empßnden. Das vermittelnde Moment fUr die Entstehung der Neurose und der conträren Sexualempfindung war offenbar excessive Masturbation, zu der er sich theils aus durch Coitus nicht immer befriedigbarer Libido nimia, theils durch den znftllligen oder auch aufgesuchten Anblick von WeiherfÜssen veranlasst fühlte.


^) Äbgeiehen von dessen Auftreten bei larrirtem Masochisnias in Geatalt von Koprolagnio, wobei aber nicht der rein gewaschene Vxxba, sondern dessen Gcgentheil wesentlich den fetiflchisiischen Heiz z\i bringen scheint. Vgl. ßeob. 67.


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Fetischismos.



Mit Kunebmender NearBBthenie < zunächst sexaalis) stellte sieb ein rapider Rückgang seiner Libido, Potenz und Befriedigiing gegenüber weiblicben Indi* vidaen ein. Gletcbzeitig entwickelte sieb Neigung /um eigenen Geschlecht und ancb sein Fetischismus äbertrug sich auf dieses.

Er übte vom 25. Jahre ab Coitus cum muHere nur mehr selten and ohne rechte Befriedigung, auch interessirte ihn der Fuss des Weibes fast gar nicht mehr. Immer mächtiger wurde sein Drang, mit Männern sexuell zu verkehren. In eine Grossstadt mit 26 Jahren versetzt, fand er die erwünschte Gelegenheit und ergab sich nun mit wahrer Leidenschaft mannmilnnlicher Liebe. Viros masturbare, penem eorum in os recipere et pedes sociomm os- culari solelmt.

Er ejaeolirta bei solchen Praktiken mit grösstem Genuss. Allmählig ffenügte schon der Anblick eines sympathischen, besonders eines barfüssigea Mannes dazu.

Auch seine nächtlichen Pollutionen hatten nur mehr mannmannlichen Verkehr zum Gegenstand, und zwar in fetischistischem Sinne (Füsse).

Für Schuhwerk interessirte er sich nicht. Nur der unbekleidete Fuss hatte für ihn Reiz. Er fühlte oft den Drang, Männern auf der Strasse nach- zugeben, in der Hoffnung, Gelegenheit zu finden, ihnen den Schub ausziehen zu k^jnnen. Ein Surrogat tlir ihn war es, selbst barfuss zu gehen. Zeitweise befiel ihn ein förmlicher Zwang, unter WoUustschander auf die Strasse bar- fuss hinabzugehen. Versuchte er Widerstand zu leisten, so befielen ihn Angst^ Herzklopfen, Zittern. Wiederholt sah er sich gezwungen, jeder Gefahr und unliebsamer Consequenz nicht achtend, stundenlang Nachts, selbst bei Kejgen- wetter, seinem Drang zu fröbnen.

Er hielt dabei ueine Schuhe in der Hand, war sexuell bischst erregt und fand Befriedigung durch spontane oder auch provocirte Ejaculation. Er be- neidete TagbJhner und andere Leute, die barfüssig geben konnten, ohne auf- zufallen.

Seine glücklichste Zeit war der Aufenthalt in einer Wasserheilanstalt Äla Kneipp, wo sowohl er, als die anderen Herren curgemäss barfüssig gehen durften.

Durch eine Ärgerliche Chantageaffaire, die sich X. in seinem mannm&nn* liehen Verkehr auf den Hals geladen hatte, wurde er ernüchtert, sah sieb nach Rettung aus seiner schiefen sexualen Existenz um^ entdeckte sich einem Arzte, der ihn an mich wies.

Patient that sein Möglichstes, um sich der Masturbation und des Ver- kehres mit Mannern zu enthalten, liess in einer Wasserheilanstalt seine Neur- asthenie bebandeln, gewann einiges Interesse für das Genus femininum wieder, wobei sein Fussfetischiaraus eine Brücke bot, coit.irte einmal mit einigem Ge- nuss mit einer barfüssigen Dorfschönen, die er seinen Wünschen gefugig fand, später noch einigeraale mit Puellis ohne Befriediguug , wandte sich wieder Personen des eigenen Geschlechtes zu, wurde gänzlich rückfällig, unwider- stehlich angezogen durch barfüssige Landstreicher, Feldurbeiter , die er be- schenkte, damit er nur ihre Fttsse küssen durfte. Ein Versuch, durch Suggestiv- bebandlung den Unglücklichen auf natürliche Bahnen zu lenken, scheiterte an der Unmöglichkeit, über ein leichtes und therapeutisch werthloses Engour- dissement hinaus zu gelangen.


%


« 


Epikrise: Originftrer Fussfetischismus. Erworbene contrllre Sexual- empfindung, mit üebertragung des fetischistischen Vorstellungskreises in die Homosexualität.


Beobachtung 76, Fussfetischi smus bei dauernder Hetero- Sexualität. Herr Y., 50 Jahre, ledig, den höheren Stunden angehörig, con- sultirte den Arzt wegen , nervöser" Beschwerden. Er ist belastet, von Kindes-


FtusfetisdüsDiDs.


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I I


an nervös, sebr empfiadlich gegen Kulte und Wärme, seit J&hrt^n von Zvnmgsvorstellangen {geplagt, die den Charakter eines eorrigirten und vorüber- gehenden Verfolgxingswahnes haben. Wenn er z. B. an einer Wirthstafel sitzt, kommt es ihm vor, als w&ren Aller Augen auf ihn gerichtet und alle An- wesenden flüsterten und spotteten Über ihn.

Sobald er aufgestanden ist, ist dieses Gefühl vorbei und glaubt er nicht mehr an seine vermeintlichen Wahrnehmungen.

Er fühlt sich nirgends auf die Dauer wohl und zieht deshalb von einem Orte zum anderen. Gelegentlich passirte es ihm, dass er in einem Gasthof Zimmer bestellt hatte und nicht hinkonnte, weil bezügliche Zveangsvoi*stellungen ihn daran hinderten.

Die Libido dieses Mannes war nie gross. Er empfand nie anders als heterosexual. Seine einzige Befriedigung war angeblich normaler (seltener) Ooitus.

Y. gestand dem Arzt, dass er in seinem Sexualleben von Jugend auf sehr eigenihümlich sei. Weder durch Frauen, noch durch Männer werde er geechlechtlich gereizt, sondern ausschliesslich durch das Sehen von nackten Füssen weiblicher Individuen, gleichgültig ob es Kinder oder Erwachsene sind. Alle übrigen Körpertheile von Frauen lassen ihn vollstUndig kalt.

Hat er Gelegenheit, die nackten Füsse von Personen, die sich ,im Lande** herumtreiben, zu sehen, so kann er stundenlang stehen um sie zu betrachten, and empfindet dabei den ,, fürchterlichen* Trieb, terere genitalia propria ad pedes illarum. Bis jetzt ist es ihm gelangen, sich nicht zur Befriedigung dieses Dranges hinreissen zu lassen.

Was ihn am meisten ärgert, ist der Schmutz, mit welchem gewöhnlich die nackten Füsse der sich Tummelnden bedeckt sind. Er möchte sie gerne recht schön rein haben. Wie er zu diesem Fetischismus gelangt »ei, wusste er nicht anzugeben. (Aus einer Mittheilung von Professor Forel.j

Epikrise: Fall von Körpertheilfetischismus. Masocbistiscfae Beziehungen nicht nachweisbar. Wahrscheinlichkeit der Entstehung dieses Falles von Feti- scbisuius durch zufälliges Zusammentreffen einer sexuellen Erregung mit dem Anblick von nackten Füsson in der ersten Jugend.


Einen sehr prägnanten Fall von Fussfetischismus, meiner Beob. 75 sehr ähnlich, insofern der Betreifende bei festgehaltenem Fetisch horao- sexual wurde, hat Moll kürzlich in seinen Untersuchungen über Libido sexualis p. 288 mitgetheilt» auf den hier verwiesen sein möge. Der Schuhfetischismus fände seinen Platz glelchfaUs in der folgenden Gruppe der Kleidungsfetischisten; er ist aber seines in der Mehrzahl der Fälle nachweisbar masochistischen Charakters wegen grösstentheils bereits oben (p. 108 u. ff.) dargestellt worden.

Neben Äuge, Hand und Fuss spielen auch oftMund und Ohr die Rollo des Fetisch. Solche Fälle erwähnt u. Ä. Moll op, cit. (Vgl. auch Belot's Roman: La bouche de Madame X., der nach B.'s Angabe auf einer directen Beobachtung beruht.)

Aus meiner eigenen Beobachtung stammt der folgende merk- würdige Fall.

Beobachtung 77. Ein sehr belasteter Herr consultirte mich wegen ihn fast zar Verzweiflung treibender Lupotenz.


IM

Ua Filiack wara», k> Uo^e «r Jon ggM eUe war. Weib«r tca ^v^ Wotmm, Kr baintbct« ein« Dame von eotsprecheodcr CompUzm, vtf bü Qn-' fUtt potost und g!(kcklich. Nach eiiiig«ii Mooateo erkrmDkto & Dui ■ebirvr md maf(«lfl lUrk ab. Ab er einei Tmgm wieder seüiar iIwUb Pfiefci Baeblu>flim«n woUU, war er gftnKÜch impotent and bli^ et. T«ndii «r da g>gw> Ooitea mit fippig«n Weibern, so ir&r er rOUig poteot.

8«lbrt KArpcrfeUer k5unen zum Fetisch werden.

B«6bftehtnnf( 78. X., 28 Jahre, stammt an« schwer bAlast«ier PaoüliL Rr uK D«<ir««tht;niK!h, klagt Qber mangelndes Selbstrertranen und hftrfp V«rttinBrang mit Anwaodlaogeo za Saicidinm , deren sidi zu erwdutA v oft MlÜM häm. Bei ireringvttrr Widerwärtigkeit sei er gans fasmngslos nl verzweifelt PaUent i«t Inffenienr in einer Fabrik in Boagisch-Polen. wi krlftigem K(irperbaa. ohne Degenerationszeichen. Er klagt über eine sdten* «Vanie*. die ibn oft daran zweifeln lasAe, ob er denn ein geistig gssuds' MtinHch s«. Seit dem 17. Jahr werde er ausschliesslich sexuell erregt dank den Anblick TOB weiblichen Gebrechen, ganz speciell von Weibern, die kiskB und kramme Pftss* haben. Der arsprän glichen associativen Verknüpfang Libido mit derartigen weiblichen Schönheitsfehlem ist sich Patient in Weise bewusst.

Seit der Pubcrt&t sei er im Bann dieses ihm selbst peinlichen Fstisdhfr mns. Das normal« Weib habe für ihn nicht den geringsten Reiz, nur d» kmrame, hinkende, mit Gebrechen an den Füssen behaftete. Habe ein W«b ein solches Gebrechen, so Abs es aaf ihn einen mächtigen sinnlichen Böi, flleichgttltig ob dieses Weib schön oder hKsslich sei.

In PoUution!4trftumen schweben ihm an^sschliesslich solche hinkende France- gestalten vor. Ab und zu könne er dem Antrieb nicht widerstehen, ein solch» hinkendes Weib nachzuahmen. In dieser Situation bekomme er heftigen Orgifr mub und eine von lebhaftem Wollustgefühl begleitete Ejacnlation. Patient versichert .tehr libidinös zu sein und unter der Nichtbefriedigung seiner Triebe sehr zu leiden. Gleichwohl hal>e er erst mit 22 Jahren und seither nur etn» 5mal coitirt. Er habe dabei, trotz. Potenz, nicht die geringste Befriedigung empfunden. W^enn er das Glück hätte, einmal mit einem hinkenden Frauei^ zimraer zu coitiren, würde dies gewiss anders sein. Jedenfalls könnte er nur entächliessen, eine Hinkende zu heirathen.

Seit dem 20. Jahr bietet Patient auch Kleidungsfetischismus. Es ge- nügt, ihm oft, weibliche Strümpfe, Schuhe, Hosen anzuziehen. Er kaufe sich ab und zu derlei Kleidungsstücke, ziehe sie heimlich an, werde davon wollüstig erregt und bekomme Ejaculation. Von Weibern bereits getragene Kleidung^ stÜCKe haben iilr ihn nicht den geringsten Reiz. Am liebsten würde er ^H lässlich sinnlicher Erregungen Weiberkleider anziehen, aber er hat dies d^ Furcht vor Entdeckung noch nicht zu thun gewagt.

Seine Vita sexualis beschrankt sich auf die erwähnten Praktiken. Patient versichert bestimmt und glauljhaft, dass er nie der Masturbation ergeben w*r. In neuerer Zeit ist er, unter Zunahme seiner neurasthenischen Beschwer sehr von Pollutionen geplagt.


uj^i



Beobachtung 79. Analoger Fall. Herr V., 30 Jahre, Bei stammt von sehr neuropathischen Eltern. Vom 7. Jahr ab war durch hindurch seine Gespielin ein gl eichal toriges hinkendes Mädchen.

Vom 12. Jahr ab gelangte der jedenfalls nervöse und hyperseiual ver- anlagte Knabe ohne Verflihning zur Masturbation. Um dieselbe Zeit erfolgte die Pubertätsentwicklung und es ist wohl zweifellos, dass die ersten sexuellen Regungen des V. dem anderen Geschlecht gegenül>er mit dem Anblick des hinkenden Mädchens zusammenfielen.


HautfetiBchiBmus.


155




Von nun ab erregtea seine Sinnlichkeit nur tunkende Frauenzimmer. nn Fetisch wurde eine hübsche Dame, die (gleich wie die Jugendgespielin) mit dem Unken Fusse hinkt.

Der ausschliesslich heteroseiuale und dabei abnorm sexuell bedürftige V. versuchte früh mit dem anderen Geschlecht in Relation zu treten, war aber absolut impotent nicht hinkenden Weibern gegenüber. Am grossten war seine Potenz und Befriedigung, wenn die PueUa mit dem linken Fus*» hinkte, doch verkehrte er auch erfolgreich mit rechts Hinkenden. Da er nur ausnahmsweise seinem Fetischismus gemäss coitiren konnte, half er sich mit Masturbation, die ihm aber als elendes Surrogat und ekelhaft erschien. Ueber seine sexuelle Situation war er oft sehr unglücklich und dem Suicidium nahe, von dem ihn nur die Rücksicht auf seine Eltern abhielt.

Sein moralisches Leiden gipfelte darin . dass er sich als Ziel seiner Wünsche die Ehe mit einer s^Tupathischen hinkenden Dame dachte, aber er fühlte, dass er an einer solchen Gattin nur das Hinkon, nicht die Seele lieben könnte, was er als eine Profanation der Ehe, als eine unerträgliche, unwür- dige Existenz empfand. Oft hatte er schon deswegen an Resignation und Castratiü gedacht.

Die Untersuchung des V., als er sich um Hülfe an mich wandte, ergab ein völlig negatives Resultat hinsichtlich Degenerationszeichen, Nervenkrank- heit u. s. w.

Ich klärte Patient darüber auf, dass es ärztlicher Kunst schwer, wenn nicht unmöglich sein werde, einen durch so festgefügte Associationen begrün- deten Fetischismus zu zerstören und sprach die Hoffnung aus. dass er, indem er ein hinkendes Mädchen durch Ehe glücklich mache, selbst glücklich wer- den möge.

Ein Beispiel ist ferner : Descartes, welcher (Traite des Passions CXXXVI) selbst Betrachtungen über das Entstehen seltsamer Neigungen aus Ideen- Associationen anstellte. Er fand stets Geschmack an schielenden Frauen, weil der Gegenstand seiner ersten Liebe diesen Fehler hatte (Bin et op. cit.).

Lydston (A Lecture on sexual perversion, Chicago 1890) berichtet den Fall eines Mannes, der ein Liebesverhältniss mit einem Weibe unterhielt, dem ein Unterschenkel ampntirt worden war. Nach der Trennung von dieser Person suchte er begierig nach anderen Weibern mit dem gleichen Defect. — Ein negativer Fetisch I

Eine gunz eigenthüinliche Varietät von Körperthoilfetischisraus stellt der folgende, stark mit sadistischen Elementen coraplicirte Fall dar, in welchem die feine weisse jungfräuliche Haut Fetisch ist und der Sadismus zu dem Coitus äquivalenten wollüstig grausamen Akten, bis zur Anthropophagie (vgl. p. 50 — C3) treibt, für die der schwer degenerative und wohl epileptische Kranke durch Äutomutilation und Äutophagie sich ein Surrogat schafft.

Beobachtung 80. L. , Taglöhner, wurde verhaftet, weil er in einer öffentlichen Anlage sich ein grosses Stück Haut vom linken Vorderarm mit einer Scheere abschnitt.

Er gesteht, dass er seit langer Zeit den Drang habe, ein Stück von der feinen weissen Haut eines jungen Mädchens zu essen, dass er zu diesem Zweck mit dazu bereit gehaltener Scheere ein solches Opfer verfolgt habe, aber bei der Aussichtslosigkeit dieses Vorhabens, davon abgestanden sei und als Ersatz sich selbst geschnitten habe!

L. stammt von epileptischem Vater. Eine Schwester ist geistesschwach.


156


FetiecbiBXDtis.


L. bat bis zum 17. Jahr an Enure.sis nocturna gelitten, war allgemein gefürchtet wegen seines rohen, reizbaren Wesens, aus der Schule wegen seiner ündisciplinirbnrkeit and Busartigkeit weggeschickt worden.

Sehr früh ergab er sich der Onanie. Er las mit Vorliehe fromme Bücher, bot Züge von Aberglauben , Hang zum Mystischen und auffUllige Devotion in seinem Charakter.

Im 13. Jahr regte sitth beim Anblick junger hübscher Mädchen mit weisser feiner Haut der wollüstig betonte Drang, einem solchen Mädchen ein Stück Haut herauszubeissen und dasselbe zu verzehren. Dieser Drang be- herrschte sein ganzes Dichten und Trachten. Sonst reizte ihn am Weibe nichts. Er trug nie Verlangen, irgendwie mit einem solchen sexuell zu verkehren und machte nie einen bezüglichen Versuch.

Da er leichter mit Scheeren zum Ziel zu gelangen hoffte, als mit den Zahnen , hatte er seit Jahren immer Scheeren bei sich. Wiederholt war er nahe daran, sein abnormes Gelüste zu befriedigen. Seit einem Jahr, kaum mehr ßlhig. dessen Nich tbefriedigung zu ertragen, war er auf ein Surrogat verfallen, indem er jeweils nach fruchtloser Verfolgung eines Mildchens sich selbst an Armen, Schenkeln oder Bauch ein Stück Haut abschnitt und ver- zehrte. Unter Zuhülfe nähme der Phantasievorstellung, es sei Haut von jenem verfolgten Mädchen, gelangte er während des Ver- zehrens des Stückes der eigenen Haut zu Orgasmus und Ejaculation.

Am KOrper des L. finden sich zahlreiche, zum TheÜ ausgedehnte und tiefgehende Wunden oder Narben in der Haut.

Wfihrend seiner Selbstverstümmelun>;en und lange Zeit darnach hatte er heftige Schmerzen, aber sie wurden übercompensirt durch die Wollust, welche er beim Geniessen der Hautstücke empfand, namentlich wenn es recht blutete und ihm die Illusion, es sei Cutis virginis, einigcrmassen gelang. Schon der Anblick von Messer und Scheere genügt ihm, um seinen perversen Drang hervorzurufen. Er bekommt dann einen eigenthümlicben Zustand von Angst mit Schweissausbruch, Schwindel, Herzklopfen, Gier nach Cutis feminae, muss ihm sympathischen Frauenzimmern, die Scheere in der Hand, nachgehen, ver- liert aber nicht das Hewusst^ein und einen Itest von Selbstcontrole, indem er auf der Höhe der Krise von sich selbst nimmt, was ihm am Körper eines Mädchens versagt bleibt. Während dieser ganzen Krise besteht Erection und Orgasmus; im Moment, wo er s^ine Haut zwischen den Zähnen kaut, tritt die Ejaculation ein. Darnach fühlt er grosse Befriedigung und Erleichterung, Seine Genitalion sind normal.

L. ist sich des Pathologischen seines Zustands vollkommen bewnsst. Selbstverständlich kam dieser gemeingeßlhrliche Degenerirte in eine Irren- anstalt. Dort machte er einen Selbstmordversuch. (Magnan, Psychiatrische Vorlesungen, deutsch v. Möbius Heft IV. V. p. 49.)

Eine interessante Categorie stellen die Hatirfotischistcn dar. Der Üebergang vom Bewunderer des Frauenhaares in noch physiologischer Breite zum pathologischen Fetischismus ist hier ein flieasender. Als An- fangsgUed der pathologischen Reihe erscheinen Fälle, wo nur das Haar des Weibes sinnlichen Eindruck macht und zu Cohiibitation anregt, des Weiteren solche, wo Potenz nur einem Weibe gegenüber besteht, das im Besitz des individuellen Fetischzaubera sich befindet. Möglicherweise sind bei diesem Haarfetischismus verschiedene Sinne (Auge, Geruch, Gehör wegen des knisternden Geräusches, jedenfalls auch Tastsinn, ganz analog wie bei Sammt- und Seidefetischisten s. u.) betheiligt, indem sie wollüstig betonte Erregungen empfangen.


^


Den Schluss der Reihe würden solche Degenerirte bilden, denen dos Haar des Weibes^ selbst losgelöst von dessen Körper, also sozusagen nicht mehr Theil eines lebenden Körpers, Honderu blosser Stoff, selbst Waare, zur Erregung der Libido und zur Befriedigung via physischer oder

L psychischer Onanie, eventuell unter Berührung der Genitalia mit dem Fetisch, genügt. Ein interessantes Beispiel von einem wohl zur zweiten Categorie ge- hörenden Haarfetischisten hat Dr. Öemy unter dem Titel «Histoire des peruques aphrodisiaques" in ^La m^decine internationale* 1894^ September mitgetheilt. L Eine Dame erzählte Dr. Gemy , dass in der Brautnacht und der folgen- ftti Nacht ihr Gatte sieh damit begnügt hatte, sie zu küssen, in ihrem nicht reichlichen Haar zu wühlen und sich dann schlafen zu legen. In der dritten Nacht brachte Herr X. eine überaus reich mit langen Haaren geschmückte Perrücke zum Vorschein und bat seine Frau, dieselbe aufzusetzen. Kaum war dies geschehen, so holte der Mann reichlich die versUumt« eheliche Püioht nach. Am folgenden Morgen begann X. wiefler zärtlich zu werden, indem er zunächst

■ die Perrücke liebkoste. Kaum hatte Frau X. die Ihr lästig gewordene Per- rücke abgelegt, so hatte sie jeden Reiz für ihren Mann verloren. Frau X. erkannte nun. dass hier eine Marotte vorliege, fügte sich den Wünschen des von ihr geliebten Gatten, dessen Libido und wohl auch Potenz von der Per- rücke abhängig war. Auffallenderweise war eine solche immer nur 15 — 20 Tage ■wirksam. Dieselbe musste üppig an Haar sein, die Farbe war gleichgültig.

Das Facit dieser Ehe nach 5 Jahren waren 2 Kinder und eine Perrücken- sammlung von 72 Stück.

In den Fällen wo das Frauenhaar als blosser Stoff die Eigenschaften eines Fetisch besitzt« geschieht es nicht selten, dass solche Degenerirte sich unrechtmässig in den Besitz von Frauenhaar setzen. Sie repräsentiren die forensisch nicht unwichtige Gruppe der Zopfabschneider ^).

Beobachtnnflf 81. Ein Zopfabscbneider. P., 40 Jahre, Kunstschlosser,

ledig, stammt von einem Vater, der temporRr irrsinnig war, und von einer sehr nervösen Mutter. Er entwickelte sich gut, war intelligent, aber früh mit Tics und Zwangsvorstellungen behaftet gewesen. Er hatte nie masturbirt, liebte platonisch, trug sich öfters mit HeirathsplBnen , coitirte nur selten mit Preudenrattdchen , fühlte sich aber vom Verkehr mit solchen nie befriedigt, eher angewidert. Vor etwa 3 Jahren trafen ihn schwere SchicksalsschUge (finanzieller Ruin} und machte er überdies eine fieberhafte Krankheit mit Delir durch. Diese Umstände schädigten schwor das Centralnervonsystem des erblich Belasteten. Am Abend des 28. August 1889 wurde P. auf dem Tro- cadero in Paris in flagranti verhaftet, als er im Oedrilnge einem jungen Madchen den Zopf abgeschnitten hatte. Man verhaftete ihn mit dem Zopf


') Moll op. cit^ p. 131: »Ein Mann X. wird, sobaltl er ein weiblichea Wesen mit einem Zopf erblickt, sofort hochgradig eexaell erregt: oflVncs. noch so lohDneB Haar vermag diese Wirkung nicht zu erzielen."

Es ist Übrigens natürlich nicht gerechtfertigt, alte Zopfabscbneider für Feti- listen zu halten, da in selUueu Fällen derlei auch aus Gewinnsucht geschieht. der geraubte Zopf Waare. nicht Fetisch ist.


158


Fetischiimus.



In der Hand, eine Scheere in der Tasche. Er entschnldigte sich mit momen- taner Sinnesverwirrung, unseliger unbezwiugUcfaer Leidenschaft, gab zu, dass er schon lOmal ZGpfe abgeschnitten habe, die er daheim in wonnigem Ent- zücken verwahre.

Bei der Haussuchung fand man 65 Zöpfe und Haarflechten ^ ßortirt in Paketen vor. Schon am 15. December 1886 war P. unter ahnlichen um- ständen einmal verhaftet gewesen, aber wegen Mangel an Beweisen freigelassen worden.

P. gibt an, dass er seit 3 Jahren, wenn Abends allein im Zimmer, sich unwohl, Ängstlich, erregt und schwindlig fühlte und dann vom Drang heim- gesucht wurde, Frauenhaar zu betasten. Als er gelegentlich den Zopf eines jungen Mädchens wirklich in der Hand halten konnte, libidine valde excitatus est neqne amplius puella tocta, erectio et eiaculatio evenit. Heimgekehrt, schilmte er sich des Vorfalls, aber der Wunsch, Zöpfe zu besitzen, ungemein wollüstig betont, wurde immer mächtiger in ihm. £r wunderte sich sehr darüber, da er doch früher beim intimsten Verkehr mit Weibern nie etwas derart empfunden hatte. Eines Abends konnte er dem Drang nicht wider- stehen, einem Mädchen den Zopf abzuschneiden. Daheim, mit dem Zopf in der Hand, vriederholte sich der wollüstige Vorgang. Es zwang ihn . mit dem Zopf über seinen Körper zu fahren, seine Genitalien darein zu wickeln. End- lich ganz erschöpft , schämte er sich , getraute sich während einiger Tage gar nicht auszugehen. Nach Monaten der Ruhe trieb es ihn wieder. Frauenhaar.

f leichgültig wem gehörig, unter die Hände zu bekommen. Gelangte er zum iel , so fühlte er sich wie besessen von einer übernatürlichen Gewalt, ausser Stand, seine Beute loszulassen. Konnte er den Gegenstand seiner Begierde nicht erreichen, so wurde er tief verstimmt, eilte heim, wühlte dann in seiner CoUection von Zöpfen, kämmte, betastete sie. gerieth dabei in mächtigen Or- gasmus und befriedigte sich durch Masturbation. Zupfe in den Auslegekästen der Friseure Hessen ihn ganz kalt. Es mussten vom Kopf einer Frauensperson herabhängende Zöpfe sein.

Auf der Höhe seiner Zopfattentate will er jeweils in solcher Erregung gewesen sein, dass er nur unvollkommen Apperception und demgemäss Er- innerung hatte von dem, was um ihn her vorging. Sobald er mit der Scheere den Zopf berührte, kam es zur Erection und im Moment des Abscbneidens zur Ejaculation.

Seit seinen Schicksalsschlägen vor etwa 3 Jahren will er gedächtniss- schwach , geistig rasch erschöpft , von Schlaflosigkeit und nächtlichem Auf- schrecken heimgesucht sein. P. bereut tief seine Streiche.

Man fand bei ihm nicht bloss Zr»pfe vor, sondern auch eine Menge von Haarnadeln, Bänder und andere weibliche Toilettegegenstände, die er sich hatte schenken lassen. Er hatte von jeher eine wahre Manie gehabt, derlei zu sammeln, nicht minder Zeitungen, Holzstückchen und anderen ganz werth- losen Kram, von dem er nie hatte lassen wollen. Auch hatte er eine sonder- bare, ihm ganz unerklärliche Scheu, eine gewisse Strasse zu passiren ; macht«  er einmal den Versuch dazu, so wurde ihm ganz unwohl.

Das Gutachten erwies den Hereditarier, den zwangsmässigen. impulsiven, entschieden unfreien Charakter der inkriminirten Akte, welche die Bedeutung einer Zwangshandlung, hervorgerufen durch eine mit abnormen se.\ueUen Ge- fühlen übermächtig betonte ZwangsvorsteHung, haben. Freispruch. Irrenhaas. (Voisin, Socquet, Motet, Annales d'hygiöne, 1890, April,)

Im Anschluss an diesen Fall verdient auch der folgende, Ühnliche alle BeachtuDgt da er gut beobachtet^ geradezu klassisch zu nennen ist xind den Fetisch, sowie die ursprüngliche associative Weckung der be- züglichen Vorstellung in ein helles Licht stellt.



ZopffetiscUitmus.


159


I

I

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cbtang 82. Ein Zopfabscbneider. £.. 25 Jahre. Mutter- schwester epileptisch, Bruder litt an Convulsionen. E. will ala Kind gesund gewesen sein und ziemlich gut gelernt haben. Mit 15 Jahren empfand er zum ersten Mal beim Anblick eiuer sich kUmmenden Oorfsohönen ein wollüstiges Gefühl mit Erection. Bis dahin hatten Personen des anderen Geschlechts keinen Eindruck auf ihn gemacht. 2 Monate später, in Paris, erregte ihn jedesmal mächtig der AnbLick der über den Nacken herabflatternden Haare junger Mädchen. Eines Tages konnte er sich nicht enthalten, bei solcher Ge- legenheit den Zopf eines jungen Mädchens zwischen den Fingern zu drehen. Er wurde deshalb verhaftet und zu 3 Monaten verurtheilt.

Darauf diente er 5 Jahre als Soldat. Zöpfe waren ihm während dieser Zeit nicht gefährlich, aber auch wenig zugänglich, jedoch träumte ihm zu- weilen von Frauenköpfen mit Zopf oder aufgelöstem Haar. Gelegentlich Coitus mit Frauenzimmern, jedoch ohne dass deren Haar als Fetisch wirkte.

Wieder in Paris , träumt or in obiger Weise neuerlich und wird von Frauenhaar wieder sehr erregt.

Niemals träumt er von der ganzen Gestalt eines Weibes, nur von Köpfen mit Zöpfen.

Seine sexuelle Erregung durch solchen Fetisch war in letzter Zeit so mächtig geworden, dass er sich mit Masturbation half.

Die Idee. Frauenhaar zu betasten oder noch besser, Zöpfe zu besitzen, um während der Betastung masturbiren zu können, wurde immer mächtiger.

Wenn er Frauenhaar unter den Fingern hatte, kam es neuerlich zur Ejaculation. Eines Tages war es ihm gelungen , bereits 3 Zöpfe von kleinen Mädchen auf der Strasse, etwa 25 cm lang abzuschneiden und in seinen Besitz zu bringen , als er beim Versuch an einem vierten verhaftet wurde. Tiefe Beue und Scham. Keine Verurtheilung. Seit geraumer Zeit in der Irren- anstalt, ist er so weit gekommen, dass ihn die Zöpfe der Weiber nicht mehr aufregen. Frei^felftssen, gedenkt er in seine Heimath zu gehen, wo die Weiber ihr Haar aufgebunden zu tragen pflegen. (Magnan, Archives de Tanthropo- logie criminelle, 5. Bd., Nr. 28.)

Ein dritter Fall ist der folgende, der ebenfalls geeignet ist, das Psychopathische solcher P]r8cheinungen zu illustriren, und an welchem namentlich der merkwürdig vermittelte Ausgang in Heilung beachtens- werth ist.

Beobachtung 83. Zopffetischismus. Herr X., Mitte der Dreis- siger, ans höherer Gesellschafüklasse, ledig, aus angeblich nicht belasteter Familie, jedoch von Kindsbeinen auf nervös, unstet, eigenartig, will seit etwa dem 8. Jahr sich mächtig durch Frauenhaar angezogen gefühlt haben. Ganz besonders war dies Seitens junger Mädchen der Fall. Als er 9 Jahre alt war, trieb ein 13 Jahre altes Mädchen mit ihm Unzucht. Er hatte kein Verstand- nifls dal^r und blieb dabei ganz uneiTegt. Auch die 12jährige Schwester dieses Mädchens machte sich mit ihm zu schafl'en, kfisste ihn ab, presste ihn an sich. Er liess sich das ruhig gefallen, weil das Uaur dieses Mädchens ihm so gut gefiel. Etwa 18 Jahre alt, begann er wollüstige Empfindungen beim Anblick von ihm zusagendem Frauenhaar zu verspüren. AUmählig kamen jene auch spontan, und sofort gesellten sich Erinnerungsbilder von Mädchen- haar hinzu. Im 11. Jahr wurde er von Mitschülern zur Masturbatinn ver- führt. Die associative Knüpfung sexueller Gefühle und einer fetischistischen Vorstellung war damals schon festgeschlossen und trat jeweils hervor, wenn Patient mit seinen Kameraden Unzucht trieb. Mit den Jahren wurde der Fetisch immer mächtiger. Selbst falsche Zöpfe begannen ihn zu erregen, jedoch waren ihm lebende immer lieber. Wenn er solche berühren oder gar


^m jcuuvu n


wo


Fetischiflmns.



küssen konnte, war er gani selig. Er verfusste Aufsätze und machte Gedichte Uher die Schönheit des Frauenhaars, zeichnete Zupfe und uiasturblrte dazu. Vom 14. Jahr ab wurde er von seinem Fetisch so mächtig erregt, dass er heftige Erectionen bekam. Entgegen seinem früheren Geschmack als Knabe, reizten ihn nur mehr Zöpfe, ganz besonders üppige, schwarze, dicht geflt»cbtene. Er empfand lebhaften Drang, solche Zöpfe zu küssen, resp. an ihnen zu saugen. Das Betasten solchen Haares machte ihm wenig Befriedigung, viel mehr dei' Anblick, namentlich aber das KüAsen und Sangen.

War ihm dies unmöglich, so war er unglücklich bis zu Taedium vitaa. Er versuchte sich dann schadlos zu halten, indem er sich phantastisch «Haar- abenteuer* ausmalte und dazu mastnrbirt«.

Nicht selten, auf der Strasse und im Gedränge, konnte er sich nicht zurückhalten . Damen einen Kuss auf den Kopf zu drücken. Er eilte dann heim, um zu mastnrbiren. Zuweilen konnte er jenem Impuls Widerstand leisten , aber er musste unter lebhaften Angstgefühlen schleunigst die Flucht ergreifen, um aus dem Bannkreis seines Fetisch zu gelangen. Nur einmal im Gedränge trieb es ihn, einem Mädchen den Zopf abzuschneiden. Er hatte dabei heftige Angst, rcussirto nicht mit seinem Taschenmesser und entging mit Mühe durch die Flucht der Gefahr, erwischt zu werden.

Erwachsen , versuchte er durch Coitus mit Puellis sich zu befriedigen. Et* gelangte zu mächtiger Erection durch Küssen der Zöpfe, brachte es aber zu keiner Ejaculation. Deshalb war er vom Coitus unbefriedigt. Gleichwohl war seine liebste Vorstellung: Coitus mit Haurküssen. Dieses allein genügte ihm nicht, da er dadurch noch nicht zur Ejaculation gelangte. Faute de mienx stahl er einmal einer Dame ihr ausgekämmtes Haar, steckte es in den Mund und masturbirte dazu, indem er sich die Eigenthümerin vorstellte. Im Dunkeln hatte er kein Interesse am Weib, weit er dessen Zöpfe nicht sah. Auch auf- gelöstes Kopfhaar hatte für ihn keinen Reiz, ebensowenig Schamhaare. Seine erotischen Träume drehten sich nur um Zöpfe. In der letzten Zeit war Patient sexuell so erregt worden, dass er in eine Art Satyriasis gerieth. Er wurde unfilhig zum Beruf, fühlte sich so unglücklich, das.s er .sich in Alkohol txx betäuben suchte. Er consumirte sehr grosse Mengen, bekam ein Alkoholdelir, einen Anfall von Alkoholepilepsie, wurde spitalsbedürftig. Nach Beseitigung der Intoxication schwand ziemlich rasch die sexuelle Erregung unter geeigneter Behandlung, und als Patient entlassen wurde, war er von seiner nur noch in Träumen ab und zu sich geltend machenden Fetlschvorstellung befreit.

Der körperliche Befund ergab normale Genitalien , wie überhaupt keine Degenerationszeichen.

Derartige Falle von Zopffetischisnius, der zu Attentaten auf Frauen- zöpfe führt, scheinfin von Zeit zu Zeit allerorten vorzukommen. Im November 1890 wurden nach amerikanischen Zeitung.sberichten ganze Städte in den Vereinigten Staaten durch einen solchen Zopfabschneider beunruhigt.

b) Der Fetisch ist ein Stück der weiblichen Kleidung.

Wie gross die Bedeutung ist. die weiblicher Schmuck, Putz und Kluidung auch für die normale Vita sexualis des Mannes haben, ist all- gemein bekannt. Cultur und Mode haben hier dem Weibe gewissermassen künstliche Geschlechtschnraktere angeachaffen, deren Wegfall, wenn das Weib unbekleidet In Betracht kommt, trotz der normalen sinnlichen



KleiduDgefetiBchümas.


3 öl


I I


Wirkung dieses Anblicks, als Verlust, als befremdeud wirken kann*). Es darf hierbei auch lucht übersehen werden, dass die Kleidung des Weibes häußg die Tendenx zeigt, bestimmte Geschlechtseigenthümlicb- keiten, secundäre Geachlechtscharaktere (Busen, Taille, Hüften) hervorzu- heben und zu outrircn.

Bei den meisten Individuen erwacht der Geschlechtstrieb lange vor der Möglichkeit und Gelegenheit intimen Verkehrs, und die frühen Be- ^erden der Jugend beschäftigen sich mit dem gewohnten Bilde der bekleideten weihlichen Gestalt. So kommt es, dass nicht selten im Beginn der Vita sexualis die Vorstellung des geschlechtlich Reizenden und weihlicher Kleidung sich associiren. Diese Association kann nament- licli dann eine unlösbare werden — das bekleidete Weib dem nackten dauernd vorgezogen werden — , wenn die betreifenden Individuen, unter der Herrschaft anderer Pcrversionen stehend, überhaupt nicht zu einer normalen Vita sexualis und zur Befriedigung durch natürliche Reize ge- langen.

Bei psychopathischen, .sexuell hyperästhetischen Individuen kommt es in Folge dessen wirklich vor* dass das bekleidete Weib bleibend dem nackten Körper vorgezogen wird. Erinnern wir uns, dass in Beob. 46 das Weib die letzte Hülle nicht fallen lassen darf, dass Beob. 48 equus eroticus, das bekleidete W"eib vorzieht. Auch weiter unten findet sich eine gleiche Aeusserung eines conträr Sexualen.

Dr. Moll (op. cit. 2. Aufl.) erwähnt einen Patienten, der den Coitus mit puella nuda nicht ausführen konnte; das Weib musste wenigstens mit einem Hemd bekleidet sein; p. 166 führt derselbe Autor einen conträr Sexualen an, der demselben Kleidungsfetischismus unterworfen ist.

Der Grund dieser Erscheinung ist offenbar in der Gedankenonanie solcher Individuen zu suchen. Sie haben beim Anblick unzähliger be- kleideter Gestalten Begierden empfunden, bevor sie sich der Nacktheit gegenüber sahen *),

Eine zweite, ausgesprochenere Form des Kleidungsfetischismus be- steht darin, dass nicht Überhaupt das bekleidete Weib vorgezogen wird, sondern dass eine bestimmte Art der Kleidung zum Fetisch wird (CostÜmfetischisnius). Es ist begreiflich , dass ein starker und namentlich ein früher sexueller Eindruck, der mit der Vorstellung einer bestimmten Kleidung des l)etrefi"enden Weibes verbunden war, bei hyper-


') Vgl. GoetIie*B Bemerkungen zu seinem Abenteuer in Genf (Briefe aas der Schweiz, 1. Abtheil., Schluas).

') Ktwaa dem Objecte nach Aehnlirhes, der psychwchen Vennittliing nach

aber ganz Anderes, iat die Thiitsache, dass der halbverhüHt»? Körper oft reizender

wirkt, alä der ganz nackte. Dies beruht auf Contraatwirkungen und Krwartuiig»-

affecten, welche eine allgemeine Erscheinung äind und nichla Pathologische« enthalten.

V. Kraffl-Ebing, PaycboiiaUiia sexaalia. Ifi. Aufl. H


162


Fetischismus.


ästhetischen Individuen ein höchst intensives Interesse an diese Kleidung knüpfen, kann.

Hammond (op. cife, p. 46) berichtet folgenden aus Ronbaud «Trait^ de Timpuissance", Paris 1876, citirten Fall:

Beobachtung 84. X., Sohn eines Generals» wurde auf dem Lande aufgezogen. Im Alter von 14 Jahren wnrde er von einer jungen Dame in die Freuden der Liebe eingeweiht. Diese Dame war eine Blondine, diu ihr Haar in gewundenen Locken trug und, um nicht entdeckt zu werden, mit ihrem jungen Liebhaber nur in ihrer gewöhnlichen Kleidung, mit Gamaschen, Corset und ihrem Seidenkleide, geschlechtlich verkehrte.

Als er nach Beendigung seiner Studien zur Garnison gesandt wurde und hier nun seine Freiheit gentessen wollte, fand er. dass sein Sexaaltrieb nnr unter ganz bestimmten Bedingungen angeregt wurde. So konnte eine Brünette ihn nicht im mindesten reizen, und ein Weib im NaohtcostÜm war im Stande, jede Liebesbegeisterung in ihm ganz zu ersticken. £ine Frau, die seine Be- gierden wecken sollte, musste eine Blondine sein, mit Gamaschen gehen, ein Corset und ein seidenes Kleid tragen, kurz, ganz so gekleidet sein, wie die Dame, die zuerst in ihm den Geschlechtstrieb erregt hatte. £r war immer den Bemiihnngeu, ihn zu verbeirathen , ausgewichen, da er wusste. dass er seine Gattenpflicbten gegen ein Weib im Selilafcostüme nicht werde ausüben können.

Hammond berichtet noch p. 42 einen Fall, wo der Coitus maritalis nnr durch bestimmtes Costüm erzielt werden konnte, und Dr. Moll op. cit. erwähnt mehrere derartige Fälle bei Hetero- und Homosexualen. Als ver- anlassende Ursache ist eine frühe Association oft nachzuweisen und stets an- zunehmen. Nur so wird es erklärlich, dass auf solche Individuen ein be- stimmtes Costüm unwiderstehlich wirkt, gleichgültig, welche Person immer den Fetisch trägt. So wird es begreJ*lich, dass, wie Coffignon (op. cit.) erzilhlt, Männer in Bordellen daranf bestehen, dass die Weiber, mit denen sie zu thun haben, ein bestimmtes Costüm als Ballettänzerin, Nonne etc. anlegen, und dass diese Häuser zu solchen Zwecken mit einer ganzen Maskengarderobe versehen sind.

Bin et (op. cit.) erzählt den Fall eines Richters, der ausschliessslich in die Italienerinnen , die als Malermodelle nach Paris kommen , und in ihr be- stimmtes Co.stüra verliebt war. Die veranlassende Ursache war hier nachweis- bar ein Eindruck beim Krwachen des Geschlechtstriebs.

Von solchen Fällen ist es nur ein Schritt zum Aufgehen der ganzen Vita sexualis im Fetisch, dessen Besitz und Handhabung genügen kann, um Orgasmus, und bei reizbarer Schwäche des Ejaculationscentnims, Eja- culation zu provociren.

Beobachtung 85. Costümfetischismus. P., 33 Jahre, Geschäfts- mann, Sohn einer Mutter, die an Melancholie gelitten und dnrch Selbstmord geendigt hatte« mit mehrfachen anatomischen Degenerationszeichen behaftet, galt in seiner Strasse für ein Original und hatte den Spitznamen .Tamoureux des nourrices et des bonnes d'enfants.*

Da er solchen dnrch sein aufdringliches Benehmen an Öffentlichen Orten lästig fiel und mit einer solchen Person , welche seinen Fetisch an sich trug, einmal in Streit gerieth, wurde er verhaftet.

Von jeher will er entzückt vom Anblick von Sftugeammen und Bonnen gewesen sein, aber ihn interessirte nie das betreffende Weib, sondern nur das Costüm und zwar nicht Theile desselben , sondern nur das Ganze. In Ge-


Kl ei dangsf etischismu s.


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Seilschaft solcher Personen zu sein , war seine höchste Wonne. Heimgekehrt, brauchte er nur die genossenen Eindrücke wachzurufen, um zum Orgasmus venereus zu gelangen. Nie war es ihm eingefallen, sich den Coitus mit einer solchen Person zu verschaffen.

Eine analoge Beobachtung von Costiirafetischismus verdankt man Motet. Es handelte sich um einen jungen Mann aus guter Familie, der ausschliesslicb sexuell erregt wurde durch den Anblick einer Frau in Brauttoilette. Wer diese Toilette trug, war ihm ganz gleichgültig. Er verbrachte, um seine feti- schistischen Gelüste zu befriedigen, einen guten Theil seiner Zeit im Bois de Doulogne, vor der Thüre von Restaurants, in welchen der Hocbzeitsschmaus abgehalten zu werden pflegt (Garnier, Lea Fetichistes p. 59).

Eine dritte Form des Kleidungsfetischismus, die einen weit höheren Grad des Pathologischen darstellt^ ist die folgende, bei weitem am häufigsten zur Beobachtung kommende. Sie besteht darin, dass es gar nicht mehr das Weib selbst ist, welches, wenn auch bekleidet oder auf eine bestimmte Art gekleidet, in erster Linie seiueU reizend wirkt, sondern dass das seiuelle Interesse so sehr sich auf ein bestimmtes Stück der weib- lichen Kleidung concentrirt, dass die lustbetonte Vorstellung dieses Kleidungsstückes sich gänzlich von der Gesammtvorstellung des Weibes loslöst und so selbstständigen Werth gewinnt. Dies ist das eigentliche Gebiet des Kleidnngsfetischismus, wo eine unbelebte Sache, ein isolirtes Stück der Kleidung für sich allein zur Erregung und Befriedigung des Geschlechtstriebes benützt und verwendet wird. Diese dritte Form des KleiduDgsfetischismus ist auch die forensisch wichtigste.

In einer grossen Zahl von Fällen handelt es sich hier um Stücke weiblicher Leibwäsche, die ja durch ihren intimen Charakter besonders geeignet sind, solche Associationen zu knüpfen.

Beobachtung 86. K., 45 Jahre alt, Schuhmacher, angeblich erblich nicht belastet, von eigenthümlicbem Wesen, geistig wenig begabt, von männ- lichem Habitus, ohne Degenorationszeichen, sonst tadellos in seinem Benehmen, wurde ertappt, ab er am 5. Juli 1876 Abends aus einem Versteck gestohlene FrauenwAsche abholte. Es fanden sich bei ihm etwa ^00 Toilettegegenstände von Frauen vor, darunter, neben Frauenhemden und Beinkleidern, auch Nacht- hauben, Strumpfbänder, sogar eine weibliche Puppe. Als er verhaftet wurde, hatte er gerade ein Frauenhemd auf dem Leibe. Schon seit 13 Jahren hatte er seinem Drang, Franenwäsche zu stehlen, gefruhnt, war, das erste Mal des- halb bestraft, vorsichtig geworden und hatte in der Folge mit Raffinement und Glück gestohlen. Wenn dieser Drang über ihn kam, sei ihm ängstlich, der Kopf ganz schwer geworden. Er habe dünn nicht widerstehen können, koste es, was es wolle. Es sei ihm ganz gleich gewesen , wem er die Sachen wegnehme.

Die gestohlenen Sachen habe er Nachts im Bett angezogen, dabei sich schöne Weiber vorgestellt und wollüstige Gefühle und Samenabgang verspürt.

Dies war offenbar das Motiv seiner Diebstahle, jedenfalls hatte er nie eines der gestohlenen Gegenstände sich entäussert, vielmehr dieselben da und dort versteckt.

Er gab an. dass er in früheren Zeiten mit Weibern normal geschlecht- lich verkehrt habe. Onanie, Päderastie und andere sexuelle Akte stellte er in Abrede. Mit 25 Jahren will er verlobt gewesen sein, jedoch sei diese Vor-


KU


Fetiflchismtu.


lobuDg ohne seine Schuld zurückgegangen. Das Krankhafte seines Zustanden und das Unrechte seiner Handlungen vermochte er nicht einzusehen (Passow, Vierteljahrsschrift f. ger. Medic. N. F. XXVIIf, p. 61. Kranss, Psychologie des Verbrechens 1884, p. 190).

Beobachtung 87. J.» ein junger Fleischer, wurde eines Tages arretirt.

Unter seinem Paletot trug er ein Mieder, ein Leibchen, ein Oberleibchen, eine Jacke T einen Halskragen, ein Tricot- and ein Weiberhemd, überdies hatte er feine Strümpfe und StrumpfbUuder an.

Seit dem 11. Jahr plagte ihn der Drang, ein Hemd seiner älteren Schwester anzuziehen. So oft er dies unbemerkt thun konnte^ verschaffte er sich diesen GenuBS und seit der PubertÜt kam es, wenn er ein solches Hemd anlegte, zur Ejacolation. Selbständig geworden, kaufte er sich Weiberhemden und andere obengenannte Toilettegegenstände. Mau fand bei ihm eine fürmliche Domeu- garderobe. Das Anziehen solcher Kleidungsstücke war das L'm und Auf seines sexuellen Fühlens und Strebens. Er hatte sich geradezu finanziell ruinirt durch seinen Fetischismus. Im Spital tlebte er den Arzt an, er möge ihm gestatten. Weiberkleidung zu tragen. Conträre Sexualempfindnng besteht bei J, nicht <Garnier. L»i& Ft^tichistes p. 02».

Beobachtung 88. Z., 86 Jahr, Gelehrter, hat sich bisher nur für die Hülle des Weibes, niemals aber für das Weib selbst interessirt und bisher nie- mals mit einem solchen sexuell verkehrt. Neben der Eleganz, dem Chic einer weiblichen Toilette im Allgemeinen , bilden seinen Fetisch im Besonderen Unterkleider und Batisthemden mit Spitzen garnirt, Atlascorsets^ feingestickte seidene Unterröcke, seidene Strumpfe. Es war ihm eine Wollust, in Con- fectionaläden derlei weibliche Kleidungsstücke zu besehen oder gar zu betasten. Sein Ideal war irgend eine Dame im BadecostÜm, mit seidenen Strümpfen, Coraet, darüber ein Morgenkleid mit Schleppe.

£r studirte die Costüme der Coureuses des mes, fand sie aber geschmack- los, geradezu widerlich. Mehr Genuss hatte er beim Mustern der Auslage- fenster, aber die Auslagen wurden zu selten erneuert. Er fand theilweise Be- friedigung im Hiilton und Studiren von Modejonrnalen . im Ankauf einzelner besonders schöner Fetischstücke. Sein höchstes Glück wäre ihm, wenn ibm die Toilettenkünste des Boudoirs oder des Confectionsprobirladens zugänglich wJlren oder wenn er Femme de chambre einer eleganten Weltdame sein und ihr die Toiletten richten kunnte. Züge von Masoehismus oder gar homosexueller Empfindung ünden sich an diesem wunderlichen Fetischisten nicht. Derselbe ist eine durchaus männliche Erscheinting (Garnier, La folie ä Paris 1890).

Einea Fall von leidenscheftlicbem Interesse für einzelne Stücke der weiblichen Kleidung berichtet Hammoiid op. cit. p. 43. Auch hier be- steht des Patienten Genuss darin, selbst ein Corset am Leibe zu tragen, ebenso andere weibliche Kleidungsstücke (obne Spuren von conträrer »xualempfindung). Der Schmerz bei forcirtem Schnüren, an sich selbst "und an Frauen hervorgerufen, ist ihm eine Freude: sadistisch-maso- chistiscbes Element.

Ein hierher gehöriger Fall dürfte auch der von Diez (Der Selbst- mord 1838, p. 24) mitgetheilte sein, wo ein junger Mensch dem Drang nicht widerstehen konnte, Frauen wüsche zu zerreissen. Er hatte während dieses Zerreissens regelmässig Ejaculatiou.

Eine Verbindung von Fetischismus mit Zerstörungsdrang gegen den


KleidungflletiBcbifiznus.


165


Fetisch (gewissermassen Sadismus am unbelebten Object) scheint mehrfach vorzukommen. Vgl. unten Beob. 99.

Ein Kleidungsstück, welches zwar nicht eigentlich intimen Charakter hat, aber durch Stoff und Farbe an Leibwäsche erinnern kann, auch wohl durch die Stelle, an welcher es getragen wird, sexuelle Beziehungen er- hält, ist die Schürze. (Vgl. auch die metonymische Verwendung des Wort-es nSchllrze* neben „Unterrock" im Sprachgebrauch: .Jeder Schürze nachlaufen" etc.) Dies bietet eine Handhabe zum Verständnisa des folgen- den Falles:

Beobachtung 89. C, 37 Jahre alt, aus schwer belasteter Familie, von plagioeophnlem Schädel, geistig schwach begabt, bemerkte init 15 Jahren eine zum Trocknen aufgehängte Schürze. Er band sie sich um und onunirte hinter einer Hecke. Seither konnte er keine Schürze sehen, ohne den Akt damit zu wiederholen. Sah er Jemand, gleichgültig ob Frau oder Mann, mit einer Schürze angethan, daherkommen, so musste er nachlaufen. Um ihn von seinen endlosen Schürzendiebstählen zu befreien, that man ihn im 10. Jahre zur Marine. Dort gab es keine Schürzen und vorlliutig Rübe. Mit li* Jahren heimgekehrt, musste er wieder Schürzen stehlen, kam dadurch in fatale Ver- wicklungen, wurde mehrmals eingesperrt, versuchte durch mphrjährij^en Auf- enthalt in einem Trappistenkloster von seinem Gelüste frei zu werden. Aus- getreten, ging es ihm wie früher.

Anlässlich eines neuen Diebstahls wurde er gericbtfiärztlich untersucht und der Irrenanstalt Übergeben. Nie stahl er etwas Anderes als Schürzen. Es war ihm ein Genuas, in dem Erinnerungsbild der ersten gestohlenen Schürze zu schwelgen. Seine Träume drehten sich um Schürzen. In der Folge benutzte er ihre Erinnerungsbilder, um gelegentlich Coitus zu Stande zu bringen, oder auch zu masturbireu (Charcot -M agnan , Arch.de Neurolog. 1882, Nr. 12).

In einem dieser Reihe von Beobachtungen analogen, von Lonibroso (Amori anomali precoci nei pazzi. Arch. di psich. 1883, p. 17) mitgetheilten Falle bekam ein erblich schwer belasteter Knabe schon im 4. Jahre Erection und heftige sexuelle Erregung beim Anblick weisser Gegenstände, namentlich von Wasche. Berührung. Zerknittern von solcher machte ihm Wollust. Mit dem 10. Jahre begann er Angesichts weisser gestUrkter Wtische zu masturbiren. Er scheint mit moralischem Irresein behaftet gewesen zu sein und wurde wegen Mordes hingerichtet.

Mit eigenthQmlichen umständen combinirt ist der folgende Fall von Unterrock fetischismus:

Beobachtung 90. Herr Z., 35 Jahre alt, Beamter, stammt ols ein* ziges Kind von einer nervösen Mutter und pesnndem Vater ab. Er war von Kindesbeinen an , nervös*, erschien bei der Consultation auffiillig durch neuro- pathiscbes Auge, zarten, schmächtigen Körper, feine Züge, sehr dünne Stimme, spärlichen Bartwuchs. Bis auf Erscheinungen leichter Neurasthenie ist an Patient nichts Krunkhaftes niichzuweisen. Genitalien normal, desgleichen die sexuellen Functionen. Patient will nur 4 — rimal, und zwar als kleiner Junge, mastnrbirt haben.

Schon mit 13 Jahren wurde Patient durch den Anblick von nassen Weiberkleidern mHchtig sexuell erregt, wlLhrend solche Kleider in trockenem Zustande ihn gar nicht erregten. Sein grüsster Genuss war es, wenn es regnete, nach durchnässten Fnmenzimmern auszuschauen. Traf er auf ein solche::! und hatte das betreffende Weib zudem ein sympathisches Gesicht, so hatte er in-


1Ü6


Fetüchümas.


tensivo WoIIustgefnhle , mächtige Erectton and fühlte sich zum Colins ge- trieben,

Gelüste, sich nasse Weiberröcke zu rerschafien oder ein Frauenzimmer mit Wasser zu bespritzen, will er nie gehabt haben. Ueber die ursprüng-nche Entstehung seiner Pica vermochte Patient keinen Aufschluss zu gebea.

Es ist möglich, dass der Geschlechtstrieb in diesem Fnlle beim Anblick eines Weibes zum ersten Mal aufgetaucht ist, welches bei Regenwetter die nassen ROcke aufhob und Reize sehen Hess. Der seines Objektes noch nicht bewusste dunkle Trieb wurde dann auf die nassen Röcke projicirt, wie in anderen Fällen.


Häufig und deshalb forensisch wichtig sind die Liebliaber weib- licher Taschentücher. — Zur Häufigkeit des TascbeDtuchfettschismus mag beitragen, dass das Taschentuch dasjenige W^chestück des Weibes ist, welches am häufigsten auch im nicht intimen Verkehr in den An- blick und, sammt der ihm anhaftenden Körpertemperatur und specifischem Gerüche, durch Zufall in die Hände einer anderen Person gerathen kann. Hierauf mag die Häufigkeit früher Association von wollüstigen Em- pfindungen mit der Vorstellung eines Taschentuches, die auch hier wohl immer anzunehmen ist, beruhen.

Beobachtung 91. Ein bisher unbescholtener, 32 Jahre alter lediger Bäckergehilfe wurde ertappt, als er einer Darae ein Taschentuch stahl. Er gestand mit aufrichtiger Reue, dasä er bereits 80 — 90 derartige Sacktücher entwendet hatte. Er hatte es nur auf solche abgesehen und zwar ausschliess- lich bei jüngeren und ihm zusagenden Frauenzimmern.

InoulpQt bietet in seiner äusseren Erscheinung nichts Auffälliges. Er kleidet sich sehr gewählt, zeigt ein eigenthümliches, theils ängstlich depres- sives, theils unmännlich devotes Wesen und Benehmen, das sich oft bis zu einem lai'moyanten Ton und Thronen steigert. Auch eine unverkennbare ün- behilflichkeit , Schwäche in der Auffassung, Trägheit in der Orientirnn^ und Reflexion gibt er zu erkennen. Eine seiner Schwestern ist epileptisch. Er lebt in guten Verhältnissen, war nie schwer krank, entwickelte sich gut. In der Mittheilung seiner Lebensgeschichte zeigt er Gedächtnissscbwäche, Unklar- heit; auch das Rechnen fällt ihm schwer, obwohl er früher gut gelernt hatte und auffasste. Sein ängstliches, unsicheres Wesen machte den Verdacht der Onanie rege. Inculpat gestand, dass er seit dem 19, Jahr diesem Laster in excessiver Weise ergeben war.

Seit einigen Jahren hatte er in Folge seines Lasters an Abgeschlagen- heit, Mattigkeit, Zittern der Beine, Rückenschmerzen, Unlust zur Arbeit ge- litten. Oefters kam auch eine traurig-ängstliche Verstimmung über ihn, in welcher er die Leute mied. Von den Folgen geschlechtlichen Verkehrs mit Frauenzimmern hatte er übertriebene, abenteuerliche Voi*stellungen und konnte sich nicht zu solchem entschliessen. In letzter Zeit hatte er jedoch an Ver- ebelichung gedacht.

Mit tiefer Rene und in schwachsinniger Weise gestand nun X., dass er vor 'Ja Jahr im Menschenj^edränge beim Anblick eines jungen hübscheu Mäd- chens sich heftig geschlechtlich erregt fühlte, sich an dasselbe drängen musste und den Drang empfand, durch Wegnahme des Taschentuchs sich für eine ausgiebigere Befriedigung beiner geschlechtlichen Regung zu entschädigen.

In der Folge wurde er, sobald er ein ihm zusagendes Frauenzimmer gewahr wurde, unter heftiger geschlechtlicher Erregung. Herzklopfen, Erection und Impetus coeundi vom Drang erfasst, sich an die betreffende Person zu


TaschcntuchfetiscUismus.


167


drängen und ihr — faute de mieux — das Taschentuch zu entwenden. Obwohl ihn keinen Moment das Bewusstsein der Strafbarkeit seiner Handlung verliess, konnte er seinem Drange nicht Widerstand leisten. Dabei fühlte er Angst, die theils dnrch den zwangsmilssigen geschlechtlichen Trieb, theils darcb die Furcht vor Entdeckung bedingt war.

Dos Gutachten macht mit Hecht den angeborenen Schwachsinn, den zerrüttenden EinHiiss der Onanie geltend und führt das abnorme Gelüste auf einen perversen Geschlechtstrieb zarück, wobei ein interessanter und physio- logisch auch gekannter Connex zwischen Geruchs- und Geschlechtssinn bestehe. Die ünwiderstehlichkeit des krankhaften Triebs wurde anerkannt. X. wurde nicht bestraft (Zippe, Wiener med. Wochenschrift 1879, Nr. 23).

Der Güte des Herrn Landesgerichtsarztes Prof. Dr. Fritsch in Wien verdanke ich weitere Mittheilungen über diesen Taschentuchfeti- schisten, welcher im August 1890 neuerdings verhaftet wurde, als er gerade einer Dame das Taschentuch aus dem Rocke ziehen wollte.


I


Bei einer Hausdurchsuchung fand mau 441» Stück Damentaschentücbcr vor. Ueberdies will er 2 Bündel solcher Corpora delicti verbrannt haben. Ferner ergab sich im Laufe der Untersuchung, dass X. schon 1^03 wegen Diebstahls von 27 Sacktüchern mit 14 Tagen Arrest und wegen des gleichen Delicts 1886 mit 3 Wochen Arrest bestraft war.

Ueber seine verwandtschaftlichen Beziehungen erfährt man nur, dass sein Vftter viel an Congestionen litt und dass eine Tochter seines Bruders schwachsinnig und Constitutionen neuropathisch ist.

X. hatte 1879 geheirathet und ein selbständiges Geschäft angefangen. 1861 gerieth er in Concurs. Bald darauf begehrte seine Frau, die sich mit ihm nicht vertragen konnte und der or angeblich seine eheliche Pfiicht nicht leistete (von X. bestritten), die Ehescheidung. Er lebte in der Folge als Bäokergehilfe im Geschäfte seines Bruders.

Seinen unglücklichen Drang nach Taschentüchern von Damen beklagt er tief, aber wenn er in die bezügliche Situation komme, vermOge er sich leider nicht zu belierrschen. Er vorspüre dabei ein Wonnegefühl und es sei ihm, wie wenn Jemand Ihn dazu dränge. Zuweilen vermöge er sich zurück- zuhalten, aber wenn die Dume ihm sympathisch söi. erliege er im ersten An- trieb. Er sei dabei ganz nass von Schweiss, theils aus Angst vor Entdeckung, theils in Folge des Triebes zur Ausführung der That. Schon seit den Puber- tfttsjabren will or sinnliche Erregungen beim Anblick von Weibern gehörigen Taschentüchern empfunden haben. Der näheren Umstände , unter welchen diese fetischistische Association sich knüpfte, vermag er sich nicht zu erinnern. Die sinnliche Erregung beim Anblick von Damen mit aus der Tasche hervor- stehendem Taschentuch habe sich immer mehr gesteigert. Wiederholt sei es dabei zu Erectionen gekommen, nie aber zu Ejaculation.

Vom 21. Jahr ab will er einige Male Anwandlungen zu normaler Ge- schlechtsbefriedigung gehabt und ohne bestehende Tasi'hentuchvorstellungen anstandslos coitirt haben. Mit überhandnehmendem Fetischismus sei die An- eignung von Taschentüchern für ihn eine viel grössere Befriedigung geworden als der Coitus. Die Aneignung eines Tuschentuchs einer sympathischen Dame sei ihm so viel werth gewesen, als ob er mit der betreffenden Dame sexuell verkehrt hätte. Er fühlte dabei wahren Orgasmus.

Konnte er nicht in den Besitz eines begehrten Taschentuches gelangen, so fühlte er quälende Aufregung, Zittern, Scbweiss am ganzen Körper.

Taschentücher von ihm besonders sympathischen Frauen bewahrte er separat auf, weidete sich an ihrem Anblick und fühlte dabei grosses Wohl- behagen. Auch der Geruch derselben machte ihm eine wonnige Empfindung,



v^


Fetiscbiemus.


M i«i wesentlicb !is g«w6s«n, der i


der


eigenthümlicbe 'Waschegemch, nicht sinnlich erregte. Masturbirt will er


iV'iMiTT it Kopfischmerz und Sch\rindel klagt X. über keine

k^rüwhtlltft VvttcnwtMui'u. Kr bedanert tief sein Unglück, seinen krankhaften tVtvbi« «lin Mma DKiuoo. der ihn zu solchen strafbaren Handlungen antreibe. Itv k*b« •** ' ^Vunftch. dass ihm Jemand helfen könnte. Objectiv finden

^u^ ^<ih« i-nische Erscheinungen, Anomalien der Blutrertheilung,

\ , ilaiiA X. anter krankhaftem, onwiderstehlichem Zwang seine

(WkW t»»*|at»K»'» ^^^ Freisprechung.

- ' U\t Fülle von Tiischentuchfetischiäinus, der ein abnormes Indi-

y, , ,. AU hiiib»tUlhlen fortreisst, sind sehr zablreicb. Sie kommen

^^. i'utitii SoxuiUen vor, wie der folgende Fall beweist, den ich

i\ MolTt hier mehrfach citirtem Werke p. 162 entnehme >).


%^*^S


V.'


lUobHoKtuu^ 1)2. Fall von Taschentnchfetischismus bei 1 \ *\ttl*nipfindung.

I .^iii itit. Handwerker, ein krftftig gebauter Mann, klagt über

■■ u>n . Stliwtti'he in den Beinen , Röckenschmerzen, Kopf-

■ '• Aihvit'älust u. s. w. Die Klagen machen den ausge-

.. von Neurasthenie, mit Neigung zur Hypochondrie. Erst

itduiii Patient in MolTs Behandlung gewesen, gibt er an,

1 'Aliuorni sei.

n>I<*ndwe!chen Trieb zum Weibe gehabt; schöne Männer

\v>\i»v t'inen ganz besonderen Reiz auf ihn aus. Patient

Ui% «nr /ioit, wo er zu Moll kam, viel onanirt. Mutuelle

KU hut K. niemals getrieben. Er glaubt auch nicht, dass

'"« gefunden hätte, da trotz seiner Vorliebe für Männer

>'.k von ihnen den Hauptreiz auf K. ausübte, wobei

. rs eine Rolle spielte; besonders sind es Taschen-

, durch die K. sexuell erregt wird. Seine höchste

ui, ilrt'- •'»' i» die Taschentücher von Männern masturbirt.

UiimiiIm iW'ivv seineu Freunden Taschentücher. Um sich

iiing zu schützen, liess Patient stets eines seiner

I .-n Freunden zurück, als Ersatz des jeweilig ge-

. M Weise dem Verdacht des Diebstahls entgehen

I lun^f erregen. Auch andere Wasche von Männern

nuht in dem Grade wie Taschentücher.

II liat K. öfter ausgeführt, wobei er Erection

tuirt Woltustgefühl. Auch bestand keinerlei Reiz

v(*ll^s^u ..V.' it.-k-» lOftt auszuüben. Die Erection und Ejaculation


•4(4 \U' Miitl über diesen Trieb bei Heterosexualen: ,Die

kvt kMMii towoit gehen, dass ein Mann vollständig im

itt Kliif woibliche Person sagte mir: ,lcb kenne einen

-'lu>, «0 brauche ich nur mein Taschentuch her-

!>•' i*twiu hvrauFiguckt. und ich bin fcicher, jener

• ni llt'rm. Ich kann hingelien, wohin ich will,

• ii| der Herr kann in einer Droschke fahren, er

M u litigon (jescbäftes sein ; wenn er mein Tauchen-

■ ■ •■■ tim mir, resp. dem Taschentuch zu folgen.'*


I


4


4 4


i


Schuhfetischismus.


169


traten auch nur dann auf, wenn Patient während des Aktes an das Taschen- tuch eines Mannes dachte; noch If^ichter war dieser dem Patienten dann mög- lich, wenn er das Taschentuch eines Freundes mitnahm und es wUhrend des Beischlafs in der Hand hielt.

Entsprechend seiner sexuellen Perversion verlaufen auch die nälchtlichen Pollutionen unter wollüstigen Vorstellungen, in deneo Männerwäsche eine Hauptrolle spielt ').

Noch weit häufiger iils die Wäschefetischisten, sind die fetischisti- schen Schwärmer für den Schuh des Weibes, Diese Fülle sind geradezu zahllos und es ist eine grosse Zahl derselben auch schon zur wissen- schaftlichen Beobachtung gelangt, während über den ähnlichen Hnnd- schuhfetischismus mir nur einige Mittheilungen aus dritter Hand vor- liegen, abgesehen von der unten folgenden Beob. 101, in welcher der Handschuhfetischismus jedoch secundar aus Stofffetischismus sich ent- wickelt hat. lieber den Clrund der relativen Seltenheit des Handschuh- fetischismus s. oben S. 151.

Beim Schuhfetischisrous fehlt aber durchaus die nahe Beziehung des Gegenstandes zum Leibe des Weibes, welche den Wäschefetischisraus begreiflich macht. Aus diesem Grunde, und weil eine ganze Anzahl gut beobachteter Fälle vorliegt, in welchem die fetischistische Schwärmerei für den Schuh oder Stiefel des Weibes, hewusster und unbezwei fei barer Weise, aus einem masochistischen Vorstellungskreise hervorwächst, ist wohl die Präsumption gerechtfertigt, dass eine, wenn auch verborgene Wurzel raasochistischer Natur für diesen Schuhfetischismus stets anzu- nehmen ist, wenn eine andere Art seiner Entstehung im speciellen Falle nicht nachweisbar ist.

fAns diesem Grunde wurde die grössere Zahl der vorliegenden Be- obachtungen über Schuh- rcsp. Fussfetischisraus oben in dem Abschnitt .Masoehismus'* iiufgenommen- Dort wurde auch wohl der regelmässig masochistische Charakter dieser Form des erotischen Fetischismus zur ^Dtlge durch Aufzeigung der Uebergänge dargethan. " Diese Präsumption masochistischen Charakters wird nur dort für den Schuhfetischismus entkräftet und aufgehoben, wo eine nachweis- ') Einen weiteren Fall von Eeitweise. d. h. nnfalUweisc unter heftigen Angst- gefühlen mit Schwcisa ausbrach auftretendem TuächentuchfeÜBchismus hat Moll im Centnilbl. f. d. Krankheiten der Harn- u. Sexualorgane, V, 8 mitgetbeilt. Kb dflrfte sich um eine Urvirtf Kpilepsie himdeln. (Tniuma capitis mit 10 Jahren, Schwach* rinn, wiederholte Ohnmachtaanfiille , spätor solche von An^t mit Schweiuaasbruchf partielle Aranpsie für die FeÜschtustftnde u. b. w.j In seinen Anfallen von krank- haftem Trieb zum Wegnehmen von weiblichen Tasclientflehem. die seit einem Typhus mit dem ^0. Juhre eingetreten waren . wischte sich der Krunko mit dem geraubten Tuoh das (Jesicht, worauf Krection und wiederholt auch Kjacultvlicm eintrat. Ein oonsultirter Arzt hnttc ihm geratben . keine leinene Uemden mehr zu tragen . da er durch rie zu üer eigenthQmlichen Krregung küme !


I I


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FelischismuB.


bare anderweitige zufällige Veranlassung für eine Association zwischen sexuellen Regungen und der Vorstellung des Frauenschuhes vorliegt, deren Zustandekommen a priori ja ziemlich unwahrscheinlich wäre.

Ein solcher uachweijsbarer Zusammenhang liegt aber bei den beiden folgenden Beobachtungen vor:

Beobachtung 93. Schuh fetischlsmas. Herr v. P. . aus alt- adeligem Geschlecht, 32 Jahr, verheirathet, consullirte mich 1890 wegen ^Uunatürlichkeit* seiner Vita seiualis. Er versichert, aus ganz gesunder Familie zu stanimen, sei übrigens schon von Kindesbeinen auf nervös, als lljähriger Junge cm Chorea minor leidend gewesen. Seit 10 Jahren leide er viel an Schlaflosigkeit und verschiedenen ueurasthenischen Beschwerden.

Vom l-'). Jahr ab will er erst den Unterschied der Geschlechter erkannt und sexuelle Regungen geföhlt haben. 17 Jalire alt, habe ihn eine franzüsiacbe Gouvernante verführt, jedoch Coitus nicht gestattet, so dass nur gegenseitige mächtige Krregung der Sinnlichkeit (niutuelle Masturbation) möglich war. Mitten in dieser Situation fiel sein Blick auf die hocheleganten Stiefeletten dieser Person. Sie machten mächtigen Eindruck. Sein Verkehr mit dieser lüderlichen Person dauerte 4 Monate. Während dieser Attouchements wurden ihre Stiefeletten zum Fetisch für den Unglücklichen. Er begann sich für Damenschuhe überhaupt zu intere<>siren und lungerte förmlich herum, um hübsch chaussirter Damen ansichtig zu werden. Der Schuhfetisch gewann in seinem Bewnsstsein enorme Macht. Sicuti calceolus mulieris gallicae penem tetigit, statim summa cum voluptate sperma eiaculavit. Nach der Entfernung der Verführerin ging er zu Puellis. durch die er die gleiche Manipulation vornehmen liess. Gewöhnlich genügte diese zur Befriedigung. Nur selten und 8ubsidi&r griff er zum Coitus. Immer mehr schwand ihm die Neigung dazu. Seine Vita sexualis bestand in Traumpollutionen , bei welchen ausschliesslich Frauenschuhe eine Rolle spielten, und in Befriedigung durch calceolos feminarum, appositos ad mentulam, aber es musste dies von der Puella geschehen. Sinnlich erregte ihn im Verkehr mit dem andern Geschlecht nur der Schuh und zwar der elegante, von französischer Fav'On, mit Absatz, glänzend schwarz, wie das Original.

Accessorischo Bedingungen sind im Laufe der Zeit geworden: Schub einer Prostituirten , dieselbe recht elegant, chic, mit gesteiften Unterröcken und womöglich schwarzen Strümpfen.

Sonst interessirt ihn am Weibe gar nichts. Der nackte Fuss ist ihm ganz gleichgültig. Auch seelisi^h hat das Weib nicht den mindesten Reiz für ihn. Masochist i sehe Gelüste im Sinne des Getreten- werdens hat er nie gehabt. Im Lauf der Jahre hat sein Fetischismus solche Macht gewonnen, dass, wenn er auf der Strasse einer Dame mit ge- wissem Aenssern und gewissen Schuhen ansichtig wird, er so heftig erregt wird , dass er masturbiren muss. Ein geringer Druck auf den Penis genügt dem hochgradig neurasthenisch Gewordenen zur Ejaculaiion. Auch Schuhe in den Verkaufsauslagen , sogar neuerlich blosse Schuhwaarenannoncen genügten, um ihn heftig zu erregen. Von sehr reger Libido, half er sich mit Mastur- bation, wenn ihm Schuhsiluationen nicht zu Gebot standen. Patient erkannte früh das Peinliche und Gefährliche seiner Situation und, wenn er sich auch bis auf ueurasthenische Beschwerden physisch wohl lÜhlte, so war er doch moralisch sehr gedrückt. Er suchte Hülfe bei den verschiedensten Aerzten. Kaltwasserheilanstalten und Hypnoseversuche wax*en erfolglos. Die reuom- mirtesten Aerzte riethen ihm zur Heirath und versicherten ihm, sobald er einmal ein Mädchen ernstlich liebe, werde er von seinem Fetischbann befreit sein. Patient hatte kein Vertrauen in seine Zukunft, befolgte aber den Bath der Aerzte. Er wurde grausam in seinen durch die Autorität der Aerzte er-


Schuhfetiscbismus.


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weckten Hoffnungen betrogen, obwohl er eine durch geistige und körperliche Eigenschaiten ausgezeichnete Dame zum Altar führte. Die Brautnacht war schrecklich, er fühlte .sich wie ein Verbrecher und Hess seine Frau unberührt. Am folgenden Tag sah er eine Prostituirle mit dem gewissen Chic. Er war schwach genu^ mit ihr in seiner Weise zu verkehren. Nun kaufte er ein Paar elegante Damenstiefeletten , versteckte sie im Ehebott imd indem er sie wflhrecd der ehelichen Umarmung betastete, konnte er nach einigen Tagen seiner ehelichen Ptiicht genügen. Er ejaculirte tardiv, da er sich /.um Coitus zwingen musste, und schon nach wenig Wochen versagte der Kunstgriff» indem seine Phantasie erlahmte. P. fühlte sich namenlos elend und hUtte am liebsten seinem Leben ein Ende gemacht. Seine Frau, sinnlich bedürftig und durch den bisherigen Verkehr sehr erregt, konnte er nicht mehr befriedigen und sah sie physisch und moralisch schwer leiden. Kein Geheimni.ss konnte und wollte er ihr nicht entdecken. Er empfand Ekel vor dem ehelichen Um- gang, lurchtete sich vor seiner Frau, vor den Abenden, dem Alleinsein mit ihr. Er brachte es zxx keiner Erection mehr.

Er versuchte es wieder mit Prostituirten , befriedigte sich, indem er ihre Schuhe betastete, dann musste die Puella caiceolo mentulam tangere; er ejaculirte, oder, wenn dies nicht geschah, versuchte er Coitus mit dem feilen Weibe, jedoch ohne Erfolg, da dann sofort Ejaculation eintrat. Patient kommt ganz verzweifelt zur Consultation. Er beklagt es tief, entgegen seiner inneren Ueberzeugung, dem unseligen Eath der Aerzte gefolgt zu sein, eine brave Frau unglücklich gemacht, physisch und moralisch geschädigt zu haben. Ob er es vor Gott verantworten könne, eine solche Ehe fortzusetzen ? Selbst wenn er sich seiner Frau entdecke, sie Alles fiir ihn thun würde, sei ihm nicht geholfen, denn es musste eben der bewusste Demimondeparfnm dabei sein.

Die Erscheinung dieses Unglücklichen bietet ausser seinem Seelenschmer/ nichts AuftUlliges. Genitalien ganz normal. Prostata etwas vergrüssert. Er klagt, doss er so unter der Herrschaft setner iStiefelvorstellungen sei. dass er schon erruthe, wenn nur von Stiefeln die llede sei. Seine ganze Phantasie drehe sich um solche. Wenn er auf seinem Landgut sei, müsse er oft plötz- lich nach der 10 Meilen entfernten Stadt reisen, um seinen Fetischismus an Schaulttden oder auch an PuelHs zu befriedigen.

Zu einer Debandlung konnte sich der Bedauern swerthe nicht entscbÜessen, da sein Vertrauen zum itrztlichen Stand tief erschüttert war. Ein Versuch, ob Hypnose und damit eine Beseitigung der fetischistischen Association mög- lich sei, scheiterte au der seelischen Aufregung des Unglücklichen, den aus- schliesslich der Gedanke beherrschte, seine Frau unglücklich gemacht zu haben.

Beobachtung 94. X., 24 Jahre, aus belasteter Familie (Mutterbruder und Grossvater irrsinnig, Schwester epileptisch, andere Schwester an Migräne leidend. Eltern von erregbarem Temperament), hatte in der Dentitionszeit «inige KrarapfanfUlle gehabt, wurde. 7 Jahre alt. von einem Dienstmädchen zur Onanie verleitet. Zum ersten Mal empfand X. ein Vergnügen an diesen Manipulationen, cum illa puella fortuitopede caiceolo tectopenem tetigit. Damit war bei dem belasteten .Jungen ein bezügliche Association gegeben , vermöge welcher fortan der blosse Anblick eines Frauenschuhs , ja schliesslich die blosse Phantasievorstellung genügte, um sexuelle Erregung und Erection hervorzurufen. Er onanirte nun, Frauenschuhe ansehend oder solche sich vorstellend. In der Schule erregten ihn mächtig die Schuhe der Lehrerin, Überhaupt solche, die theilwewe durch lange Frauenkleider verhüllt waren. Eines Tages konnte er sich nicht enthalten, die Lehrerin bei den Schuhen zu fassen, was ilim eine grosse geschlechtliche Erregung verursachte. Trotz Schlägen konnte er nicht umhin, wiederholt diese Handlung auszuführen. Endlich erkannte man, dass hier ein krankhaftes Motiv* im Spiel sein müsse und thnt ihn zu einem Lehrer. Er schwelgte nun in der Erinnerung« Vorstellung


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F<tuchiamtu.




an die SoHubscene mit der Lehrerin, hatte dabei Erection^ Orgasmus and, Toa 14. Jahr ab. Ejaculation. Daneben masturbirte er, während er aa einen Franenschnh dachte. Eines Tages kam ihm der (Jedanke. seinen Gen aa «  erhohen , indem er einen solchen Schuh zu masturbatorischen Zwec nützte. Kr nahm nun faüufig heimlich ^^chulle und benützte sie zu Zweck.

Sonst konnte ihn am Weibe nichts sexuell erregen; der Gedanke ao Coitus erfüllte ihn mit Abscheu. Auch MUnner iuteressirten ihn in keiner Weise.

Mit IS Jahren eröffnete er einen Kramladen und handelte u. A. aoeb mit Frauenschuhen. Es erregte ihn geschlechtlich, wenn er KäuferioDeo Schuhe anpassen oder mit den von ihnen benutzten Schuhen manipulireo konnte. Eines Tages erlitt er dabei einen epileptischen Anfall und bald daraof einen zweiten, als er in gewohnter Weise onanirte. Jetzt erst erkannte die Gesundheitsschhdlichkeit seiner sexuellen Praktiken. Er bekämpfte sei Onanie, verkaufte keine Schuhe mehr und bemühte sich, die krankhafte A ciation /.wischen Frauenschuhen und Geschlechtsfunction los zu werden. N traten aber massenhaft Pollutionen unter erotischen Träumen , Frauensch betreffend, auf, und die epileptischen Anfalle dauerten fort. Obwohl ohne ringste sexuelle Empfindung für das weibliche Geschlecht, entschloss er sieb tar Heirath, die ihm als einziges Heilmittel erschien.

Er heirathete eine junge hübsche Dame. Trotz lebhafter Eroction, wenn «r an die Schuhe seiner Frau dachte, war er aber bei Cobabitationsversuchen gänzlich impotent, indem das Uniustgefühl gegen Coitus, überhaupt gegeo intimen Verkehr, den Einfluss der sexuell erregenden Schuhvorstellung weit überwog. Wegen seiner Impotenz wandte sich Patient an Dr. Hammond der seine Epilepsie mit Brom behandelte und ibm rietb, einen über dem bett aufgehängten Schuh beim Coitus fest zu fixiren und sich seine Frau Schuh zu denken. Patient wurde frei von epileptischen Anfüllen und pote so dass er etwa alle 8 Tage coitiren konnte. Auch nahm seine sionliche regung durch Frauenschuhe immer mehr ab (Hammond, Sexuelle Impotent.' deutsch von Salinger. 18S9, S. 23).



>nd,


Diese beidea Fälle von Schuhfetischismus *), welche nachweislich au^^ subjectiv zufälligen Associationen beruhen, wie die Fälle des Fetischii^l mua (ibcrhnupt, haben, in Beziehung auf ihre objective Veranlassung, nichts besonders Auffälliges, da es sich im ersten Fall um einen Theil- eindruck der Gesuramterscheinung des Weibes, im zweiten Fall um einen Theileindruck einer erregenden Manipulation handelt. ^H

Es sind aber auch Fälle beobachtet worden — bis jetzt sind ^^ allerdings nur zwei — in welchen die entscheidende Association absolut durch keinen Zusammenhang der Beschaffenheit des Objects mit nor- tualiter erregenden Dingen herbeigeführt wurde.

Beobachtung 95. L., 37 Jahre alt, Commis, aus sehr belasteter Familie, bekam mit Ti Jahren die erste Erection, als er seinen Schlafkameradeo.


') Weitere Fälle von Schuhfetischismus ohne deutliche Beziehungen zum Maso^ chigraus 8. Aliheimer. »ein geborener Verbrecher* Archiv f. Pej-chiatrie n. Ner\'en- krankheitcn, I3d. 28, p. 350. Derselbe Fall wurde von Kurella »Fetischismus oder Simulation*, ebenda Bd. 28, p. 9ti4 unter sehr windigen und leicht widerlogbarcn Gründon für Simulation erkirirt. Siehe femer Moll, L'nterrachungen über Libido aexunlis Fall 32.


itfiA


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StotffetischismuEi.


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einen älteren Verwandten, eine Nachtmütze aufsetzen sah. Die gleiche Wirkung trat ein, als er später einmal die alte Hansmagd eine Nachthanbe aufsetzen sah. Später genügte zur Erection die blosse Vorstellung eines alten häus- lichen, rait einer Nachthaube bedeckten Frauenkopfes, Der blosse Anblick einer Haube oder der einer nackten Frauengestalt oder eines nackten Mannes Hessen ihn kalt, aber die Berührung einer Nachtmütze rief Erection, zuweilen selbst Ejaculation hervor. L. war nicht Masturbant, auch bis zum 32. Jahr, wo er ein schi^nes nnd geliebtes Mildchen heiruthete. sexuell nie tbätig ge- wesen.

In der Hochzeitsnacht blieb er nnerregbar, bis er in seiner Noth das Erinnerungsbild des alten hUssIichen Weiberkopfes rait der Nachtmütze zn Hilfe nahm. Sofort gelang der Coitus.

In der Folge musste er jeweils zu diesem Mittel greifen. Seit der Kind- heit hatte er zeitweise Anftlle von iiefer üemüthsverstimmung mit Anwand- langen zu Selbstmord, ab und zu auch nächtliche schreckhafte Hallucinationen. Beim Hinausschauen zum Fenster bekam er Schwindel und Angstzustände. Er war ein linkischer, sonderbarer, verlegener, geistig schlecht veranlagter Mensch (C bar cot und Magnan, Arch. de Neurol. 1882, Nr. 12),

In diesem ganz merkwürdigen Falle scheint die zeitliche Coincidenz der ersten geschlechtlichen Regung mit einem ganz heterogenen Eindruck allein das Gelüst determinirt zu haben.

Einen mindestens ebenso seltsamen Fall von zufallig assoriativem Fetischismus erwähnt Ilammond op. cit. p. 50. Bei einem im Uebrigen ganz gesunden und psychisch normalen, verheiratheten Manne von 30 Jahren soll die Potenz in Folge der Üebersiedlung in ein anderes Haus pliitzlich verschwunden, und nach Wiederherstellung der gewohnten Scblaficimmer- einrichtung zurückgekehrt sein.


c) Der Fetisch isl ein bestimmter Stoff.


W Es gibt eine dritte Hauptgruppe von Fetiechisten, deren Fetisch

weder ein Theil des weiblichen Körpers noch ein Theil der weiblichen Kleidung als solcher ist, sondern ein bestimmter Stoff, der nicht

■ einmal als Stoß' weiblicher Bekleidung immer zur Geltung kommt, sondern auch als blosser Stoß' im sich sexuelle Empfindungen wecken oder steigern

_ kann. Solche Stotfe sind: Pelzwerk, Stin»mt und Seide.

P Diese Fülle unterscheiden sich von den vorhergehenden Ersciieinungen

des erotischen K leid ungsfetisch Ismus dadurch, d^iss diese Stoffe nicht, wie Frauenwäschc , in naher Beziehung zum weiblichen Körper stehen und nicht, wie Schuhe und Handschuhe, Beziehungen zu bestimmten Theileti

■ desselben und deren anderweitiger symbolischer Bedeutung haben. Auch kann dieser Fetischismus nicht, wie die vereinzelt stehenden Fülle der

»NachtmUt/c und der Schlafzimmereinrichtung, aus einer ganz zufälligen Association abgeleitet werden, da diese Fälle eine ganze Gruppe mit gleichartigem Object bilden. Man muss wohl annehmen, dnss gewisse Tastempfindungen (eine Art Kitzel, der in einer entfernten Verwandtschaft


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Fetisch isxntu.


ZU wollüstigen Empfindungen steht?) bei hyperääihetlschen IndiTiduen fa» veranlassend für die Entstehung des Fetischismus sind.

Hier möge zunächst die folgende Selbstbeobachtung eines mit diesem seltsamen Fetischismus behafteten Mannes Platz finden:

Beobachtung 90. N. N., 37 Jubre alt> aus neuropathischer Familie stammend, selbst von neuropathischer Constitutiou, gibt an:

Von frühester Jugend ist mir eine tiefgewnrzelte Schwärmerei für Pelz- werk und Sanimt eigen in dem Sinne, dass diese Stoffe bei mir geschlechtliche Erregung bewirken, ihr Anblick und ihre Berührung mir ein wollüstijfes Ver- gnügen bereiten. An irgend ein Ereigniss, welches diese seltsame Neigung veranlagest hätte (etwa gleichzeitiges Eintreten der ersten sexuellen Regung mit dem Eindrucke dieser Stoffe, resp. erste Erregung durch ein so gekleidetes Weib), überhaupt an den ersten Anfang dieser Schwärmerei, vermag ich mich nicht zu erinnern. Ich will damit die Möglichkeit eines solchen Ereignisses» einer zufUUigen Verbindung im ersten Eindruck und darauf beruhender Asso- ciation , nicht absolut ausschliessen . halte es aber für sehr unwahrscheinlich, dass dergleichen stattgefunden hat, weil ich glaube, dass ein solches Vor- kommniss sich mir tief eingepriigt hätte.

Ich weiss nur, dass ich schon als kleines Kind lebhaft darnach trachtete, Pelzwerk zu sehen und zu streicheln, und dabei eine dunkle wollüstige Em- pfindung hatte. Mit dem ersten Auftreten bestimmter sexueller Vorstellungen, d. h. der Richtung geschlechtlicher Gedanken auf das Weib, war auch schon die besondere Vorliebe für das Weib, das gerade mit diesen Stoffen gekleidet i&tt vorbanden.

So ist es seither bis in mein reifes Mannesalter geblieben. Ein Weib, welches einen Pelz oderSammt, oder gar beides trUgt. erregt mich viel rascher und viel mlichtiger. als eines ohne dieses Beiwerk. Die genannten Stoffe sind xwar nicht conditio sine qua noa der Erregung, die Begierde tritt auch ohne sie auf die gewöhnlichen Reize ein; aber der Anblick und namentlich die Be- rührung dieser Fetischstoffe bildet für mich ein mächtiges Unterstützungsmittel anderer normaler Reize und eine Erhöhung des erotischen Genusses. Oft bringt mich der blosse Anblick eines nur leidlich hübschen Frauenzimmers, welches aber in diese Stoffe gekleidet ist, in lebhafte Erregung und reisst mich völlig bin. Schon der Anblick meiner Fetischstoffe gewilhrt mir Genuss, viel grösseren die Berührung. (Der penetrante Geruch des Pelzwerks ist mir dabei gleich- gültig, eher unangenehm, nur wegen der Association mit angenehmen Ge- sicbts- und Tastempfindungen leidlich.) Ich sehne mich rallchtig darnach, diese Stoffe am Körper eines Weibes zu betasten , zu streicheln , zu küssen , mein Gesicht darein zu vergraben. Der höchste Genuss ist mir inter actum meinen Fetisch auf der Schulter eines Weibes zu sehen und zu fühlen.

Sowohl Pelzwerk allein als Sammt allein übt die geschilderte Wirkung auf mich aus, Ersteres viel stärker als Letzterer. Am stärksten wirkt die Combination beider Stoffe. Auch weibliche Kleidungsstücke aus Sammt und Pelzwerk, allein ohne die Trägerin gesehen und befühlt, wirken sexuell er- regend auf mich ein, ja ebenso — wenn auch in geringerem Grade — Pelz- werk zu Decken verarbeitet, die nicht zur weiblichen Kleidung gehören, auch Summt und Plüsch an Möbeln und Draperien. Die blossen Abbildungen von Pelz- und Samrattoiletten sind für mich Gegenstand erotischen Interesses, ja das blosse Wort „Pelz* hat für mich magische Eigenschaft und ruft sofort erotische Vorstellungen hervor.

Der Pelz ist für mich so sehr ein Gegenstand sexuellen Interesses, dass ein Mann, der einen wirksamen (s. unten) Pelz trägt, mir einen höchst unan- genehmen, ärgerlichen und skandalösen Eindruck macht, etwa wie ihn auf jeden normalen Menschen ein Mann in Costüm und Haltung einer Ballet-


S tofff etUchiam u s .


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I


tUnzerin machen würde. Aehnlicb zuwider, weil eioander widerstreitende Empfindungen erweckend, ist mir der Anblick einer alten oder hässlicben Frau in einem schönen Pelz.

Dieses erotische Wohlgefallen an Pelzwerk und Sammt ist etwas von bloss ästhetischem Gefallen ganz und gar Verschiedenes. Ich habe einen sehr lebhaften Sinn für scbüne weibliche Kleidung, dabei auch noch eine besondere Vorliebp für Spitzen, diese ist aber rein ästhetischer Natur. Eine Fran in Spitzentoilette (oder sonst in geschmückter, eleganter Kleidung) ist schöner, aber nur eine in meine Fetischstoffe gekleidete ist reizender als eine andere unter sonst gleichen Umständen.

Pelzwerk übt aber auf mich die geschilderte Wirkung nur dann aus, wenn es recht dichte, feine, glatte, ziemlich lange, in die Höhe stehende, sü- genatinte Grannenhaare hat. Von diesen hängt, wie ich deutlich bemerkt habe, die Wirkung ab. Ganz gleichgültig sind für mich nicht nur die allge- mein für ordinUr grltenden, grobhaarigen, zottigen Pelzsorten, sondern ebenso unter den lur schün und edel geltenden diejenigen, bei welchen das Grannen- haar ganz entfernt wird (Seehund, Biber), oder von Natur kurz ist (Hermelin), oder überlang und liegend (Affe, Bär). Die specifische Wirkung haben nur die stehenden Grannenhaare bei Zobel, Marder, Skunks n. dgl. Nun besteht aber auch Summt ans dichten, feinen, in die Höhe stehenden Haaren (Fasern), worauf die gleiche Wirkung beruhen dürfte. Die Wirkung scheint eben von einem ganz bestimmten Eindruck dichter feiner Haarspitzen auf die Endorgane der sensiblen Nerven abzuhängen.

Wieso aber dieser eigentbümliche Eindruck auf die Tastnerven zum Geschlechtsleben in Beziehung tritt, ist mir ganz räthselbaft. Thatsacbe ist, dass dies bei vielen Menschen der Fall ist. Ich bemerke noch ausdrücklich, dass mir schönes Haar des Weibes wohl gefUUt, aber keine grössere KoUe für mich spielt als jeder andere Reiz, und dass mir bei dem Berühren von Pelz- werk kein Gedanke an Frauenhaar komuU. (Die Tastempfindung hat auch an sich nicht die mindeste Aehnlichkeit.) Ueberhaupt tritt gar keine weitere Vorstellung dabei auf. Pelz an und für sich weckt eben bei mir die Sinn- lichkeit: wieso, ist mir ganz unerklärlich.

Die bloss ästhetische Wirkung, die Schönheit edlen Pelzwerks, ftir die wohl Jeder mehr oder minder empfänglich ist. die seit RQphael's Fornarina und Ruben's Helene Fourment von unzähligen Malern als Folie und Rahmen weiblicher Reize verwendet worden ist, und die in der Mode, in der Kunst und Wissenschaft weiblicher Bekleidung eine so grosse Rolle spielt — diese ästhetische Wirkung erklärt hier gar nichts, wie oben schon bemerkt. Die gleiche ästhetische Wirkung, wie auf normale Menschen schönes Pelzwerk, üben auf mich, wie auf Jeden, Blumen, Bänder, Edelsteine und jeder andere Schmuck aus. Solche Dinge heben, geschickt verwendet, die weibliche Schön- heit, und können so unter Umständen etwa indirect einen sinnlichen Effect hervorrufen. Niemals haben sie auf mich einen directen mächtigen sinnlichen Effect, wie die genannten Fetischstoffe.

Obwohl nun bei mir, und wohl bei allen »Fetischisten", die sinnliche und die ästhetische Wirkung durchaus scharf zu trennen sind, so hindert das nicht, dass ich auch an meinen Fetisch eine ganze Reihe von ästhetischen An- forderungen in Bezug auf Form, Schnitt, Farbe eto. stelle. Ich könnte mich hier über diese Anforderungen meines Geschmacks noch sehr weitläufig ver- breiten, unterlasse dies aber, als nicht mehr zum eigentlichen Thema gehörig. Ich wollte nur darauf aufmerksam machen, wie der Fetischismus eroticus sich noch mit rein ästhetischen Geschmacksregnngen comptioirt.

Ebenso wenig, wie durch den ästhetischen Kindruck, lässt sieh die spe- cifische erotische Wirkung meiner Fetischstoffe etwa durch die Association mit der Vorstellung des Körpers einer Trägerin erklären. Denn erstens wirken diese Stoffe auf mich, wie gesagt, auch ganz vom Körper isolirt, als blosse


■ Uli;»« sjixfu


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Feilsch Um US.


Btoffe, und zweitens wirken \ne! intimere KleidangrsstÜcke (Mieder, Hemd)» di^ ohne Zweifel Assoi.iationen hervorrufen . weit schwächer. Die Fetischstoffe haben aläo selbständigen sinnlichen Werth fUr mich. Wieso, das ist mir selbst räthselbaft.

Dieselbe erotische Fetiscbwirkung, wie Pelxwerk ond Sammt, haben für mich Federn auf FraucnhDten, an FUchern etc. (ähnliche Berührangsempfindun^ des leicht Spielenden, eigentbümlicli Kitzelnden). Endlich kommt die Fetisch- wirkung in sehr abgeschwächtem Urade auch noch anderen glatten Stoffen. Atlas, Seide zu, während rauhe Stoffe, rauhes Tuch, Flanell geradezu ab- stossend wirken.

Zum Schlüsse will ich noch erwähnen, dass ich irgendwo eine Abhand- lung von Carl Vogt über mikrokephale Menschen gelesen habe, wonach eines dieser Wesen sich beim Anblick des Pelzes auf diesen stürzte und ihn unter lebhaften Zeichen der Freude streichelte. Es liegt mir fern, deshalb im weit verbreiteten Pelzfetischismus ernstlich einen at^ristischen Rückschlag in den Geschmack der bepelzten Urahnen des Menschengeschlechts sehen zu wollen. Jener Cretin Übte nur mit der ihm zukommenden Ungenirtheit einen ihm an- gooehmen Tastakt aus. der nicht nothwendig sexuell-sinnlicher Natur sein musste; wie auch viele ganz normale Menschen gern eine Katze oder der- gleichen, selbst Samrot und Pelzwerk streicheln, ohne aber dadurch gerade sexuell erregt zu werden.

In der Literatur finden sieb einige hierher gehörige FäUe:

Beobachtung 97. Knabe von 12 Jahren ftihlte mächtige geschlecht- liche Erregung, als er zufdllig sich mit einem Fuchspelz zudeckte. Von nun an Masturbation , unter Benützung von Pelzwerk oder Mitnehmen eines zot- tigen Hündchens ins Bett, wobei Ejaculation erfolgte, zuweilen gefolgt von einem hysterischen Anfall. 4Seine nächtlichen Pollutionen waren dadurch be- dingt, dass er träumte, er Hege nackt auf weichem Pelze und sei von diesem ganz eingehüllt. Durch die ßeize von Männern oder Frauen war er ganz un erregbar.

Er wurde neurasthenisch, litt an Beobachtungswahn, meinte. Jedermann bemerke seine sexuelle Anomalie ^ hatte deshalb Taedium vitae und wurde schliesslich irrsinnig.

Er war schwer belastet, hatte unregelmässig gebildete Genitalien und istigo anatomische Degeneratiouszeichen (Tarnowsky op. cit. p. 22).

Beobachtung 98. C. ist ein besonderer Liebhaber des Sammts. C»

wird durch schöne Weiber in normaler Weise angezogen, ganz besonders aber erregt es ihn, wenn er die Person, mit der er sexuell verkehrt, in Sammt- kleidung antrifft. Hier ist nun besonders auffallend, dass nicht sowohl dos Sehen, als das Berühren des Samnits die Erregung verursacht. C. sagte mir, dass dos Herüborstreiohen über die Sammtjacke einer weibliohen Person ihn so sehr sexuell errege, wie es auf andere Weise kaum erfolgen könne (Dr. Moll op. cit. p. 127).

Von ärztlicher Seite wurde mir der folgende Fall niitgetheüt :

In einem Lupanar war ein Manu unter dem Namen ^Sammt" bekannt. Dieser bekleidete eine sympathische Pnella mit einem schwarzen Sammtkleide und erregte und befriedigte seine sexuellen Triebe lediglich durch Bestreichen seines Gesichts mit einem Zipfel des Sammtkleides , während er sonst mit der Person nicht in Berührung kam.

Ein anderer Gewährsmann versichert mir, dass namentlich bei Maso-


I I


StafffeÜBchismus.


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I


chisteD die Schwürmerei fOr Pelz, Sammt und Federn häufig vorkonunt (vgl. oben Beob. 41. 42) »).

Ein ganz eigenthümlicher Fall von Stofffetischismus ist der folgende. Er ist verbunden mit dem Trieb, den Fetisch zu beschädigen, der in diesem Falle entweder ein Element von Sadismus gegen das Weib als Trägerin des Stoffes darstellt, oder den auch sonst bei Fetischisten mehrfach vorkommenden unpersönlichen Gegenstands-Sadismus (vgl. oben p. 1G4). Dieser Beschädigungstrieb hat den vorliegenden zu einem merk- würdigen Criminalfall gemacht.

Beobachtung 99. Im Juli 1801 stand der 25jährige Scblossergeselle Alfred Bachmann in Berlin vor der zweiten Ferienstrafkammer des Land- gerichts I. Im April d. J. gingen der Polizei mehrfach Anzeigen zu, wonach eine böswillige Hand die Kleider von Damen mit einem haarscharfen Instru- ment zerschnitten hatte. Am Abende des 25. April gelang es, den Unhold in der Person des Angeklagten zu ertappen. Ein Criminalbearater bemerkte, wie der Angeklagte sich in auffälliger Weise an eine Dame herandrängte, die in Begleitung eines Herrn durch die Passage ging. Der Beamte ersuchte die Dame, ihr Kleid zu besichtigen, während er den Verdächtigen festhielt. Es stellte sich heraus, dass dos Kleid einen ziemlieh langen Schnitt erhalten hatte. Der Angeklagte wurde zur Wache geführt, woselbst man ihn unter- suchte. Ausser einem scharfen Messer, welches er gestftndlich ziun Aufschlitzen der Kleider gebrauchte, fand man noch zwei seidene Schleifen bei ihm, wie die Damen sie an ihren Kleidern anzubringen pflegen : der Angeklagte gab auch zu, dass er diese im Gedrfinge von den Kleidern abgetrennt habe. Schliesslich fQrderte die Leibesuntersuchung noch ein seidenes Damen-HaUtueh zu Tage. Dies wollte der Angeklagte gefunden haben. Da seine Behauptung in diesem Falle nicht widerlegt werden konnte, so wurde er hiefür nur der Fundunterschlagung angeklagt, während seine sonstige Handlungsweise sich in zwei FuUen, in denen Htrafantrag seitens der BeschUdigten gestellt worden ist, als Sachbeschädigung und in zwei Fällen als Diebstahl kennzeichnete. Der Angeklagte, ein schon mehrfach vorbestrafter Mensch, mit blassem, aus- druckslosem Gesicht, gab vor dem Richter eine sonderbare Erklärung über sein rilthselhaftes Thun ab. Die Köchin eines Majors habe ihn einmal die Treppe hinuntergeworfen, als er bei ihr bettelte, und seit dieser Zeit habe er einen grimmigen Hass auf das ganze weibliche Geschlecht geworfen. Man zweifelte an seiner Zurechnungsfähigkeit und liess ihn deshalb durch einen Kreisphysikus untersuchen. Der Sachverständige gutachtote im Termine, daas keinerlei Grund vorliege, den allerdings wenig intelligenten Angeklagten für geisteskrank zu halten. Der Letztere vertheidigte sich in eigenthümlicher Weise. Ein unbezähmbarer Trieb zwinge ihn, sich den Damen zu nähern, die seidene Kleider tragen. Das Berühren eines seidenen Stoffes sei für ihn ein Wonnegefühl, und dies gehe so^ar so weit, duss er im Untersuchungsgefängnisse erregt worden sei, wenn ihm beim Wollczupfen zu- fällig ein seidener Faden unter die Finger kam. Der Staatsanwalt Müller 11. hielt den Angeklagten einfach für einen gemeingefährlichen, büsartigen Men- schen, der für längere Zeit unschädlich gemacht werden mtLsse. Er beantragte


^Pw« 


^) Auch in den Komanon von Sacher- Martoeh npielt der PeU eine hervor- nde RoUe, wie er ja auch einzelnen denelben zum Titel diente. Gesucht und Qnbefriedigend erscheint die dort gegebene Erklärung, der Pelz (Hermelin) sei (hin Sjmbol der Herrachaft und deshalb der Fetisch der dort geschilderten Männer. T. Krafft-Eblng, PsychopaUiift sexnklii. lü. Aufl. 12


■ Kral


17« 


Fetüchismus.


gdgon ihn 1 Jubr GefUngniss. Der Gericbtshof verurtbeüte den Angeklagten XU 6 Mnnnten GeiUngniss und Ijtthrigem Ehrverlust.

Ein klaasischer Fall von Stoff- (Seide-)Fetischi8mus ist folgender von Ür. P. Garnier raitgetheilter.

Ilttobauhtung 100. Am 22. September 1881 warde V. auf einer Strasse von l'iiriii verhaftet, indem er sich an Damen in seidenen Kleidern in einer Wmimi y,n Rcbaffen machte, dass man ihn für einen Taschendieb halten mosste. Kr W"i ' I ganz vernichtet und kam erst allrntthlig and unter Umschweifen ^iiih ' ■'.•* seiner .Manie". Er ist Commis in einer Buchhandlung,

'ifl' .luliit all, Htammt von einem Vater, der Trinker ist und einer religiös Ub»trii|itinritt'ii, rhanikterologisch abnormen Mutter. Diese wollte aus ihm einen llputlicbfui mat-'hen. Seit seiner frühesten Jugend bat er einen nach seiner MfliiiunK angfsbtirenen instinctiven Drang, Seide zu befühlen. Als er mit 1*1^ .ffthritn uIh Chorknabe eine Seidensch&ipe tragen durfte, konnte er sie nicht aMiiiiK bnliiKtvn. Das Gefühl, das er dabei empfand, vermöge er nicht zu littiii*ltri'ibeii. Ktwaa spftter lernte er ein lüjähriges Madeben kennen, dem er kiiiitlinh /UK^Hhan war. Wenn aber dieses Kind am Sonntag im seidenen Fest* Iftnnmni diiber kam. hatte er ein ganz anderes Gefühl. Er musste es brünstig »iiiiuiMi*iii und dabei dessen Kleid berühren. SpHter war es seine Wonne, im I.M'bti» »iriftr t'ntzniacherin die herrlichen Seideuroben zu beschauen und xu IfffitliliHi liftkam er AbfHlle von Seidenstoff geschenkt, so beeilte er sich, sie Kttf titwi tj|ti««on Leib zu legen, worauf dann sofort Erection, Orgasmus und iiir bi'gui KJa'Milation eintrat. Beunruhigt durch diese Gelüste, an seinem lliiMif «lü khnl'tigpr Geistlicher zweifelnd, erzwang er seinen Austritt aus dem Kr war damals schwer neurasthenisch in Folge von Masturbation, iiletiüchisnius beherrschte ihn nach wie vor. Nur wenn Hin Weib fttii pffhloiitt« Kleid trug, gewann es Heiz für ihn.

Hctiiiii in den Träumen seiner Kindheit haben angeblich Dameji mit M^(ib>nbli>ttliM'n tMUH dominirende Rolle gespielt und später waren diese Trftume

rt<Mulitiii»n begleitet. Bei seiner Schüchternheit gelangte er erst sp&t 7.nr

I .,.11. I»it'iiülbi« war nur möglich mit einem Weib in seidener Robe,

t .ni im Volksgedränge Damen im Seidenkleid zu berühren, wobei

in Orgasmus und grossem Wollustgefühl, zur Ejaculation ge- I •«« Glück war es, Abends einen seidenen Unterrock beiju

/ "ünii. Das befriedigte ihn mehr als das schönste Weib. i

1.11 II iiiritirztlioho Gutachten wies nach, dass V. ein schwer belasteter \i iln uiitnr krankhaftem Zwang einem krankhaften Gelüste Folge

1 M^IhliltMtllling.

lUi (hirnier, Annales d*hjgiene publique. 3* s^rie. XXIX. 5.)

MiM ifHMA 4i|f(iiimrtiger Fall von Stofffetischismus, der die associative httUinlkMtill iMii Fat Uuh Vorstellungen in schönster Weise aufzeigt, zugleich. ^I^^l dtHi ■ ' '"•' Minfliiss, welchen, allerdings auf Grund einer seelisch ItliniMtlli It' ■•. Milurtiii kninkhaften Veranlagung« eine solche Association

dAM^'^Ml MM«Oi(«M kiiiiii, iii die folgende Beobachtung von Lederfaand*


I





'ül Hnrr Z., 33 Jahre, Fabrikant, aus Amerika, seit . mit Kuidern gesegneter Ehe lebend, consultii'te mich II llanUKchuhfetischismus, der ihn quHle, wegen dessen r und iliT ihn noch zur Verzweiflung und zum Wahn-,


st oiFf «tisch ismue.


170


I



Z. ist ein angeblich aas ganz gesunder Familie stammender» aber von Kindesbeinen auf neuropathischer, leicht erregbarer Mann. Es bezeichnet sich selbst als eine selir sinnliche Natur, während seine Frau eher eine Nalura frigida sei.

Mit etwa 9 Jahren gelangte Z. durch Kameraden, welche ihn yerftthrten, zur Masturbation. Er fand daran grosses Gefallen und ergab sich ihr leiden- schaftlich.

Eines Tages, wuhrend er wollüstig erregt w«r, fand er ein kleines Säckchen von Sämischleder. Er zog dasselbe über sein Menibrum und hatte dabei eine überaus angenehme Empfindung. Er benutzte es nun zu onanisti- sehen Manipulationen, legte es auch ums Scrotum und trug es Tag und Nacht bei sich.

Von da an erwachte in ihm ein grosses Interesse für Leder überhaupt, ganz besonders aber für Glacehandschuhe.

Von der Pubertät ab waren es nur mehr lederne Damenbandschnhe» ab^r diese machten geradezu einen fascinirenden Eindruck auf ihn, führten zu Ereotion und wenn er in der Lage war, seinen Penis damit zu berühren, erfolgte gar Ejaculation.

Herrenhandschuhe hatten nicht den geringsten Reiz für ihn, jedoch am eigenen Köi-per trug er sie gern.

Am Weib interessirte ihn in der Folge nur mehr der Handschuh. Er wurde sein Fetisch und zwar Glace, möglichst lang, mit vielen Knöpfen, be- sonders aber wenn schmutzig, fettigglUnzend, mit schweissigen Flecken an den Fingerspitzen. Derart adjustirte Frauen, selbst wenn hässlich und alt. ent- behrten für ihn nicht eines gewissen Reizes. Damen mit Stoff- oder seidenen Handschuhen liessen ihn ganz kalt. Seit der Pubertät war er gewohnt, Damen zuerst auf die HUnde zu schauen. Im Uebrigen waren sie ihm ziemlich gleichgültig.

Dnrfte er einer Dame mit Glacehandschuhen die Hand drücken, so ge- langte er unter dem Gefühl des .warmen sanften* Leders zu Erection und Orgasmus.

Konnte er in den Besitz eines solchen Damenhandschuhes kommen, so ging er damit auf den Abort, hüllte domit seine Genitalien ein, zog ihn dann wieder aus und masturbirte sich.

Später, im Lupanar, nahm er dabin lange Handschuhe mit, bat die Puella, dieselben anzuziehen und wurde dabei so erregt, dass oft jetzt schon die Ejacnlation erfolgte.

Z. wurde ein Sammler von weiblichen Glacehandschuhen. Da und dort versteckt hatte er immer Hunderte von Paaren solcher. In Mnssestunden zählte und bewunderte er sie ,wie ein Geizhals seine Goldstücke", legte sie über seine Genitalien, begrub sein Gesicht in Haufen von Handschuhen, zog dann einen über die Hand und masturbirte sich, wobei er mehr Genuss ver- spürte als beim Coitua.

Er machte sich Penisfutterale, Suspensorien, am liebsten aus schwarzem weichem Leder xmd trug sie tagelang. Femer befestigte er an einem Bruch- band Damenhandschuhe so. dass sie scbQrzenartig seine Genitalien bedeckten.

Nachdem er eine Ehe eingegangen war, wurde sein Handschuhfetischis- IQUS eher noch ärger. Gewöhnlich war er nur potent, wenn er beim maritalen Akt ein paar HardRchuhe seiner Frau neben ihrem Kopf liegen hatte, so dass er sie kiUsen konnte.

Ganz glücklich machte ihn seine Frau, wenn sie sich bestimmen liess, zmn Coitus Handschuhe anzuziehen und präliminar damit seine Genitalien zn berühren .

Z. fühlte sich gleichwohl recht unglücklich über seinen Fetischismns und machte häufige aber immer vergebliche Anstrengungen , sich aus dem .Bann des Handschuhs* zu befreien.


Traf er auf a« Wort oder BU te nmiiiih^i b BaBMM. Mo^ ZettoagcQ m. t. tr^ so anf iho. Ijd IVätor ItdoaiU. Von des bftniD w«givbnag«o.

Oft fBUle «r scfa geUiebea. luge Haadadiiihe mit WoO« n. dgt aaa- l ua Uflbwi , da» ne beklMeiea Armen gfichcm. Diuka aackU er trites mattbri iotar braefaia talk aztifidalia. Im er aeiMs Streck emidii katte.

Zb aeiBcn GevrobnhcitflB ffriiOri ea, wcibticlie GlaeAaadadnbe mit sieh Iwimaintriy , Kadita aüt tokbea die GenstalicB «uBiriddB, bb er dea Pefiia wie euta gnmm ledetaeB Pii^ xwiaekea des Böbcb IBUt.

la gromtm SOdt« kaoft er ia HaadachehwUrharoiea aiefat absabotte d. b. berreakM gewordene Daiaanbaitdaebahe, aia liebctea redii e e h i atttM ge id abgatra^BBC Zweimal, gmUkt der aoaai bOckai eorreete H, habe er dem artaagaB mebi widcnUlwD kfinaea. aokbe n itebico. Im Meoacba o yewahi kann er niefat widerateken , Damen die Binde ta streifeD; in sesnem Bnreao benutzt er jede €r«legaikbeii, tun Damen die Hand xa geben, damit er eine Sekunde daa , warme aaofle* Leder flUüea kaaa. Seiaa Fraa btttai er, doek WA immer raCglich, HaAdichnhe ron Glae^ oder OeaaoMer cn tragen. Aneh veniebt er si« reicfalich mit solcher Waare.

In leioem Bureaa hat Z. immer Damenhandscfanbe liegen. Es rergeht keine Stunde, daaa er aie nicht berfibren und streicheln moss. Wenn be- soadera sinnli^ erregt, steckt er einen »alcben Handscboh in den Mond and kaat daran.

Andere Objecte der weiblichen Toilette, gleichwie andere Tbeile des wreiblichen K&rpers Als die Hi&nd, haben nicht den geringsten Reis für ihn. Z. tut f>ft aebr deprimirt über seine Anomalie. Er sch&me sich gegenüber den unvcholdigea An^n seiner Kinder and bitte Gott, dass sie niemals werden mKgen wie ihr Vater.

Gegenstand dea FetischismuB kann aber endlich auch ein in ganz /ufälliger Beziebang zum Körper eines Weibes siebendes Object werden. Der folgende von Moll mitgetheilte Fall von yRosen- fetiNchivmus* ist ein zutreffendes Beispiel ftir diese Möglichkeit. Er zeigt tiberdic« in schönster Weise, wie durch blosse zufällige associative VtrVnnpfüng einer Wuhmebmung mit einem zur Zeit ihres Stattfinden» beMtohvuden sexuellen Erregungsrorgang, allerdings auf besonderer see- lischer Grundlage, das Object der Wahrnehmung zum Fetisch werden kunn und dass diese Association eines Tages wieder zu schwinden im Stande ist.

Dagegen ist die Verwerthung der Associationstheorie für die Er- Idürung der organisch-psychisch fundirten originären Erscheinungen con- triiror Sexualität, sowie für die Thatsachen des Masochismus und des Sadismus ganz unannehmbar.

Beobachtung 102. D., 30 Jahre, angeblich unbelastet, eine fein- fühlig« ompfindsunie Persüulichkeit, von jeher Blumenfreund bis zum Küssen von Blumen , aber ohne jegliche sexuelle Beziehung oder Erregung dabei. nhor Natura frigid», früher nie der Onanie ergeben, auch in der Folge nur ftanz episodisch, lernte mit 21 Jahren eine junge Dame kennen, die an ihrem Joquet einige grosse Rosen befestigt hatte. Seither spielte die Rose in seinen


Tbterfetischifmufl.


181


sexuellen CteHihlen eine grosse Bolle. Wo er konnte, kaufte er Rosen, küsstü sie, wobei es sogar zu Erectionen kam, nahm sie auch wohl ins Bett, ohne sie jedoch mit seinen Genitalien in Contact zu bringen. Seine PoUatioueu waren von nun an von RosentrÜumen begleitet. Indem er vom Duft einer fiose träumte und eine solche ihm in milrchenhafter Pracht erschien, trat dann die Ejaculatiou ein.

B. verlobte sich insgeheim mit der Kosendame, aber die immer nur platonisch gebliebenen Beziehungen erkalteten. Nach Auflösung der Verlobung war der Rosenfetisehismus plützlicb und dauernd geschwunden, selbst als der eine Zeitlang an Melancholie erkrankt Gewesene sich neuerdings verlobte. (A. Moll, Ceutralbl. f. d. Krankheiten der Harn- und Sexualorgane V. 3.)


^1


d) Thierfetischismus,

Im Anschluss an den Stofffetischismus möge noch gewisser Fälle acht werden, in welchen Thiere auf Menseben aphrodisisch wirken. Man könnte hier von Zoophilia erotica sprechen.

Diese Perversion scheint ihre Wurzel in einem Fetischismus zu haben, dessen Object das Thierfeil ist.

Als Vermittlerin für diesen Fetischismus dtlrfte eine besondere Idio- synkrasie der Tadtnerven anzunehmen aein^ vermöge welcher sie durch Betastung von Pelz, also Thierfeil (analog dem Haar-, Zopf-, Sammt- und Seidefetischismus), eigenartige und wollüstig betonte Erregungen ver- mitteln. So erklärt sich vielleicht bei manchen sexuell Perversen die Vorliebe für Hunde und Katzen (s. p. 174. 175 besonders Beobachtung 91), Der folgende von mir beobachtete Fall spricht zu Gunsten obiger An- nahme.


Beobachtung 103. Zoophilia erotica, Fetischismus. Herr N. N., 21 Jahre, stammt aus neuropathisch belasteter Familie und ist selbst consti- intioneller Neuropathiker. Schon als Kind hatte er den Zwang, die oder jene gleichgültige Handlung auszuführen, aus Angst ^ dass ihn sonst ein Unheil treffe. Er lernte leicht, war nie schwer krank, hatte schon als Knabe eine Vorliebe für Hausthiere, besonders Hunde und Katzen, da, wenn er sie lieb- koste, er ein wollüstig aufregendes Gefühl empfand. Jahrelang gab er sich in ganz unschuldiger Weise diesem ihn angenehm erregenden Spiel mit solchen Thieren hin. Als er in die Pubertätsjahre kam, erkannte er, dass dos eine unsittliche Sache sei und zwang sich, davon abzulassen. Es gelang ihm, aber nmi kamen solche Situationen im Traume, bald auch von Pollutionen l>e- gleitet. Dies brachte den sexuell erregbaren Knaben auf Onanie. Er will anfangs manuell sich befriedigt haben, wobei regelmUssig Gedanken an Lieb- kosen und Streicheln von Thieren sich einstellten. Nach einiger Zeit ge- langte er zu psychischer Onanie, indem er sich solche Situationen vor* stellte und damit Orgtisrans und Ejaculation erzielte. Darüber wurde er neurasthenisch.

Niemals will ihm ein sodomitiscber Gedanke gekommen sein, das Seius bestiarum sei ihm in der Phantasie und in der Wirklichkeit ganz gleich ge- wesen, er habe eigentlich nie daran gedacht.

Homosexual habe er auch nie empfunden, wohl aber heterosexual, jedoch habe er ans mangelhafter Libido (ex masturbatione et neurasthenia !) und aus


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Conträre SexualempGndung.


Furcht vor Änsteckang bis dato nie coitirt. Von Weibern föhle er äch nur zu solchen von schlanker Figur und noblem Gang hingezogen.

Patient bietet die gewöhnlichen Erscheinungen cerebrospinaler Neur- asthenie. Er ist von zartem Bau und anfimisch. Er legt grossen Wertfa aui* Vergewisserung, ob er potent sei und auf eventuelle Herstellung seiner Potenz, wodurch sein darniederliegendes Selbstgefühl sehr gehoben würde.

Kathschlftge im Sinne des Meidens von psychischer Onanie, der Be- seitigung der Neurasthenie» der Krilftigung der sexualen Centren, der Be- friedigung der Vita sexualis auf normalem Wege, sobald als dies aussichtsvoU und möglich.

Epikrise. Keine Bestialität , sondern Fetischismus. Mit dem Lieb- kosen von Hausthieren mag. bei abnorm früh erwachter Vita sexualis, «iae erstmalige sexuelle Erregung, vermuthlich angeregt durch Tastempfindungen, zusammengetroffen sein, zwischen beiden Facten eine Association sich ge- knüpft haben, die durch Wiederholung gefestigt wurde. (Zeitscbr. f. Psych- iatrie, Bd. 50.)


IT. Tief herabgesetzte bis gänzlich mangelnde Geschlechtsempflndung gegenüber dem andern Geschlecht, bei stellvertretendem Geschlechts- gefühl und Geschlechtstrieb zum eigenen (homosexuale s. conträre

Empfindung).

Zu den festesten Bestnndtheilen des Ichbewusstaeins, nach Erreichung der geschlechtlichen Vollentwicklung, gehört das Bewusstsein, eine be- stimmte geschlechtliche Persönlichkeit zu repräaentiren \md das Bedürfniss derselben, während der Zeit physiologischer Vorgänge (Samen-Eibereitung) in dem Generationsapparut, im Sinne dieser besonderen geschlechtlichen Persönlichkeit sexuelle Akte zu vollbringen, die, bewusst oder unbewuast. auf eine Erhaltung der Gattung abzielen.

Bis auf dunkle Ahnungen und Dränge bleiben Geschlechtsgefühl und sexuelle Triebe latent bis zur Zeit der Entwicklung der Generations- orgaue. Das Kiad ist generis neutrius, und wenn auch in diesem Zeit- raum der noch nicht zum klaren Bewusstsein gelangten, bloss virtuell vorhandenen, noch nicht durch mächtige organische Gefühle getragenen latenten Sexualität abnorm früh, spontan oder durch äusseren Einfluss Erregungen der Genitalorgane eintreten und in Masturbation Befriedigung finden mögen, so fehlt doch bei all Dem noch gänzlich die seelische Beziehung zu Personen des anderen Geschlechts, und haben bezügliche sexuelle Akte mehr oder weniger die Bedeutung spinalreflectoriacher.

Die Thatsache der Unschuld oder der sexuellen Neutralität ist um so bemerkenswerther, als doch früh schon, in der Erziehung, Beschäftigung. Kleidung u. s. w., das Kind eine Differenzirung von Kindern des anderen Geschlechtes erfahrt. Diese Eindrücke bleiben aber vorläufig seelisch unbeachtet, weil sie offenbar sexuell unbetont bleiben, da das Central-


Erworbene conträre Sexualempfindimg.


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I


I


organ (Hirnrinde) für sexuelle Gefühle und Vorstellungen noch nicht auf- nahmsfähig, weil unentwickelt ist.

Mit der beginnenden anatomischen und functionellen Entwicklung der Zeugungsorgane und der damit Hand in Hand gehenden Differenzirung der dem betreffenden Geschlecht zukommenden Körperformen, entwickeln sich beim Knaben, beziehungsweise Mädchen, die Grundlagen eines ihrem Geschlecht entsprechenden seeüschen Empfindens, wozu nun allerdings Er- ziehung, überhaupt äussere Einflüsse, bei dem aufmerksam gewordenen Individuum mächtig beitragen.

Ist die sexuelle Entwicklung eine normale, ungestörte, so gestaltet sich ein bestimmter, dem Geschlecht entsprechender Charakter. Es ent- stehen bestimmte Neigungen, Reactionen im Verkehr mit Personen des anderen Geschlechts, und es ist psychologisch bemerkenswerth, wie ver- hältnissmässig rasch sich der bestimmte, dem betreffenden Geschlecht zu- kommende seelische Typus herausentwickelt.

Wahrend z. B. Schamhaftigkeit in der Kinderzeit wesentlich nur eine unverstandene und unverstandliche Forderung der Erziehung und Nach- ahmung war und bei der Unschuld und Naivetät des Kindes nur unvoll- kommen zum Ausdruck gelangte, erscheint jene dem Jüngling und der Jungfrau nunmehr als ein zwingendes Gebot der Selbstachtung, die, wenn ihr nur irgendwie nahegetreton wird, eine mächtige vasomotorische Reaction (Schamröthe) und psychische Affecte hervorruft.

Ist die ursprüngliche Veranlagung eine günstige, normale, und bleiben die psychosexuale Entwicklung schädigende Factoren ausser Spiel, so entwickelt sich eine so festgeitlgte , und dem Geschlecht, welches das Individuum repräsentirt, so vollkommen entsprechende und harmonische psychosexuale PersÖnLchkeit, dass nicht einmal der spätere Verlust der Zeugungsorgane (etwa durch Castration), oder später der Klimax oder das Senium, sie wesentlich verändern können.

Damit soll allerdings nicht behauptet werden, dass der cnstrirte Mann oder das castrirte Weib, der Jüngling und der Greis, die Jungfrau und die Matrone, der impotente und der potente Mann seelisch uidit wesentlich von einander differirten.

Eine interessante und für das Folgende belangreiche Frage geht dahin, ob die peripheren Einflü.sse der Keimdrüsen (Hoden und Ovarien) oder centrale cerebrale Bedingungen für die psychosexuale Entwicklung entscheidend sind. Für die wichtige Bedeutung der Keimdrüsen in dieser Hinsicht spricht die Thatsache, dass angeborener Mangel oder Entfernung derselben vor der Pubertät Körperentwicklung und auch psychosexuale Entwicklung mächtig beeinflussen, so dass die letztere verkümmert und eine mehr weniger dem Typus des entgegengesetzteu Geschlechtes sich nähernde Richtung nimmt (Eunuchen, gew. Viragines u. s. w.).


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Dms die kdrperliehen Vorgänge in den Genitalorganen aber nor mitwirkende, nicht die auaschliesslicben Factoren in dem Werdeprocess einer psjcbosexualen Persönlichkeit sind, geht daraus hervor, dass trotz anatomischer und physiologischer Normalität derselben, gleichwohl eine dem Geschlecht, welches der Betreffende repräsentirt. gegeosätzlidie Sexual- empfindung sich entwickeln kann.

Hier kann die Ursache nur in einer Anomalie centraler Bedingungen, in einer abnormen psychosexualen Veranlagung gegeben sein. Diese Ver- anlagnng ist hinsichtlich ihrer anatomischen und functionellen Begründung vorläufig eine noch dunkle. Da in fast allen bezfiglicheii Fällen der Träger der perversen Sexualempfindung eine neuropathiscbe Belastung nach mehrfacher Hinsicht aufweist und da diese mit erblich degenerativen Bedingungen sich in Beziehung setzen lässt, darf jene Anomalie der psychoaexualen Empfindungsweise als functionelles Degenerationszeichen klinisch angesprochen werden. Diese perverse Sexualität tritt mit sich entwickelndem Geschlechtsleben spontan, ohne äussere Anlässe zu Tage, als individuelle Erscheinungsform einer abnormen Artung der Vita sexualis und impunirt dann als eine angeborene Erscheinung, oder sie entwickelt sich erst im Verlauf einer Anfangs normale Bahnen eingeschlagen habenden Sexualität, auf Grund ganz bestimmter schädlicher Einflüsse und erscheint damit als eine gewordene erworbene. Worauf diese räthselhafte Er- scheinung der erworbenen homosexualen Empfindung beruhen mag, ent- zieht sich zur Zeit noch ganz der Erklärung und gehört der Hypothese an. Es ist wahrscheinlich . auf Grund genauer Untersuchung der sogen, er- worbenen Fälle, dass die auch hier vorhandene Veranlagung in einer latenten Homo- oder mindestens Bisexualität besteht, die zu ihrem Mani- festwerden der Einwirkung von vernnlassenden gelegentlichen Ursachen bedurfte, um aus ihrem Schlummer geweckt zu werden (s. u.).

Innerhalb der sogen, conträren Sexualempfindung zeigen sich Grad- stufen der Ersclieinung, ziemlich parallel gehend dem Grad der Belastung des Individuums, insofern in milderen Fällen bloss psychischer Herm- aphroditismus, in schwereren allerdings nur homosexuelle Empfindungs- weise und Triebrichtung, aber auf die Vita sexualis beschränkt, in noch schwereren überdies die ganze seelische Persönlichkeit und selbst die körperliche Empfindungsweise im Sinne der sexuellen Perversion um- gewandelt, in ganz schweren sogar der körperliche Habitus entsprechend umgestaltet erscheint.

Auf diesen klinischen Thatsachen fusst deragemäss auch die folgende Eintheilung der verschiedenen Erscheinungsweisen dieser psychosexualen Anomalie.


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Krworbeno contrilre Scxualempftndus^.


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A. Die liomosexuale Erapftndmig als erworbene Erscheinung bei beiden GesoMechtern.


Das Entscheidende ist hier der Nachweis der perversen Empfindung gegenüber dem eigenen Geschlecht, nicht die Con- statiruug geschlechtlicher Akte an demselben. Diese zwei Phil- nomene dürfen nicht mit einander verwechselt, Perversität darf nicht für Porversioa gehalten werden.

Sehr oft kommen perverse sexuelle Akte zur Beobachtung, ohne dass ihnen Perversion zu Grunde läge. Dies gilt ganz besonders für sexuelle Handlungen unter Personen desselben Geschlechts, namentlich hinsichtlich Päderastie. Hier ist nicht nothwendig Paraesthesia sexualis im Spiel, sondern oft Hyperästhesie, bei physisch oder psychisch unmög- licher naturgemässer Geschlechtsbefriedigung.

So 6nden wir homosexuellen Verkehr bei impotent gewordenen Masturbanten oder Wollüstlingen oder, faute de mieux, bei sinnlichen Weibern und Männern in Gefängnissen, Schiffen, Casemcn, Bagno's, Pensionaten u. s. w.

Zum normalen Geschlechtsverkehr wird sofort zurückgekehrt, wenn die Hindernisse für denselben entffillen. Ganz besonders häufig ist die Ursache solcher temporärer Verirrung: die Masturbation und ihre Folgen bei jugendlichen Individuen.

Nichts ist geeignet, die Quelle edler, idealer Gefühlsregungen, die aus einer normal sich entwickelnden geschlechtlichen Empfindung ganz von selbst sich erheben, so zu trüben, ja nach Umständen ganz versiegen zu machen, als in frühem Alter getriebene Onanie. Sie streift von der sich entfalten sollenden Knospe Duft und Schönheit und hinterlässt nur den grobsinnlichen thierischen Trieb nach geschlechtlicher Befriedigung. Gelangt ein dergestalt verdorbenes Individuum in das zeugungsfähige Alter, so fehlt ihm der ästhetische, ideale, reine und unbefangene Zug, der zum anderen Geschlcchte hindrängt. Damit ist die Gluth der sinn- lichen Empfindung erlöscht und die Neigung zum anderen Geschlechte eine bedeutend abgeschwächte. Dieser Defect heeiufluast die Moral, die Ethik, den Charakter, die Phantasie, die Stimmung, das Gefühls- und Triebleben des jugendlichen Masturbanten, sowohl des männlichen als des weiblichen, in ungünstiger Weise und lasst nach Umständen das Ver- langen nach dem anderen Geschlecht auf den Nullpunkt sinken, so dass Masturbation jeglicher naturgemässen Befriedigung vorgezogen wird.

Zuweilen leidet auch die Entwicklung höherer sexualer Gefühle gegen- über dem anderen Geschlecbte dadurch Noth, dass hypochondrische Angst vor Ansteckung beim Geschlechtsgenuss oder eine wirklich erfolgte In-



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hAmmk pmme Ge- lt Uoee dflB Gckt, »den aac^ den KApeff iiiWifriB Me KciEPoetii de* 8esiUBp|Mntee MiveiftDfi (inrtmrf Sc^wMm de« Erectioae- and de* E j>a i U l i o aiR«ufauM , Bn^dUlet Wol- hnlgettU Win Biiiwlihf o. ■. v.), wihnod ne die Phaiib»e in fort- wSfecadcr Emgasg erfaiJt luid die Libido anregt.

WoU bei jede« MaetinbaiitcB koamt ein ZeüjKiakt, wo er, er- ■direcbt dordi Belehnag fibcr die Folgen des Lasters oder diese an sidi Hanaalheaie), oder dorcli Beispiel, Vcrfllhning mm anderen geMngtf dem I^ater entflielMB nnd seine VBa tM^Tiqaliy •aairen mficbte.

Die mocatiaclien uod pbysiacben Bedingangen sind hier die denkbar ttngttMtigeton. Die reine Glatb der Empfindung ist dahin, das Feuer aexnetkr Bmoet fehlt, nicht minder das S«lb5trertraa«i , denn jeder Blaslurbant ist mehr weniger feige, maihlos. Rafft sich der jugendliche Hdnder zu einem Veriocb zu coifciren auf. so wird er entweder enttäuscht, weil mit roangelbaftem WollostgefUhl der (}enass fehlt, oder es fehlt ihm ^i die phjfsjMche Kraft zur Vollbringung des Akts. Dieses Fiasko hat die ^H Bedeutung einer Katastrophe nnd fQhrt zu absoluter psychischer Impotenz. ^^ Bdeea Oewiaten, die Erinnerung an erlebte Blamagen hindern den Erfolg bei weiteren Veriucben. Die fortbestehende Libido sexualis verlangt aber nach Befriedigung und die moralische und physische Ferrersion ditegt immer mehr vom Weibe ab.

Au« verschiedenen Gründen (neurasthenische Beschwerden, hypo* chondnüche Furcht vor den Folgen n. s. w.) wird das Individuum aber auch von Mnüturbation abgedrängt. Vorübergehend kann es hier zu BeRtialitUt kommen. Nahe hegt dann der Verkehr mit dem eigenen Qe- Bühlecht — durch gelef^entliche Verftihrung^ durch Freundschaftsgefühle, die sich auf dem Boden pathologischer Sexualität leicht mit sexuellen verbinden.

Passive und mutuelle Onanie sind dann der bisherigen Gepflogenheit te Akte. Findet sich ein Verführer, leider so häufig, so entsteht gezüchtete PUderast, d.h. ein Mensch, der quasi Akte der Onanie mit Personen des eigenen Geschlechts vollzieht, sich dabei in activer, seinem wirklichen Geschlecht entsprechender Rolle fühlt und gefällt, und Hoeliach nicht bloss Personen des anderen, sondern auch denen des eigenen Geschlechts gegenüber sich auf dem Indifferenzpunkt befindet


Krworbene conträre Sexualempfinduag.


187


Bis zu dieser Stufe erstreckt sieb die sexuelle Verkommenheit des normal veranlagten, unbelasteten, geistig gesunden Individuums. Es ist kein Fall nachzuweisen, in welchem bei unbelasteten Indi- viduen die Perversität zur Per Version, zur Umkehr der Qeschlechts- empfinduug geworden wäre ').

Anders liegt die Sache beim belasteten, wahrscheinlich biHexual veranlagt gebliebeneu, d. h. nicht zu aus&cbliesslicb heterosexualer Em- pfindung ausgebildeten Individuum. Die bisher latent gebliebene perverse Sexualität entwickelt sich unter dem Einfluss der durch Masturbation, Abstinenz oder sonstwie entstandenen Neurasthenie.

Es kommt allmühlig im Contact mit Personen des eigenen Geschlechts zu sexueller Erregbarkeit durch solche. Bezügliche Vorstellungen werden mit Lustgefühlen betont und erwecken entsprechende Dränge. Diese ent- schieden degenerative Reaktionsweise ist der Anfang eines körperlich seelischen Umwandlungsprocesses, der in dem Folgenden seine Darstellung


') Garnier (.Änomaliea sexuelles", Paris, p. 508—509) berichtet 2 Fälle (Beob. 222 u. 223), welche dieser Annahme scheinbar entgegenntehRn, besonder» der eretere, wo Krilnkung über die Untreue der Geliebten den Betreffenden dazu ge- langen licss, den VerfUhrongen von Männern za unterliegen. Aus der Beobachtung ergibt sich aber klar, dass dieses Individnum niemals Gefallen an homo- sexualen Akten hatte. In Beobachtung 223 handelt es sich um einen Kßeminirten ab origine, mindestens einen psychischen Hermaphroditen.

Die Meinnng Derjenigen, welche für Knt.stehung homusexualer Empfindungen und Triebe ausschliesslich fehlerhafte Erziehung und andere psychologische Momente verantwortlich machen, ist eine ganz irrige.

Man kann einen Unbelasteten noch so weibisch erziehen, und ein Weib noch 80 männlich , sie werden dadurch nicht bouioaexual werden. Die Natur- anläge ist entscheidend, nicht die Erziehung und anderes Zuf&Uige, wie z. B. Verführung. Von contrllrer .Sexualempfindung kann nur die Rede sein, wenn die Person des eigenen Geschlechts einen psychosexualen Reiz auf die andere ausübt, also Libido, OrgasmuH vermittelt, namentlich aber seelisch anziehend wirkt. Ganz anders die FlLlle, wo faute de mieux bei grosser Sinnlichkeit und mangel- haftem ä»tbetischem Sinn eine Person des eigenen Geschlecht« zu einem onanistischen Akt (nicht zu einem Coitus in seelischem Sinne) an ihrem Körper benutzt wird.

Sehr klar und überzeugend weist Moll in seiner verdienstvollen Monographie auf das Schwergewicht der originären Veranlagung gegenüber der Bedeutung von Qelegcnhcits Ursachen hin (vgl. op. cit. p. 212 — 231). Er weiss ,7on vielen Fallen, wo der frühere sexuelle Verkehr mit M&nncrn eine Ferversion nicht horbeiführeu konnte.* Moll sagt femer bezeichnend: .Ich kenne eine derartige Epidemie (von mutueller Onanie) aus einer Berliner Schule, woselbst ein jetziger Schauspieler die mutuellc Onanie in schamloser Weise eingeführt hat. Obwohl ich jetzt die Namen von sehr vielen Berliner Urningen weil», so konnte ich doch unter den damaligen Scbfilem des betreffenden Gymnasiums von keinem auch nur mit einiger Wahr- scheinlichkeit ermitteln, dass er Urning geworden sei, hingegen weiss ich von vielen dieser Schüler ziemlich genau , dass sie jetst geschleohtUclt normal empfindezi und verkehren.*


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Conträre Sexual empfind aog.


finden mag und zu dem Interessantesten gehört, was sich psychopatbo- logisch beobachten lässt. Diese Metamorphose läfist verschiedene Stadien oder Stufen erkennen.


I.Stufe: Einfache Verkehrung der Geschlechtsempfindung

Diese Stufe ist erreicht mit dem Zeitpunkt, wo die Person des eigenen Geschlechts aphrodisisch wirkt und der Betreffende geschlechtlich lür sie empfindet. Charakter und Empfindungsweise bleiben aber vorerst dem Geschlecht, welches der jene Verkehrung der Geschlecbtsempfindung Bietende besitzt, noch entsprechend. Er fühlt sich in activer Rolle, em- pfindet seinen Drang zum eigenen Geschlecht als eine Verirrung und sucht eventuell Hülfe.

Mit episodisch gebesserter Neurose kann sogar Anfangs normale sexaelle Empfindung wieder auftreten und sich behaupten. Die folgende Beobachtung erscheint recht geeignet, diese Etappe auf dem Weg der psjchosextiaien Entartung zu exempliliciren.

Beobachtung 104. Erworbene contrare Sexnalempfindnng. Ich bin Beamter and stamme ans einer, soviel mir bekannt, unbelasteten Familie; mein Vater starb an einer acuten Krankheit, die Mutter lebt, ist ziemlich «nervös'. Eine Schwester ist seit einigen Jahren sehr intensiv religiös geworden.

Ich selbst bin gross, mache einen durchaus männlichen Eindruck in Sprache, Gang und Haltung. Von Krankheiten babe ich nur Masern durch- gemacht, habe aber von meinem 13. Jahre ab an sogenannten nervösen Kopf- schmerzen gelitten.

Mein sexuelles Leben begann im 1'-i. Lebensjahre, wo ich einen etwas alteren Jungen kennen lernte, quocum alter alterius genitalia tangendo delec- tabar. In meinem H. Lebensjahre hatte ich die erste Ejaculation. Von zwei alteren Mitschülern zur Onanie verfQhrt , frOhnte ich derselben theils mit Anderen , theils allein , im letzteren Fall jedoch stets mit dem Gedanken an Personen weiblichen Geschlechts. Meine Libido sexualis war sehr gross, wie sie es auch heute noch ist. Später versuchte ich mit einem hübschen , kräf- tigen Dienstmädchen mit sehr starken Mammae anzubinden; id solum asse- cutus Bum. ut me praesente snperiorem corporis sxii partem enudaret mihique concederet os raammasque osculari, dum ipsa penem meum rolde erectum in manom suam recepit eumqne trivit.

Qnamquam violentisstme coitnm rogavi hoc solum concessit, ut genitalia eins tangerera.

Auf die Universität gekommen, suchte ich ein Lupanar auf, reussirte auch ohne Anstrengung.

Da aber trat ein Ereigniss ein, welches in mir einen Umschwung her- vorbrachte. Ich begleitete eines Abends einen Freund nach Hause und griff ihm, etwas angeheitert wie ich war, ad genitalia. Er wehrte sich nur wenig; ich ging dann mit auf sein Zimmer, wir onanisirten uns und trieben fortan diese mutuelle Masturbation ziemlich häufig; es kam sogar zur immissio penis in OS mit folgender Ejaculation. Sonderbar ist es nur, dass ich in diesen Betreffenden nicht im Geringsten verliebt war, dagegen leidenschaftlich in einen anderen meiner Freunde, in dessen Nähe ich aber niemals die geringste



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Erworbene conträre Sexualempfindung.


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sexuelle Erregung spürte, den ich überhaupt nie mit sexuellen Vorgängen in meinen Gedanken zusammenbrachte. Meine Besuche im Lupanar, wo ich ein gern gesehener Gast war, wurden seltener, ich (und bei meinem Freunde Er- satz und sehnte mich nicht nach geschlechtlichem Verkehr mit Weibern.

Päderastie trieben wir niemals, das Wort wurde zwischen uns überhaupt nicht genannt. Seit Heginn dieses Verhältnisses mit meinem Freunde onanirte ich wieder mehr; naturgemäfis traten die Gedanken an weibliche Personen mehr und mehr in den Hintergrund, ich dachte un junge, hübsche, kräftige Männer, mit müglichst grossen Gliedern. Burschen von 10 — 25 Jahren ohue Bart waren mir die liebsten, aber sie mussten hübsch und sauber sein. Be- sonders erregten mich jugendliche Arbeiter mit Hosen aus sogenanntem Man- chesterstoff oder aus engfischeai Leder, vornehmlich Maurer.

Gleicfagestellle Personen reizen mich so gut wie gar nicht, dagegen empfinde ich beim Anblick eines solchen strammen Jungen aus dem Volke eine deutliche sexuelle Erregung, Das Berühren solcher Beinkleider, das Oeffnen derselben, das Ergreifen des Penis, sowie das Küssen des Burschen erscheint mir von höchstem Reiz. Meine Emprilnglicbkeit iur weibliche Reize ist etwas abgestumpft, doch bin ich im geschlechtlichen Verkehr mit einem Weibe, besondere wenn es stark entwickelte Mammae hat, stets potent, ohne dass ich Phuntasiebilder zu Hülle nehme. Leb habe nie den Versuch gemacht, einen jungen Arbeiter oder dergleichen für meine unschönen Gelüst© zu miss- brauchen und werde es auch nicht thun, aber die Lust dazu verspüre ich sehr oft. Zuweilen halte ich das Bild eines solchen Burschen fest und onanire dann zu Hause.

Sinn für weibliche Beschäftigung fehlt mir vOllig. In Damengesellschaft verkehre ich müssig gern, Tanzen ist mir zuwider. Ich interessire mich leb- haft für schöne Künste. Dass ich stellenweise conträr sexual empfinde, ist, glaube ich, zum Theil eine Folge gi'osser Bequemlichkeit, welche mich ver- hindert, irgend ein Verhilltniss mit einem Mädchen anzuknüpfen, da mir das zu viel Umstfinde macht; immer das Lupanar aufzusuchen, ist mir aus ästhe- tischen Gründen zuwider; so verfalle ich denn auf das leidige Onaiiiren , von dem zu lassen mir sehr schwer fiilit.

Ich habe mir selbst hundertmal vorgehalten, dass ich, um vollständig normal sexuell empfinden zu können, vor allem die schier unbezwingliche Leidenschaft für die unselige Onanie, diese meinem ästhetischen Gefühl so widerwärtige Verirrung, unterdrücken müsse; ich habe mir so und so oft vorgenommen, mit aller Kraft des Willens gegen diese Leidenschaft anzu- kämpfen; es ist mir bis heute nicht gelungen. Anstatt, wenn sich der sexuelle Trieb besonders heftig in mir regte, Befriedigung auf natürlichem Wege zu suchen, zog ich es vor, zu oaaniren, weil ich fühlte, dass ich davon mehr Ge- nuas haben würde.

Und dabei hat mich die Erfahrung gelehrt, dass ich bei Mädchen stets potent bin und zwar ohne Mühe und ohne Zuhülfenahme von Bildern männ- licher Genitalien, mit Ausnahme eines einzigen Falles, in dem ich es aber deshalb nicht zu einer Ejaoulation brachte, weil das betreffende weibliche Wesen — es war in einem Lupanar — jeglicher Reize entbehrte. Ich kann mich des Gedankens und schweren Selbstvorwurfs nicht entschlagen , dass die bis zu einem gewissen Grade bei mir doch nun einmal vorhandene conträre SexualempHndung eine Folge des excessiven Ünanirens ist, und das wirkt vor- nehmlich so deprimirend auf mich, weil ich mir sagen muss, dass ich kaum in mir die Kraft fühle, diesem Laster aus eigenem Willen ganz zu entsagen.

In Folge des in meinem Schreiben erwähnten geschlechtlichen Verhält- nisses zu einem Studiengenossen und langjährigen Schulfreunde, welches aber erst während unserer Universitätszeit entstand , nachdem wir 7 Jahre ledig- lich freundschaftlich verkehrt hatten, ist in mir der Trieb zu unnatürlicher Befriedigung der Libido bedeutend stärker geworden.


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Contx&re SexuaUtnpfindimg.


Ich bitte, mir Doch die Erz&hlmig einer Episode zu gestattea, die mj Monate lang viel zu schaffen gemacht.

Ich lernte im Sommer 1882 einen t> Jahre jüngeren Kommilitonen kennen, welcher zugleich mit mehreren anderen an mich und meine Bekannten empfohlen war. Sehr bald fühlte ich ein tieferes Interesse für den bild- KChönen , ungemein proportionirt, schlank und gesund aussehenden MenscheD. welches sich nach mehrwöchentlicbem Verkehr zu intensivstem Freund.whafU- gef&hl, weiterhin zur leidenschaftlichen Lifbe und qn^enden Eiffirsuchtsempfin- düng entwickelte. Ich merkte sehr bald, daes bei mir sinnliche Regungen stark mitäpracben, und so fest ich mir auch vornahm, mich diesem, von allem Anderen abgesehen , von mir wegen seines vortrefflichen Charakters so hoch geachteten Menschen gegenüber im Zaum zu halten, unterlag ich doch in einer Nacht, als wir nach vorausgegangenem reichlichem Biergenuss in meiner Wohnung bei einer Flasche Wein sassen und auf gute, wahre und dauernde Freundschaft tranken , der unwiderstehlichen Begierde , ihn au mich m pressen u. s. w.

Als ich ihn am nächsten Tage wiedersah, schämte ich mich so, dass ich ihm nicht in die Augen blicken konnte. Ich empfand die bitterste Reue über mein Vergehen und machte mir die heftigsten Vorwürfe, dass ich diese Freund- schaft, die rein und edel sein und bleiben sollte, so beschmutzt hatte. Um jenem zu beweisen, dass ich mich nur momentan hatte hinreissen lassen, drängte ich ihn, am Schlüsse des Semesters mit mir eine Reise zu machen: nach einigem Widerstreben . dessen Gründe mir nur zu klar waren , wilügto er ein ; wir schliefen mehrere Nächte im gleichen Zimmer, ohne dass ich den geringsten Versuch gemacht hatte, jene Handlung zu wiederholen. Ich woUtf* mit ihm über den Vorgang jener Nacht sprechen, ich brachte es nicht fertig: als wir im folgenden Semester getrennt waren, konnte ich es auch nicht über mich gewinnen, ihm in der betreffenden Sache zu schreiben, und als ich ihn dann im März in X. besuchte, ging es mir wieder so. Und doch fühlte ich das dringendste Bedürfniss. diesen dunkeln Punkt durch eine offene Aussprache zu klaren, lin October dieses Jahres war ich wieder in X. und diesmal fand ich den Muth zur rückhaltlosen Aussprache. Ich bat ihn um Verzeihung, die er mir gern gewahrte; ja, ich fragte ihn sogar, weshalb er mir damals nicht entschiedenen Widerstand geleistet, worauf er antwortete, zum Theil hatte er mir aus Gefälligkeit meinen Willen gelassen, zum Theil, weil er ziemlich an- gezecht gewesen und somit in einer gewissen Apathie befangen gewesen sei. Ich setzte ihm meinen Zustand ausgehend auseinander und sprach ihm die feste Hoffnung aus, dass es mir aus eigener Kraft gelingen würde» meiner unnatürlichen Triebe vüllig und dauernd Herr zu werden. Seit dieser Aus- sprache ist das Verhältniss zwischen jenem Freunde und mir das denkbar erfreulichste und beglückendste, die freundschaftlichen Gefühle sind auf beiden Seiten innige, wahre und hoffentlich dauernde.

Wenn ich nicht eine Besserung meines abnormen Zustandes ei'kennen sollt-e, würde ich mich wohl entschliessen . mich vollstäindig Ihrer Behandlung zu unterstellen, um so mehr, als ich mich nach genauem Studium Ihres Werkes nicht zu der Kategorie der sogenannten Urninge züLhleu kann» vielmehr die feste Ueberzeugung oder jedenfalls Hoffnung habe, dass festester Wille, unter- stützt und geleitet durch sachkundige Behandlung, mich zum normal empfin- denden Menschen machen können.

Beobachtung 105. Ilma S. '), 29 Jahre, ledig, Kaufmannstochter. stammt aus schwer belasteter Familie. Vater war Potator und endete durch Selbstmord , gleichwie Bruder und Schwester der Patientin. Schwester leidet

^) Vgl. d, Verf. .Experimentelle Studie auf dem Gebiet des Hypnotismus, 3. Aufl. 1893/


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Erworbene conträre Sexualempfindung.


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an Hysterift convnlsiva. Matters Vater crschoss sich in irrsinnigen] Zu.stand. Mutter war kränklich und stark apoplectisch gelahmt. Patientin war nie schwer krank, begabt, sehwiiriuerisch, pbautasievoll , triluineriscb. Menses mit 18 Jahren ohne Beschwerden, in der Folge höchst unvegelmässig. Mit 14 Jahren Cblorose und Scbreckkatalepsie. Spftter Ilysteria gravis und An- fall von hysterischem Wahnsinn. Mit \>i Jahren VerhIÜtniss mit einem jnngen Mann, das kein platonisches blieb. Die Liebe dieses Mannes wurde brünstig erwidert. Aus Andeutungen der Patientin geht hervor, dass sie sehr sinnlich war und sich nach Entfernung von dem Geliebten der Masturbation ergab. Patientin führte in der Folge einen romanhaften Lebenswandel. Um ihr Fort- kommen zu ßnden, zog sie MUnnerkleider un, wurde Uauelebrer, gab die Stelle auf, weil die Frau vom Hause, ihr Geschlecht nicht kennend, sich in sie ver- liebte und ihr nachstellte. Sie wurde nun Bahnbeamter. In Gesellschaft der CoUegen musste sie, um ihr wahres Geschlecht zu verbergen, mit ihnen Bor- delle besuchen, die anstössigsten GesprILche anhören. Dies wurde ihr SO widerlich, dasa sie ihre Stelle aufgab, eines Tages wieder Weiberkleider anzog und in weiblicher Stellung ihren Erwerb suchte. Wegen DiebstUhlen kam sie in Haft, wegen schwer hystero-epileptiscber Insulte ins Spital. Dort entdeckte man Neigung und Trieb zum eigenen Geschlecht. Patientin fiel allenthalben lästig durch brünstige Liebe zu Pflegerinnen und Mitkranken.

Man hielt ihre sexuelle Perversion für eine angeborene, Patientin gab in dieser Hinsicht interessante berichtigende Aufschlüsse:

^Man beurtbeilt mich unrichtig, wenn man glaubt, dass ich mich dem weiblichen Geschlecht gegenüber als Mann fühle. Ich verbalte mich vielmehr in meinem ganzen Denken und Fühlen als VVeib. Habe ich doch meinen Cousin so geliebt, wie nur ein Weib einen Mann lieben kann.

„Die Aenderung meiner Gefühle entstand dadurch, dass ich in Pest, als Mann verkleidet, Gelegenheit hatte, meinen Cousin zu beobachten. Ich sah, dass ich mich in ihm arg getäuscht hatte. Das bereitete mir furchtbare Seelenqualen. Ich wusste, dass ich nie mehr im Stande sein werde, einen Mann zu lieben, dass ich zu jenen gehöre, die nur einmal lieben. Dazu kam, dass ich in der Gesellschaft meiner CoUegen von der Bahn die anstiissigsten Gespräche anhören , die verrufensten Häuser besuchen musste. Durch die so gewonnenen Einblicke in das Treiben der Männerwelt bekam ich einen unüber- windlichen Widerwillen gegen die Mönner. Da ich aber von Natur sehr leidenschaftlich bin und das Bedürfniss habe, mich einer geliebten Person an- zuschliessen und mich derselben ganz hinzugeben, fühlte ich mich immer mehr zu mir sympathischen Frauen und Mädchen, besonders durch Intelligenz her- vorragenden, mächtig hingezogen."

Die offenbar erworbene conträre Sexualempfindung dieser Patientin äusserte sich oft in stürmischer, entschieden sinnlicher Weise und gewann weiteren Boden für Masturbation , da die permanente Aufsicht in Spilälem sexuelle Befriedigung am eigenen Geschlecht nicht möglich machte. Charakter and Bescbäftigungsweise blieben weiblich. Zu Erscheinungen von Viraginität kam es nicht. Nach dem Verfasser kürzlich gewordenen Mittheilungon ist diese Kranke durch 2jahrige Behandlung in der Irrenanstalt von ihrer Neurosp and sexualen Perversion befreit und genesen entlassen worden.

Beobachtung 100. Herr X., 35 Jahre, ledig, Beamter, stammt von gern üthskrun kor Mutter. Bruder Hypochonder.

Patient war gesnnd, kräftig, von lebhaftem, sinnlichem Temperament, hatte abnorm früh und mächtig sich regenden Sexualtrieb, masturbirtc schon als kleiner Knube, coitirte zum ersten Mal schon mit 14 Jahren, angeblich mit Genuss und voller Potenz. 15 Jahre alt, versuchte ihn ein Mann zu ver- führen, manustuprirte ihn. X. empfand Abscheu, befreite sich aus dieser , ekelhaften" Situation. Er excedirte herangewachsen in unbändiger Libido mit


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Contiäre SciDalempfindiuig.


Coitus, wurde 16S0 neurastheniscb, litt an Ercctionsscbw&clie und Ejacnlal praecox, vrarde damit immer weniger potent and empfand auch keinen Gennss mehr beim sexuellen Akt. Zu jener Zeit der sexuellen Decadence hatt« er Docb eine Zeitlang eine ihm früber fremde und ibm noch jetH gant unbe- greifliche Neigung 7um sexuellen Verkehr cum puellis non pubibns XII ad XlU annorum. Seine Libido steigerte sich mit abnehmender Potenz.

Allm&blig bekam er Neigung zu Knaben von 13 — 14 Jahren. Es trieb ihn, an solche sich anzudrängen.

Quodsi ei occasio data est, ut längere posset pueros, qui ei placuere. penis vehementer .so ereiit tum maxime quum cmra puerorum längere potoisset. Abhinc feminas non cupivit. Nonnunquam feminas ad coitum co9git sed erectio debilis, eiaculatio praematura erat sine nlla voluptate.

Es intere^irten ihn nur noch junge Bursche. Er träumte von ihnen, bekam dabei Pollutionen. Von 1882 ab hatte er ab und zu Gelegenheit, con* cumbere cum juvenibus. Er war dann sexuell mächtig erregt, half sich mit Masturbation.

Nur ausnahmsweise wagte er es, socios concumbentes längere et mostur- bationem mutnam adseqni. Päderastie vernbscheute er. Meist war er ge- nöthigt, seinem sexuellen Bedürfniss durch soUtäre Masturbation zu genügen. Er stellte sich dubei das Erinnerungsbild sympathischer Knaben vor. Nach sexuellem Verkehr mit solchen fühlte er sich jeweils gekräftigt, erfrischt, aber moralisch gedrückt in dem Bewusstsein, eir.e perverse, unsittliche, strafbare Handlung begangen zu haben. Er empfand es höchst peinlich, dass sein ab- scheulicher Trieb mächtiger sei als sein Wille.

X. vermuthet, da.ss seine Liebe zum eigenen Geschlecht durch masslose Excesse im natürlichen Geschlechtsgenuss entstanden sei, beklagt tief seine Lage, fragt anlässlich einer Consultation im December 1886, ob es kein Mittel gebe , um ihn zu normaler Sexualität zurückzubringen « da er ja eigentlich keinen Horror feminae habe und gerne beirathen würde.

Ausser Erscheinungen sexueller und spinaler Neurasthenie inUssigen Grades bietet der intelligente, von Degenerationszeichen freie Patient keine Krankheitssymptome.


II. Stufe: Eviratio und Defeminatio.


Tritt bei derart entwickelter conträrer Sexualerapfindung keine Rück-' bildung ein, so kann es zu tiefer greifenden und dauernden Umänderungen der psychischen Persönlichkeit kommen. Der hier sich vollziehende Proceas läset sich kurz als Eviratio (Defeminatio — beim Weibe) be- zeichnen. Der Kranke erfahrt eine tiefgebende Wandlung seines Charakters, Hpecioll Beiner Gefühle uud Neigungen im Sinne einer weiblich fühlenden Persönlichkeit. Von nun an fühlt er sich auch als Weib bei sexuellen Akten, hat nur mehr Sinn für passive Geschlecbtsbethätigung und geräth nach Umständen auf die Stufe der Courtisane. In diesem Zustand tieferer und dauernder psychosexualer Veränderung gleicht der Betreffende voll- kommen dem (angeborenen) Urning höheren Grades. Die Möglichkeit einer Wiederherstellung der alten geistigen und sexualen Persönlichkeit erscheint hier ausgeschlossen.

Die folgende Beobachtung ist ein klassisches Beispiel derartiger dauernder erworbener conträrer Sexualerapfindung.


Knrorbene coDtr&re Seraalempfindong.


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Beobachtung 107. 8cb., 80 Jahr« all, Arrt, theilt© mir eines Tages seine Lebens- und Kiaukheitsgescbiolite mit, Aufklärung und Rath erbittend för gewisse Anomalien seiner Vita sexualis.

Die folgende Darstellung folgt vielfach verbotenus der umfangreichen Autobiographie, sie nur gelegentlich kürzend.

Von gesunden Eltern erzeugt, war ich als Kind schwächlich, gedieh aber unter guter Pflege und kam in der Schule gut fort.

Im 11. Jahre wtirdfl ich von einem Spielkameraden zur Masturbation verleitet und ergab mich ihr mit Leidenschaft. Bis zum 15. Jahr flel mir das Lernen leicht. Mit sich häufenden Pollutionen wurde ich weniger leistungs- filhig, kam in der Schule nicht mehr so gut fort, war unsicher, beklommen und verlegen . wenn ich vom Lehrer aufgerufen wurde. Erschrocken über das Sinken meiner Fähigkeiten und erkennend, dass daran die grossen Sperma- Verluste Schuld waren, unterliess ich nun das Onaniren, aber gleichwohl häuften sich die Pollutionen, so dass ich oft 2 — 3mal in einer Nacht ejaculirte.

Ich consultirte nun verzweifelt Aerzte um Aerzte. Keiner konnte mir helfen.

Da ich durch die Spermaverluste immer schwächer und matter wurde, auch der Trieb nach Geschlechtsbefriedigung immer mächtiger sich regte, ging ich ins Lupanar. Aber dort konnte ich mich nicht befriedigen, denn wenn mich auch Adspectus ferainae nudao ergötzte, so trat doch nicht Orgasmus noch Krection ein, und selbst durch Manustupration seitens der Puella war die Erection nicht zu erzielen.

Kaum hatte ich das Lupanar verlassen, so quälte mich wieder der Trieb und hatte ich heftige Erectionen. Da schämte ich mich vor den Mädchen und besuchte nicht mehr solche Orte. So vergingen ein paar Jahre. Meio Sexualleben bestand aus Pollutionen. Meine Neigung zum anderen Geschlecht erkaltete immer mehr. Mit 19 Jahren kam ich auf die Universität. Das Schauspielhaus zog mich mehr an. Ich wollte Künstler werden. Die Eltern gaben es nicht zu. In der Hauptstadt musste ich mit Collegen hie und da wieder zu Mädchen gehen. Ich fürchtete derartige Situationen, da ich wnsste, dass mir Coitus nicht gelingen werde, meine Impotenz den Freunden ver- rathen werden könnte, und so mied ich thunlich die Gefahr, in Spott und Schande zu gerathen.

Eine^ Abends sass neben mir im Opernhause ein älterer Herr. Er machte mir die Cour. Ich lachte herzlich über den närrischen alten Mann und ging auf seine Spässe ein. Exinopinato genitalia mea prehendit, quo facto statim penis meus se erexit. Erschrocken stellte ich ihn zur Rede, was er wolle. Er erklärte mir, er sei in mich verliebt. Da ich in der Klinik von Zwittern gehurt hatte, glaubte ich einen solchen vor mir zu haben» curiosus factus genitalia eius videre volui. Der Alte willigte erfreut ein, ging mit mir in den Abort. Sicuti penem maximum eius erectum adspexi. perter- ritus efittgi.

Jener passte mich ab, machte mir sonderbare Anträge, die ich nicht verstand und abwies. Er Hess mir keine Ruhe, Ich erfuhr die Geheimnisse des mannmännlichen Liebens, fühlte, wie meine Sinnlichkeit dadurch erregt wurde, widerstand aber so schmachvoller Leidenschaft (wie ich damals dachte) und blieb die drei nächsten Jahre davon frei. Wiederholt versuchte ich wäh* rend dieser Zeit wieder fruchtlos den Coitus mit Mädchen. Ebenso erfolglos waren meine Bemühungen, durch ärztliche Kunst mich von meiner Impotenz zu befreien.

Als wieder einmal die Libido sexualis mich plagte, erinnerte ich mich der Aeusserung des alten Herrn, dass auf der £.-Promenade manuliebende Männer znsantmenkommen.

Nach hartem Kampf und mit klopfendem Herzen ging ich hin , machte die Bekanntschaft eines blonden Herrn und liess mich verführen. Der erste T. Krafft-CblDg, PiychopatUia sflzaalls. lo Aafl. l^


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Oonträre Sexualempfindun^.


Schritt war gethan. Diese Art der geschlechtlichen Liebe war mir adäquat. Am liebstea wur ich immer in den Armen eines kräftigen Mannes.

Die Hofriedigung bestand in mutaeller Manustupration. Gelegentlich OKulnm ad penem alterius. Ich war nun 23 Jahre alt. Das Zusammen sitzen mit den Commilitoneu Auf den Krankenbetten in der Klinik während der Vor- träge regte mich mächtig auf, so doss ich kaum dem Vortrage folgen konnte. Im gleietiou Jahre knüpfte ich mit einem 34jährigen Kaufmann ein f<3rm1iches Liebe.sbündniss. Wir lebten wie Mann und Frau. X. wollte den Mann spielen. wurde immer verliebter. Ich war ihm zu Willen, jedoch musste er mich ab und zu auch Mann sein lassen. Mit der Zeit bekam ich ihn satt, wurde ihm untren, er wurde eifersüchtig. Es kam zu furchtbaren Scenen, zu temporärer Versöhnung, schliesslich definitivem Bruch. (Der Kaufmann wurde später irrsinnig und endete durch Selbstmord.)

Ich machte viele BekanntBchafton, liebte die ordinärsten Leute. Solche, die vollbärtig, gross und im mittleren Alter waren, die aktive Bolle gut zu spielen begabt waren, bevorzugte ich.

Ich bekam eine Proctitis. Der Professor meinte: von dem vielen Sitzen wegen der Vorbereitungen aufs Examen. Ich bekam eine Fistel, musste operirt werden, aber das kurirte mich nicht von meinem Drang, mich passiv benutzen zu lassen. Ich wurde Arzt, kam in eine Provinzialstadt, musste da leben wie eine Nonne.

Ich bekam Neigung, mich in Damengesellschaft zu bewegen, und wurde dort gerne gesehen, weil man fand, üaes ich nicht so einseitig sei, wie die meisten Männer und mich für Toilette und dergleichen Damengespräcb inter- essirte. Jedoch fühlte ich mich sehr unglücklich und einsam.

Glücklicherweise lernte ich in dieser Stadt einen gleich mir empfindenden Manu, ^ine «Schwester* kennen. Auf einige Zeit war ich durch ihn versorgt. Als er fort musste, kam eine Venweiflungsperiode mit Trübsinn, bis zu Selbst- mordgedanken.

Da ich es in dem Städtoben niiht aushalten konnte, wurde ich Militär- ant in der Grossstadt. Da lebte ich wieder auf, machte oft zwei bis drei Bekanntschaften an einem Tage. Ich hatte nie die Knaben oder junge Leute goliebt, nur wahr« Männergestalten. So entging ich den Krallen der Preller. Der Gedanke, einmal der Polizei in die Hände zu fallen, war mir schreck- lich ; gleichwohl konnte er mich nicht an der Befriedigung meiner Triebe verhindern.

Nach einigen Monaten verliebie ich mich in einen -lOjährigen Beamten. Ein Jahr lang blieb ich ihm treu. Wir lebten wie ein Liebespaar. Ich war die Frau and wurde vom Geliebten förmlich verhätschelt. Eines Tages wurde ieh in eine kleine Stadt versetzt. Wir waren trostlos. Per totam nociem postremam nos vicissim osculati et ainpI*>TAti sumus.

in T. war ich namenlos unglücklich, trotz einiger .Schwestern*, die ich fand. Ich konnte den Geliebten nicht Tergesaen. Um dem grobsinnlichen Trieb, der nach Befriedigung drängte, zu genügen, wählte ich mir Soldaten. Um Geld machten die Leute Alles, aber sie blieben kalt und ich hatte keinen Gennss mit ihnen. £ä gelang mir, nach der Hauptstadt zuröckrersetit zu werd«n. New« LMbetrarhlltuss , aber viel Eifersucht, da der Geliebte gernt in 8ch«e!iw»|(WMiniifhift ging, eitel und kokett war. Es kam zam K^di.

Ich war greosflolos unglücklich und froh, durch Versetiacg aus der Hauptstadt fortsokoauDea. lä sit» nun in C. einsam, trostloe. Zwei Infua- teristttk wuhImi Abgerichtet « aber mit dem früheren an befriedigenden Erfolg. Wann ww4# ich »eoerdiiigs «ubre liebe finden?! Ich bin über mittelgrofis, gQt eatviekali, silie etwmt rertebt aus, weshalb ich da, wo ich Erobenugen nacben wüK mit T(»lfltlekftuteB nadibetfe, Haltung. Otetea. Stimme nad Mtiinhcih K&rperlieb Ahle icb mich jugeodlich wie ein Bursche roo 20 Jabreu. Itk tiibe das I^eater. tber^Mpi die Euttt. Mmmt AvfmveksKmktit auf der


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Erworbene costräre Sexualempfindung.


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Büboe gilt den Schauspielerinnen, an welchen ich jede Bewegung und jeden FttUenworf bemerke und kritisire.

In Herrengesellschaft bin ich schüchtern, befangen, in der von meines- gleichen bin ich ausgelassen, witzig, kann schmeicheln wie eine Katze, wenn mir der Mann sympathisch ist. Bin ich ohne Liebe, so gerathe . ich in tiefe Melancholie, die aber den Tröstungen des ersten hübschen Mannes sofort weicht. Im Uebrigen bin ich leichtsinnig, nichts weniger als ehrgeizig. Meine Charge imponirt mir nicht. Männliche BesclUiftigung ist mir imsyropathisch. Am liebsten le.se ich Romane, gehe ins Theater u. s. w. Ich bin weich, empüud- sam, leicht gerührt, leicht verletzlich, nervüs. Ein plötzliches Geräusch macht mich am ganzen KOrper erbeben und ich muss mich dann zusammennehmen, dass ich nicht aufschreie.

Epikrise: Der vorstehende Fall ist jedenfalls ein solcher von er- worbener conträr«^r Sexualempfindung, denn geschlechtliche Empfindung and Trieb waren ursprünglich dem weiblichen Geschlecht zugewendet. Durch Masturbation wird Seh, neurasthenisch.

Als Theilerscheinung neurasthenischer Neurose entsteht verminderte An- spmchsfUhigkeit des Erectionscentrums und damit relative Impotenz. Dadurch erkaltet die sexuelle Empfindung zum anderen Geschlechte bei fortbestehender Libido sexualis. Die erworbene contrllro Sexualempfindung muss eine krank- hafte sein, denn schon die erstmalige Berührung durch eine Person des eigenen Geschlechts bildet einen adUquaten Reiz für das Erectionscentrum. Die Per- version sexuellen Fühlens wird eine ausgeprägte. Anfangs fühlt sieb Seh. noch in der Rolle des Mannes beim geschlechtlichen Akte, immer mehr im Verlauf verwandelt sich aber Fühlen und Drang zur Befriedigung in der Weise, wie sie beim (geborenen) Urning die Regel ist.

IMese Eviratio iQsst die passive Rolle und weiterhin (passive) PAderastie begehrenswerth erscheinen. Jene erstreckt sich weiterhin auf den Charakter, Dieser wird weiblich, insofern Seh. nun mit Vorliebe in Gesellschaft wirk- licher Feminae sich bewegt, immer mehr Sinn für weibliche Beschäftigung bekommt und sogar zur Schminke und Toilettekünsten Zuflucht nimmt, um sinkende Reize aufzufrischen und .Eroberungen*' zu machen.

Die vorausgehenden Thatsachen der erworbenen contraren Sexual- empfindung und der Eviratio finden eine interessante Bestätigung in folgenden ethnologischen Erfahrungen.

Schon bei H e r o d o t findet sich die Boschreibung einer sonderbaren Krankheit, von welcher häufig die Skythen befallen wurden. Die Krankheit bestand darin, dass Mllnner weibisch von Charakter wurden, weibliche Klei- dung anlegten, weibliche Arbeit verrichteten und auch in ihrem Aeusseren weibliches Gepräge bekamen.

Für diesen Skythenwahnsinn ') gab Herodot als Erklärung die Mythe, es habe die Göttin Venus, erzürnt über die Plünderung ihres Tempels zu Ascalon durch die Skythen, die Tempelschänder und ihre mUnnUche Nach- kommenschaft zu Weibern gemacht.


') Vgl. Sprengel, Apologie des Bippokrates. Leipzig 1792. p. 611. — Fiiedreich^ Liler&rgeschichte der psych. Krankheiten 1830, p. 31. — Lallemand, Des pertes ai^minalei*. Paris 1836. 1. p. 581. — Nyvten. Dictionn. de medecine 11. i^dit., Parifi 1858, Art.. evirutiun und Maladie des Scythes. — Marandon. De la maladie den ScythcK, Annal. medico-ii»ychol. 1877, Mars, p. 161. — Hammond, American Journal of Neurology and Psychiatry 1882, August.


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Errorbese contrtre SexualempAndusg.


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Beobachtung lOS. Autobiographie. 1^4 in Uogam geboreD. wmr ich lange Jahre das einzige Kind meiner Eltern , da die meisten anderen Oeschwistcrr an Lebensschwäche starben ; erst sp&t kam noch ein Bmder nach, welcher das Leben behielt.

Ich stamme ans einer Familie, in welcher Nerven- und psychische Leiden vielfach vorgekommen sind. Als kleines Kind soll ich sehr hübsch gewesen sein, mit blonden Locken and durchsichtiger Baut; sehr folgsam, stille ^ be- scheiden, so da£s man mich in jede Damengesellschaft mitnahm, ohne dass ich genirt hatte.

Bei sehr reger Phantasie, meiner Feindin das ganxe Leben hindurch, entwickelten sich meine Talente schnell. Mit 4 Jahren konnte ich lesen und schreiben, mein Gedächtniss reicht bis ins 3. Jahr zurück; ich spielte mit Allem, was mir unter die Hände tiel, mit Bleisoldaten oder Steinen oder Rändern ans einem Kinderladen; nur einen Apparat zum Holzmachen, den man mir schenkte, mochte ich nicht. Am liebsten war ich zu Hause bei meiner Mutter, die mein Alles war. Freunde hatte ich zwei bis drei, mit denen ich gutmüthig verkehrte, aber gerade so gerne mit ihren Schwestern, welche mich auch stets wie ein Mädchen behandelten, was mich Anfangs nicht genirte.

Ich muss auf dem Wege gewesen sein, gani wie ein M&dchen zu werden, ich weiss wenigstens noch gut, wie es stets hiess: ,das schickt sich für einen Buben nicht." Darauf bemühte ich mich, den Buben zu spielen, machte Alles meinen Kameraden nach und sachte sie an Wüdheit zu übertreffen, was auch gelang: es war mir kein Baum und kein Gebäude zu hoch, um es nicht zu besteigen. An den Soldaten hatte ich grosse Freude, den Mädchen wich ich mehr aus, da ich mit ihren Sachen doch nicht spielen sollte, und es mich auch stets wurmt«, dass sie mich so ganz wie ihre-sgleichen behandelten.

In Gesellschaft Erwachsener war ich aber stets gleich bescheiden und gleich gerne gesehen. Phantastische Träume von wilden Thieren, die mich einmal aus dem Bette trieben, ohne dass ich erwacht wäre, peinigten mich häofg. Ich wurde stets zwar einfach, aber buchst zierlich gekleidet und be- kam dadurch eine Neigung zu schönen Kleidern; eigenthümlich scheint es mir, dass ich schon von der Schulzeit an Hinneigung zu Frauenhandschuhen hatte, die ich heimlich anzog, so oft ich konnte; so ereiferte ich mich, als meine Mutter einmal ein Paar solcher verschenkt hatte, ganz energisch dagegen und theüte meiner Mutter auf Befragen mit: ich hätte sie lieber selber gerne ge- habt: ich wurde tüchtig ausgelacht und hütete mich von da an sehr, meine Vorliebe für weibliche Sachen zu zeigen. Und doch war meine Freude daran 50 gross. Besonders hatte ich an Maskenkleidem meine Freude, d. h. nur an weiblichen: sah ich solche, so beneidete ich die Besitzerin; am liebsten sah ich zwei als weisse Damen allerdings wunderschön verkleidete Junge Herren mit sehr sch«finen Mädchenmasken vor den Gesichtern, und doch hätte ich mich um keinen Preis vor Anderen als Mädchen gezeigt, so sehr fürchtete ich mich vor dem Spotte. In der Schule zeigte ich den grOssten Fleiss, war stets vorne au; meine Eltern lehrten mich von Kindheit an, dass zuerst die Pflicht komme, und gaben mir auch stets hievon das Beispiel; auch war mir der Besuch der Schule ein Vergnügen, denn die Lehrer waren mild und die älteren Schüler plagten die jüngeren nicht. Nun verliessen wir meine erste Heimath, du der Vater gezwungen war, seinem Beruf zu Liebe sich auf ein Jahr von der Familie zu trennen; wir zogen nach Deutschland. Hier herrschte ein strenger bis roher Ton, theils unter den Lehrern, theils unter den Schülern, und ich wurde wieder wegen meiner Mttdchenhaftigkeit vers])0ttet.

Meine Mitschüler gingen so weit, dass sie einem Mädchen, welches genau meine Züge hatte, meinen Namen gaben und mir den ihrigen, so dass ich das Mädchen, mit dem ich mich, als sie verheirathet war, später befreundete, hasste. Meine Mutter fuhr fort, mich zierlich zu kleiden, und dies war mir zuwider^ da es mir stets Spott eintrug, so dass ich froh war, als ich endlich ganz


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Conträrc Sexual empfind ung.


richtif^e Hosen und ganz richtige MännerrOcke bekum. l'uch kam mit diesen eine neue Plage: sie genirten mich an den Genitalien, besonders wenn das Tuch etwas rauh war. und die Berührung des Schneiders beim Anmessen war mir durch ihren Kitzel, der mich zusammenschaudern machte, ganz unertrÄg- hch, besonders an den Genitalien; nun sollte ich turnen^ und da könnte ich einfach Alles nicht machen oder nur schlecht, was Mttdchen nicht auch leicht machen können ; beim Baden plagte mich das Schamgefühl des Entblössens, ich that es aber sehr gerne; ich hatte bis zum 12. Jahre eine grosse Schwäche im Kreuze. Schwimmen lernte ich spät, nachher aber gut, so dass ich grosse Touren machte. Mit 13 Jahren hatte ich Pubes. war etwa 6 Fuss gross, aber im Gesicht ein Weibsbild, dies bis zu IS Jahren, wo der Bai*t stark kam und ich vor der Weiberähnlichkeit Ruhe hatte. Eine mit 12 Jahren erworbene, erst mit 20 Jahren gebeilte Inguinalhernie genirte mich sehr, besonders beim Turnen; es kam hiezu vom 12. Jahre an bei langem Sitzen und besonders bei Nachtarbeit, die hänfig lang war, ein Jucken, Brennen, Zittern von dem Penis an bis über das Kreuz hinaus, welches Sitzen und Stehen erschwerte und sich durch Erkältung steigerte; ich ahnte aber im Entferntesten nicht, dass dies mit den Genitalien Zusammenhang haben könnte. Da keiner meiner Freunde daran litt, so kam es mir ganz fremd vor und brauchte ich die äusserste Ge- duld, es zu ertragen, um so mehr, als überhaupt der Unterleib mich oft genirte. In sexualibus war ich noch ganz unwissend, hatte aber jetzt, so mit 12 — 13 Jahren, das sichere Gefühl, lieber ein Frauenzimmer sein zu wollen. Ihre Gestalt gefiel mir besser, ihr ruhiges Aul'treten, ihr Anstand, aber beson- ders ihre Kleider gefielen mir sehr, ich hütete mich über wohl, es merken zu lassen, doch weiss ich gewiss, dass ich das Castrationsmesser nicht gescheut hätte, um meinen Zweck zu erreicbeu. Hätte ich sagen sollen, warum ich lieber in Frauenkleidern stäke, so hätte ich bloss sagen können : es zieht mich eben mit Gewalt hinein; vielleicht kam ich mir auch wegen meiner selten weichen Haut eher wie ein Mädchen vor; diese war nümlich, besonders im Gesicht und au den Händen, sehr empfindlich. Bei den Mädchen war ich gerne gesehen; obgleich ich lieber stets unter ihnen gewesen wäre, so ver- höhnte ich sie, wo ich konnte, denn ich musste übertreiben, um nicht selbst weibisch zu erscheinen, und beneidete sie im Herzen doch beständig: besonders war mein Neid gross, wenn eine Freundin lange Kleider bekam, in Hand- schuhen und Schleier ging. Als ich mit lo Jahren eine Reise machte, schlug mir eine junge Dame, bei der ich wohnte, vor, mich als Dame zu maskiren und mit ihr auszugehen; ich ging aber, da sie nicht allein war, nicht darauf ein, so gerne ich es gethan hätte. So wenig Umstände machte man mit mir: gerne sah ich auf jener Reise, dass die Knaben in einer Stadt Blouseu mit kurzen Aermeln und nackten Armen trugen. Eine ganz geputzte Dame er- schien mir wie eine Göttin, beiührte mich ihre Glacehand, so war ich clück- lieh und neidisch, und wäre eben zu gerne an ihrer Stelle in den scnönen Sachen und der zierlichen Gestalt gesteckt. Nichtsdestoweniger studirte ich sehr fieissig, machte Realschule und Gymnasium in 9 Jahren durch, legte eine gute Maturitätsprüfung ab. Ich erinnere mich, mit 15 Jahren das erste Mal zu einem Freunde den Wunsch geäussert zu haben, ein Mädchen zu sein: auf seine Frage nach dem Grunde, konnte ich keine Antwort geben. Im 17. Jahre war ich in lockere Gesellschaft gekommen, ich trank viel Bier, rauchte und suchte mit Kellnerinnen zu scherten: diese verkehrten gerne mit mir, aber man behandelte mich stets, als ob ich auch Röcke trüge. Die Tanzstunde konnte ich nicht besuchen, es trieb mich hinaus; hätte iob als Maske hingeben können, dann wäre es anders gewesen. Meine Freunde liebte ich zärtlich, nur einen hasste ich, der mich zur Onanie verleitet hatte. Pfui über jenen Tag, der mir für mein Lebenlang geschadet hat; ich trieb sie ziemlich stark, kam mir aber dabei wie ein doppelter Mensch vor; ich kann das Gefühl nicht beschreiben; ich glaube, es war männlich, aber mit weiblichem gemischt. An


Erworbene conträre SexualempGndung.


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ein Mädchen konnte ich nicht ankommen, ich fürchtete dieselben, and doch waren sie mir nicht fremd; sie imponirten mir aber doch mehr als meines- gleichen, ich beneidete sie, ich hätte auf alle Freuden verzichtet, wenn ich hätte nach der Klasse zu Hause als Mädchen sein dürfen und wenn ich vol- lends so hätte ausgehen dürfen; eine Crinoline, ein knapper Handschuh war eben mein Ideal.

Ich empfand bei jedem Damenanzuge, den ich sab, wie ich mich darin fohlen würde, nämlich als Dame; eine Sehnsucht nach Männern hatte ich nicht.

Ich erinnere mich zwar, mit ziemlicher Zärtlichkeit an einem bild- schönen Freunde mit Mädchengesicht und dunklen Locken gehangen zu hüben, glaube aber nur den Wunsch gehabt zu haben, dass wir beide Mädchen sein möchten.

Auf der Hochschule gelangte ich endlich einmal zum Coitns; hoc modo sensi, me libentius sub puella concubuisse et penem meum cum cunno mutatam malnisse. Das Mädchen musste auch zu seinem Erstaunen mich wie ein Mäd- chen behandeln, auf was sie gerne einging und mich aber auch behandelte, als wäre ich nun sie (sie war noch ziemlich unerfahren und verspottete mich deshalb nicht).

Als Student war ich zur Zeit wild, fühlte aber stets, dass ich diese Wildheit nur mehr als Maske vornahm; ich trank, schlug mich, konnte aber wieder nicht Tanzunterricht nehmen, weil ich mich zu verrathen fürchtete. Meine Freundschaften waren innig, aber ohne Nebengedanken; am meisten freute es mich, wenn ein Freund sich als Dame maskiite oder wenn ich die Toiletten der Damen auf einem Balle mustern konnte; ich hatte alles Ver- ständniss dafür und fing auch allmählig an zu fühlen wie ein Frauenzimmer.

Wegen unglücklicher A^erhältnisse machte ich zwei Selbstmordversuche; ohne Grund schlief ich einmal 14 Tage nicht, hatte viel Hallucinationen (Ge- sicht und Gehör zugleich), verkehrte mit Verstorbenen und Lebenden zugleich, was mir bis heute geblieben ist.

Auch eine Freundin hatte ich, die meine Liebhaberei kannte, meine Handschuhe anzog, aber mich eben auch nur als Mädchen gelten Hess. So verstand ich die Weiber besser, als ein anderer Mann, und wie sie das heraus hatten, so wurde ich eben meder more feminarum behandelt, als hatte man eine Freundin getroffen. Ich konnte es im Ganzen auch nicht ausstehen, wenn gezotet wurde, und that es eigentlich auch nur Bramarbosirens halber, wenn es geschah. Den anftlnglichcn Ekel gegen Gestank und Blut legte ich bald ab bis zum Gegentheile, einzelne Gegenstände jedoch konnte ich nie sehen ohne Ekel. Nur das Eine fehlte mir stets, dass ich über mich stets im Un- klaren war: ich wnsste, dass ich weibliche Neigungen habe, glaubte aber doch ein Mann zu sein, doch zweifle ich, ob ich ausser den Coitusversuchen, die mir nie Vergnüj?en machten (was ich der Onanie zuschrieb), je einmal ein Weib bewunderte, ohne den Wunsch, dasselbe zu sein, oder mich zu fragen, ob ich es sein möchte oder in seinem Putze auftreten möchte. In der Geburts- hilfe, welche zu lernen mir sehr schwer wtirde (ich schämte mich ftir die auf- liegenden Mädchen und hatte Mitleid mit ihnen), habe ich bis zum heutigen Tag ein Gefühl des Schreckens zu Überwinden; ja es kam mir schon vor, dass ich die Traktionen mitzufühlen vermeinte. An mehreren Stellen mit Erfolg als Arzt verwendet, machte ich einen Feldzug mit als freiwilliger Arzt. Das Reiten, welches mir schon als Student peinlich war, well die Genitalien dabei mehr weibliche Gefühle vermittelten, fiel mir schwer (nach Frauenart wäre ea leichter gegangen).

Immer noch glaubte ich, ein Mann mit undeutlichen Gefühlen zu sein, and immer, wenn ich mit Damen zusammeDkam, wurde ich bald eben wieder als uuiformirte Dame behandelt (wäre, als ich das erste Mal die Uniform trug, viel lieber in ein Üameokostüm mit Schleier geschlüpft; es war mir ein stören- des Gefühl, wenn man auf den stattlichen Üniformirten schaute). In der


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CoBlitn SegMlnwipflndang.


Privatprutis hatte idi in aU«n drei HanptbnuKi^heo Gld«^, dami inacbie ich Dochmftli einen Feldxug mit: in diewm kam mir meine Nator zu gute, da ich glaube, dass seit dem ersten Esel aof der Weh kein Graathier so viel Geduld an den Tag zu legen hatte, als ich. Dekorationen blieben nicht aas, doch Ueuen sie mich k&lt.

80 schlag ich mich durch das Lehen, so gut es ging, nie zufrieden mit mir. voller Weltschmerz, zwiKhen SentimcntaüUtlt oder Wildheit, die xwvr meist affektirt war, schwankend.

Ganz eigenthnmlich ging es mir als Heirathskandidat. Am liebsten h&tte ich gar nicht geheirathet, aber Familienverhältnisse und Praxis zwangen mich dazu. Ich beirathet« eine energische, liebenswürdige Dame aus einer Familie, wo Weiberherrschaft blühte. Ich war in sie verliebt, so gut es uuser einer Mein kann, d. h. was er liebt, liebt er mit ganzem Herzen and geht in ihm aiif, wenn er auch nicht so stürmisch erscheint, wie ein ganzer und ftchter Mann; er liebt steine Braut mit aUer weiblichen Tiefe, fast wie einen Br&utigam«  nnr gestand ich mir diese Seite nicht ein, weil ich immer noch glaubte, nur ein verstimmter Mann zu sein, der durch die Ehe wohl ganz zu sich selber kommen und Rieh finden werde. Aber schon in der Uocbzeitsnacht fühlte ich, daav ich nur als männlich gestaltetes Weib fungirte; sub femina locum meum «•e mihi vütum est. Wir lebten im Ganzen zufrieden und glücklich, blieben ein paar Jahre kinderlos. Nach einer schweren Schwangerschaft, wSfarend welcher ich in Feindesland zu Tode lag, kam auf eine schwere Gebart der erste Knabe, dem eine melancholische Natur bis heute noch anhängt, der heute noch schwermütbig ist; dann ein zweiter, welcher ganz ruhig ist, ein dritter vülk*r Streiche, ein vierter, ein fünfter; allein s&inmtliche haben schon Anlage zur Neurasthenie. Da ich mich nie an meinem Platze fühlte, so ging ich viel in luj^lige GeKelluchafl, arbeitete aber immer, was des Menschen Kraft ver- mochte, studirte, operirte, experimentirte mit vielen Arzneimitteln und Kur- metbod«n, auch staU an mir selber. In der Ehe tiberliess ich meiner Frau das Regiment im Hau<te, da sie das Haushalten sehr gut versteht. Meine Pflichten als Ehemann verrichtete ich so gut, als es ging, aber ohne Befriedi- gung für mich; vom ersten Coitus bis heute ist mir die männliche Stellung dabei zuwider and zu schwer gewesen. Ich hätte viel lieber die andere H-olle gehabt. Mnsste ich meine Frau entbinden, so brach es mir beinahe dos Herz, da ich ihre Schmerzen zu würdigen wusste. So lebten wir lange zusammen, bis schwere üichterkrankang mich in verschiedene B&der trieb und mich neur- asthenisch machte. Zugleich wurde ich so anämisch, dass ich alle paar Monate eine Zeitlang Eisen nehmen musste, andernfalls war ich wie ehlorotisch oder hysterisch, oder beides zu-sammen. Stenocardie plagte mich oft, dann kamen halbseitige Krämpfe in Kinn. Nase, Hals, Kehlkopf, Hemikranie, Zwercbfell- und Brustmaskelkrampf; etwa 3 Jahre lang dauerndes Gefühl, als wenn die Prostata vergrössert wöre, ein EipulsionsgefÜhl, wie wenn ich etwas gebären sollte. Schmerzen in der Hüfte, perennirendes Kreuzweh u. dergl.; doch wehrte ich mich mit der Wuth der Verzweiflung gegen diese mir weibisch oder weib- lich imponirenden Beschwerden, bis vor 3 Jahren ein ganz heftiger Anfall von Arthritis mich vollständig brach.

Noch ehe dieser furchtbare Gichtanfall eintrat, habe ich in der Ver- zweiflung, am die Gicht zu tilgen, hei,sse Bilder, der Kurperwärme so nahe als möglich, genommen. Da geschah es einmal, dass ich mich plötzlich ver- ändert und dem Tode nahe fühlte; ich sprang mit der letzten Kraft aus der Therme heraus, hatte mich aber ganz als Weib mit Libido gefühlt. Femer zur Zeit, als das Extr. cannabis ind. aufkam nnd sogar gepriesen wurde, nahm ich aas Angst vor meinem drohenden Gichtanfalle (and von Gleichgültigkeit gegen das Leben gepeinigt) etwa die 3 — 4fac'h gebräuchliche Dosis von Extr. cnnnabis ind. und machte eine Haschischvergiftung aaf Lehen and Sterben dtirch. Lachkrampf, Gefühl von unerhörter Körperkraft und Schnelligkeit,


Erworbene contrilre Sexualempfiudung.


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eigenartiges Gefühl in Gehirn and Angen, Milliarden von Fanken, vom Gehirne ans die Haut durchzuckend, stellten sich ein, doch konnte ich mich noch zum Sprechen zwingen; allein an!' einmal sah ich mich ron den Zehen bis zur Brust als Weib, föhlte, wie früher in der Therme, dass die Genitalien ein- gestülpt wurden, das Becken sich erweiterte, die Brüste herausschössen, eine unsägliche Wollust sich meiner bem&cbtigte. Da schloss ich die Augen, so daBS ich wenigstens das Gesiebt nicht verändert sab. Mein Arzt hatte dabei das Aussehen, als hätte er eine Riesen kartoffel statt des Kopfes, meine Frau hatte den Vollmond auf dem Rumpfe. Und dennoch war ich stark genug, als beide das Zimmer naf kurze Zeit verliessen, in mein Notizbuch meinen kurzen letzten Willen einzutragen.

Aber wer beschreibt meinen Schrecken, als ich am anderen Morgen, mich vollständig zum Weibe verwandelt fühlend, erwachte nnd beim Gehen and Stehen eine Vulva und Mammae fühlte.

Als ich endlich aus dem Bette mich erhob, fühlte ich. dass mit mir eine ganze Umwälzung vorgegangen sei. Schon während der Krankheit sagte ein Besuch: ,fur einen Mann ist er so geduldig", und machte mir einen blühen- den Blumenstock zum Geschenk, was mich befremdete, aber doch freute. Von nun an war ich geduldig, wollte nichts mehr im Sturme thun, wurde zäh wie eine Katze, dabei aber mild, versöhnlich, nicht mehr nachträglich, kurz wie ein Weib dem Gemüthe nach. Wahrend der letzten Krankheit hatte ich viele Gesichts- und Gehörshallucinationen, sprach mit den Todten etc., sah nnd hörte Spiritus familiäres . fühlte mich als eine doppelte Person , doch merkte ich auf dem Krankenlager selber noch nicht, dass der Mann in mir erloschen war. Meine Gemütbsveränderung war ein Glück, da mich ein Schlag traf, der mich bei meiner früheren Stimmung auf den Tod getroffen hätte. den ich aber jetzt mit Ergebung hinnahm, so dass ich mich selbst nicht mehr erkannte. Da ich die Erscheinungen, der Neurasthenie noch oft mit Gicht verwechselte, so gebrauchte ich noch viele Bäder, bis ein Hautjucken mit der Empfindung der Krätze durch eine Therme so zunahm statt abzunehmen, dass ich alle äusserliche Therapie aufgab (ich wurde immer anämischer durch die Bäder) und mich abhärtete, so gut es ging. Aber das weibliche Zwangs* gefühl blieb und wurde so stark, dass ich nur die Maske des Mannes trage, sonst aber mich in jeder Beziehung als vollkommenes Weib nach allen Tbeilen fühle und von der alten Zeit zur Zeit die Erinnerung verloren habe.

Was die Gicht noch etwa übrig gelassen hatte, rainirte die Inflaenza vollends.


Status praesens: leb bin gross , H aarboden gelichtet . Bart wird grau, meine Haitang fängt an gebückt zu werden; habe seit der InÜueaza etwa ein Viertel der rohen Kraft verloren. Gesicht sieht in Folge eines Klappenfehlers etwas geröthet aus; Vollbart; chronische Conjunctivitis; mehr muskulös als fett; linker Fuss scheint varicose Venen zu bekommen, schläft öfters ein, ist noch nicht sichtbar verdickt, aber scheint es zu werden.

Die Mammillargegend hebt sich trotz Kleinheit deatlich ab. Der Bauch hat die Form eines weiblichen Bauches, Füsse nach Franenart gestellt, Waden etc. wie diese; mit den Armen ist es gerade so und mit den Händen. Kann FraaenstrÜmpfß und Handschuhe 7'/< — T'/j tragen; ebenso trage ich ohne Be- schwerde ein Corset. Gewicht wechselt zwischen 16fS — 164 Pfund. Urin ohne Eiweiss, ohne Zucker, enthält über die Norm Harnsäure ; enthält er aber nicht viel Harnsäure, so ist er hell, fast wasserhell nach jeder Aufregung irgend einer Art. Stuhl meist regelmässig, ist er es aber nicht, so kommen alle weiblichen Beschwerden der Obstipation. Schlaf schlecht, oft viele Wochen lang nur 2—3 Stunden dauernd. Appetit ziemlich gut. doch im Ganzen er- trägt der Magen nicht mehr, als der einer starken Fran und reagirt gegen schnrfe Speisen sofort durch Hautausschlag und Brennen in der Harnröhre.


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Conträze Sexualempfindung.


Haut ist weiss, iin üanzea fühlt sie sich sehr glatt an; unerträgliches Jacken in derselhen seit - Jahren, hat in den letzten Wochen ahgenommeD, zeigt sieb nur noch mehr in der Kniekehle und am Scrotum.

Neigung zuSchweiss; Ausdünstung früher so gut wie nicht vorhanden, macht jetzt alle hlLsslichen Nuancen der vreiblichen Ausdünstung, besonders am Unterleibe durch, so dass ich mich noch reinlicher halten m\iss als eine Frau. (Parl'ümire das Taschentuch, benütze parfümirte t^eifen und Eau de Cologne.)

Allgeiueingefühl: Ich fühle mich als Frauenzimmer in Mannes- ffMtftlt; wenn ich auch manchmal noch die Form des Mannes fühle, so fühlt das betreffende ölied dennoch weiblich, so z. D. der Penis als Clitoris: die ITrothra als Urethra und Scheideneingang, ich Rihle sie stets etwas nass, auch wenn Hie noch so trocken ist; das Scrotnm als Labia majora; kurz, ich f^le eben »tets eine Vulva, und was das zu bedeuten hat, weiss nur, wer selber •o fühlt oder gefühlt hat. Aber die ganze Haut am ganzen Körper fiihlt Wf'ihlifh, nimmt alle Eindrücke, seien es solche des Tastens, der Wärme oder fhindselige, als Weib auf und habe ich die Empfindungen eines solchen: mit ))lc)SHen Hunden kann ich nicht geben, da Hitze und Kälte mich gleich sehr peinigen; wenn die Zeit, wo es uns Herren gestattet ist, den Sonnenschirm zu trngt^n, vorüber ist, so habe ich grosse Pein in meiner Gesiehtshaut zu leiden, bis wieder der Sonnenschirm gebraucht werden darf. Erwache ich Morgens, «) dftnimert es in mir einige Augenblicke, es ist, als ob ich mich selber suche, dann nrwacht das Zwangsgefühl, Weib zu sein; ich fühle das Gefühl der Vulva (rt^iip. dass eine solche da ist), und begrüsse den Tag mit einem stillen oder Uutun Soufzer, denn ich habe schon wieder Angst vor dem jetzt kommenden ThtiatttrKpielen den ganzen Tag. Es ist keine Kleinigkeit, sich als Weib fühlen und ul» Mann handeln zu müssen. Alles musste ich wie neu lernen; die Messer. ilin .\pparate. Alles fühlte ich seit 3 Jahren ganz anders an, und bei dem ge- l)iitlfii-leh Muskelgefühl musst« ich Alles neu erlernen. Es ist auch gelungen, nur ilifi Führung der Säge und des Knochen meissels macht mir noch zu «ithit(T»wi ; es ist beinahe, als ob die rohe Kraft nicht ganz ausreichte. Da- wn^Hii hahf ich mehr Gefühl bei der Arbeit mit dem scharfen Löffel in den Witirhllitnloii ; widerwärtig ist es, dass ich bei Untersuchung von Damen oft ihrtt Ue(Uhlt) mitfühle, was dieselben nicht befremdet. Am ullerwiderwärtigsten flUitD i()h Hina Kindsbewegnng mit; eine Zeitlang, mehrere Monate, quälte luloh diu (Indankenlesen bei beiden Geschlechtern, gegen welches ich jetzt noch Hii«uliHnipftin liabe; bei Weibern ertrag« ich es noch eher, bei Männern ist es mir M(wiil«r. Wir 3 Jahren habe ich noch nicht bewnsst die Welt mit Weiber- «U|{itn iiMh'natihHn ; t«s kam diese Aenderung im Itapport des Opticus zum Ge- hlrit uiilnr hnlligom Kopfweh fast plötzlich. Ich war bei einer geschlechtlich vorkii^hit fÜhbindtM) Dann^ da sah ich sie plötzlich so verändert, als ich mich loUt fühltt, nUmlic'h sie uls Manu und fühlte mich Weib ihr gegenüber, dass loh \^i\i KoUUmht vi*rhohb'nem Aerger sie verliess; dieselbe war damals sich UwU UW\\\ lilut gnwordiMi über ihren Zustand.

Hftitdoin niaf'hnn alle Sinne ihre Wahrnehmung in weiblicher Form und vt<^ui\> llivvu Itupport. Dem Cerebralsystem schloss sich fast unmittelbar das \«\.j,'t.«llt I« .tii MM daHN alle Beschwerden sich in weiblicher Weise äusserten; 0. i>nit alUr Nerven, besonders die des Äcusticus, Olfactorins oder

\ ,.i^'«i'tt4n nioh ;i^a Nervosität; klappt nur ein Fenster, so fahre

kl <^\Mt, d, h. innerlii'h, der Mann darf ja nicht: ist eine Speise nicht

fti ^^ %o babft ich Cadavergeruch in der Nase. Dem Trigeminus hätte

ii ' Mi, diux so launenhaft die Schmerzen von einem Ast auf den

l^^iv> ' n. von einem Zahne ins Auge.

loh «Mit meiner Aenderung Zahnweh und Migräne leichter, kfeb# au.ti wvui^vi' AngxtgofÜbl bei Stenocardie. Eine eigenthüm liebe Beob-


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ng scheint es mir, dass ich mich als ein änfj;stliches sohwUcheres Wesen , bei drohenden Gefabren aber viel mehr Kaltblüiigkeib und Hube be- sitze, ebenso bei schweren Operationen, Der Magen rächt den leisesten (gegen die Di&t einer Frau) begangenen Fehler unnachsichtlicb in Weiberart, sei es dnrch Ructus oder sonstige Beschwerden, besonders einen Alkoholmissbrauch : der Kater des sich Weib fühlenden Mannes ist viel infamer, als der colossalste akademische Kutzenjuinmer ; es kommt mir beinahe vor, als ob man als Weib fühlend, ganz unter der Herrschaft des vegetativen Systems stehe.

So klein meine Brustwarzen sind, so wollen sie Platz und lühle ich sie als Mammae, wie zwar auch schon in Pubertätsjabren die Wanson schwollen und schmerzten ; deshalb genirt mich jedes weisse Hemd, die Weste, der Rock. Vom Becken habe ich das Gefühl, als ob es ein weibliches sei, dito von After und Nfttes; stürend war mir im Beginn das Weiblichkeitsgefühl des Bauches, welcher in keine Hosen will und stets das Gefühl der Weiblichkeit hervor- bringt oder besitzt. Auch habe ich das Zwangsgefühl einer Taille. Ks ist mir, wie wenn ich, einer eigenen Haut beraubt, in eine Weiberhaut gesteckt wäre, die sich Alles genau anpasst, aber Alles fühlt, wie wenn sie ein Weib umgäbe, und dessen Gefühle durch den ganzen eingeschlossenen ManneskÜrper strömen liesse und die männlichen exmittirt hätte. Die Hoden sind , wenn auch nicht atrophisch oder degenerirt, doch keine Huden mehr und machen mir oft Schmerzen, mit dem Eindrucke, als ob sie in den Bauch hineingeborten und festsitzen sollten; die Beweglichkeit derselben peinigt mich oft.

Alle 4 Wochen, zur VoUtnondszcit, habe ich 5 Tage laug alle Molimina wie eine Frau, köi-perlich und geistig, nur dass ich nicht blute, während ich das GefBihl von Abgang von Flüssigkeit, ein Gefühl von Geschwollenscm der Genitalien und des Unterleibes (innen) habe; eine sehr angenehme Zeit, be- sonders wenn nachher und spUter ein paar Tage in der Zwischenzeit das physiologische Gefühl der Begattungsbedürftigkeit kommt mit seiner ganzen, das Weib durchdringenden Kraft; der ganze Körper ist dann von diesem Ge- fühle voll, wie ein eingetauchtes Zuckerstück voll Wasser gesogen ist oder so voll als wie nasser Schwamm; da heisst es: zuerst liebebedürftiges Weib, dann erst Mensch, und zwar ist das Bedürfniss, wie mir scheint, mehr ein Sehnen nach EmpHlngniss als nach Coitus. Der immense Naturtrieb oder die weib- liche Geilheit lässt aber das Schamgefühl zurücktreten , so dass indirect der Coitus gewünscht wird. Männlich habe ich den Coitus höchstens dreimal im Leben gefühlt, wenn es Überhaupt so war, gleichgültig in allen sonstigen Fallen; in den letzten 3 Jahren aber fühle ich ibo deutlich passiv als Frauen- zimmer, sogar manchmal mit weiblichem £jacuIutionsgefühl; stets fühle ich mich begattet und ermüdet wie ein Weib, oft auch unwohl darauf, wie es einem Manne niemals zu Muthe ist. Einige Male verursachte der Coitus mir einen so grossen Genuss, dass ich denselben mit nichts vergleichen kann; es ist einfach das wonnigste, gewaltigste Gefühl auf Erden, um welches Alles ge- opfert werden kann; in diesem Äugenblicke ist das Weib bloss Vulva, welche die ganze Person verschlungen hat.

Das Gefühl, Weib zu sein, habe ich seit 3 Jahren keinen Augenblick verloren, es ist mir dieses jetzt durch die Gewöhnung nicht mehr so peinlich, obgleich ich mich seitdem minderwertbig fühle, denn sich Weib zu fühlen ohne Genussverlangen , ist auch für einen Mann zum Aushalten; aber wenn Bedürfnisse kommen! Dann ht^vi die Gemtitblichkeit auf; das Brennen, die Wärme, das Turgorgefühl der Genitalien (bei nicht erigirtem Penis, die Geni- talien fallen wie aus der Rolle). Ein bei starkem Drange auftreteades Ge- fühl von Ansaugen in der Vagina und Vulva ist geradezu schrecklich, eine Höllenpein der Wollust, aber kaum auszuhalten. Bin ich dann in der Lage, einen Coitus auszuführen, so ist es besser, aber er bewirkt wegen mangelnder Erapf^gniss keine vollständige Befriedigung, das Gefühl der Sterilität stellt sich ein mit seinem ganzen beHchlimenden Drucke, nebst dem Gefühle der



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Conträre Sexualempfindung.


passiven Begattang, des verletzten Scbamgefübles; man kommt sieb fast wie eine Lnstdirne vor. Der Verstand hilft nicbts dagegen, das Zwangsgeföbl der Weiblicbkeit beherrscht und beiwingt Alles. Wie gcbwer man in solchen Zeiten bemflich ai'beitet, ist leicht zu ermessen; doch dazu kann man sich zwingen. Freilich ist es beinahe nicht möglich, zu sitzen, zugehen, zu liegen, wenigstens kann man von diesen drei Zuständen keinen lange aushalten, dazu die stete Berührung d»^r Hosen etc., ist unanssteblich.

Die Kbe macht dann, ausser dem Moment des Coitus, wo der Mann sich begattet fühlen muss, noch den Eindruck des Zusammenlebens zweier Weiber, von denen eines sich nur als Mann maskirt betrachtet. Bleiben diese perio- dischen Molimina einmal aus, so kommen die Gefühle der Gravidität oder der sexuellen Uebersöttigung, die der Mann sonst nicht kennt, die aber den ganzen Menschen geradeso in Beschlag nehmen wie das Weiblichkeitsgefuhl, nur dass sie specifisch widerwärtig sind, so dass man gerne die regelmässigen Molimina wieder sich gefallen lässt. Wenn erotische Träume oder A'orstel- lungen kommen, so sieht man sich in der Form, welche man als Weib hätte, und sieht erigirte Glieder, die sich präsentiren; es wäre, da auch der After weiblich fühlt, gar nicht schwer, zum Kinaden zu werden, nur das positive religiöse Verbot hindert daran, alle anderen Rücksichten würden hinfUlig werden.

Da solche Zustände wohl Jedem widerwärtig sein werden, so ist eine Sehnsucht vorhanden, geschlechtslos zu sein oder sich machen zu dürfen. Wenn ich ledig wäre, so hatte ich längst Hoden und Scrotuiu sammt Penis den Ab- schied gegeben.

Was hilft das höchste weibliche Gennssgefühl, wenn man doch nicht concipirtV Was nützen die Regungen weiblicher Liebe, wenn man zur Be- friedigung wieder eine Frau hat? wenn auch die Begattung sie uns als Mann empfinden lässt. Wie entsetzlich beschämend ist die weibliche Ausdünstung! Wie erniedrigt den Mann das Gefühl der Freude an Kleidern xind Schmuck! Er müchte selbst in der umgewandelten Form, selbst wenn er des männlichen GescblechtsgefUhles sich nicht mehr erinnern kann, eben doch nicht sich als Weib fühlen müssen; er weiss noch ganz gut, dass er früher nicht stets ge- schlechtlich fühlte, dass er auch ein blosser Mensch war, unbeeinflusst vom Geschlecht I Jetzt auf einmal soll er stets seine bi&herige Individualität nur als Maske empfinden, stets sich als Weib fühlen, eine Abwechslung nur haben, wenn er alle 4 Wochen seine periodischen Beschwerden und zwischen hinein seine weibliche nicht zu befriedigende Geilheitszeit hat? Wenn er erwachen darf, ohne sofort sich als Weib fühlen zu müssen? Zuletzt sehnt er sich nach einem Augenblick, wo er seine Maske lüften kSnnte, der Augenblick kommt niehtl Erleichterung des Elendes kann er nur finden, wenn er ein Stück Weiblichkeit, Schmuck, ein Unterkleid etc. anziehen kann, denn als Weib darf er ja doch nicht gehen; alle seine Berufspflichten mit dem Gefühle einer als Herr kostümirten Schauspielerin erfüllen zu müssen und kein Ende abzusehen, ist keine Kleinigkeit. Die Religion allein schützt vor grobem Lapsus, hindert aber das Peinliche nicht, wenn die Versuchung an das weiblich ftihlcnde In- dividuum so herantritt, wie an ein wirkliches Weib und so gefühlt und durch- gemacht werden muss! Wenn ein angesehener Mann, der im Publikum ein seltenes Vertrauen geniesst und eine Autorität besitzt, sich mit seiner wenn auch imaginären Vulva herumschlagen muss; wenn man von schwerem Tage- werk herkommt und ist genuthigt, die Toilette der nächstbesten Dame zu mustern, mit Weiberaugen zu kritisiren, aus ihrem Gesichte ihre Gedanken abzulesen, wenn ein Modejonmal (das hatte ich schon als Kind) das gleiche Interesse einflösst, wie ein wissenschaftliches Werk? Wenn man seinen Zu- stand vor seiner Gattin, deren Gedanken man, sobald man sich Weib fühlt, abliest vom Gesichte, verbergen muss, während ihr doch klar wird, dass man sich an Leib und Seele geändert hat? Die Qualen, welche die zu überwindende


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Erworbene conträre Sexualempfiaduog.


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weibliche Weichlichkeit venirsachtl Es gelingt zwar manchmal, wenn man in Urlaub allein iat, einige Zeit mehr als Frau zu leben, z. B. weiblicha Kleider etc., besonders bei der Nacht zu tragen, die Handschuhe fast stets an- zubehalten, einen Schleier oder eine Maske im Zimmer vorzunehmen, dass man dann vor der übermässigen Libido Huhe hat, aber die einmal eingedrungene Weiblichkeit verlangt gebieterisch, dass sie anerkannt werde; sie begnügt sich oft mit einer bescheidenen Concession, des Uronehmeos eines Armreifes hinter der Manchette z. B. , aber eine Concesaion in irgend einer Art verlangt sie gebieterisch. Das einzige Glück ist nur das, dass man sich ohne Scham weib- lich costümirt sehen kann, ja dass man, wenn das Gesicht verschleiert oder maskirt ist, sich lieber so sieht und sich natürlich vorkommt; man hat dann, wie jede andere Modegans, den Geschmack der laufenden Mode, so sehr wird und ist man umgewandelt! Bis man sich an den Gedanken gewohnt hat, selbständig nur als Weib zu fülilen und die frühere Denkweise gewissermassau nur aus der Erinnerung zum Vergleiche herzuholen, und dann als Mann sich zu äussern, dazu gehurt lange Zeit und unsägliche Ueberwindung.

Trotzdem wird es noch vorkommen, dass man sich tiuf einer weiblichen Gefüblsäusserung ertappt, sei es in sexualibus, dass man sägt: man fühlt so und so, was aber ein Nichtweib nicht wissen kann, oder dass man zuftlUig verräth, dass Einem die weibliche Kleidung gatig und gilbe ist. Vor Frauen allein macht dies nichts aus, da sich eine Frau in erster Linie geschmeichelt fühlt, wenn man von ihren Sachen etwas versteht, nur darf es nicht vor der eigenen Frau passirenl Wie erschrak ich einmal, als meine Frau einer Freun- din sagte, dass ich für Damenartikel einen sehr feinen Geschmack besitze! Wie Avar eine bocbmüthige Modedame überrascht, als ich ihr, die im Begriffe war, ihr Töchterchen ganz falsch zu erziehen, alle weiblichen Gefühle schrift- lich und mündlich darlegte (ich log ihr zwar vor, ich hätte mein Wissen aus Briefen geschupft); aber ebenso gro&s ist ihr Zutrauen jetzt, und das Kind, auf dem Wege verrückt zu werden, ist vernünftig geblieben und ist fröhlich. Es hatte nUmlich alle Regungen der Weiblichkeit als Sünden gebeichtet, Jetzt weiss es, was es als Mädchen ertragen und durch Willen und Religion be- herrschen muss. und fühlt sich als Mensch. Die beiden Damen würden herz- lich lachen, wenn sie wüssten, dass ich nur aus eigener trauriger Erfafaning geschöpft habe. Beifügen muss ich noch . dass ich seither ein viel feineres Temperaturgefühl habe, dazu aber noch ein mir vorher unbekanntes Gefühl für die ElasticitJlt der Haut, für Spannung der Gedärme bei Patienten, dass aber bei Operationen und Sektionen feindliche Flüssigkeiten meine (unverletzte) Haut leichter durchdringen. Jede Sektion macht mir Schmerzen, jede Unter- suchung einer Dirne oder einer Frau mit Fluor, Krebsgeruch u.dgl. berührt mich geradezu peinlich. Üeberbaupt stehe ich jetzt stark unter dem Einflüsse von Antipathie und Sympathie, vom Farbensinne an bis zur BeurtheÜung einer ganzen Person. Frauen sehen einander die sexuelle derzeitige Stimmung gewöhnlich an, desshalb trägt, eine Dame den Schleier, wenn sie ihn auch nicht stets vornimmt , und parfümirt sich gewöhnlich , wenn es auch nur Taschentuch oder Handschuhe sind, denn ihre Geruchsempfiudung ihrem Ge- schlechte gegenüber ist enorm; Überhaupt wirken Gerüche auf einen weib- lichen Organismus ganz unglaublich ein; so z. B. beruhigt mich Veilchen und Rose, andere Gerüche ekeln mich an, mit Hang könnte ich es vor geschlechtlicher Erregtheit nicht aushalten, Berührung einer Frau erscheint mir homogen, Coitus mit meiner Frau erscheint mir dadurch möglich, dass sie etwas m&nn- licher ist, eine feste Haut besitzt und doch ist es mehr ein Amor lesbicus.

Zudem fühle ich mich stets passiv. Wenn ich oft Nachts vor Aufregiing nicht schlafen kann, geht es endlich, si femora mea distensa habeo, sicut mulier cum viro concumbens, oder auf eine Seite mich lege, nur darf dann kein Arm oder kein Bettstück die Mamma berühren, sonst ist es mit dem lofe wieder aus; auch der Bauch wilJ nicht gedrückt sein. In Frauenhemd



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Contrftre Sexualempfindung.


und Bettjacke schlafe ich am besten , und dann nucfa mit Handschuhen , denn es friert mich leicht an den Händen; in wwbliclien Unterhosen und Unter- röcken behagt es mir auch , weil sie die Genitalien nicht berühren. Am liebsten waren mir Frauenkleider zur Crinolinenzeit. Frauonkleider geniren den weiblich fühlenden Menschen nicht, da er sie, wie jedes Weib, als lu seiner Pers-on gehörend, fühlt, nicht als fremde Gegenstände.

Mein liebster Verkehr ist eine an Neurasthenie leidende Dame (siehe Beob. 109), welche seit dem letzten Wochenbette mlinnlich ftihlt, sich aber, seit ich ihr diese Gefühle gedeutet habe, so gut als möglich darein schickt, coitu abstinet, was ich als Mann eben nicht thun darf; diese hilft mir durch ihr Beispiel meinen Zustand tragen. Sie hat die Frauengefühle noch klarer in Erinnerung und bat mir schon manchen guten Rath gegeben. Wäre sie ein Mann und ich ein junges Mädchen, diese würde ich zu erwerben suchen, von dieser würde ich mir des Weibes Schicksal gefallen lassen. Aber ihre jetzige Photographie ist ganz anders als die früheren; sie ist ein höchst elegant costümirter Herr trotz Busen etc. und Frisur; sie spricht aber auch kurz und bündig, und hat an Allem, was mir Spass macht, keine Freude mehr; sie hat eine Art von Weltschmerz, trilgt aber ihr Schicksal mit Ergebung und Würde, findet ihren Trost nur in Ueligion und PttichterfÜllang, geht zur Zeit der Menses fast zu Grunde; sie Hebt Frauengesellschaft und Frauengespräche nicht mehr, ebenso keine Süssigkeiten.

Ein Jugendfreund fühlt seit erster Zeit des Lebens nur als Mttdchen, hat aber Zuneigung zum männlichen Oeschlechte: seine Schwester hatte es umgekehrt, und «b der Uterus doch sein Recht verlangte und sie sich als liebendes Weib sah, trotz ihrer Männlichkeit, machte sie es kurz und entleibte sich durch Ertränken.

Was ich als Rauptveränderungen an mir seit der vollständigen Effe- rainatio beobachtet, ist:

1. das stete Gefühl, Weib zu sein vom Scheitel bis zur Zehe,

2. das stete GefUhl, weibliche Genitalien zu besitzen,

3. die Periodicität der vierwöchentlichen Molimina,

4. regelmflssig eintretende weibliche Begehrlichkeit, aber ohne Lust zu einem bestimmten Mann,

5. beim Coitus weibliches passives Gefühl,

6. nachher das Gefühl der fntuirten Partei,

7. bei Bildern von Coitus das weibliche Gefühl,

8. beim Anblick von Frauenzimmern das Gefühl der Zusammengehörig- keit und das weibliche Interesse daran.

9. beim Anblick von Herren das weibliche Interesse daran,

10. beim Anblick von Kindern dasselbe,

11. das verlinderte Gemütb, die viel grGssere Geduld,

12. die endlich gelungene Ergebung in mein Schicksal, was ich zwar nur der positiven Religion verdanke, sonst hätte ich mich längst entleibt.

Denn Mann zu sein und fßhlen zu müssen: cbaque femme est fatu^ ou eile desire d'ßtre, ist kaum erträglich.


Vorstehende für die Wissenschaft höchst werthvoUe Autobiograplue war vou folgeudem nicht minder interessanten Briefe begleitet:

E. W. habe ich zunächst um Verzeihung zu bitten wegen der Belästigung durch meine Zuschrift ; — ich hatte allen Halt verloren und betrachtete mich nur mehr als ein Scheusal, vor dem mir selber ekelte; da gewann ich durch


Erworbene contrilre Sexuulempfindung.


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üire Schriften wieder Math und beschloss, der Sache auf den Grund zu geben und einen Rückblick auf mein Leben zu werfen, falle das Resultat aus. wie es immer wolle. Nun kam es mir aber als Ptiicht der Dankbarkeit vor, E. W. das Resultat meiner Eriniierung und Beobachtung mitzntheilen , da ich einen ganz analogen Fall nicht bei Ihnen veneeichnet fand; endlich dachte ich auch, es interessire Sie vielleicht, aus einer ärztlichen Feder zu erfahren, wie solch ein mifisratbenes menschliches oder mäouliches Individuum unter dem Druck des Zwangsgefühles, Weib zu sein, denkt und fühlt.

Es stimmt nicht Alles, aber zu mehr Reflexton habe ich die Kraft nicht mehr, und mag mich nicht mehr hiueinvertiefen ; Manches ist wiederholt^ aber doch bitte ich zu bedenken, dass jede Maake aus der Rolle fallen kann, besonders wenn die Verkleidung nicht freiwillig getragen wird, sondern auf- oktroyirt wird.

Ich hoffe nach der Lektüre Ihrer Schriften, dass ich, wenn ich meine Standespflichten als Arzt. Bürger, Vater und Ehemann erfülle, mich doch zu den Menschen rechnen darf, welche nicht bloss Verachtung verdienen.

Endlich wollte ich E. W. das Resultat meiner Erinnerung? und meines Nachdenkens vorlegen, um zu beweisen, dass man auch mit weiblichem Fühlen und Denken Arzt sein kann ; ich halte es für ein grosses Unrecht, dem Weibe die Medicin zu verschliessen ; ein Weib kommt manchem üebel durch das Gefühl auf die Spur, wo der Mann trotz der Diagnostik im Finstern tappt, jedenfalls bei Frauen- und Kinderkrankheiten. Wenn ich es machen könnte, so mösste joder Arzt ein Vierteljahr lang die Weiblichkeit durchmachen, er hätte dann mehr VerstlLndniss und mehr Achtung fUr die Seite der Mensch- heit, von welcher er abstammt, und wüsste dann die SeelengrÖsse der Frauen £U schätzen, andererseits auch die Härte ihres Schicksals.

Epikrise. Patient schwer belastet, ist originär psychosexual abnorm, indem er charakterologisch und beim sexuellen Akt weiblich empfindet. Dieses abnorme Fühlen bleibt eine rein seelische Anomalie bis vor 3 Jahren, wo, auf Grund schwerer Neurasthenie, dieselbe eine übermächtige Stütze durch zwangs- mSfisig sich dem Bewosstsein aufdrängende körperliche Gefühle im Sinne der Transmutalio sexus bekommt. Patient fühlt sich zu seinem Schrecken nun auch körperlich als Weib, empfindet unter dem Zwang seiner weiblichen ,Zwangsgefuhle* eine gänzliche Umwandlung seines bisherigen männlichen Fühlens, Vorstellens und Strebens, ja sogar seiner ganzen Vita sexualis im Sinne der Eviratio. Gleichwohl ist sein Ich im Stande, die Herrschaft gegen- über diesen seelisch-körperlichen krankhaften Vorgängen zu behaupten und den Verfall in Paranoia hintanzuhalten — ein denkwürdiges Beispiel von Zwangsempfindungen und Zwangsvorstellungen auf der Basis neurotischer Be- lastung und von hohem Werth für die Gewinnung eines Verständnisses der Wege, auf welchen sich die psychosexuale Transformation vollziehen mag. 1893, nach 3 Jahren, sandte mir der unglückliche College einen neuen Status praesens seiner Denk- und Gefühisweise. Derselbe entspricht wesentlich dem früheren. Patient fühlt sich körperlich und seelisch vollkommen als Weib, aber seine Intelligenz ist intakt geblieben und schützt ihn vor dem Verfall in Paranoia (s. u.).

Ein SeiteustUck zu diesem klinisch und ps)'chologisch merkwürdigen Fall bei einem Manne stellt die folgende, eine Duine betreffende Beob- achtung dar.

Beobachtung 109. Frau X., Tochter eines hohen Beamten, stammt von einer Mutter, die an einem Nervenleiden gestorben ist. Der Vater war unbelastet, starb bochbetagt an Pneumonie. Eiu Theil der Geschwister ist



psycbopathisch minderwerthig, ein Bruder charakterologisch abnorm und schwer oeurastheniscb.

Als Mädchen hatte Frau X. entschieden IncUnationen iür Knabensport. Solange sie noch kurze Kleider trug, schweifte sie in Feld und Wald umher und erkletterte schwindelfrei die gefährlichsten Felsparthieu. Für Kleider und Putz hatte sie keinen Sinn. Nur einmal, als sie ein Kleid von mehr männ- lichem Zuschnitt bekam, empfand sie grosse Freude und war sehr vergnügt, als sie als Schülerin bei einer theatralischen Aufführung in Knabenkleidem einen Jungen darstellen durfte.

Im Uebrigeu verrieth aber nichts eine homosexuelle Veranlagung. Sie weiss sich bis zur EheschUessung (21 Jahre) keines Falles zu erinnern, dass sie je zu einer Person des eigenen Geschlechtes sich hingezogen gefühlt hätte. Ebenso gleichgültig waren ihr männliche Individuen. Herangewachsen, hatte sie viele Anbeter» was ihr schmeichelte, jedoch will sie nie an den unter- schied des Geschlechts gedacht und diesen nur hinsichtlich der Kleidung be- uchtet haben.

Auf dem einzigen Balle, den sie mitmachte, interessirte sie nur die geistreiche Unterhaltung und die gute Gesellschaft, nicht der Tanz und die Tänzer.

Die Menses waren ohne Beschwerde mit 18 Jahren eingetreten. Frau X. empfand die Menstruation jeweils als etwas ihr nicht Zugehöriges und Lästiges. Die Verlobung mit dem braven, reichen, aber für Frauennatur nicht das ge- ringste Verständuiss besitzeuden Manne war für sie eine ganz gleichgültige Sache. Sie empfand weder Sym- noch Antipathie gegenüber der Ehe. Der eheliche Umgang war ihr anfangs schmerzlich, später einfach lästig. Sie ge- langte dabei nie zu einem Wollustgefühl, gebar aber im Lauf der Jahre 6 Kinder. Als der Mann wegen des wachsenden Kindersegens Goitas inter- ruptus pflog, fühlte sie sich in ihrem religiösen und moraliscbeu Gefühl verletzt.

Frau X. wurde immer mehr nenrasthenisch , missgestimmt, fühlte sich unglücklich.

Sie litt an Descensus uteri, Erosionen an der Portio vaginalis, wurde anämisch; gynäkologische Behandlung und verschiedene Badekuren brachten keine erhebliche Besserung.

36 Jahre alt , erlitt sie eines Tags einen apoplektischen Insult und lag in der Folge fast 2 Jahre lang krank unter schweren neurasthenischen Be- schwerden (Ägrypnie, Kopfdruck, Herzklopfen, psychische Depression, Gefühl gebrochener körperlicher und geistiger Kraft, bis zu Gefühlen drohenden Irr- sinns U. 5. W.).

Im Verlauf dieser Krankheit stellte sich eine sonderbare Aenderung ihres seelischen und körperlichen Fühlens ein.

Der Weibertratsch der sie besuchenden Damen über Liebe, Toiletten, Schmuck, Mode, Haus- und Dienstbotenangelegenheiten wurde ihr ekelhaft. Es berührte sie peinlich, selbst Weib zu sein. Sie konnte sich nicht mehr entsch Hessen , in den Spiegel zu schauen. Fiisiren und Toilette wurden ihr ein Gräuel. Zum Befremden ihrer Umgebung änderten sich ihre bisher weichen und entschieden weiblichen Züge im Sinne eines männlichen Ausdrucks, so da#s sie Jedem den Eindruck eines in Damenkleidern steckenden Mannes machte. Sie klagte dem vertrauten Ar/.t, die Periode sei ihr fremd geworden, gehe sie nichts an ; sie war bei ihrer Wiederkehr jeweils verstimmt, empfand den Geruch des Menstrualbluts als ekelhaft, konnte sich aber nicht ent- schliessen, zu Parfüms, die ihr ebenfalls zuwider geworden waren, zu greifen.

Aber auch sonst fühlte sie eine sonderbare Wandlung ihres ganzen Wesens. Sie empfand Anwandlungen von Kraftgefühl und sich getrieben, turnerische Leistungen auszuführen , fühlte sich episodisch jung wie mit 20 Jahren. Sie erstaunte, wann ihr neurasthenisches Gehirn das Denken


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Erworbene contrHre Sexualompfiudung.


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überhaupt zuIiesSf über den Flug und die Nenartigkeii ihrer Gedanken, über ihre schnelle und präcise Art der Scbluss- und Urtheiisbildung, die schnelle und kurze Art des Ausdrucks, die neue und für eine Dame nicht immer passendo Wahl der Worte. Sogar Neigung znm Fluchen stellte sich bei der früher so frommen und strenge auf sich haltenden Frau ein,

Sie machte sich bittere Vorwürfe, jammerte, sie sei nicht mehr weib- lich, stosse in der Gesellschaft in ihrem Denken, Fühlen und Handeln an.

Nun fühlte sie auch eine Veränderung ihres Körpers, Zu ihrem Erstannen und Entsetzen fühlte sie die Brüste schwinden, ihr Becken kam ihr enger vor, die Knochen wurden massiger, die Haut fühlte sich rauher und fester an.

Sie konnte sich nicht mehr entschliessen, die weibliche Bettjacke sowie ein Häubchen zu tragen , auch Armreife , Ohrringe , FUcher wurden bei Seite gelegt. Der Kamnierjungfer sowie der Nllhterin fiel auf, dass von Frau X. ein ganz anderer Geruch ausging; die Stimme wurde tiefer, rauh, mUnnlicb.

Als Patientin endlich das Bett verliess, hatte sie den Gang der Frauen fast ganz verloren, musste sich zu entsprechenden Gesten und Bewegungen im Damencosttim flirmlich zwingen, konnte es nicht mehr ertragen, einen Schleier vor das Gesicht zu nehmen. Ihre frühere Lebenszeit als Weib kam ihr als etwas Fremdes, ihr nicht Zugehöriges vor, sie fand sich nicht mehr oder nur mühsam in die Holle des Weibes hinein. Ihre Züge wurden nun immer männ- licher. Ganz fremdartige Gefühle im Unterleib stellten sich ein. Sie klagte dem Arxt, dass sie ihre Genitalien nicht mehr innerlich fühle. Sie empfinde ihren Leib geschlossen, die Gegend der Schamtheile vergrössert, sie habe oft deutlich das Gefühl, Penis und Scrotum zu besitzen. Auch zeigte sie deutlich mftnnliche Libido. Sie war über all diese Wahrnehmungen tief verstimmt, entsetzt und ihre Verstimmung nahm so zu, dass man Wahnsinn befürchtete. Es gelang den Bemühungen und Aufklärungen des Hausarztes, Patientiu all- mählig zu beruhigen und sie über die Klippe hinüberzubringen. Patientin gewann in der neuen , fremdartigen . krankhaften . körperlich-seelischen Form allmähÜg ihr Gleichgewicht wieder. Sie bemühte sich, ihren Pflichten als Hausfrau und Mutter nachzukommen. Interessant war die wahrhaft mann- liebe Festigkeit dos Willens , welche sie dabei entfaltete , aber ihr früher weiches Gemüth war verschwunden. Sie gerirte sich nunmehr als Mann im Hause, was Veranlassung zu ehelichen Dissidien bot. l'eberhanpt erschien Frau X. ihrem Mann als ein unlösbares Räthsel.

Dem Arzte klagte sie über ab und zu sie heimsuchende «thierisch mUnn- liche' Begierden und war zu solchen Zeiten auch tief verstimmt. Der ehe- liche Verkehr mit dem Manne erschien ihr grauenhaft und unmöglich.

Episodisch empfand Patientin noch weibliche Kegungen, aber immer seltener und matter. Sie fühlte dann wieder weibliche Genitalien, ihre Brüste als die eigenen , aber die Episoden waren ihr peinlich und sie hatte dos Ge- fühl, dass sie eine solche „zweite l'mstimmung* nicht mehr aushalten könnte, ohne wahnsinnig zu werden.

Sie hat sich in die ihr durch einen Krankheitsprocess aufgedrungene Mutatio sexus hineingefunden und trägt ihr Schicksal in Ergebung, wobei ihre grosse Religiosität ihr mächtige Hülfe gewährt.

Im höchsten Grad peinlich Lst ihr aber, dass sie beständig, einer Schau- spielerin gleich, eine fremde Rolle, die des Weibes, vor der Aussenwelt spielen (Status praesens Sept. 1892.)


ly. Stufe: Metamorphoais sezualis paranoica.

Eine letzte mögliche Stufe in dem Krankheitsprocess stellt der Wahn der Geschlechtsverwandlung dar. Er wird erreicht auf der Grundlage einer

T. Erafft-Bbing, Ptfcbopathia st^nalis. 10. Anfl. 14



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Conirftre Sexaalemptindang.


zur Neurasthenia universalis gewordenen sexuelleu Neurasthenie im Sinne einer seelisfchen Erkrankung, der Paranoia.

Die folgenden Beobachtungen weisen die interessante Entwicklung des neurotiach-psjchologischen Vorgangs bis zu seiner Höhe nach.

Beobachtung 110. K., 36 Jahre, ledig, Knecht, aufgenommen in der Klinik am 26. Februar 1889, ist ein typischer Fall von aus Neurasthenia sexualis entstandener Paranoia persecutoria mit Greruehäballucinationen, Sen- sationen u. s. w.

Er stammt aus belasteter Familie. Mehrere Geschwister waren psycho- pathisch. Patient hat hydrocephalen Scbftdel, in der Gegend der rechten Fon- tanelle eingesattelt, neuropathisches Auge. Von jeher sexuell sehr bedürftig, ergab er sich mit 19 Jahren der Masturbation, ctiitirte mit 23 Jahren, zeugte drei uneheliche Kinder, unterliess weiteren sexuellen Verkehr aus Angst vor weiterer Zeugung und ünerschwinglichkeit der Alimentationsgelder, empfand die Abstinenz höchst peinlich, entsagte auch der Masturbation, bekam massen- haft Pollutionen , wurde vor 1 'ja Jahren sexuell neurastbenisch , hatte auch Pollutiones diumae, wurde davon ganz matt und elend, im weiteren Verlauf allgfimein neurastbenisch und erkrankte an Paranoia.

Seit 1 Jahr bekam er parästhetische Sensationen , als ob an Stelle der Genitalien ein grosser Knäuel liege, dann f&hlte er, wie Scrotum und Penis fehlten und seine Genitalien sich weiblich umwandelten.

Er fühlte das VVacbseu von Brüsten, einen Haarzopf, das Anliegen weib- licher Kleidung am Kursier. Er kam sich als Weib vor. Die Leute auf der Strasse machten entsprechende Aeusserungen : »Seht doch das Mensch an, die alte Duttel.' Im Halbtraum hatte er das Gefühl, ah ob an ihm als einem Weib ein Mann den Coitus vollziehe. Es kam ihm dabei die . Natur ■ unter lebhaftem Wollustgefühl. WUbrend des Aufenthalts in der Klinik trat eine Intermission der Paranoia ein und zugleich eine bedeutende Besserung der Neurasthenie. Damit schwanden vorläufig die Gefühle und Ideen im Sinne einer sich entwickelten Metamorphosia sexualis.


Ein weiter vorgeschrittener Fall von Eviratio auf dem Wege zur Transformatio sexus paranoica ist der folgende:

Beobachtung 111. Franz St., 83 Jahre alt, Volksschullehrer, ledig, wahrscheinlich aus belasteter Familie, von jeher neuropathisch, emotiv, schreckhaft f alkoholintolerant, begann mit 18 Jahren zu mastnrbiren, bekam mit 30 Jahren Erscheinungen von Neurasthenia sexualis (Pollutionen mit fol- gender Mattigkeit, die mit der Zeit auch bei Tage auftraten, Schmenen im Gebiet des Plexus saeralis u. s. w.). Dazu gesellte sich allmählig Splnalirri- tation, Kopfdruck, Cerebrasthenie. Seit Anfang 1885 hatte Patient sich des Coitus enthalten, bei welchem er kein Wollustgefuhl mehr verspürte. Er mastnrbirte h&ufig.

1888 begann Beachtungswahn. Er bemerkte, dass man ihm auswich, bemerkte, dass er eine schädliche Ausdünstung habe, stinke (Geruchshallucina- tionen) und erklärte sich damit das gelinderte Benehmen der Leute, nicht minder ihr Niesen, Husten u. s. w.

Er empfand Gerüche nach Leichen, faulem Harn. Als Ursache seines üblen Geruchs erkannte er Pollutionen nach innen. Er erkannte sie an einem Gefühl, wie wenn von der Symphyse gegen die Brust Flüssigkeit ströme.

Patient verliess bald wieder die Klinik.

1889 kam er neuerlich zur Aufnahme im vorgeschrittenen Stadium einer Paranoia masturbatoria persecutoria (physikalischer Verfolgungswahn).


Wahn der Geschlechtsverwandlung.


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Aufangs Mai 1889 wird Patient dadurch auffällig, dass er grob reagirt, wenn man ihn als ,Herr* anredet.

Er protestirt daj^egen , weil er ein Weib sei. Stimmen sagen »hm dies. Er bemerkt, dass ihm iBräste wachsen. Vor einer Woche betasteten ihn die Anderen wollüstig. Er hurte sagen, er sei eine Hure. In letzter Zeit Be- gattungsträume. Es träumte ihm, es werde an ihm als einem Weih der Coitus vollzogen. Er spürt die Immissio penis und hat beim traumhaften Akt Ejacnla- tionsgefühl.

Schädel steil, langer schmaler Qesichtsschädel, prominente Tnbera parle- talia. Genitalien normal entwickelt.


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' Der folgende Fall, in der Anstalt Iltenau beobachtet ist ein passen-

des Beispiel dauernder wahnhafter Verkehrung des geschlechtlichen Be- wusstseins.

Beobachtung 112. Metamorphosis sexualis paranoica. N., 23 Jahre, ledig, Pianist, wurde Ende October 1865 in der Heilanstalt Illenau aufgenommen. Aus erblich angeblich nicht belasteter, aber tuberkulöser Familie (Vater und Bruder erlagen der Phthisis pulmonum). Patient war als Kind schwächlich, gering begabt, jedoch einseitig für Musik talentirt. Er war von jeher ein abnormer Charakter, still, verschlo.ssen , ungesellig, von barschem Wesen.

Vom 15. Jahr an Masturbation. Nach einigen Jahren schon stellten sich neurast henische Beschwerden (Herzklopfen, Mattigkeit, zeitweise Kopf- druck u. 8. w.) ein, zugleich auch h3rpocbondriscbe Anwandlungen. Patient arbeitete in dem letzten Jahr sehr angestrengt. Seit einem halben Jahre hatte sich seine Neurasthenie gesteigert. Er klagte nun über Herzklopfen, Kopfdruck, Schlaflosigkeit, wurde sehr reizbar, erschien sexuell »ehr erregt, behauptete, er müsse eheroüglich heirathen , ans Gesundheitsrücksichten. Er verliebte sich in eine K&nstlerin, erkrankte aber fast gleichzeitig (Sept. 1805) an Paranoia persecutoria (feindliche Wahrnehmungen , Schmähreden auf der Strasse, Gift im Essen , man spannt ihm ein Seil auf einer Briücke, damit er nicht über diese zur Geliebten gehe). Wiegen zunehmender Aufregung und Conflikten mit der feindlich aufgefassten Umgebung in die Irrenanstalt auf- genommen, bot er anfänglich noch das Bild einer typischen Paranoia per- aecutoria, neben den Erscheinungen einer sexuellen, später allgemeinen Neur- asthenie, jedoch baute sich der Verfolgungswahn nicht auf dieser neurotischen ■ Grundlage auf. Nur gelegentlich hörte Patient die Umgebung sogen: »Jetzt wird ihm der Same, jetzt wird ihm die Blase abgeschnitten.' Im Lauf der Jahre 1666 — 68 trat der Verfolgungswahn immer mehr in den Hintergrund und wurde grossentheils ersetzt durch erotische Ideen. Die somatisch-psychische Grundlage war eine andauernde und mftchtige Erregung der Sexuakpbäre. Patient verliebte sich in jede Dame, deren er ansichtig wurde, hörte auffordernde Stimmen, sich ihr zu nähern, verlangte gebietenscn die Ehebewilligung und behauptete, wenn man ihm keine Frau verschafle, bekomme er die Auszehrung. Unter fortgesetzter Masturbation treten schon 1869 Signale im Sinne künftiger Eviratio auf. »Wird, wenn er eine Frau bekommt, sie nur platonisch lieben." Patient wird immer verschrobener, lebt in einem erotischen Ideenkreis, sieht allenthalben in der Anstalt Prostitution treiben, hört ab und zu Stimmen, die ihm selbst unzüchtiges Benehmen gegen Damen imputiren. Er vermeidet desshalb Damengesellscbaft und lässt sich nur dann herbei, in solcher 2U musiciren, wenn ihm zwei Zeugen beigegeben werden. H Im Lauf des Jahres 1872 nimmt der nourasthenische Zustand einen be-

H deutenden AuiJsehwung. Nun tritt auch die Paranoia persecutoria wieder


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Contr&re Sexualempfindang.


mehr in den Vordergrund und gewinnt klinische Färbung durch den neurotischen (jrundzustand. Es treten Gerucbshallucinationen auf, Patient wird magne- tisch beeinflusst. .Magnetismusambosarbpitswellen* wirken auf ihn ein (falsche Interpretation spinalasthenischer Beschwerden), unter fortdauernder mächtiger sexueller Erregung und masturbatoriscben Escessen macht der Process der Eviratio immer weitere Fortsehritte, Nur noch episodisch ist er Mann und schmachtet nach einem Weibe, beklagt sich bitter, dass die schamlose Prosti- tution der Männer hier im Hause es unmöglich mache, dass ein Frauenzimmer zu ihm gelange. Er sei sterbenskrank durch magnetisch vergiftete Luft und unbefriedigte Liebe, ohne Liebe könne er nicht leben; er sei vergiftet durch Geilgift, das auf den Geschlechtstrieb wirke. Die Dame, welche er liebe, sei hier in der niedrigsten Unzucht. Die Prostituirten hier im Hause haben Gltickseligkeitsketten , d. h. Ketten, in welchen man, ohne sich zu rühren, in Wollust liege. Er sei erbotig, sich jetzt auch mit einer Prostituirten zu be- gnügen. Er besitze eine wunderbare Augengedankenausstrablung, die 20 Mil- lionen werth sei. Seine Compositionen sind 500 000 Francs werth. Neben diesen Andeutungen von Grossenwabn solche von persecutorischem — die Nahrung ist durch venerische Excremente vergiftet, er schmeckt und riecht das Gifl, hört infame Beschuldigungen und verlangt eine Ohrenscblussmaschine.

Immer häufiger werden aber vom August 1872 ab Signale im Sinne der Eviratio. Er benimmt sich ziemlich affektirt, erklärt, dass er nicht mehr unter trinkenden und rauchenden Männern leben könne. Er denke und emp6ndo ganz weiblich. Man solle ihn von nun ab als Weib behandeln und in einer Frauenabtheilung unterbringen. Er verlangt Confitiiren, feine Mebl- fipeisen. Gelegentlich Tenesmus und Cystospasmus verlangt er in einer Ent- bindungsanstalt unter(?ebracht und wie eine Schwerkranke, Schwangere be- handelt zu werden. Der krankhafte Magnetismus männlicher Pflege wirke ungünstig auf ihn.

Vorübergehend fühlt er sich noch als Mann, plaidirt aber in für sein krankhaft geändertes sexuales Empfinden bezeichnender Weise nur für Be- friedigung durch Masturbation« für Ehe ohne Coitus. Die Ehe sei ein WoUustiustitut. Das Mädchen, welches er zur Frau nehmen möchte, uüsste Onani.stin sein.

Vom Deceml)er 1872 ab ändert sich sein PersÖnlichkeitsbewusstaein end- gültig in ein weibliches.

Er sei von jeher ein Weib, über vom 1. — 5. Lebensjahre habe ihn ein französischer Quäkerkünstler mit mt&nnlichen Genitalien versehen und ihm durch Einreiben und Zurichten des Thorax das spätere Hervorkommen der Brüste verhindert.

Er verlangt nun energisch Unterbringung in der Frauenabtheilung, Schutz vor ihn prostituiren wollenden Männern und Damenkleidung. Eventuell wäre er auch erbötig, in einem Spielwaajengeschaft sich mit Stepp- und Aus- schneidarbeit, oder in einem Putzgeschäft mit weiblicher Arbeit zu beschäf- tigen. Vom Zeitpunkt der Transformatio sesus an beginnt für Patient eine neue Zeitrechnung. Seine eigene &ühere Persönlichkeit fasst er in der Er* innerung als seinen Vetter auf.

Er spricht von sich vorläufig in der dritten Person, erklärt sich flr die Gräfin V., die liebste Freundin der Kaiserin Eugenie, verlangt Parfüms, Cor- setten u. s. w. Hält die anderen Männer der Abtheilung für Frauenzimmer, versucht, sieb einen Zopf zu flechten, verlangt ein orientalisches Enthaarungs- mittel, damit man nicht mehr an seiner Dameuuatur zweifle. Er gefällt sich in Lobreden auf die Onanie, denn „sie war seit ihrem 15. Jahr Onanistin und hat nie eine andere geschlechtliche Befriedigung gesucht". Gelegentlich werden noch neurasthenische Beschwerden, Gerucbshallucinationen und persecutorische Delirien beobachtet. Alle Erlebnisse bis zum December 1872 gehören der Persönlichkeit des Vetters an.


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Patient ist vod dem Wahn, Gr&£a V. zu sein, nicht mehr abzubringen. Bie beruft sich darauf, dass sie von der Hebamme untersucht und als Dame befunden worden sei. Die Gräfin wird nicht heirathen, weil sie die M&nner- welt verachtet. Da Patient keine Damenkleider und Stöckelschuhe bekommt, bringt er den grösatpn Theil des Tages im Bett zu, gerirt sich als vornehme, leidende Dame, tbut zimpferlich, verschämt und verlangt Bonbons u. dgl. Das Haar wird so gut wie möglich in Zupfe geflochten, der Bart ausgezupft. Aus Semmeln werden Brüste geschaffen.

1874 tritt Caries im linken Kniegelenk auf, zu der sich bald Phthisis pulmonum gesellt. Tod am 2. December 1874. Schftdel normal. Stirnhirn atrophisch, Gehirn anämisch. Mikroskopisch (Dr. Schule): In der oberen Schichte des Frontalhims Ganglienzellen leicht geschrumpft: in der Adventitia der Gefässe zahlreiche Fettkörnchen; Glia unverändert, vereinzelte Pigment- partikeln und CoUoidkörner. Die unteren Schichten der Gehirnrinde normal. Genitalien sehr gross, Hoden klein, schlafl*, auf dem Durchschnitt makro- skopisch nicht verändert.

Der im Vorstehenden in seinen Bedingungen und Entwicklunga- phasen aufgezeigte Wahn der Qeschlechtsverwandlung ist eine auffallend aelteue Erscheinung in der Pathologie des menschlichen Geistes. Ausser den vornusgehcnden Fällen eigener Beobachtung habe ich einen solchen Fall als episodischt* Erscheinung bei einer contriirsexualen Dame (Beob. 1 18 der 7. Auflage m. Psychoputhia Be^cualis) und als dauernde bei einem mit originärer Paranoia beliafteten Mädchen beobachtet, femer bei einer eben- falls originär paranoischen Dame.

In der Literatur sind mir ausser einem aphoristisch in seinem Lehr- bucli berichteten Fall von Arndt*), einem von Serie ux (Hecherches cliniques, p, 3'i) ziemlich oberflächlich mitgetheilten und den beiden be- kannten von E s q u i r o P) keine Beobachtungen von Wahn der Geschlechts- erwundlung erinnerlich.

Auf S. 195 habe ich der interessanten Beziehungen Erwähnung güthau, welche sich zwischen diesen Thatsachen der wahnhaften Ge- schlechtsver Wandlung und dem sogen. Skythen Wahnsinn finden.

Marandon (Ännales m^dico-psychologiques 1877, p, 161) hat. gleich- ie Andere, irrthümlich angenommen, dass es sich bei diesen Skythen es Alterthums um wirklichen Wahn und nicht um blosse Eviratio ge- handelt habe. Nach dem Gesetz des empirischen Aktualismus muas der heutzutage so seltene Wahn auch im Alterthum höchst selten gewesen sein. Da er nur auf Grundlage einer Paranoia denkbar ist, kann Über- haupt von einem endemischen Vorkommen niemals die Rede gewesen sein, sondern nur von einer abergläubischen Deutung einer Evirutio (im Sinne des Zornes der Göttin), wie dies auch aus Andeutungen bei Hippokrates hervorgeht.

Anthropologisch bemerkenswerth bleibt die aus dem sogen. Skythen-

^) Im Auszug mii^eiheUt ala Beob. lOS der 9. Auflage. 'I Vgl. ebenda Beob. 104, 105.



214


Conträre Sexualempfiodung.


wahnsina und aus neuerlichen Erfahrungen bei den Puebloindianern her- vorgehende Thatsache-, dass mit dem Schwund der Hoden auch solcher der Genitalien überhaupt und Annäherungen an den Typus des Weibes körperlich und seelisch beobachtet wurden. Ea ist dies um so auffäUiger, als solche Rückwirkung beim Manne, der in erwachsenem Alter seine Zeugungsorgane verliert, ebenso ungewöhnlich ist, als beim erwachsenen Weibe m. m. nach dem künstlichen Klimax oder nach dem natürlichen.


B. Die homosexuale Emp&nduQg als angeborene krankhafte

Erscheinung M.

Das Wesentliche bei dieser sonderbaren Erscheinungsweise des Ge- schlechtslebens ist die sexuelle Frigidität bis zum Horror gegenüber dem


  • ) Literatur (ausser der im Folgenden erwähnten): Tardieti. Des Attentats

auK moeura, 7. ^dit. 1878. p. 210. — Uofmann. Lehrb. d. ger. Med., 0. Aufl., p. 170. 887. — Gley, Revue philosopbique 1Ö84, Nr. 1. — Magnan. Annal. möd.- psychol. 1885, p. 458. — Shaw und Ferris, Journal of nervous and mental diseose

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1889, Sept. — Peyer, MQnch. med. Wochenschrift 1890. Nr. 23. — Lewin, Neurolog. Centralbl. 1891, Nr. 18. — v, Schrenck-Notzing, Die Suggestionstherapie etc, Stuttgart — Eulenburg, op. cit. p. 66. „Homosexuelle Parerosie*. — Raffalo- vich, Die Entwicklung der Homosezualittlt Berlin (Kornfeld) 1895; Derselbe. Uranisme et UniBexualite. Paris 1886. — v. Schrenok-Notaing. Hin. Zeit* und Streitfragen, IX, 1 (WienHölder 1895). — Laupts. Perversion et perversili sexuelle«. Paria 1896. — EUis. ,Dm conträre Geschlechtsgefühl". Leipzig l>i96. — Legrain. Des anomalies de rinstinct sexuel etc. Paris 1896.


Angeborene contrflre Sexaalompßndung.


215


anderen Geschlecht, während Neigung und Trieb zum eigenen Geschle<*ht besteht. Gleichwohl sind die Genitalien normal entwickelt» die Geschlechts- drüsen functionircn ganz entspre<:hend und der geschlechtliche Typus ist ein vollkommen diSerenzlrter.

B Das Empfinden, Denken, Streben, überhaupt der Charakter ent-

spricht, bei voller Ausbildung der Anomalie, der eigenartigen GeschlechtÄ- empßndung« nicht aber dem Geschlecht, welches das Individuum anatomisch

B und physiologisch repräsentirt. Auch in Tracht und Beschäftigung gibt sich diese abnorme Empfindungsweise dann zu erkennen, bis zum Drang, der sexuellen Rolle, in welcher sich das Individuum fühlt, entsprechend sich zu kleiden.

I Klinisch und anthropologisch bietet diese abnorme Erscheinung ver-

schiedene Entwicklungsstufen, bezw. Erscheinungsformen. 1. Bei vorwaltender homosexualer Geschlechtsempfindung bestehen Spuren heterosexualer (psychosexuale Hermaphrodisie).

12. Es besteht bloss Neigung zum eigenen Geschlecht (Homosexualität). 3. Auch dns ganze psychische Sein ist der abnormen Geschlechts- empfindung entsprechend geartet (Effeminatio und Viraginität). 4. Die Körperform nähert sich derjenigen, welcher die abnorme Ge- echlechtserapfindung entspricht. Nie aber finden sich wirkliche Üeber- gänge zum Hermaphroditen, im Gegentheil vollkommen differenzirte

I Zeugungsorgane, so dass also, gleichwie bei allen krankhaften Perversionen des Sexuallebens, die Ursache im Gehirn gesucht werden muss (Andro- gynie und Gynandrie). Die ersten genaueren *) Mittheilungen über diese rfttbselhaften Natur- erscheinungen rühren von Oasper her (üeber Nothzucbt und Päderastie, Casper's Vierteljahrsschr. 1852, I), der dieselbe zwar mit der Päderastie zu- sammenwirft, aber schon die treffende Bemerkung maclit. dass diese Anomalie in den meisten Fallen angeboren und gleichsam als eine geistige Zwitter- bildung anzusehen sei. Es bestehe hier ein wahrer Ekel vor geschlechtlicher Berührung von Weibern , während sich die Phantasie an schtinea jungen


I


') Durch Herrn Dr. A. Moll in Berlin wurde ich aufmerksam gemacht, data rieh Andeutungen von contrilrer Sexualempfindung, Männer betrefTend, schon in Moritü'fl Magazin für KrCahrnngsneelenkunde Bd. VIIl, Berlin 17U1 finden. Thnt- B&cUlich werden dort '2 Biographien von M&nnem mitgethcilt, welche eine geradezu Bohw&rmerifiche Liebe zu Personen des eigenen Geschlechts boten. In dem 2. be- sonders bemerken» werthen Fall erklärt der Fat. sich selbst die Ureucbe seiner .Ver- irrung* damit, daes er als Kind nur von erwachsenen Fersoneo, als Kuabc von 10 — 12 Jahren von seineu Mitschülern geliebkost wurde. »Dies und der entbehrte Umgang mit Personen vom anderen Geschlechte machte, doss sich bei mir die natflr- liehe Zuneigung zum weiblichen Geschlechte von ihm ganz ablenkte auf dos männ- liche. Ich bin noeh jetzt gegen Frauenzimmer ziemlich gleichgültig.*

Ob der Fall ein solcher von angeborener (psychosexualer Hetmaphrodisic?) oder erworbener conträrer Scxuolempündung war, l&Mt sich nicht entscheiden.



216


Conträre SexnalempBnduiig.


Mftnnerii , Statuen, Äbbilduiif^dn solcher ergötze. Schon Casper ist es nicht entgangen, dass in solchen Fällen Immissio penis in anum (Päderastie) nicht die R<^el ist. sondern dass auch durch anderweitige geschlechtliche Akte Cmutnelle Onanie) sexuelle Befriedigung erstrebt und erzielt wird.

In seinen , klinischen Novellen* (1063, p. 33j gibt Casper das inter- essante Selbstbekenntniss eines diese Perversion des Geschlechtstriebes auf- weisenden Menschen, und steht nicht an zu erklären, dass, al-gesehen von verderbter Phantasie, Entsittlichung durch Uebersfittigung im normalen Ge- schlechtsgenuss, es zahlreiche Fälle gebe, wo die „ Päderastie* aus einem wunderbaren, dunklen, unerklärlichen, angeborenen Drang entspringt, Mitte der tJOer Jahre trat ein gewisser Assessor Ulrichs, selbst mit diesem per- versen Trieb behaltet, auf* und behauptete unter dem Schriftstellemamen ,Nunia Numantius' in zahlreichen Schritten '), das geschlechtliche Seelenleben sei nicht an das köq)erliche Geschlecht gebunden, es gäbe männliche Indi- viduen, die sich als Weib dem Manne gegenüber fühlen (»anima muliebris in corpore virili inclusa'). Er nannte diese Leute „Urninge" und verlangte nichts Geringeres als die staatliche und sociale Anerkennung dieser urniscbeu Geschlechtsliebe als einer angeborenen und damit berechtigten, sowie die Ge- stattung der Ehe unter Urningen. Ulrichs blieb nur den Beweis dafür schuldig, dass diese allerdings angeborene paradoxe Geschlecbtsenipiindung eine physiologische und nicht vielmehr eine pathologische Erscheinung ?ei.

Ein erstes anthropologisch -klinisches Streiflicht auf diese Thatsachen warf Griesinger (Archiv f. Psychiatrie I, p. i'*'>l), indem er in einem selbst beobachteten Falle auf die starke erbliche Belastung des betrt^fienden Indi- viduums hinwies.

Westphal {Archiv f. Psychiatrie II, p. 73) verdanken wir die erste Abhandlung über die in Rede stehende Erscheinung, die er als * angeborene Verkehmng der Geächlechtsempiindung mit dem Bewusstsein der Krankhaftig- keit dieser Erscheinung" definirte und mit dem seither allgemein recipirten Namen der »conträren Sexualempfindung* bezeichnete. Er eröffnete zugleich eine Casuistik, die seither auf circa 200 Fälle, ungerechnet die in dieser Mono- graphie berichteten, angewachsen ist.

Westphal lässt es unentschieden, ob die .conträre Sexuulempündung* Symptom eines neuro- oder eines psychopathischen Zustandes sei, oder als isolirte Erscheinung vorkommen könne. Er hält fest an dem Angeborensein des Zustandes.


Auf Grund der bis 1877 veröffentlichten Fälle habe ich diese eigen- artige Geschlechtsempfindung als ein fuuctionelles Degenerationszeichen und als Theilerscbeinung eines neuro(psycho]pathischen, meist hereditär bedingten Zustnnds bezeichnet, eine Annahme, welche durch die fernere Casuistik durchaus Bestätigung gefunden hat. Als Zeichen dieser neuro- (pyscho)puthischen Belastung lassen sich anfOhron:

1. Das Geschlechtsleben derartig organisirter Individuen macht sich in der Regel abnorm früh und in der Folge abnorm stark geltend. Nicht selten bietet es noch anderweitige perverse Erscheinungen, ausser der an und für sich durch die eigenartige Geschlecbtsempfiudung bedingten ab- normen sexuellen Richtung.


  • ) «Vixidex, [nclasa, Yindicta, Forma trix , Ära spei. Gladius furens (Leipsig,

H. Matthe» I8ti4 o. 1^65) Ulrichs, kritische Pfeile*, 1879, in Commiarion bei H. Cröulein, Stuttgart, Augustenstrasae 5.


Angeborene contrtre Sexnalempfindini^'


217


2. Die geistige Liebe dieser Menschen ist vielfach eine schwärmerisch exaltirte, wie auch ihr Geschlechtstrieb sich mit besonderer, selbst zwingen- der Stärke in ihrem Bewusstsein geltend macht

3. Neben dem functionellen Degenerationszeichen der conträren Sexualempfindung finden sich oft anderweitige functionelle, vielfach auch anatomische £ntartungszeicheD.

4. Es bestehen Neurosen (Hysterie, Neurasthenie, epileptoide Zu- stande u. 8. w.)> Fast immer ist temporär oder dauernd Neurasthenie nachweisbar. Diese ist in der Regel eine constitutionelle, in angeborenen Bedingungen wurzelnde. Geweckt und unterhalten wird sie durch Mastur- bation oder durch erzwungene Abstinenz.

Bei männlichen Individuen kommt es auf Grund dieser Schädlich- keiten oder schon angeborener Disposition zur Neurasthenia sexualis, die sich wesentlich in reizbarer Schwäche des Ejaculationscentrums kundgibt Damit erklärt sich, dass bei den meisten Individuen schon die blosse Um- annungf das Küssen oder selbst nur der Anblick der geliebten Person den Akt der Ejaeulntion hervorruft. Häufig ist dieser von einem abnorm starken WolIustgefUhl begleitet, bis zu Gefühlen «magnetischer" Durch- itrömung des Körpers.

5. In der Mehrzahl der Fälle finden sich psychische Anomalien (glänzende Begabung für schöne EQnste, besonders Musik, Dichtkunst u.s.w., bei intellectuell schlechter Begabung oder originärer Verschrobenheit) bis zu ausgpRprochenen psychischen Degenerationszuständen (Schwachsinn, moralische« Irresein).

Bei zahlreichen Urningen kommt es temporär oder dauernd zu Irre- sein mit dem Charakter des degenerativen (pathologische Affectzustände, periodisches Irresein, Paranoia u. s. w.).

ö. Fast in allen Fällen, die einer Erhebung der körperlich geisfeigen Zustände der Ascendenz mit Blutsverwandtschaft zugänglich waren, fanden sich Neurosen, Psychosen, Degenerationszeichen u. s. w. in den betreffenden Familien vor '),

Wie tief die angeborene conträre Sexualempfindung wurzelt, geht auch aus der Thatsache hervor, dass der wollüstige Traum des männ- lichen Urnings männliche, der des weibliebenden Weibes weibliche Indi- viduen, bezw. Situationen mit solchen zum Inhalt hat.

Die Beobachtung von Westphal, dass das Bewusstsein des an-


^) Dass conträre Sexual emptindang als ThellerflchcinaDg neurotischer Degene- ration auch hei den Nacbkomniun neurotisch unbelasteter Kliem vorkommen kann, lehrt eine Beobachtung von Tatnowski (op^ clt- p. 34), in welcher Lu^s der Er- zeuger im Spiel war, sowie ein bezüglicher Fall von Scholz (Vierteljahrwohrift f. ger. Med.), in welchem die perverse Geschlechtsricbtung mit einer traumatisch be- dingten physischen Entwicklungshemmung in ursächlichem Zusammenhang stand.


218


Contrftre Sexualempfindung.


geborenen Defectes von geschlechtlichen Empfindungen gegenüber dem anderen Geschlecht und des Dranges zum eigenen Geschlecht peinlich empfunden werde, trifft nvir für eine Anzahl von Fällen zu. Vielen fehlt sogar das BeArusstsein der Krankhaftigkeit des Zustands. Die meisten Urninge fühlen sich glücklich in ihrer perversen Geschlechtsempfindung und Triebrichtung und unglücklich nur insoferne, als gesellschaftliche und strafrechtliche Schranken ihnen in der Befriedigung des Triebs zum eigenen Geschlecht im Wege stehen.

Das Studium der contraren Sexnalempiinduug vreist bestimmt auf Anomalien der cerebralen Organisation der damit Behafteten hin. Schon der Umstand, dass ausnahmslos hier die Geschlechtsdrüsen anatomisch und functiouell ganz normal befunden werden, spricht für diese Annahme.

Diese räthselhafte Naturerscheinung hat rielfach zu Erklärungs- versuchen geführt.

Bei den Laien ist sie Laster, bei den Juristen Verbrechen. Von den mit ihr Behafteten selbst wird sie zwar als ein Anomalie anerkannt, aher auf Grund einer Laune der Natur und ebenso berechtigt wie die normale (heterosexuale) Liebe. Von Plato bis auf Ulrichs wird in contrar sexualen Kreisen an diesem Standpunkt festgehalten. £r stütxt sich auf Plato*s Gastmahl, Cap. 8 und 9, wo es heist : ,Es gibt keine Aphrodite ohne Eros. Es sind aber der Göttinnen zwei. Die ttltere Aphrodite ist ohne Mutter entstanden, des Uranos Tochter und desshalb nennen wir sie Urania. Die jüngere Aphrodite ist des Zeus and der Diana Tochter, sie wird Paudemos genannt. Der Eros der erstereu muss also L^ranos, der der anderen Pandemos heissen. Mit der Liebe des Eros Pandemos lieben die gewöhnlichen Menschen ; der Eros Uranos hat aber kein weibliches Theil erwälüt, sondern nnr männliches, das ist die Liebe zu Knaben. Wer von dieser Liebe begeistert ist, wendet sich dem männlichen Geschlecht zu." Aus manchen anderen Stellen in den Classikern gewinnt man sogar den Eindruck, duss die nranische Liebe höher gestellt war, als ihre Schwester. Neuere Erklftmngsversuche der homosexuellen Empfindung sind sowohl von Philosophen als auch Psychologen und Naturforschern ausgegangen.

Eine der sonderbarsten Erklärungen rührt von Schopenhauer her (,Die Welt als Wille und Vorstellung"), der allen Ernstes meinte, die Natur habe verhüten wollen, dass alte (d. h. über 50 Jahre alte) Herren Kinder zeugen, da diese erfahrungsgemäss nichts taugten, um dies zu erreichen, habe die weise Natur den Geschlechtstrieb bei älteren Männern auf das eigene Geschlecht hingelenkt! Der grosse Philosoph und Denker aus der Studirstube wosste offenbar nichts davon, dass conträre Sexualerapfindung in der Regel ab origine besteht und dass im Senium allerdings vorkommende Päderastie an und für sich nur geschlechtUche Perversität, noch nicht aber Perversion erweist.

Vom psychologischen Standpunkt aus versuchte Binet die sonder- bare Erscheinung zu erklären, indem er, in Anlehnung an Condillac, gleich wie bei anderen bizarren psychischen Phänomenen . sie mit dem Gesetz der Ideenassociation , d. h. der Association von Vorstellungen mit Gefühlen in statu nascendi zu begründen vermeinte. Der geistreiche Psycholog nimmt an, der bis dahin geschlechtlich undifferenzirte Trieb werde dadurch determinirt, dass ein erstmaliger lebhafter sexueller Er regungs Vorgang mit dem Anblick oder auch Contukt einer Person des eigenen Geschlechts zusammentreffe. Da- durch werde eine mächtige Association geschaffen, die sich durch Wieder- holung festige , während der ursprüngliche associative Vorgang vergessen,


4 I

4


4



ErklärangsTcnacbe.


219


bezw. lAtant werden kSnne. Diese Ansicht, welche gegenwärtig Tielfach von Schrenck-Kotzing u. A. znr Erklärung der angeblieh meist erworbenen conträren Sexualempfindung herangezogen wird, hält einer eingehenden Kritik gegenüber nicht Stich. Psychologische Kräfte sind znr Erklärung einer solchen schwer degenerativen Erscheinung (s. u.) nicht ausreichend.

Chevalier (Inversion sexuelle, Paris 181*3) wendet auch mit Recht gegen B i n e t ein , dass durch einen solchen psychologischen Erklärungs- versuch weder die Präcocitftt solcher homosexaeller Triebe, d. h. lange vor jeglicher associativer Knüpfung von Sexualgefühlen mit Vorstellungen, noch die Aversion gegen das andere Geschlecht, noch das oft so frühe Auftreten TOD secundären psychischen GeschlechUcharakteren seine Erklärung finde. Be* merkenswerth ist aber immerhin Binet's feine Bemerkung, dass derlei Haften von associativen Knüpfangen nur bei prädisponirten (belasteten) Individuen möglich sei.

Aach die von Seiten der Aerzte und Naturforscher ursprünglich ver- suchten Erklärungen entsprechen und befriedigen nicht. Gley (Revue philo- sophique 1884, Januar) behauptete, die conträr Sexualen hätten ein weiblieiies Gehirn (.!) bei männlichen Geschlechtsdrüsen und das zugleich krankhafte Ge- hirnleben bestimme das Geschlechtsleben, während normalerweise die Ge- schlechtsdrüsen die sexuellen Funktionen des Gehirns bestimmten. Auch Hagnan tAnnales med. psychol. 1885, p. 458) spricht vom Gehirn eines Weibes im Korper eines Mannes und umgekehrt; Ulrichs (,Memnon* IHüH) kommt der Sache etwas näher, indem er ,Anima muliebris vinli corpori in- nata* behauptet und sich damit eine angeborene Effoininatio zu erklären irersucht. Nach Mantegaxza (op. cit. 1886, p. 106 bestehen bei solchen conträr Sexualen anatomische Anomalien , insofern durch einen Fehler der Katur die für die Genitalien bestimmten Nerven sich im Mastdarm verbreiten, 80 dass nur in diesem der wollüstige Reiz ausgelöst werde, der sonst durch Heizung der Genitalien erfolgt. Solche Errores loci und Saltus macht aber niemals die Natur, so wenig als sie ein weibliches Gehirn dem männlichen Kurper oktroirt. Der sonst scharfsinnige Autor dieser Hypothese tibersieht ganz, dass der Anus bezw. Päderastie von conträr Sexualen in der Regel perborrescirt wird. Mantegazza beruft sich, um seine Uypotbese zustutzen. auf die Mittheilungen eines bekannten , hervorragenden Schriftstellers, der ihm versicherte, er sei mit sich immer noch nicht im Reinen, ob er einen grösseren Genuas bei dem Coitus oder der DefUcation empfinde. Die Richtig- keit dieser Erfahrung zugegeben, so würde sie doch nur beweisen, dass der Betreffende sexuell abnorm und sein Wollustgefühl beim Coitus auf ein Mini- mum reducirt war. Ueberdiess liessc sich daran denken, dass abnormer Weise seine Rektalschleimhaut erogen wäre,

Bernhard! (Der Uranismus, Berlin 1882) fand (zuftllig) bei fünfEffe- minirten (,Pathici*') keine Spermatozoon, bei vier nicht einmal Spermakrystallo und glaubte die , Lösung des mehrtausendjährigen Räthsels* dadurch gegeben, dass er annahm, der «Pathicus* (Effeminirte) sei eine , Missgeburt weiblichen Geschlechts, die mit dem Manne nichts gemein habe, als die in manchen Fällen nicht einmal völlig entwickelten männlichen Genitalien^. Auf einen Sektionsbefund , der eventuell Hermaphroditismus nachgewiesen hätte , ver- mochte sich dieser Autor nicht zu stützen.

Gleichwohl erklärte er auch die aktiv vorgehende Tribade (Viragines und Gynandrier) für «eine Missgeburt männlichen Geschlechts, der gegenüber die passive Tribade ein so vollkommenes Weib ist, wie der aktive Pädicator ein vollkommener Mann*.

Einen Versuch, Thataachen der Heredität zur Erklärung der Anomalie zu verwerthen, machte Verfasser, indem er auf Grund der Erfahrung, dass eoxaelle Perversionserscheinungen nicht selten schon bei den Eltern vorkommen, die Vermuthuug aussprach ^ dass die verschiedenen Stufen angeborener con-



220


Contrilre Sexualempfindang.


trfirer Sexualempfindaug versdiiedene Grade erblich aDgezeugtar. von der Afi- cendenz erworbener oder sonstwie entwickelter sexueller Anomalie seien, wobei aacb das Gesetz der progressiven Vererbung in Betracht komme.

Die bisberigen naturpbilosopbisoben. psychologischen und andere wesent- lich speculativen ErklämngsTersncbe k<'Ünnen nicht befriedigen.

Neuere Forschungen, von embryologischem (onto- und phylogenetischem) sowie anthropologischem Standpunkt aus unternommen, erscheinen dagegen aussichtsvoll.

Sie gehen aus von Frank Lydston (Philadelphia med. and surgical recorder 1888, Sept.) und Kiernan (Medical Standard 1888 Novombor) und von der Tlmtsache, dass die niedersten Thiere noch heutzutage bisexuale Organisation bieten, sowie von der Annahme, dass die Älonoseiualitüt sich überhaupt erst aus der Bisexualitfit entwickelt habe. Kiernan nimmt nun an, indem er die coiitrUre SexualempÜndung dem Begriffe des Hermaphroditismos unterzuordnen versucht, dass bei bnlasteten Individuen Rückschläge in frühe hermaphroditische Formen des Tbierreichs wenigstens funktionoll eintreten können. Er sagt wJJrtlich: ,the original bisexuuiity of Uie ancestors of the race, shown in the rudimentary female organs of the male, could not fail to occasion functiosal , if not organie reversions, when mental or physical manifestations were interfered with by disease or congenital defect. It seems certain, Ihat a feminily fnnctionating brain can occnpy a male body and vice yersa. *

Auch Chevalier (op. cit. p. 408) geht von der ursprünglichen Bisexua- litSt im Thierreich und von der im menschlichen Fötus ursprünglich vorhan- denen bisexualen Veranlagung aus.

Die Differenzirnng der Geschlechter mit markanten körperlichen und psychischen Geschltichtscharukteren ist ihm ein Resultat unendlicher Evolutious- vorgÄnge. Die seelisch-körperliche geschlechtliche Differenzirunj^' geht der Höhe evolutiver Vorgänge parallel. Auch das Einzelwesen hat diese Evolutions- stufen durchzumachen — es ist ursprünglich bisexual , aber im Kampf der männlichen und weiblichen Streitkräfte wird die eine besiegt und es ent- wickelt sich , dem Ty^us der heutigen Evolution entsprechend , ein mono- sexuales Individuum. Aber Spuren der unterdrückten Sexualität erhalten sich. Unter gewissen Umständen können diese .caractvres sexuels latents" Darwin's Bedeutung gewinnen, d. h. Erscheinungen conträrer Sexualität hervorrufen. Chevalier fasst diese aber mit Recht nicht als Rückschlag (Atavismus) im Sinne Lombroso's u. A., sondern mit Lacassagne als Störung iu der Evolution zur heutigen Höhe auf.

Versucht man auf dieser Anschauung weiter zu liauen , so ergeben sich entwicklutigsgfschichtlich und anthropologisch folgende Bausteine resp. That- Sachen :

1. Der Sexualappurat besteht aus a) den Geschlechtsdrüsen und den Be- fruchtungsorganen ; b) spinalen Centren. welche theils hemmend, theila er- regend auf a) einwirken; c) cerebralen Gebieten, in welchen sich die psychi- schen Vorgänge des (ieschlechtlebens abspielen.

Da die ursprüngliche Veranlagung von a) eine bisexnale ist, mnss dies auch für b) und c) vorausgesetzt werden.

2. Die Tendenz der Natur auf heutiger Entwicklungsstufe ist die Her- Torbringung von monosexualen Individuen und ein empirisches Gesetz lautet dahin, dass normaliter das der Geschlechtsdrüse entsprechende cerebrale Cen- trum sich entwickelt. (Gesetz der sexuell homologen Entwicklung).

3. Diese Vernichtung contrSrer Sexualität ist aber heutzutage noch keine Tollstftndige. Wie der Processus vermifonnia am Darmrohr auf frühere Orga- nisationsstufen hinweist, so finden sich auch am Sexnalapparat, ganz abgesehen von hermaphroditischen Vorbildungen (als Ausdruck theilweiser Entwicklungs- ezoesso oder Büdungshemmungen der Geschlechtsg&nge and äusseren Geni-



KrVISji]Qg8ver3tiobe.


221


talien), bei Mann und Weib Residuen, welche auf die ursprüngliche onto- und phylogenetische Bisesualitftt hinweisen.

Es sind dies beim Manne der ütriculus masculinas (Beste der Müller- schen Gänge), ferner die Brustwarzen, beim Weibe der Paroopboron fUeber- bleibsel des Urnierentheils der WolfFscben Körper) und das Kpoophoron (Reste der Wolff'sohen Gänge und Analogon der Epididymis des Mannes). Ueberdics haben beim menschlichen Weibe Beigel, Klebs, Fürst u. A. Andeutungen der bei weiblichen Wiederkäuern regelmässig in der Seitenwand des Uterus vorhandenen Keste der Wolö-schen Körper in Gestalt der sogen. Gartner'sohen Canäle vorgefunden. Diese Tbatsachen stötxen die Annahme auch einer cere- bral bisexualen Veranlagung des Geschlechtsapparats.

4. Aber auch eine Fülle von klinischen und anthropologischen Tbat- sachen sind dieser Annahme günstig.

Ich erinnere nur an das nicht seltene Vorkommen von Individuen mit gemischten oder im Sinne des contrllren Geschlechts dominirenden körper- Üchen und psychischen Geschlechtacharakteren (WeibmUuner und Mannweiber), an das Auftreten weiblicher, seelischer und körperlicher Charaktere nach Ent- fernung der Boden (Eunuchen) und männlicher bei Weibern nach Beseitigung der Ovarien im jugendlichen Alt^r, an Erscheinungen der Viraginitttt bei Klimax praecox, ja selbst Entwicklung eines zweiten Geschlechts.

Ein solches merkwürdiges Beiüpiol von Entstehung einer zweiten (con- trären) Vita sexualis, nach durch Klimax praecox untergegangener Weiblich- keit, verdanke ich Mittheilungen von Prof. Raltenbach.

Derselbe fragte am 17. Februar 18^*2 nach meiner Meinung über «eine SOjfthrige Frau, seit 2 Jahren verheirathet , die früher nn regelmässige, men- straale Blutungen gehabt hatte. Seit Murz 1891 Menopause.

Seit Juni 1891 plützlich eine Reihe von Erscheinungen, die einer männ- lichen Pubertätsentwicklung entsprechen und iwar vollständiger Bart, Kopf- haare dankler, Augenbrauen, Pubes mächtig sich entwickelnd. Brust und Bauch behaart, ähnlich wie beim Manne.

Vermehrte Thätigkeit der Schweiss- und Talgdrüsen. Auf Brust, Rücken, Gesicht, mächtige Milium- und Acneentwicklung^ nachdem früher der Teint geradezu klassisch scbOn weiss und glatt gewesen war. Veränderung der Stimme — früher schöner Sopran . jetzt ^ Lieutenantsstimme*. Der ganze Ausdruck des Gesichts geändert. Veränderung des gesammten Habitus: Brust breit, Taille verschwanden, Bauch mit mächtigem Fettpolster, durchaus viril, Hals kurz, gedrungen. Untere Parthie des Gesichtes breit, Brüste viril, äach geworden. Veränderung der Psyche: früher sanft, fügsam, jet>zt energisch, schwer zu behandeln, theilweise aggressiv. Vom Beginn der Ehe an keine adäquate Sexualempfindung, jedoch von conträrer nichts zu ermitteln.

Auuh in den Sexualorganen eine Reihe höchst interessanter Verände- rungen. Die junge Frau ist also in Bezug auf eine Menge von Erscheinungen zum Manne geworden.*

Meine Deutung des Falles lautete:

.Klimax praooox, mit Untergang der bisherigen weiblichen Sexualität. Physische und psychische Entwicklung der bisher latent gewesenen männlichen Sexualität. Interessantes Beispiel für die Thatsache bisexualer Veranlagung und der Möglichkeit des Fortbestehens der änderten Sexualität in latentem Zustand, unter bisher allerdings unbekannten Bedingungen.* Leider konnte ich über die weiteren Metamorphosen dieses Falles und Bestehen wahrschein- licher erblicher Belastung nichts mehr erfahren.

Hier reihen sich Beob. 108 und 109 dieses Buches an, in welchen im Verlauf einer schworen Neurasthenie als Gelegenheit-sursache, auf Grund einer schweren Belastung, eine Transmutatio sexus eintritt, jedoch kam es in diesen Fallen nur zur Entwicklung psychischer Geschlecbtscharaktere im Sinne des neuen Sexus, während die körperlichen nur angedeutet waren.


222


Conträre Sexualempfindung.


5. Diese Erscheinungen contrürer Sexualität finden sich offenbar nur bei organisch belasteten Individuen '). Bei normal Organisirten bleibt das Gesetz der monosexualen und der den Geschlechtsdrüsen homologen Ent- wicklung gewahrt. Üass das cerebrale Centrura unter anderen» von den peri- pheren Geschlechtsorganen einschliesslich der Geschlechtsdrüse unabhängigen Bedingungen sich entwickelt, zeigen die Fälle des Hermaphroditismos, in welchen, soweit es sich um Pseudohermaphroditismus handelt, dos obige Ge- setz im Sinne monosexualer, der Geschlechtsdrüse homologer Entwicklung gewahrt bleibt, während beim Hermaphroditisraus verus sowohl phy&isch als psychisch allerdings eine gegenseitige Beeinflussung beider Centren und damit eine Neutralisimng des Liebe^lebens bis zur Äsexualität und eine Tendenz zur Geltendmachung und Vermischung beider Geschlechtscharaktere seelisch und körperlich obwaltet.

Dass Eermaphrodisie und contrfire Sexualempfindung aber an und ftlr sich mit einander nichts zu thun haben, ergibt sich daraus, dass der Herm- aphrodit (praktisch kommt ja nur der Pseudohermaphroditismus in Betracht) dem obigen Evolutionsgesetze folgt und eicht conlrilrc Sexualität bietet, wäh- rend umgekehrt bei conträrer Sexualempfindung bisher nie Hermaphrodisie anatomisch beobachtet wurde. Es erklärt sich dies ohne Weiteres aus der Verschiedenheit der Entstehungsbedingungen , die fiir die erstere in centralen (cerebralen) , für die letztere in ausschliesslich den peripheren Antheil des Geschlechtsapparats treffenden Schädigungen gesucht werden müssen.

Die angeführten Thatsachen erseheinen ausreichend zu einem entwick- lungsgeschichtlichen und anthropologischen Versuch der Erklärung der con- trären Sexualempfindung.

Dieselbe ist Verletzung des empirischen Gesetzes der den Geschlechts- drüsen homologen Entwicklung des cerebralen Centrums (Homosexualität), eventuell auch desjenigen der monosexualen Artung des Individuums (psychische .Hermaphrodisie*). im ersten Falle ist es von der bisexualen Veranlagung das dem durch die Geschlechtsdrüse rrpräsentirten Geschlecht gegensätzliche Centrum , welches in paradoxer Weise den Sieg über das zur Herrschaft prä- destinirte davonträgt, jedoch bleibt wenigstens das Gesetz monosexualer Ent- wicklung gewahrt V-

Im zweiten Falle bleibt der Sieg keinem der beiden Centren, jedoch eine Andeutung monoscxualcr Entwicklungstendenz bleibt immerhin insofern , als eines dominirt und zwar regelmässig das conträre. Es ist dies um so sonder- barer , als demselben keine entsprechenden Geschlechtsdrüsen , überhaupt kein peripherer Rexualapparat zur Stütze dienen, ein weiterer Beweis dafür, dass das cerebrale Centrum autonom , in seiner Entwicklung von den Geschlechts- dr&sen unabhängig ist.


  • ) Dass aber auf tieferen Stufen der Thierreihe nicht nur Hennaphrodisie»

sondern auch (physiologisch?) Geschlechtewechsel an einem und demselben Individuum vorkommen kann, lehren Erfahrungen der Zoologen (Klaus, Zoologie 189!, p. 490), wonach die zu den Krobsthiercn gezählten Cymothoideen im ersten Theil ihres Lebens als Männeben, im zweiten, unter Aenderung zahlreicher, auch secundärer Geschlechtscbaraktcre, al» Weibchen fungiren.

') unter einem monosexualen paycbittcben Geschlechteapparat in einem mono- sexualen Körper, der dem entgegengesetzten Geschlechte angehört, hat man sich natürlich nicht etwa .eine weibliche Seele im männlichen Gehirn* oder rice verea vorzustellen, was allem monistischen und allem wissenschaftlichen Benken überhaupt widerspricht; ebensowenig ein weibliches Gehirn im männlichen Körper, was allen anatomischen Thatsachen widerspricht, sondern nur weibliches psych o-sexual es Cen- trum im männlichen Gehirn^ oder vice versa.


ErbtärungsverBuche.


223


Angenommen muss im orsteren Falle werden , dass das zum Streit und zur Geltendmachung seiner Rechte berufene Gentrum zu schwach veranlagt ist, was sich onch vielfach in schwacher Libido und schwilehlich ausgeprägten physischen und psychischen Geschlechtscharakteren im erkennen gibt.

Im zweiten Fall sind beide Centren zu schwach, um den Sieg und die Alleinherrschaft zu erringen.

Diese Verletzung von Naturgesetzen ist anthropologisch und klinisch als eine degenerative Ei*schL>inung anzusprechen. Thatsl&ohlicb liesH sich in allen Fällen von conträrer Sexualemptindung bisher eine Belastung und zwar in der Regel eine hereditäre nachweisen.

Worauf dieser Faktor der Belastung und seine Wirksamkeit beruht. ist eine Frage , welche die heutige Wissenschaft nicht wohl beantworten

kannO.

An Analogien beim belasteten Individuum fehlt es nicht, denn als Aus- di-uck von ofTenbar schon im Zeugungskeim gelegenen, die physische und psychische Evolution störenden Einflüssen wird hier eine Fülle von ander- weitigen Erscheinungen mangelhafter oder perverser Artung (anatomische sowie funktionelle somatische und psychische Entartungszeichen j angetroffen.

Die conträre Seiualempfindung ist aber nur die stärkste Ausprägung einer ganzen Reihe von Erscheinungen partieller Entwicklung seelischer und körperlicher contrttrer Geschlechtscharaktere (s. o.) und man kann geradezu sagen : je undeutlicher sich die psychischen und physischen Geschlechtscharak- tere bei einem Individuum darstellen, um so tiefer steht dasselbe unter der durch ungezählte Jahrtausende hindurch erfolgten Züchtung zur heutigen Stufe vollkommener homologer Monosexualität.

Das cerebrale Centrura vermittelt die psychischen und indirekt wohl auch die physischen Qeschlechtscharaktere. Auch an den verschiedenen Grad- stufen angeborener conträrer Sexualität lässt sich nachweisen , dass sie ver- schiedenen Intensitätsgradon der Belastung entsprechen.

Dasselbe gilt für die erst im Laufe des Lebens zu Tage getretene (»ge- züchtete") conträre Sexualenipfindung. Niemals wird der unbeiastete Mensch durch Onanie, Verfuhrung durch Personen desselben Geschlechts, conträr sexual. Büren diese äusseren Einflüsse auf, so kehrt er zur normalen Geschlechtsbefrie- dignng zurück. Anders der Belastete, dessen psychosexnales Centrum schwach veranlai^t. d. h. mit ungenügenden Streitkräften ausgestattet ist und den Kampf noch nicht siegreich ausgekämpft hat. Alle möglichen psychischen und physi- schen Schädlichkeiten, ganz besonders aber Neurasthenie, sind dann im Stande, seine schwache labile, den Geschlechtsdrüsen bisher allerdings homologe Sexualität zu schädigen: ihn zunächst psychisch bisexuell, dann conträr monosexual zu machen und eventuell (durch Entstehung physischer und psychischer Ge- schlecbtscharaktere im Sinne des ausschliesslich zur Herrschaft gelangten con-


') In einer geistreichen BrochQre »Ueber Gamophagie*. Stuttgart 1892, gibt der Verfasser Josef Hüller eine Anregung zur Weiterforsebung auf diesem Ge- biete, indem er die Meinung vertritt, ea existire eine bdBonderc, durch Nothwendig- wendigkett erworbene und normaliter unverändert sich vererbende Einrichtung, be- stehend in einer Bindung der Organe und Organ quäl i täten an einander. Dieao Bindang würde es begreiflich machen, daai im Kampfe der Entwicklung der Mono- und der BisexuaUtät diejenigen Organe und Organqualitäten ein gcmeiusames Schicksal des Sieges oder Unterganges haben, die im Hinblick auf die PunctionifUhigkeit des Ganzen zu einander gehören. Dieiee Versagen des die Organe während des Ringens um den Sieg verknapfenden Bandes bei Wesen, die organischer Belastung unter- worfen sind, könnte nur aU eine Ausfallerscheinung , Ausfall einer allerdings hypo- thetischen Einrichtung gedeutet werden.


224


Contrftre Sexualempfindong.


trären Centrams und Zurücktreten ursprünglicher) bis zur Eviratio (Defezni- natio) gelangen zu lassen. Wie Neurasthenie den Anatoss zur Entwicklung conträrer Sexualitfit abgeben kann, wurde von p. 182 ab zu zeigen versucht.


Die angeborene conträre Sexualempfindung beim Manne ^).

Die geschlechtlichen Handlungen» mittelst welcher die männlichen UmiDge Befriedigung suchen und finden» sind mannigfach. Es gibt fein-

') Falle: 1) Casper. Kliii. Novellen p. 86 (Lehrb. d. gerichtl Med., 7. Aufl., p. 1V6). — 2) Weatphttl. Archiv f. Psychiatr. II. p. 73. — 3) Schmincke. ebenda 111, p. 2*25. — 4) ScholÄ. Vierteljahrsschf. f. gericiitl. Mediz. XIX. — 5) Gock, Archiv f. Paychialrie V. p. 5*34. — U) Servaea. ebenda VI. p. 484. — 7) West- phal, ebenda VI, p. 620. — 8—10) Stark, Zeitechria für Psychiatrie. Bd. 81. —

11) Li man (Caeper^ß Lehrbuch d. gerichtl. Mediun, 6. Aufl., p. 509), p. 291. —

12) Legrand du SaiiUe. Ann. mM. psycho!. 1876, Mai. — 13) Sterx, Jahr- bücher f. Psychiatrie III, Helt 3. — 14) Krueg, Zeitachr. Brain 1884, Oot. — 15) Charcot et Magnan, Archivea de neurolog. 1882. Nr. 9. — 16—18) Kirn, Zeitachr. f. Psychiatr., Bd. 89. p. 216. — 19) Rabow, Erlenmeyer*B Centralbl. 1883, Ht. 8. — 20) Blumer. Amerio. joam. of insanity }HS2, Juli. — 21) Savage, Journal of mental »cienoe 1884, Oct, — 22) Scholz, Vierteljahrsschr. f. ger. Med., N. F., Bd. 43, Heft 7. — 23) Magnan. Ann. ra^d. psycho!. 1885, p. 401. — 24) Che- valier, De l'inversion de Tinstinct sexuel, Paria 1885, p. 120- — 25) Morselli, La Riforma medica, 4. Jahrg., März. — 26) Leonpacher, Friedreich's Blätter 1888. Heft 4. — 27) Holländer, Ällg. Wiener med. Ztg. 1882. — 23) Krieae, Erlen- meyer's Centralblatt 1888, Nr. 19. — 29—32) v. Krafft, Psychopathia seiualia, 8. AuB., Beob. 32. 3eJ. 42. 43. — 33) Golenko, Rose. Archiv f. Paychiatrie Bd. IX, Heft 3 (von Rothe mitgetheilt in Zeitschr. f. Psychiatrie). — 34) v. Krafft, Internat. Centralblatt f. d. Physiol. und Pathologie der Harn- u. Sexualorgane, Bd. I, Heft 1.

— 35) Cantarano, Lu Psichiatria 1887. V. Jahrg., p. 195. — 30) Sörieux, Recherchea clinique« aur lee anomaliea de rinatinct aexuel, Paria 1888, oba. 18- — 37 — 42) Kier- nan. The medic. Standard 1888, 7 Fälle. — 43-46) Rahow. Zeit*chr. f. klin. Medicin, Bd. XVtl, Suppl. — 47—51) v. Krafft, .Neue Forschungen ^ Beob. 1. 3. 4. 5. 8. — 52—61) Derselbe, Paychopathia aexualia, 5. Aufl., Beob. 53. 61. 64. 66. 73. 75. 78. 84. 85. 87. — 62—65) Deraelbe, .Neue Forschungen-, 2. Aufl., Beob. 3. 4. 5. 6. — 66—67) Hammond, Sexuelle Impotenz, deutach v. Salinger, p. 30. 36.

— 78—71) Garnier, Anomaliea aeiuelles 1889, Beob. 227. 228. 229. 230. — 72) V. Krafft, Friedreicb'a Blatter 1891, Heft 6. — 73— 87) Derselbe. Psychopathia BCxualis, 6. Aufl., Beob. 78. 81. 82. 84. 85. 86. 87. 89. 93. 94. 96. 97. 98. 101. 102.

— 88) Franke!, Medic. Zeitg. d. Vereins f. Heilkunde in Preuasen, Bd. 22, p. 102 (,homo moUia*). — 89—91) Bernheim, Hypnotisme. Paris 1891, obs, 38 u. ff. — 92) Wetterstrand, Der Hypnotismns. 1891. — 93) Müller, Hydrotherapie 1890, p. 309. — 94— 96) V. Schrenck-Notzing. Suggeationatherapie 1892, Fall 63. 67. 68.

— 97) Ladame. Revue de rhypnotiame 1889, 1. Sept. — 98) v. Krafft, Internat. Centralblatt f. d. Krankheiten der Harn- und Geachlechtaorgane, Bd. I, Heft 1. — 99, 100) Wachholz. Friedreich'a BIätt«r für gerichtliche Medicin 1892. Heft 6. — 101- 110)Moll. ,Contr.Scxualerap6ndung*.2.Äufl.,Falll— 10. — 111— 123) V. Krafft. Psychopath, seiualis. 8. Aufl., Beob. 109. 110. 114. 119. 121. 122. 125. 136. 137. 138. 140. 141. 143. — 124—143) Derselbe, Jahrbücher f. Paychiatrie, XH, 1894. -


mm


Angeborene coDii&re Sexnalempfindung.


fQfalige und willensstarke IndiWduen, die ihre Triebe zti beherrschen im Stande sind, freilich mit der Gefahr, durch diese erzwungene Abstinenz nerrensiech (neurasthenisch) und gemQthskrauk zu werden.

Bei Anderen wird aus denselben verschiedenen QrQnden, welche auch den Nichtuming den Coitus vermeiden lassen können, zur Onanie faute de mieux geschritten.

Bei Urningen mit originär reizbarem oder durch Onanie zerrüttetem Nervensystem (reizbare Schwäche des Ejaculationscentrums) genügen ein- fache Umarmungen, Liebkosungen mit oder ohne Betastung der Genitalien zur Ejaculation, und damit zur Befriedigung. Bei weniger reizbaren Indi- viduen besteht der Geschlechtsakt in Manustupration durch die geliebte Person oder in mutueller Onanie oder in Nachahmung des Coitus inter femora. Bei sittlich perversen und quoad erectionem potenten Urningen wird der sexuelle Drang zuweilen auch durch Päderastie befriedigt, einer Handlung, die aber sittlich nicht defecten Individuen vielfach geradeso widerstrebt, wie weibliebenden Männern. Beraerkenawerth ist die Ver- sicherung der Urninge, dass der ihnen adäquate Geschlechtsakt mit Per- sonen des eigenen Geschlechts grosse Befriedigung und Gefühle des Ge- kraftigtseins verschaffe, während Selbstbefriedigung durch solitäre Onanie oder gar erzwungener Coitus mit einem Weibe sie sehr angreife, elend mache und ihre neurasthenischen Beschwerden sehr vermehre.

Ueber die Häufigkeit *) des Vorkommens der Anomalie ist es schwer, Klarheit zu bekommen, da die mit derselben Behafteten nur äusserst selten aus ihrer Reserve treten und in criminellen Fällen der Urning aus Perversion des Geschlechtstriebs gewöhnlich mit dem Päderasten aus blosser Unsittlichkeit zusammengeworfen wird. Nach den Erfahrungen


144) Legrain, Arch. de Neurologie 188B, Januar. — \45) Dessoir, Zeitachr. f. Psychiatrie, Ud. 50. Heft o. p. 959. — 146—151) ▼. Krafft. Psychopathia sexualis, 9. Aufl.. Beob. 109. 110. 128. 129. 181. 133. — 152—181) Derselbe. Der contrftr Sexuale vor dem StrafricbUjr. 2. Aufl., Wien 1895, Reob. 21—50. — 182) Laupti, Archives d'Anthropol. crimineUe 1894 u. 1895, p. 320. — 188) Snoo, Psychiatr. Bladon XII. XIII. - 184) Meyhöfer, ZeiUchr. f. Med.Beamte V. 16. — 185) Tal- bot, Joum. of ment. scienre 1890. April. — 186—218) Moll, Untersuchungen über UbJdo sexuatis. Fall 5. 6. 9. 15—27. 30. 38. 43. 49. 53-55. 63. 64. 67. 69. 71. 72. 74. 75. 77. 78. — 219-251) Havelock EIUb. Bulletin of the psycholog. Section 1895, Dec, vol. 3, Nr. IV. — 252) Spaink, Psychiatr Bladen 1898. 3.

') Da«» contrttjre Soxualemp findung nicht «elten aein dürfte, beweist a. A. der ümatEUid, dasa aie in Romanen häufig Gegenstand iat.

Auch die neuropathüche Grundlage dieser sexuellen Perversion entgeht nicht don Romanschrifbatellem. In der deuUcben Literatur findet aich diesea Thema in .Kridolin'a heimliche Ehe" von Wilbrandt, in »Brick and Brück oder Licht im Schatten* von Emerich Graf Stadion, f. bei Balduin GroUer .Prina KloUV

Der ILlteste umiache Roman dörfte äbrigena der von Petroniue in Rom aur Kiviaerzeit unter dem Titel ,Satyrieon* veröffentlichte aein.

V. Krkfrt-KbiDf, rByobopathU wxaftlls. lo. Aafl. 1^


226


Cootr&re Sexnalempfinduiig.


Casper's, Tardieu's, sowie auch nach den meinigen dürfte diese Ano- malie viel häufiger sein, als es die dürftige Casuistik vermuthen lasst.

Ulrichs (, Kritische Pfeile* 1880, p. 2) behauptet, dass durch- schnittlich ein erwachsener mit conträrer Sexualempfindung Behafteter auf 200 heterosexuale erwachsene Männer, respektive auf 800 Seelen der Bevölkerung komme, und dass der Procentsatz unter den Magyaren und Sttdalaven noch grösser sei, Behauptungen, die dahingestellt bleiben mögen. Ein Individuum aus meiner Casuistik kennt in seinem Heimatborte (13000 Einwohner) 14 Urninge persönlich. Er versicherte, in einer Stadt von 60000 Einwohnern deren wenigstens 80 zu kennen. Es ist zu ver- muthen, dass dieser sonst glaubwürdige Mann zwischen angeborener und erworbener Männerliebe keinen Unterschied macht.


1) Psychische Hermaphrodisie^).

Diese Stufe der conträren Sexualempfindung ist dadurch charak- terisirt, dass neben ausgesprochener sexueller Empfindung und Neigung zum eigenen Geschlecht solche zum anderen vorgefunden wird; aber diese ist eine viel schwächere und nur episodisch vorhanden, während die homo- sexuale Empfindung als die primäre und zeitlich wie intensiv vorvriegende in der Vita sexualis zu Tage tritt.

Die heterosexuale Empfindung kann nur in Rudimenten vorhanden sein, eventuell sich bloss im unbewussten (Traum-)Leben geltend machen oder aber (episodisch wenigstens) mächtig zu Tage treten.

Die sexuellen Empfindungen gegenüber dem anderen Geschlecht können durch Willenskraft, Selbstzucht, moralische, eventuell hypnotische Behandlung, Besserung der Constitution, Beseitigung von Neurosen (Neur- asthenie), vor Allem aber durch Abstinenz von Masturbation gekräftigt werden.

Immer aber besteht die Gefahr, homosexualen, weil mächtiger ver- anlagten Empfindungen ganz anheimzufallen und zu dauernder, ausschliess- licher conträrer Sexualempfiudung zu gelangen.

Dies ist besonders zu fürchten durch den Einfluss der Masturbation (gleichwie bei der erworbenen conträren Sexualempfindung) und durch sie hervorgerufene Neurasthenie und Verschlimmerungen dieser, femer durch üble Erfahrungen beim sexuellen Verkehr mit Personen des anderen Geschlechts (mangelndes Wollustgcfühl beim Coitus, MissglUcken des- selben durch Erectionssch wache und Ejaculatio praecox, Tnfection).



  • ) Vgl. des Verf Arbeit , lieber psychoaexualea Zwittertbum" im internationalen

Centralblatt fQr die PbysioloRie und Pathologie der Harn- und Sexualorgane Bd. l, Heft 2.


Psychische Hermuphrodisie.


227


Andererseits vermag ästhetisches und ethisches Gefallen an Personen des anderen Geschlechts der Entwicklung der heteroseiEuaien Gefühle Vorschub zu leisten.

So geschieht es, dass die betreffende Persönlichkeit, je nach dem Vorwalten förderlicher oder ungünstiger Einflüsse, bald hetero-, bald homosexual empfindet.

Es ist mir wahrscheinlich^ dass derartige hermaphroditische Exi- stenzen auf belasteter Grundlage nicht selten sind ^). Da sie social wenig oder nicht auffüllig sind und da derlei Geheitunisso des ehelichen Lebens nur ausnahmsweise zur Cognition des Arztes kommen, erklärt es sich wohl ohne Weiteres, dass diese interessante und praktisch wichtige üeber- gangsgruppe zu den ausschliesslich conträr Sexualen bisher der wissen- schaftlichen Forschung entgangen ist.

Manche F&Ue von Frigiditas mögen auf dieser Anomalie beruhen. An und für sich ist der sexuelle Verkehr mit dem anderen Geschlecht möglich. Jedenfalls besteht auf dieser Stufe kein Horror sexus aiterius. Der ärztlichen und speciell der moralischen Therapie bietet sich hier ein dankbares Feld (s. u.).

Schwierig kann die differentielle Diagnose von der erworbenen con- trären Sexualempfindung sein^ denn solange bei dieser die Koste früherer normaler geschlechtlicher Empfindung nicht ganz verloren gegangen sind, wird der Status praesens Gleiches ergeben (s. u.).

Auf Stufe 1 besteht die Befriedigung homosexualer Dränge in passiver und mutuelier Onanie, Coitus inter femora.

Beobachtung 113. Herr Z., 36 Jahre, Privatmann, consultirte mich wegen einer Anomalio seines sexuellen Fühlena, die ihm die beabsichtigte Ein- gehung einer Ehe bedenklich erscheinen lasse. Patient stammt von oenro- pathischera Vater, der an nilchtlichem Aufschrecken leide. Dessen Vater war ebenfalls neuropathisch , Vaters Bruder Idiot. Die Mutter des Patienten und ihre Familie waren gesund und geistig normal.

Von drei Schwestern und einem Bruder des Patienten leidet der letztere an Dioral insanity. Zwei Schwestern sind gesund und leben in glücklicher Ehe.

Patient war schwILchlich als Kind, jiervüs, litt an nächtlichem Auf- schrecken, gleich seinem Vater, war aber von schweren Krankheiten nie heim- gesncht bis auf Coxitis, seit welcher Patient etwas hinkt. Sehr früh erwachten sexuale Dränge. Mit 8 Jahren, ohne alle Verführung, begann er zu mastur- biren. Vom 14. Jahre ab ejaculirte er Sperma. Geistig war er gut veranlagt, interessirte sich auch für Kunst und Literatur. Er war von jeher muskel- bchwach und hatte nie Neigung zu Knabenspielen und auch später nicht zu männlicher Beschäftigung. Er hatte ein gewisses Interesse für weibliche Toiletten. Putz und weibliche Beschäftigung. Schon von der Pubertttt au be-


^) Die«e Annahme findet eine Stütze durch eine mir ron Herrn Dr. Moll in Berlin gütig vermittelte Angabe eines unverheiratheten Umingü. Demelbe wuastc Über eine Reihe von PlUIen aus Heiner Bckanntüchaft xa berichten , iu welchen rer heirathete Männer gleichzeitig ein VerhUltnias mit einem Manne unterhielten.


228


Conträre Sexualempfindiing.


merkte Patient eine ihm uoerkUrliche Neigung für männliche Personen. Be- sonders sympathisch waren ihm junge Burschen aus den untersten Volks- klassen. Gans besonders zogen ihn Cavalieristen an. Impetu libidinoso saepe affectus est ad tales homines aversos se premere. Quodsi in turha populi, si occasio fuerit bene successit, voluptate erat perfusus; ab vigesimo secundo anno interdum talibus occasionibus senien eiaculavit. Ab hoc tempore idem factum est si quis, qui ipsi placuit. nianum ad femora posuerat. Ab hinc metuit ne viris manum adferret. Maxime periculosos aibi homines plebeios fuscis et adstrictis bracis indutos esse putat. Suinmum gaudiam ei esset si viros tales amplecti et ad se trahere sibi concessum esset; sed patriae mores hoc fieri velant. Paederastia ei displacet : magnam volnptatem genitalinm vironim ad- spectos ei affert. Viroruni occurrentium genitalia adspici semper coactus est. Im Theater, Circus u. s. w. interessiren ihn nur männliche Darsteller. Eine Neigung; zu Damen nrlU Patient nie bemerkt haben. Er geht ihnen nicht aus dem Wege, tanzt sogar gelegentlich mit ihnen, aber er verspürt dabei nie die geringste sinnliche Regung.

Schon mit 28 Jakren wurde Patient neurastbenisch, wohl auf Grund seiner mosturbatorischen Excesse.

Nun kamen gehäufte SchlafpoUutionen, die ihn sehr schwächten. Nur sehr selten träumte er anlässlicb dieser Pollutionen von Männern, nie von Weibern. Nur einmal löste sie ein lascives Traumbild (dass er päderastire) aus. Sonst träumte er dabei von Sterbescenen , Angefallenwerden von Hun- den u. dgl. Patient litt nach wie vor unter grösster Libido sexualis. Oft kamen ihm wollüstige Gedanken, im Schlachthaus sich am Verenden der Thiere zu weiden , oder auch sich von Burschen prügeln zu lassen , jedoch widerstand er solchen Gelüsten ^ ebenso dem Drang, in militärische Uniform sich zu kleiden.

Um die Masturbation los zu werden und seine Libido nimia zu be- friedigen , entschloss er sich , das Lupanar aufzusuchen. Den ersten Versuch, mit dem Weibe sexuell sich zu befriedigen, machte er, nach reichlichem Wein- genuss, mit 21 Jahren. Die Sohünheit des weiblichen Kiirpers, überhaupt jede weibliche Nudität war ihm ziemlich gleichgültig. Er war aber im Stande, den Coitus mit Genuss auszuführen und besuchte von nun an das Bordell regelmässig aus , Gesundheitsrücksichten*.

Von nun an gewährte es ihm auch gi'ossen Genuss, sich von Männern ihre sexuellen Beziehungen mit Personen des anderen Geschlechts erzählen zu lassen.

Auch im Lupanar kommen ihm häuGg Flagellationsideen, jedoch bedarf er nicht der Festhaltung solcher Bilder, um potent zu sein. Er betrachtet den sexuellen Verkehr im Lupanar nur als Auskunftsmittel gegen den Drang zur Masturbation und zu Männern, als eine Art Sicherheitsventil, damit er sich nicht einmal einem sympathischen Manne gegenüber compromittire.

Patient möchte nun beirathen, aber er fürchtet, dass er keine Liebe und dann auch keine Potenz einer anständigen Dame gegenüber haben werde. Daher seine Bedenken und sein Bedürfniss nach ärztlichem Rath.

Patient ist eine sehr intelligente Persönlichkeit, eine durchaus männliche Erscheinung. Auch in Kleidung und Haltung bietet er nichts Auffälliges. Gang, Stimme sind durchaus männlich, gleichwie Skelet, besonders Becken. Die Genitalien sind ganz normal entwickelt. Sie sind, gleichwie das Gesicht, reichlich behaart. Niemand von den Angehörigen und Bekannten des Patienten ahnt etwas von seinen sexuellen Anomalien. Bei seinen conträr sexualen Phantasien will er sich nie in der Rolle des Weibes dem Manne gegenüber gefühlt haben. Seit einigen Jahren ist Patient von neurasthenischen Be- schwerden fast ganz frei geworden.

Die Frage, ob er sich für angeboren conträr sexual halte, vermag er nicht zu beantworten. Es scheint, dass eine ab origine sehr schwach ver-


B^iohitdhe Hermaphrodisie.


229


■alagte loclination znm Weib , bei grosser zum Mann , durch sehr fr&h ein- getretene Masturbation zu Gunsten contrürer Sexualempfindung noch mehr abgeschwächt wurde, ohne aber ganz auf Null zu sinken. Mit dem Aufhören der Masturbation besserte sich dann einigermassen wieder die Empfindung für das Weibliche, jedoch nur in einer grobsinnlichen Weise.

Da Patient erklärte, aus Familien- und geschüftlicben Rücksichten hei- rathen zu müssen, konnte diese heikle Frage ärztlich nicht umgangen werden.

Da Patient sich glücklicherweise darauf beschränkte, die Frage auf seine Potenz als Ehemann zu richten . musste ihm geantwortet werden , dass er an und für sich ja potent sei und es voraussichtlich auch im ehelichen Verkehr mit einer Frau seiner Wahl, wenn sie wenigstens geistig ihm sympathisch sei, sein werde.

Ueberdies könne er ja, indem er mit seiner Phantasie geeignet nach- helfe, jederzeit auch seine Potenz verbessern.

Die Hauptsache sei Kräftigung der nur verkümmerten, nicht aber gänz- lich fehlenden sexuellen Neigungen zum anderen Geschlecht. Dies kOnne ge- schehen durch Fernbaltung und Zurückdrängung aller homosexualen Gefühle und Impulse, eventuell mit Zuhülfenahme inhibitorischer künstlicher Einflüsse durch hypnotische Suggestion (Absuggerirung homosexualer Gefühle), des Wei- teren durch Anregung und Anstrengung normal sexuale Gefühle und Dränge zu gewinnen, durch vollkommene Abstinenz von neuerlicher Masturbation und durch Tilgung der Reste neurasthenischer Verfassung des Nervensystems ver- mittelst Hydrotherapie und eventuell allgemeiner Faradisation.

Nachfolgende, auch noch in anderer Hinsicht bemerkenswerthe Auto- biographie verdanke ich einem 30 Jahre alten Collegen.

Beobachtung 114. Paychi.sche Hermaphrodisie. Abortive conträre Sexualempfindung.

»Nach meiner Ascendenz bin ich ziemlich schwer belastet. Der Gross- vater väterlicherseits war iiotter Lebemann und Speculant, mein Vater ein charaktervoller Mann, der aber seit mehr als 30 Jahren an Folie circulairo leidet, ohne hiedurch in seinem Berufe ernstlich gehindert zu sein. Meine Mutter leidet wie ihr Vater an stenocardischen Anfällen. Muttersvatwr und Muttersbmder sollen geschlechtlich hyperästhetisch gewesen sein. Meine ein- zige um 9 Jahre ältere Schwester war zweimal eclamptischen Anfällen unter- worfen , war in den Pubertätsjahren religiös exaltirt, wahrscheinlich auch sexuell hyperästhetisch. Sie hatte durch Jahre mit schwerer hysterischer Neu- rose zu kämpfen (ist aber jetzt völlig gesund).

Als spätgeborener einziger Sohn war ich der Augapfel meiner Mutter und nur ihrer unermüdlichen Öorge danke ich es, dass ich als Jüngling voll- kommen genas, nachdem ich als Kind und als Knabe alle möglichen Kinder- krankheiten durchgemacht hatte (Hydrocephalus, Morbilli, Croup, Variola, mit 18 Jahren durch 1 Jahr chronischen Darmcatarrh). Meine Mutter , streng religiös, erzog mich, ohne mich zu verzärteln, in diesem Sinne und prägte mir als oberstes Sitteuprincip ein unbeugsames Pflichtgefühl ein, welches durch einen Lehrer, den ich jetzt noch Freund nenne, bis zur Schroffheit ausgebildet wurde. Da ich in Folge meiner Kränklichkeit den grosseren Theil meiner Kindheit im Bette verbrachte, war ich auf ruhige Beschäftigung, besonders Lektüj'e angewiesen und wurde so ein zwar nicht blosirter, aber frühreifer Knabe. Schon mit 8 — 9 Jahren interessirten mich in den Büchern am meisten die Stellen , wo von Verletzungen oder Operationen die Rede war, die schöne Mädchen oder Frauen erleiden mussten. So versetzte mich eine Erzählung, wo geschildert wird, wie sich ein Mädchen einen Dom in den Fuss tritt und ihr derselbe von einem Knaben entfernt wird, in hochgradige Aufregung, ja ich hatte jedesmal eine Erection, so oft ich nur das bezügliche, durchaus nicht


231)


Contr&re Sexaalem|)6Ddaiig.


lascive Dild ansah. 80 oft es nor möglich war, sah ich zu, wenn Hühner ab- gestochen wurden, ja wenn ich den Anblick versliamt hatte, besah ich wenigstens mit wollüstigem Grausen die Blutspuren und streichelte die noch warmen Thierkörper. Ich muss betonen, dass ich seit jeher ein grosser Thierfreund hin und dass mich das Schlachten grösserer Thiere, ja selbst die Vivisectionen von Fröschen, mit Ekel and Mitleid erlullten.

Kouh heute bat für mich dos Abstechen von Hühnern grossen geschlecbt- liohen Reiz, und zwar speciell das Halten derselben, wobei ich Herzklopfen nnd Pracordialdrnck verspüre. Interessant ist, dass mein Papa eine Leiden- schaft dafür hat, MAdchen und jungen Frauen die Hände zusammenzubinden.

Wie ich glaube, ist auch eine andere meiner sexuellen AbnormitSten auf diese grausame Ader in mir zurückzuführen. Wie ich spater näher schil- dern werde, bildete ein Lieblingsspiel von mir ein improvisirtes Puppentheater, wobei ich den Stoff den Mitwirkenden angab. Fast immer gab es da ein junges Mttdehen , welches auf strengen Befehl des Papas, den ich darstellte, sich einer schmerzlichen Operation am Fusse unterwerfen musste. Je mehr nun die Mädchen-Puppe jammerte, desto höher stieg meine Befriedigung. Weshalb ich gerade den Fuss als constöntes Operationsfeld ausersah, geht ans folgendem hervor; Als kleiner Junge kam ich zufdllig dazu, als meine ältere Schwester die Strümpfe wechselte. Als sie rasch die Ftisse versteckte, wurde ich auf- merksam , und gar bald bildete der Anblick ihrer blossen Füsse bis zu den Knöcheln herauf das Ideal meiner Sehnsucht. Selbstverständlich diente dieses nur dazu, meine Schwester erst recht vorsichtig zu machen, und so entwickelte sich ein ewiger Kampf, der meinerseits mit allen Waffen der List und Schmeichelei bis zu Zornexplosionen bis zu meinem 17. Jahre geführt wurde. Sonst war mir meine Schwester höchst gleichgültig, ihr Fuss ist mir sogar zuwider. Faute de mieux nahm ich auch mit den Füssen von Dienstmädchen vorlieb; männliche Füsse Hessen mich kalt. Mein sehnsüchtigster Wunsch wäre ge- wesen, an einem schönen weiblichen Fusse die Nägel oder, sit venia verbo, die Hühneraugen schneiden zu dürfen. Meine wollüstigen Träume drehten sich um diese Dinge, ja ich wandte mich dem Studium der Medicin eigentlich in der Erwartung zu, Gelegenheit 7,ur Stillung meiner Begierden zu linden oder sie zu heilen. Gottlob, dass Iietztere5 gelang. Nachdem ich die erste Zer- gliederung einer weiblichen unteren Extremität vorgenommen, wich der un- selige Bann von mir; ich sage unselig, da ich mich stets dieser Triebe vor mir selbst aufs tiefste schämte. Weitere Details glaubte ich mir ersparen zu dürfen, da diese sonderbare Schwärmerei, welche mich sogar zu Gedichten begeisterte, auch andererseits schon mehrfach geschildert wurde.

Nun zur letzten Seite meiner sexuellen Irrthüroer.

Ich war etwa 13 Jahre alt und begann gerade zu mutiren, als ein Schulkamerad, der vorübergehend bei uns zu Gast war, mich Abends einmal dadurch neckte, dass er mit seinem nackten Fusse unter der Decke hervor nach mir stiess. Ich erhaschte seinen Fu.ss und gerieth sofort in hochgradige Erregung, welche von einer Pollution gefolgt war, die erste, die ich hatte. Der Knabe war auffällig mädchenhaft gebaut und auch geistig derart an- gelegt. Auch ein anderer Kamerad, mit sehr kleinen und zarten Händen und Füssen, den ich einmal im Bade sah, regte mich ungemein auf. Ich dachte es wohl mitunter als ein hohes Glück, mit einem von den Beiden im Bett zusammenliegen zu können, ein engerer sexueller Verkehr jedoch, der über eine Umarmung hinausgegangen wäre, kam mir gar nicht in den Sinn. üebrigens wies ich auch solche Gedanken stets mit Abscheu von mir. Einige Jahre später, von meinem 16. — 18. Jahre, lernte ich noch zwei Knaben kennen, welche mein sexuelles Gefühl erweckten. Wenn ich mich mit ihnen herum- balgte, hatte ich sofort Erectionen. Beide waren sehr energische, frische, aber zartgebaute Bürschchen von kindlichein Habitus. Mit dem Eintritt der Pubertät verlor jeder von Beiden mein ganzes Interesse, obzwar ich Beiden eine warme


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Ptychuche Hennaphrodine.


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freundschaftliche Tbeilnahme bewahrte. Zu unzüchtigen Handlungen mit ihnen hatte ich mich nie binreissen lassen. —

Als ich die Universität bezogen hatte, vergoss ich völlig auf diese Ver- irrungen meiner Libido sexualis, hielt mich aber bis zu meinem 24, Jahre aus Princip von jedem sexuellen Verkehr zurück, trotz des Hohnes meiner Collegen. Als sich dann die Pollutionen allzusehr häuften, und ich furchten mnsste, even- tuell ex abstinentia eine Cerebralasthenie zu acquiriren, warf ich luich dem normalen Geschlechtsleben in die Arme, und /war, obschon ich es aiomlicb nachdrücklich geniesse. zu meinem grösften Wohle.

Dass ich gegenüber Puellis publicis nahezu impotent bin, dass der nackte Kttrper eines "Weibes mich eher ekelt als erregt, hängt wohl mit den Speeial- fächern zusammen , in welchen ich Jahrelang thUtig war. Der Akt befriedigt mich stets am meisten , wenn ich dabei die Vorstellung der Vis festhalten kann: da aber andererseits die Vorstellung mir unerträglich ist, dass das M&dchen neben mir noch von einem Andern befriedigt werde, habe ich es seit Jahren als unumgänglich nüthig für mein seelisches Gleichgewicht be- funden, une ferame soutenue mir trotz drückender pecuniärer Opfer zu ver- gönnen, und zwar nur eine virgo. Sonst macht mich die albernste Eifersucht vollkommen firbeitsunföhig. Ich muss noch erwäbnen, dass ich mit 13 Jahren das erste Mal platonisch verliebt war und seitdem öfter in holder Minne ge- schmachtet habe. Was meinen Fall vor allen anderen auszeichnen dürfte, ist, dass ich nicht ein einziges Mal in meinem Leben onanirt habe.

Vor einigen Wochen erschreckte mich ein Schlaf, in welchem ich von pueris nudis f?6träumt hatte und aus dem ich mit Erection erwachte.

Zum Schlüsse wage ich mich an die immerhin missliche Auf>fabe, meinen Status praesens zu skizziren. Mittelgross, gracil gebaut, Schädel doliohooepha! mit Delle an der Hinterhauptschuppe, 50 cm Circumferenz, Stirnhöcker stark vorspringend, etwas neuropathiseher Blick, Pupillen mittel weit, Gebiss sehr defekt. Muskulatur kräftig, straff. Starker Haarwuchs, blond. Links Vario- cele; ein zu kurzes Frenulum, welches mich beim Ooitus hinderte, zerschnitt ich selbst vor 3 Jahren. Seitdem Ejacnlation retardirt, WoltnstgefÜhl be- deutend vermindert.

Cholerisches Temperament, Auffassung rasch, gute Combinationsgabe, energ^ch, ftir einen Hereditarier sehr ausdauernd, lerne leicht Sprachen, habe gutes Gehör, sonst kein Talent filr die schönen Künste. Pfiichteifrig. aber stets von Taedium vitae erfiiUt; am Tentamen suic. nur durch meine Keligion und die Rücksicht auf meine angebetete Mutter verhindert. Sonst typischer Selbstmordkandidat. Ehrgeizig , eifersüchtig , poral^'^sophobisch , Linkshänder. Von Bocialistischen Ideen angekränkelt. Abenteuersüchtig, muthig — habe mich entschlossen, nie zu heiratben/

Beobachtung 115. Psychische Hormaphrodisie. Heterosexuale Empfin- dung durch Masturbation früh verkümmert, episodisch aber müchtig. Homo- sexuale Empfindung ab origine pervers (sinnliche Erregung durch Mlinner- stiefel).

Herr X., 28 Jahre, kommt im September 1887 in verzweifelter Stim- mung zu mir, um mich wegen einer Perversion seiner Vita sexualis zu con- Bultiren. die ihm das Leben fast unerträglich erscheinen lasse und ihn wieder- holt schon dem Selbstmord nahegebracht habe.

Patient stammt aus einer Familie, in der Neurosen und Psychosen häa£g vorkommen. In der väterlichen Familie hatten seit drei Generationen Ge- schwisterkindehen stattgefunden. Der Vater soll ein gesunder Mann sein und in guter Ehe gelebt haben. Auffallend ist jedoch dem Sohn die Vorliebe des Vaters für schöne Bediente. Die mütterliche Familie wird als eine Familie von Sonderlingen geschildert. Der Grossvater und Urgrossvater der Mutter starben melancholisch, ihre Schwester war verrückt. Eine Tochter des Bruders


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Conti^re Sexualempfiadung.


des Grossvaters war hysterisch und nymphomanisch. Von den zwölf Ge- schwistern der Mutter heiratheten nur drei. Von diesen war ein Bruder con- trär sexual und durch excessive Masturbation immer nervenkrank. Die Mutter des Patienten soll bigott, geistig beschränkt, nervös^ reizbar, zu Melancholie osigend gewesen sein. Dieselbe starb, als Patient 14 Jahre alt war.

Patient hat zwei Geschwister — einen ueuropathischen, häufig melancho- lisch verstimmten Bruder, der, obwohl erwachsen, noch niemals Spuren von sexuellen Eegungen gezeigt hat, ferner eine Schwester, eine anerkannte Schön- heit, förmlich angebetet von der Männerwelt.

Diese Dame ist verheirathet, aber kinderlos, angeblich durch Impotenz ihres Mannes. Sie war von jeher kalt gegenüber den ihr von Milnnern dar- gebrachten Huldigungen, ist aber entzückt von weiblicher Schönheit und ge- radezu verliebt in einzelne ihrer Freundinnen.

Patient theilt beÄÜglich seiner eigenen Persönlichkeit mit, dass er schon mit 4 Jahren von jungen schönen Reitknechten mit schön geputzten Stiefeln geträumt habe. Auch herangewachsen will er niemals von einem Weibe ge- träumt haben. Seine nächtlichen Pollutionen waren jeweils durch .Stiefel- träurae* hervorgerufen.

Schon vom 4. Jahre an empfand er eine sonderbare Neigung zu Männern oder richtiger zu Lakaien, die schön geputzte Stiefel trugen. Anfangs waren sie ihm bloss sympathisch , mit sich entwickelndem Geschlechtsleben machte ihm deren Anblick mächtige £rectionen und wollüstige Erregung. Nur an Dienern reizte ihn der glänzend geputzte Stiefel. Derselbe Gegenstand an ge- sellschaftlich glbichstehenden Personen Hess ihn kalt.

Ein sexueller Drang im Sinne mannmännlicher Liebe verband sich nicht mit diesen Situationen. Schon der blosse Gedanke aiL eine solche Möglichkeit war ihm ekelhaft. Wohl aber kamen jeweils wollüstig betonte Vorstellungen, Diener seiner Diener sein, ihnen als solcher die Stiefel ausziehen zu dürfen, am liebsten sich dabei aber von ihnen treten zu lassen oder auch ihnen die Stiefel wichsen zu dürfen. Gegen derartige Gedanken empörte sich der Stolz des Aristokraten. Ueberhaupt waren ihm diese Stiefelideen ekelhaft und peinlich.

Das sexuelle Fühlen entwickelte sich früh und mächtig. Vorläufig fand es seinen Ausdruck im Schwelgen in wollüstigen Stiefelgedanken, und von der Pubertät an, in von Pollutionen begleiteten analogen Träumen.

Im üebrigen ging die geistige und körperliche Entwicklung ungestört vor sich. Patient war begabt, lernte leicht, absolvirte seine Studien, wurde Offizier, vermöge seiner distinguirten, durchaus männlichen Erscheinung und seiner hohen Stellung eine beliebte Persönlichkeit in der Gesellschaft.

Er selbst bezeichnet sich als einen gutratithigen, ruhigen, willenskräftigen. aber oberflächlichen Menschen. Er versichert, passionirter Jäger und Reiter zu sein und niemals Sinn für weibliche Beschäftigung gehabt zu haben, bi Damengesellschaft sei er immer befangen gewesen ; im Ballsaal habe er sich gelangweilt. Niemals hübe er ein Interesse für eine Dame ans höheren Ständen gehabt. Von Weibern hätten ihn überhaupt nur die drallen Bauernmädchen, wie sie den Malern in Rom Modell sitzen, interessirt. Eine eigentliche sinn- liche Regung habe er jedoch auch derlei Vertreterinnen des weiblichen Ge- schlechts gegenüber nie empfunden. Im Theater und im Circus habe er nur Interesse für die männlichen Darsteller empfunden. Auch diesen gegenüber habe er keine sinnlichen Empfindungen gehabt. Am Mann reizen ihn über- haupt nur die Stiefel, und zwar nur, wenn der Träger der dienenden Klasse angehöre und ein schöner Mensch sei. Gleichgestellte Männer mit noch so schönen Stiefeln seien ihm ganz gleichgültig.

Patient ist sich bezüglich seiner geschlechtlichen Neigungen noch jetzt unklar, ob er mehr Sympathie für das andere oder für das eigene Geschlecht empfinde.


Psychisclie Hcrmaplirodisie.


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SGiner Meinung nach habe er ursprünglich eher Sinn fUr das Weib ge- habt, aber diese Sympathie war jedenfalls eine überaus schwache. BeBtimmt versichert er, dass ihm Adsppctus viri nudi unsympathisch und der von männ- lichen Genitalien geradezu widerlich war. Dem Weib gegenüber war dies gerade nicht der Fall, aber er blieb unerregt selbst dem schönsten Corpus feroininum gegenüber. Als junger Offizier war er genüthigt, ab und zu seine Kameraden in Bordelle zu begleiten. Er liess sich nicht ungern dazu be- reden, da er damit seine lästigen Stiefelphantasien los zu werden hoffte. Er war impotent, bis er seine Stiefelphantasien zu Hülfe nahm. Nun verlief der Akt der Cobabitation ganz normal, jedoch ohne Wollustgefühl. Einen Trieb zum Verkehr mit dem Weib verspürte Patient nicht, es bedurfte jeweils einer äusseren Veranlassung, resp. Verführung. Sich selbst überlassen, bestand seine Vita sexualis in Stiefelscbwelgereien und bezüglichen Träumen mit Pollu- tionen. Da sich damit immer mehr der Drang verband , seinen Dienern die Stiefel zu küssen, sie ihnen auszuziehen u. s. w., beschloss Patient Alles auf- zubieten , um diesen eklen , ihn in seinem Selbstgefühl tiefverletzenden Drang los zu werden. Er befand sich damals, 20 Jahre alt, gerade in Paris; da erinnerte er sich eines wunderschönen Bauernmädchens in der fernen Heimath. Er hoffte mit Hülfe desselben sich von seiner perversen Sexnalrichtung be- freien zu können, reiste sofoi*t heim und bewarb sich um die Gunst dieses Mädchens. Er versicherte, doss er damals tüchtig verliebt in jene Person wurde, dass schon der Anblick, die Berührung ihres Kleides ihn wollüstig er- schauern machte, und als sie ihm einmal einen Kuss gewährte, er eine mäch- tige Erection bekam. Erst noch l's Jahren gelangte Patient mit dieser Person an das Ziel seiner Wünsche.

Er war sehr potent, ejaculirte aber tardiv (10 — 20') und hatte nie ein WoUustgefühl beim Akt.

Nach etwa 1 '/s jährigem sexuellem Umgang mit diesem Mädchen er- kaltete seine Liebe zu ihm, da er es nicht so .fein und rein fand", als er es wünschte. Von nun an musste er wieder seine inzwischen latent gewordenen Stiefel Phantasien zu Hülfe nehmen, um im Verkehr mit diesem Mädchen potent zu bleiben. In dem Masse, als seine Potenz nachliess, kamen jene ganz spon- tan. In der Folge coitirte Patient auch mit anderen W^eibern. Hie und da, nämlich wenn ihm das Weib sympathisch war, ging es ohne sich eindrängend» Stiefelpbnntasien ab.

Einmal possirte es Patient sogar, dass er sich ein Stupmm zu Schulden kommen liess, Merkwürdi^^erwoise hatte er dieses einzige Mal beim (erzwun- genen) Akt ein WoUustgefühl. Gleich nach der That empfand er Ekel. Als er eine Stunde post Stuprum mit demselben Weib und mit dessen Zustimmung coitirte, hatte er kein Wollustgerühl mehr.

Mit abnehmender, d. h. nur durch Stiefelphantasien aufrecht erhaltener Potenz sank die Libido zum anderen Geschlecht. Es ist bezeichnend für des Patienten geringe Libido und schwache Veranlagung gegenüber dem Weibe, dass, während er noch in sexuellen Relationen zu jenem Bauemmädchen stand, er zur Masturbation gelangte. Er lernte sie durch Ronsseau'a »Confessions*, welches Buch ihm zufällig in die Hand £el, kennen. Mit bezüglichen Drängen verbanden sich sofort die Stiefelphantasien. Er bekam dann heftige Erectionen, masturbirte, hatte bei der Ejaculation ein lebhaftes Wollustgeföht , das ihm beim Coitus versagt blieb, und fühlte sich von Masturbation anfangs geistig frischer, angeregter.

Mit der Zeit stellten sich aber die Erscheinungen sexueller, dann allge- meiner Neurasthenie mit Spinalirritation ein. Er ent-sagte nun vorläufig der Masturbation und suchte die frühere Geliebte auf. Sie war ihm aber nun- mehr ganz gleichgültig, und da er schliesslich selbst mit Zuhülfeuahme von Stiefelscenen nicht mehr reüssirte. zog er sich vom Weibe zurück und verfiel wieder auf Masturbation, durch die er sich von dem Drang, Dienern Stiefel


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Oooträre Sexualempfindung-


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zu küsBen, zu wichsen u. s. w., geschützt fühlte, üleicbwobl blieb ihm seine sexuelle Position peinlieh. Er versncht** K*'^figentlich wieder Coitus und reüssirte aucb, sobald er sich gewichste Stiefel dachte. Nach längerer Ent- haltung von Masturbation gelang ihm auch zuweilen Coitus ohne jede künst- liche Hülfe.

Patient bezeichnet sich als sexuell sehr bedürftig. Wenn er lange nicht ejaculirl, habe, so werde er congestiv, psychisch niHchtig erregt, von den wider- lichen Stiefelbildern geplagt, so dass er dann gezwungen sei, zu coitiren oder noch lieber zu masturbiren.

Seit Jahresfrist hat sich seine moralische Situation in peinlicher Weise dadurch complicirt, dass er als der Letzte eines reichen und vornehmen Ge- schlechts und Über dringenden Wunsch seines Vaters endlich heirathen soll. Die ihm bestimmte Braut ist von seltener Schönheit, geistig ihm äusserst sympathisch. Aber als Weib ist sie ihm gleichgültig wie jedes Weib. Sie befriedige ihn ästhetisch wie ein beliebiges «Kunstwerk*. Sie stehe ihm wie ein Ideal vor Augen. Platonisch sie zu verehren, wäre ihm ein erstrebens- werthes Glück, sie aber als Weib zu besitzen ein peinlicher Gedanke. Er wisse bestimmt voraus, dass er ihr gegenüber nur unter Zuhülfenahme von Stiefelphantasien potent sein könne. Zu solchen Mitteln zu greifen, wider- strebe aber seiner Hochachtung für die Dame, seinem sittlichen und ästhe- tischen Gefühl für dieselbe. Beschmutze er sie mit einem Stiefelgedanken, so werde sie in seinen Augen auch ihren ästhetischen Werth verlieren, und dann werde er ganz impotent und sie ihm zuwider werden. Patient hält seine Lage für eine verzweifelte und gesteht, dass er in letzter Zeit dem Selbstmord wiederholt nahe war.

£r ist ein hochintelligenter Mann von durchaus männlichem Habitus, starker Bartentwicklung , tiefer Stimme, normalen Genitalien. Das Auge hat einen neuropatbischen Ausdruck. Keine Degenerationszeichen. Erscheinungen von spinaler Neura.sthenie. Es gelang, den Patienten zu beruhigen und ihm Vertrauen in die Zukunft einzuflössen.

Die ärztlichen Ruthschläge bestanden in Mitteln zur Bekämpfung der Neurasthenie, Verbot weiterer Masturbation und weiterer Hingabe an Stiefel- phantasien, Aussicht, dass mit Be.seitigung der Neurasthenie Cohabitation ohne Stiefelideen möglich und Patient mit der Zeit moralisch und physisch zur Ehe fähig werde.

Ende Oktober 1888 schrieb mir Patient, dass er der Masturbation und den Stiefelpbantasien kräftig seither widerstanden habe. Inzwischen habe er nur einmal einen Stiefeltraum und fast gar keine Pollutionen mehr gehabt. Er sei frei von boniosexuulen Anwandlungen, aber, trotz oft bedeutender sexueller Erregung, ohne jegliche Libido dem Weib gegenüber. In dieser fatalen Situation sei er nun durch Verhältnisse gezwungen , in 3 Monaten zu heirathen.

2) Hoiuofjt'xuale oder Urninge.

Gegenüber der vorausgehenden Gruppe der psychoaexualen Herma- phroditen besteht hier ab origiüe ausschliusslich sexuale Empfindung und Neigung zu Personen desselben Geschlechts, aber im Gegensatz zu der folgenden Gruppe beschränkt sich die Anomalie nur auf die Vita sexualis und wirkt nicht tiefer und belastend ein auf Charakter und gesanimte geistige Persönlichkeit.

Die Vita sexualis ist bei diesen Homosexualen (Urninge) mutatis mutandis ganz die gleiche wie bei der normalen hetnrosexualen Liebe,



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Homosexualität.


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aber da sie der natürlichen Empfinduug gegensätzlicli ist, wird sie zur Karrikatur, um so mehr, als diese Individuen in der Regel mit Hjper- aeathesia sexualis zugleich behaftet sind, und damit ihre Liebe zum eigenen Qoschlecht eine schwärmerische» brünstige ist.

Der Urning liebt, vergöttert den männlichen Geliebten gerade so wie der weibliebende Mann die Geliebte. Er ist der grdssten Opfer für ihn fähig, empfindet die Qualen unglücklicher, oft nicht erwiderter Liebe der Untreue des Geliebten, der Eifersucht u. s. w.

Die Aufmerksamkeit des mannliebenden Mannes fesseln nur der Tänzer, der Schauspieler, der Athlet, die männliche Statue u. s. w. Der Anblick weiblicher Keize ist ihm gleichgültig, werm nicht zuwider; ein nacktes Weib ist ihm ekelhaft, während die Besichtigung männlicher Genitalien, Hüften u. s. w. ihn vor Wonne erheben macht.

Die körperliche Berührung eines sympathischen Mannes ruft einen Wonneschauer hervor, und da derlei Individuen angeboren oder durch Onanie oder auch durch erzwungene Abstinenz von geschlechtlichem Ver- kehr vielfach sexuell neurasthenisch sind, kommt es dabei leicht zur Eja- culation, die im noch so intimen Verkehr mit dem W^eib gar nicht oder nur durch mechanischen Reiz erzwingbar ist. Der sexuelle Akt mit dem Manne, gleichviel welcher, gewährt Genuas und hinterlässt Wohlbefinden. Vermag sich der Urning zum Coitua zu zwingen, wobei aber Ekel in der Regel als Hemmungsvorstellung wirkt und den Akt unmöglich macht, so ist ihm dabei etwa zu Muthe wie einem Menschen, der ekelhafte Speise oder Trank zu kosten genöthigt ist. Gleichwohl lehrt die Erfahrung, dass nicht selten conträr Sexuale auf dieser 2. Stufe sich verheirathen, sei es aus ethischen oder socialen Rücksichten.

Relativ potent sind derartige Unglückliche, insofern nie bei der ehe- lichen Umarmung ihre Phantasie anstrengen und sich statt der Ehefrau eine geliebte männliche Person vorstellen.

Der Coitus ist für sie aber ein schweres Opfer, kein Genuss, und macht sie auf Tage hinaus nervenschwach und leidend. Vermögen der- artige Urninge nicht durch willens kräftige Anstrengung ihrer Phantasie, etwa unter Benutzung von excitirenden Spirituosen Getränken, von Erec- tionen, hervorgerufen durch gefüllte Blase u. s. w., die hemmenden Ge- fühle und Vorstellungen zu compensireu, so sind sie gänzlich impotent, während die blosse Berührung des Mannes die mächtigste Erection und selbst Ejaculation bewirken kann.

Mit einem Weibe zu tanzen, ist dem Urning unangenehm, Tanz mit einem Manne, besonders einem solchen von sympathischen Formen, erscheint ihm als die höchste Lust.

Der männliche Urning, sofern er eine höhere Bildung besitzt, hat keine Abueigung gegen den gesclilechtsloaen Umgang mit Weibern, so-


Conti-äre Sexualempfindung.



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fern sie durch Geüt und Kunskainn die Conrersation mit ihnen angenehm erscheinen lassen. Nur das Weib in seiner geschlechtlichen Rolle per- horrescirt er.

Auf dieser Stufe der sexuellen Entartung bleibt Charakter und Be- schäftigung dem Geschlecht entsprecliend, welches das betrefifende Indi- viduum reprasentirt. Die sexuelle PerTersion bleibt eine isolirte, aber tief in die sociale Existenz einschneidende Anomalie im geistigen Dasein der Persönlichkeit. Dem entsprechend fühlt sich dieselbe bei gleichviel welchem sexuellen Akt in der Rolle, welche bei heterosexualer Qefühls- weise ihr zukäme.

Uebergänge zur folgenden dritten Gruppe kommen jedoch insofem vor. als auch zuweilen die der homosexualen Erapfindungsweise entsprechende ge- schlechtliche Rolle gedacht, gewünscht oder wenigstens geträumt wird, femer dass Beschäftigimgsneigungen und Geschmacksrichtungen fragmentar sich zeigen, die dem Geschlecht, welches repräsentirt wird, nicht entsprechen. In manchen Fällen gewiunt man den Eindruck, d:iss derartige Erschei- nungen Artefacte, durch Erziehungseinflüsse hervorgerufen, sind, in an- deren, dass sie erworbene tiefere Degenerationen innerhalb der betreffenden Stufe durch perverse Geschlechlsbethätigung (Masturbation), analog den progressiven Entartungserscheinungen, wie sie bei der erworbenen con- trären Sexualempfindung beobachtet werden, darstellen.

Was nun die Art der sexuellen Befriedigung betrifft, so ist hervor- zuheben, dass bei vielen männlichen Urningen, da sie an reizbarer sexueller Schwäche leiden, schon die blosse Umarmung genügt, um Ejaculation zu bewirken. Bei sexuell Hyperästhetischen und mit Parästhesie ästhe- tischer Gefühle Behafteten gewährt es oft erhöhten Oenuss, mit schmutzigen ordinären Subjekten aus der Hefe des Volkes zu verkehren.

Auf gleicher Grundlage kommen päderastische (natürlich) activc Gelüste und andere Yerirrungen vor, jedoch kommt es nur selten und offenbar nur bei moralisch defekten und durch Libido nimia besonders lüsternen Persönlichkeiten zu päderastischen Akten.

Die sinnliche Neigung erwachsener Urninge scheint, im Gegen- satz zu alten und verkommenen Wüstlingen, welche Knaben bevorzugen (und mit Vorliebe Päderastie treiben), unreifen männlichen Individuen sich nicht zuzuwenden. Nur aus Mangel un Besserem und bei heftiger Brunst, sowie auf Grund einer besonderen Perversion (Paedophiüa erotica), dürfte der Urning Knaben gefährlich werden.

Beobachtung 116. Herr A., 30 Jahr, Künstler, stammt von schwer belasteter psjchopatfaiscber Mutter. Sein Bruder ist conträr sexual.

A. ist von Kindesbeinen auf neuropathisch, seit der Pubertät neur- astheniscb. Schon mit 6 Jahren, als er neben einem bestimmten Schulkameraden sitzen durfte, empfand er eine wahre Seligkeit.


Hoznoseiuulität.


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Von der Pubertät ab masttirbirte er, wobei er sich ihm sjmpathiscbe Altersgenossen dachte. Aach anlUsslich Pollutionen schwebten ihm nur homo- sexuelle Traumbilder vor.

In einer decidirteu geschlechtlichen Stelle fühlte er sich dem Manne gegenüber nicht. Zuerst mit *J0 Jahren. spUter mit 25 Jahren, war or ,colossal* verliebt in erwachsene Manner. Das Weib hatte für ihn nie eine« Heiz. Er versachte wiederholt Coitus cum puellis, war potent, empfand daran aber nicht den geringsten seelisch körj)erlichen Genuss und zog sich bald vom in- timen Umgang mit dem weiblichen Geschlecht zurück. Nur gewisse Männer, durchaus männlich, von feiner Bildung und Umgangsform üben auf ihn einen Zauber. Dieser ist unwiderstehlich. A. behauptet, nicht besonders sinnlich zu sein, es iuteressire ihn mehr die Seele als der Körper.

Seine sexuelle Befriedigung ist Kuss, Umarmung, da er dabei gleich unter Wollustschauer ejacuHrt. Damit erspaie er sich Masturbatio mutua und andere unzüchtige Handlungen, die er abscheulich linde. Faute de mieux habe er zuweilen Masturbatio soUtaria getrieben.

Durchaus männliche Erscheinung, ohne alle Degenerationszeichen.

A. erkennt seine sexuelle Situation als eine abnorme an, fühlt sich aber dabei ganz glücklich,

Beobachtung 117. Herr U., 24 Jahre, Techniker, stammt von irr- ainnigem Vater, in dessen Blutsverwandtschaft 3 Falle von Irrsinn vorge- kommen sind.

Mit 7 Jahren begann ü. während einer fieberhaften Krankheit und noch ganz ohne Ahnung sexueller Dinge sich für die Posteriora seiner männlichen Umgebung zu interessiren.

Diese Inclination schwand mit 12 Jahren, als er in die Geheimnisse der Vita sexualis eingeweiht wurde. Sein Sexualtrieb regte sich früh und mächtig. Pollutionen waren nur von homosexualen Traumbildern begleitet. Das Weib widerte ihn an. Seit Jahren werde er, sobald es dunkelt, vom Drang heim- gesucht, mit Männern zu verkehren.

Er laufe solchen auf der Strasse na^-h. stundenlang, bis zur Erschöpfung. Er glühe vor Verlangen mit einem Manne zu schlafen, ihn an den Genitalien zu berühren. Bis jetzt habe er sich zu beherrschen vermocht. Nur in grosser Noth helfe er sich mit Automasturbation. Seine Situation ist ihm sehr pein- lich, zumal da er seinem Drang zu unterliegen fürchtet.

U. macht den Eindruck eines eigenartigen und geistig nicht äquilibrirten Menschen. Die Ohren sind degenerativ, der Stirnscbfidel ist auffallend schmal. Zeichen von Neurasthenie bestehen nicht.

Genitalien normal. Die äussere Erscheinung ist durchaus viril.

Beobachtung 118. D., 24 Jahre. Stadirender, stammt von einem Vater, der durch EmotivitSt, unmotivirten Stimmungswechsel. Beixbarkeit, Launenhaftigkeit, Excentricitäten der Anschauungs- und Handlungsweise, Willens- schwache, Zerstreutheit, neuropathiscben Blick vielfach auffiel, in den letzten Jahren seines Lebens Alkoholexcesse beging, mit 40 Jahren an Phlbisis starb und wohl als psych opathi sehe Minderwerthigkeit zu bezeichnen war.

D.'s Mutter ist gesund, aber eine Tante derselben war psychopathisch und endete durch Selbstmord. Ein Vetter derselben war Alkoholist und hypersexual.

D. ist eine schlanke, durchaus virile, dem Alter entsprechend bebartete Persßnlichkeit. Der Schädel ist asymmetrisch, das Skelet männlich. Die Genitalien sind gut und normal ausgebildet.

D. war schwächlich von Kindesbeinen auf, nervös, emotiv, erregbar, unbeständig, begabt, aber flatterhaft. Früh erwachte sein Sexualleben. Es war ansschliesshch dem eigenen Geschlechte zugewandt und wurde vorläufig durch


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Contrilre Sexualempfindung.


Automasturbation befriedigt. Vom 16. Jahre ab wurde Patient schwer cerebr- astbeniscb, luosste mehrfach sein Studium unterbrechen und in Wasserheil- anstalten Uüifo gegen sein Nervenleiden suchen.

Herangewachsen interessirte ihn sexuell viel mehr der Urning als der normal veranlagte Mtinn und mehr der Jüngling als der Erwachsene. Da- neben bestand Fetischismus der Stimme, insofern, besonders für die Erweckung höherer psythosexualer Gefülile , hohe Stimmlage bei sympathischen jungen MUnneru entscheidend war. eine tiefe Stimme geradezu abstossend wirkte. Auch eine Andeutung von Kleidungsfetischismus besteht bei ihm, insofern Alles, was das Virile scharf uiarkirt, wie z. B. Uniform, unsympathisch er- scheint, wahrend weisser Salonanzug anziehend wirkt.

D. häilt sich für eine mehr weibliche Natur. Er macht in dieser Hin- sicht geltend, dass er für männlichen Sport auch nicht das geringste Interesse habe, aber er bietet weder charakterologisch noch anthropologisch irgendwelche femiuile Züge und erscheint auch dem geübten Auge nicht als Urning.

Seine homosexuelle Bethätigung bestand in Masturbatio mutna und gelegentlicher receptio membri alterius in os. Auch dabei nieht, ebenso wenig anlässlicb Traumpollutionen hat er sich in feminiler KoUe gefühlt. Für das Genus femininum hat er nicht das geringste Interesse und sich ihm niemals genähert.

Seit 3 Jahren war D. durch seine neurasthenischen Beschwerden Mor- phinist geworden. Auf meinen Rath ging er in eine Wasserheilanstalt, wo er auch hypnotisirt wurde. Er gelangte nur in tiefes Engourdissenient, war aber recht snggestibel. Die Neurasthenie schwand, die Masturbation wurde erfolgreich bekämpft, Patient fing an erotisch von Frauen zu trUumen. Er versuchte sexuellen Umgang mit solchen, war aber impotent und brachte es nun zu passiver Masturbation durch Frauenband, wobei er ein© leidliche Be- friedigung empfand.

Einige Monate nach Beendigung der mehrmonatlichen Cur dauerte der gebesserte Status reruui an, dann wurde Patient wieder Masturbant, neur- asthenisch, Morphinist und verkehrte nur mehr ausschliesslich homosexaal in der oben erwähnten Weise.


Beobachtung 119. Herr G., 23 Jahre, kommt um Bath wegen schwerer constitutioneller, seit einigen Monaten exacerbirter , mit Schlaflosig- keit einhergehender Neurasthenie.

Er entstammt einer mir persönlich bekannten Familie, in welcher Neu- rosen und psychische Entartungszustände bei fast allen Gliedern derselben an- Kutreflfen sind.

Im Verlauf der Consultation stellt sich heraus, dass G. Urning ist. Er behauptet, schon mit 7 Jahren, als er mit anderen Knahen badete, Erectionen gehabt zu haben.

Wiederholt war er verliebt in Mitschüler. Von der Pubertät ab Mastur- bation , nm- homosexaello Pollutionslröume. Vom 18. Jahre ab wiederholt Versuche cum muliere zu coitiren, säramtlich erfolglos wegen Impotenz ex horrore femiuue.

Seit 2 Jahren hat er derlei Annftherungen aufgegeben und ausschliess- lich homosexuell verkehrt. Seine Neigung wendet sich 20—30 Jshrigen zu. Er fühlt sich dabei in milnnlichcr ßolle. Seine Passionen und Allüren sind mHnn- lich. Er versichert, dass der homosexuale Verkehr ihn seelisch und leiblich erfrische. Derselbe besteht in Coitus inter femora. Einmal habe er aktiv Päderastie versucht, sei aber aus ethischen Gründen davon abgestanden. Seit einigen Monaten habe er ein dauerndes Verhältniss mit einem gleich ihm empfindenden Manne.

Vorher sei er oft impotent gewesen im homosexualen Verkehr. Ks genfigte dazu die Wahrnehmung, dass der Andere nicht propre war oder die


Horoosejcunlitfit.


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Stellung, dass er bezahlt werde, in anderen Fällen Befangenheit einer sehr boch gestellten Persönlichkeit gegenüber.

Q. erkennt seine sexuelle Triebricbtoog als abnorm an, aber er 6ndet seine Befriedigung innerhalb derselben und hat kein BedÜrfbiss nach einer Aendemng.

Anatomisch und anthropologisch erscheint 6. durchaus als Mann, mit normalen Genitalien.


Beobachtung 12i>. Herr Z., 00 Jahre, verheirathet, Beamter i. P., stammt von einem psychopathischen Vater, dessen Schwester in einer Irren- anstalt bis zu ihrem Tode internirt war.

Z. , der ebenfalls eine Schwester geisteskrank in der Irrenanstalt hat, litt bis zum 8. Lebensjahre an Convulsionen, seit der Pubertät an Cephalaen, galt in der Schule als ein hOchst excentrischer, unbändiger Junge.

Mit 16 Jahren, im Jesuitenconvikt, tiberfiel ihn Nachts ein Mitschüler, klärte ihn über die Sexualfnnctionen auf und vermochte ihn, Coitus inter femora zu gestatten.

Z. fand Gefallen an solcher Situation, schwelgte in Träumen und im wachen Zustand in der Erinnerung an das erlebte ntlchtlicbe Abenteuer, wo- bei er sich immer als den passiven, durch Gewaltanwendung bezwungenen Theil dachte.

Der Verkehr mit jenem Verführer gestaltete sich .wie eine Frau einen Mann nur lieben kann' und bestand in Form mutneller Masturbation durch 1 Jahr fort. Diese Zeit erklärt Z. fUr die glücklichste in seinem Leben. Der Tod trennte lbü4 dieses VerfaUltniss, indem der Andere an einem acuten Hirn- leiden zu Grund ging. Z. trauerte um den Verlorenen wie nur ein Weib den geliebten Mann betrauern kann.

Im Herbst 1864 suchte sich ihm ein anderer Schulcollege zu nahern, aber derselbe war ihm unsympathisch und er wies ihn zurück.

Auf der Universität gefiel sich Z. in weibischen Allüren, trug Zeug* schuhe, in der Mitte gescheiteltes Haar, hatte diverse Liebschaften mit jungen Männern, war glücklich, als er bei einer Theatervorstellung in einer Frauen- rolle auftreten konnte. Er hatte damals ein Faible für Pomade, Parfüms, Scbmuckgegenstftnde.

Das weibliche Geschlecht hatte für ihn nicht die geringste Anziehungs- kraft. Als er einmal ins Lupanar mit mnssle, kam ihm das betretfende Weib wie ein Stück Holz vor und er konnte den Coitus nicht ausführen.

Diese Erfahrung machte ihn besorgt wegen der Zukunft. Bald aber gelangte er wieder zur Ueberzcugung, doss seine homosexualen Empfindungen und Handlangen nichts Unnatürliches sein könnten.

1872 Heirath aus Achtung und Interesse. Es gelang ihm, die eheliche Pflicht zu leisten, indem er sich an Stelle der Frau einen schonen jungen Mann dachte. Der Verkehr war ein seltener, seelisch ganz unbefriedigender. Z., entschädigte sich durch mannmitnnlichen Verkehr, der ausschliesslich in mutueller Musturbation bestand.

Seit 7 Jahren hat Z. nicht mehr mit seiner Frau sexuell verkehrt. Seiner Ehe entstammen zwei bereits erwachsene Söhne, die vollkommen gesund und sexuell normal sein sollen.

Z. er/ählt, diiss er unter seinen homosexualen Trieben viel litt und ver- gebens seinen Willen einsetzte, um seiner Frau die Treue zu bewahren. Ea genügte der Anblick eines jungen Mannes in enganschlicssenden Beinkleidern, um ihn mächtig zu erregen. Anliisslich solcher Vorkommnisse, besonders aber, wenn er etwas Wein getrunken hatte, den er nie vertragen konnte, bekam er unter Congestionen zum Kopf, Hallucinationen sexuellen Inhalts — er sah junge Männer, nackt, ganz plastisch, die mit erigirtem Glied ^brutal* sich ihm näherten, seine Genitalien ergriffen, ihn mnsturbirten , mit ilim Coitus



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Contrilre Sexualempfindun^.


inter femora treiben wollten. Er duldete es in Gedanken, hatte dabei Orgas- mus, aber nur ausnahmsweise Ejaculatiou. Solche Zustände hatte er auch zu- weilen vor dem Einschlafen.

1895 wurde Z. wegen unzüchtiger Akte, die er mit einem 17 Jahr«  alten Arbeiter begangen, zu Monaten Kerker verurtheilt.

Die Beobachtung auf der Klinik ergab eine neurotisch schwer belastete, psychisch nicht äquilibrirte Persönlichkeit. Cranium asymmetrisch, auflg»- fa-prochenes Bild einer Neurusthenia cerebralis. Genitalien normal.

Beobachtung 121. An einem Sommerabend in der Dämmerung wurde X, Y. , Dr. med. in einer Stadt Norddeutschlands, von einem Flurwächter be- treten, wie er auf einem Feldwege mit einem Landstreicher Unzucht triebr indem er denselben masturbirte und darauf mentulam ejus in os suum im- misit. X. entzog sich gerichtlicher Verfolgung durch die Flucht. Die Staats- anwaltschaft stand von der Klage ab, da kein ufiTentlicbes Aergerniss ent- standen war und Immissio membri in anum nicht stattgefunden hatte. Im Besitze des X. wurde eine weit verzweigte urniscbe Correspondenz gefunden, durch welche ein seit Jahren bestandener reger und durch alle Schichten der Bevölkerung sich erstreckender urnischer Verkehr erwiesen wurde.

X. stammt ans belasteter Familie. Vaters vater endete irrsinnig durch Selbstmord. Der Vater war ein schwächlicher, eigenartiger Mann. Ein Bruder des Patienten onanirte schon mit 2 Jahren, Ein Vetter war contrör sexual, beging dieselben IJnsittüchkeiten wie X. schon als Jüngling, wurde geistig schwach und starb an einer Rtickenmarkskrankheit. Ein Grossonkel väterlich war Hermaphrodit. Die Schwester der Mutter war irrsinnig, Mutter gilt als gesund. Der Bruder des X. ist nervös, jtthzornig.

X. selbst war ebenfalls als Kind sehr nervös. Das Miauen einer Katze versetzte ibn iu höchste Furcht und wenn man nur eine Katzenstimme nach- ahmte, weinte er bitterlich und klammerte sich Ängstlich an die Umgebung an.

Anlässlich geringfügiger Krankheiten fieberte er heftig. Er war ein stilles, trilumerisches Kind, von reger Phantasie, aber geringer geistiger Be- gabung. Knabenspiele kultivirte er nicht. Älit Vorliebe trieb er weibliche Beschäftigung. Ein besonderes Vergnügen machte es ihm, die Haasmagd oder auch den Bnider zu frisiren.

Mit 13 Jahren kam X. in ein Institut. Dort trieb er mutnelle Onanie, verführte Kameraden, machte sich durch cynisches Benehmen unmöglich, so dass er nach Hause genommen werden musste. Schon damals fielen den Eltern Liebesbriele conträr sexualen und höchst lasciven Inhalts in die Hfinde. Vom 17. Jahre an studirte er unter der strengen Zucht eines Gymnasialprofessors. Er machte leidliche Fortschritte im Lernen. Begabt war er nur ftir Musik. Nach absolvirten Studien kam Patient, 19 Jahre alt, auf die Universität. Dort fiel er auf durch sein cynisches Wesen, sein Herumziehen mit jun^gen Leuten, von denen man bezüglich mannmännlicher Liebe allerlei munkelte. Er fing an sich zu putzen, liebte auffallende Cravatten, trug Hemden mit tiefem Hals- ansschnitt, zwängte seine Füsse in enge Stiefel und frisirte sich auffallend. Dieser Hang verlor sich, als er die Hochschule absolvirt hatte und heim- gekehrt war.

Im 24. Jahre war er eine Zeit lang schwer neurasthenlsch. Von da bis zum 29. Jahr schien er ernst, zeigte sich im Berufe tüchtig, mied aber die Gesellschaft des schönen Geschlechts und trieb sich beständig mit Herren zweifelhaften Rufes herum.

Zu einer persönlichen Exploration Hess sich Patient nicht herbei. Er entschuldigte dies schriftlich damit, dass er eine solche für aussichtslos halte, da der Trieb zum eigenen Geschlecht seit früher Kindheit bei ihm bestehe und angeboren sei. Er habe von jeher Horror feminae gehabt, niemals es Hber sich gebracht, die Reize eines Weibes zu kosten. Dem Manne gegenüber



Ilomosexualität.


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fühle er sich in männlicher Holle. £r erkennt seinen Trieb znm eigenen Qe- <t(!hlecbt als abnorm an, entschuldigt seine sexuellen Ausschreitungen mit seiner krankhaften Naturanlnge.

X. lebt seit seiner Flucht aus Deutschland im Süden Italiens, und wie ich ans einem Briefe desselben entnehme, huldigt er nach wie vor der urnischen Liebe. X. ist ein ernster, stattlicher Mann von durchaus männlichen Zügen, stark bebartet, mit normal entwickelten Genitalien. Dr. X. stellte mir vor Kurzem seine Autobiographie zur Verfügung, aus welcher Folgendes rattgetheilt zu werden verdient. Als ich mit 7 Jahren in eine Privatschule eintrat, fühlte ich mich im höchsten Grade unbehaglich und fand bei meinen Mitschülern sehr wenig Entgegenkommen. Nur zu einem derselben, der ein sehr hübsches Kiad war, fühlte ich mich hinge/^ogen und liebte ich ihn fast stürmisch. Bei den kindlichen Spielen wnsste ich es immer so einzurichten , duss ich in Mädühenkleidern erscheinen konnte, und das grösste Vergnügen war für mich, unseren Dionstmttdcben recht compliclrte Coifftiren zu machen. Oft bedauerte ich, kein Mädchen zu sein.

Mein Geschlechtstrieb erwachte, als ich 13 Jahre alt war, und richtete sich vom Moment seines Entstehens an auf jugendliche, kräftige Männer. An- fangs war ich mir eigentlich gar nicht darüber klar, da.ss dies eine Abnormität sei; das Bewussisoin derselben kam aber, als ich sah und hörte, wie meine Altersgenossen in geschlechtlicher Beziehung beschaffen waren. Ich fing mit 13 Jahren au au onaniren. Mit 17 Jahren verlioss ich dos Elternhaus und besuchte das Gymnasium einer grö.sseren Hanptstadt, wo ich als Pensionär zn einem verheiratheten Gymnasiallehrer gebracht wurde, mit dessen Sohn ich in der Folge geschlechtlichen Umgang hatte. £s war dies das erste Mal, dass ich geschlechtliche Befriedigung empfand. Ich lernte in der Folge dort einen jungen Künstler kennen, der sehr bald merkte, dass ich abnorm geartet war, und der mir gestand, dass bei ihm dasselbe der Fall sei. Ich erfahr durch denselben, dass diese Abnormität sehr bäuBg vorkomme^ und diese Mittheilung machte meine, mich oft tief betrübende Meinung, ich sei allein abnorm, hin- fHllig. Dieser junge Mann hatte einen ausgedehnten Kreis gleichartiger Be- kannter, in welchen er mich einführte. Dort wurde ich der Gegenstand all- gemeiner Aufmerksamkeit , da ich körperlich , wie allseitig behauptet wurde, sehr vielversprechend war. Ich wurde bald von einem älteren Herrn ab- göttisch geliebt, fand indessen denselben nicht nach meinem Geschmack und erhörte ihn nur auf kurze Zeit, um dann einem jüngeren, sehr schönen Offi- zier, der noir zu Füssen lag, Gehör zu schenken. Dieser war eigentlich meine erste Liebe.

Nachdem ich mit 19 Jahren das Maturitätsexamen absolvirt hatte, lernte ich. vom Zwang der Schule befreit, eine grosse Anzahl von mir gleich- oder ähnlichgearteten Leuten kennen, darunter Karl Ulrichs (Numa Numantiue).

Als ich später zum Studium der Medicin überging und mit vielen normalgearteten jungen Leuten verkehrte, war ich öfters in der Lage, der Aufforderung, zu Öffentlichen Dirnen zu gehen, Folge leisten zu müssen. Nach- dom ich bei verschiedenen zum Theil sehr schönen Frauenzimmern mich gründ- lich blamirt hatte, verbreitete sich unter meinen Bekannten die Ansicht, ich sei impotent, und ich gab diesem Gerede durch Erzählung von angeblichen ehemaligen übertriebenen Leistungen bei Frauenzimmern Nahi-ung. Ich hatte damals eine Menge auswärtiger Beziehungen, die in ihren Kreisen dermassen meine Körperbeschaffenheit priesen, dass ich weithin für eine hervorragende Schönheit galt. Dies hatte zur Folge, dass alle Augenblicke Jemand zu- gereist kam und mir eine solche Menge von Liebesbriefen zugingen, dass ich dadurch öfters in Verlegenheit gerieth. Den Höhepunkt erreichte diese Situation, als ich später, als einjähriger Arzt, im Lazaretb wohnte. Dort ging es aus und ein wie bei einer gefeierten Persönlichkeit, und die Eifersuchtsscenen, die sich um meinetwillen dort abspielten, hätten fast zur Entdeckung der ganzen V. Krafrt-Eblng. Psychopathik sexoatii. io. AkA. *^


Contrftre Sexualempfiodung.


Geschiebte geführt. Kurz nachher erkrftnkte ich ao einer Scboltergrelab- entzündang. von der ich erst nach O Mooaten genss. Im Verlaafe dendba hotte ich roehnnaU tttpilich subcutane Morphiuminjectionen erbalten, dw 2; plOtzUcb entzogeu wurden und welche ich im Geheimen nach meiner Gencfu^ fortaetzte. Zun» Zwecke specieller Studien hielt ich mich vor meinem Kintm in die selbstständige Praxis einige Monate in Wien auf, wo ich darcb räiip Empfehlungen in verschiedenen Kreisen von mir Oleicbgearteten Zotritt hfttt tcb machte dort die Beobachtung, doss die in Frage stehende Abnormitftt ii ihren sehr verschiedenen Arten in den unteren Volksschichten ebenso nt' breitet ist, wie in den höheren, sowie dass Diejeaigen, welche g-ewerfasmian^ gegen Bezahlung zugänglich sind, auch in den höheren Klassen nicht scto getroffen werden.

Als ich als Ar/.t auf dem Lande mich ansässig machte, hoffte ich. nr mittelst des Cocains das Morphium los werden zu können, und x-erfipl ?o äta» CocainiHmus, der sich bei mir erst nach drei Recidiven dauernd ht^ iioi

(vor p4 Jahren). In meiner Stellung war es mir unmöglich, gi- _ _ Lj.cb» Befriedigung zu finden, und ich nabm deshalb mit Vergnügen irahr. dass dM* Cocain gebrauch das Krlöschen der Begierden zur Folge hatte. Als ich dtf erste Mal unter der energischen Pflege meiner Tante vom Cocainismos bfl6i^ war, verreiste ich auf einige Wochen, um mich zu erholen. Die perrenss Begierden waren wieder in ihrer ganzen StUrke erwacht, und als ich eiasi Abends mit einem Manne im Freien vor der Stadt mich amösirt hatte, wurde mir Tags darauf vom Staatsanwalt eröffnet, doss ich beobachtet und zar An- zeige gebracht worden sei, dass aber die mir zur Last gelegte Handlung nicht strafbar sei, gemäss eines Beschlusses des obersten Gerichtshofes im Deutficfaen Reiche. Ich solle indess mich in Acht nehmen, da bereits die Mittheilung von dem Vorfall in weiteste Kreise gedrungen sei. Ich sah mich genöthigt, Deutschland nach diesem Ereigniss zu verlassen und eine neue Heimath dort zu soeben . wo weder das Gesetz noch die ftffentliohe Meinung Dem entgegen stehen, was, wie wohl alle abnormen Triebe, von der Willenskraft nicht unter- drückt werden kann. Da ich keinen Augenblick darüber im Unklaren war, dass meine Neigungen zu den socialen Anschauungen im Gegensatze stehen, so versuchte ich wiederholt, derselben Herr zu werden, indessen steigerte ich dieselben ntu* hierdurch, und die gleiche Beobachtung wurde mir von Be- kannten mitgetbeilt. Da ich mich ausschliesslich zu kräftigen, jugendlichen und vollständig männlichen Individuen hingezogen fühlte, solche aber nur in den seltensten Fällen meinen Wünschen geneigt sich zeigten, so war ich oft darauf angewiesen , mir dieselben zu erkaufen. Da meine Wünsche sich auf Personen der niederen Klasse beschränken, so fand ich stets solche, die ftir Geld zu haben waren. Ich hoffe, dass die nun folgenden Fröffnnngen Hiren Unwillen nicht wachrufen, ich wollte dieselben ursprünglich unterlassen, allein der Vollständigkeit dieser Mittheilungen halber muss ich sie beifügen, dass sie dazu dienen dürften, die Casuistik zu bereichem. Ich habe das Be- dürfnisse den sexuellen Akt folgender massen zu vollziehen:

Pene iuvenLs in os recepto, ita ut commovendo ore meo effecerim, ut is quem cupio, semen eiaculaverit, Sperma in perinaeum exspuo, femora com- primi jubeo et penem meum adversus et intra femora compressa immitto. Dum haec fiunt, necesse est, ut iuvenis me, quantum potest, amplectatur. Quae prius me fecisse narravi, eandem mihi afferunt voluptatem, acäi ipse ejacnlo. £!jacnlationem pene in anum immittendo vel manu terendo assequi, mihi nequaqum amoenum est.

Sed inveui, qui penem meum receperint atque ea facientes qaae snpra exposui, effecerint, ut libidines meae plane sint saturatae.

Bezüglich meiner Person muss ich noch Folgendes erwUhnen : Ich bin 186 cm hoch, von vollständig männlichem Habitus, und, abgesehen von einer abnormen Reizbarkeit der Haut, gesund. Ich habe sehr dichtes blondes Kopf-


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Homosexualität.


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haar, ebensolchen Kariwncbs. Meine Geschlecbtstheile sind von mittlerer Stärke and DormAl gebaut. Ich bin im Stande, ohne Ermüdung zu spüren. 4 — 6iiial innerhalb 24 Stunden den geschilderten geschlechtlichen Akt zu voilziebon. Meine Lebensweise ist sehr regelmässig. Alkohol and Tabak geniesse ich sehr niilssig. Ich spiele ziemlich gut Klavier und einige kleine Kompositionen von mir haben viel Beifall gefunden. Vor Kurzem habe ich einen Roman be- endigt, der, als Erstlingswerk, günstig in meinen Kreisen beurtheilt wird. Derselbe hat mehrere Probleme aus dem Leben der ContrUrsexualen zum Gegenstand.

Bei der gi'ossen Anzahl der mir persönlich bekannten Leidensgenossen war ich natürlich oft in der Lage, Betrachtungen über die verschiedenen Arten von Abnormitäten anzustellen, vielleicht ist Ihnen mit den nachfolgenden Mittheilungen gedient.

Das Abnormste, was ich kennen lernte, war die Gepflogenheit eines Herrn aus der Umgebung von Berlin. Is iuvenes sordidos pedes babentes aliis prae- fert, pedes eorum quasi furibundus lambit. Diesem ganx ähnlich verhält sieh ein Herr in Leipzig, qui Unguam in anura coeno iniquatum, quod ei gratis- simum est, imraittere narratur. In Paris existirt ein Herr, welcher einen meiner Freunde nöthigto ut in os ei mingat. Verschiedene sollen, wie mir bestimmt versichert wird, durch den Anblick von ReiterstiefeLn, von militäi'i- schen Uniformstücken in solche Ekstase gerathen, daes b«i ihnen spontane Samenergüsse erfolgen.

Bis zu welchem Grade Manche sich als Weib fühlen, was bei mir nicht der Fall ist, davon geben besonders in Wien zwei Persönlichkeiten ein Bei- spiel. Dieselben führen weibliche Namen; die eine ist ein Friseur, der sich die afranzObische Laura" nennt, die andere ist ein ehemaliger Metzger, der die .Selcher-Fanny* heisst. Beide versäumen im Fasehing keine Gelegenheit, um als weibliche, stets sehr outrirte Masken sich zu zeigen. In Hamburg existirt eine Persönlichkeit, von welcher manche Leute glauben, dass sie ein Weib sei. weil sie in ihrer Wohnung stets weiblich gekleidet geht, nur hie uud da das Haus, und zwar in ebensolcher Kleidung, verläs&t. Dieser Herr wollte sich sogar bei einer Taufe als Pathin ausgeben und erregte hierdurrh einen riesigen Skandal.

Weibliche Untugenden, Klatschsucht, Unzuverlässigkeit, Charakterschwäche sind bei derartigen Individuen Regel.

Es sind mir mehrere Fälle von perverser Geschlechtsrichtung bekannt, bei welchen Epilepsie und Psychosen vorbanden sind; auffallend oft besteben Hernien. In der Praxis wendeten sich, da ich von Freunden empfohlen wurde, mehrere Personen mit Erkrankungen des Anus an mich. Ich sab zwei syphi- litische und einen localen Schanker, mehrere Fissuren und behandle gegen- wärtig einen Herrn mit spitzen Condylomen am Anus, welche eine fast faust- grosse, blumenkohlfrirmige Geschwulst bilden. Einen Fall von primärer Affection des weichen Gaumens sah ich in Wien bei einem jungen Mann, der als Frauen- zimmer verkleidet Maskenbälle besuchte und dort junge Männer obseits lockte. Er gab dann vor, die Periode zu haben, und brachte es so zu Wege, dass die Anderen ihn per os benutzten. Er soll auf diese Weise einmal 14 Leute ge- ködert haben an ein und demselben Abend. Da ich in keiner der mir zu Gesicht gekommenen, auf conträren Sexualismus bezüglichen Veröffentlichungen über den Verkehr der Päderasten unter einander etwas fand, so möchte ich Ihnen zum Schlnss noch Einiges mittheilen.

Sobald Cooträrsexualisten mit einander bekannt werden, findet ein aus- führlicher Austausch ihrer bisherigen Erlebnisse, Liebschaften und £robei*ungen statt, soweit eine solche Unterhaltung durch die gesellschaftlichen LTnierschiede beider nicht ausgeschlossen ist. Nur in ganz wenigen Fällen unterblieb diese Unterhaltung mit neuen Bekannten, Unter einander bezeichnen sich die Coo- trärsexualisten als , Tanten", in Wien als »Schwestei-n*, und zwei sehr männlich


244 Contrare Sexualempfindung.

aussehende Wiener öffentliche Dirnen, die ich zui^llig kennen lernte und die zu einander in couträrsoxualer Beziehung standen, erzählten mir, dass für die entsprechende Erscheinung bei Weibern der Name „Onkel* gebräuchlich ist. Ich bin, seit ich mir meines abnormen Triebes bewusst bin, mit weit über tausend Gleichgearteten in Berührung getreten. Fast jede griissere Stadt besitzt irgend einen Versammlungsort, sowie einen sogen. Strich. In kleineren Städten finden sich verhältniasmässig wenige , Tanten', doch fand ich in einem Städtchen von 2300 Einwohnern 8, in einem von 7000 Einwohnern 18, von denen ich es ganz sicher wusste, ganz abgesehen von denen, die ich im Verdacht hatte. In meiner Vaterstadt von etwa 30000 Einwohnern sind mir etwa 120 .Tanten" persönlich bekannt. Die meisten, ich speziell in höchstem Grade, besitzen die Fähigkeit, sofort einen Anderen zu beurtheilen, ob er gleichartig ist oder nicht, wie es in der „Tantensprache" heisst, »vernünftig oder unvernünftig*. Meine Bekannten erstaunten oft darüber, wie gross die Sicherheit meines Blickes hiertür ist. Scheinbar ganz männlich organisirte Individuen erkannte ich auf den ersten BHck als , Tanten*. Andererseits besitze ich die Fähigkeit, der- massen männlich mich zu benehmen, dass in Kreisen, in welchen ich durch Bekannte empfohlen war, schon Zweifel an meiner .Echtheit*' laut wurden. Wenn ich in der Laune dazu bin, kann ich mich vollständig wie ein Frauen- zimmer benehmen.

Da die meisten .Tanten*, auch ich, ihre Abnormität keineswegs als Unglück empfinden, sondern bedauern würden, wenn dieser Zustand sich ändern würde, da ferner der angeborene Zustand nach meiner und aller Anderen Ueberzeugung nicht beeinflussbar ist, so geht unser ganzes Hoffen darauf hin, dass es zu einer Abänderung der bezüglichen Strafgesetzparagraphen kommen möge, in dem Sinne, dass nur Nothzucht oder Erregung ilffentlichon Aerger- nisses, wenn diese gleichzeitig zu constatiren sind, als straffUllig erachtet werden sollen.


3) Effeminatio.

Zu dieser Stufe finden sich mehrfache Uebergange aus der vorigen, charakterisirt durch das Mass, in welchem die psychische Persönlichkeit, sppciell ihre gesammte Gefühlsweise und ihre Neigungen, von der ab- normen goschlechtlicheu Empfindungsweise beeinflusst sind. Ausgebildete männliche Fälle der 3. Gruppe fühlen eich weiblich dem Manne gegen- über. Diese Abnormität in der Qefühlsweise und in der charakterologischen Entwicklung zeigt sich vielfach schon in den Kinderjahren. Der Knabe liebt es, in Gesellschaft kleiner Mädchen zu verweilen, mit Puppen zu spielen, der Mama in der Besorgung der Hausgeschäfte zu helfen; er schwärmt für Kochen, Nähen, Sticken, entwickelt Geschmack in der Aus- wahl von weiblichen Toiletten, so dass er sogar darin der Rathgeber seiner Schwestern werden kann. Herangewachsen verschmäht er Rauchen, Trinken, männlichen Sport, findet dagegen Gefallen an Putz, Schmuck, Kunst, Belletristik u. 8. w., bis zur Schöngeisterei. Insofern das Weib derartige Richtungen vertritt, zieht er es vor, in DamengesellHchnft zu verkehren.

Kann er bei einer Maskerade in weiblicher Rolle erscheinen, so ist dies seine höchste Lust. Dem Geliebten sucht er zu gefallen, indem er


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Kffeminatio.


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so zu sagen instinktiv das zu bieten anstrebt, was dem weibliebenden Manne am anderen Geschlecht gefällt — ZUchtigkeit, Anmuth, Sinn für Aesthetik, Poesie u, a. w. Vielfach zeigen sich auch Bestrebungen, in Gang, Haltung, Zuschnitt der Kleider sich der weiblichen Erscheinung zu nähern.

Was die sexuellen Gefühle und Triebe dieser auch im ganzen psychischen Wesen mitbetroffenen Urninge betrifft, so fühlen sie sich aus- nahmslos in weiblicher Kolle dem Mann gegenüber. Sie fUhlen sich dem- gemäss abgestossen ron gleichgearteten Personen des eigenen Geschlecht«, da diese ja ihre Concurrenten sind, dagegen hingezogen zu einfach Homo- sexualen oder sexuüU Normalen ihres eigenen Geschlechts. Dieselbe Eifer- sucht, welche im normalen sexuellen Leben vorkommt, findet sich auch hier, wenn ihrer Liebe Concurrenz droht, ja, da sie sexuell meist hyper- ästhetisch sind, ist diese Eifersucht oft eine grenzenlose.

Bei vollkommen entwickelter conträrer Sexualität erscheint hetero- sexuale Liebe als eine ganz unverständliche Sache, ein sexueller Verkehr mit einer Person des anderen Geschlechts undenkbar, unmöglich. Ein bezüglicher Versuch scheitert an der eine Erection unmöglich machenden Henimungsvorstellung des Ekels, selbst Grausens. Nur zwei Üebergangs- fiille zur '^, Kategorie aus meiner Casuistik vermochten unter Zuhülfe- nahuie ihrer Phantasie, indem sie sich das betreffende Weib als Mann dachten, zeitweise zu cohabitiren, aber der fQr sie inadäquate Akt war ihnen ein grosses Opfer und ohne jeglichen Qenuss.

Im homosexualen Verkehr fühlt sich der Effeminirte beim Akt immer als Weib. Die Praktiken desselben sind bei reizbarer Schwäche des Eja- culationscentrums einfach Succubus oder Coitus passiv inter femora, andern- falls passive Masturbation oder ejaculatio viri dilecti in ore. Manche sehnen sich nach passiver Päderastie. Gelegentlich kommt Wunsch nach aktiver vor. In einem bezüglichen Versuche stand der Betreffende davon ab, weil ihn Ekel bei dem ihn an Coitus erinnernden Akt erfasste.

Nie bestand Inclination zu unreifen I^ersonen (Knaben- liebe!). In nicht seltenen Fällen blieb es bei platonischen Neigungen.

Beobachtung 122. Autobiographie. Nachstehend erbalten Sie die Schilderung des Charakters, sowie des seelischen und gescblochtlichon Em- pfindens eines Urnings, d. h. eines Individuums, welches trotz seines mUnnlichen Körperbaues durchaus weiblich fühlt, dessen Sinne die Weiber nicht im Min- desten erregen und dessen sexuelles Sehnen sich stets auf MUnner richtet.

Von der Ueberzea^ng durchdrungen, dass das Räthsel unseres Daseins nur durch vorurtheilslos denkende Mfinnor der Wissenschaft j^olOst oder min- destens beleuchtet werden kann, schildere ich meinen Lebenslauf einzig und allein in der Absiebt, hierdurch vielleicht etwas zur Erhellung dieses grau- samen IrrthuTOS der Natur beizutragen und so möglicher Weise meinen Schick- salsgenossen späterer Generation von Nutzen sein zu können; denn Urninge wird es geben ^ so lange Mensehen geboren werden , gleichwie es eine unfehl- bare Tbatsache ist, dass solche in jedem Zeitalter existirten. Doch mit dem


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Conträre Scxualempfiniiung.


Vorscbreiten der wissfinsohal'Uicbeo Bildung nnserer Epoche wird man in mir und meinesgleichen nicht Hassen swertbe, sondern Bedaaernswürdige erblicken, die nie die Verachtung, sondern weit eher das höchste Mitleid ihrer glück- lichen Nebenmenschen verdienen. Ich werde mich in meinen Mittheilungon der luoftlicbsten Kürze, sowie der strengsten Objectivitftt befleissigen nnd bemerke bezüglich meines drastischen, oft sogar cynischen Styls, dass ich vor allem wahr sein will, daher starken Ausdrücken nicht aus dem Weg'e gebe, weil diese den von mir erörterten Gegenstand am treffendsten charakterisireo.

Ich bin 34 '/i Jahre alt, Kaufmann mit massigem Einkommen, etwas über Mittelgrösse, mager, habe keine starken Muskeln, ein vollbärtiges, ganz gewöhnliches DutzendgesJcht und unterscheide mich auf den ersten Anblick in nichts von wirklichen Mttnnern. Dagegen ist der Gang weibisch, uamentürh bei raschem Gehen tänzelnd, die Bewegungen eckig und ungefällig, jeglicher männlichen Anmnth entbehrend. Das Sprachorgan ist weder weibisch noch sehrill, eher von barv-tonaler Klangfarbe.

Dies mein Äusserer Habitus.

Ich rauche und trinke nicht, kann weder pfeifen, reiten, turnen, fechten noch schiessen , interessire mich gar nicht für Pferde oder Hundo und habe nie ein Gewehr oder einen Säbel in der Hand gehabt. Im inneren Empfinden und geschlechtlichen Verlangen bin ich voUstündig Weib. Ohne jede tiefert«  Bildung — ich absolvirte bloss fünf Gjmnasialklasseu — bin ich gleichwohl intelligent, lese gern gut geschriebene, gediegene Bücher, verfuge über gesundes Urtheil, lasse mich aber stets von der momentanen Stimmung fortreissen und bin von Jedem, der meine Schwächen kennt und sie auszunützen versteht, leicht la behandeln oder zu capacitiren. Stets Entschlüsse fassend, finde ich nie die Energie, diese auszuführen, bin nach Weiberart launenhaft und nervös, oftmals , ohne jeden Grund gereizt, zuweilen boshaft und Personen gegenüber, die noir nicht zu Gesichte stehen, oder denen ich etwas nachtrage, arrogant» ungerecht, oft sogar in anverschämter Weise verletzend.

In meinem ganzen Thun und Lassen bin ich oberflächlich, oft leicht- fertig, kenne kein tieferes sittliches Gefühl, hege wenig Zärtlichkeit für Eltern nnd Geschwister, bin nicht egoistisch, bei Gelegenheit aufopferungsfiihig, kann Thränen nie widerstehen und bin durch liebenswürdiges Entgegenkommen oder inniges herzliches Bitten — nach Weiberart — für Alles zu gewinnen.

Schon in meinen früheien Lebensjahren zog ich mich von den Krie^- spielcn, Turnübungen oder Kaufereien meiner männlichen AJtersgenossen zurück, trieb mich stets mit kleinen Mudchen hemm, mit denen ich viel besser als mit Knaben sympathisirte, war schüchtern, verlegen und oft erröthend. Bereits mit 12 — lli Jahren verursachte mir die struffsitzende Uniform eines hübschen Soldaten die sonderbarsten Beklemmungen : nnd während in den nächsten Jahren meine Schulgenossen stetes von Mädchen plauderten, wohl auch schon kleine Liebeleien begannen, war ich im Stande, einem kraftvoll gebauten Manne luit gut entwickelten , üppigen Posteriora stundenlang nachzugehen und mich an diesem Anblick zu berauschen.

Ohne über diese — von den Empfindungen meiner Kameraden so sehr verschiedenen — Eindrücke viel nachzudenken, begann ich zu onaniren, dabei stets an heldenhaft gebaute, fesche Gestalten denk.-nd. bis ich in meinem 17. Jahre von einem Schicksatsgenossen über meinen wahren Zustand auf- geklärt wurde. Seit damals habe ich wohl 8— lOmal mit Madchen zu thun gehabt, mussbe jedoch, um die Erection hervorzurufen, stets an ein mir be- kanntes schönes männliches Individuum denken, und bin der festen üeber- aeugung, dass ich heute, selbst mit Zuhilfenahme meiner Phantasie, nicht im Stande wäre, ein Mädchen m gebrauchen. Kurz nach memer Entdeckung ver- kehrte ich am liebsten mit bejahrten, kräftigen Ummgon. da ich zu jener Zeit weder Verstand noch Gelegenheit hatte, mit wirklichen Männern umzupehen. Seither hat sich jedoch mein Geschmack vollständig geändert, und nur Männer,


Effeminaiio.


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wirkliche Männer, im Alier von 25 — 35 Jahren, mit elastischen, kräftigen Formen sind es, die meine Sinne aufs Höchste erregen and deren Reize mich ganz so entzüoken, als wäre ich ein wirklicheä Weib. Diu Verhültnifise liegea hier derart, dass ich mir im Laufe der Jahre etwa ein Dutzend Mttnner- bekanntschafteu acquiriren konnte, die gegen ein Honorar von 1 — 2 Gulden per Besuch meinen Zwecken dienen. — Bin ich mit 60 einem schmucken Jungen im versperrten Zimmer allein, gewährt es mir vor Allem das grösste Vergnügen, tiiembrum ejus vel maxime si magnum atque crassum est, manibus capere et ftpprebendere et premere , turgentes nates femoraque t&ngere atque totum corpus manibus contrectare et, si concedttur, os faciem atque totum corpus, immovero nates, nrdcntibus osculis obtegere. Quodsi membrum magnum pu- nimquB est, dominusque ejus mihi placet, ardente libidine mentulam ejus in OS meum reoeptam comptures horos sugere possum, neque autem delector, fii semen in os raeum ejaculatur, cum maxima eorum qui «Urninge^ nominautur pars hac re non modo delectatur, sed etiam semen nonnunquam devorat.

Die intensivste Wollust jedoch emptinde ich, wenn ich auf einen derart dressirten wii-klicheu Mann treffe, qui membmm meum in os recipit et erec- tionem in ore sno concedit,

^ unwahrscheinlich es klingt, so ßnde ich dennoch immer einige fesche Kerle, die sich für ein Douceur hierzu brauchen lassen. Diese lernen die Os- Dühichte gewöhnlich beim Militär kennen, da die Urninge wissen, dass man dort iur Geld am willftlhriRsten ist, und wenn der Bursche einmal dressirt ist, wird er manchmal durch Umstünde veranlasst, die Sache trotz seiner Leiden- schaft llirs weibliche Geschlecht auch weiter mitzumachen.

Urninge lassen mich mit einzelnen Ausnahmen kalt, weil mich alles Weibische in höchstem Grade abstösst. Dennoch gibt es unter ihnen einige, die mich ganz so entzücken ktinnen wie ein wirklicher Mann und mit denen ich ans dem Grunde noch lieber verkehre, weil sie zuweilen meine glübeuden Liebkosungen ebenso leidenschaftlich erwidern. Im t^te-ffc-töte mit einem der- artigen Individuum lege ich meinen erregten Sinnen keine Fesseln an, gestatte meinen tbierischen Instinkten freies Austoben : osculor, premo, amplector eom, Hnguam meam in os ejus immitto; ore cnpiditate tremente ejus labrum superius sugo, faciem meam ad ejus nates adpono et odore voluptari e natibus emanente volaptate obstupescor. Wirkliche Männer in stramm sitzender Uniform machen den grfissten Eindruck auf mich, und habe ich Gelegenheit, einen solchen Prachtkerl zu umarmen und zu küssen, zieht dies bei mir die sofortige £ja- culation nach sich, was ich namentlich meinem häufigen Onaniren zuschreibe. Denn dies tbat ich hauptsächlich in früheren Jahren sehr oft. fast jedesmal, wenn ich einen mir gefallenden festen Kerl sab. dessen Bild mir dann während des Onanirens vor Augen schwebte. Dabei ist mein Geschmack keineswegs difäüil, etwa wie derjenige eines Dienstmädchens, das sich in einem strammen Dragonerwachtmeister ihr Ideal erträumt. Schönes Gesieht ist wohl eine an- genehme Beigabe, zum Entdammen meiner sinnlichen Gefühle jedoch keines* iwegs ouerlKsslich, die Hauptsache aber bleibt: vir inferiore corjjoris parte robusta et bene formosa, turgidis femoribus durisque natibus, während der Oberkörper schlank sein kann. Ein starker Bauch disgustirt mich, sinnlicher Mund mit frischen Zähnen regt mich aufs Prickelndste an, und hat ein solches Individuum ausserdem ein membrum pulcbrum magnum et aequaliter for- matum, so sind alle meine — auch weitestgehenden — Ansprüche vollauf befriedigt.

Bei mir gefallenden, mich leidenschaftlich erregenden Männern erfolgte die Ejaculation in früheren Jahren T» — 8mal während einer Nacht, anch jetsst n<»ch 4 — 6mftl, da ich ungewöhnlich sinnlich veranlagt bin, und mich beispiels- weise schon das Säbelklirren eines flotten Husaren erregen kann. Dabei besitze ich eine sehr lebhafte Phantasie, denke fast in allen unbeschäftigten Stunden an schone Männer mit starken Gliedern und würde mit Entzücken zuschauen,


Conträre Sexnaiempfindong.


wenn ein von Kraft strotzender fester Kerl magna mentola praeditiu me praeseiite poellam fatnat; mihi persnasum est, fore nt hoc adspeetn sensns mei vehementissima pertnrbatione afficiantor et dum fatnit corpns adolescentis pulchri tangam et, si liceat, ascendam in eum dam cum pnella concnmbit atqae idem cum eo faciam et membmm menm in eins anom immittam. An der Aosf&hning dieser cjnischen Pläne — von denen meine Gedanken sehr oft erffiilt sind — bindern mich derzeit nur meine beschränkten finanziellen Mitt«l, fonst hätte ich diese längst verwirklicbt

Militär übt den grössten Zauber aaf mich aas . doch habe ich aosser* dem ein besonderes Faible für Fleischhauer, Fiaker. Fuhrwerklente, Circus- reiter und SchiSscapitäne, doch müssen diese alle elastisch and kraftvoll ge- baut sein. Urninge sind mir für intimen FreundschafLsrerkehr verhasst, wie ich gegen den grössten Theil derselben eine mir unerklärLicbet ganz ungerecht- fertigte Ayersion hege. Auch habe ich mit einer einzigen Ausnahme nie zu einem Urning in ganz innigem Freundschaftsverhältniss gestanden. Dagegen knöpfen mich die herzlichsten langjährigen Beziehungen an einige gleichartige Männer, in deren Gesellschaft ich mich sehr wohl fühle, mit denen ich aber geschlechtlich nie verkehrte und die von meinem Zustand keine Ahnung haben.

Gespräche über Politik, Volkswirthscbaft, wie überhaupt jede Erörterung eines ernsten Themas sind mir verhasst, dagegen schwatze ich mit ziemlichem VerständnisB und besonderer Vorliebe übers Theater. In Opern sehe ich mich selbst auf der Bühne, fohle mich vom Beifall des mich fetirenden Publikums umbraust und würde mit Vorliebe passive Heldinnen darstellen oder dramatische Frauenrollen singen.

Der interessanteste Gespi^hsstoff f^ mich und meine Schicksalsgenossen sind aber stets unsere — Männer; dieses Thema ist für uns unerschöpflich; die geheimsten Keize derselben werden auls Minutiöseste gescbitdert, mentulae aestimantur, qnanta sint magnitudine, quanta crassitudine; de forma earnm atque rigiditate conferimus, alter ab altero cognoscit cuius semen celerius, GuiuB tardius ejaculetur. Ich erwähne noch, dass von meinen vier Brüdern der eine sich zu urningischen Zwecken brauchen liess, ohne selbst ein Urning zu sein, und sind alle vier leidenschaftliche Frauenfreunde, die fortwährend geschlechtliche Excesse verüben. Die Genitalien der Männer unserer Familie sind ausnahmslos stark entwickelt.

Zum Schlüsse wiederhole ich die Worte, mit denen ich diese Zeilen begann. Ich konnte meine Ausdrücke nicht wählen, weil es mir darum zu tbun war, in Vorliegendem das Material zur Studie einer urningischen Existenz zu liefern, wobei es in erster Linie auf absolute Wahrheit ankommt. Diesem Umstände bitte ich die zahlreichen Cynismen zu gute zu halten.

Im October 1^90 stellte sich mir der Schreiber vorstehender Zeilen vor. 8ein Aeusseres entsprach im Wesentlichen seiner Schilderung. Genitalien gross, reich behaart. Eltern seien nervengesuud gewesen , ein Bruder habe sich erschossen wegen Nervenleidens, drei andere seien hochgradig nervös. Patient besucht mich in verzweifelter Stimmung. Er ertrage ein solches Leben nicht mehr, denn er sei angewiesen auf den Verkehr mit käuflichen Männern, ver- möge bei seiner extremen sinnlichen Veranlagung nicht Abstinenz zu Üben und könne auch nicht begreifen, wie er weibliebend und zu edleren Freuden des Lebens fUbig gemacht werden könnte. Habe er doch schon mit 13 Jahren muinmännlich empfanden.

Er ft^hle sich durchaus als Weib und sehne sich nach Eroberungen bei Männern, die nicht Urninge sind. Wenn er mit einem Urning zusammen sei, so sei es geradeso, wie wenn zwei Frauenzimmer zusammen wären. Er möchte lieber geschlechtslos sein, als so weiter zu cxistiren. Ob denn nicht Castrution für ihn erlösend wäre?

Ein Versuch der Hypnose erzielt bei dem höchst erregten Patienten nur gan» leichtes Engourdissement.


KfTexnin&Ho.


249


Beobachtung 123. B., Kellner, 42 Jahre, ledig, wurde mir von seinem Bausarzt, in den er vorliebt war. als an contrürer Sexualenipfindang leidend Eingeschickt. B, gab bereitwillig, in decenter Weise, Auskunft über Vita ante- acta und speciell sexnalis, froh, endlich einmal eine autoritative Auskunft über seine sexuellen Zustände zu bekommen, die ihm von jeher krankhaft erschienen seien.

B. weiss von seinen Grosseltern nichts zu berichten. Der Vater sei ein jähzorniger, aufgeregter Mann gewesen, Potator, von jeher sexuell sehr bedürftig. Nachdem er 24 Kinder mit derselben Frau erzeugt, habe er sich von ihr scheiden lassen, und noch 3mal seine Wirthscbafterin gesehwilngert. Die Mutter sei gesund gewesen.

Von den 24 Geschwistern seien nur noch 6 am Leben, mehrere nerven- krank, aber nicht sexuell abnorm, bis auf eine Schwester, die von jeher mann- snchtig sei.

B. will von Kindesbeinen au kr&nklicb gewesen sein. Schon mit S Jahren rSei sein Geschlechtsleben erwacht. Kr hab« masturbirt und sei auf die Idee yerfallen, penem aliorum puerorum in os arrigere, was ihm grossen Genuss gewährt habe. Mit 12 Jahren fing er an, sich in MUnner zu verlieben, am meisten in solche in den 30er Jahren mit Schnurrbart. Schon damals sei sein sexuelles Bedürfniss sehr entwickelt gewesen und habe er Erectionen und Pollutionen gehabt. Von da an habe er wohl täglich masturbirt und sich dabei einen geliebten Mann gedacht. Sein Höchstes sei aber gewesen penem viri in OS arrigere. Dabei habe er unter grösster Wollust Ejaculation be- kommen. Nur etwa 12mal sei ihm dieser Genuss bisher zu Theil geworden. Ekel vor dem Penis Anderer habe er bei ihm sympathischen MUnnern nie empfunden, im Gegentheil. Offerten zur Päderastie, die ihm sowohl aktiv als passiv höchst ekelhaft sei, habe er nie acceptirt. Beim perversen Geschlechts- akt habe er sich immer in der Holle des Weibes gedacht. Seine Verliebthoit in ihm sympathische Männer sei grenzenlos gewesen. Alles hätte er für seine Geliebten tbuu mögen. Er habe vor Aufregung und Wollust gezittert, wenn er ihrer nur ansichtig wurde.

Mit 11* Jahren liess er sich von Kameraden öfters verführen, ins Lupanar mitzugehen. Er habe nie Sposs am Coitns gehabt und nur im Moment der Ejaculation eine Befriedigung verspürt. Um Erection beim Weib zu bekommen, habe er sich immer einen geliebten Mann beim Akt vorstellen müssen. Am liebsten wäre es ihm gewesen, wenn das Weib immissio penis in os ge- stattet hätte, was ihm aber immer versagt blieb. Faute de mieux habe er Coitus geübt, sei sogar zweimal Vater geworden. Das letzte Kind, ein MHdchen von S Jahren , fange bereits an , Masturbation und mutnelle Onanie zu treiben, was ihn als Vater sehr betrübe. Ob es denn dagegen keine Ab- hülfe gebe?

Patient versichert, dass er sich Männern gegenüber immer in einer weib- lichen KoUe (auch bei sexuellem Verkehr) gefühlt habe. Er habe sich immer gedacht, seine sexuelle Perversion sei dadurch entstanden, dass sein Vater, als er ihn zeugte, ein Mädchen zeugen wollte. Seine Geschwister haben ihn auch immer wegen seiner weiblichen Manieren verspottet. Zimmerauskehren, Abwaschen sei ihm immer eine angenehme Beschäftigung gewesen. Man habe auch seine Leistungen in dieser Richtung vielfach bewundert und gefunden, dass er geschickter sei als manches Mädchen. Wenn er je konnte, verkleidete er sich als Mädchen. Im Fasching erschien er auf Bällen in weiblicher Maske. Das Kokettiren bei solcher Gelegenheit sei ihm trefflich gelungen, weil er eine weibliche Natur habe. •

Zum Trinken, Hanchen, männlicher Beschäftigung und Vergnügung habe er nie recht Last gehabt, dagegen Nähen mit Leidenschaft betrieben und als Junge wegen beständigem Spielen mit Puppen oft Schelte bekommen. Sein Interesse im Circus oder Theater nahmen nur Männer in Anspruch. Er konnte


250


C<mtdTe



oft d«m Drang oicfat widerstehen, in Piasoirs beromzolangero. am miimlidMr GttiitalieB aancbtig zu werden.

All weiblicbeü Heizen habe er nie Gefallen gefundeD. Coitns sei Üub nnr geloogen, wenn er sich einen geliebten Mann dachte. Nftchtüche PoUu- tionen worden immer dorcb laficive . Männer betreffende Traomsitoatiooeo aofl^löst.

Trotz vielfaither seraeller Excesse hat B. nie an Nenrastbenia saToalis gelitten ond sind überhaupt keine Symptome von Xeorasthenie an ihm nach- weisbar.

Explorat ist zart, hat spärlichen Backen- nnd Schnurrbart, der ihm erst im 28. Jahr gewachsen sei. Sein Aensseres, aasgenommen leicht wiegender Gang, bietet nichts, was anf eine weibliche Natur hindeuten würde. Er ver- sichert, dass man seinen weibischen Gang schon oft bespöttelt habe. Sein Benehmen ist ein b&cbst decentee. Die Genitalien sind gross, gut entwickelt, ganz normal, dicht behaart, das Becken ist männlich. Der Schädel ist rhachi- tisch, leicht hydrocephal, mit ansgebaachten Pahetalbeinen. Der Gesichts- Schädel ist aofTallend klein. Explorat behauptet, dass er leicht reiibar, ra Zorn geneigt sei.

Beobachtung 124. Taylor hatte eine gewisse Eli.se Edwards, 24 Jahre alt, zu exploriren. Es stellte sich heraus, doss sie männlichen Geschlecht«  war. E. hatte seit dem 14. Jahr Weiberkleider getragen, war auch als Schau- spielerin aufgetreten, trug das Haar lang and nach Weibersitte in der Mitte getheilt. Die Oesichtsbildong hatte etwas Weibliches, im üebrigen war der K/irper ganz männlich. Der Bart war sorgflLltig ausgezupft. Die männlichen, kräftig und gut entwickelten Genitalien waren am Bauch durch eine kunst- volle Bandage nach aufwärts fixirt.

Der Befnnd am Anns deutete anf passive Päderastie. (Taylor. Med. jnrispmdence 1873. II. p, 28*1. 473.)

Beobachtung 125. Eine eigenthümliche Erscheinung im Sinne der c<jatrSreu Sexualempündung bot ein Beamter in mittleren Jahren, e:eit mehreren Jahren glücklicher Familienvater und mit einer braven Frau verheirathet.

Durch die Indiscretion einer Prostituirten kam eines Tages folgende Skandalgeschichte an die Oeffentlichkeit. X. erschien etwa alle H Tage im Lopanar, costümirt« sich dort als Weib, wobei eine Weiberperöcke nicht fehlen durfte. Nach beendigter Toilette legte er sich auf ein Bett und liess sich von der Prostituirten masturbiren. Er zog es aber bei Weitem vor, wenn er eine männliche Person (Hausknecht des Lupanar) gewinnen konnte. Der Vater dieses Mannes war hereditär belastet, mehrmals irrsinnig gewesen, mit Hyper- und Paraesthesia sexualis belastet.


4) Androgyne.


In fliessenden Uebergängen zur vorigen Gruppe ergeben sich conträr Sexuale« bei denen nicht nur der Charakter und das ganze Fühlen der abnormen Geschlechtaempfindung congruent sind. Hondern sogar in Skelet- bildung, Gesichtstypus, Stimme u. s. w., überhaupt in antliropologischer, nicht bloss in pgychischer und psychosexualer Hinsicht das Individuum sich dem Geschlecht nähert, welchem dasselbe sich der Person des eigenen Geschlechts gegenüber zugehörig fühlt. Offenbar stellt diese selbst anthro- pologische Ausprägung der cerebralen Anomalie eine besondei*s hohe


tt


A



A^drogyn<^


251


Stufe der Entarfcung dar; dass aber diese Abweichung auf gunz anderen Bedingungen baairt als die teratologischen Erscheinungen der Herm- aphrodisie in anatomischem Sinne, ergibt sich klar daraus, dass niemals bis jetzt im Gebiet der conträren Seiualemptindung Uebergänge zur hermaphroditischen Verbildung der Genitalien gefunden wurden. Die Genitalien dieser Leute erwiesen sich immer geschlechtlich vollkommen ditl'ereuzirt, wenn auch nicht selten mit anatomischen Degenorntions- zeichen (Epi-Hypospadie u. s. w.) behaftet, im Sinne von Entwicklungs- hemmungen geschlechtlich Übrigens wohl differenzirter Organe.

Bezüglich dieser interessanten Gruppe von Weibern in Männer- kleidung mit männlichem Genitale maugelt es noch an ausreichender Oasuistik. Jeder erfahrene Beobachter seiner Mitmenschen erinnert sich wolil au männliche Existenzen, deren weibischeH Wesen und weiblicher Typus (breite Hüften, runde Formen durch reichliche Fettentwicklung, fehlende oder höchst spärliche Bartentivicklung, mehr weibliche Gesichts- züge, feiner Teint, Fistelstimme u, s. w.) höchst auffallend war.

Es scheint auch, dass bei Individuen der 4. Gruppe, sowie bei ein- zelnen der 3, im Uebergang zur 4. geschlechtliches Schamgefühl nur der Person des eigenen, nicht aber der des entgegengesetzten Geschlechts gegenüber vorhanden ist.

Beobachtung 126. Androgynie. Herr v. H., 30 Jahre alt, ledigen Standes, stammt von einer neuropathisohen Mutter. Nerven- und Geisteskrank- heilen sollen in der Familie des Kranken nicht vorgekommen und der einzige Bruder desselben geistig und kürperUch vollkommen normal sein, Patient soll sich körperlich spüt entwickelt haben nnd deshalb mehrfach in Seebädern und klimatischen Curorten gewesen sein. £r war von Kindesbeinen an von neuro* patbischer Constitution nnd nach dem Zeugniss seiner Verwandten nicht wie andere Knaben. Früh fiel seine Abneigung gegen mHnnliche Beschtlftigung und seine Vorliebe für weibliche Spielereien auf. So verabscheute er alle Knabenspiple und gymnastischen Uebnngen, während das Spiel mit Puppen und weibliehe Arbeiten fUr ihn besonderen Reiz hatten. Patient entwickelte sich in der Folge körperlich gut, blieb frei von schweren Krkrankungen, aber geistig blieb sein Wesen abnorm, einer ernsteren Lebensauffassung nnzugftnglich und von entschieden weiblicher Gefühls- und Gedankenrichtung.

Im 17. Lebensjahr /.eigten sich Pollutionen, die gehäuft, schliesslich auch bei Tage auftraten, den Kranken schw&chten und mannigfache nervöse Störungen hervorbrachten. Es entwickelten sich Erscheinungen von Neor- asthenia «pinalis, die bis auf die letzten Jahre fortdauerten, mit dem Seltener- werden der Pollutionen aber sich verminderten. Onanie wird in Abrede ge- stellt, ist aber sehr wahrscheinlich. Eine schlaffe, weichliche, träumerisohe Gedankenrichtun^; machte sich .seit der Pubertätszeit immer mehr bemerklich. Vergebens waren die Bemühun^^en, den Kranken zu einem eigentlichen Lebens- beruf zu bringen. Seine intellektuellen Punktionen, wenn auch formal ganz ungestört, erhoben sich nicht zur Höhe wirksamer Leitmotive eine? selbst- ständigen Charakters und hüberer Lebensanschaunngen. Er blieb nnselbst- stöndig, ein grosses Kind, und nichts bezeichnete deutlicher seine oripnär abnorme Artung, als eine thatsüchliche UnfUhigkeit, mit Geld umzugehen und sein eigenes Geständniss« daas er für eine geordnete, vernünftige Geldgebahrung


252


Conträre Sexuolempfindun^.


kein Verstandniss habe, und sobnid er Gold besitze, dasselbe für Antiquitäten, Toilettegegenstände u. dgl. Allotria verausgebe.

Ebenso wenig flifaig wie zu einer vernQDftigen tieldwirthscbaft erschien Patient zur Erringung einer socialen Existenz, ja nur zur Einsicht in deren Bedeutung und Werth.

Er lernte nichts Ordentliches, verbrachte seine Zeit mit Toilette und künstlenscfaen Tändeleien, namentlich mit Malen, wozu er eine gewisse Be- fähigung zeigte, aber auch hierin leistete er nichts, da es ihm an Ausdauer fehlte. Zu einer ernsten Gedankenarbeit war er nicht za bringen, er hatte nur Sinn für Aeiisserlichkeiten, war immer zerstrent, von ernsten Dingen gleich gelangweilt. Verkehrte Streiche, sinnlose Reisen, Ucldverschwenden, Schalden- machen kehren in seinem ferneren Leben immer wieder, und selbst für diese positiven Fehler seiner Lebensführung fehlte ihm das Verständniss. Er war eigenwillig, untraitabel und that nirgends gut, sobald man nur den Versuch machte, ihn auf eigene Füsse zu stellen und ihn selbst seine Interessen wahr- nehmen zu lassen.

Mit diesen Erscheinungen einer orginär abnormen und defectiven psychi- schen Artung gingen bemerkenswerthe Zeichen einer perversen geschlechtlichen Empfindung einher, die auch in dem somatischen Habitus des Patienten an- gedeutet sich vorfinden. Patient fühlt sich geschlechtlich als Weib dem Manne gegenüber und empfindet Zuneigung zu Personen des eigenen Geschlechts, bei Gleichgültigkeit, wenn nicht geradezu Abneigung gegen Personen des weiblichen. Er will zwar im 22. Jahr mit Weibern geschlechtlich verkehrt and in nor- maler Weise den Beischlaf ausgeübt haben, aber theils wegen Steigerung der neorastheuischen Beschwerden jeweils nach dem Coitus, theils aus Angst vor Ansteckung, wesentlich aber aus mangelnder Befriedigung will er sich bald vom weiblichen Geschlechte abgewandt haben. Ueber seine abnorme sexuelle Loge ist er sich nicht ganz klar; einer Hinneigung zum männlichen Ge- schtechte ist er sich bewusst, gesteht aber verschämt nur zu, doss er gewissen männlichen Personen gegenüber ein beseligendes Gefühl der Freundschaft empfinde, ohne doss sich ein sinnliches Gefühl beigeselle. Das weibliche Ge- schlecht perhorrescirt er gerade nicht, er könnte sich sogar entschliessen , ein Weib, das ihn durch gesinnangsverwandte künstlerische Neigungen anzöge, zu heirathen — wenn ihm nur die ehelichen Ptlichten, die ihm unangenehm wären and deren Leistung ihn matt und schwach machen, erlassen blieben. Dass Patient schon mit Männern geschlechtlich verkehrt habe, stellt er in Abrede, aber sein Errüthen und seine Verlegenheit dabei, noch mehr ein Vorfall in N., wo Patient vor einiger Zeit im Gasthaus geschlechtlichen Umgang mit jungen Leuten versucht und einen Skandal provocirt hat, strafen ihn Lügen.

Auch die äussere Erscheinung, Habitus, Körperbau, Gesten, Manieren, Toilette sind auffUllig und erinnern entschieden an weibliche Formen und Verhältnisse. Patient ist zwar über mittlerer Grösse, aber Thorax und Becken sind von entschieden weiblicher Bildung. Der Körper ist fettreich, die Haut wohlgepflegt, zart, weich. Dieser Eindruck eines Weibes in männlicher Kleidung wird gesteigert durch den spärlichen Haarwuchs im Gesicht, der zudem bis auf ein Schnurrbärtchen rasirt. ist, den tänzelnden Gang, das schöchterre, gezierte Wesen, die weiblichen Züge, den schwimmenden nenropatfaiscben Ausdruck der Augen, die Spuren von Puder und Schminke, den stutzermUssigen Zuschnitt der Kleidung mit busenartig hervortretendem Oberkleid, die gefranste, damenartige Halsschleife und das von der Stirn abgescheitelte, glatt zu den Schläfen abgebürstete Haar.

Die körperliche Uniersachung lässt den zweifellos weiblichen Bau des Körpers erkennen. Die äusseren Genitalien sind zwar gut entwickelt, jedoch ist der linke Hoden im Leistencanal zurückgeblieben, die Behaarung des Mons Veneris ist schwach und dieser ungewöhnlich fettreich und prominent. DieStimme ist hoch, ohne männlichen Timbie.


Androgyne-


253


Auch die Beschäftigung und Denkweise des r. H. ist eine entschieden weibliche. Er bat sein ßontloir, seinen woblassortirten Toilettetisoh, an dem er stundenlang mit allen möglichen Verschör.erungskünsten die Zeit vertändelt; er perhorrescirt Jagd. Wafienii hangen u. dgl. mäuuliche Beschäftigung, bezeichnet sich selbst als einen Schöngeist, spricht mit Vorliebe von seinen Malereien und dichterischen Versuchen, interessirt sich für weibliche Arbeiten, die er, wie z. B. Sticken, auch ausübt, und bezeichnet es als sein höchstes Gluck, sein Leben in einem künstlerisch gebildeten und ästhetisch feinfühligen Kreis von Herren und Damen mit Conversation, Musik, Aeathetik u.dgl. zubringen zu können. Seine Conversation dreht sich vorwiegend um weibliche Angelegen- heiten — um Moden , weibliche Handarbeiten , Kochkunst , Haushaltungs- angelegenheiten.

Patient ist woblgentthrt, jedoch etwas anttmisch. Er ist von neuropathischer Constitution und bietet Symptome von Neurasthenie, die durch eine verfelüte Lebensweise, zu langen Aufenthalt im Bett, im Zimmer, Verweichlichung unter- halten werden.

Er klagt über zeitweisen Kopfschmerz und Kopfdruck, über habituelle Obstipation, schreckt leicht zusammen, klagt über zeitweise Mattigkeit, Müdig- keit, ziehende Schmerzen in den Extremitäten in der Richtung der Lumbo- abdominalnerven, fühlt sich nach Follutionon und regolmllssig nach dem Essen müde, abgespannt, ist empfindlich bei Druck auf die Proc. spinosi der Brust- wirbel, wie auch bei Durchtaatung der zugänglichen Nervenstilmme. Er fühlt eigenthümliehe Sym- und Antipathien gegenüber gewissen Personen, gerÄth bei der Begegnung antipathischer Leute in Zustände eigenthümlicher Angst und Verwirrung. Seine Pollutionen, obwohl jetzt nur noch seilen vorkommend, sind pathologisch, insoferne sie sich auch bei Tage und ohne alle wollüstige Erregung einstellen.

Gutachten.


1. Herr r. H. ist nach allem Beobachteten und Berichteten eine geistig abnorme, defektive Persönlichkeit, und zwar ab origine. Eine Theilerscheinung dieser ubnormen geistig-körperlichen Artung stellt seine contrfire Sexuulempßn- dung dar.

2. Dieser Zustand, als ein originärer, ist keiner Heilung zugänglich.

Es besteht eine defektive Organisation in den höchsten geistigen Centren, die ihn zu selbstständiger Lebensführung und der Erreichung einer Lebens- beru&steltung unOlhig macht. Seine perverse Geschlechtsemptindung hindert ihn, normal geschlechtlich zu funktioniren. mit fillen socialen Co n Sequenzen einer solchen Anomalie und mit der Gefahr einer Befriedigung perverser, aus seiner abnormen Organisation sich ergebender Gelüste, mit daraus wieder zu befürchtenden socialen und gerichtlichen Conflikten. Diese Besorgniss kann aber nicht gross sein, da der (perverse) Geschlechtstrieb des Kranken gering ist.

3. Herr v. H. ist nicht unzurechnungsfähig in legalem Sinne des Wortes und weder geeignet zur Aufnahme in eine Irrenanstalt, noch einer solchen bedürftig.

Er vermag — obwohl ein grosses Kind und unfähig zu einer Selbst- fuhrung — gleichwohl unter Aufsicht und Leitung geistig normaler Menschen in der Gesellschaft zu existiren. Er vermag auch bis zu einem gewissen Grad die Gesetze und Normen der bürgerlichen Gesellschaft zu respektiren und zur Richtschnur seines Handelns zu machen, aber es muss bezüglich möglicher geschlechtlicher Verirrungen und Conflikte mit dem Strafgesetz hervorgehoben werden, dass seine Geschlechtserapfindung eine in organischen krankhaften Bedingungen wurzelnde abnorme ist, und dieser Umstand muss ihm eventuell zu Gute kommen.

Bei seiner notorischen ünselbststUndigkelt kann derselbe aas der vUter-


2S4


Contrire Sexaftlempfindqzig,


lieben oder vurmandsoli&fUicben Gewalt nicht entlasseo werden, «rvil er äk sonst finanziell rainiren würde.

4. Herr v. H. ist uuch körperlich leidend. Er bietet Zeicheo lekfcitcr AnAznie und von Neuraetbenia spinalifi.

Eine vernünftige Regelnng seiner Lebensweise, eine tonisireode &nt- licbe, womöglich hydrotherapeatiscbe Behandlung erscheint notfawendig. Dv Verdacht einer ursächlichen Begründung jenes Leidens in früher getriebeav Muturbation mnss aufrecht erhalten werden und die Möglichkeit des Vor- handenseins einer ätiologisch und therapeutisch wichtigen SpermatorrhOe hegt nahe. (Eigene Beobachtung. Zeitschr. f. Psychiatrie.)


Die angeborene conträre Sexualempffndung beim Weibe ^u

Ueber das Vorkommen ') bomouexualer Empfinduugen beim Weobe stehen der gegenwärtigen Wissenschaft viel spärlichere BeobachtoDgen zu Gebot als Linäichtlich dieser Anomalie beim Manne. Daraus den Schluss ziehen zu wollen, daas conträre Sexuatempfindung beim Weibe seltener sei, wäre ungerechtfertigt, denn wenn sie wirklich eine func- lionelle Degenerationserscheiiiung ist, werden sich belastende deg-euerative Einflüsse beim Weib ebenso geltend machen wie beim Manne.

Die Ursachen der scheinbaren Seltenheit der conträren Sexual- empiiadung beim Weibe sind wohl darin zu ünden, dass 1. Confideucen aber sexuelle Abnormitäten beim Weib schwerer zu erlangen sind; 2. dass die Anomalie, falls sie zu abeischlafähnlichen** Handlungen inter feminas führt, in Deutschland nicht criminell verfolgt wird und schon dadurch vielfach latent bleibt; .'J. dass ditn Weib die conträre Sexualempfindung nicht so genirt wie den Mann, weil sie jenes nicht beischlafsunf&hig macht; 4. weil das Weib an und für sich und jedenfalls auch das contrar- sexuale nicht so sinnlich und aggressiv in der Erreichung des Qeschlecbts- bedürfnisses ist, wie der Mann, so dass der conträr-sexuale Verkehr unter Weibern nicht so auffällig ist und vom Laien als blosse Freundschaft gedeutet wird. Gibt es doch sogar Fälle (psychische Hermapbrodisie, selbst Homosexualität), wo der Ehemann nicht die Ursache der Frigiditaa uxoris erkennt!


') Literatur: Havelock Eilis, Alieniat and Neurologiit 1895, April. — (Moll, Conträre Sexual empdndung, 2. Aufl., p. 322.

") Caauistik: 1) Westphal. Arch. f. Psych. II, p. 73. — 2) Gock. Op. cit. Nr. 1. — 3) Wise, The Alienist and Neurologist 1883. Januar. — 4) Cantarano, ZeiUchr. La Paichiatria 1883, p. 201. — 5) S^rieux, Op. cit ob». 14. — 6) Kier- nan, Op. cit — 7) Möller, Friedreich's Bliitter f. ger. Med. 1891, fleft 4. — 8—13) Moll, Conträre Sexualempendung, 2. Aufl., Beob. 18. 19. 20. 21. 22. 23. — 4) Meyhöfer, Zeitscbr. f. Medicinalbeamte, V. 16. — 15—16) Zuccarelli, Invereione congenitÄ in due donne, Napoli 1888. — 17— 27) Moll, Untersuchungen über Libido sexuali», FaU 10-12. 40-44. 47. 56. 57. — 28—29) Havelock EUia. Op, cit — 30) Penta und Urso, Archiv, delle paicopatie sexuali, p. 33. — 31) Penta, ebenda p. 94.


I


Angeborene contrSxe Sexualemptmdung beim Weibe.


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Aus Stellen in der heiligen Schrift ^), aus der Geschiclite Griechen- lands (.Sapphische Liebe"), aus der Sittengeschichte des alten Roms und des Mittelalters ') ist leicht der historische Nachweis zu liefern, dass Con- gressus interaexuaiis feminarum zu allen Zeiten bestanden hat, gleichwie er noch heute in Harems, Weiberstrafanstulten , Bordellen, Pensionaten (s. u. Amor lesbicus) vorkommt.

Dass ein grosser Theil dieser Vorkommnisse übrigens auf Perversität, nicht Perversion beruht, muss immerhin zugegeben werden ^).

In klinischer Hinsicht kann ich mich kurz fassen, da die Anomalie beim Weib ganz dieselben Erscheinungen mutatis mutandis bietet, wie beim Manne, und überdies dieselben Gradstufen aufweist. Die psychisch hermaphroditischen und auch viele homosexuale Weiber verrathen ihre Anomalie weder durch üusserliche Zeichen noch durch seelische (männliche) Geschlechtscharaktere. Bemerkenswerth ist, dass Dr. Flatau (Moll op. cit. p. 334) übrigens bei Untersuchung des Larynx von 23 homo- sexualeii Weibern bei einigen den Kehlkopf von entschieden männlicher Form vorfand.

Im Uebergang zur folgenden Gradstufe der Viraginität (analog der Effeminatio beim Manne) findet sich Vorliebe, in Männerkleidern zu gehen. Im Traum oder auch im ideellen oder wirklichen homosexualen Geschlechtsakt fühlt sich die betreffende Person in indifferenter geschlecht- licher Rolle.

Bei ausgebildeter Viraginität fllhlt sich das Weib dem anderen gegenüber ausschliesslich in der Rolle des Mannes.

Auf dieser Stufe besteht auch nur dem eigenen Geschlecht, nicht aber dem männlichen gegenüber Schamhaftigkeit.

Die Anomalie auf dieser Stufe pflegt sich schon früh durch männ- liche Geschlechischaraktere kundzugeben.


I


') Pii«hi8. Römerbrief.

») Ploas, Op. cit.

') Bemerkeniwerth ist. dass auch in dor Belletristik die loabiscbe Liebe viel- fach bebandelt ist, lo in Diderot, ^La Religieuae* ; B&lz&c, .La Alle aux yeiu d*or' ; Th. Gnutier, «MaUemoiseUe de Maupin*; Feydeau, ,La Comteue de Ohalis* ; Flauberi, «Salammbö' ; Belot, ^MademoiAelle Oimud, ma femme" etc.

Die IleldinneD dieser {leabiachea) Romane eracheinen der geliebten Person des eigenen Qeschlechts gegenüber in Charakter und Rolle des Mannes, und ihre Liebe i5!t eine sehr brünstige.

Der älteste Fall von contrAror SoxuatcmpBndung, di^r liis dato in Deutschland nachzuweisen ist , ist ein solcher von Viraginit&t aus dem Anfang des 18. Jahr- hnnderts. Kr betrifR ein Weib, das mit einem anderen verheiratbet war und mit- telst ledernen Priaps der Consors beiwohnte. Der auch in culturhistorischer und in juridischer Hinsicht sehr interessante, aus den Akten geschöpfte Fall ist von Dr. Malier (Alexandorsbad) in Friedr«ich's Biatt«rn f. ger. Medicin 1891, Heft 4, mttgetheilt.


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CoDlxftre Sexualempfindung.


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Der Lieblingsaufenthali des weiblichen Urnings ist der Tummelplatz der Knaben. In deren Spielen sucht er mit ihnen t\i rivalisiren. Voo Puppen will da« Urningmadchen nichts wissen, seine Pa^ision ist das Steckenpferd, das Soldaten- und Räuberspiel. Zu weiblichen Arbeiten ^^ zeigt es nicht bloss Unlust, sondern vielfach geradezu Ungeschick. ^i^fl| Toiletta wird vemachiäsaigt, in einem derben, burschikosen Wesen Ge- " fallen gefunden. Statt z« Künsten, zeigt sich Sinn und Neigung für Wissenschaften. Qelegeutlich wird ein Anlauf genommen, im Rauchen und Trinken sich zu versuchen, und beides kann zur Leidenschaft werden.

Parftlm und Näschereien werden verabscheut. Schmer/liehe Re- flexionen ruft das ßewusHteein hervor, als Weib geboren zu sein und der Universität mit ihrem flotten Leben und dem Militärstand entsagen zu müssen.

Tn nmazonenhaften Neigungen zu mannlichem Sport gibt sich die niilnnliche Seele im weiblichen Busen kund, nicht minder iu Bethätigung Ton Muth und männlicher Gesinnung. Qross ist der Drang, auch Haar und Zuschnitt der Kleidung männlich zu tragen, unter günstigen Um- ständen sogar in der Kleidung des Mannes aufzutreten und als solcher zu imponiren. Nicht selten sind die Fälle, wo Weiber in Männerkleidem Aufgegriffen wurden. Beispiele jahrelangen erfolgreichen Herumtreibens als Mann (Jäger, Soldat u. s. w.) sind der Fall von Müller in Fried- Tftich'.s Blättern, der von Wise (op. cit.) u. A.

nie Ideule dieser Viragines sind durch Geist und Thatknift hervor- ragcnth» weibliche Persönlichkeiten der Geschichte und der Gegenwart.

Dit» schwerste Stufe degenerativer Homosexualität stellt die Gyn- nndrie dar. Es handelt sich hier um Weiber, die vom Weib nur die Gfnit^ilorgHne haben, im Fühlen. Denken, Handeln und in der äusseren Erscheinung aber durchaus männlich erscheinen.

Solchen Mannweibern, die durch Knochenbau, Becken, Gang, Hal- tung, derbe, entschieden männliche Züge, rauhe, tiefe Stimme u. s. w. an dem ewig Weiblichen irre werden lassen, begegnet man nicht so selten im oflt'ntlichon Leben.

Uebor Lebensweise und Art der sexuellen Befriedigung dieser contrar- ■axualen Weiber hat Moll (op. cit. p. 831) manches Interessante berichtet.

Mutatis mutandis ist die Situation dieselbe wie beim mannliebenden Mann«. Diese Existenzen suchen, finden, erkennen, lieben sich gegen- seitig, leben nicht selten als .Vater* und , Mutter' in , schwuler' Ehe xusanimen. Auf conträre Sexualit&t muss sich immer der Verdacht richten, wenn (so hruifig) in der Zeitung von einer Dame eine , Freundin' ge- sucht wird.

Zahlreiche weibliche psychische Hermaphroditen und selbst Homo- sexuale schliessen. theils aus Unkenntnis» ihrer Anomalie, theils um ver-


Conti'äre Sexualempfimlung bei Frauen.


sorgt zu werden, EhebUndnisse mit Männern. Manche dieser Ehen fristen ihr Dasein fort, indem der Mann seelisch sjnQpathisch ist und die Leistung der ehelichen Pflicht der unglücklichen Frau möglich wird.

Immer sucht sie sich dieser aber, sobald sie ein oder zwei Kinder geboren hat, unter irgend einem Vorwand zu entziehen. Noch häußger leidet die Ehe wegen , unüberwindlicher Abneigung Schifl'bruch. Fort- setzung des homosexuellen Verkehrs in der Ehe kommt vor, gleich wie beim conträr-sexualen Manne.

Auf der Stufe der Viraginität ist Ehe unmöglich, da schon der Gedanke an Coitus cum viro Ekel und Grausen erweckt.

Die intersexuelle Befriedigung bei Weibern beschränkt sich vielfach auf blosses Küssen und Umarmen, wobei sinnlich nicht stark Veranlagte es sich genügen lassen ^ sexuell Neurasthenische eventuell Befriedigung durch EjaculationsgefUhl finden.

Automasturbation, faute de mieux, scheint in allen Gradstufen der Anomalie, gleich wie beim Manne, vorzukommen.

Bei starker Sinnlichkeit kommt es zu Cunnilingus oder zu mutueller Masturbation.

Auf 3. und 4. Stufe scheint das BedUrfniss, in activer Rolle der geliebten Person des eigenen Geschlechts gegenüber aufzutreten, zur Be- nutzung von Priapen hinzudrängen.

Beobachtung 127. Psychische Hermaphrodisie. Frau X., 26 Jahre, leidet an Neurasthenie. Sie ist erblich belastet, leidet ejjisodisch an Zwangs- Torstellmipon. Sie ist seit 7 Jahren verheirathet, hat zwei gesunde Kinder, [«inen Knaben und ein Mädchen von 6 resp. 4 Jahren. Es gelingt, das Ver- trauen der Patientin zu erlangen. Sie ^^teht, dass sie von jeher mehr zu "•ersonen des eigenen Geschlechtes neige, ihren Mann zwar achte und gern habe, »doch vom ehelichen Verkehr mit ihm angewidert sei. Sie habe es dahin gebracht, dass er seit der Geburt des jüngsten Kindes ihr ehelich nicht mehr beiwohne. Schon im Pensionat habe sie sich in einer Weise für andere junge Damen interessirt, die sie nur als Liebe bezeichnen könne. Episodisch habe sie sich aber auch zu einzelnen Herren hingezogen gefühlt und in der letzten Zeit sei ihrer Tugend ein Courmacher geradezu gefährlich geworden, Sie lebe oft in Angst, dass sie sich mit ihm vergessen könnte und vermeide deshalb, mit ihm allein zu sein. Das seien aber nur flüchtige Episoden gegenüber ihrer leidensi.'haftUchen Neigung zu Personen des eigenen Geschlechts. Küsse, üra- arraung solcher, intimer Verkehr mit ihnen, sei ihre wahre Sehnsucht. Die Nichtbefriedigung dieser Dränge martere sie und habe grossen Antheil an ihrer Nervosität. In einer bestimmten sexuellen Holle fühlt sich Patientin nicht gegenüber Personen des eigenen Geschlechts, auch wüsste sie mit solchen nichts anzufangen, als sie zu küssen, zu uniurmen, mit ihnen zu kosen. Patientin hLilt sich selbst für eine sinnliche Natur, Es ist wahrscheinlich, dass sie ma.sturbirt.

Ihre sexuelle Perversion erscheint ihr , unnatürlich, krankhaft*.

Nichts im Benehmen und Aeussern dieser Dame deutet auf eine solche Anomalie.

Beobachtung 128. Psychische Hermaphrodisie. Frau M., 44 Jahre, bezeichnet sich als ein Beispiel dafür, dass in einem Menschen, sei es Mann V Krafft Kblng;. Psyebop&tbia BuaftUs, 10. Aufl. 17


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CoMHn


oder Weib, iowoU contrire als Domak Bidtoaim dcB SexutIMflM rereiaigt ■ü kfinncB.

D«r Vater dieier Fmi war aehr matikalisch. äberlwiipt k&nstl^riscli hoch t&ieatirt, leicbüebig, «n grooer Verehrer des aBdeeree Gcsdtleebts. voo ■elteeer Schfinbcrtt. Er lUrb xucb mdireren apoplectiacbeB AniUleo d^oeot im Irreobaos. Vatert Bmder war pe ur o| »j ebopathi>eh, als Kind SMMidsllclitig, saiilebeaft mit Hrperaestbesie senuÜs beb&flet. So wollte er, obwohl rer- beirmtbet und X^let Yoa Terbeiratbeten SöboeD, Fraa M., tetne Xiehte, in die er wahttmooig verliebt wer. als sie 18 Jabre alt war. eotfobreo. Vaters Vata- war hßebtt excestriseb, eio bedeateoder Küastler, der nrsproDglich Tbeologie •tndirte, aber aoa gUibeadem Drang für die dramatiKlw Mose Mime and S&u$;er worde. Er war exoeasir in Baccho et Venera, Teradiwaaderi&ch, pracht- liebeod, starb mit 49 Jabren an Apoplexia cerebri. Untiers Vater nnd Matter starben an Langentnberculoee.

Frau M. hatte elf Geschwister, von denen nnr noch sechs leben. Zwei Brüder, k&rperlicb der Mutter nachgeartet, starben mit 16 nnd 20 Jahren an Tuberculofle. Ein Bmder leidet an Kefalkopfphtbise. Sftmmtlicbe vier lebende Schwestern, wie anch Fran M., sind körperUcb dem Vater nachgeartet und die ftlteste ist anverbeirathet , sehr nervös nnd menscbenscbeu. Zwei jüngere Sehweetem sind verbeirathet, gesund and haben gesunde Kinder. Eine weiter«  ift Virgo and nervenletdend.

Frau M. hat vier Kinder, von denen mehrere zart, neuropatbiscb sind.

üeber ihre Kindheit weiss Patientin nichts von Belang zn btrichteo. Sie lernte leicht, war dicbteriäcb und ästhetisch begabt, galt als ein bissohen über- spannt, das Bomanlesen und Sentimentale liebend, von neuropatbischer Con- StitDtion, Snsserst empfindlich gegen Temperatarscbwankungen, bekam jeweils beim geringsten Luftzag listige Catis anserina, Bemerkengwertb ist nocb, daaf) Patientin eines Tags, 10 Jahi-p alt, da sie meinte, die Matter liebe sie nicht. Zündbi^Uer im Kaffee einweichte und diesen trank, um recht krank za werden und damit die Liebe der Mutter auf sich zu lenken.

Die Entwicklung ging schon mit 11 Jahren ohnn Beschwerden vor sieb. Menses in der Folge regelmässig. Schon vor der Zeit der PubertStsentwicklang regte »ch das Sexualleben, dessen Begangen nach der eigenen Ansicht der Patientin in der ganzen folgenden Lebenszeit fibermächti^e gewesen sind. Die ersten Oefüblc und Drfinge waren entschieden homosexual. Patientin bekam eine leidenschaftliche, aber durchaus platonische Neigung zu einer jungen Dame, dichtete auf sie Ghaselen and Sonette und war glückselig, wenn sie die ^ent- zückenden Beize der Angebeteten* einmal im Bade bewundem oder beim An- kleiden Nocken. Schultern und Brust mit den Augen verschlingen konnte. Der heftige Drang zum Berühren dieser körperlichen Reize wurde stelo üb -rwunden. Als junges Mfidchen sei sie förmlich verliebt in Raphael's und Guido Reni*s Madonnen gewesen. Auch rausste sie schOnen Mädchen und Frauen in jeder Witterung stundenlang nachgehen, ihren Anstand bewundernd, die Gelegen- heit erspübend, ihnen gefUllig zu sein, ihnen Sträusschen anzubieten u. s. w. Patientin versicherte, dass sie bis zum Alter von 19 Jahren absolut keine Ahnung vom Untei*8chied der Geschlechter hatte, da sie durch eine altjüngferliche, höchst prUde Tante eine faktisch klösterliche Erziehung gehabt hatte. Infolge dieser grenzenlosen Unwissenheit wurde Patientin das Opfer eines Mannes, der sie leidenschaftlich Hebte, sie durch List zum Coitus brachte. Sie wurde die Gattin dieses Mannes, gebar ein Kind, lebte mit ihm ein .excentrisches" sexuelles Leben und fühlte sich vom ehelichen Umgang vollständig befriedigt. Nach wenigen Jahren wurde sie Wittwe. Seitdem waren wieder Frauen der Gegen- stand der Neigung, in erster Linie, wie Patientin meint, aus Furcht vor den Folgen des sexuellen Umgangs mit einem Manne.

Mit 27 Jahren zweite Ehe mit einem kränklichen Manne, ohne Neigung- Patientin gebar 8mal, erfüllte ihre Mutterpflichten, kam kJ3rperlich herunter,


Conträre Sexual emp Bildung b^ Frauen.


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empfaDd iu den letzteu Jahren dieser Ehe immer grfissere Unlust zuui Bei- schlaf, zum Theil im Bewiisstsein der Krankheit des Gatten, obwohl ein heftiger Drang nach sexueller Befriedigung stets vorhanden war.

Drei Jahre nach dem Tode des zweiten Mannes machte Patientin die Ent- deckung , dass ihre 9jäbrige Tochter aus erster Ehe der Masturbation ergeben war und dahinsiechte. Patientin las im Conversationslexikon über dieses Laster nach, konnte dem Drang nicht widerstehen, es auch zu versuchen, und wurde Onanistin. Ueber diese Periode ihres Lebens kann sie sich nicht entschliesgen, ausilihrlich zu berichten. Sie versichert, dass sie sexuell schrecklich erregt wurde, eines Tags ihre beiden Mädchen aus dem Hsuse geben musste, um sie vor , Schreckliebem*' zu bewahren, während sie ihre beiden Knaben daheim behalten konnte!

Patientin wurde nearasthenisch ex masturbatione (Spinalirritation, Kopf- druck, Mattigkeit, geistige Hemmung a. s. w.}, zeitweise sogar dysthymisch mit quälendem Taed. vitae.

Ihr sexuelles Fühlen war bald dem Weib, bald dem Manne zugewandt. Sie wusste sich zu beherrschen, litt sehr unter ihrer Abstinenz, zumal da sie, ihrer nenrasthenischen Beschwerden wegen, nur in grrjsster Noth mit Mastur- bation sich zu helfen versuchte. GegenwJlrtig leidet die 44jäbrige, noch regel- mässig menstruirende Frau heftig unter der Leidenschaft für einen jungen Mann, dessen Nähe sie aus beruflichen Rucksichten nicht vermeiden kann.

Patientin ist eine in ihrer äusserlicbea Erscheinung nicht auffallonde Persönlichkeit, gracil gebaut, von schwacher Muskulatur. Becken durchaus weiblich, jedoch Arme und Beine auffallend gross und entschieden von männ- lichem Bau. Da ihr kein weiblicher Schuh passt, sie aber doch nicht auf- fallen will, zwtLngt sie ihre Füsse in Frauenschuhe, so dass diese künstlich ver- unstaltet sind. Qenitaliou von ganz normaler Entwicklung. Ausser einem Descensns uteri, mit Hypertrophie der Vaginalportion, keine Veränderungen. Bei eingehenderer Exploration erklärt sieb Patientin für wesentlich doch homo- sexual, Empfindung und Trieb zum anderen Geschlecht nur für etwas Epi- sodisches, Gröbsinnliches. So leide sie zwar gegenwärtig schrecklich unter sexuellen Drangen zu jenem Manne ihrer Umgebung, aber ein edlerer und höherer Genuss sei es ihr, auf eine sanftgcnindete, weiche Mädchenwange einen Kass zu hauchen. Dieser Genuss biete sich ihr oft, denn sie sei unter den Bli*^hen Geschöpfen* als „gefällige Tante* sehr beliebt, da sie die ver- schiedensten „Ritterdienste* jenen unverdrossen leiste und sich dabei immer mehr als Mann fühle.


Beobachtung 129. HomosexualitMt. FrUulein L., 55 Jahre alt. Oeber Familie des Vaters fehlen Nachrichten. Die Eltern der Mutter werden als zornmüthig, launenhaft, nervös geschildert. Ein Bruder der Mutter epi- leptisch, ein anderer excentrisch und geistig nicht normal.

Die Matter war sexuell hyperitsthetisch und lange Zeit Messaline. Sie galt als psychopathisch und starb O'J Jahre alt an einer Hirnkrankheit.

Fräulein L. entwickelte sich normal, hatte nur geringfügige Kinder- krankheiten zu überstehen, war geistig sehr begabt, jedoch von neuropathischer Constitution, emotiv, von allerlei Tics geplagt.

Mit 13 Jahre erwachte, noch 2 Jahre vor der ersten Menstruation, die erst« Liebesleidenschaft für eine Altersgenossin, „ein träumerisches Gefühl, noch ganz rein von Sinn lieb keif.

Die zweite Liebe galt einem älteren Mndchen, das Braut war, mit bereits quälendem sinnlichem S<thnen. Eifersucht und dem noch „unklaren Gefühl ge- heimnissvoller Üngehürigkeit* : zurückgewiesen von dieser Dame, verliebte sich Patientin in eine um 20 Jahre altere, glücklich verheirathete Frau und Mutter. Sie vermochte sich in ihren sinnlichen Regungen zu beherrschen, so dass diese Frau nie den wahren Grund einer solch soliwtirmeriscben „Freundschaft* ahnte


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Conti^re SexuaJempfindung.


und dieselbe auch ihrerseits durch 12 Jahre perue gevrährte. Patientin be- zeichnet diese lange Zeit als ein wahres Martyrium.

In den letzten Jahren, vom 25. Jahre ab, halte sie begonnen. dnrcL Masturbation sich zu befriedigen. Patientin dachte damals ernstlich daran, oh nicht eine Heirath sie retten könnte, aber ihr Gewissen sprach dagegen^ denn sie hätte ^'^elleicht ihr Unglück Kindern vererben oder einen vertrauensvollen Mann „unglücklich machen können*.

1!7 Juhre alt nahte sich ihr ein MUdchen niit unverhüllten Anträgen, schilderte den Unsinn der Entsagung, gab volle Aufklärung über den sie be- heiTschenden homosexualen Trieb und war sehr stürmisch. Patientin duldete die Liebkosungen dieses M&dchens, Hess sich aber zu keinem sexiiellen Verkehr herbeL da sie fühlte, daas ihr Sinnengenuss ohne Liebesleidenschaft widerlich sei.

Geistig und körperlich unbefriedigt, im Bewusstsein eines verfehlten Lehens gingen Patientin die Jalire dahin. Sie schwärmte ab und zu für Damen ihres Bekanntenkreises, wusste sich aber zu beherrschen. Auch von Mastur- bation vermochte sie sich wieder zn befreien.

38 Jahre alt, lernte FrAulein L. ein um 19 Jahre jüngeres Mädchen kennen, von seltener Schönheit, aber aus demoralisirter Familie, von Cousinen früh zur mutnellen Masturbation verführt. Es ist nicht zu entscheiden, ob dieses Mädchen A. ein Fall von psychischem Hermaphroditismos war oder einer von erworbener contrlVrer Sexualempfindung. Die erstere Annahme ist die wahrscheinlichere.

Aus einer Autobiographie der L. ergibt sich folgendes:

»Die A., meine Schülerin, fing an, mir ihre abgöttische Liebe zuzuwenden. Sie war mir in hohem Grade sympathisch. Da ich wusste, dass sie ein aus- sichtsloses LiebesverhUltniss mit einem wüsten Gesellen und fortdauernd ver- trauten Umgang mit ihren demoralisirten Cousinen hatte, wollte ich sie nicht von mir stossen. Mitleid, die Ueberzeugung, dass sie sonst dem sittlichen Untergang zutreibe, veranlassten mich, ihre Annäherung zu dulden.

Ich hielt ihre Neigung zu mir für nicht gefilhrlich, da ich es nicht füi- möglich hielt, dass (mit Hinblick auf ihr Liebesverhilltniss) in einer Seele zwei Leidenschaften (für einen Manu und ein Weib zugleich) bestehen könnten, zudem glaubte ich meiner Widerstandskraft sicher zu sein. Ich behielt also A. um mich, erneute meine sittlichen Vorsätze und hielt es für eine Pflicht. A/s Liebe zu mir zu ihrer Veredlung zu benutzen. Welch thurichter Wahn dies gewesen, sollte ich nur zu bald erfahren. Einmal, als ich im Schlummer lag, wuaste A. ihre Lust an mir zu stillen. Ich war noch rechtzeitig erwacht, und wäre ich sittlich stärker gewesen, so hätte ich sie noch zurückweisen können. Aber ich war furchtbar aufgeregt, wie berauscht — sie siegte.

Was ich nachher empfand, ist unbeschreiblich. Jammer über die ge- brochenen Vorsätze, die ich bisher mit so grossen Anstrengungen aufrecht er- halten hatte, Angst vor Entdeckung und vor Verachtimg, Jubel, endlich des qualvollen Wachens und Kingens ledig zu sein, unsägliche Sinnenfreude, Zorn über die unselige Gefährtin und zugleich das Gefühl der tiefsten Zärtlichkeit. A. belächelte ruhig meine Gemüthserregung und bemühte sich, liebkosend mich zu beruhigen.

Ich fand mich in die neue Situation. Lange Jahre dauerte unsere Ge- meinschaft. Wir lebten in gegenseitiger Masturbation weiter, nie excessiv oder cynisch.

Nach und nach hörte der sinnliche Verkehr zwischen uns wieder auf. A.'s Zärtlichkeit ermattete, die mßino aber blieb, obwohl ich kein sinnliches Verlangen mehr empfand. A. trug sich mit Heirathsplänen, theils um versorgt zu werden, wesentlich aber, weil ihre Sinnlichkeit wieder in normale Bahnen einlenkte. Es gelang ihr, einen Gatten zu finden. MUge sie ihn glücklich machen, was ich aber bezweifeln rauss. So habe ich Aussicht, mein Alter


Conträre Sexualenipfindung b«i Frauen,


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ebenso freud- und friedlos hinzuschleppen, wie ea mit meiner Jugend der Fall war.

Mit Webmutb gedenke ich der Jahre, die ich gemeinsam mit der üe* liebten verlebte, Dass ich mit A. geschlechtlich verkehrte, vermag mein Ge- wissen nicht zu belftsten, denn ich erlag ihrer Veriührung und bemühte mich redlich, sie vur dem sittlichen Ruin xu retten und zu einem gebildeten und wohlgesitteten Wesen zu erziehen, was mir auch gelungen ist. Ueberdles be- ruhigt mich der Gedanke, düss sittüche Gesetze nur für normale Menschen ersunnen, nicht aber für anormale bindend sein können. Ganz glücklich kann allerdings ein fein empfindender Mensch, der sich von der Natur aus- gestossen und von der Cultur der Verachtung preisgegeben weiss, nie werden» ftber in mir war eine wehmtithige Ruhe und in Momenten, wo ich A. glücklich glaubte, war ich es vorübergehend auch.

Das ist die Geschichte einer Unglücklichen, die durch eine verhAognisS' ToUe Laune der Natur um alle Lebensfreude betrogen und dem Kummer über- antwortet ist."

Ich lernte die Schreiberin dieser Lebens- und Leidensgeschichte als eine feingebildete Persönlichkeit kennen, von groben Zügen, starkknochigem aber durchaus weiblichem Körperbau. Sie hat seit einiiren Jahren das Klimakterium ohne besondere Beschwerden hinter sieb, lUhlt sich seither frei von sinnlichen Regungen. In einer bestimmten Rolle habe sie sich dem geliebten Weibe gegenüber sexuell nie gefühlt; inr M&nner niemahi irgend eine sinnliche Regung empfunden.

üeber die familiären und Gesnndheitsverhältnisse ihrer früheren Ge- liebten A. befragt, machte Frönlein L. Mittheilungen, aus welchen schwere Be- lastung, insofern der Vater in einer Irrenanstalt gestorben ist, die Mutter im Klimakterium alienirt war, Neurosen mehrfach in der Familie vorgekommen sind und die A. lange Zeit an schwerer Hysteropathie mit zeitweisem hallucina- torischem Delir gelitten hatte, zweifellos erscheint.

Beobachtung 130. Homosexualität. S. J., 38 Jahre, Gouvernante, lochte ärztlichen Rath bei mir wegen eines Nervenleidens. Der Vater war

pvortibergehend geisteskrank und starb an einer Gehirnkraiikheit. Patientin ist das einzige Kind, litt schon in frühen Jahren an Angstgefühlen und quälenden

^Vorstellungen, z. B. dass sie im Sarge, nachdem dieser geschlossen, erwachen werde, dass sie bei der Beichte etwas vergessen, unwürdig communiciren könnte. Sie litt viel an Kopfschmerzen, war immer sehr erregt, schreckhaft, hatte aber gleichwohl einen Drang, aufregende Dinge, z. B. Leichen, zrr sehen.

Schon in den frühesten Kinderjahren war Patientin sexuell erregt und kam ohne alle Verführung zur Masturbation. Die Menses traten mit 14 Jahren ein. in der Folge jeweils von colikartigen Schmerzen, heftiger sexueller Er-

llregung. Migräne und geistiger Verstimmung begleitet. Ihren Drang zur Mastur- bation lernte Patientin vom 18. Jahre ab unterdrücken.

Patientin hat niemals Neigung zu einer Person des anderen Geschlechts gefühlt. W'enn sie an Ehe dachte, so geschah dies nur, weil sie sich eine Ver-

^liorgung durch Heirath wünschte. Hingegen fühlte sie sich mächtig äu Mädchen hingezogen. Sie hielt solche Neigung Anfangs für Freundschaft, erkannte über

•AUS der Innigkeit, mit welcher sie an solchen Freundinnen hing, und aus der tiefen Sehnsucht, die sie fortwährend nach denselben empfand, dass diese Gefühle doch mehr als Freundschaft waren,

Patientin findet es unbegreiflich, dass ein Mädchen einen Mann lieben künne. dagegen verstehe sie es wohl, dass dies einem Manne einem Mädchen gegenüber möglich sei. Für schöne Frauen und Mädchen habe sie sich stets lebhult interessirt, sei durch deren Anblick mächtig erregt worden. Ihre Sehn- sucht sei es immer gewesen, solche liebe fn't^cbupfe zu küssen und zu umarmen. Geträumt habe sie nie vom Manne, son(l<-iii nur von MHdchen. Jm Genuss


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Contr&re SexQalemp&ndang.


des Anblicks solcher zu schwelgen, sei ihr Wonne gewesen. Die Trennung von solchen .Freandinnen* habe 9ie jeweils desperat gemacht.

Patientin, deren äussere Erscheinung eine durchaus weibliche und höchst decente ist, will sich nie in einer besonderen Holle Freundinnen gegenüber gef&blt haben, auch nicht in beseligenden Träumen. Weibliches Becken, grosse Mammae, keine Andeutung von Bartwuchs.

Beobachtung 131. HomosexualitUt. Frau R., 35 Jahre, den höheren Ständen angehörig, wurde mir *1886 behufs Consultation von ihrem Manne zugeführt.

Vater war Arzt und sehr neuropathisch. Vatersrater war gesund, normal und erreichte ein Alter von i>t> Jahren. Ueber die Mutter des Vaters fehlen Notiien. Die Geschwister des Vaters sollen sämmtlich nervös sein. Die Mutter der Patientin war nervenkrank, litt an Asthma. Deren Eltern waren ganz gesund. Die Schwester der Mutter litt an Melancholie.

Patientin litt schon seit dem 10. Jahre an habituellem Kopfschmerz, machte, ausst^r Masern, keine Krankheiten durch, war begabt, genoss die beste Erziehung, hatte besonderes Talent für Musik und Sprachen, war genöthigt, sich als Gouvernante auszubilden, war in den Entwicklungsjahren übermässig geistig angestrengt, machte im 17. Jahre eine mehrmonatliche Melancholia sine delirio durch. Patientin vsrsichert, dass sie von jeher nur Sympathie für Personen des eigenen Geschlechts hatte und an Männern höchstens ilstbetiscbe^ Interesse fand. Sinn für weibliche Arbeiten habe sie nie gehabt. Als kleines Mädchen habe sie sich am liebsten mit Knaben heruragetummelt.

Patientin will gesund geblieben sein bis zum 27. Jahre. Da wurde sie ohne äussere ürsiiche gemütbskrank — hielt sich für eine schlechte Person voll Sünden, hatte an nichts mehr Freude, war schlaflos. Während dieser Krankheitszeit war sie überdies von Zwangsvorstellungen geplagt, sich den Tod, ihr eigenes Sterben und das ihrer Angehörigen vorstellen zti müssen. Genesung nach etwa •'• Monaten. Sie wurde nun Gouvernaute, war sehr an- gestrengt, bis auf zeitweise neurasthenische Beschwerden, Spinalirritation gesund.

Mit 28 Jahren machte sie die Bekanntschaft einer 5 Jahre jüngeren Dame. Sie verliebte sich in dieselbe, fand Gegenliebe. Die Liebe war eine sehr sinnliche, wurde in mutueller Onanie befriedigt. „Ich habe sie abgöttisch geliebt — sie ist ein so edles Wesen,* meint Patientin, als sie auf dieses Liebesbündniäs zu sprechen kommt, dos 4 Jahre währte und mit der (unglück- lieben) Heirath dieser Freundin sein Ende fand.

1885, nach vielen Gemütbsbewegungen, erkrankte Patientin unter dem Bild einer Hysteroneurasthenie (Dyspepsia gastrica, Spinalirritation, starr«  krampfartige Anfillie. solche von Hemiopie mit Migräne. Anteile von tran- sitorischer Aphakie, Pruritus pudendi et anij. Im Februar 1880 traten diese Symptome zurück.

Im März lernte Patientin ihren jetzigen Mann kennen und heirathete ihn ohne langes Besinnen, da er reich, ihr sehr zugethan und sein Charakter ihr sympathisch war.

Am (t. April los sie eines Tages die Phrase: .Der Tod verschont Niemand ■. Wie ein Blitz aus heiterem Himmel kehrten die früheren Todeszwangsvorstel- lungen wieder. Sie muBste sich die schrecklichsten Todesarten für sich und ihre Umgebung ausdenken, besonders Sterbescenen sich vorstellen, verlor Ruhe und Schlaf, hatte an nichts mehr Freude. Der Zustand besserte sich. Sie heirathete Ende Mui 18K0, war aber damals noch von peinlichen Gedanken geplagt, das8 sie dem Mann und ihrer Freundschaft Unheil bringe.

Am 0, Juni 188Ü erster Coitus. Sie war davon moralisch tief deprimii't. 8o hatte sie sich die Ehe nicht gedacht! Anfangs war sie von heftigem Taedium vitae geplagt. Der Mann, welcher seine Frau aufrichtig liebte, that Bein Möglichstes, um sie zu beruhigen. Gonsultirte Aerzte meinten, wenn


ContrUre SexualempOndung bei Frauen.


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Patientin gravid werde, sei olles gut! Der Mann konnte sieb das rätbselbafte Benehmen seiner Frau nicht erklären. Sie war freundlich gegen ihn. duldete seine Liebkosungen, verhielt sich beim Coitus, dem sie thunlich auswich, ganz passir, war nach dem Akt tagelang matt, erschöpft, von Spinalirritation ge- plagt, nervös.

Eine Keise des Ehepaares führte ein Wiedersehen der Freundin herbei, die in unglücklicher Ehe seit 3 Jahren lebt. Die beiden Damen zitterten vor Wonne und Erregung, als sie sich in die Arme sanken, waren von nun an unzertrennlich. Der Mann fand, dass dieses Froundschaftsverhöltniss doch ein •igenthümliches sei und beschleunigte die Abreise. Gelei^entlioh überzeugte er sich durch die Correspundenz seiner Frau mit dieser , Freundin*, dass der Briefwechsel genau dem zweier Liebenden entsprach.

Frau R. wurde schwanger. In der Gravidität schwanden die Reste jychischer Depression und die Zwang8\'orstelIungen. Mitte September Abortus etwa in der H. Woche der Gravidität. Im Anschlüsse daran neuerliche Er- scheinungen von Hysteroneurasthenie. üeberdies Anteflexio et Lateropositio dextra uteri. Anaemia. Atonia ventriculi,

Patientin machte bei der Consultation den Eindruck einer höchst be- lasteten neuropathischen Persünlichkeit. Unverkennbar war der neuropathische Ausdruck des Auges. Habitus durchaus weiblich. Ausser sehr schmalem steilem Gaumen keine Skeletabnormität. Patientin entschloss sich schwer zu Mittheilungen Über ihre sexuelle Abnormität. Sie klagte, dass sie gehcirathet habe, ohne zu wissen, was die Ehe zwischen Mann und Weib sei. Sie liebe ja ihren Gemahl herzlich ob seiner geistigen Vorzüge, aber der eheliche Üm- fgBng sei ihr eine Pein, sie leiste ihn widerwillig, ohne jemals eine Befriedi- iffung davon zu empfinden. Post actum sei sie tagelang ganz matt und erschöpft. Seit dem Abortus und dem Verbot des Arztes, ehelichen Umgang zu pflegen, gehe es ihr besser, aber die Zukunft sei ihr schrecklich. Sie achte ihren Jtfann, liebe ihn geistig, möchte alles für ihn thun, wenn er sie nur sexuell künftig schone. Sie hoffe, dass mit der Zeit sie auch sinnlich für ihn fühlen könne. Wenn er Violine spiele, komme es ihr oft vor, als ob eine Empflndung in ihr auftauche, die mehr als Freundschaft sei, aber das sei nur eine flüch- tige Empfindung, in welcher sie keine Gewähr für die Zukunft erblicke. Ihr höchstes Glück sei die Correspondenz mit der früheren Geliebten. Sie fühle, dass dies unrecht sei, aber sie krmne davon nicht lassen, sonst fühle sie sieh ^namenlos elend.


Beobachtung 132. Homosexualität. Fräulein X., aus bürgerlicher Familie in einer grossen Stadt, war beim Abschluss meiner Beobachtung 22 Jahre alt.

Sie gilt als Beante, wird umschwärmt von der Herrenwelt, ist eine ent- ^Khieden Rinnliche Natur, wäre wie geschaffen zu einer Aspasia, lehnte aber alle ihr gemachten Anträge ab. Nur für einen ihrer Verehrer, einen jungen Gelehrten, zeigte sie Entgegenkommen, wurde intim mit ihm, gestattete ihm Küsse, aber nicht wie ein liebendes Weib, und als Herr T. einmal dem Ziel seiner Wünsche sich naheglaubte, bat sie unter Thränen. ihr so etwas nicht an/utbun, da sie dazu, nicht etwa aus moralischen Gründen, sondern aus tieferen seelischen, absolut unfähig sei. Auf das erfolglose Rendezvous folgten briefliche Confidencen. aus welchen sich der sichere Schluss auf contrUre Sexualempfin* düng ergab.

Fräulein X. stammt von einem dem Potus ergebenen Vater und hystero- »athibcher Mutter. Sie ist von neuropathiacher Constitution, hat vollen Busen, ist die äussere Erscheinung eines selten schönen Weibes, wird aber auffUUig durch burschikoses Wesen, hat entschieden männliche Neigungen, turnt, reitet, raucht, hat strammes Auftreten und entschieden männlichen Gang. Sie möchte sich der Huhne widmen.


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Contrilre Sexualempfiuduug.


Neuerlich ist sie anfMlig geworden durch schwärmerische Freandscfaafi&- verhältnisse mit jungen Damen. Sie bat eine solche bei sich, theilt mit ihr das Lager.

Bis zur Pubertät will Fräulein X. sexuell ganz indifferent gewesen sein.

Mit 17 Jahren machte sie in einem Badeort die Bekanntschaft eines Jungen Ausländers, der durch seine ^.kiinigHcbe" Gestalt einen fascinirenden Eindruck auf* sie machte. Sie war glücklich, mit ihm einen Abend hindurch tanzen zu dürfen. Am folgenden Abend in der Dämmerung wurde sie Zea^n einer empörenden Scene — sie sah nämlich jenen entzückenden Mann von ihrem Fenster aus im Gebüsch futuare more bestiarum mulierem quondam inter menstruationem.

Adspectu sanguinis currentis et libidinis quasi bestialis viri fühlte sich Fräulein X. ganz entsetzt, wie vernichtet, halte Mühe, ihr seelisches Gleich- gewicht wieder zu erringen, war eine Zeitlang schlaf- und appetitlos und sah in dem Mann von nun an den Inbegriff der Gemeinheit.

Zwei Jahre später näherte sich ihr in einem Öffentlichen Garten eine junge Dame, lächelte sie an und warf einen ganz eigenthümlichen Blick auf sie, der ihr tief in die Seele drang.

Am folgenden Tag trieb es die X. förmlich, diesen Park wieder auf- zusuchen. Die Dame war schon da, schien auf sie zu warten. Man begrüsste sich wie alte liebe Bekannte, plauderte, scherzte, gab sich tUglich neue Rendez- vous, die sich, als die Jahreszeit ungünstig wurde, im Boudoir der jungen Dame fortsetzten.

»Eines Tages,* berichtet Fräulein X. in ihren Confidencen, , führte sie mich zu ihrem Divan und während sie sich setzte, Hess ich mich zu ihren Füssen gleiten. Sie heftete ihre scheuen Augen auf mich, strich raü* die Haare aus der Stirne und sagte: ,Ach, wenn ich dich nur einmal so ordentlich lieb haben dürfte. Darf ichV* Ich bejahte und während wir nun so neben einander Sassen, und uns in die Augen schauten, glitten wir hinüber in jene Strömung,

wo es kein Zurück mehr gibt. Sie war bestrickend schön, ich wünschte

nur den Pinsel fuhren zu können, um diese Formen zu verewigen. Für mich war dies Alles neu und berauschend, man gab sich hin, voll und ganz, un- gehemmt im glühendsten Bausch weiblichen Sinnentauinels. Ich glaube nicht, dass je ein Mann das zauberhaft Berauschende, Zarte und Pikante trifft — der Mann ist doch zu wenig feinfühlig, zu wenig sensitiv. — — Unser wildes Spiel hatte solange gedauert, bis ich ermattet zurücksank, kraftlos, entnervt. Ich lag, durch diese Erschlaffung eingeschlafen, auf ihrem Bett, als mich plötzlich ein unsagbares, nie gekanntes Gefühl jäh emporfahren liftss — ein Schauer durch- rieselte meinen ganzen Körper, ich sah J. auf mir — cunnilingum perficiens — es war für sie der höchste Genuss. tandem mihi non licebat altrum quam osculos dare ad mammaa — wobei sie jedesmal in convulsivische Zuckungen gerieth.

So dauerte unser ungetrübtes Verhältniss ein Jahr lang, bis die Versetzung des Vaters meiner Geliebten in eine andere Stadt erfolgte.*

Fräulein X. bekannte noch, doss sie in diesem homosexuellen Verkehr sich immer als Mann dem Weibe gegenüber fühlte und dass sie, faute de mieux, einmal einen ihrer Anbeter zum Cunnilmgus zuliess.

Beobachtung 133. Homosexualität. Frau C, 32 Jahre alt. Beamten* gattin, eine grosse, nicht unschöne, durchaus weibliche Erscheinung, stammt von neuropathischer, sehr aufgeregter Mutter. Ein Bruder war psychopathisch und ging durch Potus zu Grunde. Patientin war von jeher sonderbar, starr- köpfig, verschlossen, jähzornig, excentrisch. Auch ihre Geschwister sind auf- geregte Leute. In der Familie ist mehrfach Phthisis pulm. vorgekommen. Ächon als ISjähriges Mädi^hen machte Patientin, neben Zeichen grosser sexueller Erregbarkeit, sich durch schwärmerische Liebe zu einer Altersgenossin auf- tUllig. Die Erziehung war streng, jedoch las Patientin heimlich viel Romane



Contiüre Sexiialem]>fiiiclang bei Frauen.


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und machte tnassenbaft Gedichte. Mit 18 Jahren heirathete sie, um aus nn- behaglichen Verbältiiissen des elterlichen Hauses loszukommen.

Von jeher will sie ganz gleichgültig gegen Männer gewesen sein. That- sftchlich mied sie Bälle. Weibliche Statuen erregten ihr Wohlgefallen. Das Höchste sei ihr immer der Gedanke gewesen, mit einem geliebten Weibe ehelich verbunden zu werden. Ihrer sexuellen Eigenart will sie sich bis zur Eingehung der Ehe nicht bewusst gewesen sein. Unerklärlich sei ihr die Sache allerdings immer gewesen. Patientin unterzog sich der ehelichen Pflicht, gebar 3 Kinder, von denen zwei an Convulsionen litten, lebte friedlich mit dem Mann, den sie aber nur seiner moralischen Eigenschaften wegen achtete. Dem Coitus ging sie gern aus dem Wego. ,Ich hatte lieber mit einem Weibe verkehrt.**

Patientin war bis 1878 neurasthenisch geworden. Anlüsslich eines Bade- anfenthalts lernte sie einen weiblichen Urning kennen, dessen Krankengeschichte ich im Irrenfreund 1884, Nr. 1 als Beobachtung ti veröffentlicht habe.

Patientin kehrte wie ausgewechselt zur Familie beim. Der Mann be- richtet: »Sie war nicht mehr mein Weib, hatte keine Liebe mehr zu mir und den Kindern und wollte von ehelichen Annäherungen nichts n»ehr wissen/ Sie entbrannte in brünstiger Liebe zur „Freundin", hatte für nichts Anderes mehr Sinn. Nachdem der Mann der Dame das Haus verboten, gab es Brief- wechsel mit Stellen wie: „Mein Täubchen, ich lebe ja nur für Dich, meine Seele!" Rendez-vous, schreckliche Aufregung, wenn ein erwarteter Brief aus- blieb. Das Verbftltniss war kein platonisches. Aus einzelnen Andeutungen l&sst sich vermuthen, dass matuelle Onanie das Mittel der sinnlichen Befriedigung war. Dieses LiebesverhÄltniss dauerte bis 1882 und machte Patientin in hohem Grade neurasthenisch.

Da Patientin ihr Hauswesen gründlich vernachlässigte, nahm der Mann eine öOjtthrige Dame als Haushälterin an, ausserdem eine Gouvernante üxr die Kinder. Patientin verliebte sich in die Beiden, die wenigstens Liebkosungen sich gefallen Hessen und von der Liebe der Herrin materiell profitirten.

Ende 1883 musste Patientin, sich entwickelnder Tuberculosis pulm. wegen, nach dem Süden reisen. Dort lernte sie eine 40jährige Kussiii kennen, ver- liebte sich sterblich in dieselbe, fand aber keine Gegenliebe nach ihrem Sinne. Eines Tages brach Irrsinn bei der Kranken aus — sie hielt die Russin für eine Nihilistin, glaubte sich von ihr magnetisirt. bot förmliches Verfolgungs- delir, entfloh, wurde in einer Stadt Italiens aufgegrifl'en , ins Spital gebracht, beruhigte sich bald wieder, verfolgte neuerdings die Dame mit ihrer Liebe, fühlt« sich namenlos unglücklich, plante Selbstmord.

Heimgekehrt war sie tief verstimmt, ihre Russin nicht zu besitzen, kalt und abyto.*isend gegen die Angehörigen; Ende Mai 1884 setzte ein delirant^r erotischer Aufregungszustand ein. Sie tanzte, jubelte, erklärte sich für männ- lichen Geschlechts, veriangte nach ihrem früheren Geliebten, behauptete, aus kaiserlichem Hause zu sein, entwich in Männerkleidung aus dem Hause, wurde in manisch-erotischer Erregung der Irrenan.stalt zugeführt. Der Exaltations- zustand schwand nach einigen Tagen. Patientin wurde ruhig, depriniirt. machte einen verzweifelten Selbstmordversuch, war in der Folge tief schmerz- lich, mit Taedium vitae behaftet; die conträro SexualempHndung trat Imuter mehr zurück, die Tuberculose machte Fortschritte. Patientin starb phthisisch Anfang 1885.

Die Section des Gehirns bot hinsichtlich des Baustils und der Windangs- anordnUDg nichts Auffälliges. Gehirngewicht lir»0. Schädel leicht asymmetrisch. Keine anatomischen Degenerationszeichen. Innere und äussere Genitalien ohne Anomalie.


Beobachtung 134. (Viragini tftt.) Fräulein N., 2 '> Jahre, s-tamuit von angeblich gesunden Eltern. Sämmtllche (5) Geschwister sind aber nervös, drei derselben (Schwestern) verheiratbet. Sie ist sehr talentiit. besonders für


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ConiAre


9tklmm KfiMte. SehoB all


Kiikd ^t«}t« ax mm liebsten Soldaiea- lud


wmr keck und imylwifa und tiuä es darin wllMt Knabtttt invor. Bm katte nie Suui Ar Pappen und för veibHck« BAadjuiMtit. Mit dea IS. Jalv trat die Poberüt ein. Bald dmimmA rerEebte se ach in jsBg» Damen, aber nur pUtoniscb, da ne oa nttlidiec Viddien ist. Satt cüügan Jahren ist ibre Libido $At heftig gewordan, so da« sie sieh kauio befaemefaen kann. Sie hat lasctre Trlonte, in wel«ben nnr weibliche Indi- Tidoen eine Bolle spielen, dcnco gegenüber sie wh in männlicher Poeätion nblt. Seit ttnigen Jshren ist &e in etne iltere^ etwa -iOjihrige Dane sterblich rerüebt. Sie qo&lt dieselbe mü Eifersacht.

Fr&ttlein K. sind Minner gam gleichgültig. Se könnte mlüg mit ihiNa 2äBBiCr osd Lager theilen. wibrend sie Personen des eigenen GeaehlB^ts geges&ber Schambaftigkeit an den Tag legt.

äe ist sich des Pstbologiaebec ihres Zastandes bewnsst.

FrfinleiD N. hat männliche Geöehtszfige, tiefe Stimme, mlnnlirfie Geh weise, ist okne Behaanug im Gesicht, bat schwach entwickrite Mammae, trigt kort geKhaittcsKS Haar und macht den Andruck eines Mannes in Frauen kleidem.

Beobachtncg 13'.. (Virsginitit.) CR., Dienstmidcben, 26 Jabi«. leidet seit den £otwickloxigsjahren an Paraeoia originaria and Hjsterismas. hatte. «reseDttich auf Grand ihrer Wahnideen, eine romanhaft«- Vei^ngenheit und gerieth 1804 in der Schweiz. w<^hin sie aas Verfolgungswahn geflohen war^ in gericbtliche Untersncbong. Bei dieser Griegenhett stellte sieb b^'atts, dsss die B. mit contrftrer Sexualempfindunjc: behaftet ist.

Ueber die Eltern und die Verwandtschaft stehen keine Auskunft« sa Gebot. Die R. will, ausser an Lungenentzändung mit 16 Jahren, früher nie erheblich krank gewesen sein.

Erste Menstruation mit 15 Jahren ohne alle Besehwerden, in der Folge oft unregelmftssig and abnorm stark. Patiendn rersicherte, sie habe niemals Neigung zu Personen des anderen Geschlechts gefQhlt, nie die ÄDn&berang eines Mannes geduldet. Sie habe nie begreifen kOnnen, wie ihre Freundinnen die Schönheit und Liebenswürdigkeit männlicher Personen besprechen konntes. Sie könne nicht begreifen, wie sich ein Weib von einem Manne küssen lassen könne. Dagegen sei es ihr flntzücken und Begeisterung gewesen, einen Kuss auf die Lippen einer geliebten Freundin za drücken. Sie habe eine ihr un- begreifliche Liebe zu Mädchen. Sie habe einige Freundinnen schwärmerisch gebebt und geküsst: sie hatte fär diese ihr Leben hingeben mögen. Dir Höchstes w&re gewesen, mit einer solchen Freuodin dauernd zusammenzuleben, sie einiig und ganz zu besitzen.

Sie fühle sich dabei als Manu dem geliebten Mädchen gegenüber. Schon als kleines Mädchen habe sie nur Sinn für Knabenspiele gehabt, am liebsten Schieseen und Müitärmusik gehurt, sei von solcher immer ganz begeistert geworden und wäre gerne ab Soldat mitgezogen. Jagd und Krieg seien ihr Ideal gewesen« Im Theater habe sie nar Sinn für die weiblichen Darsteller gehabt. Sie wLsse wohl, dass diese ganze Richtung unweiblich sei. aber sie kSnne nicht anders. In männlicher Kleidung zu gehen, sei ihr ein grosser Genuas gewesen, ebenso habe sie mit Vorliebe von jeher minnliche Arbeit ver- richtet und dazu besonderes Geschick gezeigt, während sie das Gegentheil bezüglich weiblicher Arbeit, besonders Handarbeit behaupten müsse. Auch liebt Patientin Hauchen und geistige Getränke. Auf Grund von persecutorischen Wahnideen, um vermeintlichen Verfolgern zu entgehen, hat Patientin wieder- holt in Männerkleidern und männlichen Rollen sich bewegt. Sie that dies mit liebem (wohl angeborenem) Geschick, dass sie allgemein die Leute über ihr wahres Geschlecht zu täuschen vermochte.

Aktenmässig ist festgestellt, dass Patientin schon 1884 Iäu<;ere Zeit bald in Civilkleidern, bald in Lienteoantsoniform sich bewegte and in einem Männer-


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anzu^, wie ihn etwa Herrscbiiftädioner tragen, im Auj^st 1884 uus Verfoljmnga- wabn aus Oesterreich nach der Schweiz flüchtete. Sie fand dort einen Dienst in einer Kaufmannsfamilie und verliebte sich in die Tocbter des Hauses, die ^schöne Anna*, welche ihrerseits, das wahre Geschlecht der R. nicht erkennend, sich in den schmucken jungen Mann verliebte.

Patientin macht über diese Episode folgende charakteristische Bemerkongen: «Ich war ganz verliebt in die Anna. Ich weiss nicht, wie dies gekommen ist, und kann mir keine ßecbenschal't über diese Neigung geben. In dieser fatalen Liebe liegt der Grund, doss ich so lange die Rolle des Mannes fortgespielt habe. Ich habe noch nie eine Liebe zu einem Manne gefühlt und glaube, dass sich meine Liebe dem weiblichen und nicht dem männlichen Geschlecht -zuwendet. Ueber diesen meinen Zustand bin ich mir durchaus unklar.*

Aus der Schweiz schrieb die R. Briefe au ihre beiniathliohe Freundin Amolie, die den Gerichtsakten beigelegt wurden. Eis sind Briefe von schwär- merischer, weit über das Mass der Freundschuft hinausgehender Liebe. Sie apostropbirt die Freundin: ^Meine Wunderblume, Sonne meines Herzens, Sehn- sucht meiner Seele". Sie sei ihr höchstes Glück auf Erden, ihr gehöre das Herz. Auch in Briefen an die Eltern der Freundin heisst es: sie möchten doch auf ihre , Wunderblume" schauen, denn würde diese sterben, so vermöchte auch sie das Leben nicht mehr zu ertragen.

Die R. befand sich zur Untersuchung ihres Geisteszustandes einige Zeit in der Irrenanstalt. Als die Anna einmal zum Besuch bei der R. zugelassen Avurde, wollte das feurige Umarmen und Küssen kein Ende nehmen. Die erstere gab unverhohlen zu. dass sie sich schon daheim mit der gleichen Zärt- lichkeit umarmt und geküsst hUtten.

Die R. ist eine grosse, schlanke, stattliche Erscheinung, von durchaus weiblichem Bau, aber mehr mllnnlichen Zügen. Schädel regelmässig, keine anatomischen Dogenerationszeichen . Genitalien ganz normal und ganz jung* fraulich. Die R. machte den Kindruck einer sittlich unverdorbenen und de- centen Persönlichkeit. Alle Umstünde deuteten darauf, dass sie nur platonisch geliebt habe; Blick und Erscheinung deuten auf eine neuropathische Persön- lichkeit. Schwerer Hysterismus, zeitweise starrkrarapfartige Anteile mit visio- nären und deliranten Zuständen. Patientin ist sehr leicht durch hypnotische Beeinflussung in Somnambulismus zu bringen und in diesem Zustande aller möglichen Suggestionen fähig. (Eigene Beobachtung. F r i e d r e ic h's Blätter 1881. Heft 1.)


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Beobachtung 136. (Viraginität.) Fräulein 0., 23 Jahre, stammt von Constitutionen und schwer hysteropathischer Mutter, Der Vater der Mutter war irrsinnig. Von väterlicher Seite stammt Patientin aus unbelasteter Familie.

Der Vater starb früh an Pneumonie. Patientin wird mir von ihrem Curator zugefulirt, weil sie kürzlich von Hause iu Männerkleidern durchging, um die Welt zu durchstreifen und .Künstler* zu werden. Patientin ist nämlich sehr ilir Musik taleutirt.

Schon seit Jahren iRt Fräulein 0. anfftLllig durch ihr keckes, mehr männ- liches Wesen und ihr Bestreben, Haar und Kleidung thunlichst nach männ- lichem Zusclinilt zu tragen. Seit dem 1-3. Jahr zeigte sie schwärmerische Liebe zu Freundinnen, denen sie oft durch brünstige Umarmungen geradezu lästig fiel.

Patientin macht bei der Oonsultation kein Hehl aus ihrer Leidenschaft für Personen des eigenen Geschlechts. Seit ihrem 13. Jahr sei sie sich bowusst, dass sie nur solche Heben könne. Sie fühle sieb als Mann dem Weibe gegen- über, meint, sie sehe auch ganz männlich aus. und ginge am liebsten in Männerkloidcrn.

Vor nicht langer Zeit habe sie einen bei der Polizei angestellten Ver- wandten allen Ernstes um seine Veriuitbluag gebeten, dass ihr gestattet werde, in Mttnnerkleidern zu gehen.


Ibre erotischen TrUnme drehen &ich nur um iDtimen Verkehr mit Freun- dinnen. Irgend ein Interesse für Männer habe sie nie empfunden, auch nie daran gedacht, doss sie je heiratben kannte.

Patientin ftiblt sich in ihrer abnormen sexuellen Rolle ganz glücklich und kann sie nicht als krankhaft anerkennen. Dans ihr sexuelles Fühlen im Widerspruch mit dem anderer Weiber steht, vermag sie nicht einzusehen. Sie ist geistig entschieden beschränkt und originär psychisch abnorm.

Der Schädelumfang betrügt nur *-*! cm, Patientin hat W^olfsrachen. Das Skelet ist durchaus weiblich, bis auf auffallend grosse und mehr männlicbe Ftisse. Die Bewegungen und die ganze Pose, gleichwie auch der Gang sind mehr männlich. Die Stimme ist weiblich. Patientin ist seit dem 13. Jahr regelmässig menstruirt.

Beobachtung 137. (Gynandrie.) FrSuiein X., 38 Jahre, erschien im Spätherbst 18sl in meiner Sprechstunde wegen heftiger Spinalirritation und hartnäckiger Schlaflosigkeit, in deren Bekämpfung sie Morphinistin und Chloralistiu geworden sei.

Die Mutter und Schwester waren nervenkrank, die übrige Familie an- geblich gesund. Das Leiden datirte angeblich seit einem Fall auf den Rücken 1872, wobei Patientin heftig erschrocken war, jedoch litt sie schon als Mädchen an Muskelkrämpfen und hysterischen Symptomen. Im Anschlu&s an den Sturz entwickelte sich eine neurasthenisch-hysterische Neurose, mit vorwaltender Spinalirritation nnd Schlaflosigkeit. Episodisch kamen hysterische Pnraplegie bis zu 8 Monaten Dauer und Zustände von hyster. hallucinator. Delir mit Krampfanfällen vor. Daxu ge.sellten .sich im Verlauf Symptome des Morphi- nismus. Ein mehrmonatlicher Aufenthalt in der Klinik beseitigte diesen und besserte erheblich die neurasthenische Neurose, wobei allgemeine Faradisation eine auffällig günstige W^irkung zeigte.

Schon bei der ersten Begegnung hatte Patientin durch Kleidung, Züge und Benehmen einen auffälligen Eindruck gemacht. Sie trug einen Uerrenhut«  die Haare kurz, geschoren, Zwicker. Herrencravatte. ein rockartige^, weit über dos Daraenkleid herabreichendes Oberkleid mit männlichem Zuschnitt, Stiefel mit Absätzen; sie hätte grobe, mehr männliche Züge, rauhe, etwas tiefe Stimme und machte eher den Eindruck eines Mannes im W'eiberrock als den einer Dame, wenn man vom Busen und entschieden weiblichen Biiu des Beckens absah.

Patientin bot in der langen Beobacbtuugszeit nie Zeichen von Erotismus. Ueber ihre Kleidung interpellirt meinte sie nur, die von ihr gewählte Tracht kleide sie besser. Allmählig brachte man aus ihr heraus, dass sie schon als kleines Mädchen Vorliebe für Pferde und männliche Beschäftigung hatte, jedoch niemals Interesse für weibliche Arbeiten. Später habe sie besonders gerne gelesen und einen Beruf als Lehrerin angestrebt. Das Tanzen habe sie nie gefreut, es sei ihr immer als ein Unsinn erschienen. Auch das Ballet habe sie nie interessirt. Ihr hüchster Genuss sei der Circus gewesen. Bis zu ihrer Krankheit 1872 habe sie weder Neigung zu Personen des anderen, noch zu solchen des eigenen Geschlechtes empfunden. Von da nn habe sie eine ihr selbst auffällige Freundschaft gegen weibliche Personen , vorwiegend jüngere Damen, gefühlt und das bedürfniss gehabt und befriedigt, Hüte und Paletot nach männlichem Zuschnitt zu tragen. Schon seit 18H!» hatte sie überdies ihre Haare kurz geschoren und trug sie, wie Milnner sie zu scheiteln pHegen. Sinnlich erregt will sie nie im Umgang mit ihnen gewesen sein, aber ihre Freundschaft und Opferwilligkeit gegen ihr sympathische Damen sei grenzenlos gewesen, wUhrend sie von da an Widerwillen gegen Herren und Herrengesell- schaft empfand.

Die Verwandten berichten, dass Patientin vor 1872 einen Heirathsantrag hatte, denselben aber zurückwies iind von einer 1874 unternommenen Bi


Contrftre Sexual empfindung bei Frauen.


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reise sexuell geändert zurückkam und gelegeotliclie Andeutungen machte« sie halte sich nicht für ein weibliches Wesen.

Seither wolle sie nur mit Damen umgehen, habe immer so eine Art Liebesverhältniss mit Der oder Jener, lasse gelegentlich Bemerkungen fallen, dass sie sich als Mann fühle. Diese Anhänglichkeit an Damen sei eine ent- schieden über die Freundschaft hinausgehende, mit Tbränen, Eifersucht u. s. w. Als sie lä74 in einem Badeort weilte, habe sich eine junge Dame in Patientin, sie für einen verkleideten Mann haltend, verliebt. Als jene Dame später heirathete, sei Patientin eine Zeitlaug ganz schwermütbig gewesen und habe von Untreue gesprochen. Auch den Verwandton fiel die Hinneigung ?.\\ mHnn- jicher Kleidung und männlichem Benehmen, die Abneigung gegen weibliche Arbeiten seit der Erkrankung auf, während Patientin früiier, mindestens in sexueller Hinsiciit, nichts AuffHlliges geboten habe. Weitere Nachforschungen ergaben, dass Patientin mit der in Beobachtung 133 geschilderten Dame in einem jedenfalls nicht rein platonischen Liebesverhältniss steht und ihr zärtliche Briefe schreibt, etwa so wie ein Liebhaber der Geliebten. Ich sah 1887 Patientin wieder in einer Heilanstalt, wohin sie wegen hysteroepileptischer Anfälle, Spinalirritation und Morphinismus gebracht worden war. Die conträre Sexnalempfindung bestand unverändert fort und war Patientin nur durch sorgsame Ueborwachung von unzüchtigen Angriffen auf weibliche Mitpatienteu abzuhalten.

Der Znstand blieb ziemlich unverändert bis 1889. Da verfiel Patientin dem Siechthum und starb August 1889 in .Erschöpfung*.

Die Sektion ergab in den vegetativen Organen: Degeneratio amyloidea renum, Fibroma uteri, Cystis ovarii sinistri. Das Stirnbein erschien stark ver- dickt, an der InnenflHche uneben, mit zahlreichen Exostosen besetzt, die Dura mit dem Schädeldach verwachsen.

Längsdurchmesser des Schädels 175, Breitendurchraessor 148 mm. Ge- s&mmtgewicht des ödematusen. aber nicht atrophischen Gehirns 1175 g. Meningen zart, leicht ablösbar. Hirnrinde blabS. Hirnwindungen breit, wenig zahlreich, regelmässig angeordnet. Im Kleinhirn und den grossen Ganglien nichts Abnormes.

Beobachtung 138. {Gyaandrie '). Anamnese. Am 4. November 1889 erstattete der Schwiegervater eines Grafen V. die Anzeige, dass dieser ihm unter dem Yorwande, einer Caution als Secretär einer Aktiengesellschaft zu benöthigen, SOO fl. herausgelockt habe. Ueberdies habe sich herausgestellt, dass Sandor Verträge gefälscht, die im Frühjahr 1889 erfolgte Trauung fingirt habe und vor Allem, dass dieser angebliche Graf gar kein Mann sei, sondern ein in Männerkleidern einhergehendes Weib und Sarolta (Charlotte) Gräfin V. heisse.

S. wurde verhaftet und wegen Verbrt^chens des Betrugs und Fälschung öffentlicher Urkunden in Voruntersuchung gezogen. Im ersten Verhör bekennt 8., geb. tJ. Dezember löö(5, dass er weiblichen Geschlechtes, katholisch, ledig und als Schriftstellerin unter dem Namen Graf V. beschäftigt sei.

Aus der Autobiographie dieses Mannweibes ergeben sich folgende be- merkenswerthe, von anderer Seite bestätigte Thatsachen.

S. stammt aus einer altndeligen, hochangesehenen Familie, in welcher Eicentricität Familieneigenthümlichkeit war. Eine Schwester der Grossmutter mütterlicherseits war hysterisch, somnambul und lug wegen eingebildeter Läh- mung 17 Jahre zu Bette. Eine zweite Grosstante brachte wegen eingebildeter Todeskrunkheit 7 Jahre im Bette zu, gab aber gleichwohl Bälle. Eine dritte hatte den Spleen, dass eine Console in ihrem Salon verwünscht sei. Legte Jemand etwas auf diese Gonsole, so gerietb sie in höchste Aufregung, schrie


  • ) Vgl. die ausfQhrlichen gerichUHrztlichon Gutachtun über diesen Fall von

Dr. Birnbacher in Fnedn.Mch*a Blättern f. ger. Med. 1891, Heil I.


, verwünscht. Terwtinscht" und eilte mit dem Gegenstand in ein Zimmer, sie die , schwarze Kammer" nannte und dessen Schlüssel sie niemals aus den Händen gab. Nach dem Tod dieser Dame fand man in der schwanken Kammer eine Anzahl von Shawls, Schmucksachen, Banknoten u. s. w. Eine vierte Gross- tante Hess 2 Jahre ihr Zimmer nicht kehren, wusch und kämmte sich nicht. Nach 2 Jahren erst kam sie wieder zum Vorschein. Alle diese Frauen waren nehenher geistreich, gebildet, liebenswürdig.

S/s Mutter war ner^'ös und konnte den Mondschein nicht ertragen.

Von der vaterlichen Familie behauptet man, dass sie einen Sporn zuviel habe. Eine Linie der Familie beschäftigt sich fast ausschliesslich mit Spiritismos. Zwei Blutsverwandte vtlterlicherseits haben sich erschossen. Die Mehrzahl der münnlichen Angehörigen ist ausserordentlich talentirt. Die weiblichen sind durchweg be.schrünkte, hausiuickene Persönlichkeiten. Der Vater S.'s hatte eine hohe Stellung, aus der er jedoch wegen seiner Excentricität und Verschwendung (er verschwendete Über l\'i Millionen) ausscheiden mu.sste.

Eine Marotte des Vaters war es u. A.. dass er S. ganz als Knaben erzog, sie reiten, kutscbiren, jagen liess, ihre Energie als Mann bewunderte, sie Sandor nannte.

Dagegen Hess dieser närrische Vater seinen zweiten i^ohn in Weiberkleidern

fehen und als Mädchen erziehen. Die Farce hürte mit dem 15. Jahre, wo ieser Sohn eine höhere Bildungsanstalt bezog, auf.

Sarolta-Sandor blieb unter dem Einfluss des Vaters bis zum 12. Jahre, kam dann zur excentrischen mütterlichen Grossmutter nach Dresden und wurde von dieser, als der männliche Sport zu sehr überhand nabm^ in ein Institut gebracht und in Weiberkleider gesteckt.

1-3 Jahre alt, ging sie dort mit einer Engländerin, der sie sich als Bub erklärte^ ein Liebesverhältniss ein und entführte sie.

Sarolta kam zur Mama, die aber nichts ausrichtete und es zula.ssen musste, dass ihre Tochter wieder Sandor wurde, Knabenkleider trug und jedes Jahr mindestens ein Liebesverhältniss mit Personen des eigenen Geschlechtes inscenirte. Daneben erhielt S. eine sorgfältige Erziehung, machte grössere Reisen mit dem Vater, natürlich immer als junger Herr, emancipirte sich frühe, besuchte Cafes, selbst zweideutige TiOkale und rühmte sich aogar eines Tages im Lupanar in utroque genu puellas sedisse. S. war oft l^erauscht, passionirt für männlichen Sport, ein sehr gewandter Fechter. S. fühlte sich sehr zu SchnuspiRlennnen oder sonstigen alleinstehenden, womöglich nicht ganz jungen Damen hingezogen, Sie versichert, nie eine Neigung zu einem jungen Mann gefohlt und von Jahr zu Jahr eine zunehmende Abneigung gegen Männer empfunden zu haben. ,lch ging am liebsten mit unschönen, unscheinbaren MäJinern in Damengesellschaft, damit ja keiner mich in Schatten stelle. Be- merkte ich, dass einer Sympathien bei den Damen erweckte, so wurde ich eifer- süchtig. Ich zog bei Damen geistreiche den körperlich schönen vor. Dicke und gar männereüchtige konnte ich nicht ousstehen. Ich liebte es, wenn sich die Leidenscliaft einer Frau unter poetischem Schleier offenbarte. Alles Scham- lose an einer Frau war mir ekelhaft. Ich hatte eine unaussprechliche Idio- synkrasie gegen weibliche Kleider, überhaupt gegen alles Weibliche, aber nur an und bei mir, denn im Gegentheil, ich schwärmte ja für das schöne Geschlecht."

Seit etwa 10 Jahren lebte 8. fast beständig ferne von ihren Angehörigen und als Mann. Sie hatte eine Menge Liaisons mit Damen, machte mit solchen Reisen, verschwendete viel Geld, machte Schulden.

Daneben ergab sie sich literarischer Thfttigfceit und war geschätzter Mitarbeiter zweier angesehener Zeitschriften der Hauptstadt.

Ihre Leidenschaft für Damen war eine sehr wechselnde, Beständigkeit in der Liebe war nicht vorhanden.

Nur einmal dauerte eine solche Liaison 3 Jahre. Es war vor Jahren, dass S. auf Schloss G. die Bekanntschaft der um 10 Jahre älteren Emma £.


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Contrrirc ScxualcmpBnrlung bei Frauen.


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machte. Sie verliebte sich in diese Dame, machte mit ihr einen Ehecontract und lebte 3 Jahre mit ihr wie Mann und Frau in der Hauptstadt.

Eine neue Liebe, die 8. verhängnissvoll werden sollte, veranlasste sie, das .Eheband" mit E. zu lösen. Diese wollte nicht von ihr lassen. Nur mit schweren Opfern erkaufte S. ihre Freiheit von E., die angeblich jetzt noch sich als geschiedene Frau gerirt und sich als Grafin V. betrachtotl Dass S. auch bei anderen Damen Leidenschaft hervorzurufen vermochte, gehl daraus hervor, dass, als sie Ivor der ,EheschliesBung* mit E.) eines Fräuleins D. überdrüssig geworden war, nachdem sie mit dieser einige tausend Gulden verjubelt hatte, von der D, mit Erschiessen bedroht wurde, wenn sie ihr nicht treu bleibe.

Es war im Sommer 1887 wAhrend eines Aufenthaltes in einem Badeort, dass S. die Bekanntschaft einer angesehenen Beamtenfamilie E. machte. Sofort verliebte sich S. in die Tochter Marie und fand Gegenliebe. Deren Mutter and Cousine suchten dieses Liebesverhiiltniss zu hintertreiben, aber vergebens. Den Winter über correspondirten die beiden Liebenden eifrig mit einander. Im April 1888 kam ,Graf S." zum Besuch und im Mai 1889 erreichte er das Ziel seiner Wünsche, indem Marie, die inzwischen eine Stelle uLs Lehrerin aufgegeben hatte, in Gegenwart eines Freundes ihres geliebten S. in einem Gartenhause von einem Pseudopriester in Ungarn getraut wurde. Den Trau- schein fingirte S. mit seinem Freunde. Das Paar lebte in Glück und Freude und ohne die Anzeige des schlimmen Schwiegervaters hätte diese Scheinehe voraussichtlich noch lange gedauert. Bemerkenswerth ist, dass S. während des ziemlich langen Brautstands die Familie seiner Braut über sein wahres Geschlecht vollkommen zn täuschen wusste.

S. war pBSsionirter Raucher, hatte durchaus männliche Allüren und Fassionen. Seine Briefe und selbst gerichtliche Zustellungen gelangten unter der Adresse ,Graf S." an ihn, auch sprach er öfter davon, dass er zu einer Waffenübung einrücken müsse. Aus Andeutungen des ^Schwiegervaters' gebt hervor, dass S. (was dieser auch später zugestand) mittelst in den Hosensack eingestopften Sacktuches oder auch Handschulies ein Scrotum zu raarkiren wusste. Auch bemerkte der Schwiegervater einmal etwas wie ein erigirtes membrum am künftigen Schwiegersohn (wahrscheinlich ein Priap), der auch gelegentlich die Bemerkung fallen Hess, er müsse beim Reiten ein Suspensorium tragen. Thatsächlich trug S. eine Bandage um den Leib, möglicherweise zur Befestigung eines Priaps.

Obwohl 8. sich auch pro forma öfters rasiren Hess, war man im Hotel gleichwohl über^ugt, dass er ein Weib sei, weil dos Stubenmädchen in der Wäsche Spuren von Menstrualblnt fand (was 8. aber als hämorrhoidales er- klärte) und gelegentlich eines Bades, dos S. nahm, durch das Schlüsselloch sich von dessen weiblichem Geschlecht Überzeugt haben wollte.

Die Familie der Marie macht es glaublich, dass diese lange Zeit über das wahre Geschlecht ihres Pseudogutten in Täuschung befangen war.

Für die unglaubliche Naivität und Unschuld dieses unglücklichen Mädchens spricht folgende Stelle in einem Briefe Mariens an S. vom 26. August 188P:

,Ich mag keine fremden Kinder mehr, aber so ein Bezerl von meinem Saudi, so ein Patscherl — ach, welch Glück, mein SandÜ*

Bezüglich der geistigen Individualität S.'s gehen eine grosse Anzahl vor- handener Manuscripte erwünschten Aufschluss. Die Schriftzüge haben den Charakter der Festigkeit und Sicherheit. Es sind echt männliche Züge. Der Inhalt wiederholt sich überall in denselben Eigeuthümlichkeiten : — wilde zügellose Leidenschaft, Hass und Widerstand gegen Alles, was dem nach Liebe und Gegenliebe dürt^tenden Herzen sich gegenüberstellt, poetisch angehauchte Liebe, in der auch nicht mit einem Zug Unedles berührt wird, Begeisterung für Alles Schöne und Edle, Sinn für Wissenschaft und schöne Künste.

Ihre Schriften verrathen ungewöhnliche Belesenheit in Klassikern aller


Conträre Sexu&lempficdung.

Sprachen, Citate aus Poeten und Prosaikern aller Llinder. Von berufener Seite wird auch versichert, dass S/s dichtensc-he und belletristische Erzeugnisse nicht oubedeuteod sind.

Psychologisch lieroerkenswerih sind die das Verhältniss zn Marie be- rührenden Briefe and Schriften.

S. spricht von der Seligkeit, die ihr an M/s Seit<^ blühte, ftassert mass- lose Sehnsucht, das angebetete Weib, wenn auch nur für einen Moment eq sehen. Nach solcher Schmach wünscht sie Dur mehr die Zelle mit dem Grab zu vertauschen. Der bitterste Schmerx sei das Hewusstsein, dass jetzt aucli Marie sie hasse. Ueisse Tbräoen, so viel, dass sie sich darin ertränken könnte, habe sie mn ihr verlorenes Glück geweint. Ganaie Bogen behandeln die Apotheose dieser Liebe, Reminiscenzen aus der Zeit der ersten Liebe and Bekanntschaft.

S. klagt über ihr Herz, das sich von keinem Verstände dominireo Hess, sie äussert Gefühlsaasbrüche, die man nar fühlen, nicht aber simuliren kann. Dann wieder Aasbrüche tolUter Leidenschaft mit der Erkl&rung, ohne Marie nicht leben zu können. „Deine theure, liebe Stimme, diese Stimme, auf deren IGang ich vielleicht noch vom Grabe aufstehen werde, deren Klang mir immer die Verheissung des Paradieses gewesen ist. Deine blosse Gegenwart war genug, am meine physischen und moralischen Leiden za lindern. Es war das ein magnetischer Strom, es war das eine eigenthümliche Macht, welche dein Wesen auf meines ausübte und welches ich mir auch nie ganz definiren kann. So blieb ich bei der ewig wahren Definition : ich lieb' sie, weil ich sie liebe. — In trostloser Nacht hatte ich nur einen Stern, den Stern der Liebe von Marie. Der Stern ist nunmfihr erloschen — es ist nur mehr der Widerschein davon da, die süsse, wehmüthige Erinuerung, die auch die wirklich schauerliche Nacht

des Sterbens mit sanftem Scheine erleuchtet, ein Schimmer der Hoffnimg,

diese Schrift endet mit der Apostrophe: meine Herren, weise Bechtsgelebrte, Psycho* und Pathologen, richten Sie mich! Jeden Schritt, den ich that, leitete die Liebe, jede meiner Thaten war durch sie bedingt — Gott hat sie mir ins Herz gegeben. Wenn er mich so schuf und nicht andera, bin ich denn daran schuld oder sind es die ewig unergründlichen Wege des Schick.sals? Ich baute auf Gott, dass eines Tages die Erlösung kommen werde, denn mein Fehler war nur die Liebe selbst, welche die Grundlage, der Grundsatz seiner Lehren, seines Reichen selbst ist. —

Mein Gott, du Barmherziger, Allmächtiger, du siehst meine Qual, du weisst, wie ich leide. Neige dich zu mir und reiche mir deine helfende Hand, wo mich schon die ganze Welt verlassen. Nur Gott ist gerecht. Wie schön beschreibt dies V. Hugo in seinen Legendes du siecle. Wie traurig malerisch klingt mir die Mendelssohn'sche Weise: ,^Vllnächtlich im Traume seh' ich dich . . .•'

Obwohl S. weiss, dass keine ihrer Schriften ihren «angebeteten Lüwen- kopf* erreicht, ermüdet sie nicht, in bogenlangen Vergötterungen von Mariens Person Ausbrüche von Liebesschraerz und Liebeswonne zu schreiben, ,sich nur noch eine helle glänzende ThrUne zn erbitten, geweint an einem stillen hellen Sommerabend, wenn der See im Abendschein erglüht wie geschmolzenes Gold und die Glocken von St. Anna und Maria- Wörtb, in harmonischer Melancholie verschmelzend, Ruhe und Frieden verkünden — für jene arme Seele, lUr dieses arme Herz, das bis zum letzten Hauch für dich geschlagen".

Persönliche Exploration. Die erste Begegnung, welche die Ge- riohtsÄrzte mit S. hatten, war einigermassen eine Verlegenheit für beide Theile. für die erstere^, weil S.'s vielleicht etwas greller forcirte männliche Tournüre imponirte, für sie. weil sie der Meinung war, mit dem Stigma der moral insanity bemakelt zu werden. Ein nicht unschOnes. intelligentes Gesicht, das trotz einer gewissen Zartheit der Züge und Kleinheit aller Parthien ein ganz ent-


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Conbrftre Sexualempfindung bei Frauen.


273


schieden maanlicbes Geprftge hatte, wenn nicht der schwer entbehrte Schnurr- bart fehlen würde I Fiel es doch selbst den Gerichtsänten schwer, trotz Damen* k'leidiing immer gegenwärtig zu haben, dass es sich um eine Damo htitidelt, während der Verkehr mit dem Manne Sandor viel ungezwungener, natürlicher, scheinbar correcter von Statten geht. Dies empfindet auch die Angeschuldigte. Sie wird sofort oflfener, mittheilsamer, freier, sobald man sie wie einen Mann behandelt.

Trotz ihrer schon von den ersten Lebensjahren an vorhandenen Zuneigung ztim weiblichen Geschlecht, will sie doch erst im 13. Jahr, gelegentlich der Entführung der rothhaarigen Engländerin aus dem Dresdener Institute, die ersten Spuren sexuellen Triebes verspürt haben . der sich damals schon in Küssen, Urmarmungen, Berührungen mit wollüstigen Empfindungen manifestirte. Schon damals erschienen ihr in ihren Traumbildern ausschliesslich weibliche Gestalten und habe sie sich, wie auch seither immer, in wollüstigen Träumen in der Situation eines Mannes gefühlt und gelegentlich auch Ejaculation dabei verspürt.

Solitftre oder mutuelle Onanie kenne sie nicht. So etwas erscheine ihr höchst ekelhaft und der .Manneswürde* (!) nicht entsprechend. Sie habe sich auch niemals von Anderen ad genitalia berühren lassen, schon deshalb nicht, weil es ihr um die Wahrung ihres grossen Geheimnisses zu thun war. Die Menses stellten sich erst mit 17 Jahren ein, verliefen immer schwach und ohne Beschwerden. Besprechung menstrualer Vorgänge i)erhorreBcirt S. sichtlich, das sei etwas ihrem münnlichen Bewusstsein und Fühlen sehr Zuwideres. Sie er- kennt die Krankhaftigkeit ihrer sexuellen Neigungen an. wünscht sich aber nichts Anderes, da sie sich in dieser perversen Empfindung vollkommen wohl und glücklich fühle. Die Idee eines sexuellen Verkehrs mit Männern mache ihr Ekel und ihre Ausführung halte sie für unmüglich.

Ihre Schambaftigkeit erstrecke sich so weit, dass sie eher unter Männern schlafen könnte als unter Frauen. So müsse sie, wenn sie ein Bcdürfniss befriedigen wolle oder die Wäsche wechsle, ihre Zellengenossin bitten, so lange sich vom Fenster abzuwenden, damit sie ihr nicht zusehen künne.

Als 8. gelegentlich mit dieser Zellengenos^iin, einer Person ans der Hefe des Volkes, in Berührung kam , empfand sie wollüstige Erregung und musste darüber errüthen. S. erzählte sogar ungefragt, dass sie von förmlicher Angst befallen wurde, als sie in der Gefängnisszelle sich in die ungewohnten Frauen- kleider wieder einzwängen lassen musste. Ihr einziger Trost war, dass man ihr wenigstens ihr Herrenhemd liess. Bemerkenswertb, und für die Bedeutung von Gemchsempfinduugen in ihrer Vita sexualis sprechend, ist auch ihre Mit- tlieilnng, dass sie gelegentlich einer Entfernung ihrer Marie jene Parthien des Sopha aufgesucht und berochen habe, an denen Mariens Kopf zu liegen pflegte, um aus diesen Stellen mit Wonne den Geruch der Haare zu inbaliren. Von Frauen interessiren S. nicht gerade schöne oder Üppige, auch nicht sehr junge. Sie stellt überhaupt die körperlichen Heize des Weibes in zweite Linie. Sie fühlt sich zu denen von etwa 24 — 30 Jahren hingezogen wie mit , magneti- schem* Zug. Ihre sexuelle Befriedigung fand sie ausschliesslich in corpore femiuae (nie am eigenen Körper) in Form von Manustupration des geliebten Weibes oder Cunnüingus. Gelegentlich bediente sie sich auch eine-s mit Werg aasgestopften Strumpfes als Priap. Diese Eröffnungen macht S. nur ungern, mit sichtlichem Sohamgcfübl; gleichwie in ihren Schriften auch niemals Scham- losigkeit oder Cynismus sich finden.

Sie ist religiös, hat lebhaftes Interesse für alles Edle und Schöne, aus- genommen für Männer, ist sehr empr^inglich für sittliche Wcrthschätzung seitens Anderer.

Sie be<luuert tief, dass sie in ihrer Leidenschaft Marie unglücklich ge- macht, findet ihre sexuellen Empfindungen pervers und solche Liebe eines Weibes zum Anderen bei Gesunden moralisch verwerflich. Sie ist hocli V. Kr4fri-Eblng, P»ychopKthia sexualis. lo. Aofl. J'^


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ContriLre ScxualenipÖndung.


talentirt für literarische Leistnngen, besitzt seltenes Gedächtniss. Ihre einzige Schwäche ist der colossale Leichtsinn ond die Unmöglichkeit, mit Geld and Geideswerbh vernünftig umzugehen. 'Sie ist sich jedoch dieser Schwäche be- wusst und bittet, darüber nicht weiter zn sprechen.

8. ist 15-i cm hoch, von zartem Knocbenbaa, mager, jedoch an Brust und Oberschenkeln auffallend muskulös. Der Gang ist in Weiborkleidern ungeschickt.

Ihre Bewegungen sind krtLftig, nicht unschön, wenn auch mehr männ- lich steif, ungrazifts. Ihre Begrüssung erfolgt mit kräftigem Händedruck. Das ganze Auftreten ist decidirt, stramm, etwas selbstbewusst. Blick intelligent, Miene etwas verdüstert. Füsso und Hände auffallend klein, auf infantiler Stufe stehen geblieben. Streckseiten der Extremitäten auffallend stark be- haart, während von Barthaaren, trotz aller Rasirexperimente, nicht einmal ein Flaum zu bemerken ist. Der Rumpf entspricht durchaus nicht weiblicher Bauart. Es fehlt die Taille. Das Becken ist so schlank und so wenig promi- nirend, dass eine von der Achselhöhle Kum entsprechenden Küie gezogene Linie der Richtung der Geraden entspricht und durch eine Taille nicht ein-, durch das Becken nicht auswäi-ts gedrängt wird. Der Schädel ist leicbt oxycephal und bleibt in allen Massen um wenigstens 1 cm unter dem Durchschnittsmass des weiblichen zurück.

Die SchUdelcircumferenz beträgt 52, die Obrbiuterhauptlinie 24, die Ohrscheitellinie 23, Ohrstirnlinie 28,5, Längsumfang 30, Ohrkinnlinie 26,5, Längsdurchmesser 17, grüsster ßreitedurchmesser 13, Distanz der Gehörgänge 12, der Jochfortsätze 11,2 cm. Der Oberkiefer springt stark vor, sein Alveolar- fortsatz überragt den Unterkiefer um 0,5 cm. Zahnstellnng nicht ganz normal. Der rechte obere Augenzahn hat sich nie entwickelt. Mund aulTaliend klein. Ohren abstehend, Läppchen nicht differenzirt, in die Wangenhaut sich ver- lierend. Harter Gaumen schmal , steil. Stimme rauh , tief. Brustdrüsen ge- nügend entwickelt, weich, ohne Sekret. Der Mons Veneris mit dichten dunklen Haaren bedeckt. Genitalien vollkommen weiblich, ohne Spur von faermaphro- ditischcn Erscheinungen, aber auf der infantilen Stufe des lOjährigen Mädchens stehen geblieben. Die Labia majora berühren sich fast voll- ständig, die minora haben hahnenkammartige Form und prominiren über die grossen. Die Clitoris ist klein und buchst empfindlich. Krenulnm zart, Peri- neum sehr schmal, Introitus vaginae enge, Schleimhaut normal. Hymen fehlt (wahrscheinlich angeboreii)f ebenso die Carunculae myrtiformes. Vagina derart enge, dass die Einführung eines Membrum virile unmöglich wäre, überdies höchst empfindlich. Ein Coitus hat bisher jedenfalls nicht stattgefunden. Uterus wird durchs Rectum etwa wallnussgross gefüllt, derselbe ist unbeweg- lich und retroflektirt.

Das Becken erscheint als ein allseits verengtes (Zwergbecken) mit ent- schieden männlichem Typus. Die Distanz der vorderen Darmbeinstachel be- trägt 22.5 (statt 26,3), die der Darmbeinkämme 26,5 (statt 29,3), die der RoH- hügel 27,7 (3U, die äussere Conjugata 17,2 (19—20), daher vermuthlich die innere 7,7 (10,8) haben wird. Wegen mangelhafter Breite des Beckens ist auch die Stellung der Oberschenkel keine convergente wie beim Weib, sondern eine gerade.

Das Gutachten erwies , dass bei S. eine angeborene krankhafte Ver- kehrung der Geschlechtsempfindung, welche sogar anthropologisch in Anomalien der Körperentwicklung sich ausspricht, verbunden sei, auf Grund schwerer hereditärer Belastung, femer dass die incrimlnirten Handlungen der S. ihre Begründung in ihrer krankhaften und unwiderstehlichen Sexualität finden.

Insofern habe S.'s bezeichnende Aeusserung; »Gott hat mir die Liebe ins Herz gegeben. Wenn er mich so schuf und nicht anders, biu dann ich schuld daran, oder sind es die ewig unergi'Undlichen Wege des Schicksals?* alle Berechtigung.


Complicireode sexuelle Perrersionen bei contr&r SexQülen. 275

Der Gericbtehof ftllte eio freisprechendes Erkenntniss. Die ^Grftfio in llfftnnerkleidunR*, wie sie die Zeitungen nannten, kehrte nach der heimath- 'licheu Hauptstadt zurück und gmrt sich wieder als Graf Sandor, Ihr einziger Kummer ist ihr zerstrtrtes Liebesglück mit ihrer heiss geliebten Marie.

Glücklicher war eine Ehefrau in Branden (Wisconsin), von der Dr.Kier nan (The med. Staudard 1888, Nov.-Dec.) berichtet. Dieselbe entführte 1883 ein junges Mädchen, tiess sich mit ihm trauen und lebte ungestört als Mann mit demselben.

Ein interessantes , historisches* Beispiel von Ändrogynie dürfte ein von Spitzka (Chicago med. Review vom 20. August 1881) raitgetheilter Fall sein. Er betrifft Lord Cornbury, Gouverneur von New- York, der unter der Regierung der Königin Anna lebte, offenbar mit moral insanity behaftet, ein schreck- licher Wüstling war und sich nicht enthalten konnte, trotz seiner hohen Stellung, in Weiberkleidern, kokettirend und mit allen Allüren der Courtisane in den Strassen herumzugehen)

Auf einem von ihm erhaltenen Bild fallen schmaler Stirnschädel, asym- metrischer Gesichtsschädel, weibliche Züge, sinnlicher Mund auf. Sichergestellt ist, dass er sich nie für ein wirkliches Weib gehalten hatte.


Auch bei den mit conträrer Sexualempfindung behafteten Individuen kann die an und für sich perverse Qeschlechtsempfindung und Geschlechts- hchtung mit anderweitigen Perversionserscheinungen complicirt sein.

Es durfte sich hier um ganz analoge Vorkommnisse bezüglich der Bethiitigung des Triebes handeln, wie bei dem geschlechtlich zu Personen des anderen Geschlechts hinneigenden, aber in dtir Betbätiguug des Triebes perversen Individuum.

Bei dem Umstand, dass eine fast regelmässige Begleiterscheinung der contrKren Sexualfmptindung ein krankhaft gesteigertes Geschlechtsleben ist, werden wollüstig-grausame sadistische Akte in Befriedigung der Libido [bleicht möglich. Ein bezeichnendes Beispiel in dieser Hinsicht ist der Fall |.ZB8trow (Casper-Liman, 7. Aufl., Bd. I, p. 160, II, p. 487), der eines seiner Opfer, einen Knaben, biss, ihm das Präputium zerriss, den Anus schlitzte und das Kind strangulirte.

Z. stammte von psychopathiscbem Grossvater, melancholischer Mutter; deren Bruder fröhnte abnormem Gescblechtsgenuss und beging Selbstmord.

Z. war ein geborener Urning, war in Habitus und Beschäftigung männlich geartet, mit Pbimosis behaftet, ein psychisch schwacher, ganz verschrobener, social unbrauchbai-er Mensch. Er hatte Horror feminae. fühlte sich in seinen Traumen als Weib dem Manne gegenüber, hatte peinliches Bewusstsein der fehlenden normalen Ge.schlechtsempfindung und des perversen Triebs, versuchte durch mutuelle Onanie Befriedigung und hatte häuHg pilderastische Gelüste.

Aohnliche derartige sadistische Antriebe bei conträr Sexualen finden sich auch in einzelnen der vorausgehenden Krankengeschichten (vgl. Beob. 107. 108 dieser Auflage und die ti. Auflage, Bcob. IMl, ferner Moll, Contr. Sexnal- empfindung. 2. Aufl., p. 189; v. Krafft. Jahrb. f. Psychiatrie XII. p. 389 und 357; Moli, Untersuchungen Über Libido sexualis, Fall 26. 27».

Als Beispiele perverser Sexnalbefriedigung auf dem Doden der conträren

Sexualempfindung möge noch der Grieche erwähnt werden, der, wie Athenäus

flwrichtet. in eine Cupidostatue verliebt war und sie im Tempel zu Delphi

schändete; ferner, neben monströsen Fallen bei Tardieu (Attentats p. 272),


276


Conträre Sexualempfindung.


der TOD Lombroso (LVozdo delinqnente p. 200) berichtete scheusslicfae Fall eines gewissen Artnsio, der einem Knaben eine Banchwnnde versetzte and ihn durch diese sexuell mifisbraucbte.

Belege dafür, do^s auch Fetiscfaismns bei conträrer Sexualempfindang vorkommt, sind Beob. 02 (Taschentuch), 115 (Stiefel), 110 (8. Aufl. M un d). ferner ein von mir mitgetheüter Fall von Schubfetischismus in , Jahrbücher f. Psychiatrie' XJI. 1; Moll, op. cit. 2. Aufl. , p. 179: Garnier, Les F^ti- chistes, p. 'J8 (Kleidungsfetischismns — Arbeiterblousen).

Der folgende Garnier entlehnte Fall ist ein klassisches Beispiel von Stiefelfetiscbismus. Nicht selten ist auch M a s o c b i s m u s als Ck>mplication vüD contr&rer Sexnalempfindung vgl. Moll, 2* Aufl., p. 172 (Fall 12) und p. 19Ü. Derselbe, Internation. CentralbL f. d. Physiol. und Pathol. der Harn- und Sexualorgane IV, Heft 5 (Homosexualität eines Weibes mit passivem Flagellantis- mus und Koprophagie); v. K rafft. Beob. 43 der 0. Aufl. dieses Buches^ femer Beob. ll> dieser und 114 der 8. Aufl., ferner ^Jahrbücher für Psychiatrie* XIT. p. 339 (Homoäexualität, abortiver Mosochismus), p. 351 (psych. Bermaphrodisie, Masochismns).

Beobachtung 139. Homosexualität. X., 2o Jahre alt, aus höherem Stand, wurde Über Masturbation in einer Öffentlichen Anlage betreten und ver- haftet. Er ist beredit&r schwer belastet, hat einen abnormen Schfidel, erschien von Kindsbeinen auf eigenthömlicb, psychisch abnorm, hatte schon mit 10 Jahren eine sonderbare Inclination für Lackstiefel, ergab sich mit 13 Jahren der Masturbation, wobei er aber, um zur Ejaculation xu gelangen, jeweils des Anblicks von Lackstiefeln theilhaftig sein musste. Er hatte nie eine Neigung zum Weibe und fühlte sich, als er mit etwa 21 Jahren einmal Coitas in einem Lupanar unternahm, davon gar nicht befriedigt. Mit 24 Jahren entwickelte sich immer mehr eine homosexuelle Empfindung. Er fühlte sich aber nur* zu jungen Männern von eleganter Kleidung und mit Lackstiefeln hingezogen. In der Erinnerung an solche masturbii*te er. Sein Ideal war aber das Zusammen- leben mit einem solchen Mann und die Ausfuhrung mutueller Masturbation. Un^big seine Wünsche zu realisiren, führte er sich eine Kugel in den Anus ein, machte sie ein- und austreten, indem er sich dabei vorstellte, von einem idealen jungen Manu mit Laokstiefeln coitirt zu werden. Gleichzeitig mastnrbirte er sich. Während dieser Imitatio passiver Päderastie hatte er Unterhosen ans rother Seide angelegt. Eine Zeitlang klebte er Zettel an einem öfl^entlichen Gebttude an: , meine Nates stehen schönen Herrn mit Lackstiefeln zur Ver- fügung.* Wenn er derlei schrieb und dann seine Lackstiefel anschaute, kam es zur Erection. Seit dem l(j. Jahr, wo ihn junge Leute zu interessiren be- gannen, hatte er nur Auge für ihr Schuhwerk und nur dann gefielen sie ihm, wenn sie Lackstiefel anhatten. Lieblingsaufenthalt waren ihm Schuhwaarenläden und der Platz vor der Militärschnle, wo er Gelegenheit hatte, Offiziere in Lack- stiefeln zu bewundern. Eines Tages kaufte er sich solche und berauschte sich daheim in ihrem Anblick. Aber schon ihr „Duft' genügte, um ihn sexuell mächtig zu erregen. Endlich zog er sie auch an, um auf Eroberungen auszugehen, aber ohne Erfolg. Nun benutzte er sie, um masturbando in dieselben zu ejaouliren. was seine Wollust aufs Aeusserste steigerte, namentlich wenn er dabei einen der Stiefel ad anum, femora u. s. w. legte und damit frottirte. Als einmal X. an einem der Stiefel, die er sehr schonte, einen kleinen Schaden am Lack- Überzug bemerkte, war er tief betrübt. Er kam sich vor, wie Jemand, der die erste Runzel im Antlitz eines geliebten Wesens bemerkt. Eines Tags im Park meinte er. dass ein junger Mann nach seinem Geschmack ihm Avancen mache. Trunken vor Entzücken konnte er sich nicht zurückhalten, zu ex- hibiren. Da wurde er verhaftet. L. wurde nicht verurtheilt, einer Irrenanstalt übergeben (Garnier, Les Fetichistes p. 114).




Diagnose der contr&ren Sexualempfindung.


277


Zur Diagnose, Prognose und Therapie der conträren Sexualempfindnng.

Während die conträre Sexiialempfindiing für die bisherige Wissen- schaft mir ein anthropologisches, kliniHches und forensisches Inieresse bieten konnte, kann auf Grund neuester Forschungen nunmehr auch an die Therapie dieser unheilvollen, ihren Träger social, moralisch und physisch so schwer heimsuchenden Änoniülie gedacht werden.

Eine Vorbedingung fUr ein therapeutisches Eingreifen ist die genaue Differenzirung der erworbenen von den angeborenen Fällen und unter diesen letzteren wieder die Eiiireihung des concreten Falles in die wissen- schaftlich empirisch gefundenen Categorien.

Die diagnostische Auseinanderhaltung der erworbenen Fälle von den angeborenen ist ohne Schwierigkeiten in den Anfangsstadien.

Ist schon Inversio sexualis erfolgt, so wird die retrospective Ent- wicklung des Falles über denselben Klarheit verbreiten.

Die prognostisch wichtige Entscheidung, ob angeborene oder er- worbene conträre Sexualempfindung bestehe, lässt sich in solchen Fällen nur durch eine minutiöse Anamnese gewinnen.

Die Ermittlung, ob conträre Sexualempfindung schon lange vor der Hingabe an Mastiubation bestand, wird im Sinne der Angeborenheit der Anomalie von grösster Wichtigkeit sein. Eine Schwierigkeit erwachst dabei durch die Möglichkeit unrichtiger zeitlicher Localisation in der Ver- gangenheit (Erinnerungstäuschung).

Für die Annahme erworbener conträrer Sexualempfindung ist wichtig der Nachweis heterosexualer Empfindung vor dem Zeitpunkt des Beginnes der Auto- oder mutuellen Masturbation.

Im Allgemeinen sind die erworbenen Fälle charakterisirt dadurch, dass

1. Die homosexuale Empfindung secundär in der Lebensgeschichte auftritt und jeweils auf Momente, welche die normale Geschlechtsbefrie- digung störten (masturbatorische Neurasthenie, psychische Einflüsse), sich zurückfuhren lässt.

Es ist jedoch anzunehmen, das» hier ab origine, selbst trotz mächtiger grobsinnlicher Libido, die Empfindung und Neigung zum anderen Geschlecht, besonders in seelischer Hinsicht und specieU in ästhetischer, schwach veranlagt ist (vgl. p. 223).

2. Die homosexuale Empfindung wird vom Bewusstsein — »o lange nicht Inversio sexualis erfolgt ist — als lasterhaft und kraukhaft auf- gefasst und ihr nur faute de roieux nachgegeben.


278


Contrftre Sexualem pßndang.


3. Die heterosexuale Empfindung bleibt lange die Torberrsrbende und die Unmöglichkeit ihrer Befriedigung wird peinlich empfunden. Jene geht unter in dem Masse, als die homosexuale zur Oeltung gelangt.

Bei den angeborenen Fällen dagegen ist

a) Die bomosexuale Empfindung die primär auftretende und iu der Vita sexualis dominirende. Sie erscheint als die naturgemääse Art der Befriedigung und gibt sich als dominirend auch im Traumleben des Indi- viduums kund.

b) Die heterosexuale Empfindung fehlt von jeher oder, wenn auch in der Lebensgeschicht^ des Individuums zu Tage tretend (psychische Hermaphrodisie), so ist sie doch eine episodische Erscheinung, findet keine Wurzeln in der Psyche des IndiTiduums und ist wesentlich nur Mittel zur Befriedigung sexueller Dränge.

Die Differenzirung der Übrigen Gruppen der angeboren conträr Sexualen von einander und von den erworbenen Fällen überhaupt wird nach dem Vorausgehenden keinen Schtt-ierigkeiten begegnen.

Die Prognose der erworbenen Fälle von contrürer Sexuulempfin- (lung ist eine jedenfalls viel günstigere als die der angeborenen. Bei den ersteren dürfte die eingetretene Effeminatio — die seelische Um* Wandlung des Individuums im Sinne seiner perversen Sexualgefilhle — die Grenze sein, von welcher an für die Therapie nichts mehr zu hoj9*en ist. Bei den angeborenen Fällen bilden die verschiedenen in diesem Buche aufgestellten Categorien ebenso viele Gradstufen psychosexualer Belastung^ und wird bestimmt nur innerhalb der Categorie der Hermaphroditen, möglicherweise (ein Fall von Schrenck-Notzing) auch bei schwereren Eutartungszuständen Hülfe möglich sein.

Um so wichtiger wäre die Prophylaxe dieser Zustände — für die angeborenen die Nichterzeugung solcher Unglücklichen, für die er- worbenen die Bewahrung vor den Schädlichkeiten, welche zu dieser fatalen Verkehrung der Geschlechtscmpfindung erfahrungsgemäss führen können.

ünz&hlige Belastete verfallen diesem traurigen S<:bicksal, weil Eltern und Emiehfir keine Ahnung von den Gefahren haben, welche die Masturbation den Kindern auf solcher Grundlage bereiten kann.

In vielen Schulen, Pensionaten wird Masturbation und Unzucht geradezu gezüchtet. Auf das physische und nioralische V'erhalten der Schüler wird heutzutage viel zu wenig geachtet.

Wenn nur der Lehrstoff persolvirt wird, das ist die Hauptsache. Dass darüber mancher Schüler an Leib und Seele verdirbt, kommt nicht in Betracht.

Mit einer lUcherlichen Prüderie wird den heranwachsenden jungen Leuten die Vita sexualis verschleiert gehalten, den Kegungen ihres Sexualtriebes aber nicht die mindeste Beachtung geschenkt. Wie wenig Hausärzte werden in den Entwicklungsjahren der Kinder ihrer oft recht belasteten dienten zu Rathe gezogen !

Man meint Alles der Natur überlassen zu müssen. Inzwischen regt sich diese übermächtig und führt den Uülf- und Schutzlosen auf gefährliche Abwege.


Therapie der cooträren Sexualerapflnduog.


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Ein näheres Eingehen auf diese prophjlactische Seite der Frage ist hier nicht zulässig ^).

Für Eltern und Er/ieher geben die in diesem Buche niedergelegten Erfahrungen, sowie zahlreiche wissenbchaftUche Arbeiten über Masturbation Anhaltspunkte und Winke.

Die Aufgaben der Behandlung bestehender contriirer Sexual- erapfindung gegenüber sind folgende:

1. Bekämpfung von Onanie und anderen die Vita sexualis schädigenden Momenten.

2. Beseitigung der aus antibygionischen Verhältniesen der Vita sexualis entstandenen Neurose (Neurnsthenia sexualis und universalis).

3. Psychische Behandlung im Sinne einer Bekämpfung homosexualer und der Förderung heterosexualer Gefühle und Impulse.

Der Schwerpunkt der Aufgabe wird in der Erfüllung der 3. Indi- cation liegen» namentlich auch bezüglich der Onanie.

Nur in sehr seltenen Fällen vermag bei noch nicht vorgeschrittener erworbener conträrer Sexualempfindung die Erfüllung von 1 und 2 zu genügen 1 wie ein von mir in der Zeitschrift ^Irrenfreund" 1885 Nr. 1 ausführlich berichteter Fall *) erweist.

In der Regel wird die körperliche Behandlung, wenn auch unter- stützt durch moralische Therapie im Sinne energischer Kathschläge be- hufs Meiden von Masturbation, Unterdrückung homosexualer Gefühle und Dränge und Weckung heterosexualer, selbst bei erworbenen Fällen von conträrer Sexualempfindung, nicht ausreichen.

Hier kann nur eine Methode der psychischen Behandlung — die Suggestion — Hülfe bringen.

Ich kenne nur einen Fall (Beob. 129 der 9. Aufl.), in welchem Selbst- bekänipfung homosexunler Neigungen, also Autosuggestion, erfolgreich war.

In der llegel wird nur die Fremdsuggestion, und zwar nur die durch Hypnose bewerkstelligte, Aussicht auf Erfolg bieten.

Die Aufgabe posthypnotischer Suggestion ist es, in solchen Fällen den Drang zur Masturbation, sowie homosexuale Gefühle und Dränge ab- und heterosexuale nebst dem Bewusstsein der Potenz anzusuggeriren.


') Bemerkenswertb im Sinne einer Prophylaxe sind folgende Worte, welche mir der Patient der Beol». 88 der 6. Aufl. «chrieb; »Wenn es einmal dazu käme, nicht wie bei den Spartanern, wo die kraftlose Jugend vernichtet wurde und im ..Sinne einer guten Zuchtwahl nach Darwin's Ideen, sondern doM, die Rrkonnung hinserer contrftren Sexualem pßndung Rcbon in der Jugend vorausgesetzt, in dieser Lebenszeit durch Sugge«tioii üieue schlimmste aller Krankheiten geheilt werden könnte! Wahrucheinlich würde diu Heilung in der Jugend eher zu bewerkstelligen •ein all später/

^) Im Auszug mitgetheilt als Heob. 128 der 9. AoB. diese« Buohee.


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Conti^e Sexaalempfindung.


Eine Vorbedingung ist natUrlicb die Möglichkeit, eine genügend vertiefte Hypnose herbeizuführen. Dies gelingt gerade bei Neurasthenikem nur zu häufig nicht, da sie vielfach aufgeregt, befangen und nicht im Stande sind, ihre Gedanken zu concentriren.

Angesichts der enormen Wohlthat» welche solchen Unglücklichen erwiesen werden kann, und im Hinblick auf Ludame's Fall (s. u.) sollte man in derartigen Fällen künftig Alles aufbieten, um das einzige Ret- tungsmittel, die Hypnose, zu erzwingen. Befriedigend war der Erfolg in folgenden zwei Fällen.

BeobachtuDg 140. Durch Masturbation erworbene contrftre Sexualempfindnng. Herr X., Geschäftsmann, 20 Jahre. Eltern des Vaters gesund. In des Vaters Pauiilie nichts von Nervosität.

Vater war ein reizbarer, griesgrämiger Mann. Ein Bruder des Vaters sei ein Lebemann gewesen und ledig gestorben.

Die Mutter starb im dritten Wochenbett, als Patient ü Jahre alt war; sie hatte eine tiefe, rauhe, mehr männlicbe Stimme and barsches Auftreten.

Von den Geschwistern des Patienten ist ein Bruder reizbar, .melau- cholisch", neutral gegen Weibor.

Patient litt als Kind an Scharlach mit Delirien. Er sei bis z:a seinem H.Lebensjahr heiter und gesellig gewesen, von da ab still, einsam, .melan- cholisch*. Die erste Spur des geschlechtlichen Empfindens stellte sich mit lü — 11 Jahren ein; er lernte damals die Onanie von anderen Knaben kennen und trieb mit diosen mutuclle Masturbatinn.

Mit 13 — 14 Jahren zum ersten Mal Samenergiessung. Patient nahm bis vor 'J4 Jahr keine üblen Folgen der Onanie wahr.

In der Schule habe er leicht gelernt, mitunter habe er Kopfweh gehabt. Vom 20. Lebensjahre ab Pollutionen , trotz täglicher Onanie. Bei den Pollu- tionen Triiumc, .Begattungssitnationen', es schwebte ihm vor, wie Mann und Weib den Akt vollziehen. Im 17. Lebensjahre wurde er von einem mann- männlich liebenden Individuum zu mutueller Onanie verfuhrt. Bei dieser Ver- führung habe er Befriedigung empfunden, insoferne er von jeher sehr ge- schlechtsbedürftig war. Es dauerte lange, ehe Patient neuerliche Gelegenheit zu mannmännlichem Verkehr aufsuchte. Es war ihm bloss darum zu tbon. den Samen los zu werden.

Er empfand keine Freundschaft, keine Liebe zu Personen, mit denen er verkehrte. Er empfand nur Befriedigung, wenn er der pasjdve Theil war, wenn er manustuprirt wurde. Er hatte keine Achtung vor dem Betreffenden, wenn er den Akt einmal vollzogen hatte. Gewann er später hingegen Achtung, so unterliess er den Akt. Später war es ihm gleich, ob er onanirte oder ona- nisirt wurde. Wenn er selbst onanirte, dachte er an die Hand von gefUUigen Männern, die ihn onanisirten. Harte, rauhe Hände waren ihm lieber.

Patient glaubt, dass er ohne Verführung auf eine naturgemässe Bahn der Befriedigung des Geschlechtstriebs gelenkt worden wäre. Liebe zum eigenen Geschlecht nahe er niemals empfunden , doch habe er sich in dem Gedanken gefallen, mit Männern der Liebe zu pflegen. Er habe anfangs sinnliche Regungen gegenüber dem anderen Geschlecht gehabt. Getanzt habe er gern; er habe auch an Weibern Gefallen gefunden und habe mehr auf die Figur gesehen^ als auf das Gesicht. Er habe auch Erectionen bekommen , wenn er ein sym- pathisi^hes Weib sah. Er habe nie versucht, den Beischlaf auszuführen, weil er sich vor Ansteckung fürchtete; er wisse gar nicht, ob er einem Weib gegen- über potent wäre. Er glaube, dass dies nicht mehr der Fall sei, denn seine Gefühle gegenüber den Weibern seien erkaltet, besonders seit dem letzten Jahr.




Therapie der conträren Sexualempfindung.


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Wahrend er früher in seinen sinnlichen Träumen Vorstellungen von Männern und Weibern hatte « träumte er später nur von Annäherungen an den Mann; von sinnlichen Beziehungen zu. einem Weibe in den letzten Jahren geträumt zu haben, kann er sich nicht erinnern. — Im Theater interessire ihn immer die weibliche Figur, ebenso im Circus und Ballet. In Museen haben ihn männliche und weibliche Statuen gleich angezogen.

Patient sei starker Raucher, Biertrinker, liebe HerreugeseUscbaft , sei Tnmer, Schlittschuhläufer. Das Geckenhafte sei ihm immer zuwider gewesen, er habe niemals das Bedürfniss gehabt, Männern zu gefallen, schon eher den Wunsch, Damen zu gefallen.

Er empfinde jetzt seine Position peinlich, weil die Onanie überhand genommen habe. Die früher unschädlich getriebene Onanie entfalte jetzt schädliche Wirkungen.

Seit Juli 1889 leide er an Hodenneiu-algie; der Schmerz trete besonders Nachts auf; Nachts trete auch Zittern auf (gesteigerte Beäexerregbarkeit); der Schlaf sei unerquicklich, Patient wache auf mit Schmerzen im Hoden. Er sei geueigt, jetzt häufiger zu onaniren als früher. Er habe Angst vor der Onanie, £r hoffe, dass sein Geschlechtsleben noch in normale Bahnen gelenkt werden könne. Er denke jetzt an die Zukunft, er habe schon ein Verhältniss, das Mädchen sei ihm sympathisch, auch der Gedanke, sie als Frau zu besitzen sei ihm angenehm.

Seit fünf Tagen habe er sich der Onanie enthalten, er glaube aber kaum, dass er im Stande wäre, durch eigene Kraft der Onanie zu entsagen. In letzter Zeit sei er sehr niedergeschlagen gewesen, habe keine Arbeitslust, sei lebensüberdrüssig.

Patient ist gross, kräftig, wohlgenährt, dichtbebartet. Schädel und Skelet normal.

P. S. R. sehr prompt; tiefe Reflexe in o. E. sehr gesteigert, Pupillen Über mittelweit, beiderseitig gleich, sehr prompt reagirend. Carotiden von gleichem Caliber. Hyperaesthesia urethrae. Samenstrang und Testikel nicht emp6ndlich; ganz normale Genitalien.

Patient wird beruhigt-, auf glückliche Zukunft vertrustet unter der Be- dingung, dass er der Onanie entsage und sein geschlechtliches Fühlen von Personen des eigenen Geschlechts ab- und auf weibliche lenke.

Verordnung von Halbbädern (24 — 20 " B.) extr. Secal. cornut. aquos. 0,5, Antipyrin 1,0 pro die; Abends 4,0 Bromkaliuni.

13. December. Patient kommt heute verstört in die Sprechstunde, klagend, dass er aus eigener Kraft dem Reiz zur Masturbation nicht widerstehen könne, und bittet am Hülfe.

Ein Hypnoseversuch bringt Patient in tiefes Engourdissement. Er erhält Suggestionen:

1. ich kann, darf und will nicht mehr onaniren;

2. ich vorabscheue die Liebe zum eigenen Geschlecht und werde keinen Manu mehr schön finden;

3. ich will und werde gesund werden, ein braves Weib Heben, glück- lich sein und glücklich machen.

14. December. Patient hat heute beim Spaziergang einen schOnen Mann

m und sich mächtig zu ihm hingezogen gefühlt.

Von nun an jeden zweiten Tag hypnotische Sitzungen mit obigen Sug- gestionen, Am 1^. December (vierte Sitzung] gelingt Somnambulismus. Der Drang zur Onanie und das Interesse am Manne sehwinden.

In der achten Sitzung wird »volle Potenz* zu den obigen Suggestionen hinzugefügt. Patient fühlt sich moralisch gehoben und körperlich gekräftigt. Die Hodoiineuralgie ist geschwunden. Er findet, er sei jetzt auf dem Nullpunkt shleebtlieber Empfindung.

Masturbation und conträre Sexualempfindung glaubt er los zu sein.


282


Conträre Sexaalempfindun^.


Nach der elften Sitzong erklärt er weitere ärztliche Hülfe für unnOthig. £r wolle jetzt heim und sein Mädchen heir&then. Er fühle sich ganz gesund and potent. Patient wird Anfang Januar 1890 aus der Behandlung entlassen.

Im März 1890 schrieb mir Patient: ,Ich hatte seither noch einige Male Gelegenheit, meine ganze moralische Kraft zusammennehmen zu ratUsen. um meine Angewohnheit zu bekämpfen, und ist es mir Grott sei Dank gelungen, mich von. diesem Hebel zu befreien. Schon einige Male war ich in der Lage. den Coitus auszuführen» wobei ich einen leidlichen Genuss empfand. Ich sehe meiner glücklichen Zukunft mit Ruhe entgegen.*

Weitere Fälle von durch hypnotische Suggestivbehandlung beseitigter, erworbener conträrer Sexualempfindung siehe Wetterstrand, Der Uypootismus und seine Anwendung in der praktischen Medicin, 1891 p. r)2 u. ff.; Bern- heim, „Hypnotisme*. Paris lö91 etc. p. 38; meine Psychopathia sexaalis. 8. Aufl., Beob. 136; 9. Aufl., Heob, 131 (erhebliche Besserung).

Die vorausgehenden That^achen des Erfolges hypnotischer Suggestion gegenüber Fällen von erworbener conträrer Sexualempfindung lassen iin die Mögiichkeit denken, auch Unglücklichen, welche mit angeborener Ferversion der Sexualempfindung behaftet sind, einigermassen Hülfe zu bringen.

Allerdings ist die Situation hier eine ganz andere, in.sofern eine an- geborene Anomalie zu bekämpfen, eine krankhafte psychosexuale Existenz zu vernichten und eine neue gesunde zu schaffen wäre.

Am günstigsten liegen noch die Verhältnisse beim psychosexualen Hermaphroditen, wo wenigstens Rudimente heterosexualer Empfindung suggestiv gekräftigt und zur Geltung gebracht werden können.

Beobachtung 141. Herr v. X., 25 Jahre, Gutsbesitzer, stammt von neuropathischem , jähzornigem Vater. Derselbe soll sexuell normal sein. Die Mutter war nerven leidend, gleichwie zwei ihrer Schwestern. Muttersmutter war nervi)s, Muttersvater ein Lebemann, in Venere höchst ausschweifend. Patient ist der Mutter nachgeartet, einziges Kind. Er war von Geburt an schwächlich, litt viel an MigrUne, war nervös, machte verschiedene Kinderkrankheiten durch, ergab sich vom 15. Jahre an der Onanie ohne Verführung.

Bis zum 17. Jahre will er weder für das weibliche noch für das männ- liche Geschlecht irgend eine Neigung gefühlt haben; nun erwachte Neigung zum Manne. Er verliebte sich in einen Kameraden. Dieser erwiderte seine Liebe. Die Beiden umarmten, küssten, uiasturbirten einander. Gelegentlich übte Patient Coitus inter femora viri aus. Päderastie perhorrescirte er.

Lascive Träume drehten sich nur um Männer. Im Theater und Circus interessirten nur solche. Die Neigung richtete sich auf etwa 2(>jährige. Schöner Üppiger Wuchs war Patient sympathisch.

Unter dieser Voraussetzung war ihm der Stand des betreffenden Mannes ganz gleichgültig. Er fühlte sich in seinen sexuellen Rencontres immer in männlicher Bolle.

Vom 18. Jahre an war Patient der Gegenstand der Sorge seiner hochacht- baren Familie, da er eine Liebschaft mit einem Kellner anfing, sich dadurch anffUllig, lächerlich machte und ausbeuten liess< Man nahm ihn heim. Er trieb sich mit Bedienten, Stallknechten hemm. Es gab Scandal. Man schickte ihn auf Reisen. In London hatte er eine Chantage-Äffaire. Es gelang ihm, in sein Heimathland zu entfliehen.

Auch durch diese bittere Erfahrung blieb er utigewitzigt und zeigte neuerlich fatale Inclinationen zu männlichen Personen. Man sandte Patient zu


Therapie der cotiträren Sexualempfindung.


283


mir behnfs — Heilung von seiner fatalen Neigung. (Decemher 1888.) Patient ist ein grosser, stattliober, robuster, gut genährter junger Mann von durchaus männlichem Bau, grossen, gut entwickelten Genitalien. Gang, Stimme und Haltung sind männlich. Ausge3i>rochene männliche Passionen hat er nicht. £r raucht wenig und nur Ciguretten, trinkt sehr wenig, liebt Süssigkeiten, Mofilk, schöne Künste. Eleganz, Blumen, verkehrt mit Vorliebe io Damenkreiaen, trägt Schnurrbart, sonst aber das Gesicht glatt raslrt. Seine Kleidung hat nichts Stutzerhaftes. Er ist ein weichlicher, blasser Mensch, ein vornehmer Bummler und Tagedieb, schwer vor Mittags aus dem Bette zu bringen. Seine Neigung zum eigenen Geschlecht will er nie als etwas Krankhaftes empfunden haben. Er hält sie für angeboren, müchte, durch üble Erfahrungen belehrt, von seiner Perversion loskommen, vertraut aber wenig seiner eigenen Kraft. Er habe es schon versucht, gerathe dann aber wieder gleich in Masturbation, die er als schädlich empfiade, da sie (übrigens leichte) neurasthenische Be- schwerden mache. Moralische Defekte besteben nicht. Die Intelligenz steht ein wenig unter dem Durchschnittsmittel, Sorgfältige Erziehung und aristo- kratische Manieren stehen zu Gebot. Das exquisit neuropathisohe Auge ver- räth die nervöse Constitution. Patient ist kein vollkommener und hoffnungs- loser Urning. Er besitzt heterosexuale Empfindungen, aber seine sinnlichen Regungen gegenüber dem schönen Geschlecht treten nur selten und schwach zu Tage. 19 Jahre alt wurde er von Freunden zum ersten Mal in ein Lupanar gelockt. Er empfand keinen Horror feminae, hatte ausreichende Erectioaen, coitirte mit einigem Genuss, jedoch ohne das intensive Wollustgefühl, das er bei männlicher Umarmung empfand.

Seither versicherte Patient noch sechsmal coitirt zu haben, zweimal saa sponto. Er versichert jederzeit dazu in der Lage zu sein, jedoch nur faute de mieux, etwa wie ihm Masturbation, wenn ihn der sexuelle Drang plagt, als Surrogat für manumännlichen Verkehr diene. Er habe sogar schon an die Möglichkeit gedacht, eine srmpathische Dame zu finden und zu heirathen. Den ehelichen Umgang und die definitive Abstinenz vom Manne würde er freilich als harte Pfliüht<»n betrachten.

Da hier doch Rudimente heterosexualen Fühlens vorhanden waren und der Fall nicht als hoffnungslos betrachtet werden konnte, erschien mir ein therapeutischer Versuch geboten. Die Indicationen waren klar genug, aber auf den Willen des schlaffen und seiner fatalen Lage sich keineswegs klar bewQSSten Patienten kein Verlass. Es lag nahe, in der Hypnose eine Stütze für den moralischen ärztlichen Einfluss zu suchen. Die Erfüllung dieser Hoffnung erschien zweifelhaft durch die Mittheilung des Patienten, der bekannte Hansen habe wiederholt vergebens Hypnose bei ihm versucht.

Gleichwohl musste dieser Versuch aus Rücksicht für die wichtigsten socialen Interessen des Patienten wiederholt werden. Zu meinem grossen Er- staunen führte die Bernheim*sche Methode sofort zu tiefem Engourdissement mit Möglichkeit posthypnotischer Suggestion.

I^i der zweiten Sitzung gelingt Sonmambulismus durch blosses Anblicken. Patient ist nach jeder Richtung hin suggestibel, man kann durch Streichen der Haut Contracturen hervorrufen. Die Erweckung geschieht durch Zähleu auf drei. Patient hat Amnesie ausserhalb der Hypnose für alles in diesor Ge- schehene. Diese wird nun jeden zweiten bis dritten Tag behufs Ertheilung hypnotischer Suggestionen vorgenommen. Daneben Truitement moral und Hydrotherapie.

Die in Hypno-se ertheilten Suggestionen sind folgende:

1. Ich verabs<!hene die Onanie, denn sie macht siech und elend:

2. ich habe keine Neigung mehr zum Manne, denn die Liebe zum Manne Ist gegen die Religion, gegen die Natur und gegen das Gesetz;

3. ich empfinde Neigung zum Weib, denn das Weih ist lieb und be- gehrenswerth und für den Mann geschaffen.


284


Gonträre Sexaalemp&zidang.


Patient sagt in den Sitzungen jeweils diese Suggestionen verbotenos anf. Schon nach der vierten Sitzung f^Ut es auf, dass Patient iu Kreisen, in weU^heD er eingeführt ist. Damen die Cour macht. Kurz darauf, als eine berühmt«  Sfingerin gastirt. ist er Feuer uud Flamme für sie. Einige Tage später er- kundigt sich Patient sogar nach der Adresse eines Lupanar.

Gleichwohl sucht Patient noch mit Vorliebe die Gesellschaft der jungen Herren auf, jedoch ergibt die genaueste Ueberwachung durchaus nichts Ver- dächtiges.

17. Februar. Patient bittet um Erlaubniss zu coitiren und ist von seinem Debüt bei einer Dame der Halbwelt sehr befriedigt.

IG. Mllrz. Bisher etwa zweimal per Woche Hypnose. Patient kommt durch einfaches Anblicken jeweils in tiefen Somnambulismus, sagt auf Verlangen seine Suggestion auf. ist beliebiger posthypnotischor Suggestion zugänglich, weiss im wachen Zustande nicht das Mindeste von den Beeinflussungen im hypnotischen Zustand. In diesem versichert er jeweils von Onanie und sexuellen Gefühlen gegenüber Männern ganz frei zu sein. Da er stereotyp in H^'pnose dieselben Autworten gibt, z. B. an dem so und so vielten zum letzten Mal onanirt zu haben, und zu tief unter dem Willen des Arztes steht, um lügen zu können, verdienen seine Angaben allen Glauben, zumal da er blühend aus- sieht, frei von allen neurasthenischen Beschwerden ist, im Verkehr mit Herren nicht ira geringsten mehr bedenklich ist, und ein offenes, freies, mannhaftes Wesen entwickelt.

Da er zudem «us eigenem Antrieb ab und zu und mit Genuss coitirty gelegentliche Pollutionen nur mehr durch lascive Traumbilder, welche weib- liche Personen betreffen, ausgelöst werden, kann an der günstigen Umwand- lung der Vita soxualis nicht mehr gezweifelt werden und lässt sich annehmen, dass die hypnotischen Suggestionen nunmehr zu festen autosuggestiven Direc- tiven des ganzen Ftihlens, Vorstellens und Strebens geworden sind. Eine Natura frigida dürfte Patient wohl immer bleiben, aber er spricht Öfter vom Heirathen und seinem Vorsatz, sobald er eine ihm sympathische Dame kennen lernt, um sie zu werben, Patient wird ans der Behandlung entlassen. (Eigene Beob- achtung. Internat. Centralblatt für die Physiol. und Pathol. der Harn- und Sexualorgane, Band I.)

Im Juli 188i* erhielt ich einen Brief des Vaters, welcher volles Wohl- befinden und Wohlverhalten seines Sohnes meldet.

Am 24. Mai 1890 traf ich zufällig meinen früheren Patienten auf einer Reise. Sein blühendes frisches Aussehen liess Günstiges vermutheu. Er theilte mit, dass er zwar noch einzelne Männer sympathisch ßnde, aber nie mehr An- wandlungen im Sinne mannmäunlicher Liebe verspüre. Er coitire gelegentlieh mit vollem Genuss mit Frauenzimmern und denke jetzt ernstlich an Heirath.

Ich hypnotisirte Patient probftweise in der früheren Weise und fragte nach den Befehlen , die ich ihm seiner Zeit ertheilt habe. In tiefem Som- nambulismus, mit ganz demselben Tonfall wie früher, sagte Patient seine im December 1888 erhaltenen Suggestionen her — jedenfalls ein zutreffendes Bei- spiel der möglichen Daner und Macht posthypuotischer Suggestion.

Weitere Fttlle siehe meine Psychopathia sexualis. 8. Aufl., Beob. 187» 138. 140. Ul; y. Aufl., Beob. 133.


Dass auch bei den sciiwersten Fallen angeborener conträrer Sexual- empfinduDg Suggeationsbehandlung Erfolg haben kann, lehren Fülle des Verf. und von Ladame, in welchen wenigstens die Absuggerirung homo- sexueller Empfindungen und damit die (gegenüber der Gefahr von Schande und richterlicher Verfolgung) wohlthätige sexuelle Neutralisirung gelang.


Therapie der conträren Sexualempfindung. 285

Aber auch Ersetzung der homosexualen Empfindung durch hetero- sexuale, selbst mit Potenz, gelang We tt erst ran d (berichtet von Seh renck op. cit. als Fall 49), Bernheim (bei Schrenck Fall 51), Müller (Schrenck op. cit. Fall 53), Schrenck (op. cit. Fall 66. 67), dem Letzteren sogar in Fällen von Effeminatio (Schrenck, op. cit. Fall 62. 63).

Nur da, wo die Hypnose zum Somnambulismus vertieft werden kann, lassen sich übrigens solche entscheidende und dauernde Erfolge erhoffen, die doch nur auf suggestiver Dressur und nicht wirklicher Heilung beruhen dürften. Es sind dies bewunderungswürdige Artefacta hypnotischer Kunst an nicht normalen Menschen, keineswegs aber «Üm- züchtungen" (v. Schrenck) der psychosexualen Existenz.

Belehrend in dieser Hinsicht ist der glänzendste Fall von Schrenck, dessen Repräsentant nach gelungener „ Heilung" von sich selbst sagt: „ich fühle immer eine gewisse, nicht zu überwindende Schranke, die nicht auf moralischen Gründen basirt, sondern, wie ich glaube, direct auf die Behandlung zurückzuführen ist. " Jedenf aUs beweisen solche „Heilungen" nichts gegen die Annahme des originären Bedingtseins der conträren Sexualempfindung.

Vor Illusionen über den Werth hypnotischer Therapie dürfte zu warnen sein.


IV. Specielle Pathologie.


Die Erscheinungen krankhaften Sexuallebens in den verschiedenen Formen und Zuständen geistiger Störung.

Psychische Entwictlnngshemmiingen.

Das Geschlechtsleben ist bei den Idioten im Allgemeinen wenig entwickelt. Es fehlt sogar gänzlich bei den Idioten hohen Grades. Die Genitalien sind dann häufig klein und verkümmert, die Menstruation tritt spät oder gar nie ein. £s besteht Impotenz resp. Sterilität. Auch bei höherstehenden Idioten steht das Geschlechtsleben nicht im Vordergrund. In seltenen Fällen tritt es mit einer gewissen Periodicität und dann mit grosser Intensität zu Tage. Es kann sogar brunstartig erscheinen und stürmisch befriedigt werden. Perversionen des Geschlechtstriebs scheinen auf dieser Stufe der geistigen Entwicklung nicht vorzukommen.

Wird dem Drang nach sexueller Befriedigung Widerstand geleistet, so entstehen hier mächtige Affekte mit gefährlichen Gewalthandlungen gegen die betreffenden Personen. Dass der Idiot in der Befriedigung seines Triebs nicht wählerisch ist und sich selbst an den nächsten An- verwandten vergreift, ist begreiflich.

So berichtet MarC'Ideler (a. a. 0.) von einem Idioten, der seine eigene Schwester stnpriren wollte und sie fast erwürgt hätte, als man ihn daran hinderte.

Einen analogen Fall theiite Friedreich (Friedreich's Blätter 1858, p. 50) mit.

Fälle von Unznchtsvergeben mit kleinen Mädchen habe ich wiederholt begutachtet.

Auch Girand (Annal. med. psych. 1885, Nr. 1) theilt einen bezüglichen Fall mit. Die Einsicht in die Bedeutung der That fehlt immer, ein instinctives Bewusstsein, dass dergleichen obscßne Handlungen öffentlich nicht zulässig sind, ist vielfach vorhanden und veranlasst dann zur Vornahme der geschlechtlichen Handlung an einsamem Orte.

Bei den Imbecillen ist das Geschlechtsleben in der Regel entwickelt wie bei Vollsinnigen. Die sittlichen Hemmungsvorstellungen sind dürftig


Das krankhafte Sexualleben bei Idioten und Imbecillen.


287


und damit tritt es mehr weniger im verhüllt zu Tage. Jedenfalls sind schon aus diesem Grund Imbecille störend in der Gesellschaft. Krank- hafte Steigerung und Perversion des Triebes sind selten.

Die häufigste Befriedigung des Sexualtriebs ist Onanie. An er- wachsene Personen des anderen Geschlechts wagt sich der Schwach- sinnige selten.

Häufig macht er sich mit Thieren zu schaffen. Die weitaus grössere Zahl von Thierschändem betritt't Imbecille. Ziemlich häufig sind auch Kinder Opfer ihrer Angriffe.

Emmingbans (Machka's Handb. IV. p. 234) weist auf die Häufigkeit der UDgenirten Manifestutiou sexueller Triebe hin, ilie sich id üffentlicher Masturbation, Exbibition der Genitalien, Angriffen auf Kinder^ auch solch» des eigenen Geschlechts, und in Sodomie äussern.

Giraud (Annal. m^d. psychol. 1855, Nr. 1) hat eine ganze Serie von unsittlichen Attentaten an Kindern mitgetheilt ').

1. U., 17 Jahre alt, imbecill, bat ein kleines Mädchen in einer Scheune mit Nüssen beschenkt. Genitalia puellae nuJavit, sua genitalia ei ostendit et in abdomine infantis coitum conatus est. Der sittlich-rechtlichen Bedeutung der That ist er sich nicht bemisst.

2. L., 21 Jahre alt, imbecill. degenerativ, ist mit Viehhüten beschäftigt. Da kommt seine lljährijK'e Schwester mit einer 8jährigen Gespielin nnd er- zählt, wie gerade ein Cnbekannter unzüchtige Attentate an ihnen versnobt hat. L. tiihrt die Kinder sofort in ein unbewohntes Häuschen, versucht Coitus an dem 8jährigen Kind, lässt aber ab von ihm, da die Immissio nicht gelingt nnd das Kind schreit. Auf dem Heimweg verspricht er dem Kind, es zu heirathen, wenn es nichts verrathe. Vor dem Richter meinte er, durch Heirath könne er sein Unrecht gut machen.

3. G., 21 Jahre alt. mikrocephnl, imbecill, seit dem (>. Jahre Masturbant, später bald aktiver, bald passiver Päderast, hat wiederholt Knaben zu päde- rastiren versucht und kleine Mädchen attaquirt. £r war absolut einsichtslos für seine Handlungen. Seine sexuellen Gelüste kamen zeitweise und brunst* artig, wie beim Thier').

4. B., 21 Jahre alt, imbecill, verlangt, allein mit der 19jäbrigen Schwester im Wald, von dieser Gestattung des Coitus. Sie weigert sich. Er droht sie zu erwürgen, sticht sie mit dem Messer. Das geängstigte Mädchen reisst ihn am Penis, worauf er von ihr ablässt und ruhi^ an seine Arbeit zurückkehrt.. B. hat mikrocephalen difformen Schädel, ist einsichtslos für seine That.

Emminghaus (op. cit. p. 234) theilt den Fall eines Exhibitio- nisten mit.


ichc andere Fälle s. Henkels Zeitschr. XXHI, ErgäDzungsbeH, p. 147. ^nnJ. luäd. psych. 1800. — Lim an, Zweifelh. Geisteszustände p. 389. — Caaper-tiroan, Lehrb., 7. Anfl. , Fall 295. — Bartels, Friedreich's Blätter f. gor. Med. 1890, Heft 1.

  • ) Weitere Fälle von Päderastie ß. Cttspcr, Klinische Novellen, Fall 5. —

Combes, Annal. m^d. ps^-chol. 1860. Juli.


288


Das krankhaft« Sexualleben


Beobachtung 142. Ein 40 Jahre alter Mann, verheirathet, hatte 16 Jahre hindurch iu Parkanlagen und anderen öffentlichen Orten in der Dämmerung vor kleinen Mädchen, weiblichen Dienstboten u. s. w. exhibitionirt und dabei durc-h Pfeifen auf sich aufmerksam gemacht. Von Auflauernden oft geprügelt, hatte er künftig die betreffenden Orte gemieden, jedoch im üebrigen sein Treiben anderNvärts fortgesetzt. Hydrocephalos. Schwachsinn leichten Grades. Geringe Bestrafung.

Beobachtung 148. X., aas erblich belasteter Familie, imbecill. defect und verschroben im Denken, Fühlen und Streben, hat es durch Protection und Nachhülfe bis zum Referendar gebracht. Accusatus est quod iterum iterumque ancillis geuitalia sua ost^ndit et superiorem corporis partera de fenestra de- monstravit. Sonst keine Erscheinungen von Geschlechtstrieb. Angeblich keine Masturbation. (Sander, Archiv f. Psych. L p. 655.)

Beobachtung 144. Pttderastirung eines Kindes. Am 8. April 1884 Morgens 10 Uhr gesellte sich zur X. , welche einen 16 Monate alten Knaben auf dem Schoss hielt, auf öff'entlicher Strasse ein gewisser Vallario und nahm der X. das Kind ab, vorgebend, es etwas spazieren tragen zu wollen. Er ging *|» Kilometer fort, kam zurück, erklärte, der Knabe sei ihm vom Ann gefallen nnd habe sich dabei am After verletzt. Dieser war geschlitzt und es ergoss sich aus ihm Blut. Am Thatort fanden sich Spuren von Sperma vor. V. gestand sein scheussliches Verbrechen, benahm sich aber in der Haupt- verhandlung so sonderbar, dass eine Prüfung seines Geisteszustandes verfügt wurde. Den GefÄngnisswärtem hatte er den Eindruck eines ImbecUlen ge- macht. V., 45 Jahre, Maurer, moralisch und intellectuell defectiv, ist doli- chomikrocephal , hat schmalen, verkümmerten Gesicht^schädel, asymmetrische Gesichtshillfte und Ohren, niedere, fliehende Stirn. Genitalien normal. V, zeigt allgemein herabgesetzte HautsensiliiliUt, ist imbecill, verfügt nicht über Be- griffe. Er lebt in den Tag hinein, lebt für sich, thut nichts ans eigener Ini- tiative. Er ist wunschlos, gemüthlüs, hat nie coitirt. lieber seine Vita sexualis ist sonst nichts heraus zu bekommen. Nachweis der intellectuellen und mora- lischen Idiotie aus MikrocephaUe ; Zurückführuug des Verbrechens auf einen perversen, unbeherrschbaren Sexualtrieb. Versetzung in ein Irrenhaus. Vir- gilio, n Manicomio V. Jahrgang Nr, 3).

Dass imbecille Fraueuspersonen durch schamlose Prostitution und andere ünsittlichkeiten anstössig werden können, lehrt ein von L. Meyer (Arch. f. Psych. Bd. l, p, 103) besprochener FalP).


Erworbene geistige Schwächezustande.


Der mannigfachen Anomalien der Vita sexualis bei Dementia senilis wurde schon in der allgemeinen Pathologie gedacht. Bei den ander- weitigen erworbenen geistigen Schwächezuständen, wie sie durch Apo- plexie, Trauma capitis entstehen oder als Secundärstadien nach nicht zum Ausgleich gelangten Psychosen oder auf Grund chronisch entzündlicher Vorgänge in der Hirnrinde (Lues, Dem. paralytica) vorkommen, scheinen


  • ) S. t Sander. Vierteljahrsschr. f. ger. Med. Will, p. 31.

Klin. Novellen, Fall 27.


C a 8 p e r.


bei ervorbencti geUtigen Sehwäcberaständ«!!.


289


Perversionen des Geschlechtstriebs selten zu sein und die geschlechtlich anstössigen Handlungen auf blosser krankhafter Steigerung oder un- gehemmter Geltendmachung eines an und für sich nicht abnormen Ge- schlechtslebens zu beruhen.


1. GoEsecQtive Geistesschwäche nach Psychosen.

Caspar (Kün. Novellen, Fall 31) theilte einen hieher gehörigen Fall von Unzucht mit einem Kinde mit, deren sich ein Dr. med., 33 Jahre alt, secundär geistesschwach nach hypochondrischer Melancholie, schuldig gemacht hatte. Er entschuldigte sich in höchst läppischer Weise, hatte keine Einsteht für die sittlickrechtliche Bedeutung der Handlung, die offenbar die Folge eines durch geistige Schwäche nicht beherrschbaren sexualen Triebes war.

Einen analogen Fall stellt der 21. in Li man's , Zweifelhafte Geistes- zustände" dar (Dementia aus Melanciiolie; Verletzung der Schamliiit'tigkeit durch Exhihition).

2. Schwachsinn nach Apoplexe.

Beobachtung 145. B,. 52 Jabre alt, hatte eine Gebirnaffection durch- gemacht und in Folge derselben nicht mehr seinenj Beruf aIs Kaufmann vorzu- stehen vermocht.

Eines Tages, in Abwesenheit seiner Fraa, lockte er zwei kleine MUdchen in sein Haus, gab ihnen Spirituosen zu trinken, machte dann wollüstige Mant- pulationen mit den Kindern« befahl ihnen, nichts zu verratben und ging dann seinen Geschllften nach. Die Expertise constatirte Schwachsinn nach wieder- holter Apoplexie. B., der bisher musterhaft sich betragen hatte, will in seinem ihm selbst unerklürlichen Drang, und seiner Sinne nicht mehr müchtig, die incriminirte Handlung begangen, und als er zu sieb kam und des Geschehenen bewusst wurde, sich gesüh&mt und die Mädchen gleich weggeschickt haben. B. war seit seinen apopleotischen Insulten geistig gfischwäcnt. nnf^lhig zum Beruf, halbgelBhmt. in Sprache und Auffassung verlangsamt. Er weinte oft ganz kindisch, hatte bald nach der Verhaftung einen ungeschickten Selbstmord- versuch gemacht. Seine sittliche und intellectuelle Energie in der Bekllmpfung sinnhcher Regungen war jedenfalls erheblich geschwächt. Keine Verurtheilung. (Giraad, Annal. med. psychol. 1881, März.)


3. Schwachsinn nach Kopfverletzung.

Beobachtung 140. K. wurde 14 Jabre all von einem Pferde an dem Kopf verletzt. Der Schlldel war an mehreren Stellen gebrochen, mehrere Knochenstücke mossten entfernt werden.

Von da an erschien K. geistig beschränkt, leidenschaftlich aufbrausend. Allmählig entwickelte sich eine unmasaige, wahrhaft thierische. ihn zu den unzüchtigsten Ilandlungen anleitende Sinnlichkeit. Eines Tages nothxüchtigte er ein 12jlibriges MUdchen und erwürgte e.s, da er die Entdeckung der Thal besorgte. Verhaftet gestand er. Der Gericbtsarzt erkUrte ihn für zureehnnngs- filh ig. Hinrichtung.

V. Krafft-Eblng. Pftyähoittthia MXoaUi. 10. Aafl. 10


290


Dm kratikhafie Sexualleben


Die Section ergab Verwacbsiuig fast aller Scbädelnäbte, acffallende Asymmetrie der Schftdelbälften, Spuren gebeüter Schadelsprünge. Die afficirte Gehirnbftlfte war von strabligen Narbenmassen durcbsetzt und um ein Drittel kleiner als die andere. (Fried reicb's Blatter 1855, Heft 6.)


4. Erworbene Oeistesscb wache, wabrscheiiilioli durch Lues.

Beobachtung 147. Offizier X, Saepius cum parvis puellis stupra fecit, eas raasturbare ipsiuu iossit, genitalia sua ostendit earnmque geoitalia tetigit.

X. früher gesund und von tadelloser Aufführung, war 1867 an Syphilis erkrankt. 1879 trat Lähmung des I. Abducens ein. Man bemerkte in der Folge Gedächtnissschwache, Aendening des ganzen Wesens und Charakters, Kopfweh, zeitweise Incohärenz der Rede, Verminderung der Gedankenscbärfe und Logik, zeitweise Ungleichheit der Pupillen, Parese des rechten Mundfacialis.

X., 'i7 Jahre alt, bietet bei der Exploration keine Spuren von Lues. Die Lahmung des Abducens besteht fort. Das linke Ange ist amblyopisch. Er ist geistig geschwächt , behauptet bei der Wucht der gegen ihn vorliegenden Beweise, es handle .%ich nur um ein harmloses Missverstandniss. Spuren von Aphasie. Gedachtnissschwttche, namentlich für Jüngslerlebtes, Oberflächlichkeit der gemüthlichen ßeaction. rasche geistige Erschüpfbarkeit bis zum Versagen des Gedächtnisses und der Rede. Nachweis, dass der ethische Defect und der perverse geschlechtliche Antrieb Symptome eines wahrscheinlich durch Lues bedingten krankhaften Hirnzustandes sind.

Einstellnng des Strafverfahrens. (Eigene Beobachtung. Jahrbücher för Psychiatrie.)

5. Dementia paralytioa.

Das Sexualleben 'ist hier in der Kegel krankhaft mitafficirt, in den Anfangsstadien der Krankheit, sowie in episodischen Aufregungszustanden gesteigert, zuweilen auch pervers; in den Endstadieu des Leidens pflegen Libido und Potenz bis auf den Nullpunkt zu sinken.

Gerade wie im Prodromalstadium der senilen Formen begegnet man hier früh, neben mehr weniger deutlichen Ausfallserscheinungen in der sittlichen und intellectuellen Sphäre, Aeusserungen eines zu Tage tretenden, jedenfalls gesteigerten Geschlechtstriebs (unzüchtige Reden, Lascivit&t im Verkehr mit dem anderen Geschlecht, Heirathsplänc, Besuch von Bor- dellen u. a. w.) mit für die ümneblung des Bewusatseins charakteristischer üngenirtbeit.

Verführung, Entführung, öffentliche Skandale sind hier an der Tages- ordnung. Anfangs wird den umständen noch einigermassen Rechnung getragen, wenn auch der C3mismu8 der Handlungsweise auftalhg genug ist. Mit fortschreitender geistiger Schwäche werden derartige Kranke durch Ex- hibition, Masturbation auf offener Strasse, Unzucht mit Kindern austössig.

Kommt es zu psychischen Erregungszuständen, so werden auch wohl Nothzuchtsversuche begangen oder wenigstens grobe Verletzungen des Anstände, indem der Kranke Weiber auf der Strasse attaquirt, öffentlich in höchst defekter Toilette erachebt oder in solcher in fremde Häuser


bei Epileptikern.


291


eindringt, in der Absicht, mit der Frau eines Bekannten zu cohabitiren, die Tochter des Hauses vom Fleck weg zu beirathen.

Zahlreiche Fälle dieser Kategorie finden sich bei Tardieu (Attentats aux nioeurs); Mendel (Progr. Paralyse der Irren 1880, p. 123); Westpbal (Archiv f. Psych. VII« p. 622); dass auch Bigamie hier vorkommen kann» lehrt ein Fall von Petrucci (Annal. med. psychol. 1875).

Bezeichnend ist die brutale Rücksichtslosigkeit, mit welcher die Kranken in vorgerückten Stadien in der Befnedignng ihrer sexuellen Triebe vorgehen.

In einem von Legrand (La folie p. 519) berichteten Falle wurde ein Familienvater auf ofiener Strasse musturbirend betroffen. £r verzehrte noch dem Akt sein Sperma!

Ein von mir beobachteter Kranker, ein Of&zier aus vornehmer Familie, machte am hellen Tage unzüchtige Angriffe auf kleine Mfldchen in einem Badeorte.

Ein ähnlicher Fall wird von Dr. Regis (De la dynamie uu exaltation fonctionnelle an debut de la paral. gt-n. 1878) berichtet.

Dass auch Päderastie und Bestialität im Prodromalstadium und im Ver- lauf dieser Krankheit vorkommen, lehren Beobachtungen von Tarnowsky (op. cit. p. 82),

Epilepsie.

An die erworbenen psychischen Schwächezustände reiht sich die Epilepsie an^ weil sie häufig zu solchen führt und dann alle die Möglich- keiten bezüglich einer rücksichtslosen Befriedigung des Geschlechtstriebs sich ergeben, die im Vorausgehenden besprochen wurden. Zudem ist der Geschlechtstrieb bei vielen Epileptischen ein sehr reger. Meist wird er durch Masturbation befriedigt, ab und zu durch Unzucht mit Kindern, Päderastie. Perveraion des Triebes, mit entsprechenden perversen geschlecht- lichen Handlungen, dürft« selten vorkommen.

Viel wichtiger sind die in der Literatur sich mehrenden Fälle, in welchen Epileptiker intervallär keine Zeichen eines regen Geschlechts- lebens bieten, wohl aber im Zusammenhang mit epileptischen Insulten und zur Zeit äquivalenter oder postepileptischer psychischer Ausnahme- zustände. Diese Fälle sind klinisch bisher kaum und forensisch gar nicht gewürdigt, verdienen aber ein eingehendes Studium, da gewisse Fälle von Unzucht und Nothzucht dadurch einem richtigen Verständniss entgegen- gefÜhrt und Justizmorde vermieden werden.

Aus den folgenden Thatj^achen dürfte sich jedenfalls klar ergeben, dass die mit dem epileptischen Insult einhergehenden Hirn Veränderungen eine krankhafte Erregung des Geschlechtslebens *) bedingen können. In


  • ) Arndt, Lehrb. d. Psych, p. 410. hebt speciell ila^ brünstige Element beim

Epileptischen hervor. .Ich habe E. gekannt . welche in sianlicber Lust gegen ihre .leibliche Mutter entbrannten, und solche, welche im Verdacht selbst seitens ihrer

standen, mit ihrer Muttor geschlechtlichen Urngting zu pflegen." Wenn A. aber behauptet, duss. wu immer ein absonderliches sexuellefi Leben besteht, vielleicht immer an ein epileptische« Moment zu denken sei. ^^o Ul er im [rrthum.


292


Das krankhafte Sexualleben


psychischen Ausnahmezuständen ist der Epileptiker überdies vermöge seiner BewusstseinsstÖrung widerstandslos gegen seine Triebe.

Ich sah Jahre hindurch einen jungen Kpüeptiker. schwer belastet, der jeweils im Anschluss an gehäufte Insulte sieb auf seine Mutter stürzte und sie stupriren wolle. Patient kam nach einiger Zeit wieder zu sich mit Amnesie für das Vorgefallene. Intervallär war er ein streng sittlicher, geschlechtlich nicht bedürftiger Mann.

Vor einigen Jahren lernte ich einen Bauernknecbt kennen, der im Zu- sammenhang mit epileptischen AnfUUen rücksichtslos onanirte, intervallär von tadellosem Verhalten war.

Simon (Crimes et dälits, p. 220) erwähnt eines 23jährigen epileptischen Mädchens von bester Erziehung und strengster Sittlichkeit, das im Vertigo- anfall einige schlüpfrige Worte vor sich hinspricht, dann die Röcke aufhebt, lascive Bewegungen macht und sein (geschlossenes) Unterbeinkleid zu zerreisseti bemüht ist.

Eiernan (Alienist und Neurologist, Januar 1884) berichtet von einem £pileptiker, der als Aura von Anfallen jeweils die Vision eines schönen Weibes in lasciven Stellungen hatte und darüber Ejaculation bekam. Nach Jahren, und imter Brombehandlung, stellte sich statt dieser Vision die eines Teufels ein. der mit einem Dreizack auf ihn losging. Im Momente, wo dieser ihn er- reichte, wurde er regelmässig bewusstlos.

Derselbe Autor erwähnt einen buchst ehrbaren Mann, der zwei- bis dreimal jährlich epileptische Anfalle, gefolgt von Wuth und Dysthymie und päderasti- sohen Antrieben in der Dauer von 8 — 14 Tagen, hatte; ausserdem eine Datne, die im Klimakterium epileptische AnHÜIe und im Zusammenhang damit, sexuelle Impulse zu einem Knaben bekam.

Beobachtung 148. W., unbelastet, früher gesund, vor und nachher geistig normal, still, gutmütbig, sittlich, dem Trunk nicht ergeben, hatte am 13. April 1877 keine Esslust. Am 14. Morgens sprang er in Gegenwart von Frau und Kindern auf, stürzte sich auf eine anwesende Freundin seiner Frau, beschwor zuerst sie, dann seine Frau, ihn zum Goitus zuzulassen. Abgewiesen, bekam er einen epilepsieartigen Insult; im Anschluss daran tobte, zerstörte er, begoss die zu seiner Ergreifung Nahenden mit kochendem Wasser und warf ein Kind in den Ofen. Darauf wurde er bald ruhig, blieb noch einige Tage verworren und kam dann mit völliger Amnesie für alles Vorgefallene zu sich. (Kowalewsky. Jahrbücher f. Psych. 1879.)

Ein weiterer, von Casper begutachteter Kall (Klin. Novellen , p. 267), in welchem ein sonst anständiger Mann kurz hinter einander auf offener ßtraise vier Weiber attaquirte (das eine Mal sogar vor zwei Zeugen) und eines der- selben nothzüohtigte, während doch seine ,junge, nette, gesunde Frau" ganz in der N6he wohnte, dürfte ebenfalls mit (larvirter) Epilepsie in Verbindung zu bringen sein, zumal da der Betreffende Amnesie für seine skandalösen Hand- lungen bot.

Zweifellos klar ist die epileptische Bedeutung der sexuellen Akte iu den folgenden Beobachtungen.

Beobachtung 149. L., Beamter, 40 Jahre alt, liebevoller Gatte, guter Vater, hat während 4 Jahren 25 schwere Vergehen gegen die üffentliche Scham- haftigkeit begangen, wegen deren er lungere Freiheitsstiafen zu verbüssen hatte.

In den ersten sieben AnklagefUllen war er beschuldigt, vor Mädchen von 11 — 13 Jahren im Vorbeireiten seine Genitalien entblösst und sie mit obscönen Worten darauf aufmerksam gemacht zu haben. Sogar im Geföngniss hatte


bei Epileptikern.


293


er sich genitalibas denudatis am Fenster, dos anf eine belebte Promenade ging, gezeigt.

L.'s Vater war geisteskrank, £j/s Bruder wurde einmal, bloss mit dem Hemde bekleidet, auf der Strasse betroffen. L. hatte wahrend der MilitÄr- dieustzeit zweimal tiefe Ohnmächten gehabt. Seit 1859 litt er an sich hSufenden eigenthümlicben Sch\vindelan fallen — er wurde dann ganz matt, zitterte am ganzen Körper, wurde leichenblass, es wurde ihm dunkel vor den Augen, er sah helle Sternchen flimmern und musste sich stützen, um nicht umzufallen. Nach heftigeren AniUllen grosse Mattigkeit, profuse Schweisse.

Seit 1861 grosse Reizbarkeit, die dem sonst so belobten Beamten ernste Ragen im Dienst eintrug. Seine Frau fand ihn verändert — er hatte Tage, an welchen er wie wahnsinnig im Hause heiiimlief, den Kopf zwischen den Hfinden hielt, ihn an die Wand stiess und über Kopfschmerz klagte, im Sommer 1869 stürzte Patient viermal zu Boden, starr, mit offenen Augen daliegend.

Auch Dämmerzustände wurden constatirt.

L. behauptete von den ihm zur hast gelegten Vergehen nicht das Ge- ringste zu wissen. Die Beobachtung ergab weitere und heftigere Anfalle von Vertigo epilept. L. wurde nicht verurtheiU. 1875 entwickelte sich Dementia paralytica mit baldigem tödtlichem Ausgang. (Weatphal, Arch. f. Psych. VII. p. 113.)

Beobaehtong 150. Ein 20 Jahre alter reicher Mann lebte seit 1 Jahr mit einem Mädchen, das er sehr liebte. Kr cohabitirte selten, war nie pervers. Zweimal während dieses Jahres hatte er nach Exct'ss in Alkohol epileptische Insulte gehabt. Am Abend nach einem Diner, wobei er viel Wein getrunken, ging er in die Wohnung der Maitresse, festen Schrittes in deren Schlafzimmer, obgleich das Kammermädchen meldete, die Herrin sei nicht zu Hause; von da ging er in ein Zimmer, wo ein Hjähriger Knabe schlief, und begann diesen zu DOthzüchtigon. Auf das Geschrei des Knaben, dem er das Präputium und die Hand verletzt hatte, eilte das Dienstmädchen herbei. Da Hess er ab vom Knaben und that dem Mädchen Gewalt an. Durauf legte er sich zu Bett und schlief 12 Stunden. Erwacht, wusste er nur summarisch von Betrunkenheit und einem Coitus. In der Folge wiederholt epileptische Insulte. (Tarnowsky, op. cit. p. 52.)

Beobachtung 151, X., von hüherem Stand, fuhrt einige Zeit ein dissolutes Leben und bekommt epileptische AnHllIe. Er verlobt sich dann. Am Hochzeitstag, kurz vor der Trauung, erscheint er am Arm seines Brüdens in dem mit Hochzeitsgästen erfüllten Saul. Vor seiner Braut angelangt, denudat coram omnibus genitalia et masturbare incipit. Er wird sogleich nach einer psychiatrischen Klinik gebracht, onanirt unterwegs fortwährend und ist noch einige Tage von diesem Drang in abnehmendem Masse heimgesucht. Nach Beendigung dieses Paroiysmus hatte Patient nur eine ganz verschwommene Er- innerung für die Ereignisse und vermochte keine Erklärung seiner Handlungs- weise zu geben. (Ebenda p. 53.)

Beobachtung 152. Z., 27 Jahre, schwer erblich belastet, epileptisch, nothzüchtigt ein lljähriges Mädchen, tödtet es dann. Er leugnet die That, Amnesie, bezw. psychische Ausnahmezustände zur Zeil des Crimen nicht er- wiesen. iPugliese, Arch. di Psich. VIU, p. 622,)


Beobachtung 153. V., rtO Jahre, Arzt, beging Unzucht mit Kindern. Verurtheilung zu 2 Jahre Kerker. Dr. Marandon constatirt später epileptoide Angstanf^lle, Demenz, erotische und hypochondrische Delirien, zeitweise Angst- anf&lle. (Lacassagne, Lyon. med. 1887. Nr. 51.)


2e>4


Das krankhafte Sexualleben


Beobacbtuug VA. Am 4. August 1878 Kachmittags pfiückte die 15 Jahre alte H. mit mehreren kleinen M&dcben und Knaben aaf offener Strasse Stachelbeeren. Plötzlich warf die H. die ll*;tjährige L. zu Bodeo, fixirte nnd entbli^sste sie und forderte den 7';ijahrigen A. and den 5jährigeii O. anf, eine Conjnnctio membrorum mit dem Mfidchen auszuführen, was dies«  auch thaten.

Die H. hatte guten Leumund. Seit 5 Jahren litt sie an nervöser Reiz- barkeit, Kopfweh, Schwindel, epileptischen AnfUUen, blieb in der Entwicklungi geistig und körperlich zurück. Sie ist noch nicht menstruirt, bietet aber Moli- mina menstr. Ihre Mutter ist epilepsie verdächtig. Seit ',i Jahr hatte die H. öfter nach Anfällen verkehrte Sachen gemacht und dafür Amnesie geboten.

Die H. erscheint deflorirt. Geistige Defecte bietet sie nicht. Von ihrer incriminirten That erkllirt sie nicht das Geringste zu wissen.

Nach dem Zeugniss der Mutter hatte sie am Morgen des 4. AugDst einen epileptischen Anfall gehabt und hatte die Mutter sie deshalb angewiesen, das Haus nicht zu verlassen. (P&rkhauer. Friedreich's Bl&tter f. ger. Med. 1879, H. 5.)

Beobachtung 155. Unz&chtige Handlungen in Zustünden krankhafter Bewnsstlosigkeit bei einem Epileptiker.

T. . Steuereinnehmer, 52 Jahre alt, verheirathet, ist angeklagt, seit etwa 17 Jahren mit Knaben Unzucht getrieben zu haben, indem er theÜs dieselben masturbirte, theils sich von ihnen masturbiren Hess. Der Angeklagte, ein ge- schätzter Beamter, ist sehr bestürzt über diese schreckliche Beschuldigung und behauptet, von den ihm zur Last gelegten Handlungen nicht das Geringste zu wissen. Seine Geistesintegrität erschien fraglich, bein Hausarzt, der T. seit 20 Jahren kannte, hebt seinen verschlossenen düsteren Charakter und häufigen Stimmungswechsel hervor. Seine Frau berichtet, dass T. sie einmal ins Wasser stürzen wollte, ebenso dass er zeitweise AnfUUe hatte, in denen er seine Kleider vom Leibe riss, sich zum Fenster hinausstürzen wollte. T. weiss auch von diesen YorHlllen nichts. Auch andere Zeugen berichten von auffallendem Wechsel der Stimmung, Bizarrerien des Charakters. Kin Arzt will auch zeit- weise Schwindel- und Krampfanfälle bei T. constatirt haben.

T.'s Grossniutter war irrsinnig, sein Vater war dem chronischen Alko- holismus anheimgefallen und hatte in den letzten Jahren an epileptiformen Anfällen gelitten; dessen Bruder war irrsinnig und hatte einen Verwandten in einem deliranteu Zustand getödtet. Ein weiterer Onkel des T. hatte sich entleibt. Von den drei Kindern des T. war eines geistesschwa4?h, ein anderes schielend, ein drittes hatte an Convulsionen gelitten. Der Angeklagte gab an, er habe zeitweise Anfalle gehabt, in weichen sich sein Bewusstsein trübte, so dass er nicht mehr wnsste, was er that. Diese AnfUtle wurden von einem auraartigen Schmerz im Kacken eingeleitet. Es trieb ihn dann au die frische Luft. Er habe nicht gewusst, wohin er ging. Seine Frau habe ihn geschlecht- lich vollkommen befriedigt. Seit IS Jahren habe er ein chronische Ekzem am Scrotum (thatsiichlich) , das ihm oft eine ansserordentliche geschlechtliche Er- regung verursache. Die Gutachten der sechs SachverstUndigen waren einander entgegengesetzt (Geistesgesundheit — Anfälle larvlrter Epilepsie), die Stimmen der Jury waren getheilt, so dass Freisprechung ei*folgfe. Dr, Legrand du Saulle, der als Eri>erte berufen war, constatirte, dass T. bis zum 22. Jabr etwa zehn- bis achtzehnmal jUhrlich ins Bett urinirt hatte. Nach dieser Zeit hatte die Enuresis nocturna aufgehört, aber seitdem waren zeitweise Stunden bis einen Tag andauernde tiefe Dämmerzustände mit Amnesie aufgetretan. Bald darauf wurde T. wegen öffentlicher ünsittlichkeit nochmals angeklagt nnd zu 15 Monaten verurtheilt. Im Kerker kränkelte er und vrurde zusehends geistig schwächer. Er wurde deshalb begnadigt, aber die Geistesschwäche nahm überhand. Wiederholt wurden epileptiforme Anfölle (tonische Krämpfe mit


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Bewusstseinsverlust nnd Zittern) an T. bemerkt. (Auzouy , Annal. möd. psyohol. 1874, November; Legrand du Sanlle. Etüde med. legale etc., p. 99. )

Der folgende, vom Verfasser selbst beobachtete und in Friedreich^s Blättern mitgetheilte Fall von Unzuchtsdelikten mit Kindern möge diese lUr das Forum höchst wichtige Cusuistik *) beschliessen. Er ist um so werthvoller, als der Befund eines epileptischen Bewusstlosigkeitszustands zur Zeit der That sichergestellt ist, und wie die — aus naheliegenden Gründen — lateinisch gegobeue Species facti lehrt, ein combinirtes raf- Hnirtes Handeln in solchem Zustand gleichwohl möglich ist.

Beobachtung 156. P., 49 Jahre alt, verheirathet. Siecbenhauspfründner, ist angeschuldi^, am 25. Mai 1883 an der lOjährigen D. und der Ojährigen G. in seiner Arbeitsbütte folgende scheasslicbe Unzuchtsdelicte begangen zu haben:

Die D. gibt an:

Ich war mit der G. und meinem Sjäbrigen Schwesterchen J. auf der Wiese. P. rief uns in seine Arbeitshüttß und verriegelte die Thtire. Tum nos exosculabatur, linguam in os meum demittere tentabat faciemque mihi lam- bebat; sustulit me in gremium, bracos aperuit« vestes meas sublevavit, digitig me in genitaÜbus titillabat et membro vnlvam meam fricabat ita ut huraida fierem. Als ich schrie, schenkte er mir 12 Kreuzer und drohte mich zu er- schiessen, wenn ich etwas ausplaudere. Schliesslich lud er mich ein, am folgenden Tage wiederzukommen.

Die G. deponirt:

P. nates et genitalia I) . . . ae exoscnlatus, iisdem me conatibus aggressus est. Deinde ßliolum quoque tres annos natum in manus acceptum osculatus est nudatumque parti suae virili appressit. Postea quae nobis essent nomina interrogavit ac censuit, genitalia D . . . ae meis multo esse maiora. Quin etiam nos impulit, ut membrum soum intueremur, manibus comprehenderemus et videremus, quantopere id esset erectum,

P. gibt im Verhör vom 29. Mai an, er erinnere sich nur dunkel, vor Kurzem kleine Mädchen geliebkost, beschenkt, geküsst zu haben. Wenn er etwas Anderes gethan, müsse er unzurechnungsfähig gewesen sein. Er leide übrigens seit einem Sturz vor Jahren an Kopfschwftche, Am 22. Juni weiss er Überhaupt nichts mehr von den Vorgängen am 25. Mai, aiich nichts vom Verhür am l!9. Mai. Diese Amnesie bewährt sich im Kreuzverhör.

P. stammt aus gehirnkranker Familie, ein Bruder ist epileptisch. P. war früher Trinker. Eine Kopfverletzung erlitt er thatsächlich vor Jahren. Seither hatte er binnen Wochen bis Monaten wiederkehrende Anfalle geistiger Störung mit einleitender Morosität, Gereiztheit, Neigung zu Alkoholexcessen, Angst, Verfolgungsdelir bis zu gefährlichen Drohungen und Gewaltthätigkeit. Dabei ftcustische Hyperästhesie, Schwindel, Kopfweh, Congestion zum Gehirn. Alles dies bei schwerer Bewuastseinsstörang und Amnesie nlr die ganze bis zu Wochen sich erstreckende Anfallszeit.

Intervallär litt er an Kopfweh, ausgebend von der Stelle der erlittenen Kopfverletzung (kleine auf Druck schmerzhafte Hautnarbe an der rechten Schläfe). Mit Exacerbation des Kopfschmerzes war er gereizt, moros bis zu LebensttberdruBS, rauschartig benommen im Sensorium. In einem solchen


') Vgl. ausserdem L i m a n , Zweifelhafte Geistes zu stände , Fall : die Arbeit von Laeegue, Uuber KxhibitioniHten (tJnton m^d. 1B77); Ball und Cfaambftrd. Art. Soiunambulisme (Dict. des scienc. m6d. 1881).


Ptychopftthia sexaalia periodica.


Zustand bat P. 1879 einen ganz impulsireD Selbstmordversuch gemacht, dessen er sieb hinterher nicht erinnerte. Bald darauf ins Kranke/ibaas aaf- genommen, machte er den Eindmck de^ Epileptikers, stand längere Zeit in Bromkalibehandlung. Ende 1879 ins Siechenbans aufgenommen, hatte man nie an ihm einen eigentlichen epileptischen Insult wahrgenommen.

Interrallär war er ein braver, fleis.«>iger, gutmüthiger Mensch, hatte nie Spuren von sexueller Erregung geboten, auch bisher nicht in seinen Ausnahme- zuständen, überdies mit seinem Weib bis auf die letzte Zeit ehelich verkehrt. Um die Zeit der incriminirten That hatte F. wieder Spuren eines nahenden Anfalls geboten , auch den Arzt um neuerliche Darreichung des BromkaJi gebeten.

P. versichert, dass er seit jenem Sturz intolerant f&r calorisefae Sofa&d- lichkeiten und Alkohol sei und davon gleich sein Kopfweh bekomme nnd verwirrt werde. Seine weiteren Angaben von Gedächtnissschwäche, geistiger Schw&cbe, Reizbarkeit, schlechtem Schlaf bestätigt die UrztUche Beobachtong.

Uebt man an der Stelle des Trauma einen kräftigen Druck aus, so wirti P. congestiv, gereizt, verstört, zittert am ganzen Körper, erscheint aufgere^ im Bewiisstsein gestOrt nnd verbleibt so durch Stunden.

Zu Zeiten, wo er frei von Sensationen ist, die jeweils von der Narbe ausgehen, erscheint er artig, mimisch, frei, willir;, offen, jedoch andauernd geistig geschwächt und dämmerhaft. P. wurde nicht verurtheilt. (Ausf. Gut- achten s. Friedreich's Blätter.)


Periodisches Irresein.

Gleichwie in den Fällen nicht periodischer Manie, zeigt sich vielfach bei den Anfällen periodLscher t'ine krankhafle Steigerung oder wenigstens ein deutliches Hervortreten der sexuellen Sphäre (s. u. Manie).

Dass die Sexualempfindung dann auch pervers sein kann, lehrt folgender von Servaes (Arch. f. Psych.) berichteter Fall.

Beobachtung 157. Catharine W., 16 Jahre alt, noch nicht raenstrairt, früher gesund. Vater jähzorniger Natur.

7 Wochen vor der Aufnahme (3. December 1872) melancholische Ver- stimmung und Reizbarkeit. Am 27. November zweitägiger TobsucbtsanfaU. Dann wieder melancholisch. Am <^>. December normaler Zustand.

Am 24. December (28 Tage nach dem ersten Tobanfall) still, scheu, ge- drückt. Am 27. December Exaltationszustand (Heiterkeit, Lachen u. s. w.) mit brünstiger Liebe zu einer Wärterin. Am 31. December plötzlich melancholische Starre, die sich nach 2 Stunden löst. Am 20. Januar 1873 neuer Anfall, ganz wie der frühere. Ein gleicher am 18. Februar, zugleich mit den Spuren von Menses. Patientin hatte absolute Amnesie für das in den Paroxjsmeu Geschehene und bürte schamroth, mit unverhohlenem Erstaunen, was man ihr berichtete.

In der Folge noch abortive AnlUlle, die mit Regelung der Menses im Juni vollem psychischem Wohlbefinden wichüu.

In einem anderen Fall, von Gock berichtet (Ajrch. f. Psych. V), in welchem es sich wahrscheinlich um cyclisches Irresein bei einem schwer belasteten Manne handelte, trat im Exaltationszustand Geschlechtstrieb zu Männern auf. Hier hielt sich aber der Betreffende fUr ein Frauen- zimmer, und fragt es sich, ob nicht eher der Wahn veränderten Qe-


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Psychopftthia sexunÜB periodica.


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•schlecbts als eine conträre Sexualemptindung dos geschlechtliche Vorgehen bestimmte.

Von gröbstem Interesse sind im Anschluss an diese Falle von krank- hafter Aeiisserungsweise des Geschlechtslebens, als Theilerscheinung einer Manie, diejenigen, wo ein krankhaftes und vielfach auch perverses Ge- schlechtsleben anfallsartig zu Tage tritt, analog einer Dipsomanie den Kern der ganzen psychischen Störung ausmacht, während intervallär der Geschlechtstrieb weder abnorm stark noch pervers ist.

Ein ziemlich reiner Fall von solcher periodischer Psychopathia sexualis, geknüpft au den Vorgang der Menstruation, ist der folgende von Änjel (Arch. f. Psych, XV. H. 2) mitgetheilte.

Beobachtung 1*58. Rabige Dame, nahe dem Klimakterium. Starke erbliche Belastung. lu jungen Jahren Anfalle von petit mal. Stets exoentriscb, heftig, streng sittlich, kinderlose £bo.

Vor mehreren Jahren, nach heftigen GremütbsbewegungeD, hysteroepilep- tischer Anfall, darauf mebrwöchentliches postepilepUsebes Irresein. Dann mehr- monatliche Schlaflosigkeit. In der Folge jeweils menstruale Insomnie und Drang, pueros decimuni annum nondum agentes allicere, oscnlari et genitalia eomm tangere. Drang zu Coitus, überhaupt zu Verkehr mit einem Erwach- senen besteht in dieser Zeit nicht.

Patientin spricht manchmal offen über diesen Drang, bittet, sie zu über- wachen , da sie nicht für sich gutstehen kSnne. Intervallär meidet sie tlngst- lich jedes bezügliche Gespräch, ist streng decent, in keiner Weise geschlechts- bedürÜig.

Bezüglich derartiger, noch wenig gekannter Falle von periodischer Psychopathia sexualis hat Tarnowsky (op. cik. p. 38) werthvollo Beitrage geliefert, jedoch sind seine Fälle nicht sämmtlich periodischen Charakters.

Tarnowsky berichtet Fälle, wo verheirathete, gebildete Männer, Familien- vater, von Zeit zu Zeit gezwungen waren, den abscheulichsten Geschlechtsakten sich zu ergeben, während sie intervallür gesfhlechtli<^h normal waren, ihre paroxystischen Akte perhorrescirten und vor der zu gewärtigenden Wieder- kehr neuerlicher AniUlle zurückscbauderten.

Kam es dann neuerlich zum Paroxysrous, so schwand die normale Ge- scblechtsempäudung , es kam ein psychischer Aufregungszustand mit Schlaf- losigkeit, mit Vorstellungen imd Drängen, im Sinne der perversen geechlooht- liehen Handlungen vorzugehen, mit ängstlicher Beklemmung und immer mächtiger anwachsendem Impuls zur sonst perhorrescirten, nun aber erlösenden, weil den Zustand lösenden geschlechtlichen Handlung.

Die Analogie mit dem Dipsomanen ist eine vollkommene.


Weitere Fälle (periodische I^erastie betretfend) siehe Tarnowsky op. cit. p. 41. Der dort p. 4G berichtete Fall dürfte in das Gebiet der Epilepsie gehören.

Der folgende Fall von Anj^l (Arch. f. Psych. XV. H. 2) berichtet, ist einer der bezeichnendsten für das anfallsweise Auftreten von krank- hafter SexualerregUDg.


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i*s> chop&thiii Bexaalis periodica.


Beobachtung 151'. Herr aus buheren Ständen, 45 Jahre alt, allsreineiii beliebt, unbelastet, sehr geachtet, streng sittlich, seit 15 Jahren verbf^irathet, mit früher normalem Geschlechtsverkehr, Vater mehrerer gesunder Kinder, m bester Ehe lebend, hatte vor 8 Jahren heftigen Schreck erlitten. Im Auschlnss daran mehrere Wochen lang Angstgefühle und Hei'zkrampfe. Dann kamen eigenthümliche Änf^le in Zwischenräumen von Monaten bis zu einem Jahr. die Patient seinen »moralischen Schnupfen* nennt. Er wird schlaflos. Nach 3 Tagen Verlust des Appetits, wachsende Gemüthsreizbarkeit, verstörtes Aus- sehen, starrer Blick, Vorsichhinstarren, grosse ßlässe. wechselnd mit Erröthen. Zittern der Finger, geröthete glftnzende Aagen mit eigenthümlich lüsternem Ausdruck, hastige, überstürzte Redeweise. Drang zu kleinen Mädchen von 5 — 10 Jahren, selbst zu den eigenen. Bitte an die Frau, die M&dchen vor ihm in Sicherheit zu bringen. Patient schtie.sst sich tiigel^ing in diesem Zustand im Zimmer ein. Früher drängte es ihn, weibliche Schulkinder auf der Strasse abzupassen, und er empfand eine eigenthümliche Befriedigung, iis praesdntibas genitalia nudare, se mingentem fingens.

Aus Furcht vor Skandal schliesst er sich im Zimmer ab, still brQtend. bewegungsunfUhig, abwechselnd von qu&lenden Angstgefühlen gepeinigt. Das Bewnsstsein scheint ganz ungetrübt. Dauer der Anf^e 8 — 14 Tage. Ursachen der Wiederkehr ganz unklar. Plötzliche Besserung: grosses Schlafhedürfhiss. nach dessen Befriedigung wieder ganz wohl. IntervallSr nichts Abnormtt. Anjel nimmt eine epileptische Grundlage an und hult die Anfälle für das psychische Aequivalent eines epileptischen Insults.


Manie.


An der allgemeinen Erregung, welche hier im psychischen Organ besteht, betheiligt sich vielfuch auch die sexuelle Sphäre. Bei manischen Personen weiblichen Geschlechts ist dies sogar Regel. Im einzelnen Fall kann es fraglich sein, „ob der an und für sich nicht gesteigerte Trieb bloss rücksichtslos entüussert wird oder wirklich in krankhafter Steige- rung vorhanden ist. Meist wird die letztere Annahme die richtige sein, sicher da, wo sexuelle Delirien und äquivalente religiöse fort und fort geäussert werden. Je nach der Höhe der Krankheit "äussert sich der ge- steigerte Trieb in verschiedenartiger Fonii.

Bei blosser manischer Exaltation und da, wo es sich um Männer handelt, beobachtet man Courmacherei, Frivolität^ Lascivität in der Rede, Aufsuchen von Bordellen — bei Weibern Neigung, in Herrengesellschaft zu kokettiren, sich zu putzen, pomadisiren, von Heiraths- und Skandal- geschichten zu sprechen» andere Weiber sexuell zu verdächtigen, oder — in äquivalenter religiöser Inbrunst, zeigt sich Drang, sich an Wallfahrten, Missionen zu betheiligen, ins Kloster zu gehen oder wenigstens Pfarrers- köchin zu werden, wobei viel von der eigenen Unschuld, Jungfräulichkeit die Rede ist.

Auf der Höhe der Manie (Tobsucht) begegnet man Aufforderungen zum Coitus, Exhibitiou, Zoten, massloser Gereiztheit gegen die weibliche! Umgebung. Neigung zu Schmierereien mit Speichel, Urin, selbst Koth,


Satyriasis und Nympbomanie.


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rcligifis-sexucUen Delirien, vom hl. Geist Uborflchafctet zu seiOf dos Jeaun- kindlein geboren zu haben u. s. w., rUckaichtsloser Onanie, beckenwetzenden Coitusbeweguiigen.

Bei tobsüchtigen Männern bat man sich schamloser Masturbation, Nothzucht an weiblichen Individuen zu versehen.


Satyriasis und Kymphomanie.

Psychische Erregungszustände, in welchen ein krankhaft gesteigerter Sexualtrieb im Vordergrund des Krunkhettsbildes steht, hat man als Satyriasis (beim Mann) und als Nymphomanie s. Uteromanie (beim Weib) bezeichnet.

Moreau (a. a. 0.) hält diese Zustande fQr eigenartige, gewiss aber mit Unrecht. Der sexuelle Symptomencomplex ist immer nur Theil- erscheinung innerhalb einer allgemeinen Psychose (Manie, hallucinatorischer Wahnsinn?).

Das Wesentliche innerhalb des sexuellen Erregungszustands ist ein Zustand psycliischer Hyperästhesie mit Betheiligung der sexuellen Sphäre. Die Phantasie führt nur sexuelle Bilder vor bis zu Hallucinationen und Illusionen und wahrem hallucinatoriscbem Delirium.

Die gleichgültigsten Vorstellungen wecken sinnliche Beziehungen, und die wollüstige Lustbetonung der Vorstellungen und Appercepiionen ^-^t eine hochgesteigerte. Der krankhafte Bewusstseinsinhalt nimmt das ganze Fühlen und Streben in Beschlag, geht mit einer allgemeinen körper- lichen Aufregung, ähnlich der beim Coitus stattfindenden (s. p. :M), einher. Vielfach sind die Genitalorgane in anhaltendem Turgor (Priapismus beim Manne).

Der von Geschlechtswuth heimgesuchte Mann sucht den Trieb um jeden Preis zu befriedigen und wird dadurch Personen des anderen Ge- sclilechts höchst gefährlich. Faute de mieux onanirt oder sodouiirt er. Das nympbomanische Weib sucht Männer durch Exhibition oder brünstige Geberden an sich zu locken, geräth Angesichts solcher in hochgradige sexuelle Erregung, die in Masturbation oder beckenwetzenden Bewegungen befriedigt wird.

Satyriasis ist selten. Nymphomanie wird häufiger beobachtet, nicht 80 selten im Klimakterium. Sogar im Senium kann sie vorkommen. Ab- stinenz ') bei beständiger Anregung der sexuellen Sphäre durch psychische und periphere Reize (Pruritus pudendi, Oxyuris u. s. w.) kann diese Zu- stände hervorbringen, wtihrscheinlich aber nur bei Belasteten.


  • ) Vgl. die interfÄMiinten KiiUe bei Marc-Idelor 11, p. 137. — Ideler,

Grondrisfl der Soelonhcilkunde IJ. p. 488—492.


'M)0


Vaa krankhalte Sexualleben bei Melancholie. Hysterie.


Die Behauptung, dass sie auch in Folge von Vergiftung durch (.^anthariden vorkomme, scheint auf Verwechslung mit Priapismus zu be- ruhen. Das anfängliche WoIlustgeftJhl, das mit Priapismus ah intoxi- catione cantharid. verbuuden ist^ geht wenigstens bald in das Gegentheü Über. Satyriasis und Nympliomanie sind acute psychosexuale Erkrankungs- zustände.

Es gibt übrigens auch solche, die man nicht ohne Grund als chro- nische Fälle von Sat3rriasis, resp. Nymphomanie» bezeichnen könnte.

Dahin gehören Aiänner« die, meist nach Abusus Veneris, besonders durch Masturbation, an Neurusthenia sexualis leiden, gleichwohl eine hoch* gesteigerte Libido sexualis besitzen. Ihre Phantasie ist, gleichwie in acuten Fällen, sehr erregt, ihr Bewusstsein mit schmutzigen Bildern er- füllt, 80 dass selbst das Erhabenste mit cynischen Bildern und Vorstel- lungen besudelt wird.

Das Denken und Verlangen solcher Menschen ist nur auf die Sexual- Sphäre gerichtet, und da ihr Fleisch schwach ist, kommen sie, unter- stützt durch ihre Phantasie, zu den grössten Perversitäten geschlechtlichen Handelns.

Analoge Zustände bei Frauen kann man als chronische Nympho- manie bezeichnen. Sie führen natürlich zu Prostitution. Legrand du Sau 11 e (La folie p. 510) theilt interessante Fälle mit, die offenbar nicht anders sich deuten lassen.

Melancholie.

Bewusstsein und Stimmung des Melancholischen sind einer Weckuu^ sexueller Triebe nicht günstig. Gleichwohl kommt es zuweilen vor, dass solche Kranke masturbiren.

In Fällen meiner Erfahrung handelt es sich immer um belastete und schon vor der Krankheit der Masturbation ergebene Kranke. £ine Befriedigung einer ivolltistigen Erregung schien den Akt nicht zu motiviren, als vielmehr Gewohnheit, Langeweile, Angst und der Drang, eine tem- poräre Aenderung der peinlichen psychischen Situation herbeizuführen.

Hysterie.

Aeusserst häufig ist bei dieser Neurose auch das sexuelle Leben abnorm, bei belasteten Fällen wohl immer.

Alle möglichen Anomalien der sexuellen Funktion kommen hier vor, in buntem Wechsel und sonderbarer Verquickung, auf hereditär degenera- tiver Grundlage und bei moralischer Imbecillität. in den perversesten Er- scheinungsformen. Die krankhafte Aenderung und Verkehrung der Ge-


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Dafl krankhafte SemiaUeben h&i Paranoia.


301


tjchlecLUempfiudung bleibt niemals oline Folgen fOr das GemUthsleben dieser Kranken.

Ein denkwürdiger bezüglicher, von Giraud raitgetheilter Fall ist der folgende:

Beobachtung 100. Marianne L, in Bordeaux bat Nachts, wlibrend ihre Herrschaft unter dem Einfluss von ihr bnip:ebraehten Narcoticis fest schlief, deren Kinder ihrem Geliebten zu geschlechtUchem Genuas preisgegeben und zu Zeugen der unmoralischsten St-enen gemacht. Es cigtib sich, doss die L. hysterisch (Hemianästhesie nnd KrampfanfilUe) und vor ihrer Erkrankung eine anstSndige, vertrauenswürdige Person gewesen war. Seit der Krankheit hatte sie sich schamlos prostituirt und ihren moralischen Sinn eingebüsst.

Häufig ist bei Hysterischen das Sexualleben krankhaft erregt. Diese Erregung kann intermittirend (menstnial?) sich geltend machen. Schamlose Prostitution, selbst seitens Ehefrauen, kann die Folge sein. In milderer Form äussert sich der sexuelle Drang in Onanie, Nacktgeheu im Zimmer, Sichsalben mit Urin und anderen unsauberen Stoffen, Anlegen von Miinner- kleidern u. s. w.

Schule (Klin. Psychiatrie 1886, p. 237) findet besonders häufig krankhaft gesteigerten Geschlechtstrieb, „welcher disponirte Mädchen und selbst in glücklicher Ehe lebende Frauen zu Messalinen werden läset*. Der genannte Autor kennt Fälle, wo bereits auf der Hochzeitsreise Flucht- versuche mit Männern aus zufälliger Begegnung gemacht wurden » wo geachtete Frauen Liaisons ohne Wahl anknüpften und in unersättlicher Gier jede Würde opferten.

Bei hysterischer Geistesstörung kann sich das krankhaft erregte Sexualleben in Eifersuchtswahn, grundlosen Anklagen männlicher Personen wegen unzüchtiger Handlungen ^), Coitushallucinationen *) u. 8. w. äussern.

Zeitweise kann auch Frigidität vorkommen mit mangelndem Wollust- gefOhl, meist auf Grund genitaler Anästhesie.


Paranoia.

Abnorme Erscheinungen seitens des Sexuallebens sind in den ver- schiedenen Formen der primären Verrücktheit nichts Seltenes. Entwickeln sich doch manche derselben auf der Grundlage des sexuellen Abusus (raastur- batorische Paranoia) oder sexueller Erreguugsvorgänge, und handelt es sich um psychisch degeucrative Individuen, bei denen erfahrungsgemäss, neben anderweitigen funktionellen Degenerationszeichen, auch das sexuelle Leben vielfach tief belastet ist.


') 8. u. a. Fall Merlac in d. Verf. Lehrb. d. ger. P«ychopatbol. . *J. Aufl.. p. 322. — Morel, Traite des malad, mentales p. 087. — Legrand. La folie p. $37. — ProcesB La Ronci^re in Aunal. d'hjg., 1. Serie, IV., 8. Serie, XXH.

  • ) Darauf beruhen die Incuben in den üexcnproceasen de» Mittelaltert.


302


Das krankhafte Sexaalleben




Besonders deutlich tritt das krankhaft gesteigerte, nach Urnfftaiidea auch perverse sexuelle Leben zu Tage in der Paranoia erotica und der religiosa. Bei der erateren äussert sich aber der sexuelle Erre^fungs- zustand nicht sowohl in direkt auf die Befriedigung des GeBchlecbi^ genusses abzielenden Vorgängen und Handlungen, als vielmehr (jedoch nicht ausnahmslos) in platonischer Liebe, in Schwärmerei für eine, dur ästhetische Befriedigung imponirende Person des anderen Geschlech nach Umständen sogar für ein Phantasiegebilde, ein Bild oder eine Statu

Die schwächlich oder rein geistig sich kundgebende Liebe zum an- deren Geschlecht hat übrigens nicht selten ihren Grund in durch lans: getriebene Masturbation entstandener Schwächung der Zeugungsorgan und unter der keuschen Begeisterung für ein geliebtes Wesen kann si grosse Lüsternheit und sexueller Missbrauch verbergen. Episodisc namentlich bei Weibern, kann sogar heftige sexuelle Erregung im Sinn der Nymphomanie auftreten.

Auch die Paranoia religiosa fusst grösstentheils auf der sexuell Sphäre, die in Form abnorm frühen und krankhaft starken Sexualtrie sich kund gibt. Die Libido findet Befriedigung in Masturbation oder in reU giöser Schwärmerei, deren Gegenstand einzelne Geistliche, Heilige u. s. sein können.

Diese psycho-pathologischeu Beziehungen zwischen sexuellem un religiösem Gebiet wurden auf p. 9 ausführlich besprochen.

Verhältnissmässig häufig sind — abgesehen von Masturbation bei religiöser Paranoia sexuelle Delikte.

Einen bemcrkenswerthen Fall von religiösem Wahnsinn, der zu i Ehebruch führte, enthält Marc's Werk (Hebers, von Ideler II, p. 160). ^| Einen Fall von Unzucht mit kleinen Mädchen seitens eines an Paranoia ^^ religiosa leidenden 43jährigen Mannes, der temporär erotisch erregt war, hat Giraud (Annal. m^d. psychol.) berichtet. Hierher gehört auch fol- gender Fall von Incest (Liman, Vierteljahrsschr. f. ger. Med.).


Beobachtung 161. M. bat seine Tochter geschwängert. Seine Ehefrau, Mutter von IS Kindern und selbst schwanger von ihrem Manne, erstattete die gerichtliche Anzeige. M. litt seit 2 Jahren an religiöser Paranoia. ,Es wurde mir die Offenbarung, dass ich mich 7.u meiner Tochter, zu der ewigen Sonne, legen solle. Dann entstände ein Mensch von Fleisch und Blut durch meinen Qlanben, der 18 Jahrhundert« alt sei. Dieser Mensch als eine Brücke in das ewige Leben zwischen altem und neuem Testament.* Diesem, nach seiner Meinxmg göttlichen Befehl hatte der Wahnsinnige Folge geleistet.


^


Auch bei Paranoia persecutoria kommen zuweilen patholo^psch motivirte sexuelle Handlungen vor.


Beobachtung 162. Eine 30 Jahre alte Frauensperson hatte einen der Nähe spielenden 5jÄhrigen Knaben durch Versprechung von Geld ui


bei Paranoia. 303

Braten an sich gelockt, pene lusit, snpra pnemm fiexa coittun conavit. Die Betreffende war Lehrerin, von einem Manne verführt und Verstössen worden^ hatte sich, früher streng sittlich, einige Zeit der Prostitution ergeben. Der Schlüssel zur Erklärung ihres sittenlosen Lebenswandels ergab sich insofern, als sie weitverzweigten Verfolgungswahn bot, wähnte, unter dem i?eheimniss- vollen Einflnss ihres Verführers zu stehen, der sie zu sexuellen Handlangen nöthige. So glaubte sie auch, der Knabe sei ihr durch ihren Verführer in den Weg geschickt worden. ,An rohe Sinnlichkeit als Motiv des Verbrechens Hess sich um so weniger denken, als es der Person leicht gewesen wäre, auf naturgemässe Weise ihren Sexualtrieb zu befriedigen. (Eüssner, Berl. klin. Wochenschrift.)

Aehnliche Fälle hat Cullerre (Perversions sexuelles chez les per- secutds in Annal. m^dico-psychoL, Mars 1886) mitgetheiltf z. B. die Beob- achtung eines Kranken, der, an Paranoia sexualis persecutoria leidend, seine Schwester zu nothzüchtigen versuchte, dem vermeintlichen Zwang Folge gebend, den auf ihn die Bonapartisten ausübten.

In einem anderen Falle wird ein an elektro-magnetischem Yer- folgungswahnsinn leidender Capitän von seinen Verfolgern zu Päderastie gereizt, die er lebhaft perhorrescirt. In einem ähnlichien Fall reizt der Verfolger zu Onanie und Päderastie.


V, Das krankhafte Sexualleben vor dem Criminalforum').


Die Gesetzbücher aJler Gulturnationen verfolgen Denjeaigen, welcher unzüchtige Handlungen begeht. Insofern die Erhaltung von Zucht und Sitte eine der wichtigsten Existenzbedingungen i^r das staatliche Gemeiu- wesen ist, kann der Staat kaum genug thun als Hüter der Sittlichkeit in dem Kampf gegen die Sinnlichkeit. Dieser Kampf ist ein ungleicher, insofern nur eine gewisse Zahl von sexuellen Ausschweifungen gerichtlich vorfolgt werden kann, den Ausschweifungen eines so mächtigen Natur- triebs gegenüber die Strafdrohuug nur sehr wenig auszurichten vermag und es in der Natur der sexuellen Delikte liegt, dass nur ein Theü der- selben zur Kenntniss der Behörde gelangt. Dem Walten dieser kommt die Öffentliche Meinung zu Hulfe, indem sie derlei Delikte als entehrend ansieht.

Aus der Criminalstatistik ergibt sich die traurige Thatsache, dass die sexueUen Delikt© in unserem modernen Culturleben eine fortschreitende Zunahme aufneisen^), darunter ganz specieU die Unzuchtsvergehen an Individuen unter 14 Jahren.

Der Moralist sieht in diesen traurigen Thatsachen weiter nichts als einen Verfall der allgemeinen Sittlichkeit und kommt nach Umständen zu der Anschauung, dass die im Vergleich zu vergangenen Jahrhunderten übergrosse Milde des Gesetzgebers in der Bestrafung sexueller Delikte daran theilweise schuld sei.

Dem ärztlichen Forscher drängt sich der Gedanke auf, dass diese Erscheinung im modernen socialen Culturleben mit der überhandnehmenden


  • ) S. Weisbtod, Die SittlichkeiUverbrechen vor dem (reset/. Berlin 1891. —

Dr. Pasquale Penta, 1 pervertimenti sessuali neu* uomo. Napoli 1893. — S e y d e 1 , Dio Beurtheilang der perversen Sexual vergehen in foro. Vierteljabreachr. f. ger. Med. 18D3, Heft 2. — Viazzi, Sui reati tessuali (Biblioteca antropologico giuridica).

') Vgl. Gas per, Klin. Novellen. — LombroBO. Goltdammer'« Archiv Bd. 30. — Oettingeu, Moralsiatistik p. 494.


Verkennung pathologischer S(.>xualfanct](ni in Foro.


805


Nervosität der letzteu Generationen in Zusammenhang stehe, insofem sie neuropathiach belastete Individuen züchtet, die sexuelle Sphäre erregt, zu sexuellem Missbrauch antreibt und bei fortbestehender Lüsternheit, aber herabgeminderter Potenz, zu perversen sexuellen Akten führt.

Wie berechtigt derartige Anschauungen speciell zur Erklärung der in auffallender Weise sich mehrenden Unzuchtsdelikte an Kindern sind, wird sich aus dem Folgenden klar ergeben.

Dass bezüglich der Begehung von sexuellen Delikten neuro- und selbst psycboputhische Bedingungen vielfach ausschlaggebend sind, ist aus dem bisher Erörterten leicht ersichtlich. Damit wird nichts Geringeres als die Zurechnungsfähigkeit vieler eines ünzuchtsdeliktes beschuldigter Menschen in Frage gestellt.

Der Psychiatrie kann die Anerkennung nicht versagt werden, dass sie die psychisch krankhafte Bedeutung zahlreicher monströser, paradoxer sexueller Akte erkannt und nachgewiesen hat.

Von diesen Thatsachen psycho-pathologischer Forschung hat die Jurisprudenz als Gesetzgebung und Rechtssprechung bisher sehr wenig Notiz genommen. Sie setzt sich damit in Widerspruch mit der Medizin und steht beständig in Gefahr, Urfcheile und Strafen über Solche zu ver- hängen, die wissenschaftlich als für ihre Handlungen unzurechnungsfähig dastehen.

Durch diese oberflächliche Behandlung von tief in das Interesse und Wohl der Gesellschaft eingreifenden Delikten geschieht es gar leicht der Justiz, dass sie einen Verbrecher, der gemeingefährlicher als ein Mörder oder als ein wildes Thier ist, nach festem Strafmass abstraft und ihm nach ausgestandener Strafe die Gesellschaft wieder ausliefert, während die wissenschaftliche Forschung nachweisen kann, dass ein originär psychisch und sexuell entarteter und damit unzurechnungsfähiger Mensch der Thäter war, der zeitlebens unschädlich gemacht werden mUsste, aber nicht bestraft werden sollte.

Eine Justiz, die nur die That und nicht den Thäter würdigt, wird immer Gefahr laufen, wichtige Interessen der Gesellschaft (allgemeine Sitthchkeit und Sicherheit), wie auch solche des Individuums (Ehre) zu verletzen.

Auf keinem Gebiete des Strafrechts ist ein Zusammenarbeiten von Richter und medicinischen Experten so sehr geboten, wie bei den sexuellen Delikten, und nur die anthropologisch-klinische Forschung vermag hier Licht und Klarheit zu verbreiten.

Die Art des Deliktes kann niemals an und für sich eine Ent- scheidung darüber herbeiführen, ob es sich um einen psychopathischen oder einen in physiologischer Breite des Seelenlebens zu Stande ge- kommenen Akt handelt. Der perverse Akt verbürgt nicht die

v. Krftfft-EbliiK, PiyobopKtMa lexualit. 10. Anfl. 20


30G


Sexuale PeLikte. Kriteneo pathologucher ScxuiUempfindung.


Ferversion der Empfindung. Jedenfalls sind die monströaesten«  und perversesten sexuellen Handlungen bei geistig Gesunden schon vor- gekommen. Aber die Perversion der Empfindung niuss als eine krankhafte erwiesen werden. Dieser Nachweis wird geliefert durch Entwicklung ihrer Entstehungsbedingungen und durch ihre Con- statirung als Theilerscheinung eines neuro- oder psychopathiscben 6e- sammtzustandes.

Wichtig ist die Species facti, aber auch sie gestattet nur Ver- muthungen, insofern dieselbe sexuelle Handlung, je nachdem sie z. B. ein Epileptiker, Paralytiker oder geistig Gesunder begeht, ein anderes Ge- präge und Besonderheiten der Handlungsweise aufweist.

Periodische Wiederkehr des Aktes unter identischen Modalitäten, impulsive Art der Ausführung erwecken gewichtige Präaumptionen für eine pathologische Bedeutung. Die Entscheidung liegt jedoch in der Zurückführung der That auf ihre psychologischen Motive (Abnormitäten des Yorstellens und Fuhlens) und in der Begründung dieser elementaren Anomalien als Theilerscheinungen eines neuropsychopathischen Gesammt- zustandes — entweder einer psychischen Entwicklungshemmung oder eines psychischen Degenerationszustandes oder einer Psychose.

Die in dem allgemein- und speciell-pathologischen Theil dieses Buches niedergelegten Erfahrungen dürften für den Experten von Werth für die Auffindung der Impulse zur Handlung sein.

Diese ftlr die Entscheidung, ob bloss Immoralität oder ob Psycho- pathie vorliege, unerlässlichen Thatsachen können nur durch eine gerichts- ärztliche Untersuchung, die nach Regebi der Wissenschaft die ganze Per- sönlichkeit ananinestisch und gegenwärtig, anthropologisch und klinisch berücksichtigt, gewonnen werden.

Der Nachweis einer originären angeborenen Anomalie des Sexual- lebens ist wichtig und fordert auf, in der Richtung eines psychischen Degenerationszustandes Untersuchungen anzustellen. Eine erworbene Abweichung muss. um als krankhaft anerkannt werden zu können, auf eine Neuro- oder Psychopathie zurückgeführt werden.

Praktisch muss hier zunächst an Dementia paralytica und an Epi* lepsie gedacht werden. Die Entscheidung bezüglich der Zurechnungs- fähigkeit findet ihren Schwerpunkt in dem Nachweis eines psycho- pathischen Zustande» bei dem eines sexuellen DeUktes Beschuldigten.

Dieser Nachweis ist unerlässlich, um der Gefahr zu begegnen, dass nicht blosse Immoralität mit dem Deckmantel der Krankheit ent- schuldigt werde.

Psychopathische Zustände können zu Sittlichkeitsverbrechen führen und zugleich die Bedingungen der Zurcchnungstahigkeit aufheben , in- sofern


Fragliche ZureofanungsfUhigkeit.


307


1. dem normalen, eventuell gesteigerten Sexualtrieb keine sittlichen und rechtlichen Gegenvorstellungen gegenübergestellt werden können, und zwar: a) indem solche nie erworben wurden (angeborene geistige Schwäche* zustände) oder b) in Verlust geriethen (erworbene geistige Schwäche- zustände);

2. der Sexualtrieb gesteigert ist (psychische ExaltationszustSndo) und zugleich das Bewusstsein getrübt, der psychische Mechanismus zu gestört ist, um die virtuell allerdings vorhandenen Gegenvorstellungen wirksam werden zu lassen;

3. der Sexualtrieb pervers ist (psychische Degenerationszustände), Er kann zugleich gesteigert und unwiderstehlich sein.

Ausserhalb eines psychischen Defekt-, Entartungs- oder Erkrankungs- zustandes stehende Fälle von sexuellem Delikt können niemals der Ent- schuldigung der Unzurechnungsfähigkeit theilhaftig werden.

In zahlreichen Fällen wird statt eines psychisch-krankhaften Zu- standes eine Neurose (lokale oder allgemeine) gefunden werden. Insofern die Uebergänge zwischen Neurose und Psychose fliessende sind, elementare psychische Störungen bei jener häutig, bei tiefer Perversion des Sexual- lebens wohl immer zu ^den sind, die neurotische Affektion, wie z. B. Impotenz, reizbare Schwäche u. s. w., auf die Begehung der strafbaren That Eiufluss gewann, wird eine gerechte Justiz, unbeschadet des nur aus psychischem Defekt oder aus Krankheit statuirbaren Mangels der Zu- rechnungsfähigkeit, auf mildernde Umstände der Straftbat erkennen.

DtT praktische Jurist wird aus verschiedenen Gründen Anstand nehmen, bei allen sexuellen Delikten Gerichtsärzte zu berufen behufs Anstellung einer psychiatrischen Expertise.

Ob und wann er dazu bemUssigt ist, muss freilich seinem Gewissen und Ermessen anheim gegeben werden. Indicien dafür, dass der Fall pathologisch sein dürfte, ergeben sich jedenfalls unter folgenden Umständen:

Der Thäter ist ein Greis. Das sexuelle Delikt wurde mit auf- fallendem Cynismus öffentlich begangen. Die Art der Geschlechtsbefrie- digung ist eine läppische (Exhibitioniren) oder grausame (Verstümmelung, Lustmord) oder perverse (Nekrophilie u. s. w.).

Erfahrungsgemäss lässt sich sagen, dass unter den vorkommenden sexuellen Akten Nothzucht, Schändung, Päderastie, Amor lesbicus, Bestia- lität eine psycho-pathologische Begründung haben können.

Beim Lustmord, sofern er über den Zweck der Ermordung hinaus- geht, desgleichen bei der Leichenschändung sind psychopathische Zustände wahrscheinlich.

Das Exhibitioniren, sowie die mutuelle Masturbation hissen patho- logische Bedingungen sehr wahrscheinlich erscheinen. Die Onanisirung eines Anderen, sowie die passive Onanie kann bei Dementia senilis,


^ aber aock bei bloMM Der Cunnilingoit fsleicfavi« du Fcllar« (peaem in os nofieiis ftnig^r«)

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ge«ch«^ditefi WotdingeD rofxnkoaimeB, Die Paedkatäo malienaii er^ ■cMai vidd ftjthoipuAiMdk^ uooätn PnkiSk mon^ach üefrtehender Ehe- wlnnfT SM Sehes tot N aflilron i Hwniirhaft t sowie Qbenittigter Cyniker im aaeKfebeüehen Oeacfaleehtagemiw.

Die pfakÜMhe Wichtigkeit des Gegnwfandw nOthigt daza, die Tom Gesetaqgeber ab aezoelle Delikte mit Strafe bedn^oi gesdlechtlieben HaDdloogen rom gerichtiÄrztlicbea Staodpaiikt spectefl ins Auge xa £asaea. Dabei ergibt lich der Vortheil, da« die p^Tcho-paUKtlogischec, nach Üm- Mtändeo ganz analogen Handlungen in das liehtige Lidit durch noch in die phyno-p9jchologiscbe ßreitt* fallende gesteDt werden,

1. Ter letzung der Sittlichkeit in Form des Exhibitionirens '). <0««terTeich § 516. Entwarf § 195. Deat^h. Stgsb. ft 18S-)

Schamhaftigkeit ist in dem Culturleben der beutigen Menschen eine durch Erziehung rieler Jahrhunderte so gefestigte Cbaraktererscheinong und Direktive, dass sieb vorweg Vennutbungen einer psjcbo-patbologischen Beziehung ergeben mOssen, wenn der öffentliche Anstand in grublicher Weiae verletzt wird.

Die Vermutbung wird berechtigt sein, dass ein Indiriduum. welches derart das SitUichkeitsgefÜbl seiner Mitmenschen und zugleich seine eigene Würde verletzt, der GefQble der Sittlichkeit nicht theühaftig werden konnte (Idioten) oder verlustig ging (erworbene geistige Schwäche- zustände) oder in einem Zustand von Trübung seines Bewusstseins (transi- torisches Irresein, geistige Dämmerzustände) gebandelt hat.

Eine ganz eigenartige, hierher gehörige Handlung stellt das aog. Exhibitioniren dar.

Die bisherige Ca&uistik weist ausschliesslich Männer auf, die vor Personen des anderen Geschlechts ostentativ ihre Genitalien entblossten, dieselben eventuell auch verfolgten, ohne jedoch irgendwie aggressiv zu werden.

Die läppische Art und Weise dieser Geschlechtsbethätigung oder


') Bois^ier et Lachaax, PerversionB sexuelles k forme obsedaote. Archive«  de neurologie 1898, Octobre. — Schafe r, Vierteljahrsachr. f. gerichtl. Medioin. 8. Folge. X. 1.


in Form des Exhibitionirens.


30$


l


eigentlich sexuellen Demonstration weist auf intellektuellen und ethischen Schwachsinn oder wenigstens auf temporäre Hemmung intellektueller und ethischer Funktionen, bei gleichzeitig erregter Libido, auf Grund einer er- lieblichen Bewusstseinsbrübung (krankhafte Bewusstlosigkeit, Sinnesver- wirrung) hin und stellt zugleich die Potenz dieser Individuen in Frage, Damach ergehen sich verschiedene Kategorien von Exhibitionisten.

Eine erste umfasst erworbene geistige Schwächezustände^ bei welchen durch die zu Grunde liegende üim- (Rackenmarks)krankbeit> das Bewusstsein getrUbt, die ethischen und intellektuellen Funktionen ge- schädigt sind, eine von jeher mächtig bestehende oder durch den Krank- lieitsprocess angefachte Libido damit kein Gegengewicht zu finden vermag, überdies Impotenz besteht und den geschlechtlichen Drang nicht mehr in kraftvollen Akten (eventueU Nothzucht), sondern nur in läppischen zu bethätigen gestattet.

In diese Kategorie füllt die Mehrzahl der mitgetheilten Fälle '). Es sind der DementiH senilis, dem paral3rtischen Blödsiim verfallene oder auch durch Alkoholismus, Epilepsie u. s. w. geistig defekte Individuen.

Beobachtung 163. Z.. höherer Beamter, 60 Jahre alt, Wittwer. Familienvater, bat dadurch Anstoss erregt, dasa er einem 8jährigen, ihm gegen- über wohnenden Mädchen wUhrend eines Zeitraums von 14 Tagen wiederholt genitalia sua de fenestra ostendit. Nach mehreren Monaten hat dieser Mann nnter gleichen Umstanden seine unanständige Handlung wiederholt. Er er- kannte im Verhör das Abscheuliche seiner Handlungsweise an, wusste keine Ent- schuldigung dafür. Ein Jahr später Tod in Hirnerkrankung. (Lasegue, op. cit.)

Beobachtung 164. Z., 78 Jahre, Seemann, hat wiederholt an Kinder- fipielplAtzen und in der Nähe von Mädchenschulen exhibitionirt. Es war dies die einzige Art seiner tieschlechtsbethätignng. Z., verheirathet, Vater von zehn Kindern, hat vor 12 Jahren eine schwere Kopfverletzung erlitten, von welcher eine tiefe Knochennarbe datirt. Druck auf diese Narbe macht Schmerz; dabei rüthet sich das Gesicht, die Miene wird starr, Patient erscheint dann somnolent, es kommt zu Zuckungen in der rechten Oberextremität (offenbar epileptoide ^Zustände im Zusammenhang mit einer Hirnrindenerkrankung). Im Uebrigen tBefund einer (senilen) Demenz und vorgeschrittenes Senium. Ob das Eihibi- jtioniren mit epileptoiden Anfällen coinoidirte, ist nicht mitgetheilt. Nachweis einer Dementia senilis. Freisprechung. (Dr. Schnchardt, op. cit.)


Eine Anzahl hierher gehör'ger Fälle hat Pelanda (op. cit.) mit- getheilt.

1. Paralytiker, «50 Jahre alt. Mit 58 Jahren hatte er begonnen, vor Frauen und Kindern zu ethibitioniren. Er war in der Irrenanstalt (Verona) noch längere Zeit lasciv und versuchte auch FeUatio.


') Laiögae, nnion mMicale 1677, Mai. — tangier, Anna], d'bjgiene 'publ. 1878, Nr. 106. — Pelanda, lieber Pornopathiker. Archivio di Piichiatria VIU. ^ Schuchardt. Zeitechr. f. Medioinalbeamte 1890. Heft VI.


310


Extubitioo durch Epileptiker.


2. Alter Potator, 66 Jahre, schwer belastet, an Folie circulaire leidend. Seine Exhibition wurde zum ersten Mal in der Kirche während des Gottes- dienstes bemerkt. Sein Bruder war ebenfalls Exhibitionist.

3. Mann, 49 Jahre, belastet, Potator, von jeher sexuell sehr erregbar. wegen Alkohol, cbron. in der Irrenanstalt, exhibirt jeweils, wenn er eines weib- lichen Wesens ansichtig wird.

4. Mann, ü4 Jahre, verhfirathet, Vater von 14 Kindern. Schwere Be- lastung. Rhaehitisch miVrocephaler Schädel. Seit Jahren Exhibitionist, trot-z wiederholter Bestrafungen.

Beobachtung l*i5. X.. Kaufmann, geb. 1833, ledig, hat wiederholt vor Kindern exhibitiouirt oder auch urinirt, einmal auch in derartiger Situation ein kleines Mttdchen abgeküsst. Vor 20 Jahren hatte X. eine schwere geistige Krankheit von 2jähnger Dauer durchgemacht. In welcher ein apoplektiscber Anfall vorgekommen sein soll.

Spt^ter, nach Verlust seines Vermögens, ergab er sich dem Trunk and erschien in den letzten Jahren öfters wie geistesabwesend.

Der Stat. praes. ergab Alkoholismus, Senium praecox, geistige Schwäche. Penis klein. Phimosis, Hoden atrophisch. Nachweis geistiger Krankheit. Frei- sprechung. (Dr. Schuchardt, op. cit.)

Derartige Falle von Exhibitioniren erinnern an die Gepflogenheit junger, mehr weniger noch bübischer, sexuell erregter Leute, aber auch gar mancher erwachsener Cjniker von tiefstehender Moral, die sich damit vergnügen, die Wände öffentlicher Aborte n. s. w. mit Bildern männlicher und weiblicher Genitalien zu besudeln — eine Art von ideellem Exhibi- tioniren, von dem aber zum reellen noch ein weiter Schritt ist.

Eine weitere Kategorie von Exhibitionisten wird durch Epilep- tiker*) gebildet.

Diese Kategorie unterscheidet sich von der vorausgehenden weseDt- lich dadurch, dass ein bewusstes Motiv für das Exhibitioniren fehlt, dieses vielmehr als eine impulsive Handlung erscheint, die, ganz ohne Rücksicht auf die äusseren Umstände, im Sinne einer krankhaften oi^a- nischeu Nöthiguug sich den Vollzug er/.wiugt

Ein geistiger Dämmerzustand ist tempore delicti immer vorhanden, und daraus erklärt es sich wohl, dass der Unglückliche ohne Bewusstaein der Bedeutung seiner Handlung, jedenfalls ohne Cynismus, in blindem Drange seine Handlung begeht, die er, wieder zu sich gekommen, be- dauert, verabscheut, sofern nicht schon dauernde geistige Schwäche besteht.

Das Primum movens in diesem geistigen Dämmerzustand ist, gleichwie bei anderen impulsiven Akten, ein Gefühl ängstlicher Beklemmung. Asso- cürt sich damit ein sexuelles Gefühl, so erhält das Vorstellen eine be- stimmte Direktive im Sinne einer entsprechenden (sexuellen') Handlung.

Dass bei Epileptikern gerade sexuelle Vorstellungen besonders leicht tempore insultus auftauchen, erklärt sich aus p. 291 — 296 dieses Buches.

') Instruktiver Fall von Morielli. BoUetino della R. Äocademia niedica di Genova. Vol. IX (1894), faac. 1.



Exhibition durch Kpileptiker.


311


Ist aber eine solche Association einmal geknüpft, eine bestimmte Handlung in einem Anfall zu Stande gekommen, so wiederholt sie sich um 80 leichter in jedem folgenden, weil sich ein ausgefahrenes Geleise in der Bahn der Motivation sozusagen gebildet hat.

Der angstvolle Zustand im dämmerhaften Bewusstsein lässt den isociirten seiuellen Impuls als einen Befehl, als eine innere Nöthigung r^rscheinen, die rein impulsiv und in absolut unfreiem Zustand vollzogen werden.


Beobachtung 1C6. K., Subalternbeamter, 29 Jahre, aas neuropathiacber !Tamilie, in glücklicher Ehe lebeud, Vater eines Kindes, bat wiederholt, be- fiondors in der Dämmerung, vor Dionstmftdchen exhibitionirt. K. ist gross, schlank, blass, nervös, hastig in seinem Wesen. Nur summarische Er- innerung für die Delicto. Seit der Kindheit häufige starke Congestiv- txnstände mit heftiger ROthe des Gesichts, beschleunigtem, gespanntem Puls. istarrem. wie abwesendem Blick. Ab und zu dabei ünbesinalichkeit, Schwindel, diesem (epileptischen) Ausnahmszustande gab K. erat auf wiederholtes An-

ifen Antwort und kam dann wie ans einem Traum zu sich. K. will [•tets vor seinen incrlm. Akten sich einige Standen erregt und unruhig gefühlt,

.ngst mit Beklemmung und Fluxion zum Kopf verspürt haben. Dabei sei er ^fter ganz taumelig gewesen und habe ein unbeEtimmtes Gefühl geschlecht- licher Erregung gehabt. Auf der H5he solcher Zustände sei er planlos von Hause fort und halie irgendwo seine Genitalien prüsentirt. Zu Hause habe er ,4iann von diesen Vorkommnissen nur eine traumhafte Erinnerung gehabt und

ich sehr matt und abgeschlagen gefühlt. Bemerkcnswei-th ist auch, dass er seine Gonitalien während der Exhibition mit Streichhölzern beleuchtet hatte. Gutachten, dass auf epileptischer Grundlage und zwangsmässig die incrim. Handlungen vorkamen. Gleichwohl Verurtheilung, unter Annahme mildernder Umstünde. (Dr. Schuchardt. op. cit.)

Beobachtung 167, L., 39 Jahre alt, ledig, Schneider, von wahr- scheinlich dem Trunk ergebenem Vater, hatte zwei epileptische Brüder und einen, der geisteskrank war. Er selbst bietet leichtere epileptische Insulte, hat von Zeit zu Zeit DttminerzustÄude, in welchen er planlos herumirrt und hinter- her nicht weiss, wo er gewesen ist. Er galt als ein anständiger Mensch, steht jetzt unter Anklage, 4 — 6mal in fremdem Hanse seine Genitalien exhibirt und daran gespielt zu haben. Seine Erinnerung für diese Handlungen war eine höchst summarische,

L. war wegen wiederholten Desertirens vom Militär (wahrscheinlich eben- falls in epileptischen Däiumer£ustauden) schwer bestraft worden, im Zuchthaus geistig erkrankt, wegen .epileptischen Irreseins" nach der Charite gekommen und dort «geheilt* entlassen worden. Bezüglich der incriminirten Handlungen Hessen sich Oynismus und Uebermuth ausschliessen. Dass sie im geistigen Dämmerzustand vorkamen, ist n. a. daraus wahrscheinlich, dass den ihn ver- haftenden Polizeiorganen der «blödsinnige*, recte in geistigem DUmmerzustand befindliche Mensch psychisch anfnUlig war. (Liman, Vierteljahrsschr. f. ger. Med. N. F. XXXVm. H. 2.)

Beobachtung 168. L., 37 Jahre, hat vom 15. Oktober bis 2. November 1889 eine grosse Zahl von Exhibitionen vor M&dchen sich zu Schulden kommen lassen und zwar am hellen Tage, auf offener Strasse und KOgar in Schulen, in welche er eindrang. Gelegentlich kam es vor, dass er von den Mädchen Masturbation oder Coitus begehrte und da dies verweigert wurde, vor den


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Exhibition bei Nearaatheuie-



Betreffenden masttubirte. In G. schlag er in einer Scbftnkwirthschaft mit dem entblüssten Penis au die Fensterscheiben, so dass es die in der Küche befind* liehen Kinder and %fägde sehen mussten.

Nach der Verhaftung stellte sich beraas, dass L. schon unzählige Male seit 1876 wegen Exhibitioneu Acrgernisfi erregt hatte, jedoch jeweils wegen ärztlich erwiesener geistiger Krankheit ohne Bestrafung durchgekommen war. Dagegen war er schon beim Militär wegen Desertirens, Diebstahls, später auch einmal als Civilist wegen Cigarrendiebstahls gestraft worden. Wiederholt war L. wegen Irrsinns {WahnsinnsanfölleV) in Irrenanstalten gewesen. Im Üebrigen war er durch wandelbares, streitsüchtiges Wesen, zeitweise Erregung, Unstetig- keit vielfach auffällig geworden.

L.'s Brader starb an Paralyse. Er selbst bietet keine Degenerations- zeichen, keine epileptischen Antecedentien. Er ist zur Zeit der Beobachtung weder geistig krank, noch geistig geschwächt.

L, benimmt sich höchst decent, äussert tiefen Abscheu gegenüber seinen sexuellen Delicten.

Er erklärt sie folgendermassen : Sonst kein Säafer^ bekomme er zeiten- weise einen Drang zu trinken. Bald nachdem er damit begonnen, stellen sich Blutandrang zum Kopf, Schwindel, Unruhe, Angst, Beklemmung ein. Er gerathe dann in einen traumartigen Zustand. Ein unwiderstehlicher Reiz zwinge ihn nun, sich zu entblössen, wovon er Erleichterung und Freiheit des Athmens empfinde.

Wenn er einmal sich entblOsst habe, wisse er nicht mehr, was er thne.

Als Vorboten solcher Anfalle habe er oft kurze Zeit vorher Flimmern vor den Augen und Schwindel.

Für die Zeit seiner Dämmerzustände habe er nur eine ganz unklare traumhafte Erinnerung.

Erst mit der 2ieit hatten sich sexuelle Vorstellungen und Dränge diesen angstvollen Dämmerzuständen associirt. Schon Jahre vorher war er in solchen ganz ohne Motiv und mit höchster Oefahr desertirt, einmal zu einem Fenster des zweiten Stocks hin abgesprungen, ein andermal ans einer guten Stellung planlos in ein Nachbarland gelaufen , wo er wegen Exhibition sofort ver- haftet wurde.

Wenn L. ausserhalb seiner krankhaften Perioden gelegentlich sieh ein- mal berauschte, kam es nie zum Exhibitioniren. Im luciden Zustand ist sein sexuelles Fühlen nnd Verkehren ganz normal, (Dr. Hotzen. Fried reich's Blätter 1890, H. 6.) Weitere Fälle s. o. Beob. 149. 151.

Eine klinisch den epileptischen Exhibitionisten nahestehende (Gruppe wird durch gewisse Neuras thenik er repräsentirt, bei denen ebenfalls anfaUsweise (epileptoide ?) Dämmerzustände ^) in Verbindung mit ängst- licher Beklemmung vorkommen, in welcher mit dieser assocürte sexuelle Dränge ganz impulsiv zu exbibitionistiscben Akten führen können.

Beobachtung 109. Gymnasiallehrer Dr. S. hat dadurch öffentliches Aergerniss erregt, dass er wiederholt im Berliner Thiergarten vor Damen und Kindern mit genitalibus denudatis herumlaufend gesehen wurde. S. gibt dies zu, stellt aber Absicht und Bewusstsein , ein öffentliches Aergernis zu geben» in Abrede und entschuldigt sich damit , dass das schnelle Laufen mit ent- blössten Genitalien ihm gegen nervöse Aufregungen Erleichterung gewährte, Muttersvater war gemüthskrank und endigte durch Selbstmord, die Mutter war


') Vgl V. Krafft, Ueber tranaitorisches Irresein bei NeurafitbeniBchen. Zeit- schrift ,Irrenfreund« 1S83, Nr. 8. und Wiener Klin. Wochenschr. 1891» Nr. 50.


Exbibition bei NearuÜienie.


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cODSÜtntioDeU neuropathiscb , Nachtwandlerin and vorübergehend gemfiths- krank gewesen. Inculpat ist neuropathisch, war Nachtwandler, hatte von jeher, Abneignsg gegen geschlechtlichen Verkehr mit Frauenspersonen, trieb in jungen] Jahren Onanie, ist ein scheuer, schlaffer, leicht in Verlegenheit und Verwir- rung gerathender Mensch, neurasthenisch. Rr war sexuell immer sehr erregt.' £r trfiumte oft, dass er mentola denndata uuiberlaufe oder im Hemde an einem 'Keck hänge, den Kopf nach unten, so dass das Hemd zurückfaUe und das erigirte Glied entblösat sei. Diese Träume fuhren dann rar Pollution und er habe eine halbe bis ganze Woche Ruhe.

Auch im wachen Zustand befalle ihn im Sinn seiner Träume oft der Dr&Dg, mit entblösstem Glied umherzulaufen. Indem er zur Entblössung schreite, werde ihm glühend beiss, er laufe dann planlos herum, das Glied werde feucht, jedoch komme es nicht zur Pollution. Endlich erfolge relaxatio membri, er stecke e-s ein, komme dann zu sich, froh, wenn den Vorgangs' Niemand gesehen habe. Er befinde sich in solchen Erregungen wie im Traum, wie in Trunkenheit. Nie habe er dabei die Absicht gehabt, Weiber zu provociren. S. ist nicht epileptisch. S.'s Angaben haben das Gepräge der Wahrheit. Er hat thatsächlicb nie Weiber in diesen Zuständen verfolgt, oder auch nur angesprochen, Frivolität, Rohheit l&sst sich ausschliessen. Jedenfalls geht das Handeln des S. aus krankhaftem Empfinden und Vorstellen hervor) und befand sich S. zur Zeit seiner Handlungen in einem Zustand krankhafte Störung der Geistesthfttigkeit. (Lim an, Vierteljabrsscbrill für gerichtl. Med. N. F. fXX. Vni. Heft 2.)

Beobachtung 170. X., 38 Jahre, verbeirathet, Vater eines Kindes, von jeher düster, schweigsam, b&ufig an Kopfweh leidend, schwer neur- asthenisch, jedoch psychisch nicht krank, viel mit nächtlichen Pollutionen geplagt, ist wiederholt Ladenmädchen, denen er in einem Anstandsorte auf- igelauert hatte, mit exhibitionirten Genitalien, am Penis herummanipulirend, auf der Strasse nachgegangen. In einem Falle hatte er das betreffende Mädchen Bogar bis in den Laden hinein verfolgt. (Trochon, Arch. de Tanthropologie criminelle III, p. 25Ö.)


In der folgenden Beobachtung erscheint das Ezbibitioniren neben- sächlich gegenüber einem impulsiven Drang, durch Masturbation eine plötzlich entstandene heftige Libido zu befriedigen.

Beobachtung 171. R., Kutscher, 49 Jahre, in Wien seit 1866 ver- beirathet, kinderlos, stammt von nenropathischem , sexuell excessivem Vater. welcher an einer Gebirnkrankheit starb. Er bietet keine Degenerationszeicben.

2d Jahre alt erlitt er eine schwere Commotio durch Sturz von einer Höhe. Seine Vita sexualis war bis dahin nurmal gewesen. Seither befiel ihn alle 3 — 4 Monate eine ihm htlchst peinliche sexuelle Erregung mit gebieterischem Drang zu Masturbation. Voraus gehe ein Gefühl grosser Ermattung und Ün- behaglichkeit, mit dem BedUrfuiss nach alkoholischen Getränken. In der Zwischenzeit sei er sexuell kalt und habe nur höchst selten das Bedfirfniss gehabt, mit seiner Frau, die überdies seit 5 Jahren krank und beischlafsonfäbig ist, zu coitiren.

Als junger Mensch versichert er nie masturbirt zu haben, ebensowenig habe er an diese Art, sich geechleohtlich zu befriedigen, jemals in der Zwischen* xeit seiner Anfälle gedacht.

Der Impuls zur Masturbation wird in der gefährlichen Zeit jeweils dun gewisse weibliche Heize — kurzer Rock, hUbscher Fusa und Waden, elegante' l&soheinung — ausgelöst. Das Alter ist ganz gleichgültig. Selbst kleine ~~ädchen können erregend wirken. Der Antrieb sei plötzlich, unwiderstehlich.


314


Exhibition bei psychuch Degeoetmtiven.


B. schildert Situationen and Vorgeben im Sinne eines Ltupalsiven Aktes. £r habe oftmals zu widerstoben versucht, aber dann werde ihm heiss, sohrecklioh bang, es walle ihm heiss auf zum Kopf, er sei wie im Nebel, verliere zwar nie ganx das Bewusstsein, sei aber wie von Sinnen. Dabei habe er heftige stechende Schmerzen in Hoden und Samenstrang. Er bedauere, bekennen zu müssen, dass der Impuls stärker sei als der Wille. Es zwinge ihn in solchen Situationen, sich zu masturbiren, gleichviel wu er sich befinde. Mit der erfolgten Ejacalation werde ihm wieder leicht und er finde seine Selbstbeherrschung wieder. Die Sache sei ihm schrecklich fatal. Sein Vertheidiger tbeilt mit» dass B. schon 6mal wegen desselben Delicts — Exhibition und Masturbation auf offener Strasse — bestraft wurde. Eine verlangte Untersuchung des Geisteszustands sei jedesmal abschläglioh beschieden worden, weil der Gerichtshof fand, dass AUS den Akten Zweifel bezüglich der ZurechnungsfHhigkeit sich nicht ergaben.

Am 4. November 1B89 befand sich R. gerade wieder in der gefährlichen Zeit auf der Strasse, als ein Trupp Schulmüdchen daher kam. Da erwachte sein unbändiger Drang. Dm auf einen Abort zu gehen, reichte die Zeit nicht, er war zu aufgeregt. Sofort Exhibition, Masturbation unter einem Hausflar grosser Skandal, sofortige Arretirung. R. ist nicht schwachsinnig, auch nicht ethisch defect. Er beklagt sein Geschick, schämt sieh tief seiner Handlung, ftirchtet sich vor neuen Attaquen , empfindet aber seine Zustände als krank- hafte, als ein Verhtlngniss, dem gegenüber er sich machtlos fiihlt.

Er hält sich f&r noch potent. Penis abnorm gross. Cremasterreflex vorhanden, gesteigerter Patellarrcfiei. Seit einigen Jahren Schwäche des Sphincter vesicae. Verschiedene neurasthenische Beschwerden

Das Gutachten erwies, dass R. unter dem Einfiuss krankhafter Be- dingungen und impulsiv handelte. Keine Vemrtheilung. Patient kam in die Irrenheilanstalt, aus welcher er nach einigen Monaten entlassen wurde.


In der vorausgehenden Beobachtung liegt der Schwerpunkt klinisch nicht in der vorhandenen Neurose, sondern vielmehr in dem impulsiven Charakter der Handlung (Exhibition bezw. Masturbation).

Offenbar ist mit der Aufstellung der Kategorien der imbecillen, der geistig geschwächten, sowie der in neurotischem (epileptischem oder neurasthenischem) Dämmerzustand befindlichen Exhibitionisten die klinisch- forensische Seite dieser Erscheinung noch nicht erschöpft und lässt sich den gefundenen eine weitere anreihen, deren Repräsentanten a u f Q r u n d schwerer Belastung (hereditär degenerative Neurose?) perio- disch und höchst impulsiv zum Exhibiren gedrängt werden.

Mit Recht legt Magna nO» dera ich die beiden folgenden instruk- tiven Fälle entlehne, bezüglich dieser Zustände von Psychopathia sexualis penodica (vgl. p. 297), bei welcher der zufällig geweckte Drang zum Exhibiren nur Theilerscheinung eines grösseren klinischen Ganzen ist, gleichwie der Drang nach Alkoholicis bei der Dipsoraania penodica, grossen Wertb auf das impulsive periodische Gepräge dieser krankhaften Antriebe, nicht minder darauf, dass sie von oft qualvoller Angst be- gleitet sind, die nach ihrer Realisirung einem Gefühl grosser Erleichterung Platz macht.


') Rechercbei aur let centres nerveux. 2*^ S^rie. Paris 1898.



Exhibition bei psychiscb Deffenerativen.


di5


Diese ThatsacheD . nicht minder das ganze klinische Bild der psychischen Entartung, meist zurilckführbar auf hereditäre oder in den ersten Lebensjahren die Hiruentwicklung schädigende Bedingungen (Rhachitis u. s. w.) sind gerichtsärr.tlich von entacheidendor Bedeutung.

Beobachtung 172. G., 29 Jahre, Gar^on eines Cafe, hat 1888 anter der Kirchenthär vor mehreren in einem Gewölbe gegenüber arbeitenden Madchen exbibirt. Er gesteht das Factuni, sow^ie dass er schon mehrmals am gleichen Ort zu gleicher Tageszeit sich desselben Vergehens schuldig gemacht habe und deshalb schon im Vorjahr mit 1 Monat GefUngniss bestraft worden sei.

G. hat sehr nervöse Eltern. Sein Vater ist psychisch nicht äquilibrirt, höchst jfibzornig. Seine Mutter ist zeitweise psychisch krank und mit schwerer Nervenkrankheit behaftet.

G. hatte von jeher nervöses Zucken im Gesicht, beständigen WechseL von unmotivirter Verstimmung mit Taed. vitae und Zeiten heiterer En-egung^ Mit 10 und 15 Jahren hatte er ob geringfügiger Anlilsse sich tödten wollen.' Bei GemüthsbeweguDgen hat er gleich Zuckungen in den Extremitäten. Er bietet constaut allgemeine Analgesie. Im GefUngniss war er anfangs ausser sich vor Scham über die Schande, die er seiner Familie zugefügt, erklärte sich für den schlechtesten, der schwersten Strafe bedürftigen Menschen.

Bis zum 19. Jahre hatte G. mit Auto- oder mutueller Masturbation sich befriedigt, gelegentlich auch einmal Mädchen onanisirt. Von da ab in einem Cafe bedienstet, regten ihn weibliche Besucher desselben so mächtig auf, dass es Öfters zu Ejaculation kam. Er litt fast bo,ständig an Priapismus, und wie seine Frau versichert, störte ihm derselbe trotz Coitus oft die Nachtruhe. Seit 7 Jahren hatte er wiederholt an seinem Fenster exhibirt, sich auch nudatos feminis vicinis gegenüber exponirt.

18S3 scbloss er eine Ehe aus Neigung. Der eheliche Umgang genügte nicht seinem excessiven Bedürfnis». Die sexuelle Erregung war zeitweise so heftig, dass er Kopfweh bekam, ganz verwirrt, wie betrunken, auffillHg und unbrauchbar im Beruf erschien.

In einem solchen Zustand hatte er kurz hinter einander am 12. Mai 1887 in zwei Strassen von Paris vor Damen exhibirt. Seither kämpfte er einei verzweiflungsvollon Kampf gegen seine ihn fast permanent verfolgenden krank- haften Antriebe, auf deren Höhe er düster, verstört war und Nächte hindurch weinte. Gleichwohl wurde er immer wieder rückfUUig. Gutachten: Nachweis hereditärer Degeneration mit Zwangsvorstellungen und unwiderstehlichen An- trieben (.Perversion delirante du sens genital'). Freisprechung. (Magnao, Arch. de Tanthropologie criminelle, V. Bd. Nr. 28).

Beobachtung 173. B., 27 Jahre, von neuropathischer Mutter und alkoholischem Vater, hat einen Bruder, der Säufer, and eine Schwester, dib hysterisch ist. Vier Blutsverwandte von väterlicher Seite sind Säufer, eine Cousine ist hysterisch.

Vom 11. Jahre an Onanie, solitär oder mntnell. Vom 13. Jahre ab Dränge zu exbibiren. Er versuchte es am Pissoir einer Strasse, empfand wol- lüstige« Behagen, aber gleich darauf Gowissenshisse. Versuchte er im weiteren Verlauf seinen Trieb zu bekämpfen, so fühlte er heftige Angst und Üeklommung auf der Brust. Ab Soldat trieb es ihn häutig, mentulam Kameraden unter verschiedenen Vorwänden zu zeigen,

Vom 17. Jahre an verkehrte er sexuell mit Weibern. Es gewährte ihm grossen Genuss, sich vor ihnen nackt zu zeigen. Sein Exbibitioniren auf den Strassen setzte er fort. Da er aber nur selten vor Pissoirs auf Zuschauerinnen rechnen konnte, verlegte er den Schauplatz seiner Delikte in Kirchen. Um an dieser Stelle zu exhibiren. musste er sich immer vorher Math antrinken.


31G


Exhibition bei psychisch DegeneraÜTen.


Unter dem Einflnss geistiger Getränke ivar der soDst noch leidlich be- herrschbare Draug* unwiderstehlich. B. wiirde nicht verurtheilt, verlor seinen Poeten, trank mehr seitdem. Nicht lange danach nenerliche Ärretirnng, da er in einer Kirche exhibirt und sogar mastarbirt hatte. (Magnan, ebenda.) ')

Beobachtung 174. X., Barbiergehilfe, 35 Jahre, wiederholt wegen Vergehens gegen die Sittlichkeit bestraft, ist neuerdings verhaftet, da er, seit 3 Wochen in der Nähe einer Mädchenschule herumlungernd, die Aufmerksam- keit von M&dchen auf sich zu lenken suchte, und wenn ihm dies gelungen war, exhibitionirt hatte. Gelegentlich hatte er ihnen auch Geld versprochen mit den Worten: «Habeo mentulam pulcfaerrimam , venite ad me ut eun lambatis/

X. gesteht im Verhör Alles zu, weiss aber nicht, wie er dazu gekommen sei. Er sei sonst der vernünftigste Mensch, habe aber den Hang in sich, dies Vergehen zu verüben, und könne ihn nicht bezwingen.

Schon 1879 als Militär war er einmal vom Dienste fort, hatte sich in der Stadt herumgetrieben und vor Kindern exhibitionirt. 1 Jahr GefUngniss. 1881 dasselbe Vergehen. Er lief den schreienden Kindern nach und sah sie .starr" an. GeiUngniss 1 Jahr 3 Monate. 2 Tage nach der Entlassung aus dem Gefängniss sagte er zu zwei kleinen Mädchen: ,si mentulam meam videre vultis mecnm in hanc tabernam veuiatis." Er leugnete diese Worte gesprochen zu haben, behauptete Trunkenheit. 3 Monate GeHlagniss.

IS^'3 neuerliche Exhibition. Er sprach dabei nichts, behauptete im Ver- hör, seit seiner schweren Krankheit vor 8 Jahren an derartigen krankhaften Erregungen zu leiden. 1 Monat Gefdngniss.

lÖÖ4 Exhibition vor Mädchen auf einem Kirchhof, 1885 neuerlich. Er erklärte: ,Ich sehe mein Unrecht ein, es ist aber wie eine Krankheit. 'Wenn es über mich kommt, kann ich mich solcher Handlungen nicht erwehren. Es dauert manchmal eine geraume Zeit, dass mir diese Neigungen fernbleiben.' Monate Gefängniss.

Am 12. August 1885 entlassen, wurde er schon am 15. August rück- Mlig. Dieselbe Verantwortung. Diesmal ärztliche Untersuchung. Sie konnte keine geistige Störung finden. 3 Jahre Zuchthaus.

Aus diesem entlassen, eine Reihe neuer Exhibitionen.

Die diesmalige Exploration ergab Folgendes:

Vater litt an Alkohol, chron. und soll dieselben unzüchtigen Handlungen begangen haben. Mutter und eine Schwester nervenkrank, die ganze Familie von heftigem Temperament.

X. litt vom 7. — 18. Jahre an epileptischen Krämpfen. Mit 16 Jahren erste Oohabitation. Sptlter Gonorrhöe und angeblich Syphilis. In der Folge normaler Geschlechtsverkehr bis zum 21. Jahre. Daraals hatte er oft in der Nähe eines Spielplatzes vorbeizugehen und befriedigte gelegentlich das Bedürfuiss zu uriniren, wobei es vorkam, dass die Kinder neugierig zu- schauten.

Gelegentlich bemerkte er, das.s dies Zuschauen ihn sexuell erregte, ihm Erection und sogar Ejaculation machte. Er tand an dieser Art der Geschlechts- befriedigung nunmehr Gefallen, wurde gleichgültiger gegen Coitus, befriedigte sich nur mehr auf jene Weise, fühlte davon sein ganzes Denken beherrscht, träumte von solcher Exhibition unter Pollutionen. Er habe immer mehr ver- gebens gegen seinen Exhibitionsdrang angekämpft. Dieser sei stets mit solcher Gewalt über ihn gekommen, dass er um sich her nichts Anderes berücksichtigte, nichts sah und hörte, vollständig wie .ohne Verstand*, wie ,ein Bulle, der mit dem Kopf durch die Wand will*.


  • ) Analoge Beobachtung: Boissier u. Lachaux. Archiv, de neurologie

189S, Oct.


Exhibition bei peycbiflch Degenerativen.


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X. bietet abnorm breiten SchSdel, kleinen Penis; linker Hoden ver- kümmert. Patellarreflex fehlt. Grscheinunj^en von Neurastbenie, besonders cerebraler. Häufig PollntioneD. Die Träume drehen sich meist um normalen Beischlaf, nur selten um Exhibition vor kleinen Mädchen.

Uexüglich seiner abnormen Geschlechtsakte versichert er, der Trieb, Mftdchen aufzusuchen und anzulocken, sei das Primäre, und erst dann, wenn •8 ihm gelungen sei, earum intentionem in sua genitalia nndata transferre, er^ctionem et eiaculationem fieri. Beim Akt schn-inde ihm das Bewusst^ein nicht. Nach demselben sei er ärgerlich über die That und sage sich, wenn nicht dabei ertappt, .wieder einmal dem Staatsanwalt entgangen*.

Im Gefängnis» habe er den Trieb nicht: hier belästigen ibn nur die Träume und Pollutionen. In der Freiheit habe er täglich die Gelegenheit gesucht, sich durch E. zu befriedigen. Er gäbe 10 Jahre seines Lebens, um die Sache loszuwerden; , dieses ewige Angstleben, dieses Schweben zwischen Freiheit und Nichtfreiheifc sei unerträglich".

Das Gutachten nahm eine angeborene (?) Perversität der Gescblechts- empfindung an, bei unverkennbarer erblicher Belastung, neuropathischcr Con- stitution. Schädelasymmetrie, mangelhafter Entwicklung der Genitalien.

Bemerkens werth sei auch, dass das Exhibitioniren auftrat, als das epileptische Leiden aufhürte, so dass man an eine vicariirende Erscheinung denken machte.

Die sexuelle Perversität entwickelte sich bei vorhandener Disposition durch zufällige Ideen association sexuellen Inhalts (neugieriges Zuschauen der Kinder, als er urinirte) mit einer an und für sich bedeutungslosen Handlung.

Der Kranke wnrde nicht verurtheilt und einer Irrenanstalt übergeben. (Dr. Frey er, Zeitschr. f. Medicinalbeamte 3. Jahrg. Nr. 8.)

Beobachtung 175. Abends 9 Uhr im Frühling Ift^l kam eine Dame ganz bestürzt zu dem Polizisten im Stadtpark zu X. mit der Anzeige, aas dem Gebüsch sei ein vorne ganz entblOsster Mann auf sie zugetreten, so dass sie entsetzt geflohen sei. Der Polizist begab sich sofort nach dem bezeichneten Ort und fand einen Mann vor, der ventrem et genitalia nuda exponirte. Er versuchte zu entfliehen, wurde aber eingeholt und verhaftet. Derselbe gab an, er sei durch Alkoholgenuss sexuell erregt und im Begriff gewesen, eine Prostituirte aufzusuchen. Auf dem Wege durch den Park habe er sich aber erinnert, dass ihm Exhibition einen viel grösseren Genuss bereite als Coitua, den er nur selten und faute de uiieux pflege. Nachdem er sein Hemd aus- gezogen und den Oberthoil seiner Beinkleider abgerissen, habe er sich nun in ein Gebüsch postirt et qnum duae feminae advenissent nudatis genitalibus üs occurrisse. Bei solcher Exhibition werde ihm angenehm warm und das Blut steige ihm zu Kopf.

Der Verhaftete ist ein Fabrikarbeiter, dem sein Werkmeister das Zeugniss eines pflichttreuen, sparsamen, nüchternen, intelligenten Menschen ertheilt.

Schon 188Ü war B. bestraft worden, weil er zweimal an öffentlichem Ort, das eine Mal am hellen Tage, das andere Mal Abends unter einer Laterne sitzend, exhibirt hatte.

B., 37 Jahre, ledig, macht durch stutzerhafte Kleidung, manierirte Sprache und Bewegungen einen eigenthümlichen Eindruck. Sein Auge hat einen neuropathischen, schwärmerischen Ausdruck; um seinen Mund spielt ein selbstgefälliges Lächeln. Er stammt angeblich von gesunden Eltern. Eine Schwester des Vaters und eine solche der Mutter waren irrsinnig. Andere Geschwister dieser galten als religiös excentrisch.

B. hat nie schwere Krankheiten durcbgeniacht. Von Kindsbeinen auf war er excentrisch, phantastisch. Hebte Ritter- und andere Romane, ging ganz in solchen auf, weitergehend sich in seiner Phantasie mit dem Romanhelden identificirend. Er hielt sich immer für etwas Besseres als die Anderen, legte


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Exhibition bei pe^cbidch Uegenerativen.


grossen Werth auf elegante Kleidang und Pretiosen, und wenn er Sonntags einherstolzirte, dünkte er sich in seiner Phantasie als ein hober Beamter.

Epileptische Erscheinungen hat D. nie geboten. In jungen Jahren mlissige Masturbation, später massiger Coitas. Niemals früher perverse Beinelle Em- pfindungen oder Dmnge. Eingezogene Lebensweise, in den Freistunden Lektüre (populäre^ ferner Rittergeschicbten. Dumas u. A.). ß. war kein Trinker. Nor ausnahmsweise bereitete er sich eine Art Bowle, von deren Genuss er jeweils fiiüb sexuell erregt fühlte.

Seit einigen Jahren, bei bedeutend verminderter Libido, hatte er an- lässlicb solcher Alkoholgenüsse den «verflucht dummen Gedanken" und die Begierde bekommen, genitalia adspectui feminarum publice exhibere.

Gerathe er in diese Situation, so werde ihm warm, das Herz schlage heftig, das Blut schiesse ihm in den Kopf und er könne sich dann seioes Triebes nicht mehr erwehren. Er hure und sehe dann nichts Anderes mehr und sei ganz, versunken in seine Lust. Nachträglich habe er sich dann oft seinen verrückten Schädel mit den Fflusten geschlagen und sich feÄt vor- genommen, derlei nicht mehr zu thun, aber die verrückten Ideen seien immer wieder gekommen.

Bei seinen Exhibitionen gerathe sein Penis nur in Halberection und nie erfolge eine Ejaculation. die auch beim Coitus nur tardiv eintrete. Es genüffe ihm, beim Exbibiren genitalia sua adspicere. und er habe dabei die wollüstig betonte Vorstellung, da&s dieser udspectus Frauen buchst angenehm sein müsse, da ja auch er genitalia feminarum so gerne anschaue. Zum Coitus sei er nur f^hig, wenn ihm die Puella sich sehr entgegenkommend zeige. Andernfalls zahle er lieber und gehe unverricbteter Dinge davon. In erotischen TrUumeu exhibire er vor jungen Üppigen Frauenzimmern.

Das gerichtsarztliche Gutachten erwies die hereditär-psychopathische Per- ilichkcit des Lnculpaton, den perversen impulsiven Antrieb zu den in- S^iminirten Delicten und bracht« den beraerkenswertben weiteren Deweis, dass auch die Impulse zum Alkoholgenuss bei dem sonst nüchternen und sparsamen 6. auf krankhaften, periodisch wiederkehrenden Nöthigungen beruhen. Dass B. in seinen Anfallen in einem psychischen Ausnahmezustand, in einer Art Sinnesver\virrung, ganz versunken in seine sexuell perversen Phantasien sich befand, geht aus der Species facti klar hervor. So erklärt sich auch, dass er das Nahen des Polizisten erst gewahr wurde, als es zur Flucht in spät war. Interessant ist in diesem hereditär degenerativ-impulsiven Exhibitionismus die Erweckung des perversen sexuellen Dranges aus seiner Latenz durch den Ein- Süss des Alkohols.


Die vorausgehende Casuistik spricht entschieden zu Gunsten der Vermuthung einer psycbo-patholcgischea Bedeutung des Exhibitionireus im Sinne sexueller Demoustrution.

Dr. Hoche mahnt gleichwohl zur Vorsicht, indem er folgenden mit Prof. Fürstner beobachteten, nach der Ansicht der Experten und des Gerichtshofs nicht psychopathischen Fall mittheüt.

Beobachtung 176. Dr. X. hat seit Jahren die weibliche Bevölkerung in Strassburg erschreckt, indem er in fast identischer Weise vor Damen Abends, am liebsten bei einer Laterne oder unter Entzündung bengalischer Zündhölzer, seinen langen Mantel auseinander schlug und genitalia nuda präsentirte. In anderen Fällen that er dies, indem er irüh Morgens an Wohnungen klingelte und vor dem die Thtir öffnenden oder am Fenster erscheinenden Dienstmädchen ezhibirte.

Der Befund in der psychiatrischen Klinik ergab: die nachweisliche directe


Frolteura.


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erbliche Belastung war mUssig. Von Kindheit auf lebhafter Sexualtrieb (Onanie, später normal sexuelle Excesse bis zur Gegenwart). Entschuldigung mit „unwiderstehlichem Trieb, aber nie Verlust des Bewusstseins suhiinpt- iicher strafbarer Handlung. Epilepsie, Geistesstörnng im engeren Sinne aus- zoschliessen. X. ist eine weichliche, schlaffe Natur, aber nicht schwachsinnig.

Die klinische Beobnchtung ergab nach Verf. keine Momente im Sinne der Ausschliesfiongsgründe der Zurechnucgsf^higkeit (§. •'^l deutsch. Stgb.). VerurtheiluDg zu 1 Jahr Gei^ngniss. In der Strafhaft keine abnormen .Triebe". Heirath nach Verbüssung der Strafe.

(Dr. Hoche, neurolog. Centralblatt 1896. 2.)

Der vorstehende Fall ist zu aphoristisch mitgetheilt, um die Be- rechtigung der These von Hoche entscheiden zu können. Der un- befangene Beurtheiler wird den Eindruck nicht verwinden können, dass es sich hier um eine, wenn auch nur ^mUssig direkt erblich be- lastete*, so doch immerhin um eine belastete, abnormale psychische Persönlichkeit handelte, der mildernde Umstände soweit als möglich hätten zugebilligt werden müssen. Ein Jahr Qefangniss war zu viel der Strafe und kein genügender Schutz der Gesellschaft vor X.

Eine forensisch bemerkenswerthe Varietät der Exhibitionisten, jeden- falls auf gleicher klinischer neurotisch-degenerativer Grundlage stehend und im eigenartigen Vorgehen durch heftige Libido (Hyperaesthesia sexualis) bei geschädigter Potenz bedingt, stellen die sogen. Frotteurs dar.

Die folgenden drei Magnan (op. cit.) entlehnten Beobachtungen sind typisch.

Beobachtung 177. D., 44 Jahre, belastet, Alkoholiker und an Satnr- nismus leidend, hatte bis vor einem Jahre viel ouanirt, oft auch pornographische Bilder gezeichnet und sie seinen Bekannten gezeigt. Wiederholt hatte er sich, allein zu Hause, als Weib angezogen.

Seit 2 Jahren, wo er impotent wurde, fühlte er das BedQrfniss, im Menschengedränge in der DHmmerujig mentulam denudare eamque ad nates mulieris crassissimae terere.

Einmal in flagranti ertappt, war er zu 4 Monaten Gef^ngniss verurtheilt worden .

Seine Frau hat eine Milchwirthschaft. Herum iterumque sibi temperare non potuit quin genitalia in oHam lacte completam mergeret. Er hatte dabei ein wollüstiges Gefühl — ,wie von Berührung durnh Sammt".

Er war cyniscb genug, diese Milch für sich und die Kunden zu benutzen.

Im Gefängniss entwickelte sich bei ihm alkoholischer Verfolgungswahnsinn.

Beobachtung 178. M., 31 Jahre, seit t> Jahren verheirathet, Vater von 4 Kindern, schwer belastet, episodisch an Melancholie leidend, wurde vor 3 Jahren von seiner Frau betreten, wie er ein Seidenkleid anhatte und sich masturbirte. Eines Tages wurde er in einem Laden betreten, wo er Frottage an einer Dame trieb. Er war tief zerknirscht, verlangte empfindliche Strafe für seinen übrigens unwiderstehlichen Trieb.

Beobachtung 179. G., 38 Jahre, schwer hereditär belastet, wird an einer Omnibusstation betreten, als er Frottage mit seinem Glied an einer Dame trieb. Tiefe Zerknirschung, aber Versicherung, d&ss er beim Anblick der


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Frottconw


rnArkADten Posterion einer Dune nnwiderst«lüich hiiigenMa Mi, Prottage' treiben, dabei ganz renrint sei and nickt mehr w iise^ ww er tfcnft. Ymutiiiug in die ImoBoiUH.

BeobachtiiQg 180. Ein Frottear. Z.. IdoO geborvn, von tadel- lonm Vorleben, aiu guter Familie, Priratbeamter, finauiell gut sitnirt. oii' belastet, nach krmer £ba seit 187S Wittwer. war ieit geraomer Zeit io Kircheo dadurch aufDUlig geworden, dass er sich an Fraaeozimmer, gleichgültig ob jang oder alt, roa hinten angedr&ngt und an deren ToumÜren hemmmani- pulut hatte. Man lauerte ilim auf. und eines Tages gelang seine Verhafliuig in flagrantL Z. war aufs Huchste bestflrct, rercweifelte über seine Lage nnl bat, indem er ein unumwundenes Gestindniss ablöte, um Schonung, da ihm sonst nur der Selbstmord übrig bleibe.

Seit 2 Jahren sei er von dem nnglfickseligen Hang befallen, sich im Menschengewühl, in Kirchen, an Theaterkaswn u. s. w. Ton rückwärts an Frauenspersonen anzudr&ngen und mit deren aufgebauschten Kleidern zu mani* puUren, wobei Orgasmus und £jaculation eintrete.

Z. versichert, niemals der Masturbation ergeben gewesen £U sein, auch nach keiner Richtung sexuell pervers empfunden zu haben. Seit dem Mhen Tod seiner Frau habe er seine mächtigen sexuellen Bedürfnisse durch tempor&re Liebschaften befriedigt, von Bordellen und Luätdirnen Mcb von jeher angewidert geföhlt. Der Anreiz zn Frottage sei ihm vor 2 Jahren, als er zufällig in der Kirche verweilte, plötzlich gekommen. Obwohl er sich bewusst war, dass es unanständig sei, habe er sich nicht enthalten kSnnen, sofort ihm nachzugeben. Seither sei er so erregbar durch die Posteriora weiblicher Individuen geworden, dass es ihn furmlieh getrieben habe. Gelegenheiten zu Frottoge au^usuchen. Am Weib errege ihn nur die Toumüre, alles Üebrige an Körper oder Kleidung desselben sei ihm ganz gleichgültig, ebenso ob das Weib jung oder alt, schön oder hftsslich Zu naturgemässer Befriedigung habe er seither keine Inclination mehr. Neuerlich erscheinen auch in seinen erotischen TrSumen Frottage- Situationen.

Wfthrend solcher sei er sich seiner Lage und seiner Handlung vollkommen bewusst und bemüht, dieselbe so unaui^lig als möglich zu begehen. Nach dem Akt habe er sich immer seiner Handlungsweise geschämt.

Die Expertise gab keine Zeichen von geistiger Krankheit oder geistiger Schwache, wohl aber solche von Neurasthenia sexualis — ex abstineutia libidi- nosi (?), worauf auch der Umstand hinwies, dass schon blosse Berührung des Fetisch mit den nicht exbibirten Genitalien zur Ejaculation genügte. Offenbar gelangte der sexuell gescbwSchte, seiner Potenz misstrauende, libidinüse Z. zu Frottage, indem der Anblick der Posteriora feminae zufällig mit einer sexuellen Erregung zusammentraf und diese associative Verbiudimg einer Wahrnehmung mit einem Gefühl die erstere die Bedeutung eines Fetisch gewinnen liess.

Ob diese Frotteurs einfach (als temporär oder dauernd hypersextiale Degenerationsmenschen bei irgendwie gestörter Potenz) unter die Exhibi- tionisten einzureihen oder nicht, vielmehr als FetischiBten zu betrachten üieien, wie Garnier (Les f^tischistes p. 73) annimmt, lässt sich bei der geringen Zahl bisher vorliegender Beobachtungen nicht sicher ent- scheiden.

Der Qmstand ob Denudatio genitalium stattfindet oder nicht, kann nicht entscheidend sein, denn dies mag beim Frotteur von der Höhe des Orgasmus, die bis zur wollüstigen Ekstase führen kann und von äussari dem eklen Drang gUnstigen Umstanden abhängig sein.


I


Frotieuri. Statueii«cliänder. VoyeuTB.


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Im Allgemeinen spricht gegen Garnier's Auffassung qua Feti- schismus der nates feminae der Umstand, dass bisher nie bei patho* logischem Fetischismus der Fetisch partes genitales und deren Nachbar- schaft betraf (vgl. p. 143).

Am einfachsten ist die Erklärung der Frottage als niasturbatorischer Akt eines Hypersexualen, aber in seiner Potenz Unsicheren in corpore feminae, wobei es begreiflich ist, dass der Angriff nicht ad anteriora, sondern ad posteriora erfolgt (vgl. Beob. 177). Dass aber Fetischismus im Spiel sein kann, dürfte aus Beob, 178 hervorgehen, wo offenbar Seide- fetischismus bestand. Wahrscheinlich hatte die betreffende Dame ein seidenes Kleid an und galt der unzüchtige Angriff dem Kleid, nicht den Nates. Auch in Beob. 180 ist es offenbar die TournÜre und nicht der Körpertheil, welcher die Handlung bedingt.

Im Sinne der den öffentlichen Anstand verletzenden und damit straf- baren Handlungen lassen sich hier die Fälle Ton Statuenschändung anreihen, deren Moreau (op. cit) eine ganze Reihe aus alter und neuer Zeit gesammelt hat. Leider sind sie zu anekdotenhaft berichtet, um sicher beurtheilt zu werden. Den Eindruck des Pathologischen rufen sie immerhin hervor, so z. B. die Geschichte jenes jungen Mannes (von Lucianus und dem hl. Clemens von Alexaiidrien erzHhIt), der eine Venus von Praxiteles zur Befriedigung seiner Lüste gebrauchte, ferner der Fall des Clisjphus, der im Tempel zu Samos die Statue einer Göttin schändete, nachdem er an einer gewissen Stelle ein Stück Fleisch angebracht hatte. Aus neuerer Zeit iheilte das Journal L'ev^nement vom 4. März 1877 die Geschichte eines Gärtners mit, der sich in die Statue der Venus von Milo verliebt hatte und Ober Coitusversuchen an dieser Bildsäule betreten wurde. Diese Fälle stehen jedenfalls mit abnorm starker Libido, bei mangelhafter Potenz oder Fehlen von Muth oder Gelegenheit zu normaler Geschlechtsbefriedigung, in ätiologischem Zusammenhang.

Dasselbe muss angenommen werden für die sog. „Voyeurs'*), d. h. Menschen, welche so cynisch sind, dass sie sich den Anblick eines Coitus zu verschaffen suchen, um ihrer eigenen Potenz aufzuhelfen oder beim Anblick eines erregten Weibes Orgasmus und Ejaculation zu be- kommen! Bezüglich dieser aus verschiedenen Gründen hier nicht weiter zu erörternden sittlichen Verirrung möge es genügen, auf Coffignon's Buch «La corruption ä Paris* zu verweisen. Die Enthüllungen auf dem Gebiet sexueller Perversität und wohl auch Perversion, welche dieses Werk bringt, sind grauenerregend.


  • ) Dr. Mo U neoat dioM Perrenion (?) Mixoskopie (von }uii^ = geschlechtliche

Vereinigung und ^Kticrtty = zaBchaucn). Seine Vermufchung, fiio sei dem Maaoühis- muH verwandt, indem vielteicht ein Reiz für den Vojeur darin liegt, dam er leidet, V. KrBf(^£bing, PaychopatlLii sexuAlli. lo. Aufl. 21


322


Nothzacht und Lostmoni.


2. Nothzaoht and Lustmord. (Oesterr. Stg^b. §9 125. 127. 0«rten-. Entw. § 192. Daat«cfa. Stgsb. § 177.)

Unter Nothzncht versteht der GesebEgeber den an einer Erwachseuen durch gefährliche Bedrohung oder wirkliche Gewaltthätigkeit erzwungenen, an einer aolchen im Zustande der Wehr- oder Bewusstlosigkeit aus- geführten oder an einem Mädchen unter 14 Jahren unternommenen ausser* ehelichen Beischlaf. Immissio penis oder wenigstens conjunctio inem- bromm (Schütze) ist zum Thatbe^tand erforderlich. Auffallend häufig ist heutzutage Nothzucht an Kindern. Hof mann (Ger. Med. I, p. 155) und Tardieu (AttentaU) berichten entsetzliche Fälle.

Der Letztere coostatirt die Thatsache, dass von 1851 bis incl. 1875 in Frankreich 22017 Nothzuchtfalle abgeurtheüt wurden, davon allein 17657 an Kindern begangen.

Das Verbrechen der Nothzacht setzt einen temporär durch Alkohol- excess oder sonstwie mächtig erregten Geschlechtsdrang voraus. Dass ein sittlich intakter Mensch das doch höchst brutale Verbrechen begehe» ist unwahrscheiuhch. Lombroso (Goltdammer's Archiv) halt die Mehrzahl der NothzQchter für degenerative Menschen, besonders dann, wenn die Nothzucht an Kindern oder alten Weibern begangen wurde. Bei vielen derartigen Menschen will er Degenerationszeichen gefunden haben.

Thatsächlich ist Nothzucht vielfach impulsiver Akt belasteter im- beciller Menschen ^), wobei nach Umständen selbst die Bande der Bluts- verwandtschaft nicht respektirt werden.

Denkbar und vorgekommen sind Fälle bei Tobsucht, Satyriasis, Epilepsie.

Dem Akt der Nothzucht kann die Tödtung des Opfers folgen '), £s kann sich um unbeabsichtigte Tödtung« um Mord als Mittel, den einzigen Zeugen der Unthat ewig stumm zu machen, bandeln, oder um Mord aus Wollust (s. o.). Nur für solche Fälle sollte der Ausdruck .Lustmord* ^) gebraucht werden.

Die Triebfedern des Mordes aus Wollust wurden früher erörtert. Die dabei angeführten Beispiele sind charakteristisch für die Handlungs- weise. Die Präsumption eines Mordes aus Wollust wird sich immer da ergeben, wo sich Verletzungen der Genitalien von solchem Charakter und Umfang vorfinden, dass sie aus einem brutal unternommenen Coitus allein


indem er ein Weib in dem Besitz eines Anderen siebt, erscheint mir nicht sutrelfend. Weiteres Detail siebe bei Moll, »Die conträre SexaalempBndung*. p. 137.

») Annal, m^dico psycho!. 1849, p. 515; 1868, p. 57; 1864, p. 215; 1866, p. 268.

») Vgl, die Fälle bei Tardieu, Attentat«, p. 182—192.

  • ) Vgl Holtsendorff, Psychologie des Mords.


NothEUcht and Lusimord.


323


nicht erklärbar sind, noch mebr^ wenn Körperhöhlen geöffnet» Eörper- theile (Därme, Genitalien) herausgerissen sind '). fehlen.

Der Lustmörder aus psychopathischen Bedingungen dürfte niemals Complicen haben.

Beobachtung 181. Schwachsinn, £ p ilepsie. VersacbteNoth* zncht. Tod des Opfers. Am 27. Mai 1888 Abends spielte der Sjährige Knabe Blasins mit anderen Kindern in der Nuhe des Dorfes S, Ein unbe- kanoter Mann kam des Weges daher und lockte den Knaben in den Wuld.

Am folgenden Tag fand man in einer 6oblucbt die Leiche des Knaben mit aufgeschlitztem Banch, einer Schnittwunde in der Herzgegend und zwei Stichwunden am Halse.

Da schon am 21. Mai ein Mann, auf welchen die Beschreibung des Mörders des Knaben passte, ein Gjllhriges MUdcben in analoger Weise zu be- handeln versucht hatte, was nur durch zufUUige L'mstände vereitelt wnrde, vermutbete man einen Lustmord.

Es wnrde constatirt, dass die Leiche in hockender Stellung, nnr mit Hemd und Brustfleck bekleidet aufgefunden wurde, ferner dass am Hodensack eine lange Schnittwunde sieh vorfand.

Der Verdacht des Mordes lenkte sich auf einen Bauernknecht E., jedoch gelang es bei der Confrontation mit den Kindern nicht, seine IdentitUt mit dem Unbekannten, der den Knaben in den Wald gelockt hatte, zu erweisen. Ceberdies brachte er mit Hülfe seiner Schwester einen Alibibeweis zu Stande.

Der unermüdlichen Gendarmerie gelang es. neue Verdachtmomeute zu sammeln, und endlich gestand E.

Das MSdcben habe er in den Wald gelockt, niedergeworfen, dessen QeschlecbtstheilG entblusst, dasselbe brauchen wollen. Da es aber einen Kopf- ansschlng hatte und heftig schrie, sei ihm die Lust vergangen und er ent' flohen.

Nachdem er den Knaben in den Wald gelockt unter dem Vorwand, ihm Vogelnester auszuheben, sei ihm die Lust gekommen, ihn zu brauchen. Da derselbe sich weigerte, die Hose abzuziehen, habe er ihm dieselbe herab- genommen, da er zu schreien anfing, ihm zwei Stiebe in den Hals versetzt. Darauf habe er ober deseen Scbamberg, in Nachahmung eines weiblichen Ge- schlechtstheils , einen Schnitt gemacht, um durch diese Spalte seine Lust zu befriedigen. Da der Körper aber gleich kalt geworden sei, habe er die Lust verloren und bei der Leiche gleich Messer und Hände gereinigt und die Flucht ergriffen.

Es sei ihm nämlich, wie er den Knaben todt sah, Angst aufgestiegen und sein Glied sei schlapp geworden.

Während seines Verhörs spielte E. ganz apathisch an einem Rosen- kranz. Er habe im Schwachsinn gebandelt. Er könne nicht begreifen , wie er so was habe thun können. Es müsse im Geblüte stecken , denn er werde Cifters blöde , fast zum Umfallen. Frühere Dienstgeber berichten , dass er Zeiten hatte, wo er gedankenlos, störrisch war, Tage lang nichts arbeitete, die Gesellschaft mied.

Sein Vater gibt an, dass E. schwer lernte, ungeschickt zur Arbeit und oft so stutzig war, dass man sich gar nicht getraute, ihn zu strafen. Er ass dann nichts, lief gelegentlich auf und davon, blieb Tage lang aus.

Auch schien er in solchen Zeiten gpnz in Gedanken verlorea, verzerrte ganz eigenthümlich das Gesiebt und sprach ganz ungereimte Dinge.

Noch als Jüngling habe er gelegentlich ins Bett gepisst und sei auch


■) Tardieu, Attentat«, Beob. 51, p. 188.


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Kothradit und LutBoord.


als Sch&ler öfters mit nassen od^r kothigen Kleidern aus der Sehtüe heim- gekommen. Im iSchlaf war er sehr unrabig, so da&s man nicht neben ihm schlafen konnte. £r habe niemaU Kameraden gehabt. Grausam , schlecht oder unsittlich sei er nie gewesen.

Die Mutter deponirt analog, femer dass E. im 5. Jahr zum ersten Mal CoDTulsionen und einmal 7 Tage lang die Sprache rerloren hatte. Etwa im 7. Jahre habe er einmal 40 Tage lang Conrulsionen gehabt und sei auch wassersüchtig gewesen. Auch sp&ter habe es ihn noch o^ im Schlafe gerissen. er habe dabei oft im Schlafe gesprochen und am Morgen nach solchen Nächten sei jeweils das Bett ganz nass gewesen.

Zeitweilig sei gar nichts mit ihm zu richten gewesen. Da die Mutter nicht wusste, ob das Bosheit oder Krankheit sei, habe sie sich nicht getraut, ihn zu bestrafen.

Seit den Fraisenanf&lleo im 7. Jahre sei er geistig so zurückgegangen, dass er nicht einmal die gewöhnlichen Gebete lernen konnte, auch sei er sehr jftbzomig geworden.

Nachbarn, GemeiDdevorsteher, Lehrer bestätigen, dass E. ein eigenartigerp gebUg schwacher, jähzorniger, zeitweise ganz eigenthümlicher, offenbar in einem psrcbischen Ausnahmezustande befindlicher Mensch war.

Aus den Explorationen der Geriehtsärzte ergibt sich Folgendes:

£. ist gross, schlank, schlecht genährt, hat einen Schädelumfang von schwach 03 cm. Der Schädel ist rhombisch verschoben, in der Hinterhaupt- gegenJ steil abfallend.

Die Miene ist intelligenzlos. der Blick ist starr, ausdruckslos, die Körper- haltung nachlässig, noch vorne gebeugt; die Bewegungen sind langsam, schwer- föllig. Genitalien normal entwickelt. Die ganze Erscheinung des E. deutet auf Torpidität und geistige Schwäche.

Degonerationszeichen , Abnormität regetatirer Organe, Störungen von Seiten der Motilität und Sensibilität sind nicht nachweisbar. £. stammt aus ganz gesunder Familie. Er weiss nichts von Fraisen, nächtlichem Bettnässen» erzählt aber, dass er in den letzten Jahren Anfälle von Schwindel und .Blödig- keit* im Kopf gehabt habe.

Seinen Mord leugnet er Anfangs rundweg. Später gesteht er Alles gaos zerknirscht und motivirt sein Verbrechen klar vor dem Untersuchungsrichter. Nie sei ihm früher ein solcher Giedanke gekommen.

E. ist seit Jahren der Onanie ergeben. Er trieb sie bis zu zweimal täglich. Aas Mangel an Muth will er sich nie daran gewagt haben, vom Weibe den Coitus zu begehren, obwohl ihm in erotiiichen Träumen ausschliess- lich bezügliche Situationen vorschwebten. Weder im Traum noch im wachen Zustand habe er je perverse Triebrichtungeu gehabt, specieU keine conträr sexualen und keine sadistischen. Auch der Anblick des Tndtens von Thieren habe ihn nie interessirt Als er das Mädchen in den Wald lockte, habe er an demselben allerdings seine Lust befriedigen wollen: wie es aber kommen konnte, dass er an dem Knaben sich vergriff, wiäse er nicht zu erklären. Er müsse damals von Sinnen gewesen sein. Die Nacht nach dem Morde habe er ans Angst nicht geschlafen , seine That auch schon zweimal gebeichtet , am sein Gewissen zu erleichtern. Er furchte sich nur vor dem Gehängtwerden. Nur das mOge man ihm nicht anthun , er habe ja in Schwachsinnigkeit seine That begangen.

Warum er dem Knaben den Leib ganz aufgeschnitten, wisse er nicht zu sagen. Es sei ihm nicht beigefallen , in den Eingeweiden zu wühlen , sie zu beriechen u. b. w. Er behauptet, am Tage nach dem Attentat auf das Mädchen und in der Nacht nach dem Morde des Knaben seinen Fraisenanfall gehabt zu haben. Zur Zeit seiner Strafthaten sei er zwar ganz bei sich gewesen, habe aber das, was er thue, gar nicht bedacht.

Er leide viel an Kupfweb, vertrage keine Hitze, keinen Durst, kein


Nolhcuchfc and Lustmord.


325


geistiges GeträDke, habe Standen, wo er ganz verwirrt im Kopfe sei. Die Pröfong der Intelligenz ergibt einen hoben Grad von Schwachsinn.

Das Gutachten (Dr. Kautzner in Graz) erweist die ImbecillitAt und die epileptische Neurose des Angeklagten und macht es wahrscheinlich, dass die Verbrechen desselben, für welche zudem nur eine summarische Erinnerung besteht, in einem durch die Neurose bedingten (präepileptischen) psychischen Ansnahmszustand begangen wurden, unter allen Umständen sei E. höchst gemeingeftlhrlich und wahrscheinlich lebenslänglich der Internirung in einer Irrenanstalt bedürftig.

Beobachtung 182'). Notb^ucht an einem kleinen Mndchen durch einen Idioten. Tod des Opfers.

Am S.September 1889 Abends ging die 10jährige Arbeiterstocbter Anna nach der *!* Stunden entfernten Dorfkircbe und kehrte nicht zurück. Am andern Tage fand man deren Leiche etwa 50 Schritte von der Landstrasse in einem Geholze, das Gesicht der Erde zugekehrt, den Mund mit Moos ver- stopft, am Anus die Spuren einer Vergewaltigung.

Der Verdacht der Thäterschaft lenkte sich auf den 19 Jahre alten Tage- löhner K., da dieser schon am 1. September das Kind beim Heimgang von der Kirche in den Wald zu locken versucht hatte.

K., verhaftet, leugnete Anfangs, legte aber dann ein umfassendes Ge- ständniss ab. Er halte das Kind durch Ersticken getXidtet und als es nicht mehr .zappelte* actum sodomiticum in ano infantis perpetravit.

Niemand hatte während der Voruntersuchung die Frage nach dem Geisteszustand dieses monströsen Verbrechers aufgeworfen ; der Antrag des kurz vor der Hauptverfaandlung bestellten Vertheidigers auf PrUfung des Geisteszustands wurde verworfen, ,da sich aus den Akten kein Anhalt für Annahme einer Geistesstörung ergebe*.

Zufällig gelang dem braven Vertheidiger die Constatirang, dass des An* geklagten Urgrossvater und Vatersschwester in-sinnig, sein Vater von Jugend auf Schnapstrinker und auf einer KOrperhälfte krüppelhaft gewesen war, und dieae Tbatsacben in der Hauptverhandlung veriticiren xu lassen.

Auch das machte keinen Eindruck. Endlich bewog die Vertbeidignng den Gerichtsarzt zum Antrag, es möge K. auf 6 Wochen zur Beobachtung in die Irrenanstalt gesendet werden.

Das Gutachten der Aerzte der Anstalt erwies K. als Idiot«n, dem seine Tbat nicht zugerechnet werden könne.

Er erschien interesselos, stumpfsinnig, apathisch, hatte grfjsstentheils die Kenntnisse aus der Schulzeit vergessen, zeigte nie, weder in Stimme noch Mimik, irgend eine Regung des Mitleids, der Heue, der Scham, Hoffnung, Furcht vor der Zukunft. Gesicht starr wie eine Maske.

Ganz abnormer kugelähnlicber Schädel. Nachweis, dass das Gehirn jchon während der Fötalperiode oder in den ersten Entwicklungsjahren er- trankt war.

K. worde auf dieses Gutachten hin zu dauernder Versorgung der Irren- anstalt zugewiesen.

Dem unermüdlichen Pflichtbewusstsein eines wackeren Vertheidigers ver- dankte in diesem Fall die Justiz die Verhütung eines Justizmordes, die mensch- liche Gesellschaft eine Ehrenrettung.

Beobachtung 183. Lustmord. Moralische Imbecillität. Mann in mittleren Jahren, in Algier geboren, angeblich aus arabischem Stamme. Er hat einige Jahre in der Colonialtruppe gedient, war dann als


■) Vgl. du auefUbrliciie gerichtsiLntUohe Gutachten Qber diesen Fall in Fried- reioVi Blättern 1891. Heft ti.


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K5iperT«rleUang. Saohbescbftdigung, Thierqaälerei


Matrose zwischen Algier und Brasilien gereist und hatte sich spfiter, von der Hoffnung aaf leichteren Verdienst gelockt, nach Nordamerika gewendet. War in seinem Kreise als arbeitsscheu, feig, gewaltth&tig bekannt. Des nftereo war er wegen Vagabundage bestraft worden; man sägte ihm nach, d^ss er ein Dieb niedrigster Sorte sei. sich mit Frauenzimmern der gemeinsten Art bemmtreibe und mit ihnen gemeinsame Sache mache. Auch von seinen |>er- Versen sexuellen Beziehungen und Bethätigungen wusste man. Er hatte wieder- holt Weiber, mit denen er sexuell verkehrt hatte, gebissen und geschUgen. Der Personsbeschreibnng nach glaubte man in ihm eines unbekannten hab- haft geworden zu sein, der Nachts in den Gassen Weiber durch Umarmen und Küssen beängstigte und dem man den Namen ,Jack the kisser bei- gelegt hatte.

Er war grosser Statur (über 6 Fnss hoch), ganz leicht gebeugt. Stirn niedrig, auffallend vorspringende Backenknochen, massive Kiefer, kleine, eng zusammengerückte, geröthete Augen, stechender Blick, grosse Füsse, H&nde wie Vogelklauen, scÜenkemder Gang. Seine Arme und Hände trug er mit zahlreichen T&towirungen , darunter das bunte Bild eines Weibes «Fatima* umschrieben, was bemerkenswerth erscheint, da TStowiruiig von Frauenbild- nissen bei den Arabern der algerischen Truppen als entehrend gilt, und Prosti- tuirte dort ein Kreuz tätowirt zu tragen pflegen. Seine Erscheinung machte den Eindruck tiefstebender Intelligenz.

N. wurde des Mordes an einer älteren Frauensperson tiberwiesen, mit der er zusammen genächtigt hatte. Die Leiche zeigte verschiedene, durch ihre Länge auffallende Wunden, die Bauchhühle war erüffnet, Darmstticke waren herausgeschnitten, ebenso ein Ovorinm, andere Tbeile in der Umgebung der Leiche verstreut. Mehrere der Wunden bildeten ein Kreuz, eine hatte die Form eines Halbmondes. Der Mnrder hatte sein Opfer erwürgt, N. leugnete den Mord und jede Neigung zu derartigen Akten. (Dr. Mac-Donald, Clark nniversity, Mass.)


3. Körperverletzung« Sactü}eBch&dignBg, Thierqo&Ierei auf Onmd von

Sadismus.

(Oeflterr. §§ 152, 411. Deotachl. § 223 [körperl. Beechadigung]. Oesterr. §§ 85, 4<58. Deutschi § 303 [Sachbeschädigung]. Oesterr. Police iverordnang. Dentich. Stg»b.

§ 360 IThierquälcrei).

Abgesehen von dem im rorausgehenden Abschnitt besprochenen Lust- mord finden sich als mildere Ausdrucksweisen sadistischer Antriebe solche zum Blutigstechen, flagelliren, Besudeln von weiblichen Individuen, Flagellireu von Knaben, Mi^^shandeln von Thieren u. s. w. vor.

Die schwer degenerative Bedeutung derartiger Fälle ergibt sich klar aus der im allgemeinen pathologisclien Theil besprochenen Casuistik. Solche geistig Entartete können, falls sie ihre perversen Gelüste nicht zu beherrschen vermögen, nur Gegenstand der Versorgung in einer Irren- anstalt sein.


Beobachtung 184, X., 24 Jahre. Eltern gesund, zwei Brüder an Tubercnlose gestorben , eine Schwester leidet an periodischen Krämpfen. X. empfand schon mit 8 Jahren ein eigen thümliches Wollustgefähl unter Erection beim Andrücken des Abdomen an die Schulbank.

Er verschaffte sich nun oft diesen Genuss. Später mutuelle Mastur-


auf Grand von Sadismus.


327


bation mit einem Mitschüler. Erste I^acnlation mit 13 Jahreo. Beim ersten Coitusversuch mit 18 Jahren impotent. Fortsetzung von AutomasturbatiooT schwere Neurasthenie nach Lektüre eines populUren , die Folgen der Onanie bedenklich schildernden Buches. Besserung durch Wasserkur. Bei neuerlichem Coitusversuch abermals impotent. Rückkehr zu Masturbation. Diese versagt mit der Zeit. Nun greift X. lebende Vögel bei den Schnäbeln ^ schwingt sie in der Luft. Der Anblick des gequÄlten Thieres f^hrt die ersehnte Erection herbei. Sobald das Tbier mit seinen Schwingen die Glans penis berührt, er- folgt die Ejacnlation unter grossem WoUnstgefÜhl. (Dr. Wacbholz, Fried- reiches Blatter f. ger. Med. 1892, 6. Heft. p. 336.)

Beobachtung 185. Sadismns'an Knaben und Mädchen, ver- übt von einem moralischen Idioten.

K., 14 Jahre 5 Monate alt, t&dtet einen kleinen Knaben in grausamer Weise. Die Untersuchung fördert, neben 2 Fällen von T^dtung, eine Reihe von (7) Fällen zu Tage, in denen K. kleine Knaben grausam gepeinigt hatte. Alle diese Rinder standen im Alter von 7 — 10 Jahren. K. lockte sie abseits, kleidete sie vollständig nackt aus, fesselte ihnen Ilände und Füsse, band sie an irgend einem Gegenstande fest, knebelte ihnen den Mund mit einem Taschen- tuch und schlug sie dann mit einem Stock oder Riemen oder Tauende, lang- sam, mit minutenlangen Pausen — dabei , lächelnd", ohne ein Wort zu sprechen. Einen der Knaben zwingt er unter Todesandrohung, zweimal das Vaterunser herzusagen und Stillschweigen zu schwüren, dann lästerliche Wort« nachzu- sprechen. In einem späteren Fall versetzt er dem Knaben Nadelstiche in die Wange, spielt mit seinen Genitalien, bringt ihm auch dort und in der Scham- gegend Stiche bei, befiehlt ihm, sich auf den Bauch zu legen, tritt und springt auf ihm herum, sticht und beisst ihn endlich in die Nates. Einen anderen Knaben beisst er in die Nase^ bringt ihm mit einem Messer Stiebe bei. Das achte seiner Opfer ist ein kleines Mädchen, das er in den Laden seiner Mutter lockt. Dort überfällt er es von rückwärts, hält ihm mit der einen Hand den Mund zu, mit der anderen schneidet er ihm die Kehle ab.

Die Leiche wird in einem Winkel, mit Kohlenasche und Mist bedeckt, gefunden, das Haupt vom Rumpf getrennt, das Fleisch von den Knochen ge- löst, der Körper durch zahlreiche Schnittwunden verletzt. Der gn'isste, klaf- fendste Schnitt fand steh an der Innenseite des linken Schenkels, durch das Genitale bis in die Bauchhöhle dringend. Ein anderer Schnitt erstreckte sich von der Fossa iliaca schief über das Abdomen. Kleider und Wäsche waren zerschnitten und zerrissen.

Die Leiche des neunten Opfers hatte die Kehle durchschnitten, Blut war aus den Augen geflossen , das Herz war von zahlreichen Stichen durchbohrt. Eine Menge von Stichen drang in die Bauchhöhle. Das Scrotum war eröffnet, die Testikel hingen heraus, die Glans penis abgeschnitten.

K. hatte den Knaben ähnlich wie das Mädchen an sich gelockt, ihm zuerst die Kehle durchschnitten, dann die Stiche beigebracht.

K., über de.<;son hereditäre Vorhältnisse nichts bekannt ist, war das ganze erste Lebensjahr hindurch schwer krank, zum Skelet abgemagert. Von da ab erholte er sich allmäblig und soll, bb auf häuGge Klagen über Schmerzen in Kopf und Augen und Schwindel, nicht krank gewesen sein, bis er im 11. Jahre eine , schwere Ki'ankbeit" mit Delirien duichmachte. Der Kopfschmerz pflegte ihn jeweils plötzlich zu überfallen, so dass er vom Spiel weglief und erst nach einer Weile dazu zurückkehren konnte. Befragt, gab er in solchen Fällen nur langsam zur Antwort .mein Kopf, mein Kopf*.

Es war ein nnlenksames Kind, ungehorsam , uncrziehbar. Zeigte jUhen, extremen Wechsel in Stimmungen , Begehrungen und Behauptungen. Einmal wird er, als etwa Sjähriges Kind, entdeckt, wie er ein Hühnchen mit Messer- stichen martert. Er fabulirt mit dem vollen Schein der Wahrhaftigkeit. In


328


Sadismiu. Körperverletzung.


der Schule ist er störend^ grimassirt; fortwÄhrend flüstert er vor sich hin, widerspenstig and respektlos. Strafe siebt er als Ungerechtigkeit an , wird renitent. In der Correctionsschule hUlt er sich abseits, mit sich selbst b«- schäfUgt, ist misstrauiscb, bei den Kameraden unbeliebt, hat keinen Genossen. Die intellectaellen Fähigkeiten sind gut, es wird ihm heller Verstand. Scharf- sinn, gutes Ged&chtniss zugestanden. Ethisch dagegen erweist er sich sehr defekt. Er zeigt nicht das leiseste Gef&hl von Schmerz oder Reue wegen seiner Thaten, nicht das geringste Bewusstsein Ton Verantwortlichkeit. Nur Rir seine Mutter hat er etwas wie zartere Regungen. Seinen ATerbrechen legt er keine besondere Bedeutung bei. Er erörtert kalt erwägend seine Chancen, meint, zum Tode könne man ihn nicht verurtheilen . da er erst 14 Jahre alt sei ; 14jährige Jungen zu hängen sei b'isher, wie er wisse, nicht üblich gewesen, und mit ihm werde man nicht den Anfang machen. Ueber das Motiv zu seinen Handlungen ist von K. selbst nichts zu erfahren. Einmal gibt er au, er sei durch Lecture von den Torturen der Gefangenen bei den Indianern mit dieser Grausamkeit bekannt und zur Nachahmung gereizt worden. Kr habe sogar einmal deswegen zu den Indianern entlaufen wollen. Wenn er sich ein Opfer ersah, so hatte er immer die Phantasie erfüllt von Vorstellungen gi-ausamer Aktionen.

Am Morgen solcher Tage sei er immer mit Schwindel und eingenom- menem Kopf erwacht, und das habe den ganzen Tag angebalten.

Von körperlichen Abnormitäten werden nur der ungewöhnlich grosse Penis und die ebensolchen Testes erwähnt. Der Mons veneria zeigt volle Bo- haamng, das ganze Genitale die Entwicklnngsverbältnisse eines Mannes. Auf Epilepsie deutende Symptome sind nicht nachzuweisen. (Dr. Mac-Donald, Clark university, Mass.).

Beobachtung l>Jt>. Sadismus. Körperverletzung. B.^ 17 Jahre, Blecbscbmied, kaufte am 4. Januar 1893 ein langes Messer, ging zu einer Prostituirten, mit der er wiederholt sexuell verkehrt hatte, gab ihr Geld und Ues3 sie ausgekleidet auf den Bettrand sitzen. Nun versetzte er ihr, während sein Membrum in Erection sich befand , drei leichte Messerstiche auf Brust und Bauch. Als auf das Schreien der Puella Leute herbeieilten . entfloh B.. stellte sich aber alsbald der Polizei. Er behauptete zuerst, im SUeit. dann ohne Motiv das M ftdohen gestochen zu haben . In der Blutsverwandtschaft des Vaters kam wiederholt Geisteskrankheit vor, B. ist nicht belastet, kein Trinker, hat keine schweren Krankheiten durchgemacht, nie masturbirt, seit 2 Jahren coitirt. Genitalien normal. Er erscheint in der Beobachtung geistig normal, schttmt sich seiner That, für welche die Expertise mit Recht ein sexuelles Motiv annahm. Trotz Constatirung von geistiger Gesundheit Frei- sprechung. (Coutagne, Annal. m^. psych. 1S93, Juli, August.)

Beobachtung 187. Gewaltthätige Handlungen aus Sadis- mus. M., 60 Jahre, mehrfacher Millionftr, glücklich verheirathet, Vater einer 18 und einer 16jahrigen Tochter, ist der Verführung von Minderjährigen zur Unzucht und der Vornahme gewalttbätiger Handlungen an Frauenspersonen überführt. Er pflegte in der Wohnung einer Gelegenheitsmacherin, in welcher er als «Thomme qui pique* bekannt war. auf einem Sopha, in ein Kosa-Atlas- Peignoir, reich mit Spitzen garnirt, gehüllt, seine Opfer — puellas tres nudas — <■ zu erwarten. Sie mussten sich ihm einzeln, schweigend, ilLchelnd ntüiern. Man reichte ihm Nadeln, Batisttaschentüoher und eine Geissei. Er stach nun einem der Mudchen, während es vor ihm kniete, etwa lOO Nadeln in den Körper, dann heftete er ihm ein Taschentuch mit etwa 20 Nadeln auf den Busen, riss es ab. peitschte sein Opfer, riss ihm Haare aus dem Mons veneris, quetschte ihm die Mammae u. s. w., während die zwei anderen ihm den Schweiss Ton der Stime wischen und lascive plastische Steltungen annehmen mussten.


MaaochUmus und geschlecbtiicbe Hörigkeit.


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Dann, au£s Höchste erregt, coitirte er sein Opfer. Später, aus Ersparniss- i-ticksichten , begnügte er sieb, derlei Brutalitäten allein mit demselben vorzu- nebmen. Die Paella erkrankte in Folge derselben, bat in ihrer Noth um Unterstützung, worauf M. diese „Erpressungen" der Polizei denuncirte. Deren Erhebungen führten zur Anklage gegen U,t der Anfangs leugnete, überführt, seine Verwunderung ausdrückte, dass man von einer solchen Lappalie so viel Aufhebens mache! M., der als ein Mann von abschreckendem Aeusseren, mit fliehender Stirn geschildert wird, wurde zu tj Monaten GefUngniss, 200 Franken Geldbusse und lOuO Franken Schadenersatz an sein Opfer verurtheilt. (Journal

Gil Blas vom 14. u. 16. August 1891 ; Eulenburg, Klin. Handb. der

Harn- und Sexualorgane IV, p. 59.)

Weniger abscheulich ist der Fall eines jun^'en Mannes, von dem Per- rioni im Archivio delle psioopatie sessuali I, 18Ö6, p. 106 berichtete.

Der betreffende Sadist musste mit der Puella ante coitum sich raufen, am potent zu sein, und inter actum sie beissen und kneifen, um ^ur Befrie- digung zu gelangen. Eines Tages fügte er der Consorts eine so starke Biss- wunde in solchem Falle zu, dass das Mädchen klagbar gegen ihn auftrat.

Beobachtung 188. Morde aus Sadismus. Verheiratheter Mann, zur Zeit des letzten (d. h. entdeckten) Verbrechens 30 Jahre alt. Er hatte ein Mädchen in den Glockenthunii der Kirche, an der er Küster war, gelockt und dort getödtet. Unter dem Zwang des Indicienbeweises schritt er zu einem Oestftndniss, noch einen zweiten ähnlichen Mord bekennend. Beide Leichen zeigten zahlreiche Hiebquetschwunden der WeichtheiJe des Kopfes, ScbKdel- knocbenbrüche, Blntaustritte unter der Dura mater und im Gehirn. Beide Leichen zeigten keinerlei Verletzung am übrigen Körper, insbesondere waren die Genitalorgane unversehrt.

In der Leibwäsche des Verbrechers, der bald nach der That verhaftet wurde, fanden sich Spermafiecken. L. wird als von einnehmendem Aeusseren geschildert, dunkel, hartlos. Heber hereditäre Verhältnisse, Antecedeutien, seine Vita sexualis anteacta etc. fehlen die Angaben.

Als Motiv gestand er .Wollust der grausamsten und abscheulichsten Art*. (.Dr. Mac-Donald, Clark university, Mass.)


4. Hasochismus und geschlechtliche Hörigkeit.


Auch dem Maaochismus ^) kann unter Umständen eine forensische Bedeutung zukommen« denn den Grundsatz «volenti non fit injuria" kennt


■) Wie Herbat (Handb. des Osterr. Strafrecbt*. Wien 1878. p. 72) bemerkt, gibt CS Verbrechen, welche darch den Mangel der Einwilligung des Verletzten be- dingt und daher nicht vorhanden sind , sobald der als verletzt Eracbeinende dazu seine Kinwilligung gegeben hat, s. B. Diebstahl, Noib&ucht

Herbst zählt aber hieher auch die Einschränkung der pereSolichen Frei- heit (?},

In der jüngaten Zeit ist eine principielle Aenderung der Änachaunngen in die«em Punkte eingetreten. Da« Strafgesetsbucb für da« Deutsche Reich betrachtet bei der T5dtung eines Menschen desaea Einwilligung als so schwerwiegenden Um- stand, daaa eine ganz andersartige, viel mildere Strafe eintritt f§ 216). Ebenso der Entwarf de« Österr. Sirafgesetxes (§ 222). Man bat dabei die sogen. DoppeUelbtt- morde der Liebespaare im Auge gehabt. Bei Körperverletznng und Freiheit»* entliehung wird aber wohl die Einwilligung des Verletzten eine analoge Berück*


330


Morde aus geschlechtlich(^r Hörigkeit.


das moderne Strafrecht nicht mehr, und das geltende österreichische Straf- gesetz sagt in § 4 ausdrücklich: Verbrechen werden auch an solchen Per- sonen begangen, die ihren Schaden selbst verlangen.

Von ungleich grösserem criminalpsychologischera Interesse sind dm- gegen die Thatsachen der geschlechtlichen II Örigkeit (vgl. p. 130). Ist die Sinnlichkeit übermächtig, eventuell durch einen Fetischzauber ge- fangen und die moralische Widerstandskraft eine geringe, so kann ein hab- oder rachsüchtiges Weib, in dessen Gewalt der Mann durch Lieber- leidenschaft gerathen ist, ihn zum schwersten Verbrechen hinreissen. Der folgende Fall ist ein denkwürdiges Beispiel daftlr.

Beobachtang 1S9. Mord der Familie aus geschlechtlicher Hörigkeit.

N., Seifenfabrikant in Catania, 34 Jahre, frtlher gut beleumundet, hat in der Nacht vom 21. December 1886 seine neben ihm schlafende Fran er- dolcht und seine Tjäbrige und seine Gwöchentliche Tochter erdrosselt. N. leugnete zuerst, suchte den Verdacht auf einen Anderen zu lenken, legte d&nu ein unumwundenes GestUndniss ab und bat, ihn hinzurichten.

N., aus ganz gesunder Familie, früher gesund, geachteter und tüchtiger Geschäftsmann, in guter Ehe lebend ^ befand sich seit Jahren unter dem fas- cinirenden Kinflnss einer Maitresse, die ihn an sich zu locken gewnsst hatte und ihn ganz beherrschte.

Der Welt und der Frau hatte er diese Beziehungen geheim zu halten rermocht.

Jenes Monstrum von Weib wusste durch Erweckung von Eifersucht und die Erklärung, N. könne nur durch die Ehe femer in ihrem Besitz bleiben, den schwachen und liebestolleu N. so weit zu treiben, dass er zum Mörder an Weib und Kindern wurde. Nach der That hatte er seinen kleinen Neffen gezwungen, ihn zu fesseln, wie wenn er selbst das Opfer von Mördern gewesen wäre, und hatte ihm Schweigen geboten, bei Gefahr seines Lebens. Als Leute kamen, spielte er die Rolle eines unj^lücklichen Überfallenen FamiLienvaters!

Nach seinem Geständnisse äusserte er tiefe Reue. In den 2 Jahren der Untersuchung und der wiederholten Hauptverhandlungen bot N, nie Erschei- nungen geistiger Störung.

Seine Liebestollheit zur Metze konnte er sich nur mit einer Art Fasci- nation erklären. Ueber seine Frau hatte er sich nie zn beklagen gehabt. Von abnorm starkem oder perversem Sexualtrieb fanden sich keine Spuren an diesem denkwürdigen Äusnahmsverbrecher aus Leidenschaft vor. Seine Reue und Zerknirschung bewiesen, dass er auch moralisch nicht defekt war. Nach- weis geistiger Gesundheit. Ausschluss unwiderstehlichen Zwanges. (Mandalari. il Morgagni 1S90, Februar.)


Beobachtung 1%. Geschlechtliche Hörigkeit bei einer Dame.

Frau X., 36 Jahre, Mutter von 4 Kindern, stammt von neuropathisch schwer belasteter Mutter, psychopathischom Vater, begann schon mit 5 Jahren Masturbation, machte mit 10 Jahren einen Zustand von Melancholie durch, in welchem sie meinte, ihrer Sünden wegen nicht iu den Himmel zu kommen,


BichtiguDg durch den Richter Gnden müsuen. Für die Beurtheilung der WaHrscbein- liebkeit einer behaupteten Einwilligung ist jedenf&llB die Kenntnis^ des MaftoctuAmus von Wichtigkeit.


Ehebruch aus geschlechtlicher Uörigkeit.


831


war in der Folge immer nervös, erregt, emotiv, neurasthenisch. verliebte sieb mit 17 Jahren in einen Mann, den ihr die Eltern versagton, bot von nun an Svmptome von Ujsterismas, heiratbete mit '21 Jahren einen um viele Jahren älteren Mann von wenig Temperament, hatte nie Befriedigung vom ehelichen Umgang, litt nach jedem Coitus an heftigem Erethismus genitalis, den kaum Masturbation stillen konnte, litt schrecklich unter ihrer Libido insaliata, ergab sich immer mehr der Masturbation, wurde schwer hysteroneurasthenisch , da- bei launisch, zänkisch, so dass das laue eheliche Verhältniss immer mehr er* kältete.

Nach 9 Jahren seelischer und leiblicher Qual erlag Frau X. der Ver- fäbrung durch einen Ma^ n, in dessen Armen sie jene Befriedigung fand, nach der sie so lange geschmachtet hatte.

Dagegen litt sie seelisch furchtbar unter dem Bewusstsein, die eheliche Treue gebrochen zu haben , fürchtete oft wahnsinnig zu werden und war oft dem Selbstmord nahe, wovon sie nur die Liebe zu ihren Kindern abhielt.

Sie getraute sich kaum, ihrem Manne, den sie ob seiner edlen Charakter- eigenschaften willen hochachten musste, unter die Augen zu treten und empfand schreckliche Qualen im Bewusstsein, ein so fürchterliches Geheimniss vor ihm verbergen zu müssen.

Obwohl sie in den Armen des Anderen volle Befriedigung and unsäg- lichen sinnlichen Genuss empfand, versuchte sie sieb oft aufzuraffen, um den Pfad der Sünde zu verlassen. Ihre Anstrengungen waren vergeblich. Immer tiefer gerieth sie in Abhängigkeit von dem Anderen, der, seine Macht er- kennend und missbraucbend , nur dergleichen zu thun brauchte, als wolle er sie verlassen, um schrankenlos sie zu besitzen. Er nutzte diese Hörigkeit des unglücklichen Weibes nur zur Befriedigung seiner sexuellt>in Begierden ans, allmählig selbst in perverser Weise, ohne dass die hörige Sklavin im Stande gewesen wäre, ihm irgend einen Wunsch zu versagen.

Als Frau X. verzweiflungsvoll meinen ärztlichen Rath begehrte, erklärte sie, diesen Dornenpfad des Lebens nicht weiter so wandeln zu können. Eine ihr selbst ekle, aber unüberwindliche Libido ziehe sie zu einem Menschen hin, den sie nicht lieben und doch nicht entbehren könne, während doch beständig die Gefahr der Entdeckung ihrer Schande, quälende Selbstvorwürfe, gegen gött- liches und menschliches Gesetz sich zu versündigen, sie marterten.

Die grösste Seelenpein verursache ihr gleichwohl der Gedanke, den Ge- liebten zu verlieren, der überdies oft, wenn sie ihm nicht zu Willen sein wolle, ihr damit drohe und sie so schrankenlos beherrsche, dass sie zu Allem auf sein Geheiss fähig wäre.

Die Zurechnungsfähigkeit in dem entsetzlicben Fall der Bdob. 189 und in vielen analogen ist selbstverständlich nicht zu bestreiten, und bei der heutigen Lage der Dinge, wonach Laien die feinere Analyse der Motive einer That ferne liegt und Juristen von aller Psychologie zu Gunsten des logischen FormalisniUH systematisch ferne gehalten werden, ist nicht an- zunehmen, dass bei Richtern und Geschworenen die geschlechtliche Hörig- keit Beachtung finde — um so weniger, weil bei ihr das Motiv zu strafbaren Handlungen nicht krankhaft ist und die Intensität eines Motivs an und für sich nicht in Betracht kommen kann.

Gleichwohl sollte in solchen Fällen in Erwägung gezogen werden, ob liier noch Empfänglichkeit für moralische Gegenmotive vorhanden oder diese ausgeschaltet waren, was eine Störung des psychischeu Qleich- gewichts bedeutet.


332


KOrperrerletzang, Raoib. DiebEtohl


Zweifelsohne wird in solchen Fällen eine Art erworbener moralischer Schwäche hervorgerufen, welche die Zurechnungsfähigkeit beeinflussi. Immer sollte geschlechttiche Hörigkeit bei angestifteten Delikten als Milderungsgrund der Strafe Berücksichtigung finden.

5* Körperverletzung, Raub, Diebstahl auf Grund von FetiaohiBmns,

(Oefiterr. § 190. Deutschi. § 240 [RaubK Oesterr. §§ 171 u. 4»i0. DeuUchl. § 242

[Diebstahl!.)


Aus dem bezüglichen Cftpitel der allgemeinen Pathologie geht hervor, dass pathologischer Fetischismus die Ursache von Delikten werden kann. Als solche kennt man bis jetzt Zopfabschneiden (Beob. 81. 82. 83), Rauben oder Stehlen von Frauenwäsche, Taschentüchern, Schürzen (Beob. 86. 87. 91. 93), Frauenschuhen (Beob. (56. 93. 94), Seidenstoffen (Beob. 99). Daran, dass derartige Attentäter psychisch schwer belastet sind, kann nicht ge- zweifelt werden. Zur Annahme geistiger Unfreiheit und damit der Un- zurechnungsfähigkeit muss aber der Nachweis erbracht werden, dass un- widerstehlicher Zwang, sei es im Siune eines impulsiven Aktes, sei es durch Schwachsinn, der eine Beherrschung des strafbaren perversen An- triebes unmöglich machte, vorhanden war.

Derartige Delikte und die eigenthUmliche Art ihrer Ausführung, die doch von einem gewöhnlichen Raub oder Diebstahl bedeutend ab- weicht, nöthigen immerhin zu einer gerichtsärztlichen Exploration. Dass aber das Delikt an und für sich keineswegs psjcho-pathologischen Um- ständen zu entspringen braucht, lehren jene seltenen Fälle von Zopf- abschneiden ') aus blosser — Gewinnsucht.

Beobachtung 1*J1. Taschentuch fetischismus. Fortgesetzte DiebstÜhie von Weibern gehörigen Taschentüchern.

D., 42 Jahre, Dienstknecht, ledig, wurde am 11. März 1892 von der Be- hörde zur Beobachtung seines Qeisteszustandes der Kreisirrenanstalt Deggen- dorf (Niederbayern) übergeben.

Er ist ein 1,62 m grosser, kräftiger, gut genährter Mann. Der Schädel ist submicrocephal, der Gesichtsausdruck fatuös. Der Ausdruck der Augen ist exquisit nenropathisch. Die Genitalorgane sind ganz normal. Ausser einem massigen Grad von Neurastheuie und gesteigerten Patellarreüexen ist von Seiten des Nervensystems an D. nichts kOrperhch Abnormes aufzufinden.

1878 war D. zum ersten Mal vom Schwurgericht Straubing wegen Raubes und Diebstahls von Taschentüchern zu l'z Jahren Oef&ngniss rer- urtheilt worden.

1880 stahl er im Hofe einer Wirthschaft einer Händlersfrau ein Taschen- tuch und erhielt dafür 14 Tage Gef^gniss.


  • ) Nach Paterr. Recht dürfte dieses Delikt als leichte körperliche Beich&-

digung unter § 411 fallen, nach deutschem StrafrecUt liegt hier Körperverletzung, vor (rgl. Liazt, Lehrb. p. 325).


I


t I


1882 versacbto er auf offener Landstrasse einem Baaemmädchen das Taschentuch aus der Hand zu reifisen. Wegen versuchten Raubes angeklagt, wurde er über amtsärztliches GutAchten, das hochgradige Geistasschwüche und eine krankhaft« Störung der Geistesthätigkeit tempore delicti constatirte, frei- gesprochen.

18ti4 wurde er wegen des unter identischen Umstunden begangenen wirk- lichen Raubs eines weiblichen Taschentuchs vom Schwurgericht zu 4 Jahren GefUngniss verurteilt.

1K8S zog er auf offenem Marktplatz einem Frauen7.immer das Taschen* tucb aus der Tasche. Verurtheilung zu 4 Monaten.

1889 wegen des gleichen Reats Monate Gefftngniss.

1891 dito, 10 Monate. Sonst weist seine Strafliste nur einige kleine Geld- und Haftstrafen wegen unbefugten Tragens von Messern und Land- streicherei auf.

Alle Diebstähle von Tascbentücfaem waren ausnahmslos an jugendlichen Frauenzimmern verübt worden und zwar meist am bellen Tage, in Gegen- wart anderer Personen und so plump und rücksichtslos, dass D. jeweils sofort arretirt wurde. Nirgends in den Akten finden sich Anhaltspunkte dafür, dass D. sonst irgend etwas, und sei es auch noch so Unbedeutendes, ge- stohlen habe.

Am 9. December 1891 war T). wieder einmal aus dem Geffingniss ent- lassen worden. Am 14. wurde er ertappt, wie er in einem Jahrmarktgedrilnge einem Bauemmädchen das Taschentuch aus der Tasche zog.

Sofort arretirt, fand man bei ihm noch zwei weisse, Weibern gehörige Taschentücher vor.

Auch bei den früheren Diebstählen waren ganze CoUectionen von weib- lichen Taschentüchern bei D. vorgefunden worden (1880 32 Stück, 1882 14, von denen er 9 auf blossem Leibe trug; ein andermal 2& Stück. Bei der Ver- haftung 1891 fand man bei der Leibesvisitation 7 weisse Taschentücher vor.)

In den Verhören hatte D. stets als Motiv der Diebstähle angegeben, er sei hochgradig betrunken gewesen und habe sich nur einen Spass erlauben wollen.

Die bei ihm vorgefundenen Taschentücher wollte er gekauft, eingetauscht oder von Dirnen erhalten haben, mit denen er verkehrt hatte.

D. erscheint in der Beobachtung in höherem Grad geistig beechrftnkt, dabei durch Vagabondage, Trunk, Masturbation herabgekommen, aber gnt- müthig, lenksam und keineswegs arbeitsscheu.

£r weiss nichts von seinen Eltern, ist ohne jede Aufsicht herangewachsen, erbettelte sich als Kind seinen Unterhalt, wurde mit 13 Jahren Stnilbube, mit 14 Jahren zu P&derastie missbraucht. Er versichert, dass er früh und m&cbtig seinen Sexualtrieb empfanden , früh coitirt und daneben Masturbation ge- trieben habe. 15 Jahre alt, habe ihm ein Kutscher mitgetheilt. dass man mit Taschentüchern von jungen Frauenzimmern sich grossen Genuss verschaffen könne, wenn man jene ad genitalia applicire. Er versuchte dies, fand diese Angabe bestätigt und versuchte sich von nun an auf alle mögliche Weise der- artige Tücher zu vorschaffen. Sein Trieb wurde so Übermächtig, dass er, so- bald er eines ihm zusagenden Frauenzimmers ansichtig wurde, das ein Taschen- tuch in der Hand oder sichtbar in der Tasche trug, unter heftiger sexueller Erregung vom Drange erfasst wurde, sich an die betreffende Person heran- zudrängen und ihr das Taschentuch zu entwenden.

Im nüchternen Zustand war es ihm meist möglich, aus Furcht vor Strafe, diesem Drange zu widerstehen. Hatte er aber getrunken, so war die Widerstandsfähigkeit geschwunden. Bereits in der MilitUrzeit hat er sich von jungen und ihm zusagenden Frauenzimmern gebrauchte Taschentücher geben lassen und dieselben, wenn er sie einige Zeit getragen, wieder vertauscht. Wenn er bei Mftdchen nächtigte, hatte er gewöhnlich sein eigenes Taschen-


334 UiiKTicbt mit Kmdern.

tuet mit dem des Mädchens vcrtauscbt. Wiederholt hatte er auch Taschen- tücher gekauft, um sie bei Frauenzimmern ausxutaaschen.

Solange dieTascbentücher neu und ungebraucht waren, übten sie keinerlei Wirkung auf ihn aus. Erst wenn sie von Mndchen getragen waren, erregten sie ihn sexuell.

Um ungebrauchte Taschentücher mit Franenzimmem in Berührung m bringen, hat er, wie auch ans den Akten hervorgeht, wiederholt ihm begeg- nenden Frauenzimmern Taschentücher in den Weg gelegt und sie zu nOthigen versucht, darauf zu treten. Einmal fiel er ein Mädchen an, drückte ihm ein Taschentuch an den Hals und lief wieder davon.

War er in den Besitz eines von einem Frauenzimmer berührten Taschen- tuchs gelangt, so stellte sich bei ihm Erection und Orgasmus ein. Er legte dann das betreffende Tuch ad corpus nudum, am liebsten ad genitalis und erzielte damit eine befriedigende Ejacolation.

Coitus hat er von den Frauenzimmern nie begehi*t, zum Theil weil er abgewiesen zu werden fürchtete, wesentlicb aber, weil ihm das Taschentuch lieber war als das Mädchen.'

D. machte diese GestJlndnisse nur sehr zurückhaltend und stückweise. Wiederholt gerieth er in's Weinen und wollte nicht mehr weiter reden , weil er sich so sch&me. Er sei ja auch kein Dieb, habe nie ancb nur um einen Pfennig Werth gestohlen, selbst wenn er in bitterer Noth war. Nie habe er sich entschliessen können, die Taschentücher zu veräussern.

In treuherzigem Ton versichert er: ,lch bin kein schlechter Kerl. Nur wenn ich diese Dummheiten mache, bin ich ganz auseinander.'

Das treffliche Anstaltsgutachten betonte den auf abnormer Veranlagung beiTihenden krankhaften unwiderstehlichen Zwang, unter dem die Reate be- gangen wurden, neben dem Schwacbsinn mlissigen Grades. Freispruch wegen Diebstahls.

Beobachtung 192. Beschädigung von Damen toiletten auf Grund von Stofffetischismas.

X., schwer belastet (Grossonkel geisteskrank. Vater Säufer, Schwester Idiotin), wurde in einem Bureau verhaftet, während er, mit der Scbeere sich an Damen andrängend, diesen aus ihren Pelzen, Sammt- oder Tuchmänteln Stücke herausschnitt. In seinen Taschen und auch in seiner Wohnung fand man eine Menge solcher Ausschnitte.

X. hatte seit dem 10. Jahr ein Faible für wollige und flaumige Stoffe gehabt und allmählig schon bei ihrem Anblick, besonders aber wenn er sie betastete, Orgasmus, selbst Ejaculation bekommen. Ganz besonders hatte auf ihn diese Wirkung Pelzwerk, aber Atlas kam diesem nahe. So erklärte es sich, dass auch abgeschnittene Atlasbänder in seiner Collection sich fanden.

Daheim verschaffte er sich wollüstige Erregung, indem er die erbeuteten Stoffabschnitte sich auf die Haut legte. Gelangte er nicht spontan zur Eja- culation, 80 half er mit Masturbation nach. Das Weib als solches und der sexuelle Umgang mit einem solchen hatte für ihn nicht den geringsten Reiz. (Garnier. Les Fötichistes pervertis. Paris 1896, p. 49.)


6. Unzucht mit Individuen unter 14 Jahren. Schändung (Ossterr.).

(Oesterr. Stgab. §§ 12-8, 132. Oesterr. Entw. §§ 189. 191 \ Deutsch. Stgsb.

§§ 174, 176«.) I

Unter Unzucht (Schäudung) an geschlechtlich unreifen Individuen fasst der Gesetzgeber alle möglichen unzüchtigen Handlungen an Personen



ünzucbt mit Kindern.


385


unter 14 Jahren zusammen, die nicht unter den Begriff Nothzucht ge- hören. Der Ausdruck «Unzucht* im gesetzlichen Sinne des Wortes ver- einigt die trostlosesten Verirrungen und grössten Scheusslichkeiten, deren nur der von Wollust triefende, sittlich und meist auch sexuell schwache Mensch fähig werden kann.

Ein gemeinsamer Zug dieser an mehr oder weniger noch der Kind- heit angehörigen Individuen begangenen Unzuchtsdelikte ist der des Un- männhchen, Bübischen, oft geradezu Läppischen. Thatsächlich werden derartige Delikte, abgesehen von pathologischen Existenzen» wie sie Im- becille, Paralytiker und dem Ältersblödsinn Verfallene repräsentiren, fa^t ausschliesslich von jugendlichen Menschen, die ihrer Potenz und ihrem Muth noch nicht trauen, oder von Wüstlingen, die ihre Pot-enz mehr weniger eingebüsst haben, begangen. Es ist psychologisch undenkbar, dasB der völlig potente und geistig intakte Erwachsene Gefallen an der Unzucht mit Kindern fände.

Die Phantasie des Wüstlings in der aktiven und passiven Inscenirung unzüchtiger Handlungen ist eine äusserst grosse, und es fragt sich, ob mit der folgenden summarischen Aufzählung der forensisch bis jetzt be- kannten alle Möglichkeiten erschöpft sind.

Am häufigsten besteht die Unzucht in wollüstiger Betastung (nach Umständen auch Flagellation *), aktiver Manustupration , Verleitung von Kindern zur Unzucht durch Benützung derselben zu Onanisirung, wol- lüstiger Betastung. Seltenere Delikte sind Cunnilingus, Irrumare au Knaben oder Mädchen, Paedicatio puellarum, Coitus inter femora, Ex- hibition.

In einem Fall, den Maschka (Eandb. III, p. 174) berichtet, Hess ein juDK^r Mann pnellas 8 — 12 annonim denndatas in seinem Zimmer tanzen, springen, mingere, bis er Ejacnlation bekam.

Kicht selten ist der Miasbraucb von Knaben durch wollüstige Weiber, die mit diesen eine Conjunctio membrorum vornehmen . um durch Friction sich zu befriedigen, oder sich durch Onanisirung zu befriedigen suchen').

Eines der schensslichsten Beispiele bat Tardieu erlebt. In demselben masturbirten Dienstmägde im Verein mit ihren Liebhabern ihnen anvertraute Kinder, trieben CunniÜngus mit einem 7jährigen Mädchen, introducirten ihm Rüben und Kartoffeln in vaginam und einem 2jährigen Knaben in anum!

Beobachtung 193. Z. , 62 Jahre, schwer belastet. Mosturbant. hat angeblich nie coitirt, häufig Fellatio getrieben. Er befindet sich in der Irren- anstalt wegen Paranoia. Sein grösster Genuas war es gewesen, 10 — 14jabrige Mädchen an sich zu locken, Cnnnilingus und andere Scbeusslichkeiten mit ihnen zu treiben. Er ejaculirte dabei unter Orgasmus.


>) Fälle I. Fried reich's Blätter f. ger. Anthropologie 1859, III, p. 77. ") Falle Maflchka. Hnndb. HI, p. 175. — Caaper's Vierteljahrsechr. 1852. Bil. I. — Tardien* Attentat« aux moears.



336


Unsucbt mit Kindern.


Masturbation verschaffte ihm nicht dieselbe Befriedigung und brachte nur m&hsam Ejaculation zu Stande. Faute de mieuz war er auch FeUator virorum, gelegentlich Eihibitionist. Phimosis. Asymmetrischer ScbSdel. (Pe- landa, Arch. di Psichtatria X, fascic. 3—4.)

Beobachtung 194. X., Priester, 4() Jahre, stand unter der Anklage, Mädchen von 10 — 13 Jahren xu sich gelockt, sie entkleidet, wollüstig betastet und im Anschlass daran sich mosturbirt zu haben.

Er ist belastet, von Kindheit auf Onanist, moralisch imbecill, von jeher sexuell sehr erregbar. Schädel etwas klein. Penis nngew{)hnlich groes; An- deutung von H^'pospadie. (Ebenda.)

Beobachtung 195. K. , 23 Jahre, Werkelmann, ist angeklagt und überwiesen , wiederholt kleine Knaben und hie und da auch M&dchen an sich gelockt und an abgelegenen Orten mit ihnen Unzucht (mutuelle Mastur- bation, Feltatio puerorum, Betastung der Genitalien von Mädchen) getrieben zu haben.

K. ist imbeciU, auch körperlich verk&mmert, kaum 1,5 m hoch, von rhachitisch hydrocephalem Schädel, mit gerieften, defekten, unregelmässigen, schlechten Zähnen. Wulstige Lippen, blöde Miene, stotternde Sprache, täp- pische Haltung vervollständigen das Bild goistig-k/irperlicher Entartung. K. benimmt sich wie ein Kind, das auf einem dummen Streich ertappt wurde.

Bartwuchs kaum erkenntlich. Genitalien gut und normal entwickelt.

Er hat ein oberflächliches Bewusstsein , etwas Ungehöriges begangen zu haben, aber der sittlichen, socialen und rechtlichen Bedeutung seiner Delikte ist er sich nicht bewusst.

K. stammt von einem trunksüchtigen Vater und einer Matter, die durch die üble Behandlung ihres Mannes irrsinnig wurde und im Irrenhause starb. Der Knabe erblindete fast völlig in den ersten Lebensjahren durch Hornhaut- geschwüre, wuchs vom 6. Jahre bei einer Armenbetheilten auf und verdiente sich, herangewachsen, kümmerlich seinen Unterhalt als Drehorgelspielcr.

Sein Bruder ist ein Taugenichts, er selbst galt als ein mürrischer, zänkischer, boshafter, launenhafter, reizbarer Mensch.

Das Gutachten betonte die intellectuelle. moralische und k5rperliche Verkümmerung des Inculpaten.

Leider muss zugestanden werden, dass gerade die scbeusslichsten dieser Unzucbtsdelikte geistig Gesunde betreffen, die aus Uebersättigung im Geschlechtsgenuss, aus Geilheit und Rohheit, nicht selten in an- getrunkenem Zustande, so weit ihre Menschenwürde vergessen.

Ein grosser Theil dieser Fälle steht aber entschieden auf krank- haftem Boden. Eine Uebersicht über die psycho-pathologischen Fälle von Unzucht mit Kindern lehrt, dass wohl die grösste Quote derselben auf Zustände von erworbener Geistesschwäche kommt. In erster Linie stehen hier die Dementia senilis ^) (Kirn, Allg, Zeitschr. f. Psychiatrie 39, p. 217), dann der Alkoholismua chronicus'^), die Paralyse '), die geistigen


1) Falle Beob. 163. 164. 165 dieaca Buches.

  • ) hepymunn, Die Sachverständigentbätigkeit , p. 96. — Lombroso»

Archlvio di psichiatria, VIII, p. 519.

  • ) Dieses Buch, p. 2U0.


Paedophilia erotica.


337


Schwächezustände aus Epilepsie*), Kopfverletzung und Apoplexie"), bei Lues cerebri^). Daran reihen sich die originären geistigen Defekte*) und Entartimgszustände ).

Auch in ZwBtünden von krankhafter Bewusstlosigkeit können Bolche Delicte ihre Begründung finden.

Nicht seltene Vorkommnisse Rind solche ünzuchtsattentate bei alkoho- listischen und epileptischen psychischen Ausnahmszuständen, zum Theil als Error sexus aut personae. Sie begreifen sich aus der Rexuellen Er- regung, welche vielfach mit solchen Zuständen, namentlich epileptischen •) ein hergeht.

Hier kommt es leicht zu Nothzucht und selbst Päderastie. In den psychischen Schwächezustunden spielt der Umstand, ob die Potenz erhalten ist, bezüglich der Qualität des sexuellen Aktes die entscheidende Rolle.

Im Anschluss an die obigen Kategorien der sittlich Verkommenen, der originär oder durch spätere Himerkrankung geistig-sittlich Ge- schwächten, sowie der durch eine episodische Sinnesverwirrung zu Schändern von Kindern Gewordenen mögen aber noch Fälle Erwähnung finden, bei welchen weder tiefstehende Moral, noch psychische oder phy- sische Impotenz sexuell Bedürftige zu Kindern hintreiben, sondern vielmehr eine krankhafte Disposition, eine psy chosexu ale Perversion, die vorläufig als Paedophilia erotica ^ bezeichnet werden möge.

In meiner Erfahrung finde ich nur 4 PftUe. Sie betreffen Männer. Am werthvollsteD ist der erste Fall» da er im Rahmen sogen, platonischer Liebe bleibt, aber seine sexuelle Bedeutung dadurch deutlich manifestirt, dass den (Überdies paranoischen) Kinderfrennd nur kleine Mädchen reizen. Er ist frigid gegenüber dem erwachsenen Weib und, wie es scheint, Haarfetischist. In den anderen Fällen kam es zu delictnöseo Handlungen.

Beobachtung 2 reprllsentirt einen hereditär belasteten Mann, der seit der Pubertät, welche aber tardiv (24. Jahr) auftrat, sinnlich für ö — 10jährige Mädchen empfand, schon beim Anblick solcher ejaculirte, bei ihrer Berührung einen Hirmlichen Sexualaffekt, mit bloss summarischer Erinnerung für dessen Dauer erfuhr, vom maritalen Akt leidlich befriedigt, seinen Drang zu kleinen Mädchen zu beherrschen verinochte, bis er, mit überhandnehmender schwerer Neurasthenie (zum Theil ex coitu intermpto), sei es unter dem Einfluss ver- minderter sittlicher Widerstandskraft» sei es auf Grund vermehrter sexueller Er- '^K^og, zum Verbrecher wurde.


') Beob. 152. 153. — Liman, ZweifelbaOe Geiites/.ustände, Fall 6.

') Beob. 145. 146.

  • ) Beob. U7.
  • ) Caflper'a klin. Novellen, p. 161, 193. 272. — Leppmann, Op. eil , p. 115.

— Henke'B ZeiUchr. XXIIl, Ergftnzungah,, p. 147. — Dieaea Buch. p. 286. 287. 323. 325.

») Diesei Buch, Beob. 174, 193. 194. — Vierteljahrsschr. f. ger. Med.. N. F., XLIX. 2.

•) Vgl. Beob. 149. 150. 154. 156. 156.

') Vgl. d. Verf. Arbeit in FriedreicV» Blätt(?r f. ger. Med. 1896. T. Kr&fri-Kbing. P«ycbopatfai& aeztiftlis. 10. Aall. 22


338


Pacdophilia erotica.



Im dritten Fall bandelt es sieb um einen bereditfir belasteten^ Consti- tutionen neurastheniscben Mann, von abnormem Scbädel, der keine recbte Neigung zum erwachsenen Weibe hatte, aber, wenn coitirend, brunstartig sieb benahm.

Dem erst mit 25 Jahren pädopbil Gewordenen bereitet« unzüchtiges Be- tasten kleiner MUdohen den höchsten Geuu&s!

Der vierte meiner Fälle betrifft einen belasteten Mann , den von jeher unreife Mädchen sinnlich reizten, während die sexuelle Neigung zum er- wachsenen Weib gering war. Mit eingetretener Impotenz (e tabe?) und be- ginnender Dementia paraljtica vermochte er seinem krankhaften Trieb nicht mehr zu widerstehen.

Die von mir als gPaedopbilia erotica** im Sinne einer sexuellen Per* Version angesprocbenen Fälle haben gemeinsame ZUge:

1. Es bandelt sich um belastete Individuen. , . ,9* Die Neigung zu unreifen Personen des andereu Creschlechts er- scheint primär (im Gegensatz zum Wüstling); die bezüglichen Vorstellungen sind in abnormer Weise und zudem mächtig von Lustgefühlen betont.

3. Die delictuösen Akte der bis auf einen Fall Potenten bestehen in blosser unzüchtiger Betastung und Onanisirung der Opfer. Gleichwohl fuhren sie zur Befriedigung des Betrefienden, selbst wenn er dabei nicht zur Ejaculation gelangt.

Dass diese Paedophilia erotica auch heim Weibe vorkommt, lehren folgende, Magnan (Psychiatrische Vorlesungen, deutsch v. Möbius, 1892. Heft II u. IIT, p. 41) entlehnte Beobachtungen.

Magnan's erster Fall betrifft eine 29 Jahre alte, bereditfir belastete, mit Phobien und Zwangsvorstellungen behaftete Dame.

Seit 8 Jahren heftiges Bedörfniss nach geschlechtlicher Vereinigung mit einem ihrer (fünf) Neffen. Ihr Verlangen richtete sich zunächst auf den ältesten, als er etwa ^ Jahre alt war, und übertrug sich jeweils auf den heran- wachsenden jüngeren . Der Anblick des betreffenden K indes genügte , um Orgasmus und selbst Pollution hervorzurufen. Die Unglückliche vermochte ihrem ihr ganz unerklärlichen Drang zu widerstehen. Für Erwachsene hatte sie keine Zuneigung.

Im zweiten Fall handelte es sich um eine 82 Jahre alte Frau, Mutter zweier Kinder, erblich schwer belastet, wegen Brutalitnt ihres Mannes von ihm getrennt.

Seit Monaten hattf; sie ihre Kinder vernachlässigt, tl&glich eine befreundete Familie besucht, jeweils zur Zeit, wo der Sohn des Hauses aus der Schale kam. Sie hätschelte, küsste ihn, äusserte zuweilen, sie sei in den Knaben verliebt, wolle ihn heirathen.

Fines Tages behauptete sie dessen Mutter gegenüber, der Knabe sei krank, unglücklich, sie wolle mit ihm cohabitireu, um ihn zu heilen.

Hinausgeworfen, belagerte sie dos Haus des jungen Geliebten.

Als sie eines Tages Gewalt anzuwenden versuchte, musste man sie in die Irrenanstalt bringen, wo sie fortfuhr, für den Knaben zu schwärmen.

Dass Paedophilia erotica auch periodisch auftreten kann, lehren die Erfahrungen Anj^l's (Beob. 158 u. 159 dieses Buches).

Auch dem Gebiet der conti^ren Sexualempfindung ist diese Per-


Paedophilia erotica.


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Version nichfe fremd. Da jene eia Aequivalent der heterosexualen Em- pfindung ist, mu88 die Vorliebe für das Unreife hier ebenso abnorm und exceptionell sein. Tbatsäcblich geboren SitUicbkeiisrergehen an Knaben, begangen von conträr sexualen Männern, zu den grössten Selten- heiten.

Diese Tbatsache habe ich schon in meiner Schrift «Der conträr Sexuale vor dem Strafrichter", 2. Aufl., p. 9 betont und darauf hingewiesen, dass der eigentliche Verführer der Jugend der normal sexual geborene Schwachsinnige, der impotente oder wenigstens sexuell pervertirfce und moralisch rerkommene Wüstling und der sittlich geschwächte, dabei sexuell irritirte Greis sind.

Unter solchen accidentellen Bedingungen kann auch der conträr Sexuale eventuell dem Knaben gefährlich werden (vgl. Beob. 106 der gegenwärtigen und 109 der 9. Auflage dieses Buches); aber hier kann von Pädopluliü nicht die Rede sein, schon deshalb nicht, weil in solchen Fallen die Knaben pubertati proximi waren, während der wirklich Pädophile sich nur zum sexuell ganz Unreifen hingezogen fühlt. Am instruktivsten in dieser Hinsicht ist der zweite Fall von Magnan, in welchem sich die Neigung jeweils vom älteren Knaben ab- und dem heranwachsenden jüngeren 3 — 5jährigen zuwandte.

Dass aber auch bei conträrer Sexualemptindung Pnedophilia erotica vorkommen kann, lehrt folgender von Pacotte und Rajnaud (Archive» d*Anthropologie criminelle X, p. 435) berichteter Fall.

Beobachtung 196. X., 3t! Jahre, Journalist, schwer hereditär be- lastet, ethisch und intellectuell defektiv, seit der Jugend mit epileptoiden Anfallen hehaftet, Blkoholintoleiant, von asymmetrischem GesichtsschSdel. hat nie für dos Weib empfunden, seit dem 18. Jahre masturbirt, bei Coitos- versuchen sich frigid und impotent erwiesen.

Dagegen erregten ihn mächtig Ivnaben von 10 — 15 Jfthren, Obwohl bewusst der Strafbarkeit seiner Handlung, konnte er sich nicht enthalten, solche Knaben zu pfldiciren. Oft genügte ihm aber ihr pbezaubernder An- blick, ihr süsses Lachen**.

Nie reizte ihn der Erwachsene, ebenso wenig das kleine Mädchen. Erst vom 22. Jahre ab, als ein 12jUhriger Knabe sich ihm zu sexuellem Verkehr aufdrängte, sei er pädophil geworden. Damals wies er den Vorführer noch «urtick, bald aber vermochte er dem anlässlich jenes Vorfalls in ihm waoh- gerufeaeu Drang nicht mehr zu widerstehen, auch dann nicht, als er mehr- faeh eingesperrt und verartheilt worden war. Aber sein Leben war ihm wegen dieses unglückseligen Dranges verleidet und wiederholt hatte er ernstliche Selbstmordversuche gemacht.

Die Expertise betonte die angeborene conträre Sexualempfindung und, innerhalb des Rahmens der Homosexualität, eine specielle Anomalie — die ausschliessliche Neigung zu Knaben und zwar solchen von bestimmtem Alter ood zarten Formen.

Das Gutachten lautete auf degenerative GeistessUirung, die Uusnrech- nnngsfHhigkeit und grosse OemeingefUhrlichkeit bedinge.

X. war untröstlich über diesen Ausgang des Processes. denn er kam iB eine Irrenanstalt, während er auf eine Freiheitsstrafe gerechnet hatte.


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BdsÜaliUit.


Aus dem Thatbestund einer Paedophilia erotica kann au und fiir sich unmöglich die Straflosigkeit für aus ihr resultirende Delikte ab- geleitet werden, denn wie die bisher vorliegende Casuistik lehrt, gelang regelmässig die Beherrschung pädophiler Dränge, solange nicht eine Schwächung oder Aufhebung der sittlichen Widerstandsfähigkeit durch krankhafte Vorgänge sich hinzugesellte.

Sehr instruktiv sind in dieser Hinsicht die von mir beobachteten Fälle, in welchen trotz Belastung und Perversio sexualis dex krankhafte Antrieb beherrscht werden konnte, solange nicht ein dritter Faktor hin- zugetreten war.

Im zweiten und dritten Falle geschah dies durch eine Neurasthenia gravis, im vierten durch Dementia paralytica. Immerhin gestattet der Nachweis einer krankhaften sejeueUen Triebrichtung im Sinne einer Paedophilia erotica und als Theilerscheinuug einer Belastung die Forde- rung der Zubilligung mildernder Umstände.

7, Unzucht wider die Natur (Sodomie) '). (OMterr. Stgsb. § 129. Entw. § 190. Deutsch. Stgab. § 175.)

a) TMerschändnng (Bestialität)').


Auch die Thierschändung , so monströs und widerlich sie jedem anständigen Menschen erscheinen muss. entspringt keineswegs immer psycho-pathologischeu Bedingungen. Tiefsteheude Moralität, grosser ge- schlechtlicher Drang bei erschwerter naturgemässer Befriedigung dürften Hauptmotive dieser sowohl bei Männern als bei Frauen vorkommenden widernatürlichen Geschlecbtsbefriedigung sein.


  • ) Ich fulgti dem herrscheuden Sprachgebrauch, indem ich Bestialität and

Päderastie unter dem gemeinaamen Ausdruck Sodomie bespreche. In der Genesis (Cap. 19). wober dieses Wort stammt, bezeichnet es ausschliesslich das Laster der Päderastie. Später hat man Sodomif^ vielfach als gleichbedeutend mit Bestialität gebraucht. Die Moraliheologen, wie der hl. Alphons von Liguori, Gury n. A. haben immer richtig, d. h. im Sinne der Genesis, unterschieden zwischen: Sodomia. i. r. coDCubitus cum persoLa ejusdem eexus und BeRtialita«, L e. concubitua cimi beatia (vgl. Olfer«. Piwtoralmedicin, p. 78).

Die .luristen haben Verwirrung in die Terminologie gebracht, indem sie eine .Sodomia ration« sexus" und eine ,S. ratione generia* ßtatuiren. Die Wisaenscbaft sollte aber sich hier als ancilla Theologiae bekennen und zum richtigen Sprach- gebranch zurückkehren.

•) Interessante histor. Notizen b. Krausa, Paychol. des Verbrechena. p. ISO. — Maschka, Handb. in, p. 188. — Hofmann. Lchrb. d. ger. Med., p. 130. — Roäenbaum. Die Lustfleuche, .5. Au6., 1892.


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Durch Poiak wissen wir, dass sio in Persien nicht selten aus dem Wabn hervorgeht, durch den sodomitischen Akt die Gonorrhöe los zu werden, gleichwin in Europa noch vielfach der Glaube besteht, der Beischlaf mit einem kleinen Madchen vermöge von der Venerie zu heilen,

Erfahrungsgemäss ist BestialitUt in Kuh- und Pferdesttlllen kein allzu seltenes Vorkommniss. Gelegentlich kann sich der Betreffende anch an Ziegen, Hfindinnen , Ja, wie ein Fall hei Tardieu und einer bei Sohaueustein (Lehrb. p. 12.^) lefareo, sogar au Hennen vergreifen.

Bekannt ist die Verfugung Friedrichs des Grossen im Falle eines Caval- leristen. der eine Stute geschändet hatte: ^Der Kerl ist ein Schwein und soll unter die Infanterie gesteckt werden."

Der Verkehr weiblicher Individuen mit Thieren beschränkt sich auf den mit Hunden. Ein monstrOses Beispiel von sittlicher Depravation in grossen i^tädten ist der von Maschka (Handb. III) berichtete Fall einer Weibs^^erson in Paris, die in geschlossenen Kreisen gegen ein Eintrittsgeld vor Wüstlingen sich damit prodncirte, dass sie sieh von einem abgerichteten ßulldogg be- gatten Hess!

Beobachtung 107. In einer Provinzstadt ertappte man einen 30 Jahre alten Mann aus höherem Stande im sodomitischen Verkehr mit einer Henne. Man hatte lange nach dem Uebelthäter gefahndet, weil die Hennen im Hause, eine nach der anderen, zu Grunde gingen. Auf die Frage des Gerichtspräsi- denten, wie der Betreffende zu dieser scbeussUchen Handlung gekommen sei, verlheidigte sich der Angeklagte mit Hinweis auf seine kleinen Genitalien, die ihm den Verkehr mit Weibern unmöglich machten. Die Ärztliche Unter- suchung ergab tbaUächlich äusserst kleine Genitalien. Das Individuum war geistig ganz normal.

Ueber etwaige Belastung, 2jeit des Erwachens des Sexualtriebs a. s. w. fehlen Angaben. (Gyurkovecbky, Mtinnl. Impotenz 1889, 8.82.)

Beobachtung 198. Am 23. September 1889 Mittags fing der IG Jahre alte Schuhmacherlehrling W. im Garten des Nachbars eine Gans und beging an dem Thier Akte der Bestialität, bis der Nachbar hinzukam. Auf dessen Vorhalt sagte W. : ,Nnn, fehlt der Gans etwas?* und entfernte sich. Im Verhör gestand er den Sachverhalt, entschuldigte sich aber mit temporärer Geistesabwesenheit. Seit einer schweren Krankheit mit 12 Jahren habe er mehrmals im Monat mit Hitze im Kopf verbundene AnfHlle, in welchen er geschlechtlich sehr aufgeregt sei, sich nicht zu helfen wisse, auch nicht wisse, was er thue. In einem solchen Anfall habe er die Tbat begangen. Er ver- antwortete sich in gleicher W^eLse in der Hauptverhandlung, behauptete, von der Species facti nur ans den Angaben des Nachbars etwas zu wissen. Der Vater theilt mit, dass W., aus gesunder Familie stammend, seit Scarlatina mit 5 Jahren immer kränklich gewesen sei, mit 12 Jahren eine hitzige Kopf- krankbeit gehabt habe. W. war gut beleumundet, lernte gut in der Schule, half später seinem Vater beim Handwerk. Der Masturbation war er nicht ergeben.

Die ärztliche Exploration ergab keine intellektuellen noch ethischen Defecte, Die körperliche Untersuchung ermittelte normale Genitalien, Penis relativ stark entwickelt, erhebliche Steigerung des Kniesehnenreflexes. Im Uebrigen negativer Befund.

Die Amnesie tempor. delicti erwies sich als nicht stichhaltig. Von früheren Antillen geistiger Störung war nichts zu eruiren, von solchen in der »^wöchentlichen Beobachtangszeit nichts wahrzunehmen. Eine Perversion der Vita sexualis bestand nicht. Das ärztliche Gutachten gab die Möglichkeit zu, dass von einer Hirnerkrankung herrührende organische Momente (Fluxion zum KopO von Einfluss bei Verübung der incriminirten Handlung gewesen sein können. (Aus einem Gutachten des Herrn Dr. Fritscb in Wien.)


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Pathologische Bestialität


Innerhalb der Bestialität findet sich aber eine Gruppe von Fällen, in welchen entschieden eine pathologische Grundlage besteht, insofern schwere Belastung, constitutionelle Neurosen, Impotenz beim normalen Akt, impulsive Art der Ausführung des widematürlichea Aktes darauf hinweisen. Es wäre zweckmllssig, diese pathologischen Fälle eigens zu benennen, etwa indem für die nicht pathologischen der Ausdruck Bestialität beibehalten, für die krankhaften der der Zooerastie gewählt würde.

Beobachtung 199. Impulsive Sodomie. A., 16 Jahre. Gärtner- junge, unehelich, Vator unbekannt, Mutter schwer belastet, hysteroopileptisch, A, hat difformen, asymmetrischen Gehirn- und Gtsichtsschädel, desgleichen Skelet, ist klein, war seit der Kindheit Masturbant, immer moros, apathisch, die Einsamkeit liebend, höchst reizbar, in seinen Affecten von geradezu patho- logischer Reaction. Er ist imbecill, wohl durch Masturbation körperlich sehr herabgekommen und neurasthenisch. Üeberdies bietet er hysteropathische Symptome (Einschränkung des Sehfelds, Dy seh romatopsie, Herabsetzung von Geruch, Geschmack, Gehör rechts, Anaesthesia testiculi dextr., Clavus u. s. w.).

A. ist überwiesen, Hunde und Lapins theils masturbirt, theils sodomisirt zu haben. 12 Jahre alt, sah er, wie Knaben einen Hund niastnrbirten. Er machte es nach und konnte sich nicht enthalten, in der Folge Hunde, Katzen, Lapins in dieser scheosslicben Weise zu misshandeln. Viel häufiger sodomisirte er aber weibliche Kaninchen, die einzigen Tbiere, welche für ihn einen Reiz hatten. Mit Einbruch der Nacht pflegte er sich nach dem Kaninchenstall seines Herrn zu begeben, um seinem entsetzlichen Drang zu fröhnen. Mau fand wiederholt Lapins mit zerrissenem Rectum. Die bestialen Akte spielten sich immer in derselben Weise ab. Es handelte sich um förmliche Anfälle, die etwa alle 8 Wochen und jeweils Abends in identischer Weise sich ein- stellten. A, bekam grosses Unbehagen, ein Gefühl, wie wenn man ihm den Kopf zerbämmere. Es war ihm, wie wenn er den Verstand verliere. Er kämpfte gegen den auftretenden Zwangsgedanken , Lapins zu sodomisiren, empfand wachsende Angst dabei, Steigerung des Kopfschmerzes bis zur Uner- träglichkeit. Auf der HOhe des Zustands GlookenlHuten. Ausbruch von kaltem Schweiss, Zittern der Kniee, endlich Aufhören der Widerstandsfilbigkeit und impulsive Ausfuhrung der perversen Handlung. Sobald dieselbe geschehen ist, wird er frei von Angst. Die nervöse Krise ist geschwunden , er ist wieder Herr seiner selbst, empfindet tiefe BeschUmung über das Vorgefallene und fürchtet die Wiederkehr solcher Situationen. A. versichert, dass er in solchen Krisen, vor die Wahl gestellt, ein Weib oder ein Lapinweibchen zu gebrauchen, nur sich zu letzterem entschliessen könnte. Auch intervallär erregen einzig unter den Hausthieren Lapins sein Wohlgefallen. In seinen Ausnahmszust&nden genügt ihm zur sexuellen Befriedigung meist das blosse Andrücken, Küssen u. s. w. des Lapia , zuweilen gerSth er dabei aber in solchen foror sexualis, dass er stürmisch das Tfaier sodomisiren muss.

Die erwähnten bestialen Akte sind die einzigen, welche ihn sexuell be- friedigen, und die einzige ihm mögliche Art sexueller Thätigkeit. A. versichert, dass er dabei nie ein Wollustgefühl hatte, sondern Befriedigung nur insofern, als er dadurch aus seiner qualvollen, durch impulsiven Zwang geschaffenen Situation befreit wurde.

Es gelang leicht der ärztlichen Epikrise, nachzuweisen, dass dieses mensch- liche Scheusal ein psychisch Degenerirter, unfreier Kranker, kein Verbrecher ist. (Boeteau, La France m^icale 38. Jahrgang, Nr. 38).

Beobachtung 200. X., Bauer, 40 Jahre, griechisch-katholisch. Vater und Mutter waren starke Trinker. Vom 5. Jahre ab bekam Patient epileptische


>oei


AnfUlle, d. h. er fiLllt bewusstlos um, liegt 2 — 3 MiDuten regungslos, dann rafft er sich anf und Ittuft plonlos mit weit aufgerissenen Äugen davon. Mit^ 17 Jahren Erwachen des Geschlechtstriebs. Patient hatte weder sexuelle Neigunj^ 7U Weibern noch zu Männern, wohl aber zu Thieren (Vögel, Pferde u. s. w.). Er coitirte mit Hühnern, Enten, später mit Pferden, Kühen. Nie Onanie.

Patient ist Heiiigenbildmider, sehr geistesbeschränkt. Seit Jahren reli- giöse Paranoia mit Ekstasezuständen. Er hat eine .unerklärliche" Liehe für die Gottesmutter, für die er sein Leben hingeben möchte. In die Klinik auf- genommen , erweist sich Patient frei von Gebrechen und von anatomischen Degenerationszeichen.

Er hat von jeher Aversion gegen Frauen gehabt. Bei einmaligem Ver- sach, mit einem Weib zu coitiren, war er impotent, Thieren gegenüber immer sehr potent. Er ist Frauen gegenüber sehr schamhaft. Coitos mit solchen erscheint ihm fast wie Sünde (Kowalewsky, Jahrb. für Psychiatrie VII, Heft 3).

Beobachtung 201. T. , 35 Jahre, von trunksüchtigem Vater und psychopatbischer Mutter, war nie schwer krank gewesen und hatte in seinem Benehmen nie etwas Auffälliges geboten. Schon mit 9 Jahren trieb er Unzucht mit einem Huhn, später mit anderen Haustbieren. Als er mit Weibern zu cohabitiren begann, schwanden seina bestialen Gelüste. Er heirathete mit 20 Jahren, war sexuell befriedigt.

Mit 27 Jahren begann er zu trinken. Da erwachten seine früheren per- versen Neigungen wieder. Als er eines Tages seine Ziege zum Beschälen in ein nahes Dorf führte, erwachte in ihm der Drang, sie zu sodomisiren. wurde immer mächtiger, jedoch noch mühsam bekämpft. Herzklopfen, quälender Schmerz auf der Brust, heftiger Orgasmus machten ihn seinem Drang er- liegen. T. versichert, dass er bei solchen bestialen Akten viel grössere Wol- lust empfunden habe als beim Coitus cum femina.

Seine bestialen Handlangen blieben unbemerkt. Er kam scbliesslicb wegen Alkoholwahnsinn in die Irrenanstalt und bei Aufnahme der Anamnese machte er die obigen Enthüllungen, (Boissier et Lachaux, Annal. m^ico- psychol. Juli-August 1893, p. 381.)

Grosse Schwierigkeiten bieten sich für die Erklärung des Zustande- kommens der Zooerastie. Der Versuch, sie auf Fetischismus zurückzu- führen, wie dies bei der Zoophilia erotica (vgl. p. 181) möglich ist, gelingt nicht bei den bisher beobachteten Fällen von Zooerastie.

Es fragt sich, ob Zoophilia überhaupt zu geschlechtlichen Akten an Thieren (also eventuell Bestialität) führen könnte. Ist sie wirklich eine fetischistische Erscheinung, so wird diese Möglichkeit auf Grund der Erfahrungen hinsichtlich des Fetischismus überhaupt kaum annehmbar.

Auch im berichteten Falle von Zoophilia erotica fetischistica (p. 181) kam es bemerkenswerther Weise nicht zu solchen Anwandlungen, und der Träger der Beobachtung dachte gar nicht an den Sexus der betreffenden Thiere. Es bleibt angesichts der Zooerastie vorläufig nichts Übrig, als sie für eine originäre, etwa der contraren Sexualempfinduug gleichzu- stellende Perversion der Vita sexualis zu halten.

Der folgende, allerdings rudimentäre und abortive Fall von Zoo- erastie spricht jedenfalls zu Gunsten einer solchen Annahme und für die völlige Unbewusstheit der Motivation des bezüglichen Dranges.


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Zooerastie.


Beobachtung 202. Y., 20 Jahre, iatelligentf wohlerzogen, erblich angeblich nicht belastet, körperlich gesund bis auf Erscheinangen von Nenr- a«thenie und Hyperaesthesia uretbrue, hat angeblich nie nia&turbirt. Von Kindheit auf grosse Freude an Thieren, besonders Hnnden und Pferden. Seit der Pubertät Potenzirung dieses Sports, bei dem aber nie sexuelle Vorstellungen untergelaufen zu sein scheinen.

Eines Tages, beim erstmaligen Besteigen eines Pferdes, WoIluRtenapfindung. Nach 14 Tagen bei neuerlichem Anlass dasselbe, zugleich mit Erection.

Kunc darauf erster Kitt. Diesmal Ejoculution. Nach 1 Monat derselbe Vorfall. Patient empfindet darüber Aerger und Abscheu, abstinirt vom Reiten. Nnnmehr fast tägliche Pollutionen.

Der Anblick von Reitern und von Hunden macht ihm Erectionen. Fast allnächtlich Pollution mit der Traumvorstelliing, er sitze zu Pferde oder dres- sire Hunde. Patient sucht änctliche Hülfe. Eine Sondenkur beseitigt die Hyperaesthesia urethrae und mindert die Pollutionen. Dem Rath des Arztes, zu coitiren, folgt Patient widerstrebend, theils aus fehlender Zuneigung zum andern Geschlecht, theils aus Misstrauen in seine Potenz.

Er macht erfolglose Coitusversuche, erzielt nicht einmal Erection, die aber sofort auftritt, als er einem Reiter begegnet. Er wird deprimirt, hält sich tlir ein abnormes Wesen und Heilung für nnmüglich.

Entsprechende Hrztliche Behandlung. Neuer Coitusversuch gelingt unter Zuhülfenahmc der die Erection fordernden Phantasiebilder von Hunden und Reitern.

Patient reüssirt immer leichter , fühlt seine Zuneigung zu Thieren schwinden, hat keine Erectionen beim Anblick von Reitern, Hunden mehr, die Pollutionen auflösenden Traum Vorstellungen haben immer seltener Tbiere zum Inhalt, er träumt von Mädchen. Der anfangs noch durch rasch er- lahmende Erection und Ejaculatio praecox pathologische Coitos wird unter Zuhülfenahme einer Sondenkur normal. Patient ist sexuell befriedigt und von seinem abnormen sexuellen Trieb befreit. (Dr. Hanc, Wien. med. Blatter. 1887. Nr. 5.)

Der vorausgehende Fall rechtfertigt die Annahme einer originären Perversion, denn anstatt der Vorstellung des normalen Objektes fWeib) ist es die häufig gesehener Thiere (Pferde, Hunde), welche sexuelle Ge- fühle und Dränge erweckt. Daneben mag noch ein dunkles sadistisches Motiv im Spiele gewesen sein, da, wenigstens in der Vita sexualis des Träumenden, es sich um das Reiten auf Pferden und das Dressiren von Hunden handelte.


Durchaus pathologisch erscheint die folgende, einen Stuprator bestiaruni betreffende Beobachtung.

Beobachtung 203. Herr X., 47 Jahre, in hoher gesellschaftlicher Stel- lung, kommt zu mir, nm sich Rath und Hülfe wegen einer ihm peinlichen Anomalie seiner Vita sexualis zu erbitten, zumal da er endlich zum Heirathen entschlossen sei und in seiner jetzigen Verfassung es moralisch für unmöglich faulte, eine Ehe einzugehen. X. ist offenbar schwer belastet — sein Vater, zwei seiner Schwestern und ein Bruder sind in hohem Grad nervenleidend. Die Mutter soll ganz gesund sein.

Sehr früh erwachte bei X. die Vita sexualis, insofern er schon als etwa lljähriger Knabe zu Masturbation ohne alle Verführung gelangte.

Entschieden hypersexnal, trieb er nun leidenschaftlieh Masturbation nnd


von dem 14. Jabr ab vergass er aicb so weit, Hündinnen, Stuten und andere weibliche Tbiere zn sodomisiren. Er motivirt dies mit übermässigem Sexual- trieb and mangelnder Gelegenheit. — er brachte seine Kinder- und Jünglings- jahre einsam auf dem Land und später in einem Erziehungsinstitut zu — in natürlicher Weise Befriedigung zu finden.

X. versichert, des Abscheulichen seiner Handlungsweise sieb wohl bewusst gewesen zu sein und mit aller Willenskraft gegen seine bestialen Antriebe gekämpft zu haben. Aber die Gier, die Wollust, der Genuss, die er bei ihrer Befriedigung empfand, seien übermilchtig gewesen. Herangewachsen habe er weder homosexual jemals empfanden noch dch zum Weibe hingezogen gefohlt.

Bis zu diesen Geständnissen fühlt man sich berechtigt, die Bestialität des X. nicht fiir Perversion, sondern für durch Gewohnheit festgewurzelte Perversität zu halten.

Auffallend erscheint, dass seine erotischen Träume sich nur um bestialen Verkehr drehten und dass, als er endlich mit 25 Jahren an die Sanirung seiner Vita sexualis durch coitus cum muliere ging, er trotz sehr unnehnibarem Ver- suL-haobjekt and trotz vorhandener Potenz nicht die geringste Befriedigoog empfand.

Dieselbe Erfahrung machte er bei neun weiteren Coitus versuchen, die er im Lauf der nächsten 22 Jahre ausführte. Er sei dabei immer nur „mecbnniscb* thätig, nie wollüstig erregt gewesen, so, wie wenn er ein Stück Holz coitire, selbst bis zum Ekel, während er doch cum bestia die hücbsttf Wollust em- pfunden habe!

Schon beim blossen Anblick von Bestien sei er oft ganz brünstig geworden, während er in Daraengesellsuhaft kalt und gelangweilt blieb und die Puella im Lapanar besonderer Manipulationen bedurfte, um ihn zum Akt zu präpariren.

Seit 2 Monaten bevor X. zu mir kam, hatte er mit Aufbietung aller Willenskraft masturbatonscben und bestialen Akten widerstanden.

Er ist ein psychisch eigenartiger Mensch, offenbar ein degonere sup^rieur. Anatomische Degenerationszeichen, Spuren von Neurasthenie sind an ihm nicht nachweisbar.

Ich ertheiltc kräftige Wachsuggestionen gegen Masturbation und Bestialität and zu Gunsten der Annäherung an das weibliche Geschlecht, wandte Anta- phrodisiaca an, rieth zu frugaler Lebensweise, leichter Hydrotherapie, reichlicher Bewegung, ablenkender Beschäftigung und hatte die Genugtbuung, dass Patient nach 10 Monaten der Gewöhnung an Feminae eine schwache Befriedigung beim sexualen Umgang mit solchen empfand und Ton seinen früheren perversen Gelüsten sich ziemlich frei fühlte.

Einen dem vorstehenden analogen Fall berichtete Moll in seinem Werk über Libido sexualis p. -121.

Bemerkenswerth ist auch ein Fall von Zooerastie, den Howard (Alienist und Neurologist 189t) vol. XVII. 1.) veröffentlichte. Er betrifft einen jungen Menschen von 16 Jahren, der nur durch Schweine geschlechtlich erregt wurde und in Liebkosungen solcher, sexuelle Befriedigung fand.


Au^ällig erscheint die grosse Seltenheit der Fälle wirklicher Zoo- erastie. Sie erklärt sich wohl aus der Leichtigkeit, mit der sie verborgen bleiben.

Die forensisch bedeutungsvolle Unterscheidung von Bestialität und von Zooerastie kann in concreto nicht schwierig sein.

Wer bei Gelegenheit zur Befriedigung normaler sexueller Dränge auBScliIieHslich bei Thierun geschlechtliche Befriedigung sucht und findet, muss vorweg die Vermuthung pathologischer Bedeutung seiner perversen


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Ptdenufcte.


Triebrichtung für sich haben, jedenfalls ungleich mehr als der contrar Sexuale, weil bei sexuellen Handlungen an Thieren die psychische An- steckung fehlt, die Möglichkeit, dass die Perversion des einen Theils zur Perversität des anderen geführt habe.

Immerhin lasst sich annehmen^ dass die Zahl der Fälle von Zoo- erastie gegenüber denen von conträrer Sexual empfindung eine ungleich geringere ist. Es ergibt sich dies a priori aus dem Charakter beider Perversionen» der weit grösseren Entfernung des Zooerasten gegenüber dem conträr Sexualen vom normalen Objekt. Damit würde die erstere Perversion viel schwerer, weil degenerativer, als die des Letzteren sich qualificiren.


a) Unzucht mit Personen desselben GescMechts (Päderastie. Sodomia

sensu strictiori).

Deutschland kennt nur widernatürliche Unzucht zwischen männ- lichen Personen. Oesterreich kennt solche zwischen Personen desselben Geschlechts, wonach also auch Unzucht zwischen Weib und Weib straf- rechtlicher Verfolgung unterstehen würde.

Unter den unzüchtigen Handlungen zwischen männlichen Individuen nimmt die Päderastie (Tmmissio penis in anum) das Hauptinteresse in Anspruch. An diese Perversität sexuellen Handelns hat der Gesetzgeber wohl ausschliesslich gedacht und nach den Ausführungen hervorragender Interpreten der Strafgesetzgebung (Oppenhoff, Stgsb., Berlin 1872, p. 324 und Rudolf und Stenglein, D. Strafgesb. f. d. Deutsche R«ich 1881, p, 423) gehörte Immissio penis in corpus vivum zum Thatbestand des im § 175 vorgesehenen Verbrechens.

Nach dieser Auffassung entfiel die strafgerichtliche Ahndung von anderweitigen unzüchtigen Handlungen zwischen männlichen Personen, soweit sie nicht durch Verletzung der öffentlichen Scham- hafti^rkeit, Anwendung von Gewalt oder Vornahme an Knaben unter 14 Jahren complicirt erschien. Von dieser Auffassung ist man m der letzten Zeit wieder abgegangen und erachtet das Verbrechen der widernatürlichen Unzucht unter Männern als vorhanden, wenn auch nur beischlafähnliche Handlungen stattfanden^).


  • ) Wie spitzfindig, an^tOsaig und bedenklich fUr den Richter die Beurtfaeilang

dieser .beischlafUhnlichen" Handlungen für die Constatirung des objektiven That- bestandes des Verbrechens sein mag, deuten gut an eine Arbeit über die Straf- barkeit des mannraännlichen Verkehrs in der Zeitschr. f. d. gesammte Strufreckle- wiMenechafl Bd. VH, Heft l, sowie eine solche in Friedreich's Blättern f. ger. Medioin, Jahrgang 1891, Heft 6. — Siehe ferner MolTs Buch, .Conträre Sexoal- empfindung', p. 228 u. ff. — Bernhardi, ,Der üraniemua*. Berlin 1896. — van Erkelens, Strafgesetz u. vidematürl. Unzucht. Berlin 1895.


ZurecliDUDgsfUliigkeit der conträr Sexualen.


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Die Forschungen Über conträre Sexualerapfindung haben die mann- mänaliche Liebe in ein ganz anderes Licht gestellt als das, in welchem die aus ihr hervorgehenden IJnzuchtsdelikte^ speciell die Päderastie, zur Zeit der Abfassung der Gesetzbücher standen. DieThatsache einer psycho- pathologischen Begründung vieler Fälle von conträrer Sexualempfindung läsat keinen Zweifel darüber zu, dass auch die Päderastie die Handlung eines Unzurechnungsfähigen sein kann und zwingt dazu, ferner in foro nicht bloss die That, soudern auch den geistigen Zustand des Thäters zu berücksichtigen.

Die Eingangs dieses Abschnitts aufgestellten Gesichtspunkte müssen auch hier massgebend sein. Nicht die That, sonderu einzig und allein die anthropologisch-klinische Würdigung des Thäters kann die Entschei- dung herbeiführen, ob strafwürdige Perversität oder krankhafte und nach Umständen die Strafbarkeit ausschlieasende Perversion des geistigen und Trieblebens vorliege.

Die nächste Frage in foro muss dahin gehen, ob die sexuelle Neigung zu Personen desselben Geschlechts eine angeborene oder eine erworbene Erscheinung sei, im letzteren Falle, ob sie eine krankhafte Perversion oder bloss eine moralische Vcrirrung (Perversität) darstellt.

Die angeborene conträre Sexualempfindung kommt nur bei krank- haft veranlagten (belasteten) ludividuen vor, als Theilerscheinung einer durch anatomische oder funktionelle oder durch beiderlei Abnormitäten gekennzeichneten Belastung. Uro so klarer wird der Fall und um so sicherer die Diagnose, wenn das Individuum in Charakter und ganzem Fühlen seiner geschlechtlichen Eigenart entsprechend erscheint, der Neigung zu Personen des anderen Geschlechts vollkommen entbehrt oder gar Horror vor sexuellem Verkehr mit solchen empfindet, wenn der Betreffende in dem Drang zur Befriedigung der conträren Sexualempfindung Merkmale anderweitiger Anomalie des Sexuallebens, sowie tiefere Degeneration in Form von Periodicität des Drangs und impulsivem Handeln bietet und eine neuro- und psychopathische Persönlichkeit ist.

Die weitere Frage betrifft den Geisteszustand des Urnings. Ist dieser ein solcher, dass die Bedingungen der Zurechnungsfähigkeit überhaupt fehlen, so ist der Päderast kein Verbrecher, sondern ein unzurechnungs- fähiger Geisteskranken

Dieser Fall ist aber bei geborenen Urningen offenbar der seltenere. In der Regel bieten sie höchstens elementare psychische Störungen, welche die ZurechnungsHihigkeit an und für sich nicht aufheben.

Damit ist aber die forensische Frage der Verantwortlichkeit des Urnings nicht abgethan. Der Sexualtrieb ist eines der mächtigsten organischen Bedürfnisse. Keine Gesetzgebung findet die aussereheliche Befriedigung des Sexualtriebs an und für sich strafbar; dass der Umiug


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Zurechouiigsfftliigkeit der contrUr Sexualen.


pervers fohlt, ist nicht seine Schuld, sondern die einer abnormen Natur-;_ anläge. Sein sexuelles Verlangen mag ästhetisch höchst widerlich sei] von seinem kraiikhaft^n Standpunkt aus ist es ein natürliches. Dazi kommt, daiis bei der Mehrzahl dieser TJnglückh'cheu der perverse Sexual^ trieb mit abnormer Stärke sich geltend macht und dass ihr Bewusstsei vielfach den perversen Trieb nicht einmal als etwas Widernatürliches erkennt. Damit ermangeln sie sittlicher^ ästhetischer Gegengewichte zur Bekämpfung des Drangs.

Unzählige normal constituirte Menschen sind im Staude, auf B< friedigung ihrer Libido zu verzichten, ohne duich diese erzwungene AI stinenz an ihrer Gesundheit Schaden zu nehmen. Viele Neuropathiker und dies sind Urninge durchweg — werden dagegen schwer nerrei krank, wenn sie dem Naturtrieb nicht genügen oder ihn in för sie per- verser Weise befriedigen.

Die meisteu Urninge sind in peinlicher Lage. Auf der einen Seil ein abnorm starker, in seiner Befriedigung wohltbätig und als Naturgesetz empfundener Trieb zum eigenen Geschlecht — auf der anderen Seite di< Öifentliche Meinung, welche ihr Thun brandmarkt, und das Gesetz, weicht sie mit schimpflicher Strafe bedroht. Auf der einen Seite qualvolle Seelen- zustände bis zu Gemüthskrankheit und Selbstmord , mindestens Nerven- siechthum, — auf der anderen Seite Schande, Verlust der Stellung u. a. w. Dass hier Noth- und Zwangslagen geschahen werden können durch eine unselige krankhafte Disposition und Naturanlage ^ kann nicht bezweifelt werden. Diesen Thatsachen müssen jedenfalls Gesellschaft und Forum gerecht werden; die erstere, indem sie solche Unglückliche bedauert, nicht verachtet, das letztere, indem es sie straflos lässt, insofern sie sich innerhalb der Schranken bewegen, die überhaupt der Bethätigung di Sexualtriebes gezogen sind.

Als Bestätigung dieser Anschauungen und FordemngeD, welche bezügli< dieser Stiefkinder der Natur sich ergeben müssen, sei es gestattet, ein Pro- memoria eines Urnings an den Verfasser hier zum Abdruck m bringen. D< Schreiber der folgenden Zeilen ist ein hochgestellter Mann in London.

,Sie haben keinen Begriff, welch fortdauernde schwere Kampfe wil Alle — und die Deukeudeu und Feinfühlenden unter uns am meisten — heute noch zu bestehen haben und wie sehr wir unter der jetzt noch herrschenden falschen Anschauung über uns und unsere sogen. »Ünsittlichkeit' zu leiden haben.

Ihre Anschauung, dass die in Rede stehende Erscheinung, als letzte Ur- sache in den meisten Fällen, einer angeborenen, .krankhaften* Disposition zuzu- schreiben ist, wird es vielleicht am ehesten möglich machen, die bestehenden Vornrtheile zu überwinden und, statt Abscheu und Verachtung, Mitleid für uns arme ,kranke' Menschen zu erwecken.

So sehr ich also glaube, dass die von Ihnen vertretene Ansicht eine fEir uns möglichst vortheilhafte ist, so vermag ich doch im Interesse der Wissenschaft das Wort »krankhaft' nicht so ohne Weiteres zu acceptiren und möchte mir gestatten, Ihnen noch einige darauf bezügliche Auseinandersetzungen zu geben.


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Anomal ist die Erscheinung anter allen Umständen, dem Wort krank- haft liegt aber noch eine andere Bedeutung bei, die ich in diesem Falle nicht zutreffend finden kann, wenigstens bei sehr vielen Fällen nicht, die ich zu beobachten Gelegenheit hatte. Ich will a priori zugeben, dass man bei den Urningen in einer weit höheren Proportion Föllß von geistigen Störungen, von nervöser Ueberreizung etc. constatiren kann, als bei anderen normalen Menschen. Hängt diese gesteigerte Nervosität aber uothwendig mit dem Wesen des Urning- tbums zusammen oder ist sie nicht in weitaus den meisten Fällen dem Um- stand zuzuschreiben, dass der Urning in Folge der jetzt herrschenden Gesetz- gebung und gesellschaftlicher Vorurtheile nicht wie die anderen Menschen in einfacher und leichter Weise zur Befriedigung der ihm angeborenen geschlecht- lichen Neigung gelangen kann?

Der nrningisehe Jüngling, schon wenn er die ersten geschlechtlichen Regungen empfindet und sie naiv seinen Kameraden äussert, findet bald heraus, dass er bei Anderen kein \ erstündniss ündet; er vcrschliosst sich nun in sich. Macht er dem Lehrer oder seinen Eltern Mittheilung von dem, was ihn be- wegt, so wird ihm die Regung, die ihm so natürlich ist wie dem Fische das Schwimmen, als verderbt und sündhaft geschildert, es wird ihm gepredigt, dass dies um jeden Preis bekämpft und unterdrückt werden müsse. Es be- ginnt nun ein innerer Kampf, eine gewaltsame Üntenlrückung der geschlecht- lichen Regung, und je mehr die natürliche Befriedigung derselben unterdrückt wird, desto lebhafter fAngt die Phantasie an zu arbeiten und zaubert gerade immer wieder die Bilder herauf, die man gerne bannen machte. Je energischer der Charakter ist. der diesen inneren Kampf kämpft, desto mehr muss das ganze Nervensystem darunter leiden. Eine solche gewaltsame Unterdrückung eines uns so tief eingepflanzten Triebes entwickelt meiner ur massgeblichen Ansicht nach erst die krankkaften Erscheinungen, die wir bei vielen Urningen beobachten können, sie hängt aber nicht nothwendig mit den betreffenden urningischen Dispositionen selbst zusammen.

Die Einen nun setzen diesen steten inneren Kampf mehr oder weniger lang fort und reiben sich diibei auf, die Änderen kommen sclüiesslich zur Er- kenntniss, dass der ihnen angeborene so mächtige Trieb unmöglich sündhaft sein könne, sie versuchen also nicht länger das Unmögliche — die Unter- drückung desselben. Nun beginnt aber erst recht die Serie der Leiden und steten Aufregungen! Der Dioning, wenn er für seine geschlechtlichen Regungen Befriedigung sucht, weiss sie immer leicht zu finden; nicht so der Urning! Er sieht die Männer, die ihn reizen, er darf aber nichts sagen, ja nicht einmal merken lassen, was ihn bewegt. Er denkt, dass er allein auf der ganzen Welt so abnorme Empfindungen habe. Natnrgemäss sucht er den Umgang mit jungen Mannen), wagt es aber nicht, sich ihnen anzuvertrauen. So verföUt er darauf, als Ersatz sich selbst die Befriedigung zu verschaffen, die er sonst nicht erreichen kann. Das Onaniren wird in ausgedehntem Masse geübt, und alle Folgen dieses Lasters machen sich geltend. Wenn dann nach einer ge- wissen Zeit eine Zerrüttung des Nervensystems eintritt, ist die krankhafte Er- scheinung wiederum nicht durch das Urningthum an sich bedingt, sondern eben nur dadurch entstanden, dass der Urning infolge der heute allgemein herrschenden Anschauung die ihm natürliche normale Befriedigung seines Geschlechtstriebes nicht finden konnte und .so der Onanie verfiel.

Oder nehmen wir nun an, der Urning habe das seltene Glück gehabt, bald eine gleichempfindende Seele zu finden, oder er sei von einem erfahrenen Freunde bald über die Vorgänge in der urningischen Welt aufgeklärt worden, so bleiben ihm vielleicht manche innere Kampfe erspart, aber eine lange Reihe

aufregenden Sorgen und Aengsten folgt auch ihm auf allen seinen


von


Schritten. Nun weiss er, dass er nicht mehr der Einzige auf der Welt mit solch abnormen Empfindungen ist; er öffnet die Augen und wundert sich, wie zahlreiche Genossen er in allen socialen Kreisen und in atlou Berufsklassen


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Zurecbnun^ifsIUhigkeit der contrftr Sexualen.



findet; er erfährt auch, dass es im ürningthain so gut wie bei den DioniisgeD eine Prostitation gibt und dass Icäufliche Mflnoer zu haben sind, so gut wie Dirnen. An Gelegenheit zur Befriedigung der geschlechtlichen Triebe fehlt es al£o nicht mehr. Aber doch wie verschieden von den Dioningen entwickeln sich hier die Dinge!

Nehmen wir den glücklichsten Fall au! Der gleichempfindende Freund, nach dem man sich das ganze Leben gesehnt, ist gefunden. Ihm darf man sich aber nicht offen hingeben, wie der Jüngling dem Mfidchen, das er liebt. In steter Angst müssen Beide ihr Verbältniss stets verheimlichen, ja selbst die zu grosse Intimität, die leicht Verdacht erregen könnte — zumal wenn Beide nicht von gleichem Alter sind oder nicht derselben Gesellschaftsklasse an- gehören — , rauss der Aussenwelt vorborgen bleiben. So beginnt mit dem Ver- hältuiss selbst eine Kette von Aufregungen, und die Furcht, das Geheimniss könnte doch verrathen oder errathen werden, lässt den Armen zu keinem frohen Genuss mehr kommen. Ein jedem Anderen gleichgültiges Vorkommniss macht ihn zittern, weil dadurch ein Verdacht erweckt werden könnte und sein Geheimniss an den Tag kommen könnte, wodurch seine ganze gesellschaft- liche Stellung untergraben würde und er Amt und Bemf verlieren müsste. Und diese stete Aufregung, diese fortwährende Angst und Sorge sollte spurlos vorübergehen und nicht eine Rückwirkung üben auf das ganze Nervensystem?

Ein Anderer, weniger ^'lücklich, fand nicht den gleichgesinnten Freund, sondern fiel einem hübschen Manne in die Hände, der ihm erst bereitwillig entgegenkam, bis ihm die innerst«n Geheimnisse verrathen waren. Nun werden die raflnirtesten Erpressungen aasgeübt. Der unglücklich Verfolgte, vor die Alternative gestellt, zu zahlen oder social unmuglich zu werden, eine geachtete Stellung zu verlieren, Über sich und seine Familie Schande hereinbrechen zu sehen, zahlt, und je mehr er zahlt» desto gieriger wird der Vampyr, der an ihm saugt, bis schliesslich nur die Wahl bleibt zwischen gÄnzlichem finanziellen Ruin oder Entehrung. Wer will sich wundern, wenn die Nerven eines Jeden diesem fürchterlichen Kampfe nicht gewachsen sind?

Dem Einen versagen sie gan^^ die geistige Störung tritt ein und der Arme findet endlich in der Irrenanstalt die Ruhe, die er im Leben nicht finden* konnte. Ein Anderer macht in der Verzweiflung diesem unerträglichen Zu- stand durch Selbstmord ein Ende. Wie viele der oft unerklärlichen Selbst- morde junger Männer hierher zu zählen sind, lässt sich gar nicht ergründen 1

Ich glaube mich nicht zu irren, wenn ich behaupte, dass mindestens die Hälfte der Selbstmorde bei jungen Mttnnern auf solche Umstände zurückzu- fuhren sind. Selbst in den Fällen, wo nicht der erbarmungslose Erpresser einen Urning verfolgt, sondern nur ein Verhältniss zwischen zwei Mannern besteht, das an sich befriedigend verläuft, führt die Entdeckung oder auch nur die Furcht vor der Entdeckung gar oft zum Selbstmord. Wie viele Offiziere, die zu einem ihrer Untergebenen, wie viele Soldaten, die zu einem Kameraden ein Verhältniss hatten, haben im Augenblick, da sie sich entdeckt glaubten, durch eine Kugel der ihnen drohenden Schande zu entgehen versucht! Und ähnlich in allen anderen Herufsarten!

Wenn also thatsächlich gewiss zugegeben werden muss. dass bei den Urningen mehr geistige Abnormitäten und wohl auch mehr wirklich geistige Störungen beobachtet werden können als bei anderen Menschen, so ist damit aber der Beweis durchaus nicht erbracht, dass diese geistige Störung noth- wendig mit dem Urningthum zusammenhänge und dass eines das andere bedinge. Nach meiner festen Ueberzeugung ist weitaus der grösste Theil der bei Urningen beobachteten geistigen Störungen oder krankhaften Dispositionen nicht auf Rechnung ihrer seruellen AbnorniitUt zn setzen, sondern sie sind hervorgerufen durch die jetzt bestehende falsche Anschauung über das Urning- thum und, damit zusammenhängend, durch die bestehende Gesetzgebung und die herrschende Meinung über diesen Gegenstand. Wer nur annähernd einen


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De lege lata uod de lege ferenda.


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Begriff hat von der Ftille von geistigen and moralischen Leiden, von den Aengsten und Sorgen, die ein Urning erdulden muss, von den ewigen Heuche- leien und Verheimlichungen, die er üben muss, um den ihm innewohnenden Trieb zu verbergen, von den unendlichen Schwierigkeiten, die sich der ihm naturgemässen Befriedigung seiner sexuellen Triebe entgegenstellen — , der kann sich nur darüber wundern, dass nicht noch mehr ernste geistige Störungen nnd norvöse Erkrankungen bei den Urningen vorkommen. Der grüsste Theil dieser krankhaften Zustände käme aber gewiss gar nicht inv Entwicklung, wenn der Urning wie der Dioning in einfacher und leichter Weise feine geschlechtliche Befriedigung finden könnte, wenn er nicht diesen ewigen folternden Aengsten ausgesetzt wfirel*

De lege lata sollie der Urning insofern Berücksichtigung finden, dasB der betreffende Paragraph nur im Sinne von wirklieber Päd- erastie ausgelegt wird und dass der psychisch-somatischen Abnormität durch genaue Expertise und durch individualisirende Erwägung der Schuld- frage Rechnung getragen wird.

De lege ferenda wünschen die Urninge nichts sehnlicher als die Aufbebung des Paragraphen. Dazu wird sich der Gesetzgeber nicht so leicht verstehen wollen, wenn er bedenkt, dass Päderastie häufiger ein abscheuliches Laster als die Folge eines körperlich- geistigen Gebrechens ist, dass zudem viele Urninge, wenn auch zu sexuellen Handlungen am eigenen Geschlecht genöthigt, doch keineswegs gezwungen sind, der wirk- lichen Päderastie zu fröhnen, eine sexuelle Handlung, die zu allen Zeiten als eine cynische, ekle und, als passive, wohl auch als schädliche dastehen wird. Ob aber nicht aus Utilitatsgründen (Schwierigkeit der Fest- stellung der Schuldfrage, Vorscbubleistung der scheusslichsten Erpres- sungen, Chantage u. s. w.) es opportun wäre, die strafgerichtliche Verfolgung mannmännlicher Liebe aus den Codices zu streichen, das möge der Gesetzgeber der Zukunft reiflich erwägen').

Meine Gründe für Abschaffung des betreffenden Gesetzesparagraphen sind etwa folgende:

1. Die in der Gesetzgebung vorgesehenen Delicte entspringen in der Regel einer abnormen seelischen Veranlagung.

2. Nur eine sorgfältige ärztliche Untersuchung vermag die Fälle blosser Perversität von denen krankhafter Perversion zu differenziren. Mit der Erhebung der Anklage ist das Individuum aber bereits social vernichtet.

3. Die Mehrzahl dieser Urninge ist neben der Perversion des Triebes mit abnormer Stärke desselben heimgesucht. In der Bethätigung ihres Qeschleohtstriebes stehen diese geradezu unter einem physischen Zwang*


') Vgl. die Broschüre de« Verf.: .Der contrÄr Sexuale vor dem Strafrichter.' Leiptig a. Wien (Deutike). 2. Aufl. 1895*


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De lege lata und de lege ferenda.


4. Vielen derselben erscheint ihre GeschlechUbefriedigung nicht als eine unnatürliche, im Gogentheü als eine natQrlicbe und die vom Gesetz zugelassene als eine widernatürlicbe. Sie entbehren damit aller sittlichen Corrective, die sie von ihrem sexuelltMi Delict abhalten könnten.

5. Beim Mangel einer Definition, was unter widernatürlicher Un- zucht zu verstehen sei, ist dem subjectiven Ermessen des Richters ein zu grosser Spielraum eingeräumt. Die immer spitzfindiger werdende Auslegung des g 175 in Deutschland beweist die Unsicherheit der Rechts- auffassung. Entscheidend für diese und die Rechtsprechung ist gleich- wohl der objective Thatbestand. (Nach dem subjektiven wird in der Regel gar nicht gefragt.) Wie soll jener festgestellt werden? Das Debet wird ja doch in der Regel ohne Zeugen begangen.

6. Theoretische strafrechtliche Gründe für die Beibehaltung des betreffenden Paragraphen lassen sich nicht gut aufstellen. Abschreckend wirkt er nur selten, bessernd niemals, denn krankhafte Naturerscheinungen werden nicht durch Strafen amovirt; als Sühne für eine strafbare Hand- lung^ die nur unter gewissen und vielfach fälschlichen Voraussetzungen eine solche ist, kann er zur grossten Ungerechtigkeit führen. Man ver- gesse nicht, dass in verschiedenen Culturländern dieser Strafrecht«- paragraph nicht besteht, dass er in Deutschland nur noch eine Concession an das öffentliche Sittlichkeitsgefühl darstellt, das aber diesen Delikten gegenüber von falscher Voraussetzung ausgeht und Perversion und Per- versität verwechselt.

7. Während meines Erachtens die öffentliche Sittlichkeit und die Jugend genugsam in Deutschland durch andere Paragraf»hen des Straf-

ietzbuches geschützt sind, schadet der § 175 entschieden mehr als er lützt, indem er einer der scheusslichsten Niederträchtigkeiten — dem sogenannten Chantage — Vorschub leistet.

Allerdings wird auch der denuncirende Chanteur bestraft, aber er hat die grosse Chance, dass sein Opfer es nicht zum Aeussersten — nämlich zur Strafanzeige — kommen lässt. Im schlimmsten Fall sitzt solch ein Wicht ein bischen Gefängnis ab, ohne in seiner Schandexistenz gefährdet zu sein, während sein Opfer ehrlos, ruinirt ist und nicht selten durch Selbstmord endet.

8. SoUte der deutsche Gesetzgeber durch Aufgebung des § 175 den Schutz der Jugend gefährdet erachten, so würde Ausdehnung des § 176, 1, auf Personen Überhaupt (der jetzige Paragraph ahndet nur an Frauens- personen mit Gewalt oder Drohung erzwungene unzüchtige Handlungen) gewiss genügen. Einen solchen Paragraphen hat der Code p^nal fran9ais. Eventuell Hesse sich daran denken, überdies in § 176, 3, das Alter (14 Jahre), von welchem an unzüchtige Handlungen, an jugendlichen Personen begangen, straflos bleiben, höher zu setzen. Dies würde auch


De lege lata et de lege ferenda.


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weiblichen Individuen zu gut kommen, diti doch im 15. Jahre nur ausnahmsweise die erforderliche Reife des Geistes und uöthigo Selbst- bestimmungsfähigkeit besitzen , um sich selbst zu schützen. Dadurch wäre aber auch jugendlichen Individuen männlichen Geschlechts (etwa bis zum beendigten 16. Jahre} ein wirksamerer Schutz geboten, als durch den § 175, der bekanntlich nur Päderastie (und nach neuerer Auslegunir ander«; beischlafähnliche HandJuugen) im Auge hat, Onanisirung und andere Unzucht aber straflos lässt. Gerade mit solchen Unzuchtshand- hingen werden aber Perverse der Jugend gefährlich, nur ganz ausnahms- weise durch Päderastie. Von üinem gewissen Alter, etwa dem erreichten 18. Jahre an, wo ein genügendes Mass sittlicher und intellectueller Reife zu Gebote steht, hat der Gesetzgeber weder ein Recht, noch eine Pflicht, unsittliche Handlungen inter mares , die portis clausis und im gegen- seitigen Einverständniss erfolgen, mit Strafe zu bedrohen. Derlei hat Jeder mit sich selbst abzumachen, denn ein öffentliches oder privates Interesse wird dabei nicht verletzt.

Was de lege lata bezüglich der angeborenen conträren Sexual- empfindung gesagt wurde, dürfte wesentlich auch für die erworbene gültig sein. Die begleitende Neurose oder Psychose wird diagnostisch oder forensisch bezüglich der Schuldfruge schwer ins Gewicht fallen.

Von hohem psychopathologischem und nach Umständen auch crimi- nellem Interesse ist die Thatsache, dass, wenn derlei conträrsexuale Individuen Zurückweisung ihrer Liebe oder gar Untreue von ihren bis- herigen Geliebten erfahren, sie all jener psychischen Reactionen in Gestalt von Eifersucht, Rachsucht fähig sind, die wir bei Liebesverhältnissen zwischen Mann und Weib so häufig beobachten können und die nicht selten zu schweren Gewaltthaten von Seiten des in seinen tiefsten Em- pfindungen Gekränkten am Gegenstand seiner bisherigen Liebe oder dem Räuber seines Glückes führen.

Nichts beweist wohl besser das tief Constitution eile, das ganze Fühlen, Denken und Streben Beherrschende solcher contriirsexualen Em- pfindungen, ihre vollkommene Substituirung für heteroaexuale normale Empfindungs- und Eutwicklungsweise. Ein Beispiel dafür, welcher Hand- lungen solche verschmähte oder verrathene Liebe fähig ifit, ist der fol- gende denkwürdige, der neuesten amerikanischen Gerichtspraxis entlehnte Fall, für dessen Zusammenstellung aus Zeitungen und Gerichtsverhand* luogen ich Herrn Dr. Boeck in Troppau zu besonderem Danke ver- pflichtet bin.

Beobachtung 204. Ein conträrsexuales Mftdcben mordet die Geliebte ans verschmähter Liebe.

Im Januar \H92 tödtete zu Memphis in Nordamerika ein junges Mftdcheo, Alice M., einer der angesehensten Familien der Stadt entsproBseDf ihre gleich- Krftffl-SbiDg, PsychopftUiU wxQftUs. lo. Aafl. 23


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Mord der Geliebten aui Eifersucht


falls den besten Kreiden angehörende Freundin Freda W. auf offener Strasse, indem sie ihr mit einem Rasirmesser mehrere tiefe Schnitte in den Hals beibrachte.

Die Untersuchung ergab Folgendes:

AI. ist von der Ascendenz der Mutter her schwer belastet — ein Onkel und mehrere Vettern ersten Grades waren geisteskrank — die Mutter selbst, psychopathisch veranlagt, machte nach der Geburt jedes ihrer Kinder .puer- peral. Irresein* durch, aui schwersten nach der Geburt des 7. — der An- geklagten AI. — , spftter verfiel sie in einen geistigen Schwächeznstand mit Verfolgungsideen.

£in Bruder der Angeklagten litt eine Zeitlang, an , Irresein", angeblich nach einem Sonnenstieb.

Alice M. ist 19 Jahre alt, von mittlerer Grösse, nicht hübsch. Das Gesicht ist kinderhaft und .fast zu klein für ihre Gestalt", asymmetrisch, die rechte Gesichtshülfte stllvker entwickelt als die linke, die Nase .von auffallender UoregelmlLssigkeit^, der BLck stechend. AI. M. ist Linkshänderin.

Vom Eintritte der Pubertät ab stellten sich häufig schwere und anhaltend© Kopfschmerzen ein — , einmal in jedem Monat litt sie an Nasenbluten, häufig, und auch noch in der letzteren Zeit, an AnMlen von allgemeinem Zittern uud Schtitteltremor. Einmal war damit auch Bewusstseinsverlust verbunden.

AI. war ein nervöses, reizbares Kind, im Wachsthum hinter ihrem Alter zurück. Sie hatte niemals Freude au Kinder- und zumal an Mädchenspielen. Im Alter von 4 — 5 Jahren machte es ihr viel Vergnügen, Katzen zu schinden oder an einem Bein aufzuhlingen.

Ihren jüngeren Bruder und seine Spiele zog sie den Schwestern vor — sie wetteiferte mit ihm im Spiel mit Peitschen von Kreiseln, ba&e-ball and foot-ball, dann im Scbeibenschiessen und allerhand tollen Streichen. Klettern war eine Lieblingsübung von ihr, in der sie grosse Gewandtheit besass. Mit besonderer Vorliebe trieb sie sich bei den Muulthieren im Stulle herum. In ihrem 6. oder 7. Jahre, da ihr Vater ein Pferd kaufte, liebte sie es, dieses zu lottern und zu warten und uiigesattelt in Knaben weise auf den Anger zu reiten. Auch später befasste sie sich damit, das Pferd zu putzen, ihm die Hufe zu waschen; sie führte es an der Halfter über die Strasse, sie schirrte es an» spannte es ein, sie verstand sich auf Bespannung sowie darauf, Fehler an der- selben zu verbessern.

In der Schule kommt sie nur langsam und mangelhaft fort, ist unfilhig zu anhaltender Beschäftigung mit einer Sache, fasst und behält schwer. — Unterricht in Musik und Zeichnen schlägt gänzlich fehl, zu weiblichen Hand- arbeiten ist sie nicht zu bringen. — An Lectfire hat sie auch später keinen Geschmack, sie liest weder Bücher noch Zeitungen. Sie ist eigensinnig und launenhaft, wird von ihren Lehrern und von Bekannten für nicht normal gehalten. Sie gibt sich als Kind nicht mit Knaben ab, hat keine Gespielen unter diesen, hat später kein Interesse an jungen Männern, keine Courmacher. Sie benimmt sieh gegen junge Männer stets gleichgiUtig, manchmal schroff und gilt bei diesen als »verrückt*.

Zu Freda W. dagegen, einem Mädchen gleichen Alters, Tochter einer befreundeten Familie, fühlte sie eine anasergewöhnliche Zuneigung .so lange sie denken kann". Fr. war mädchenhaft zart und gefühlvoll — die Neigung bestand auf beiden Seiten, viel heftiger jedoch auf Seiten AI. 's; sie steigerte sich mit den Jahren mehr und mehr, bis zur Leidenschaft. Ein Jabr vor der Katastrophe übersiedelte die Familie W. nach einer anderen Stadt — AI. blieb in tiefer Trauer zurück — eine zärtliche Liebescorrespondenz entwickelte sich.

Zweimal kommt AI. zu Besuch zu Fr.'s Familie — die beiden Mädchen verkehren dabei mit einander, wie die Zeugen versichern, pWiderlich zärtlich*. Man sieht sie stundenlang in einer Hängematte liegen, sich an einander pressend und küssend — ,es war ein Gedrücke und ein Gektisse zwischen beiden Mädchen,


durch ein coQtr&r sexuales Mndohen.


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dasB es Eineno zum Ekel wurde". — AI. BchKmt sieb, dergleichen in der Oeffent- lichkeit zu tbun, Fr. tadelt sie dafür.

Während eines Gegenbesuchs Fr/s macht AI. den Versuch, diese zu tödteu — sie will ihr im Schlaf Laadanum in den Mund giessen — der Ver- such scheiterte, da Fr. erwachte.

AI. nimmt dann vor Fr. das Gift selbst und liegt lange schwer krank darnieder. Das Motiv des Mord- und des Selbstmordversuches war aber dieses: Fr. hatte Interesse för zwei junge Männer gezeigt, AI. erklärte, Fr.'s Liebe nicht entbehren zu kennen, dann wieder, .sie habe sich tOdten wollen, um sich von ihren Qualen zu erlösen und Fr, frei zu machen*. Nach der Genesung Al.'s nimmt die Con'espondenz, von Liebesgluth mehr denn je erfüllt, ihren Fortgang.

Bald darauf beginnt AI. der Geliebten den Vorschlag zur Ehe zu ent- wickeln. Sie s*'ndet ihr einen Verlobungsring — sie droht mit Mord im Falle des Wortbruchs. Sie sollten einen falschen Namen annehmen, zusammen nach St. Louis entfliehen. — AI. wollte Männerkleider anziehen und auf Arbeit für sie Beide ausgehen; — sie wollte sich auch, wenn Fr. darauf bestände, einen Schnurrbart wachsen lassen, den sie sich durch Rasiren zu erzeugen hoffte.

Unmittelbar vor der Ausführung der Flucht Fr.'s wird die Sache ent- deckt: die Flucht wird vereitelt, man schickt den .Verlobungsring* und andere Liebeszeichen an AL*s Mutter und verbietet jeden weiteren Umgang der beiden Mädchen.

AI. ist völlig gebrochen. Sie wird schlaflos, nimmt nur widerwillig spärliche Nahrung, ist antbeillos, tief zerstreut (sie setzt auf Haushaltungs- r^chnungen statt ihres Namens den der Geliebten). Den Ring und die übrigen Liebeszeichen , darunter einen Fingerhut Fr.'s, den sie mit Blut von dieser gefüllt hatte, verbirgt sie In einem Winkel der Küche, bringt dort oft Standen mit deren Betrachtung zu, bald in Lachen, bald in Weinen ausbrechend.

Sie magert ab^ das Gesicht nimmt eine angstliche Miene an, die Augen bekommen einen .eigenthümlich unheimlichen GlanzV Als ihr zu dieser Zeit der bevorstehende Besuch Fr.'s in M. zur Kenntniss kommt, fasst sie den Vor- satz. Fr. zu tOdten. wenn sie sie nicht besitzen kann. Sie bringt ein Rasirmesser ihres Vaters an sich und bewahrt es sorgfältig auf.

Mit dem Verehrer Fr.'s knüpft sie, Interesse für ihn heuchelnd, eine Correspondenz an, um sich in seine Beziehungen zu Fr. Einblick zu verschaffen und sich über deren weitere Entwicklung in Kenntniss zu erhalten.

Während des Aufenthaltes Fr.'s in M. scheitern alle ihre Versuche einer Annäherung oder eines schriftlichen Verkehrs. Sie passt Fr. auf der Strasse ab, will einmal bereits den Ueberfall ausführen, wird aber durch einen Zufall abgehalten. Erst am Tage der Abreise Fr.'s gelingt es ihr, an Fr. auf dem. Wege zum Dampfboot heranzukommen.

Tief verletzt, das« Fr. auf dem ganzen Wege, den sie in ihrem Wägelchen neben ihr her führt, nur einen Angenwink, aber kein Wort für sie hat, springt sie endlich heraus, auf Fr. zu und bringt ihr mit dem Rasirmesser einen Schnitt bei. Von Fr.'s Schwester geschlagen und beschimpft, geräth sie in besinnungslose Wuth und schneidet blindlings Fr.'s Hals mit mächtigen tiefen Schnitten durch, deren einer fast von einem Ohr bis zum anderen reicht. — Während Alle sich um Fr. bemühen, jaRt AI. in ihrem Wagen im Galopp davon und kreuz und quer durch die ganze Stadt nach Hause. — Der Mutter erzählt sie sofort, was sie gethan. Für das Entsetzliche ihrer Handlung hat sie keinen Sinn; Tadel, Hinweis auf die Folgen für sie lüsst sie kalt und unbewegt; nur als sie von dem Tode und dem Begräbnies Fr.'s hört und sich des Verlustes der Geliebten bewusst wird, bricht sie in Tbränen und leideu- BchaftUchen Jammer aus, küsst alle Bildnisse, die sie von Fr. besitzt, spricht, als ob Fr. noch leben würde.

Auch während der Gerichtsverhandlung ist sie auf!)Ulig durch ihre Gleich-


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GezQchtete, nicht krankhaile Päderastie.


gtiltigkeit i^r ihre tief bekümiuerten, gebeugten Angehörigea, ihre Stumpfheit gegenüber allen ethischen Beziehungen der That,

Nur Momente, die ihre leidenschaftliche Liebe zu Fr. oder ihre Eifer- sucht beleben, bringen sie in Bewegung und in masslosen Affect. Fr. «hat ihr die Treue gebrochen", sie «hat sie getOdtet. weil sie sie geliebt hat\ — Ihre intellectuelle Entwicklung wird von allen Experten als die eines 14- oder 13jährigen Mädchens geschildert. Dass ihrer , Verbin- dung" mit Fr. Kinder nicht hätten entsphessen können, wird tob ihr ver- standen — dass ihre „Ehe" ein Unding gewesen wäre, will sie jedoch nicht zugeben. Supposition sexuellen (etwa masturbatorischen) Verkehrs mit Fr. lehnt sie ab. Hierüber, wie über ihre Vita sexualis peracta wird überhaupt nichts bekannt; auch eine gynikologische Exploration ist nicht vorgenommen worden.

Der Process endete mit dem Verdict auf Geisteskrankheit. (The Memphis medical monthlv 1892.)


Die gezüchtete, nicht krankhafte P&derastie M.

Sie stellt eines der entsetzlichsten Blätter in der Geschichte menscb- lieber Ausschweifungen dar.

Die Motive, die einen sexuell ursprünglich normal fühlenden, geistig gesunden Manu zur Päderastie gelangen lassen, können verschiedenartig sein. Temporär kommt sie vor als Mittel der sexuellen Befriedigung faute de raieux — gleichwie in seltenen Fällen Bestialität — bei er- zwungener Abstinenz vom normalen Geschlechtsgenuss *). Derlei kommt vor auf Schiffen mit langer Fahrzeit, in Gefängnissen, Bagnos u. s. w. Höchst wahrscheinlich belinden sich unter der betreffenden Gesellschaft einzelne Menschen mit tiefer Moral und mächtiger Sinnlichkeit, oder auch wirkliche Urninge, die zu Verführern der Anderen werden. Wollust, Imitationsdrang, Habsucht tragen das Ihrige bei.

Bezeichnend fUr die Stärke des sexuellen Triebes bleibt es immer- hin, dass solche Triebfedern genügen, um die Scheu vor dem wider- nutUrlichcu Akt überwinden zu lassen.

Eine andere Kategorie von Päderasten stellen alte Wollüstlinge dar, die in nomnilem Geschlechtsgenuss übersättigt sind, darin ein Mittel finden, ihre Wollust aufzukitzeln, indem der Akt einen neuartigen Reiz darstellt. Damit helfen sie temporär ihrer psychischen und somatischen, tief ge-


') Interessante histor. Notizen s. Krauaa, pRychol. des Verbrechens, p. 174. — Tardien, Attentats. — Mnachka, Handb. III, p. 174. Das in Rede stehende Laster scheint aus Asien aber Kreta nneh Griechenland gekommen und in dt^r Zeit des kloftaiBchen Hellas uUgemein verbreitet gewesen zu sein. Von dn kam es noch Rom. wo es üppig gedieh. In Persien, China (wo es sogar tolerirt ist) ist e« sehr verbreitet, aber auch in Kuropa (vgl. Tardieu. Tarnowsky u. A.).

  • ) Da£s sexueller Verkehr mit dem eigenen Geschleclit auch bei cur Abstineus

genöthigten Thieren vorkommt, geht au» Zusammenstellungen von Lombroso (Der Verbrecher, Übers, v. Früukel. p. 20 u. ff.) hei-vor.


GezfichMe. nicht kranUiafte Päderastie.


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sunkenen Potenz auf. Die neuartige geschlechtliche Situation macht sie sozusagen relativ potent und ermöglicht Genüsse, die ihnen der sexuelle Umgang mit dem Weib nicht mehr zu bieten vermag. Mit der Zeit erlahmt auch die Potenz für den päderastischen Akt. Dann kann der Betreffende zu passiver Päderastie kommen« als einem Reizmittel fUr die temporäre Ermöglichung der activen, gleichwie gelegentlich zu Flagellation, Zuschauen bei obseönen Sceneu (Maschka's Fall von Thierschändung!) gegriffen wird.

Den Schluss der sexuellen Th'atigkeit derartig sittÜch verkommener Existenzen bilden Unzucht aller Art mit Kindeni, CunnilingUH, Fellare und andere Scheusslichkeiten.

Diese Sorte von Paderasten ist die gemeingefährlichpte, da sie zu- nächst und zumeist Knaben nachstellt und sie an Leib und Seele verdirbt.

Schrecklich sind in dieser Hinsicht die Erfabmngen, welche Tarnowsky (op. cit. p. 53 u. ff.) in der Petersburger Gesellschaft >;esauinielt hat. Der Schau- platz dieser Bmtstätten gezüchteter Päderastie sind Institute. Alte Wollüst- linge und Urninge spielen die Rolle der Verfuhrer. Dem Verfdhrten filllt es anfangs schwer, den eklen Akt zu vollbringen. Kr nimmt zuntlchst die Phan- tasie zu Hülfe, indem er sich das Bild eines Weibes vorstellt. Allmtlhlig gewöhnt er sich an die Scheusslichkeit. Schliesslich wird er, gleichwie der durch Masturbation sexuell Verdorbene, relativ impotent dem Weib gegenüber und lüstern genug, um an dem perversen Akt Gefallen zu finden. Unter Um- ständen wird der Betreffende zum verkUuflicheu Kyneden.

Solche Existenzen sind , wie Tu rd i en's , H o fm a n n's, L i m a n*s und Taylor's Erfahrungen lehren, nicht selten in Grossstädten. Aus zahlreichen Mittheilungen, die mir von Urningen zugingen, geht auch hervor, dass gewerbs- mässige Prostitution und ftirmlicbe Prostitutionshlluser für mannmHnriliche Liebe daselbst bestehen. Bemerkenswerth sind die Coquetteriekünste, welche solche männliche Meretrices in Form von Putz, Parfüms, Kleidung mit weib- lichem Zuschnitt n. s. w. anwenden, um Puderasten und Urninge anzulocken. Diese absichtliche Nauhiiffung weiblicher Eigenthümlichkeiten findet sich übrigens spontan und unbewusät bei angeborenen und mancheti erworbenen FuUen von (krankhafter) couträrer Sexualemplindung.


Interessante, für den Psychologen und namentlich den Polizei- bearaten werthvolle Aufschlüsse Über das sociale Leben und Treiben der Päderasten bilden die folgenden Zeilen.

Coffignon» La corruption i\ Paris, p. 327, theilt die activen Pftde- rasten ein in amateurs, entretenenrs und souteneurs.

Die amateurs («rivettes") !:ind debauchirte, jedenfalls aber vielfach an- geboren contrSrsexuale Leute von Stitnd und Vermögen, die in der Befriedi- ing ihrer homosexualeu Gelüste sich hüten müssen, entdeckt zu werden. Sie ^ehen zu diesem Zweck in Lupanare, Maisuns de passe oder Privatwohnnngen weiblicher Prostituirter, die mit den mlLnnlichen auf gutem Fuss zu stehen pdegen. So entgehen sie dem Chantuge.

Einzelne dieser amateurs sind kühn genug, an öffentlichem Ort ihren abscheulichen Gelüsten zu fröhneo. Sie riskiren dabei V^erhaftnng, weniger


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GesÜcbtete, nicht krankhafte Pädenutie.


leicht (in der grossen Stadt) Cbaotage. Die Gefahr soll ihren heimlichen Genuss erhöhen.

Die entreteneurs &ind alte Sünder, die es nicht lassen können, selbst aaf die Gefahr hin, in die Hände eines Chanteors zu fallen, sich eine (mKnnliche) Maitresse zu halten.

Die souteiiears sind bestrafte Päderasten, welche sich ihren «Jesus*" halten, ihn auch ausschicken, um Kunden anzulocken (, faire cbanter les rivettes*) und womöglich dann im richtigen Moment erscheinen, um das Opfer zu rupfen.

8ie leben nicht selten in Banden zusammen, die einzelnen Mitglieder je nach ihren activen und passiven Gelüsten, als Mann oder Weib. Bei solchen Banden gibt es furmliche Hochzeiten, Trauungen, Bankett und Geleiten der Neuvermählten in ihre Gemtlcher.

Diese souteneurs ziehen sich ihre Jesus heran.

Die passiven Päderasten sind ,petits Jesus*, »Jesus* oder .Tanten*.

Die petits Jesus sind verlorene verdorbene Kinder, welche der Zufall in die Hände eines activen Päderasten führt, der sie verfuhrt und ihnen dann ihre scheussliche Erwerbsbahn eröffnet, sei es als entretenns, sei es als männ- liche Strassen hetären mit oder ohne souteneur.

In der Lehre Solcher, welche diese Kinder in der Kunst weibischer Kleidung und Haltung tinterrichteu, werden die geriebensten und gesuchtesten petits Jesus herangebildet.

AUmählig suchen sich diese dann vom Lehrer und Exploiteur zu eman- cipiren, um femme eutretenue zu werden, nicht selten sogar durch anonyme Denunciation des souteneur bei der Polizei.

Des souteneur und des petit Jesus Sorge ist, dass dieser letztere durch allerhand Toilettenkünste möglichst lange Jünglinghaft erscheine.

Die äusserste mögliche Grenze dürfte das 25. Lebensjahr sein. Dann wird jener ein Jesus und femme entretenue, wobei er meist von mehreren zu- gleich ausgehalten wird. Die Jesus zerfallen in die Kategorien der . filles galantes', d. h. solcher, die wieder in den Besitz eines souteneur geratben sind, femer der »pierreuses* (gewöhnliche coureurs de rues gleich ihren weib- lichen Kollegen) und der »domestiques*.

Diese verdingen sich zu activen Päderasten, um ihren Lüsten zu fröhnen oder auch um ihnen petits Jesus zuzubringen.

Eine Untergruppe dieser domesUqnes bilden solche, die als femme de cbambre petits Jesus ihre Dienste widmen. Ein Hauptziel dieser domestiques ist es, in ihrer Stellung sich compromittirendes Material zu verschaffen, mit Hülfe dessen sie später einmal Cbantage treiben und sich durch solche Er- pressung auf ihre alten Tage eine gesicherte Existenz schaffen können.

Die scheusslichste Kategorie unter den passiven P&derasten sind wohl die ,Tantes*, d. h, der souteneur irgend einer Prostituirten , der, eine sexuell normale Existenz, aber ein moralisches ungeheuer, Päderastie (passiv) nur aus Gewinnsucht oder zu Chantagezwecken treibt.

Die reichen amateurs haben ihre Reunions, Gesellschaftslokale, wo die passiven in weiblicher Kleidung erscheinen, scheussliche Orgien gefeiert werden. Die Kellner, Musikanten u. s. w. bei solchen Festen sind lauter Päderasten. Die filles galantes wagen es nicht, ausser im Garneval, sich in Weibertoilette auf der Strasse zu zeigen, aber sie wissen ihrem Exterieur durch etwas weib- lichen Zuschnitt der Kleidung u. s. w. ein ihr Schandgewerbe andeutendes Etwas zu verleihen.

Sie locken an durch Gesten, Handgreiflichkeiten u. s. w. und fUhren ihre Eroberungen in Hotels, Bäder oder Bordelle.

Was Verfasser über Chantage sagt, ist allgemein bekannt. Es gibt Fälle, wo sich Päderasten ihr ganzes Vermögen erpressen liessen.

Dass diese monströsen Erscheinungen der Weitstädte in Gestalt der ^p^tits Jesus aber nicht allein das Produkt einer beruflichen Züchtung, sondern


OezDclitfilfi. nicbt krankhafte Päderastie.

Tielmebr einer degenerativen Veranlagung sind, geht aas Forschungen Ton Laurent (Les bisexues" Paris 1894) hervor; der p. 175 seiner Schrift unter »hennaphroditisme artificiel* Erscheinungen der effeiuination und des „infan- tilisme* beschreibt.

Sie betreffen Knaben, die von der Pubertät ab in Skelet und UenitaLien keine Fortentwicklung zeigen, an Gesicht und Pubes keine Haarentwicklung bieten , nicht niutiren , in ihrer Intelligenz einen Rückgang erfahren. Oft geschieht es nun, dass hier secundäre physi.sche und psychische weibliche Ge- schleehtscharakt^re sich entwickeln. Kommen solche „petils garroches" (Brou- ^rdel) zur Necropsie. bo findet man kleine Blase, blosse Rudimente der Prostuta, Mangel der Mm. iscbio- und bulbo-cavernosi, infantilen Penis, sehr enges Becken.

Es handelt sich hier offenbar um schwer Belastete, die in der Pubertftt «ine Art von rudimentärem Oeschlechtswechsel erfahren.

Laurent macht nun (p. 181) die interessante Bemerkung, dass aus dieser Gesellschaft der Infantilen und Effeminirten sich die pro- fessionsmässtgen passiven Päd erasten (,petitsjesus}rekrutiren.

Es sind also offenbar degenerative und anthropologische Factoren, welche diese monströsen menschlichen Wesen zu einer solchen abscheulichen Carriüre prttdestiniren und ihrer Ausbildung dazu Vorschub leisten.

Die folgende Notiz aus einer Berliner (National-?) Zeitung vom Februar 1884, welche mir durch eiuen Zufall unter die Eaad kam, scheint geeignet, das Leben und Treiben der Fäderaaten und der Urninge zu kennzeichnen.

.Der Ball der Weiberfeinde. Fast alle socialen Elemente Berlins haben ihre geselligen Vereinigungen: die Dicken, die Kahlköpfigen, die Jung^. ffesellen. die Wittwer — warum nicht auch die Weiberfeinde? Diese psycho-' logisch merkwürdige und gesellschaftlich nicht allzu erbauliche Menschen* Bpecies hatte dieser Tage einen Ball. .Grosser Wiener Maskenball* — so lautete die Ansage: bei der Billetvertbeilung bezw. dem Billetverkauf wird mit grosser Rigorosität verfahren, die Herrschaften wollen unter sich sein. Dir Rendez-vons ist ein bekanntes grösseres Tanzlokal. Wir betreten den Saal gegen Mitternacht. Nach den KlUngen eines gutbesetzten Orchesters wird flott getanzt. Der starke Tabnksqualm, der die Gaslustres verschleiert, lässt die Details des wogenden Treibens nicht sofort hervortreten. Erst in der Tanz- pause künnen wir nähere Umschau halten. Die Masken sind bei weitem in] der Mehrzahl ; schwarzer Frack und Ballrobe erscheinen nur vereinzelt.

Doch, was ist das? Die Dame, die eben in rosa Tarlatan an uns vor- überrauscht, hat eine glimmende Oigarre im Mundwinkel und pafft wie ein Dragoner. Und ein blondes, nur leicht , weggeschminktos' Bartchen tragt sie auch. Und jetzt spricht sie mit einem starkdekolletirten , Engel* in Tricota, der mit auf dem Rücken verschränkten nackten Armen dastoht und gleichfalls' raucht. Das sind zwei Männerstimmen und die Unterhaltung ist gleichfalls stark männlich; sie dreht sich um den ^verü .... Tobak, der keine Lufl hat*. Also zwui Männer in Damenkleidem.

Ein landesüblicher Clown steht dort an einer Säule im zärtlichen Ge- spräch mit einer Balleteuse und hat seinen Arm um ihre tadellose Taille ge- schlungen. Sie hat einen blonden Tituskopf, scliarfge^chnittenes Profil und anscheinend Üppige Formen. Die blitzenden Ohrgehänge, das Collier mit dem Medaillon um den Hals, die vollen runden Schultern und Arme lassen einea^ Zweifel an ihrer .Echtheit* nicht aufkommen, bis sie mit einer plötzlichen' Wendung von dem sie umfangenden Arme sich losmacht und gähnend sich abwendet mit dem im tiefsten Bass geleisteten Stossseuizer : ,Emil, du bist


360


Gesüchtete, nicht krankhaft« Päderastie.


beute zu langweilig!" Der uneingeweihte traut seinen Augen kaum; auch die Balleteuse ist männlichen Geschlechts!

Misstrauisch mustern wir weiter. Wir vermuthen fast, hier werde ver- kehrte Welt gespielt; denn hier geht oder vielmehr trippelt ein Mann — nein, entschieden kein Mann, obgleich er ein sorgfältig gepflegtes Schnurr- bärtchen trägt. Der wohlfrisirte Lockeakopf, das gepuderte und gescbmlnkie Gesicht mit den stark .nach getuschten' Augenbrauen , die goldenen Ohr- gehänge, das von der linken Schulter nach der Brust zu verlaufende Vor- steckbouquet von lebenden Blumen , das den eleganten schwarzen Leibrock ziert, die goldenen Armbänder an den Handgelenken und der zierliche Fllcher io der weissbeganteten Hand — das sind doch keine Attribute des Mannes. Und wie eoquett er den Fftcher handhabt, wie er tänzelt und sich dreht, wie er trippelt und lispelt! Und doch! Und doch hat die grundgütige Natur diese Puppe als Mann geschafifeu. £r ist Verkäufer in einem hiesigen grossen Con- fectionsgeschäft, und die Balleteuse von vorhin ist sein , Kollege*.

Am Ecktischchen dort scheint grosser Cercle abgehalten zu werden. Mehrere ältere Herren drängen sich um eine Gruppe stark decolletirter Damen, die beim Glase Wein sitzen und — der lauten Heiterkeit nach — nicht allzu zarte Scherze machen. Wer sind diese drei DaineuV „Damen"! lächelt mein kundiger Begleiter. Nun wohlt die rechts mit den braunen Haaren und dem halblangen Phantasiecostüme ist die .Butterrieke', ihres Zeichens ein Friseur; die zweite, blonde, im Chiuisonnettüncostümo und mit dem Perlencollier ist hier unter dem Namen ,Miss Ella aufs Seil* bekannt und ihres Zeichens ein Damenschneider, — und die Dritte — nun, das ist die weit und breit be- rühmte , Lotte*.

.... Das kann aber doch unmöglich ein Mann sein? Diese Taille^ diese Büste, diese klassischen Arme, das ganze Air und Wesen ist doch aus- gesprochen weiblich I

Ich werde dahin belehrt, dass «Lotte* früher Buchhalter gewesen ist. Heute ist sie oder vielmehr er allerdings ausschliesslich .Lotte", und findet ein Vergnügen daran, die Männerwelt möglichst lang über sein Geschlecht zu täuschen. Lotte singt eben einen nicht ganz courfUhigen Chanson und entwickelt dabei eine durch langjährige Schulung erworbene Altstimme, um die sie manche Sängerin beneiden dürfte. , Lotte" hat auch schon als Damen- komiker .gearbeitet*. Heute hat sich der ehemalige Buchhalter so in die Damenrolle hineingefunden, dass er auch auf der Strasse fast ausschliesslich in Damenkleidern erscheint und sich, wie seine Wirthsleute erzählen, sogar eines gestickten Damen-Nachtnegliges bedient.

Bei genauer Musterung der Anwesenden entdeckte ich zu meiner Ver- wunderung auch allerhand Bekannte: meinen Schubmacher, den ich für alles Andere eher als für einen .Weiberfeind" gehalten; er ist heute , Troubadour* mit Degen und Federbut, und seine «Leonore" im Brautcostüm pflegt mir im Cigarreniftden die „Bock* und ,üppmann* vorzulegen. Die .Leonore*, welche in der Pause die Handschuhe abgelegt hat, erkenne ich ganz genau an den grossen, erfrorenen Händen. Richtig! da ist ja auch mein Sblipslieferant. Er läuft in einem bedenklichen Costüm als Bacchus umher und ist der Seladon einer widerwärtig ausstafärten Diana, die sonst in einem Weissbierlokal als Kellner fungirt. Was an wirklichen , Damen* auf dem Balle verkehrt, ent- zieht sich der üffentUchen Schilderung. Jedenfalls verkehren sie nur ganx unter sich und vermeiden jede Annäherung an die weiberfeindlichen Männer, während diese wieder konsequent unter sich bleiben und sich aroüsiren, die holde Weiblichkeit aber gänzlich ignoriren.


Diese Thatsacben verdienen die volle Aufmerksamkeit der Polizei- behörden, welche in die Lage versetzt sein sollten, gesetzlich ebenso


OeEQchtetef nicht krankhafte r&deraatie.


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eine Handhabe gegen die männliche Prostitution zn besitzen. wie sie eine solche gegen die weibliche haben.

Jedenfalls ist die mannliche Prostitution viel gefährlicher fttr die Gesellschaft als die weibliche und der grössfce Schandfleck in der Geschichte der Menschheit.

Aus Mittheilungen eines höheren Polizeibeamleu in Berlin ersehe ich, dass die Berliner Polizei die männliche Deraimonde der deutschen Hauptstadt genau kennt und Alles aufbietet, um das Erpresserthum unter den Fäderasten, die ^^elfach selbst vor dem Mord nicht zurückschreckt, mit allen Mitteln zu bekämpfen.

Die obigen Thatsachen rechtfertigen den Wunsch, dass der Gesetz- geber der Zukunft wenigstens aus UtilitätsgrDnden auf die Verfolgung der Päderastie verzichte.

Bemerkenswerth in dieser Hinsicht ist, dass der Code frani^ais sie straflos lässt, so lange sie nicht zugleich ein «outrage public ä la pudeur" bildet. Wohl aus rechtspolitischen Gründen übergeht auch der neue italienische Strafcodex das Delict der wideraattirlichen Unzucht mit Schweigen, gleichwie die Gesetzgebung Hollunds und. soweit ich Kenntniss habe, die Belgiens und Spaniens.

Inwieweit gezüchtete Päderasten noch phj'sisch und moralisch als gesund zu betrachten sind, mag dahingestellt bleiben. An genitalen Neurosen leiden wohl die meisten. Jedenfalls finden sich hier fliessende üebergänge zur erworbenen krankhaften conträren Sexualempfindung (s. p. 185). Die Zurechnungsfähigkeit dieser jeden- falls noch tief unter dem sich pn)stituirenden Weib stehenden Existenzen kann im Allgemeinen nicht bestritten werden.

Die verschiedenen Kategorien der mannmännlich liebenden Indivi- duen lassen sich bezüglich der Art ihrer Qeschlechtsbefriedigung im Grossen und Ganzen dahin charakterisiren, dass der geborene Urning nur ausnahmsweise Päderast wird und dazu eventuell kommt, nach- dem er die anderweitigen zwischen männlichen Individuen möglichen Unzuchtshandlungen durchgemacht und erschöpft hat.

Passive Päderastie ist ideell und praktisch die ihm adäquate Art des sexuellen Aktes. Active Päderastie übt er allerdings aus Gefällig- keit. Das Wichtigste ist die angeborene und unwandelbare Perversion der Geschlechtsenipöndung. Anders der gezüchtete Päderast. Er hat normal geschlechtlich gehandelt oder wenigstens empfunden, und episodisch oder nebenher verkehrt er mit dem anderen Geschlecht.

Seine geschlechtliche Perversität ist weder originär noch unwandel- bar. Er beginnt mit Päderastie und hört eventuell auf mit anderen, mit Schwäche des Erections- und Ejaculationscentrums verträglichen sexuellen Praktiken. Sein sexuelles Sehnen auf der Höhe der Leistungsfähigkeit


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Imputirte, aber nicht erwiesene Päderastie.


ist nicht passive, sondern active Päderastie. Zu passiver versteht er sich gleichwohl aus Gefälligkeit oder aus Gewinnsucht in der Rolle der männ- lichen Hetäre, oder als Mittel, um im Zustande erlöschender Potenz ge- legentlich doch die active Päderastie zu Stande zu bringen.

Eine hassliche Erscheinung, der noch hier im Anhang gedacht werden möge, ist die Paedicatio mulierum*), nach Umständen selbst uxorum I Wüstlinge vollziehen sie zuweilen aus besonderem Kitzel an feilen Dirnen oder selbst an ihren Ehefrauen. Tardieu gibt Beispiele, wo Männer neben Coitus ihre Ehefrauen zeitweise pädicirten! Zuweilen kann Furcht vor neuerlicher Schwängerung den Mann zu dieser Hand- lung bestimmen und das Weib veranlassen, den Akt zu toleriren!

Beobachtung 205, Impntirte. aber nicht erwiesene Pftde-

rastie. Ergebnisse aus den Akten.

Am 30. Mai 1888 wurde Dr. ehem. S. in H. durch einen anonymen Brief bei seinem Schwiegervater beschuldigt, er stehe mit dem 19 Jahre alten Fleiscbhauersohne G. in einem unäittlicben Verhältniss. Dr. S. erhielt den Brief, eilte, empört über dessen Inhalt, zu seinem Vorgesetzten, welcher ver- sprach, discret in dieser Angelegenheit vorgehen und sich bei der Polizei er- kundigen zu wollen, ob und was eventuell Über diese Angelegenheit im Publikum gesprochen werde.

Am Morgen des 31. Mai verhaftete die Polizei den in der Wohnung des Dr. S. an Gonorrhöe und Orchitis krankliegenden G. Dr. S. bemühte sich beim Staatsanwalt um Entlassung des G. und bot Caution an, was aber ab- gelehnt wurde. In seiner Eingabe an das Landgericht gibt Dr. S. an, dass er vor 3 Jahren den jungen G. auf der Strasse kennen lernte, ihn dann aus den Augen verlor, im Herbst 1Ö87 im Laden seines Vaters wieder traf. G. besorgte vom November 1887 ab dem Dr. 8. den FJeischbedarf für dessen Küche, kam Abends, um die Bestellung entgegenzunehmen, und am folgenden Morgen, um die Waare zu bringen. Dr. S. wurde so mit G. näher bekannt und all- mtihlig befreundet. Als S. erkrankte und bis Mitte Mai 1888 meist auf dem Krankenlager war, erwies ihm G. so viel Aufmerksamkeiten, dass ihm 8. und dessen Frau ob seines harmlosen, kindlichen, heiteren Wesens herzlich gewogen wurden, Dr. S. zeigte und erklärte ihm seine Sammlungen von Alterthümem, und die Beiden verbrachten die Abende gesellig zusammen, wobei auch meist Frau Dr. S. sich betheiligte. Ausserdem will S. mit G. Versuche über Wurst- und Geleefabrikation u. s. w. angestellt haben. Ende Februar 1888 erkrankte G. an Gonorrhöe. Da Dr. S. ihn als Freund schätzte, Liebe zur Kranken- pflege hatte und mehrere Semester Medicin studirt hatte, nahm er sich des G. an, gab ihm ein Medikament u. s. w. Da G. noch im Mai krank war und aus verschiedenen Gründen ein Verlassen des elterlichen Hauses wünschenswerth war, nahm ihn das Ehepaar S. zur weiteren Pflege in die eigene W^ohnung.

S. weist alle daraus erflossenen Verdllchtigungen entrüstet zurück, stützt sich auf sein ehrenhaftes Vorleben, seine gute Erziehung, auf den Umstand, dass G. damals mit einer ekelhaften, ansteckenden Krankheit behaftet war


') Vgl. Tardieu. Attentats, p. 198. — Martineau, Beutcche med. Ztg. 1882, p. 9. — Virchow'a Jahrb. 1881- I, p. -533. — Coutagne, Lyon m^dicat 1880. Nr. 95. 86. — Eulenburg in Zalzer's »Klin. Handbuch d. Harn- u. Sexual* Organe', IV. Äbtheil., p. 45 berichtet F^Ue aus ueiner Erfahrung, in welchen Frauen auf Ehescheidung klagten , weil der Ehemann angestrebter Kinderlosigkeit wagen sie (ausschliesslich) pädicirte.


und 8. selbst an einer schmerzhaften Krankheit (Nierensteine mit zeitweiser Kolik) ütt.

Gegenüber dieser barmlosen Dai'stellung des S. müssen aber folgende gerichtlich constatirte und bei der ersten Urtheilsschöpfung verwerthete That- sachen berücksichtigt werden.

Das Verhftltniss des S. zu G. hatte sowohl tiei Privatpersonen als auch in WirthshUusern seiner Anstössigkeit halber Anlass zu Bemerkungen gegeben. 6. brachte meist die Abende im Familienkreise des 8. zu, wurde zuletzt ganz heimisch daselbst. Die Beiden machten gemeinschaftliche Spaziergänge. Auf einem solchen äusserte sich einmal S. zu G., er sei ein hübscher Junge, er habe ihn lieb. Damals war auch von geschlechtlichen Ausschweifungen, u. a. von Päderastie, die llede. S. will dieses Thema nur berührt haben, um den G. davor zu warnen. Bezüglich des hHuslichen Verkehrs ist erwiesen, dass S., auf dem Sopha sitzend, den G. bisweilen um den Hals nahm und küsate. Dies geschah sowohl in Gegenwart der Frau des 8. als auch des Dienst- mädchens. Als G. an Gonorrhöe krank war, unterrichtete ihn S. in der An- wendung der Einspritzungen und nahm dabei dessen merabrum in die Hand. G. gibt an, dass 8. auf seine Frage, warum er ihn so lieb habe, erwiderte: „Ich weiss es selbst nicht." Wenn G. einige Tage ausblieb, beklagte sich S. mit Thränen in den Augen, wenn er wiederkam, darüber. Auch theilte ihm S. mit, seine Khe sei keine glückliche, and bat G. unter Thränen, er möge ihn nicht verlassen, er müsse ihm Ersatz für seine Frau bieten.

Aus all dem folgerte die Anklage mit Berechtigung, dass das Verhultniss zwischen den beiden Angeklagten eine geschlechtliche Richtung hatte. Dass Alles fiffentlich und von Jedermann erkennbar geschah, spricht nach der An- klage nicht für die Harmlosigkeit des Verhältnisses, sondern vielmehr für die Höhe der Leidenschaft des 3. Zugegeben wird das makellose Vorleben des Angeklagten, sein ehrenhaftes Verhalten und sein weiches Geraüth. Wahr- scheinlich gemacht wird das nicht glückliche eheliche Verhültniss des S. und dass er eine sinnlich angelegte Natur war.

G. wurde im Laufe der Untersuchung wiederholt gerichtsärztlich ex- plorirt. Er ist von kaum mittlerer Grösse, blasser Gesichtsfarbe, kräftigem Körperbau. Penis und Hoden sind sehr kräftig entwickelt.

Uebereinstimmend wurde gefunden, dass der After durch Faltenlosigkeit in seiner Umgebung, ErschlaflFung des Schliessmuskels krankhaft verändert sei und dass diese Veränderungen einen Wahrscheinlichkeitsschluss auf passive Päderastie gestatten.

Auf diese Thatsachen gründete siob die Urtheilsschöpfung. Sie erkannte an, dass das zwischen den Angeklagten bestandene Verhältniss nicht mit Koth- wendigkeit auf widernatürliche Unzucht hinweise, ebensowenig der an G. fest- gestellte körperliche Befund für sich allein diesen Beweis liefere.

Aus der Vorbindung dieser beiden Momente gewann Jedoch der Gerichts- hof die Üeberzeugang von der Schuld der beiden Angeklagter und erachtete für erwiesen: .dass der abnorme Zustand am After des G. durch das längere Zeit hindurch fortgesetzte Einführen des Gliedes des Angeklagten S. in den- selben hervorgerufen wurde, und dass sich G. willig dazu hergab, die Vor- nahme dieser unzüchtigen Handlungen an sich duldete.'

Damit erschien der Thatbestand des § 175 H.-St.-G.-B. festgestellt. Bei Bemessung der Strafe wurde der Hildungscrad des S., sowie dass er offenbar der Verführer des G. war, bei letzterem diese llücksieht, sowie sein jugend- liches Alter, bei Beiden endlich ihre bisherige Unbescholtenheit in Betracht gezogen und demgemäss Dr. S. zu Gef^ngnissstrafe von 8 Monaten, G. zu einer solchen von 4 Monaten verurtheilt.

Die Verurtheilten legten Revision beim Reichsgericht in Leipzig ein und bereiteten sich vor, bei eventueller Verwerfung ihres Gesuches nm Revision


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Imputirte, aber nieht erwieseiie PSdeitutie.


Materialien zu gevriDcen, um die Wiederanfnahme des Verfahrens herbeiföhreu zxx können.

Sie anterwarfen sich einer Uatersnchung und Beobachtong dnrch her- vorragende Fachmänner. Diese erklärten, dass nacb den Befanden am After des G. keinerlei Anhaltspunkte für stattgehabte passive Päderastie vorbanden seien.

Da es den Betbeiligten von Werth acfaien. anch die psychologische Seite dAS Falles, auf die im Process nicht eingegangen worden war. klar zu stellen, warde der Verfasser mit der Cntersuchong nnd Beobachtung des Dr. S. und des G. betrant.


Ergebnisse der persönlichen Exploration vom 11. bis 13. De- oember 1888 in Graz.

Dr. S., 37 Jahre alt, seit 2 Jahren verheirathet , kinderlos, geweseneir Vorstand des städtischen Laboratoriums in U., stammt von einem Vater, der infolge grosser Thätigkeit nervös gewesen sein soll, mit ^j7 Jahren einen Schlag- anfall erlitt und mit t>7 Jahren an einer erneuten Apoplexie zu Grunde ging. Die Mutter lebt, wird als eine rüstige, aber seit Jahren nervenleidende Per- S/Jnlichkeit geschildert. Deren Mutter starb ziemlich bei Jahren, angeblich an einer Geschwulst des Kleingebirns. Ein Bruder des Vaters der Mutter soll Trinker gewesen sein. Des Vaters Vater starb früh an Gebirnerweichang.

Dr. S. hat zwei Brüder, die sich völliger Gesundheit erfreuen.

Er selbst erklärt, von nervösem Temperament, kräftigpr Constitution gewesen zu sein. Nach einem acuten Gelenkrheumatismus, den er im 14. Jahre durchmachte, will er einige Monate un grosser Nervosität gelitten haben. In der Folge litt er oft an rheumatischen Beschwerden, sowie Herzklopfen und Kurzathmigkeit. Diese Beschwerden verloren sich allmählig unter dem Ge- brauch von Seebädern. Vor 7 Jahren zog er sich eine Gonorrhöe zu. Diese Tripperkrankbeit wurde chronisch und verursachte längere Zeit Blasen- beschwerden.

1887 erlitt Dr. 8. den ersten Anfall von Nieren steinkoUk. Solche Anflllle wiederholten sich im Winter 1887 — 1886 mehrmals, bis am 1^>. Mai 1888 ein ziemlich grosser Nierenstein abging. Seither war sein Befinden ein ziemlich befriedigendes. So lange er steinleidend war, will er beim Coitus, im Moment der Samenergiessung, einen heftigen Schmerz in der Harnröhre verspürt haben, desgleichen wenn er urinirte.

Bezüglich seines Curriculum vitae gibt S. an, er habe bis zum 14. Jahre das Gymnasium besucht, von da an, infolge seiner schweren Erkrankung, privatim weiter studirt. Darauf sei er 4 Jahre in einem Droguengeschäft gewesen, habe dann sechs Semester medicinischen Studien auf der Universität obgelegen, im 1870er Krieg als freiwilliger Krankenpfleger Dienste geleistet. Da er kein Abiturientenzengniss besass, habe er das Studium der Medicin auf- gegeben, den Dr. philos. erworben, dann in K. an der Mineraliensammlung, später in H. als Assistent des mineralogischen Instituts gedient, dann Special- studien im Gebiete der Chemie der Nahrungsmittel gemacht und vor 5 Jahren die Stelle eines Vorstandes des städtischen Laboratoriums übernommen.

Explorat macht alle diese Angaben in prompter, präciser Weise, besinnt sich nicht auf »eine Antworten , so doss man immer mehr den Eindruck gewinnt, dass man es mit einem wahrheitsliebenden und die Wahrheit sprechen- den Menschen zu thun habe, um so mehr, als in den Explorationen der folgenden Tage die Angaben durchaus identisch lauten. Binsichtlirh seiner Vita sexualis gibt Dr. S. in bescheidener, decenter und offener Weise an, dass er vom 11. Jahre an sich über den Unterschied der Geschlechter klar zu werden begann, bis zum 14. Jahre einige Zeit der Onanie ergeben war, mit 18 Jahren zum ersten Mal und in der Folge mUssig coitirte. Sein sinnliches Verlangen sei nie sehr gross gewesen, der sexuelle Akt bis auf die letzte Zeit noch Jeder Richtung normal mit befriedigendem Wollustgefühl nnd Potenz. Seit seiner


Tmputirte, aber nicht erwiesen«' Pilderajitie.


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vor 2 Jahren goAchlossenen Ehe habe er ausschliesslich mit seiner Ehefrau, die er aus Neigung geheirathet und noch jetzt herzlich liebe« coitirt, mindestens mehrmals in der Woche.

Frau Dr. S., deren Einvernehmung dem Gutachter möglieh war, bestätigte vollinbalilich diese Angaben.

Alle Kreuz- und Querfragen im Sinne einer perversen Geschlechtsempfin- düng dem Manne gegenüber beantwortete Dr. S. in den wiederholten Explora- tionen negativ, voUkomrapn übereinstimmend und ohne je auf die Antwort sich zu besinnen. Selbst als man ihn in eine Falle zu locken versucht, indem man ihm vorstellt, dass der Nachweis einer perversen Gesehlecbtsempßndung für die Zwecke der Begutachtung höchst forderlich wÄre, bleibt er bei seinen Angaben. Man gewinnt den werthvoUen Eindruck, dass S. von den Thatsachen der Wissenschaft über mannmännliche Liebe nicht das Mindeste weiss. ^ erfahrt man, dass seine Pollutionsträume nie Mftnner zum Inhalte hatten, dass ihn nur weibliche Nuditäten interessirten , dass er sehr gerne auf BUllen mit Damen tanzte u. s. w. Spuren irgendwelcher sexuellen Inclination zum eigenen Geschlecht sind an S. in keiner Weise zu entdecken. Bezüglich des Verhält- nisses zu G. äussert sich Dr. S. genau so, wie er in der Untersuchung vor dem Richter angegeben hat. Er weiss seine Neigang zu G. nur dadurch zu erkitlreu, dass er ein nervöser Mensch, ein Gemüths- und Rührungsmenscb sei, sehr emplUnglich für freundliches Entgegenkommou. Er habe sich in seiner Krankheit vereinsamt und verstimmt gefühlt; seine Frau sei häutig fort im Elternhause gewesen, und so sei es vorgekommen, dass er mit dem gutmüthigen, artigen G. befreundet worden sei. Er habe noch jetzt ein Faible für ihn, fühle sich in seiner Gesellschaft auffallend ruhig und zufrieden.

Er habe schon 2mal früher solche innige Freundschaften gehabt, so als er noch Student war, einem Corpsbruder gegenüber, einem Dr. A., den er auch umarmt und geküsst habe; später einem Baron M. gegenüber. Wenn er diesen einige Tage nicht sehen konnte, sei er ganz trostlos gewesen bis zum W^ einen.

Eine solche Gemüthsweichheit und Anhänglichkeit habe er such Thieren gegenüber. So habe er einen Pudel, der vor einiger Zeit starb, betrauert wie ein Familienglied, das Thier oft geküsst. (Bei Erwähnung dieser Erinnerungen treten Eiplorat Thränen in die Augen.) Diese Angaben werden vom Bruder des Exploraten bestätigt mit dem Bemerken, dass bezüglich der auffallenden Freundschaft seines Bruders mit A. und M. auch der leiseste Verdacht sexueller Färbung oder gar Beziehung aiisgeächlossen erscheine. Auch das vorsichtigste und eingehendste Examiniren des Dr. S. ergibt für derartige Vermulhungen nicht den geringsten Anhaltspunkt.

Er behauptet, auch dem G. gegenüber nie die geringste sinnliche Regung, geschweige Erection oder gar sinnliches Verlangen gehabt zu haben. Die an Eifersucht grenzende Zuneigung zu G. motivirt S. einfach mit seinem senti- mentalen Temperament und mit seiner überschwUnglichen Freundschaft. 0. stehe ihm noch jetzt so nahe, wie wenn er sein Sohn wäre.

Bezeichnend ist, dass S. erklärt, wenn G. ihm von seinen galanten Aben- teuern mit Frauenzimmern erzählte, hübe es ihn nur gekränkt, dass G. Gefahr lief, durch seine Ausschweifungen sich zu schaden, seine Gesundheit zu ruiniren. Ein Gefühl der eigenen Kränkung habe er dabei nie empfunden. Wenn er heute ein braves Mädch'.'n für G. wüaste, so möchte er ihm dasselbe herzlich gOnnen und behufs EheschlieHsung Vorschub leisten.

S. will erst im Laufe der gerichtlichen Untersuchung eingesehen haben, dass er unklug handelte im socialen Verkehr mit G., indem er sich dadurch in das Gerede der Leute brachte. Mit der Harmlosigkeit dieses Freundschafts- verhältnisses erklärt er dessen Oeffentlichkeit.

Bemerkenswerth ist. dass Frau Dr. S. im Verkehr zwischen ihrem Mann und G. nie etwas Verdächtiges bemerkte, während doch die einfachste Frau


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Imputirie, aber nicht erwiesene PUderastde.


schon ganz instinktiv derlei bemerken würde. Fran S. hat anch an der Auf- nahme des 6. ins S/scbe Haus keinen Anstand genommen. Sie macht in dieser Hinsicht geltend, dass das Fremdenzimmer, in welchem G. krank lag, im ersten Stock sich befindet und die Familienwohnuwg im dritten Stock; dass femer 8. nie allein mit G.» während er im Hause war, verkehrte. Sie erklärt, von der Unschuld ihres Mannes überzeugt zu sein und ihn nach wie vor zu lieben.

Dr. S. gibt rückhaltlos zu, dass er G. früher oft geküsst und mit ihm auch über geschlechtliche VerhUltnisse gesprochen habe. G. sei n&mlich sehr auf Weiber aus, und da habe er ihn aus Freundschaft gewarnt vor geschlecht- lichen Ausschweifungen, namentlich dann, wenn G., wie dies oft geschah, infolge sexueller Debauchen schlecht aussah.

Die Aeusserung, G. sei ein hübscher Mensch, habe er allerdings einmal gemacht, aber in ganz harmloser Beziehung.

Das Küssen des G. sei aus überschwänglicher Freundschaft erfolgt, wenn G. ihm gerade eine besondere Aufmerksamkeit oder Freude erwiesen habe. Niemals habe er dabei irgend eine sexuelle Empfindung verspürt. Auch wenn er hie und da einmal von G. träumte, sei dies in ganz harmloser Weise geschehen.

Von grossem Werth erschien es dem Verfasser, auch über die Person* lichkeit G.'s ein ürtheil j/ewinnen zu können. Von der gebotenen Gelegenheit wurde am 12. December d. J. ausgiebiger Gebrauch gemacht.

G. ist ein etwas zart gebauter, dem Alter — 20 Jahre — entsprechend entwickelter, neuropathisch und sinnlich erscheinender junger Manu. Die Geni- talien sind normal und kräftig entwickelt. Den Befund am After glaubt der Verfasser übergehen zu dürfen, da er sich nicht berufen fühlt, über jenen ein Urtheil abzugeben. Bei längerem Verkehr mit G. bekommt man den Eindruck eines harmlosen, gutmüthigen, nicht hinterlistigen Menschen, der leichtsinnig, aber keineswegs sittlich verdorben ist. Nichts in Kleidung und Benehmen deutet auf perverse Geschlechtsempfindung. Im Sinne einer männlichen Cour- tisane kann nicht der leiseste Verdacht sich regen.

G., in medias res geführt, spricht sich dahin aus, dass 8. und er im Gefühl ihrer Unschuld die Sache so gesagt hätten, wie sie wirklich war, und daraus habe man den ganzen Process aufgebauscht.

Anfangs sei ihm die Freundschaft des S. und namentlich das Küssen selbst auffällig vorgekommen. Später habe er sich übeaeugt, dass es blosse Freundschaft war, und sich darüber nicht mehr gewundert.

G. habe den 8. als väterlichen Freund erkannt und, da er ihm so un- eigennützig entgegenkam, ihn gerne gehabt.

Der Ausdmck „hübscher Junge sei gefallen, als Q. eine Liebschaft hatte und wegen einer glücklichen Zukunft S. seine Befürchtungen aussprach. Da habe ihn S. getröstet und gesagt, er habe ja ein angenehmes Aeussere und werde schon eine Parthie machen.

Einmal habe *S. ihm, G., geklagt, dass seine Frau Neigung zum Trinken habe, und sei bei dieser Mittheilung in Thränen ausgebrochen. Da sei G. gerührt über das Unglück seines Freundes gewesen. Bei dieser Gelegenheit habe ihn 3. geküsst und um seine Freundschaft und häufigen Besuch gebeten.

S. habe nie spontan das Gespräch auf sexuelle Dinge gebracht. Als ihn G. einmal fragte, was Päderastie sei, von der G. in England viel gehört haben will, habe ihm S. dies erklärt.

G. gibt zu, dass er ein sinnlich, veranlagter Mensch sei. Mit 12 Jahren sei er durch Reden der Lehrlinge in das Geschlechtsleben eingeweiht worden. Er habe nie onanirt, mit 18 Jahren zum ersten Mal coitirt, seither fieissig das Bordell besucht. Nie habe er eine Neigung zum eigenen Geschlecht verspürt, nie, wenn ihn S. küsste, eine sexuelle Regung; empfunden. Er habe immer mit Gennss und ganz normal coitirt. Seine Traumpollutionen seien immer von lasciven Bildern, Weiber betreffend, begleitet gewesen. Die Insinuation,


Imputirte, aber niclii erwiesene P&derastie.


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paBBiver Päderastie ergeben gewesen za sein, weist er mit Berofang auf seine Descendenz ans gesunder und anständiger VamiÜfi entrüstet zurück. Bis zum Auftauchen der bezüglichen Gerüchte sei er barmlos und ahnungslos gewesen. Die an seinem Anus gefundenen Anomalien versucht er zu erklären, wie es in den Akten zu ersehen ist. Automastnrhation in ano stellt er in Abrede.

Bemerkt zu werden verdient, dass Herr J. S. über angebliche mann- männliche Liebe seines Bruders nicht minder erstaunt gewesen sein will, als andere seinem Bruder nahestehende Leute. Allerdings habe er auch nicht begreifen können, was den Bruder an G. fesselte, und duss alle Vorstellungen, die Dr. S. von seinem Bruder bezüglich des Verhaltens G. gegenüber gemacht wurden, vergebens waren.

Der Untersuchende hat sich die Mühe genommen, Dr, S. und G., als sie in Gesellschaft ron S.*s Bruder und Frau Dr. S. in Graz soupirten, in unauf- flilliger Weise zu beobachten. Diese Beobachtung ergab nicht das Mindeste im Sinne einer verbotenen Freundschaft.

Der Gesammteindruck, den mir Dr. S. machte, war der eines nervösen, sanguinischen, etwas überspannten Individuums, dabei gntmüthig, offenherzig und vorwaltend Gemüthsmensch.

Dr. S. ist körperlich kräftig, etwas korpulent, mit leicht brachycephalem, symmetrischem Schädel. Die Genitalien sind stark entwickelt, der Penis etwas bauchig, Vorhaut etwas hypertrophisch.

Outachten.

Päderastie ist eine im heutigen Dasein der Menschen leider nicht seltene, immerhin aber bei den Bevölkerungen Europas ungewöhnliche, perverse, selbst monströs zu nennende Art der geschlechtlichen Befriedigung. Sie setzt eine angeborene oder erworbene Perversion des geschlechtUcben Empfindens, zu- gleich einen originären oder durch krankhafte Einflösse erworbenen Defekt sittlicher Gefühle voraus.

Die gerichtlich medicinische Wissenschaft kennt genau die physischen und psychischen Bedingungen, auf Grund welcher die^e Verirrung des Ge- schlecntslebens vorkommt, und im concreten und namentlich zweifelhaften Fall erscheint es geboten, nachzuforschen, ob auch diese empirischen, subjectiven Bedingungen für Päderastie vorhanden sind.

Dabei ist wieder wesentlich zu unterscheiden zwischen aktiver und passiver Päderastie.

Aktive Päderastie kommt vor: T. Als nicht krankhafte Erscheinung:

1. Als Mittel der sexuellen Befriedigung bei grossem geschleohtlichen Bedürfniss und erzwungener Enthaltung von natürlichem Ge- schlechtsgenufls.

2. Bei alten Wüstlingen, die, in normalem Gescfalechtsgenuss über- sättigt und mehr oder weniger impotent geworden, überdies sitt- lich dcpravirt, zur Päderastie greifen, um durch diesen neuartigen Reiz ihre Wollust aufzukitzeln, ihrer psychischen und somatischen tief gesunkenen Potenz wieder aufzuhelfen.

3. Traditionell bei gewissen Völkern auf tiefer Culturstufe, bei un- entwickelter Gesittung und Moral.

n. Als krankhafte Erscheinung:

1. Auf Grund angeborener contrftrer Serualempfindung, bei Abscheu vor dem geschlechtlichen Verkehr mit dem Weib, bis zur absoluten Unfähigkeit dazu. Wie schon Gasper wusste. ist aber hier Päde- rastie sehr selten. Der sogenannte Urning befriedigt sich am Manne


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Impatiil«, aber nicht erwietene Päderastie.


durch passive oder mutuelle Onanie oder beischlafsäliDUche Hand- lungen (z. B. CoituB inter femora) und gelangt zur Päderastie nar buchst ausnahmsweise aus geschlechtlicher Brunst oder aus Ge- fälligkeit bei tiefstehendem oder tiefgeKunkenem moralischen Sinn. 2. Auf Grund erworbener krankhafter Semalemiifindung:

a) Durch langjährige Onanie, die endlich impotent dem Weibe gegenüber machte, bei fortbestehender reger Geschlechtslust.

b) Durch schwere psychische Krankheit (Altersblödsinn, Hirn- erweichung der Irren etc.), bei welcher eine Verkehrung der Geschlechtsempfindung steh einstellen kann.

Passive Päderastie kommt vor: I. Als nicht krankhafte Erscheinung:

1. Bei Individuen aus der Hefe des Volkes, die das Unglück hatten, von Wollüstlingen im Knabenalter verführt zu werden , deren Scbmen; und Ekel durch Geld aufgewogen wurde, die sittlich ver- kamen und herangewachsen so tief gesunken waren, dass sie sioh in der Rolle männlicher HetJtren gefielen.

2. Unter analogen Verhältnissen wie bei I. 1. als Belohnung für aktiv gestattete Päderastie.

II, Als krankhafte Erscheinung:

1. Bei mit conträrer Sexaalempfindung Behafteten, als Gegenleistung au Männer für erwiesene Liebesdienste, unter üeberwindung von Schmerz und Ekel.

2. Bei sich dem Manne gegenüber als Weib fühlenden Urningen ans Drang und Wollust. Bei solchen Weibmännern besteht Horroi feminae und absolute UnHLhigkcit zu sexuellem Verkehr mit dem, Weibe. Charakter und Neigungen sind weibisch.

Dergestalt sind die von der gerichtlichen Medicin und Psychiatrie ge- sammelten Erfahrungen. Vor dem Forum der medicinischen Wissenschaft bedarf es des Nachweises, dass ein Mann in eine der obigen Kategorien gehöre, um glaubhaft zu machen, dass er Päderast sei.

Vergebens forscht man in dem Vorleben und in der Erscheinung des Dr. S, nach Merkmalen, die ihn in eine der für aktive Päderastie wissenschaftlicb feststehenden Kategorien einreihen Hessen. Er ist weder die zu sexueller Abstinenz genöthigte, noch die durch Debauchen gegenüber dem Weibe im- potent gewordene, noch die mannliebend geborene, noch dnrch Masturbatioa dem Weibe entfremdete und durch fortbestehenden Geschlechtsreiz zum Manne gedrängte, noch die durch schwere geistige Erkrankung sexuell pervers ge- wordene Persunliehkeit.

Es mangeln ihm sogar die allgemeinen Bedingungen fUr Päderastie — sittliche Imbecülität oder sittliche Depravation einer- und übergrosse Geschleohts- lust andererseits.

Ebenso unmöglich ist die Unterbringung des Complioen G. in einer der empirischen Kategorien passiver Päderastie, denn er besitzt weder die Eigen- schaften der männlichen Hetäre, noch die klinischen Kennzeichen des effemi- nirten, noch die anthropologischen und klinischen Stigmata des Weibmannes. Von allem ist er das Gegentheil.

Wollte man medicin isch-wissenscbaftlich ein päderastisches Verhältniss zwischen den Beiden plausibel machen, so hätte Dr. S. die Antecedentien und Merkmale des activen Päderasten sub I. 2. und G. die der passiven sab II. 1. oder 2. zu bieten !

Vom gerichtlich psychologischen Standpunkt aus ist die dem Verdikt za. Grunde liegende Annahme unhaltbar.


Amor lesbicus.


3(j9


Mit demselben Recht könnte man Jedermann Ptir einen Päderasten halten. Es bleibt übrig zu erwägen, ob psychologisch die von Dr. S. und G. Abgegebenen Krklftmngen für ihre immerhin auff^lige Freundschaft stich- haltig sind.

Psychologisch steht ea nicht ohne Analogie da, doss ein so gemüths- weicher und excentrischer Mann wie S. - auch ohne alle sexuelle Regungen — in ein transcendentales Freundschaftsverhältniss eintritt.

Es genügt T an die innige Freundschaft in Mädohenpensionaten, an die aufopfernde Freundesliebe sentimentaler junger Leute überhaupt, an die Zärt- lich keit* welche der empfindsame Mensch zuweilen selbst einem Hausthiere gegenüber erweist — wo doch Niemand an Sodomie denken wird — xu erinnern. Bei der psychologischen Eigenart des S. ist eine iiberschwilngliche Freundschaft dem jungen G. gegenüber immerhin begreiflich. Aus der Offenheit dieser Freundschaft lüsst sich viel eher auf deren Harmlosigkeit, als auf sinnliche Leidenschaft schlie&seu.

Es gelang den Verurtheilten , die Wiederaufnahme des Verfahrens zu erreichen. Am 7, Mäi-z 181^*0 fand die neuerliche Hauptverhundlung statt. Sie lieferte für die Angeklagten bezüglich der Zeugenaussagen wesentlich ent- lastende Thatsachen.

Die frühere sittliche Lebensführung des S. wurde allgemein anerkannt. Die barmherzige Schwester, welche den erkrankten 0. im S. 'sehen Hause pflegte, fand im Verkehr zwischen S. und G. nie etwas Bedenkliches. Die früheren Freunde des S. bezeugten seine Moralit&t, seine innige Freundschaft und seine Gepflogenheit, sie beim Kommen und Gehen zu küssen. Die fiikher am Anu8 des Q. vorgefundenen Veränderungen fanden sich nicht mehr vor. Einer der vom Gerichtshof geladenen Sachverständigen gab die Möglichkeit zu, dass sie durch blosse Digitalmanipulation entstanden waren. Ihr diagnosti- scher Werth wurde von den vom Vertheidiger geladenen Sachverständigen überhaupt bestritten.

Der Gerichtshof erkannte hierauf, dass der Beweis des imputirten Ver- brechens nicht gelangen sei, und fäUte ein freisprechendes Erkenntniss.


Amor lesbicus *).

Die foronsiscbe Bedeutung ist eine sehr geringe da, wo es sich um Verkehr unter Erwachsenen bandelt. Praktisch könnte sie nur m Oesterreich in Betracht kommen. Als Pendant zum ürningthum hat diese Erscheinung anthropologisch-klinischen Werth. Das Verhältniss ist mutatis mutandis das gleiche wie bei Männern. An Häufigkeit scheint der Amor lesbicus dem maiinmänulichen Verkehr nicht nachzustehen. Dio grosse Mehrzahl der weiblichen Urninge folgt nicht einem angeborenen Drang, sondern entwickelt sich unter analogen Bedingungen wie der gezüchtete Urning.

Besonders gedeiht diese , verbotene Freundschaft" in den weiblichen Strafanstalten.


  • ) Vgl. Mayer. Fried reich's Blatter 1875. p. 41. — Krausolil. Melan-

^oUe und £^chuld 1884, p. 20. — Andronioo. Archiv, di psich. scienze penali et aolhropol. crim. Vol. IH. p. I4.V — Chevalier, L'inversion sexuelle. Paris 1893, p. 217 (sehr eingehende Darstellung der .saphischen Liebe* im rooderneu Fari«). V Krfttft-Kbing, Pnychopaihia icxaaüi. 10 Auil. '^


370


Amor lesbicus.


Kraueold (op. cit.) bencbtet: |Die weiblichen liefaogeneii schliesseu oft solche Freundsfliaftfm, bei denen es allerdings , wenn möglich, auf ein inntuelles Maoustnpriren hinausli(Qft.

Allein nicht nur vorübergehende manuelle BefriedijvOing ist der Zweck solcher Freundschaften. Sie werden auch für längere Zeit, sozusagen systeuia- tisüh geschlossen, wobei sich eine horrende Eifersucht und die Glnth der Liebe entwickelt, wie sie unter Personen verschiedenen Geschlechts kaum heftiger vorkommen kann. Wenn die Freundin einer Gefangenen von einer Anderen nur angelächelt wird, kommt ea oft zu den heftigsten Eifersuchtsscenen. zu Prügeleien.

Hat nun die gewaltthätige Gefangene der Hausordnung gemäss Fesseln angelegt bekommen, so sagt sie: .sie habe von ihrer Freundin ein Kind erhalten*.

Interessante Mittbeilungen Über gezüchteten Amor lesbicus verdanken wir auch Parent-Duchatelet (De la prostitution 1857, Bd. I, p. 159).

Der Ekel vor den abscheulichsten und perversesten Akten (Coitus i& axilla, ore, inter maroinas etc.), welche Männer an Lustdirnen begehen, soll nach diesem erfahrenen Autor nicht selten diese unglücklichen Geschöpfe lu lesbiecher Liebe bringen. Aus seinen Andeutungen geht hervor, dass es wesent- lich Prostitnirte von grosser Sinnlichkeit sind, die, unbefriedigt von dem Um- gang mit impotenten oder perversen Männern und augewidert von deren Praktiken, zu jener Venrrung gelangen.

L'eberdies sind Prostituirte, die sich als Tribaden bemerklich machen, durchweg Personen, die mehrjährige GefUngnissinsassen waren und in diesen Brutstätten lesbischer Liebe ex abstinentia sich diese Verirrung aneigneten.

Interessant ist, dass die Prostituirten Tribaden verachten, gleichwie der Mann den PMderasten verachtet« während die weiblichen Sträflinge dieses Laster nicht als anstössig betrachten.

Parent führt den Fall einer Prostituirten an, die betrunken einer Anderen lesbisch Gewalt anthun wollte. Darüber geriethen die andern Bordeli- mttdehen in .solche Entrüstung, dass sie die Sittenlose der Polizei denuncirten. Aehnliche Erfahrungen berichtet Taiil (op. cit. p. 1(>6. 170).

Auch Mantegazza (Anthropologisch-culturhistorische Studien, p. 1^7) findet, dass der sexuelle Verkehr zwischen Weibern vorzugsweise die Bedeutung eines Lasters hat, das auf Grund unbefriedigter Hyperaesthesia sexaalis sich entwickelt.

Bei zahlreichen derartigen Fällen — ganz abgesehen von angeborener contrUrer Sexualem pfindung — gewinnt man jedoch den Eindruck^ dass ganz analog wie bei Männern (s. o.) das gezüchtete Laster allmählig zu erworbener contrarer Sexualempfindung, mit Abscheu vor dem sexuellen Umgang mit dem anderen Geschlecht führte.

l'm solche Fälle mag es sich jedenfalls bei Parent handeln, bei welchen die Correspoodenz mit der Geliebten ebenso schwärmerisch und überschweng- lich war, wie unter Liebenden verschiedenen Geschlechts, Untreue und Trennung die Verlassene ausser sich brachten, die Eifersucht grenzenlos war und zu blutiger Rache führte. Entschieden krankhaft, möglicherweise Beispiele von angeborener contrörer Sexualempfindung sind folgende Fälle von Amor lesbicus bei Mante- gazza p. 08:

1. Am 5. Juli 1777 wurde in London eine Frau vor Gericht gestellt, die sich, als Mann verkleidet, schon 3mal mit verschiedenen Frauen verheirathet hatte. Sie wurde vor aller Welt als Weib erkannt und zu 6 Monaten Kerker verurtheilt.

2. 1773 machte eine andere als Mann verkleidete Frau einem Mädchen den Hof und hielt um seine Band an, aber das kühne Wagniss gelang nicht.


Nekrophilie.


371


3. Zwei Frauen lebten 30 Jahre zosamnien wie Mann und Fraa. Erst aaf ihrem Todtenbette enthüllte die , Gattin" den UmsteheDdeu das Geheimniss.

Neuere bemerkenswertbe Mittheilungen gibt Coffignou (op. ctt. p. 301).

Er berichtet» dass diese Verirrung neuerlich sehr in der ,Mode* ist — zum Theil durch bezügliche Romane, zum Theil durch Erregung der Geni- talien in Folge excessiver Arbeit an der Nähmaschine, Zusammenscblafen weib- licher Dienstboten in demselben Bett, Verführung in Pensionaten durch ver- dorbene Zöglinge oder Verleitung von Töchtern des Privathau^es durch perverse^ Dienstmädchen .

Verfasser behauptet, dass dieses Laster (, Sapbismas*) vorzugsweise bei den Damen der Aristokratie und bei Prostituirten angetroffen werde.

Er unterscheidet aber nicht physiologische und pathologische Falle, unter den letzteren nicht erworbene und angeborene. Einige, entschieden pathologische Fälle betreffende Details entsprechen ganz den Erfahrungen, welche bezüglich contrttrsexnaler Männer bekannt sind.

Die Saphisten haben ihre Orte des Stelldicheins in Paris, erkennen ein- ander an Blick, Gcberden u. s. w. Saphisten paare lieben es, sich ganz gloicli zu kleiden, zu schmücken u. s. w. Man nennt sie dann .petites soeurs*.

Mit folgendeu markanten Zügen charakterisirt Chevalier (L'in- Version sexuelle, Paris 1895}, p. 268, die Perversität und unterscheidet er sie von der Perversion:

,. . . que Ton soit pcdöraste ou lesbienni' par sarexcitation des sens epuises, par avilissement mercantile, par be&oin d'nne ,trompe ta faim', par faiblesse d*esprit ou dilettantisme: il ressort de cette analjse que Vanomalie ne oatt pas avec Vindividu, que l'enfance Tignore. qn'elle ne so montre guöre d*un seul coup, utais peu ä peu, graduellement , ii un certain äge, apres des pratiques sexuelles normales, qu'elle n'est ni permanente, ni absolue, qu'elle se roncilie avec la pleine conscience et i'int^grite de rintelligence. quVUe peut j'amender et disparaltre, qu'elle ne s'accompagne primitivement d'auonne taro physique ou psychtque saillante. qu^elle n'a pas d'autre criteriuni objeotif que le fait lui-nieme, qu'elle n'est ni fatale ni irreslible dans ses impulsions. qu'elle oonstitue enfin un etat particulier d'origine plus sociale qu'individuelle.

Dcfaut d'instinctivite, de spontaneit»*, d'incoercibilite, d'imutabilitf^, absence ou posteriorite des defectuositcs organiquea et mentales corrtlatives, acquisition tardive et artiücielle, premöditation des actes, conscience; genäse d'ordre me^ologique, necessitt^ d'une initiation prealable, et surtout nulle trace d'böredite, ee sont bien lä les caractöres de la passion pure, du vice Sans alliage. Somme toute: rien de pathologique ; on doit donc prävenir, on peut donc reprimer."

8. Nekrophilie '). (Oeaterr. 8tg8b. § d06.)

Die in Rede steheude scheussHclie Art der sexuellen Befriedigung ist so monströs, dass die Vermuthung eines psjchopathiscben Zustandes


  • ) Vgl. Maschku. Hnnd. \\\ . p. 191 (gute hist. NcUzen). — Legrand,

^e. p. 521.


372


Incest.


unter allen Umstunden gerechtfertigt ist und die Forderung Maschka's, in solchen Fällen immer den Geisteszustand des Thäters untersuchen zu lassen, wohl begründet erscheint. Jedenfalls gehört eine krankhafte und entschieden perverse Sinnlichkeit dazu, um die natürliche Scheu, welche der Mensch vor Leichen hat, zu überwinden und gar an der sextiellen Vereinigung mit einem Cadaver Gefallen zu finden.

Leider ist bei den meisten in der Literatur verzeichneten Fällen der Geisteszustand nicht untersucht worden , so dass die Frage , wie Nekrophilie mit geistiger Gesundheit verträglich sei , eine offene bleiben rauss. Wer Kenntnisse von den gräulichen Verirrungen des Sexualtriebs hat, wird jene Frage nicht ohne Weiteres zu verneinen sich getrauen.


9. I n c e 8 1.

(Oeeterr. Stgsb. § 182. Kntv. § 189. Deutsch. Stgsb. § 174.)

Die Bewahrung sittlicher Reinheit des Familienlebens ist eine Frucht der Culturentwicklung^ und lebhafte Unlustgefühle erheben sich beim ethisch intacten Culturmenschen da, wo ein lüsterner Gedanke bezüglich eines Gliedes der Familie auftauchen mag. Nur mächtige Sinnlichkeit und defecte rechtlich-sittliche Anschauungen dürften im Stande sein, zum Incest zu führen.

Beide Bedingungen können in belasteten Familien zusammentreffen. Trunksucht und ein Zustand des Rausches bei männlichen, Schwachsinn, der das Schamgefühl unentwickelt lasst und nach Umständen mit Erotin- mus bei weiblichen Individuen zusammentrifft, erleichtern das Vorkommen blutschänderischer Handlungen. Aeussere, Vorschub leistende Bedingungen Bind die mangelhafte Trennung der Geschlechter in Proletai'ierkreisen.

Als entschieden pathologische Erscheinungen haben wir Incest bei angeborenen und erworbenen geistigen Schwächezuständen, femer in seltenen Fällen von Epilepsie und Paranoia vorgefunden.

In einer grossen Zahl von Fällen, wohl der Mehrzahl, lässt sich jedoch eine pathologische Begründung des nicht bloss die Bande des Bluts, sondern auch die Gefühle eines Culturvolks tief verletzenden Aktes nicht erweisen. In gar manchem Falle, der in der Literatur berichtet ist, ist übrigens eine psjchopathische Begründung zur Ehre der Meuschlieit möglich.

Im Falle Feldtmann (Biarc-Ideler I, p. 18). wo ein Vater beständig unsittliche Attentate auf seine erwachsene Tochter machte und sie schliesslich tödtete, bestand bei dem unnatürlichen Vater Schwachsinn und wahrscheinlich überdies periodische Geistesstüriing. In einem anderen Falle von Incest zwischen Vater und Tochter (l. c. p. 247) war wenigstens diese schwachsinnig. Lotii- broso (Archiv, di Psichiatria VIII, p. öll») berichtet den Fall eines 42 Jahre alten Bauern, welcher mit seinen 22, 19 und 11 Jahre alten Töchtern Incest


Unsittlidie Handlungen nn Pflegebeföblencn.


373


trieb, die lljRhrige sogar zur Prostitntiou zwauj^ nnd im Bordell aufsuchte. Die gericbtsärztliche Untersuchang ergab DelastuDg, intellectaellen und mora- Lisuben Schwachsinn, Pütatorium.

Psychisch unexplorirt sind Fülle wie der von Schürraajeer (Deutsche Zeitschr. für Staatsarzneikunde XXII, U. 1) berichtete, in welchem eine Frau ihren 5*|tjlLhrigen Sohn auf sich legte und mit ihm Noth/ucht trieb, ferner der von Lafarque (Journ. med. de Bordeaux 1874), wo ein ITjähriges Mftdcben den 13jährigen Bruder auf sich legte, membrorum conjanctionem bewerkstelligte und den Bruder mastnrbirte.

Belastete Individuen betrefiFen die folgenden Fälle.

Legrand (Ann. med. -psych. 187*>, Mai) erwähnt ein junges Mädchen von 15 Jahren, das seinen Bruder zu allen möglichen sexuellen Excessen an ihrem Körper verführte, und nachdem der Bruder nach 2jährigem blutachänderi- 8chem Umgang gestorben war , einen Mord versuch an ei nem Verwandten machte. An gleicher Stelle findet sich der Fall einer 3t>jährigen Ehefrau, die ihre offene Brust zum Fenster hinaushing und mit ihrem ISjUhrigen Bruder Unzucht trieb: ferner der einer Mutter von 31» Jahren, die mit ihrem Sohn, in den sie sterblich verliebt war. lucest trieb und, schwanger von ihm, Abortus provocirte.

Fall 2 der gerichtlich psychiatrischen Qutachten aus der Züricher psychia- trisohen Klinik, herausgegeben von Kölle, betrifft Incest eines mit Alkohol. chron. behafteten Vaters an seiner schwachsinnigen erwachsenen Tochter.

Dasd verworfene Mütter in Grossstädten zuweilen ihre kleinen Töchter, um sie ftlr die sexuelle Benutzuug durch Wüstlinge zu präparirea, in scheusslicher V^eise bearbeiten, wissen wir durch Casper. Diese ver- brecherische Handlung gehört in ein anderes Gebiet.


10. Unsittliche Handlungen mit Pflegebefohlenen, Verfahrung

(Oesterreich). (Oeeterr. Stgsb. § 131. Entw. § 188. Deutech. Stgub. § 173.1

Dem Incest nabestehend, jedoch das sittliche Gefühl nicht so tief verletzend, erscheinen die Fälle, wo Jemand eine seiner Aufsiebt oder «einer Erziehung unvertraute und mehr oder weniger in Abhängigkeit von ihm stehende Person zur Begehung oder Duldung einer unzüchtigen Handlung verleitet. Eine psychopathische Bedeutung scheinen derartige, strafrucbtlich besonders qualiÜcirte unzüchtige Handlungen nur ausnahms- weise zu haben.






See also

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